2023/01: Für Demokratie, gegen Polarisierung. Impulse für die politische Medienbildung
Handlungsorientierte Medienpädagogik wurde von ihren Vertreter*innen immer auch als Teil politischer Bildungsarbeit verstanden. Ihre Ziele bestehen darin, Kinder und Jugendliche zur kritischen Reflexion medialer Inhalte zu befähigen und ihnen Wege aufzuzeigen, sich mithilfe von Medien selbst in die Gesellschaft einzubringen. Dazu gehört auch der pädagogische Umgang mit Sozialen Medien. Dabei richtet sich der Blick zunehmend auf die politischen Ränder. Es fühlt sich so an, als ob die Polarisierung der Gesellschaft immer mehr zunimmt. Genau an diesem Thema lässt sich auch zeigen, was politische Bildung und Medienpädagogik voneinander lernen und wie sie in Forschung und Praxis zusammenarbeiten können. Wie die großen gesellschaftlichen Herausforderungen von politischer Bildung und Medienpädagogik gemeinsam in den Blick genommen werden können, steht im Zentrum dieses Hefts.
aktuell
Valerie Jochim: Geschlechterbilder und Social Media zum Thema machen
Kinder und Jugendliche setzen sich unterschiedlich intensiv und auch unterschiedlich kritisch mit Geschlechterdarstellungen in den Sozialen Medien auseinander. Zum einen variiert ihr Wissen rund um Geschlecht und Social Media stark, zum anderen reflektieren sie nicht alle gleichermaßen mediale Bedingungen geschlechtlicher Inszenierungen. Das wurde im Rahmen von Online-Forschungswerkstätten deutlich, die mit 25 Kindern und Jugendlichen im Alter von 10 bis 16 Jahren durchgeführt wurden. Die Teilnehmenden machen Geschlecht an verschiedenen Bezugspunkten fest, wie beispielsweise an körperlichen Merkmalen, wenn sie Frauen eher als ,kurvig‘ beschreiben und Männern eher einen Körper in ,V-Form‘ zuordnen.
Auch Interessen spielen als Bezugspunkt von Geschlecht eine Rolle, wobei die Teilnehmenden dies widersprüchlich reflektieren. Während sie einerseits eine individuelle Freiheit von Einzelnen proklamieren und sich dafür aussprechen, jeder Mensch dürfe den individuellen Interessen unabhängig von normativen Erwartungen nachgehen, werden gleichzeitig durch die eigenen Erklärungsmuster stereotype Zuschreibungen zementiert, wenn sie etwa Kosmetik und Mode Frauen zuordnen. Insgesamt wird deutlich, dass Bilder von Frausein und vonMannsein eng gefasst werden und im Rahmen dieses binären Schemas wenig Spielraum für Einzelne besteht. Bei uneindeutig gelesenen Personen denken die Teilnehmenden wiederum eher über Veränderbarkeit nach, wobei sie eine Geschlechterbinarität dabei nicht infrage stellen. Im Gegenteil stehen uneindeutig gelesene Personen gleichsam als ,andere‘ neben den ,eigentlichen‘ Geschlechtern. Die Studie ist im Projekt GenderONline – Geschlechterbilder und Social Media zum Thema machen entstanden und steht kostenfrei zur Verfügung.
Beitrag aus Heft »2023/01: Für Demokratie, gegen Polarisierung. Impulse für die politische Medienbildung«
Autor: Valerie Jochim
Beitrag als PDFEinzelansichtLuisa Giebler: JIM-Studie 2022
Jugendliche gehen im dritten Pandemie-Jahr wieder mehr Freizeitaktivitäten außer Haus nach und sind weniger online. Das zeigt die aktuelle JIM-Studie des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest (mpfs). Da es im Jahr 2022 kaum noch Einschränkungen in der Freizeitgestaltung gab, trafen sich Jugendliche in ihrer Freizeit wieder vermehrt mit Freund*innen (2022 gaben 73 % an, mehrmals pro Woche etwas mit Freund*innen zu unternehmen, 2021 waren es 63 %). Auch die Teilnahme an Sportaktivitäten ist leicht gestiegen. 2022 gaben 59 Prozent der Jugendlichen an, mehrmals pro Woche Sport zu machen, während es 2021 noch 51 Prozent waren. Die ausbleibenden Einschränkungen wirken sich außerdem auf die täglich verbrachte Zeit im Internet aus: Diese ist nun wieder auf den Stand von vor der Pandemie gesunken (204 Minuten täglich).
Das Jahr 2022 brachte jedoch auch einige Herausforderungen für Heranwachsende mit sich. Dazu zählen vor allem der Ukraine-Krieg und der Klimawandel. Für diese Themen interessieren sich jeweils 78 Prozent der Jugendlichen. Die meisten Jugendlichen vertrauen bei der Informationsbeschaffung zu diesen Themen vor allem auf die Tagesschau (65 %), gefolgt von öffentlich-rechtlichen Radiosendern (58 %) und regionalen Tageszeitungen (52 %). Die neu aufkommenden Herausforderungen des Jahres scheinen bekannte Problematiken in den Hintergrund zu rücken: Das Interesse an der aktuellen Corona-Situation ist unter den Heranwachsenden zurückgegangen (2021 interessierten sich 67 % dafür, 2022 nur noch 49 %). Jedoch nimmt das Thema Diversity an Bedeutung zu. 2021 interessierten sich 41 Prozent der Jugendlichen für dieses Thema, 2022 bereits 48 Prozent.
Die Studie verdeutlicht, wie das aktuelle Zeitgeschehen sowohl Sorgen und Interessenschwerpunkte, als auch die Freizeitgestaltung Jugendlicher beeinflusst.
Beitrag aus Heft »2023/01: Für Demokratie, gegen Polarisierung. Impulse für die politische Medienbildung«
Autor: Luisa Giebler
Beitrag als PDFEinzelansichtSwenja Wütscher: Stichwort: Lensa
Selfie-Avatare, gemalt von einer künstlichen Intelligenz. Eigentlich gibt es die App Lensa schon seit 2018, das neue Feature ‚Magic Avatars‘ lässt sie nun viral gehen: Nutzer*innen laden 10 bis 20 Selfies in die Anwendung, die daraufhin die eigenen Fotos
nach verschiedenen Kunstwerken und -stilen aussehen lässt – von Ölgemälden über Animes bis hin zu futuristischen Kunstwerken. Der Service ist nicht kostenfrei. Nutzer*innen bezahlen mindestens vier Dollar, um in der Testversion ein Set von 50 KI-Selfies von sich zu generieren. Relativ teuer, wenn man bedenkt, dass die App ihre Datensätze gratis bezieht. Sie basiert auf Stable Diffusion, einem Open-Source-Bildergenerator.
