Jahresbericht 2010
Berichte über die Projekte aus Forschung und Praxis, sowie Informationen über die Publikationen des JFF aus dem Jahr 2010
"In Lokalisten habe ich meine ganzen Privatsachen drinnen, da kann ich alles machen, ohne dass meine Mutter mir beim Telefonieren zuhört." (Mädchen, 16 Jahre)
Das Zitat dieser Jugendlichen veranschaulicht, was Heranwachsende heutzutage unter Privatsphäre verstehen. Ihr Verständnis ist primär geprägtvon der Vorstellung, über einen Bereich der Selbstbestimmung zu verfügen und "unter sich" sein zu können, ohne dass Erwachsene Zugang dazu haben. Damit ist ein klassisches Thema des Heranwachsens angesprochen, die Abgrenzung von den Erwachsenen und dem damit eng in Verbindung stehenden Streben nach Autonomie. Jugendliche übertragen ihre Perspektive in der Folge auch auf ihr Handeln in medialen Räumen. Dementsprechend schwer zugänglich sind sie den Argumenten der Erwachsenen, die wiederum ihr Verständnis von Privatsphäre anlegen und dabei vor allem die Sorge um persönliche Daten und deren Verwertung durch Dritte im Blick haben.
Der Umgang Jugendlicher mit Social Web-Angeboten wie SchülerVZ, Lokalisten oder Facebook bildete einen wesentlichen Arbeitsschwerpunkt im Jahr 2010 – aus wissenschaftlicher wie auch aus pädagogisch-praktischer Perspektive. Jugendliche bewegen sich mit ihren Motiven und handlungsleitenden Themen in einer Medienwelt, die mehr und mehr davon geprägt ist, dass Medieninhalte immer und überall zur Verfügung stehen und der Zugriff darauf über die verschiedensten Gerätschaften möglich ist. Die Sozialen Netzwerkdienste bieten aus der Perspektive der Jugendlichen zwar auf den ersten Blick neue Freiheiten. Daran anschließend sind aber aus der Sicht der Medienpädagogik Fragen zu stellen. Eine erste lautet z.B., wie Heranwachsende angesichts der immer komplexeren Verzahnung zwischen kommerziellen und medialen Strukturen und deren Inhalten kompetent und stark gemacht werden können für eine souveräne Lebensführung.
Das JFF hat mit der Studie "Persönliche Informationen in aller Öffentlichkeit?", die als Teilstudie der Untersuchung "Das Internet als Rezeptions- und Präsentationsplattform" durchgeführt wurde, differenzierte Ergebnisse vorgelegt, in denen deutlich wird, in welche Widersprüche und Ambivalenzen sich Jugendliche mit ihrem Handeln in diesen Online-Räumen begeben und wo Ansatzpunkte für die pädagogische Arbeit aber auch Hinweise für die Gestaltung von derartigen Angeboten und ihre Rahmung.
Ein gemeinsames Projekt der Abteilungen Forschung und Praxis, das sich mit diesem Themenkomplex beschäftigt, ist das Projekt "Webhelm – Selbstverantwortung im Web 2.0". Ziel ist es, Jugendliche für die Themen Datenschutz, Persönlichkeitsrechte und Urheberrechte zu sensibilisieren. Dabei wurden in einem ersten Schritt Web 2.0-Werkstätten mit Jugendlichen aus verschiedenen Bildungsmilieus durchgeführt. Die Heranwachsenden produzierten eigene, teilweise multimediale Werke wie z.B. interaktive Fotostorys oder Filme, aber auch Comics und Podcasts unter der Maßgabe, dass ihre Werke auch andere Jugendliche dazu anregen sollen, sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen. Die Werkstätten wurden wissenschaftlich begleitet, um die Einschätzungen der Jugendlichen zu den einzelnen entstandenen Produkten und zu bereits bestehenden Materialien einzuholen und für die eigenen Produktionsprozesse nutzbar zu machen. Im zweiten Schritt wurde ein Material für pädagogische Fachkräfte entwickelt, das als Broschüre und online unter www.webhelm.de verfügbar ist. Mit diesem Material wird der Informationsbedarf vieler Pädagoginnen und Pädagogen aufgegriffen und es werden verschiedene Methoden vorgestellt, wie die Themen Datenschutz, Persönlichkeitsrechte und Urheberrechte in der pädagogischen Arbeit aufgegriffen werden können. Im nächsten Schritt wird nun eine Elternbroschüre erstellt und es wird ein Fortbildungskonzept für Fachkräfte aus unterschiedlichen pädagogischen Feldern entwickelt. Aufgegriffen wurde der Themenkomplex darüber hinaus im Schulklassenprogramm zu Datenschutz im Web 2.0, das in Haupt- und Realschulen in Bayern durchgeführt wurde, und in den Jugendprojekten "Mein Handy, meine Community und ich", die auch in der außerschulischen Jugendarbeit realisiert wurden.
