Medienpädagogische Impulse zum Jugendmedienschutz
Thesenpapier für das Forum 3: "Verantwortung in mediatisierten Kinderwelten - Jugendmedienschutz und Medienpädagogik" auf der ajs-Jahrestagung 2012 „Zukunft des Jugendschutzes“
Spätestens das Scheitern der Novellierung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages im Jahr 2010 hat das Spektrum der unterschiedlichen Positionen, Akteure und Argumentationen in der Diskussion um einen zeitgemäßen Jugendmedienschutz vor Augen geführt. Aus medienpädagogischer Perspektive zeigen drei Spannungsfelder zentrale Problemstellungen der aktuellen Entwicklungen auf. Diese werden im Thesenpapier angesprochen. Zudem werden zwei Schnittstellenfunktionen im Zusammenspiel von Medienpädagogik mit dem Jugendmedienschutz dargestellt.
Inhaltsverzeichnis
Medienpädagogische Impulse zum Jugendmedienschutz
Spätestens das Scheitern der Novellierung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages im Jahr 2010 hat das Spektrum der unterschiedlichen Positionen, Akteure und Argumentationen in der Diskussion um einen zeitgemäßen Jugendmedienschutz vor Augen geführt. Aus medienpädagogischer Perspektive zeigen drei Spannungsfelder zentrale Problemstellungen der aktuellen Entwicklungen auf.
Jugendmedienschutz als Minderheitenschutz!?
Bei der Gestaltung von Jugendmedienschutzmaßnahmen wird bislang mit dem Ziel gearbeitet, dass es nicht ausreicht ‚relativ viele Endverbraucher‘ mit entsprechenden Maßnahmen zu schüt- zen. Vielmehr sollen die Maßnahmen sicherstellen, dass gerade auch diejenigen Gruppen ge- schützt werden, bei denen besondere Risikolagen vermutet werden. Hierfür wurde bislang das Argument vorgebracht: „Jugendmedienschutz ist auch Minderheitenschutz“.
Zugleich steht zu fragen, ob tatsächlich nur eine Minderheit der Eltern mit medienerzieherischen Aufgaben und dem Schutz vor entwicklungsbeeinträchtigenden Inhalten überfordert ist oder ob dies mittlerweile vielleicht eher eine Mehrheit ist. Diese Frage stellt sich angesichts aktueller Lebensbedingungen von Familien und den heutigen Medienstrukturen, für die jeweils räumliche und zeitliche Entgrenzung kennzeichnend sind. (siehe Gebel 2011)
Jugendmedienschutz basiert auf Anbieterverantwortung!?
- Aus medienpädagogischer Sicht ist es eine nicht verhandelbare Forderung: Wer Medieninhalte anbietet, trägt auch Verantwortung für diese.
Und auch Jugendliche gehen von einer Verantwortungsübernahme durch die Anbieter und einer staatlichen Kontrolle dieser Verantwortungsübernahme aus. Sie vermuten, dass ihre Schutzbe- dürfnisse auch von Anbieterseite berücksichtigt werden, wie die folgenden Zitate verdeutlichen:
o „Denen kann man schon vertrauen ... also würden sie das immer so weitergeben die Dinge, dann würde es das gar nicht mehr geben: Lokalisten und so. Dann würden die das verbieten.“ (Junge, Gruppenerhebung)
Quelle: Wagner/Brüggen/Gebel (2010): Persönliche Informationen in aller Öffentlichkeit. Jugendliche und ihre Perspektive aus Datenschutz und Persönlichkeitsrechte.
o „Probleme? Für mich sind da (bei Computerspielen) keine Probleme, weil sonst hätten die das ja nicht für mich hergestellt, wenn da Probleme wären.“ (Junge, 13 J.) Quelle: Theunert/Gebel (2007): Untersuchung der Akzeptanz des Jugendmedienschutzes aus der Perspektive von Eltern, Jugendlichen und pädagogischen Fachkräften.