Besonders heikel wird es beim Urheberrecht und Datenschutz. Denn die KI muss mit gigantischen Datenmassen gefüttert werden; dies geschehe auch mit – teilweise privaten – Kunstwerken, Fotos, Grafiken, Comics, Zeichnungen und Animationen aus dem Netz. Das Problematische: Diese Bilder gehören der App nicht, die Urheber*innen erhalten keinerlei Gegenleistung, vielmehr noch haben sie der Nutzung nicht einmal zugestimmt. Dem Gebrauch zu widersprechen ist kaum möglich. Auch das Verständnis von Datenschutz scheint zweifelhaft: Unter anderem geben Nutzer*innen dem Unternehmen automatisch die Erlaubnis, die Bilder zu Werbezwecken zu nutzen, sobald sie ein Lensa-Foto in einem Sozialen Netzwerk hochladen. Darüber hinaus lassen Nutzer*innen-berichte vermuten, dass die App rassistische Stereotype reproduziert und Ableism unterstützt, indem beispielsweise die Haut von PoC heller gemacht wird oder Rollstühle von Fotos entfernt werden.
Neu sind der Hype und die Kritik um KI-Bildgeneratoren zwar nicht, bislang war man nur auf Plattformen wie Midjourney, Dall-E und Stable Diffusion beschränkt – Lensa scheint sich in der breiten Masse durchzusetzen. Künstler*innen fürchten bereits um ihre Existenz, weil Kunst so für alle umsetz- und machbar ist. Die Technologie steht diesbezüglich wohlgemerkt noch am Anfang ihrer Entwicklung.Beitrag aus Heft »2023/01: Für Demokratie, gegen Polarisierung. Impulse für die politische Medienbildung«
Autor: Swenja Wütscher
Beitrag als PDFEinzelansichtKati Struckmeyer: Kinder Medien Monitor 2022
Lesen spielt in der Freizeit von 4- bis 13-Jährigen eine größere Rolle als TikTok oder YouTube. Fast drei Viertel aller Kinder dieser Altersklasse lesen häufig Bücher, Zeitschriften oder Comics. Zu diesen und weiteren Ergebnissen kommt der Kinder Medien Monitor, dessen Ergebnisse im Oktober 2022 veröffentlicht wurden. Die repräsentative Studie gibt Aufschluss über die Mediennutzung und Freizeitgestaltung Heranwachsender.
Weitere analoge Aktivitäten, wie Freund*innen treffen (86 %) und draußen spielen (80 %), sind bei Kindern nach wie vor beliebt. Im Medienbereich hat das lineare Fernsehen weiterhin einen hohen Stellenwert: 83 Prozent schauen Serien oder Filme, wenn diese im Fernsehen ausgestrahlt werden. Weiterhin nutzen 94 Prozent der befragten Kinder digitale Medien, um miteinander zu kommunizieren. Ab einem Alter von zehn Jahren erlangen Angebote wie TikTok und WhatsApp Beliebtheit. Über 40 Prozent der Befragten spielen zusammen mit ihren Eltern; ein Viertel der Kinder nutzt Games als Kommunikationsplattform – im Chat oder über das Headset. Der Kinder Medien Monitor wird bereitgestellt von Egmont Ehapa Media, Gruner + Jahr Deutschland, SUPER RTL, EDEKA Media und Panini Verlag.
Dafür wurden 2.055 Doppel-Interviews mit Kindern im Alter von 6 bis 13 Jahren und jeweils einem Elternteil geführt. Darüber hinaus wurden 548 Interviews mit einem Elternteil von Vorschulkindern geführt.
Beitrag aus Heft »2023/01: Für Demokratie, gegen Polarisierung. Impulse für die politische Medienbildung«
Autor: Kati Struckmeyer
Beitrag als PDFEinzelansichtLuisa Giebler: GADMO – Faktenchecks statt Desinformation
In den Medien begegnen uns regelmäßig Desinformationen. Vor allem bei aktuellen Geschehnissen wie dem Ukraine-Krieg oder der Pandemie fällt es manchen schwer, falsche Informationen von tatsächlichen Fakten zu unterscheiden. An dieser Stelle setzt die Beobachtungsstelle für digitale Medien an, welche die Faktenlage rund um aktuelle Themen klärt und falsche Informationen aus dem Weg räumt.
Am 1. November startete die Plattform German-Austrian Digital Media Observatory, kurz GADMO. Dahinter steht ein multidiszi-plinäres Netzwerk aus Wissenschaftler*innen, Journalist*innen und Medienschaffenden aus Deutschland und Österreich, die es sich zum Ziel gemacht haben, die Verbreitung regionaler Desinformationen zu bekämpfen. Das Observatorium ist das größte Faktencheck-Netzwerk im deutschsprachigen Raum und gehört zum European Digital Media Observatory, kurz EDMO.
Zu den Zielen der Beobachtungsstelle gehören das Erkennen und die wissenschaftliche Untersuchung von Desinformationen. Fakten werden überprüft, auf einer zentralen Plattform gesammelt und somit der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Dadurch soll die Medienkompetenz der Bürger*innen in Deutschland und Österreich gefördert werden. Auf der Plattform sind auch News und Veranstaltungen zum Thema Desinformationen im Netz zu finden. Außerdem werden regelmäßig Trainingsmodule angeboten, welche sich vor allem an Stakeholder und Forschende richten. Zudem finden Nutzende zahlreiche Publikationen auf der Plattform, die unter anderem falsche Informationen zum Ukraine-Krieg oder Covid-19-Impfungen aufklären und dabei Statistiken und Studien einbeziehen.
GADMO ist ein redaktionell unabhängiges Projekt, welches zunächst für 30 Monate angesetzt ist. Finanziert wird es unter anderem von der Europäischen Kommission. Für das Netzwerk haben sich die Agence France-Presse (AFP), die Deutsche Presse-Agentur (dpa), die Austria Presse Agentur (APA) sowie das Recherchenetzwerk Correctiv zusammengeschlossen. Koordiniert wird das Projekt von der Technischen Universität Dortmund.