Bei diesem Thema stehen in der Regel die Jugendlichen im Fokus, es erscheint jedoch zunehmend von Relevanz, dafür auch Kinder zu sensibilisieren. Gerade das Internet ist für sie noch fremdes Terrain, aber durchaus hoch interessant – gerade wenn ältere Geschwister oder Freunde bereits aktiv sind. Diese Offenheit zusammen mit dem Interesse von Kindern an Fotografie greift "knipsclub – Die Fotocommunity für Kinder" auf und bietet Kindern einen geschützten Raum, um erste Erfahrungen mit Communitys zu machen, sich mit dem Thema Fotografie auseinanderzusetzen und gleichzeitig auch Kompetenzen zu erwerben, die für einen sicheren Umgang mit dem Internet notwendig sind.
Eine Tradition hat die Medienarbeit mit Kindern vor allem im Bereich Film. 2010 fand das bayerische Kinderfilmfest KiFinale zum sechsten Mal und das bayernweite Jugendfilmfestival JuFinale zum elften Mal statt. Veranstaltungsort war diesmal Augsburg, das hervorragende Bedingungen für die Durchführung bot. Vor Ort wurden 57 Jugendproduktionen und 17 Filme von Kindergruppen gezeigt, die ein beeindruckendes Spektrum an Themen und intensive Auseinandersetzungen zeigten. Neben den präsentierten Filmen konnten die 200 Jugendlichen und 350 Kinder sich in verschiedenen Workshops mit dem Thema Film auseinandersetzen.
Eine immer wichtigere Rolle in der Arbeit des JFF spielt die Vernetzung und Kooperation mit unterschiedlichen Partnern der Medienpädagogik wie der Bildungsarbeit insgesamt. Die Initiative "Keine Bildung ohne Medien", der das JFF als Erstunterzeichner angehört, hat große Unterstützung in der ganzen Bundesrepublik gefunden. In der Vorbereitung des bundesweiten Kongresses, der im März 2011 stattfindet, ist das JFF in mehrere Arbeitsgruppen eingebunden, um die Weiterentwicklung medienpädagogischer Forschung und Praxis und deren nachhaltige Verankerung mit Expertinnen und Experten sowie Vertreterinnen und Vertretern der Bildungs-, Kultur- und Sozialpolitik zu diskutieren.Das JFF ist weiterhin Mitglied im Wertebündnis Bayern, einem Zusammenschluss verschiedenster Organisationen in Bayern, die sich zur Auseinandersetzung mit Werten in der Bildungs- und Kulturarbeit verpflichten. Im Rahmen des Bündnisses realisiert das JFF mit dem Projekt "ICH, WIR, IHR im Netz zusammen" mit sieben Kooperationspartnern ein Vorhaben zur Auseinandersetzung mit Werthaltungen mit und in Sozialen Netzwerkdiensten. Im Vordergrund steht dabei die Sicht der Jugendlichen auf das soziale Miteinander mit Internet, die Regeln und Normen, die sich im Online-Handeln etablieren und die Frage, wie eine Diskussion über Werte, z.B. Respekt und Toleranz, in diesen Räumen von statten geht. Ebenso ist das JFF aktives Mitglied in der Arbeitsgruppe Medienführerschein Bayern und hier vor allem in die Konzeption einer Zusammenarbeit schulischer und außerschulischer Strukturen eingebunden.
Die Partner in diesen Netzwerken sowie viele weitere Partner und Förderer tragen maßgeblich dazu bei, dass das JFF seine Arbeit realisieren kann. An dieser Stelle gilt unser Dank allen Finanziers und Kooperationspartnern, mit denen wir im Laufe des Jahres vielfältige Projekte in Forschung und Praxis durchführen konnten.
2010 war schließlich geprägt durch eine gravierende Veränderung in der Leitungsstruktur des JFF. Die Direktorin Prof. Dr. Helga Theunert beendete ihre langjährige Tätigkeit in der Leitung des Instituts. Sie steht dem JFF aber weiterhin beratend zur Seite. Wir danken ihr herzlich für ihr Engagement, ihre immer kritische Haltung gegenüber aktuellen Entwicklungen, ihr Eintreten für die Belange der Heranwachsenden und ihre präzisen und fundierten Analysen zur Medienaneignung von Kindern und Jugendlichen. Die Verbindung von Theorie und pädagogischer Praxis sowie die Weiterentwicklung qualitativer Methoden standen stets im Zentrum ihrer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den Medienaneignungsprozessen der heranwachsenden Generation. Kathrin Demmler und Dr. Ulrike Wagner, die bislang ihre Stellvertreterinnen waren, übernahmen im November die Leitung des Instituts und gewährleisten Kontinuität und Qualität in der empirischen Forschung ebenso wie in der Entwicklung innovativer Modelle und der Etablierung nachhaltiger medienpädagogischer Strukturen. Zu leisten ist dies nur mit engagierten und kreativen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Ihnen ist an dieser Stelle zu danken, ihre Arbeit in den vielfältigen Projekten und Aktivitäten dokumentiert der vorliegende Jahresbericht.
Prof. Dr. Bernd Schorb
Vorsitzender JFF e. V.
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