- Neben dem Vertrauen in die Anbieter bzw. staatliche Kontrolle muss auch das eigene Handeln der Nutzenden neuerdings im Blickfeld des Jugendmedienschutzes stehen. So wirft der Verweis auf die Anbieterverantwortung gerade da weitere Fragen auf, wenn Jugendliche selbst zu ‚Anbietern‘ werden, z.B. wenn sie selbst Blogs betreiben oder andere mediale Inhalte herstellen und veröf- fentlichen. Diese Chance zur Beteiligung an teilöffentlichen oder auch gesellschaftlichen Diskursen mittels des Internets führt auch zu der Frage, inwieweit Kinder und Jugendliche in unterschiedli- chen Altersstufen bereits selbst Verantwortung für ihr mediales Handeln übernehmen (können). Grundsätzlich ist es eine genuin medienpädagogische Forderung, dass Partizipation am medialen Diskurs auch gesellschaftliche Verantwortungsübernahme und ein entsprechend verantwortliches Umgehen mit den Schutzbedürfnissen anderer impliziert. Hier stellt sich die Frage nach alters- angemessenen Handlungsräumen, in denen Kinder und Jugendliche nach ihren jeweiligen Fähig- keiten agieren können und bei der Entwicklung weitergehender Kompetenzen mit dem Ziel unterstützt werden, ihre Handlungsmöglichkeiten zu erweitern.
Nachvollziehbarkeit der Einstufungen begründet Akzeptanz!?
In der Diskussion um die Novellierung wurden die Grundlagen von Einstufungen immer wieder nachgefragt und die fehlende Nachvollziehbarkeit der Einstufungspraxis im Jugendmedienschutz öffentlich moniert. Konfrontiert mit der Notwendigkeit zukünftig eigene Inhalte selbst zu kenn- zeichnen, wurde von Netzaktivist/inn/en eine alte Forderung laut – nämlich nachzuvollziehen, wie die Altersstufen begründet werden. In der Art und Radikalität wie dies von einigen Netzakti- vist/inn/en öffentlich formuliert wurde, war das sicherlich neu. Das Argument selbst ist aber aus verschiedenen Studien zur Akzeptanz des Jugendmedienschutzes bekannt, war von ‚Endverbrau- chern‘ bislang aber eher im privaten Raum formuliert worden.
Zwar sind die Altersfreigaben ein bekanntes Instrument des Jugendmedienschutzes, zugleich impliziert hohe Bekanntheit nicht unbedingt, dass diese in eine hohe Praxisrelevanz umgesetzt wird. Gerade wenn Eltern die Begründung einer Einstufung nicht nachvollziehen können, kann dies ein Grund sein, dass sie ihren Kindern auch für sie ungeeignete Inhalte zugänglich machen. Das Problem der Nachvollziehbarkeit von Einstufungen wurde also angesichts der in der Novellie- rung vorgesehenen Selbstkennzeichnung neuerdings öffentlich formuliert, betrifft aber eigentlich ein bereits länger bestehendes und auch bereits formuliertes Problem.
Medienpädagogik und Jugendmedienschutz
Vor dem Hintergrund dieser Spannungsfelder und Herausforderungen eines aktuellen Jugendmedi- enschutzes wurde das Verhältnis von Medienpädagogik zum Jugendmedienschutz reflektiert. Eine Gemeinsamkeit liegt in der Orientierung auf das Kindeswohl und auf eine altersgemäße Entwicklung. Für die handlungsorientierte Medienpädagogik hat diese allerdings nicht nur die Abwesenheit von Beeinträchtigungen des Wohles, sondern immer auch das normative Ziel der Förderung von Medien- kompetenz und damit der Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten der Subjekte im Medienhandeln für die soziale, kulturelle und politische Partizipation zum Ziel. Medienkompetenz ist in diesem Sinne eben nicht zu verstehen als Instrument zur Gefahrenabwehr, sondern ist eine Basiskompetenz zur Teilhabe in mediatisierten Gesellschaften. Im Zusammenspiel mit dem Jugendmedienschutz sind insbesondere zwei Schnittstellenfunktionen von Medienpädagogik für den Jugendmedienschutz zu sehen:
- Erstens liefert medienpädagogische Forschung zum Medienhandeln von Kindern und Jugendlichen sowie zum Medien(erziehungs)handeln in Familien eine Basis für die Ausrich- tung des Jugendmedienschutzes an der Medienrealität der Nutzenden und unterstützt dabei, neue Entwicklungen und ggf. Problemlagen einzuschätzen.