Beitrag aus Heft »2023/01: Für Demokratie, gegen Polarisierung. Impulse für die politische Medienbildung«
Autor: Luisa Giebler
Beitrag als PDFEinzelansichtHeinrike Paulus: Cyber Heroes – Neue Materialien zu Hass im Netz
Wie Heranwachsende auf Hass im Netz reagieren können, anstatt ihn hinzunehmen, zuzusehen oder gar selbst mitzumachen, erklärt die kostenfreie Handreichung für den Schulunterricht ‚Hass im Netz kontern. Wir sind Cyber Heroes: Wir unternehmen etwas, anstatt zuzuschauen und mitzumachen!‘
Die sechs Übungen richten sich an neun- bis zwölfjährige Schüler*innen. Zu jeder Einheit gibt es einen ausgearbeiteten Ablaufplan, Übungsblätter und Lösungshinweise. So sollen Schüler*innen ein Gefühl dafür entwickeln, welche Konten und Inhalte sie melden sollten oder wie sie auf boshafte Kommentare angemessen antworten. Sie erfahren außerdem, warum Hass-Postings entstehen, wann eine Reaktion darauf vernünftig ist und wie diese umgesetzt werden sollte. „Kinder lernen schnell, dass ein rauer Umgang miteinander mitunter normal ist, und nehmen diesen oft einfach hin oder schließen sich dem allgemeinen Umgangston an“, heißt es im Vorwort der Publikation. Dagegen soll mit den Materialien angegangen werden. Herausgegeben wurden sie von saferinternet.at und dem Österreichischen Institut für angewandte Telekommunikation. Altersgerechte und handlungsorientierte methodische sowie didaktische Hinweise geben zugleich Raum für kreatives Arbeiten. Die Publikation basiert auf dem abgeschlossenen Forschungsprojekt Cyber Heroes der Universität Wien.
Im Projekt wurde untersucht, wie sich Jugendliche (zwischen 14 und 19 Jahren) im Umgang mit Hass, Cybermobbing oder anderen Formen digitaler Gewalt zu Counter Speech mobilisieren lassen.
Beitrag aus Heft »2023/01: Für Demokratie, gegen Polarisierung. Impulse für die politische Medienbildung«
Autor: Heinrike Paulus
Beitrag als PDFEinzelansicht
thema
Kathrin Demmler/Dagmar Hoffmann/Georg Materna: Editorial: Medienpädagogik und politische Bildung. Gemeinsam gegen Polarisierung und Desinformation
Handlungsorientierte Medienpädagogik wurde von ihren Vertreter*innen immer auch als Teil politischer Bildungsarbeit verstanden. Ihre Ziele bestehen darin, Kinder und Jugendliche zur kritischen Reflexion medialer Inhalte zu befähigen und ihnen Wege aufzuzeigen, sich mithilfe von Medien selbst in die Gesellschaft einzubringen. Diese Ziele bleiben aktuell. Sie umzusetzen wird aber durch die tiefgreifende Mediatisierung unserer Gesellschaft vor neue Herausforderung gestellt. Dazu gehört auch der pädagogische Umgang mit Sozialen Medien. Dienstleister wie YouTube, Instagram oder Twitter sind in den letzten Jahren zu einem wichtigen Teil politischer Öffentlichkeiten geworden.
Kaum eine Krise wird in ihrer Dynamik nicht mit ihnen verbunden. Es geht um Desinformationskampagnen und Trollfabriken, um Radikalisierungsdynamiken oder extremistische Inhalte. Im Ergebnis richtet sich der Blick zunehmend auf die politischen Ränder. Es fühlt sich so an, als ob die Polarisierung der Gesellschaft immer mehr zunimmt. Dieses Thema wollen wir aufgreifen, denn es lässt sich an ihm zeigen, was politische Bildung und Medienpädagogik voneinander lernen und wie sie in Forschung und Praxis zusammenarbeiten können.
Damit bezieht sich diese Ausgabe auch auf das Positionspapier Politische Medienbildung der Landeszentralen und Bundeszentrale für politische Bildung. Die Fokussierung der politischen Bildung auf die Arbeit mit, über und durch Medien ist nicht neu, bekommt aber durch den Begriff ‚politische Medienbildung‘ eine erweiterte Dimension. Politische Bildung rückt damit eng an die handlungsorientierte Medienpädagogik, sucht möglicherweise den Schulterschluss. Wie die großen gesellschaftlichen Herausforderungen gemeinsam pädagogisch in den Blick genommen werden können, steht im Zentrum dieses Themenschwerpunkts.
Sabine Achour führt aus politikwissenschaftlicher Sicht in das Thema ein. Dafür setzt sie sich kritisch mit der Idee auseinander, dass die Gesellschaft durch Polarisierung in zwei Teile zerfallen könnte. Sie kann anhand von Daten zeigen, dass eine Zweiteilung für Deutschland aktuell nicht zu beobachten ist. Die große Mehrheit der Bevölkerung bekennt sich zur Demokratie. Problematische Einstellungen gibt es vor allem bei Bürger*innen im rechtsextremen Spektrum. Wichtig ist deswegen, politische Bildungsarbeit besonders in Bezug auf Zielgruppen zu stärken, die demokratische Werte verstärkt abzulehnen scheinen. Denn Erhebungen aus dem schulischen Kontext zeigen, dass dadurch demokratische Einstellungen und Teilhabe gefördert werden können.
Dass die politische Medienbildung in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle spielt, das betont Thomas Krüger im Gespräch mit Bernd Schorb. Ausdruck dafür ist das eingangs genannte Positionspapier der Bundes- und Landeszentralen für politische Bildung. Schorb und Krüger sprechen darüber, was das für die Zusammenarbeit beider Professionen bedeutet und welche außerschulischen Zielgruppen für die politische Medienarbeit zunehmend wichtiger werden.
Über Krisen spricht auch Dagmar Hoffmann mit Klaus Hurrelmann, allerdings mit einem besonderen Blick auf ihre Auswirkungen auf die junge Generation. Die letzten Jahre waren geprägt von sich überlappenden Krisen: Klimakrise, Coronakrise, Krieg in der Ukraine. Hurrelmann zeichnet insgesamt ein mutmachendes Bild der Jugend, differenziert es aber so weit, dass für bestimmte Jugendliche besondere Unterstützungsbedarfe erkennbar sind. Er erläutert, wie Schule und Eltern hierauf reagieren können und welche Rolle medienpädagogische Ansätze dabei spielen. Stichwort medienpädagogische Ansätze: Über das Heft verteilt finden sich Steckbriefe von Praxisprojekten, die im Bereich politischer Medienbildung gegen Polarisierung arbeiten. Die Projekte setzen sich mit Diskriminierung durch Künstliche Intelligenz (KI and ME) oder Cybermobbing auseinander (Abenteuer mit Sam). Vorgestellt wird ein Planspiel, in dem filmische Reflexionen darüber entstehen, wie ‚das‘ politische System unser Zusammenleben prägt (Parlamensch). Auch werden mit Truthellers ... Trust me, if you can?! und Don’t stop motion zwei aktuelle Dieter Baacke-Preisträger-Projekte vorgestellt.
Was politische Bildungsarbeit gegen Polarisierung außerdem im Detail ausmacht, darüber gibt es in dieser Ausgabe zwei Beiträge: Silke Baer stellt fest, dass für die Arbeit zu kontroversen Themen der Zugang über lebensweltnahe Medienbeispiele immer wichtiger wird. Diese dienen zum Beispiel als Gesprächsanlässe für narrative Formate. Außerdem argumentiert Baer dafür, Techniken aus der Mediation für die pädagogische Arbeit zu sehr kontroversen Themen zu entlehnen. Diese können helfen, dass Fachkräfte auch in normativ sehr umkämpften Bereichen mehr Handlungssicherheit gewinnen. In eine ähnliche Richtung, stärker strukturell fokussiert, argumentieren Seyran Bostancı und Özgür Özvatan. Sie gebenEinblicke in die Forschung zu den narrativenStrukturen gesellschaftspolitischer Debatten.Ihr Argument ist, dass postmigrantische Aushandlungsprozesse narrative Strukturen brauchen, die mit der klassischen Heroisierung undRomantisierung politischer Fragestellungenauf nationaler Ebene brechen. Das betrifft sowohl die von Politiker*innen entwickelten Problembeschreibungen als auch die mediale Berichterstattung. Demokratieförderlicher sindstattdessen politische Diskurse, die der Fehlbarkeit und Kontingenz politischer Entscheidungen gerecht werden und damit eher demdynamischen Charakter gegenwärtiger Demokratien entsprechen.
Komplettiert wird die Ausgabe durch zwei medienpädagogische Beiträge: Dagmar Hoffmann widmet sich dem Umgang mit Algorithmen und Big Data. Sie beschreibt, wie der digitale Wandel den Alltag umgestaltet, ohne dass er von den Nutzer*innen selbst als massive Transformation wahrgenommen wird. Hoffmann stellt dar, wie die Konsequenzen und Problematiken des eigenen Medienhandelns vor allem auf der Subjektebene verhandelt und weniger als gesellschaftspolitische Aufgabenstellung verstanden werden. Hier anzusetzen ist eine wichtige Aufgabe politischer Medienbildung.
Georg Materna, dessen Beitrag ergänzend frei zugänglich auf merz-zeitschrift.de erscheint, geht ebenfalls auf alltägliches Medienhandeln ein. Er wirft einen Blick auf das Informationsverhalten Jugendlicher, für das Soziale Medien eine wichtige Rolle spielt. Er argumentiert, dass die medienpädagogischen Herausforderungen in Bezug auf das Informationsverhalten Jugendlicher weniger Filterblasen sind, sondern eher der Umgang mit der Diversität der Kanäle und Inhalte, die junge Menschen nutzen, um sich zu orientieren. Medienpädagogische Arbeit sollte deswegen verstärkt dazu arbeiten, Informationsroutinen und Kriterien zur Bewertung von Information bewusst zu machen und zu verhandeln.
Beitrag aus Heft »2023/01: Für Demokratie, gegen Polarisierung. Impulse für die politische Medienbildung«
Autor: Kathrin Demmler, Dagmar Hoffmann, Georg Materna
Beitrag als PDFEinzelansichtSabine Achour: Polarisierung der Gesellschaft? Wer gesellschaftliche Teilhabe und Empowerment fördern möchte, muss sich die Ungleichheit in den Strukturen ansehen
Polarisierte Gesellschaft und Krise der Demokratie? Liegen die Ursachen für Menschenfeindlichkeit und Demokratieskepsis nicht viel tiefer in den Strukturen sozialer Ungleichheit? Gerade Zugänge zu Bildung und gesellschaftlicher Teilhabe sind oft voller Barrieren. Mangelnde Angebote beispielsweise von politischer Bildung, auch in Verbindung mit der Medienpädagogik, gehen schon in der Schule mit Exklusionsprozessen einher, während Zugänge einen positiven Effekt auf demokratische Einstellungen zu haben scheinen.
Literatur
Achour, Sabine (2021). Demokratiebildung: Was ist das? - Politische Bildung, die sich lohnt! In: Achour, Sabine/Massing, Peter (Hrsg.), Demokratiebildung. Frankfurt a.M.: Wochenschau Verlag, S. 4–13.
Achour, Sabine/Wagner, Susanne (2019). Wer hat, dem wird gegeben. Politische Bildung an Schulen. Bestandsaufnahme, Rückschlüsse und Handlungsempfehlungen. Berlin: Friedrich-Ebert-Stiftung.
Barberá, Pablo (2015). How Social Media Reduces Mass Political Polarization. Evidence from Germany, Spain, and the U.S. New York University. www.pablobarbera.com/static/barbera_polarization_APSA.pdf [Zugriff: 05.12.2022]
Berghan, Wilhelm/Zick, Andreas (2019). Zwischen Demokratiebefürwortung und Ungleichwertigkeitsbehauptungen: Einstellungen zur Demokratie. In: Zick, Andreas/Küpper, Beate/Berghan, Wilhelm (Hrsg.), Verlorene Mitte – Feindselige Zustände. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2018/19. Bonn: J. H. W. Dietz, S. 223–241.
Hagen, Lutz M./Au, Anne-Marie in der/Wieland, Mareike (2017). Polarisierung im Social Web und der intervenierende Effekt von Bildung: eine Untersuchung zu den Folgen algorithmischer Medien am Beispiel der Zustimmung zu Merkels „Wir schaffen
das!“ In: kommunikation@gesellschaft, 18, S. 1–20.Jörke, Dirk/Selk, Veith (2017). Theorien des Populismus zur Einführung. Hamburg: Junius.
Köhler, Paula (2021). Drei Mythen über Polarisierung in Deutschland. In: Internationale Politik, 6, S. 102–107. www.internationalepolitik.de/de/drei-mythen-ueber-polarisierung-deutschland [Zugriff: 05.12.2022]
Krüger, Thomas/Uzunoff, Matthias (2017). Politische Bildung. In: Schorb, Bernd/Hartung-Griemberg, Anja/ Dallmann, Christine (Hrsg.), Grundbegriffe Medienpädagogik. München: kopaed, S. 346–348.
Küpper, Beate/Berghan, Wilhelm/Rees, Jonas H. (2019). Aufputschen von Rechts: Rechtspopulismus und seine Normalisierung in der Mitte. In: Zick, Andreas/Küpper, Beate/Berghan, Wilhelm (Hrsg.), Verlorene Mitte – Feindselige Zustände. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2018/19. Bonn: J.H.W. Dietz, S. 173–202.
Lamberty, Pia/Rees, Jonas H. (2021). Gefährliche Mythen: Verschwörungserzählungen als Bedrohung für die Gesellschaft. In: Zick, Andreas/Küpper, Beate (Hrsg.), Die geforderte Mitte. Rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellungen in Deutschland 2020/21. Bonn: J.H.W. Dietz, S. 283–300.