- Zweitens leistet die Förderung von Medienkompetenz wie auch medienerzieherischer Kompetenz bei Eltern oder anderen Bezugspersonen als Aufgabe medienpädagogischer Praxis einen Beitrag zur Sensibilisierung verschiedener Zielgruppen in Bezug auf Fragen, die im Sinne eines offensiven oder auch präventiven Jugendmedienschutzes anzusiedeln sind.
Praxisbeispiel für medienpädagogische Arbeit zum Jugendmedienschutz
Eine Kernidee von medienpädagogischen Projekten zum Jugendmedienschutz ist es, die Perspektive von Jugendlichen auf bestimmte Inhaltsbereiche zum Ausgangspunkt zu machen. Projekte, die sich allein auf die Vermittlung von Wissen über den Jugendmedienschutz beschränken, werden dabei letztlich nicht dem Ziel gerecht, die Handlungsmöglichkeiten der Subjekte zu erweitern. Als Beispiel wurde das Projekt „Jugend im Gespräch – Jugendmedienschutz im Internet“ vorgestellt, in dem Jugendliche ihre und die Perspektive anderer Jugendlicher auf den Jugendmedienschutz in Medien- produktionen umsetzten und diese Produktionen in einem Diskussionsforum mit Abgeordneten im bayerischen Landtag diskutierten. Das Projekt kann als ein Beispiel gelten, wie altersspezifische Projekte mit den Betroffenen des Jugendmedienschutzes durchgeführt werden können und diese in die Diskussion um den Jugendmedienschutz einbezogen werden können.
Als Perspektive für die weitere Entwicklung ist an der Forderung der Anbieterverantwortung festzu- halten: Diese ist einerseits von professionellen Anbietern einzufordern. Andererseits müssen Nicht- Professionelle (Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene) bei der Übernahme entsprechender Verantwortung Unterstützung finden. Eine Herausforderung wird dabei sein, dass bislang eine Einstufung in den Gremien diskursiv stattfand, was sich u.a. auch in den ausführlichen Begründungen widerspiegelt. Ob und inwiefern diese diskursive Aushandlung von Normen und Werten, die einer Einstufung zugrunde liegen muss, durch andere Hilfsmittel (bspw. Kriterienkataloge) unterstützt werden kann, bleibt skeptisch zu betrachten.
So gilt es zudem, differenzierte Schutz- und Förderkonzepte zu gestalten, die jeweils eine Balance aus Fürsorge und Autonomie darstellen, die den altersspezifischen Entwicklungs- und Handlungsfähig- keiten von Kindern und Jugendlichen entspricht und diese ggf. auch in spezifischen medialen Räumen erweitert.
Literaturverweise und Links:
Gebel, Christa (2011): Neue Probleme lösen alte nicht ab. Anforderungen an den Jugendmedienschutz in Zeiten des Web 2.0. In: merz. medien + erziehung. Zeitschrift für Medienpädagogik, 1/2001. S. 42-44.
Theunert, Helga; Gebel, Christa (2007): Untersuchung der Akzeptanz des Jugendmedienschutzes aus der Perspektive von Eltern, Jugendlichen und pädagogischen Fachkräften. Eigenständige Teilstudie des JFF zur Analyse des Jugendmedienschutzsystems. München: JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis.
Steckbrief
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Dr.
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Brüggen
Leitung der Abteilung Forschung
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