Merkel, Wolfgang (2021). Polarisierung als gesellschaftliche Signatur. In: WBZ-Mitteilungen online 172. Berlin. www.wzb.eu/de/publikationen/wzb-mitteilungen/polarisierung-und-gesellschaft/polarisierung-als-gesellschaftliche-signatur [Zugriff: 19.10.2022]
Rippl, Susanne/Seipel, Christian/Kindervater, Angela (2015). Politische Sozialisation. In: Zmerli, Sonja/Feldman, Ofer (Hrsg.), Politische Psychologie. Handbuch für Wissenschaft und Studium. Bonn: Nomos, S. 69–84.
Schröder, Michael (2021). Medienkompetenz als Schlüssel für Demokratiekompetenz. In: Hubacher, Manuel S./Waldis, Monika (Hrsg.), Politische Bildung für die digitale Öffentlichkeit. Wiesbaden: Springer VS, S. 89–107.
Siller, Friedrike/Tillmann, Angela/Zorn, Isabel (2020). Medienkompetenz und medienpädagogische Kompetenz in der Sozialen Arbeit. In: Kutscher, Nadia/Ley, Thomas/Seelmeyer, Udo/Siller, Friederike/Tillmann, Angela/Zorn, Isabel (Hrsg.), Handbuch Soziale Arbeit und Digitalisierung. Weinheim/Basel: Beltz Juventa, S. 315–332.
Strömbeck, Jesper/Broda, Elena/Bouchafra, Salma/Johansson, Sofia/Rettenegger, Greor/Lindgren, Elina (2022). Conspiracy thinking and the role of media use: Exploring the antecedents of conspiratorial predispositions. In: European Journal of Communication. DOI: 10.1177/02673231221122951.
van Prooijen, Jan-Willem (2017). Why education predicts decreased belief in conspiracy theories. Applied cognitive psychology, 31 (1), S. 50–58. DOI: 10.1002/acp.3301.
Vodafone Stiftung Deutschland (Hrsg.) (2019). Alles auf dem Schirm? Wie sich junge Menschen in Deutschland zu politischen Themen informieren. Düsseldorf. www.vodafone-stiftung.de/wp-content/uploads/2019/11/Vodafone-Stiftung-Deutschland_Studie_Politisches_Informationsverhalten.pdf [Zugriff: 05.12.2022]
Wagner, Ulrike (2014). Jugend, Information und Partizipation online. Zur Differenzierung von Beteiligungsformen im Internet. In: Einspanner-Pflock, Jessica/Dang-Anh, Mark/Thimm, Caja (Hrsg.), Digitale Gesellschaft. Partizipationskulturen im Netz. Berlin: LIT, S. 169–189.
Zick, Andreas/Küpper, Beate (Hrsg.) (2021). Die geforderte Mitte. Rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellungen in Deutschland 2020/21. Bonn: J.H.W.Dietz.
Beitrag aus Heft »2023/01: Für Demokratie, gegen Polarisierung. Impulse für die politische Medienbildung«
Autor: Sabine Achour
Beitrag als PDFEinzelansichtGespräch mit Thomas Krüger, Bundeszentrale für politische Bildung (bpb): Das Verhältnis von Medienpädagogik und politischer Bildung
Welche Bedeutung haben Medien im Kontext des Politischen? Wie werden Informationen über die demokratische Gesellschaft in diesem Zusammenhang vermittelt? Und wie ist die Medienpädagogik in der politischen Bildung verortet? Diesen und weiteren Fragen gehen Thomas Krüger und Bernd Schorb in ihrem Gespräch nach.
Beitrag aus Heft »2023/01: Für Demokratie, gegen Polarisierung. Impulse für die politische Medienbildung«
Autor: Thomas Krüger, Bernd Schorb
Beitrag als PDFEinzelansichtGespräch mit Klaus Hurrelmann: Polarisierung der Gesellschaft. Wie kann das politische Engagement Jugendlicher gefördert werden?
Wie gehen Jugendliche mit der Herausforderung gleichzeitiger Krisen um? Was benötigen sie an Unterstützung im familiären Umfeld, in der Schule, in der Gesellschaft? Und welche Rolle können Medienpädagogik und politische Bildung dabei spielen? Diesen und weiteren Fragen gehen Klaus Hurrelmann und Dagmar Hoffmann in ihrem Gespräch nach.
Weiterführende Literatur
Albert, Mathias/Quenzel, Gudrun/Hurrelmann, Klaus/Schneekloth, Ulrich/Leven, Ingo/Wolfert, Sabine (2019). 18. Shell Jugendstudie. Jugend 2019. Eine Generation meldet sich zu Wort. Weinheim/Basel: Beltz.
Fichtner, Sarah/Bittner, Martin/Bayreuther, Tamara/Kühn, Vanessa/Hurrelmann, Klaus/Dohmen, Dieter (2022). „Schule zukunftsfähig machen“ – Cornelsen Schulleitungsstudie 2022. Berlin: Cornelsen.
Ravens-Sieberer, Ulrike/Kaman, Anne/Devine, Janine/Löffler, Constanze/Reiß, Franziska/Napp, Ann-Kathrin/Gilbert, Martha/Naderi, Hila/Hurrelmann, Klaus/Schlack, Robert/Hölling, Heike/Erhart, Michael (2022). Seelische Gesundheit und Gesundheitsverhalten von Kindern und Eltern während der COVID-19-Pandemie. Ergebnisse der COPSY-Längsschnittstudie [The mental health and health-related behavior of children and parents during the COVID-19 pandemic: findings of the longitudinal COPSY study]. In: Deutsches Ärzteblatt International, 119 (25), S. 436–437. DOI: 10.3238/arztebl.m2022.0173.
Beitrag aus Heft »2023/01: Für Demokratie, gegen Polarisierung. Impulse für die politische Medienbildung«
Autor: Dagmar Hoffmann, Klaus Hurrelmann
Beitrag als PDFEinzelansichtSteckbrief: Kinder spielerisch über Cybermobbing aufklären: Abenteuer mit SAM – Schüler*innen als Medienprofis | Johanna Stary
Das Thema Cybermobbing wird immer präsenter. Laut einer neuen Studie des Bündnis gegen Cybermobbing ist mittlerweile jede*r sechste Schüler*in schon einmal Opfer dieser virtuellen Form des Mobbings geworden. Lehrer*innen bleibt angesichts des straffen Lehrplans oft wenig Zeit, Themen wie Cybermobbing und Hassrede im Internet während des Unterrichts zu thematisieren. Dennoch ist bekannt, dass Hassnachrichten und Cybermobbing ein immer größeres Problem für Kinder und Jugendliche darstellen. Gerade während des Online-Lernens in den letzten beiden Jahren hat sich gezeigt, dass Kinder zunehmend Zeit im Internet und in Sozialen Medien verbringen, ohne ausreichend Medienkompetenz zu haben. Genau dort setzt das Projekt Abenteuer mit SAM – Schüler*innen als Medienprofis an.
Ziel des Projekts ist es, Schüler*innen für das Thema Cybermobbing zu sensibilisieren und auszurüsten. Dafür hat das Projektteam ein hybrides Spielkonzept entwickelt, bei dem sich Kinder zwischen acht und zwölf Jahren im Klassenverband in Kleingruppen spielerisch mit aktuellen Themen wie Hassrede im Internet und Cybermobbing auseinandersetzen. Abenteuer mit SAM zeichnet sich dabei durch ein innovatives und hybrides Spielkonzept aus – bestehend aus einem Online-Spiel und einer analogen Materialbox.
Das Konzept ist darauf ausgelegt, den Schüler*innen die Komplexität von Cybermobbing vor Augen zu führen. Sie lernen, dass Cybermobbing zwar digital stattfindet, aber Konsequenzen in der realen Welt hat. Deswegen bietet das Lernspiel, das wie eine Schatzsuche aufgebaut ist, eine Mischung aus digitalen und analogen Inhalten. Analog ist eine Materialbox, in der die Kinder – abhängig von ihren Entscheidungen im Spiel – passende Aufgaben finden und diese während des Spiels immer wieder analog bearbeiten. Eine Webseite bildet den wichtigen digitalen Teil. Hier können die Schüler*innen Neues durch die digitale Medienarbeit erlernen, indem sie durch Sams Geschichte geführt werden. Die während des Spiels getroffenen Entscheidungen wirken sich auf das Endergebnis des Spiels aus. Je nach Ergebnis erhalten die Schüler*innen unterschiedliche Abschlussaufgaben, mit denen sie das Gelernte medienpraktisch verarbeiten. Diese hybride Spielform soll eine Verbindung zwischen der virtuellen und der realen Welt schaffen, um zu verdeutlichen, dass Cybermobbing auch Auswirkungen auf die wirkliche Welt hat.
Das Projekt wurde während des UNESCO Hackathons zum Thema ‚Global Media and Information Literacy‘ im Oktober 2021 entwickelt und aus 85 Teams zu einem der Gewinner*innenteams gekürt. Voller Motivation bewarb sich das Team aus Studierenden der OTH Regensburg um Deborah Walsleben, Sophie Lüdecke, Cäcilia Präckel, Johanna Stary, Melanie Kursawe und Linda Herbold daraufhin bei Ideen für die Jugend – einer Initiative des Bayerischen Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales – und erhielt eine Förderung über 49.000 € für das Jahr 2022. Im Laufe dieses Jahres hat das Team intensiv an der Umsetzung dieses hybriden Spiels gearbeitet. In Zusammenarbeit mit Spieleentwicklerinnen und einer Designerin entstand so die virtuelle Spielwelt hinter Abenteuer mit SAM sowie die ergänzenden Materialboxen zur medienpädagogischen Vertiefung des im Spiel Erlebten.
Aktuell befindet sich das Spiel in einer Testphase und wird in den nächsten Wochen von Kindern und Jugendlichen sowie Schulklassen Probe gespielt. Auch über den aktuellen Projektzeitplan hinaus soll das Spiel kontinuierlich verbessert und weiterentwickelt werden. Langfristig soll das Konzept auch auf andere Themen rund um Medienkompetenz ausgeweitet werden, damit Schüler*innen zu vollumfänglichen Medienprofis werden. Interessierte finden mehr Infos zu Abenteuer mit SAM auf der Website und in Sozialen Medien (@abenteuermitsam).
Beitrag aus Heft »2023/01: Für Demokratie, gegen Polarisierung. Impulse für die politische Medienbildung«
Autor: Johanna Stary
Beitrag als PDFEinzelansichtSilke Baer: Demokratiegefährdender Polarisierung entgegenwirken. Ansätze der politischen Bildung, Jugendarbeit und Mediation
Zunächst wird der Frage nachgegangen, welche Polarisierungen virulent sind und welche Rolle Medien bei der Ausbildung von polarisierten Haltungen spielen. Daraufhin werden aus politischer Bildung und Prävention drei Ansätze der pädagogischen Arbeit mit Jugendlichen vorgestellt, die Polarisierungen lindern und auflösen können. Abschließend wird auf Grundlage einer mediativen Grundhaltung für eine Veränderung der Kommunikationskultur plädiert, die die Empathie- und Kompromissfähigkeit zwischen unterschiedlichen Meinungsgruppen wiederherzustellen vermag.
Literatur
Cultures interactive e.V. (2021). PHÄNO_Cultures. Phänomenübergreifende politische Jugendkulturbildung. Ein
Modellprojekt von cultures interactive e.V. zur Prävention von Rechtsextremismus und religiös begründetem Extremismus — 2018 bis 2020. www.cultures-interactive.de/de/veroeffentlichungen.html [Zugriff: 21.12.2022]Freiheit, Manuela/Uhl, Andreas/Zick, Andreas (2021). Phänomenübergreifende Radikalisierungsprävention. Perspektiven aus Praxis und Forschung. In: MAPEX-Forschungsverbund (Hrsg.), Radikalisierungsprävention in Deutschland. Mapping und Analyse von Präventions- und Distanzierungsprojekten im Umgang mit islamistischer Radikalisierung. Osnabrück/ Bielefeld: MAPEX.
Glaser, Michaela (2016). Rechtsextremismus und Islamismus im Jugendalter. Was ist übertragbar, was ist spezifisch? Bonn.
www.bpb.de/themen/infodienst/239365/rechtsextremismus-und-islamismus-im-jugendalter [Zugriff: 21.12.2022]Günther, Christoph (2022). Islamismus und Medien: Globale Medienlandschaften mit unbekannter Wirkung. In: Milbradt,
Björn/Frank, Anja/Greuel, Frank/Herding, Maruta (Hrsg.), Handbuch Radikalisierung im Jugendalter. Phänomene,
Herausforderungen, Prävention. Opladen/Berlin/Toronto: Budrich, S. 215–230.Jukschat, Nadine (2022). Digitale Medien als Medien der (neuen) Rechten? Zur Rolle und Nutzung (digitaler) Medien in rechts-
extremen Bewegungen und ihrer Bedeutung für kollektive und individuelle Radikalisierungsprozesse. In: Milbradt, Björn/Frank,
Anja/Greuel, Frank/Herding, Maruta (Hrsg.), Handbuch Radikalisierung im Jugendalter. Phänomene, Herausforderungen,
Prävention. Opladen/Berlin/Toronto: Budrich, S. 197–214.Krafeld, Franz-Josef (2021). Den Rechtsextremismus bekämpfen. Emanzipatorische Alternativen zu notorischen Wirkungs-
schwächen. In: Journal für politische Bildung, 11 (2), S. 4–9.Nocun, Katharina/ Lamberty, Pia (2020). Fake Facts. Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen. Köln:
Quadriga.Weilnböck, Harald (2022). Die narrativen Gesprächsgruppen. Eine Methode der intensivpädagogischen Jugendbildung. In:
Außerschulische Bildung, 2 (0). https://fachzeitschrift.adb.de/narrative-gespraechsgruppen [Zugriff: 21.12.2022]Beitrag aus Heft »2023/01: Für Demokratie, gegen Polarisierung. Impulse für die politische Medienbildung«
Autor: Silke Baer
Beitrag als PDFEinzelansichtSteckbrief: Don’t stop motion. Menschen verbinden, Vorurteile und Mauern einreißen – mit dem Medium Film
Das Projekt
Viel zu oft wird über Menschen mit Fluchtgeschichte gesprochen, statt mit ihnen. Das wollen wir ändern und bringen einen Film auf die Leinwand, der von und mit ihnen entstanden ist. Das interkulturelle Dokumentarfilmprojekt don’t stop motion erzählt die Geschichten von Ahmad, Zahra und Muntazar – drei jungen Menschen, die ihre Heimat für ein besseres Leben verlassen haben. Sie erzählen, wie und warum sie nach Deutschland gekommen sind und auch, welche Erfahrungen sie hier gemacht haben und wie ihre Realität in Europa aussieht.
Zusammen mit Ahmad, Zahra und Muntazar haben wir ihre Erinnerungen in Szenen umgewandelt, Stop-Motion Puppen und Requisiten gebaut und in Bewegung gesetzt. Weitere engagierte Jugendliche aus Erfurt haben uns tatkräftig unterstützt. Dabei entstand ein Stop-Motion und Dokumentarfilm, mit dem wir möglichst viele Menschen erreichen wollen. Und am besten zu mehr Toleranz und Weltoffenheit bewegen wollen.
Die Filmtour
Dafür touren wir mit dem fertigen Film nun durch Thüringen und bald auch ganz Deutschland, um vor allem im ländlichen Raum Menschen für die Themen Flucht und Migration zu sensibilisieren und in Austausch zu kommen. Denn gerade in Regionen, in denen der Anteil an Menschen mit Migrationsgeschichte gering ist, sind Vorurteile besonders verbreitet. Menschen hingegen, die Kontakt mit Migrant*innen hatten, haben kaum Vorurteile.
Dies entspricht übrigens der Kontakthypothese nach Allport (1954): Vorurteile lassen sich am besten durch direkten Kontakt abbauen, aber auch durch indirekten oder auch medial-vermittelten Kontakt. Wird also in einem Film emotional und hautnah die Geschichte eines*r ‚Fremden‘ erzählt, können sich Ängste ein Stück weit auflösen. Bei unserer Filmtour bekommen die Teilnehmenden durch das Rezipieren des Dokumentarfilms don‘t stop motion ungewohnte, authentische und persönliche Einblicke in das Leben drei junger Erfurter*innen mit Fluchtgeschichte. Im Anschluss haben die Teilnehmenden die Möglichkeit mit den Filmemacher*innen und Protagonist*innen ins Gespräch zu kommen und sich auszutauschen.
Die Workshops
Im unseren rassismuskritischen Workshops erforschen die Teilnehmenden ihre eigene Haltung zum Thema Flucht und Migration. Dafür schauen und diskutieren sie nicht nur unseren Film: mit den Methoden der ästhetischen Filmbildung tauchen sie tief hinein in eigene Empfindungen. Angeleitet von den Filmemacher*innen, mithilfe von Collagen und Schreibübungen verarbeiten sie ihre Gedanken zum Thema auf kreative Art und Weise. Auf dieser Forschungsreise in das eigene Bewusstsein schaffen sie es, ganz neu über das Thema Flucht und Migration (nach-) zu denken. Immer mit dabei, eine*r der jugendlichen Protagonist*innen mit Fluchterfahrung.
Der Verein dahinter
don‘t stop Motion ist seit Sommer 2022 ein Projekt des nochson e.V. Dieser versteht sich als Anlaufstelle für vielfältige, kulturell und künstlerisch aktive Kräfte und unterstützt diese in ihrer Tätigkeit. Er verfolgt den Zweck der Umsetzung von kulturellen Veranstaltungen, die Ermittlung von gesellschaftlichen Bedürfnissen und die darauf folgende Entwicklung von Konzepten und Durchführung von kultur- und medienpädagogischen, sowie soziokulturellen Projekten. Dabei stehen Demokratiebildung, die Förderung von Nachwuchskünstler*innen und die Vernetzung mit anderen Initiativen und Kulturschaffenden besonders im Vordergrund.
Synopsis des Dokumentarfilms
Drei junge mutige Menschen erzählen in don’t stop motion die bewegenden Geschichten ihrer Flucht nach Europa und von ihrem Leben hier. Das Besondere: sie selbst haben mit eigens hergestellten Puppen, Karton und der Stop-Motion Technik ihre Erlebnisse auf die Leinwand gebracht. Jede*r auf ganz eigene Art, geben Zahra, Muntazar und Ahmad einem Einblicke in ihre Lebenswirklichkeiten – ihre Erinnerungen an die Heimat und die teils jahrelange Flucht. Neben den intimen Interviews, ermöglichen es die teils szenischen, teils abstrakten Stop-Motion Szenen tiefer in die Innenwelt der Protagonist*innen einzutauchen und eröffnen neue Perspektiven. Hier angekommen sind die drei mit neuen Herausforderungen konfrontiert: „Wir sind vom Krieg geflüchtet und dann kommt hier dieses Sch***problem… mit Hautfarbe.“ In der Hybridform aus klassischem Dokumentarfilm und Stop-Motion wollen sie das oft verzerrte Bild von ihnen und anderen Geflüchteten verändern. Zusammen mit fünf weiteren Jugendlichen entstand unter der medienpädagogischen Leitung von Niels Bauder und Franziska Bausch-Moser eine interkulturelle Filmcrew. In ihren Schaffensprozess wird man am Ende mitgenommen und spürt die positive Energie, die gemeinsame Kreativität auslösen kann, sowie die Hoffnung, mit dem Film etwas zu bewegen.
Mehr Einblicke gibt es auf Instagram und auf www.dontstopmotion.de.
Beitrag aus Heft »2023/01: Für Demokratie, gegen Polarisierung. Impulse für die politische Medienbildung«
Beitrag als PDFEinzelansichtÖzgür Özvatan/Seyran Bostancı: Für Tragik und Ironie im ‚Demokratischen Streit‘. Wie Narrative Konfigurationen Polarisierung befördern oder transformieren
In dem Beitrag wird ausgehend von einer Auseinandersetzung mit dem demokratischen Streit und dessen Bedeutung für eine progressive Weiterentwicklung unserer postmigrantischen Gesellschaft die Frage nach den passenden Narrativen für die Reduzierung des Gaps zwischen dem Wir und dem Anderen gestellt. Als erzähltheoretischer Königsweg für die Auflösung von Polarisierung werden selbstironische und tragische Elemente in Erzählungen identifiziert und argumentiert.
Literatur
Autorengruppe Bildungsberichterstattung (2020). Bildung in Deutschland 2020. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu Bildung in einer digitalisierten Welt. Bielefeld: wbv.
Bonefeld, Meike/Dickhäuser, Oliver (2017). Max vs. Murat: Effekte des Migrationshintergrundes bei der Diktatbeurteilung. Konferenzpapier für die 5. Tagung der Gesellschaft für empirische Bildungsforschung (GEBF). Heidelberg. www.researchgate.net/publication/317687156 [Zugriff: 03.01.2023]
Benhabib, Seyla (1996). Toward a Deliberative Model of Democratic Legitimacy. In: Benhabib, Seyla (Hrsg.), Princeton/NJ: Princeton University Press.
Flam, Helena (2009). Diskriminierung in der Schule. In: Melter, Claus/Mecheril, Paul (Hrsg.), Rassismuskritik. Rassismustheorie und -forschung. Schwalbach/Ts.: Wochenschau, S. 239–257.
Foroutan, Naika (2019). Die postmigrantische Gesellschaft: Ein Versprechen der pluralen Demokratie. Bielefeld: transcript.
Frye, Northrop (1957). Anatomy of Criticism: Four Essays. Princeton/New Jersey: Princeton University Press.
Gomolla, Mechtild/Radtke, Frank (2009). Institutionelle Diskriminierung: die Herstellung ethnischer Differenz in der Schule. Wiesbaden: Springer VS.
Gonzalez-Mena, Janet (2008). Diversity in early care and education. Boston: McGraw-Hill.
Habermas, Jürgen (1996). Die Einbeziehung des Anderen. Studien zur politischen Theorie. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Konsortium Bildungsberichterstattung (Hrsg.) (2006). Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu Bildung und Migration. Im Auftrag der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Bielefeld: Bertelsmann.
Kultusministerkonferenz (KMK) (2018). Demokratie als Ziel, Gegenstand und Praxis historisch-politischer Bildung und Erziehung in der Schule. Bonn. www.kmk.org/fileadmin/Dateien/pdf/PresseUndAktuelles/2018/Beschluss_Demokratieerziehung.pdf [Zugriff: 16.12.2022]
Mügge, Liza/Özvatan, Özgür (2021). A Bundestag of Color? An Intersectional Analysis of Diversity in the German Bundestag. American Institute for Contemporary German Studies, Johns Hopkins University. Washington D.C. www.aicgs.org/2021/10/a-bundestag-of-color [Zugriff: 16.12.2022]
Olszenka, Ninja/Meiner-Teubner, Christiane (2020). Kindertagesbetreuung. In: Lochner, Susanne/Jähnert, Alexandra (Hrsg.), DJI-Kinder- und Jugendmigrationsreport 2020. Datenanalyse zur Situation junger Menschen in Deutschland. Bielefeld: wbv, S. 94–106.
Olszenska, Ninja/Riedel, Birgit (2020). Früh gefördert oder abgehängt? In: DJI-Impulse, 123 (1), S. 20–24.
Özvatan, Özgür/Forchtner, Bernhard (2019). The Far-Right Alternative für Deutschland in Germany: Towards a ‘Happy Ending’? In: Waring, Alan (Hrsg.), The New Authoritarianism. Vol. 2: A Risk Analysis of the European Alt-Right Phenomenon. Stuttgart: ibidem, S. 199–226.
Somers, Margaret R. (1994). The Narrative Constitution of Identity: A Relational and Network Approach. In: Theory and Society, 23 (5), S. 605–649.
Tietze, Wolfgang/Bensel, Joachim/Lee, Hee-Jeong/Aselmeier, Maike/Egert, Franziska (2013). Pädagogische Qualität in Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflegestellen. In: Tietze, Wolfgang/Becker-Stoll, Fabienne/Bensel, Joachim/Eckhardt, Andrea G./Haug-Schnabel, Gabriele/Kalicki, Bernhard/Keller, Heidi/Leyendecker, Birgit (Hrsg.), Nationale Untersuchung zur Bildung, Betreuung und Erziehung in der frühen Kindheit (NUBBEK). Weimar: Verlag das Netz.
Wagner-Pacifici, Robin E. (1986). The Moro Morality Play: Terrorism as Social Drama. Chicago: University of Chicago Press.
White, Hayden V. (1973). Metahistory: The Historical Imagination in Nineteenth-century Europe. Baltimore/MD: JHU Press.
Beitrag aus Heft »2023/01: Für Demokratie, gegen Polarisierung. Impulse für die politische Medienbildung«
Autor: Seyran Bostancı, Özgür Özvatan
Beitrag als PDFEinzelansichtSteckbrief: PARLAMENSCH. Ein filmisches Planspiel zur Auseinandersetzung mit den Grundfragen einer demokratischen Gesellschaft | Thomas Kupser
Zielgruppe junge Menschen von 16 bis 24 Jahren
Durchführende Institutionen JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis
Finanziers und Partner Bayerischer Jugendring (BJR), Bayerische Sparkassenstiftung, Kulturreferat der Landeshauptstadt München, Bayerisches Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales
Laufzeit 2019 bis 2022
Unsere Staatsform Demokratie ist ein spannendes und gleichzeitig verflochtenes und stellenweise unübersichtliches Konstrukt. Filme brauchen einen mitreisenden Plot, eine gute Story. Liegt hier vielleicht eine Symbiose vor? Von jungen Filmschaffenden und in medienpädagogischen Workshops wurde gemeinsam die Webvideoserie PARLAMENSCH geschaffen, innerhalb derer man die Demokratie seziert und reflektiert, aber auch gleichzeitig für das Publikum erlebbar macht: ein partizipatives Filmexperiment. Über 400 Jugendliche aus ganz Bayern arbeiten von Januar 2019 bis Sommer 2022 parallel und gemeinsam an einer Webvideoserie, die mittlerweile in einem 90-minütigen Langfilm mündete. PARLAMENSCH war von Beginn an auf allen Ebenen partizipativ konzeptioniert und organisiert. So trafen sich erstmals im Frühjahr 2019 acht jugendliche Filmemacher*innen aus der Region München, um das Szenario eines filmischen Planspiels zu erarbeiten. Es sollte dabei eine filmische Auseinandersetzung mit den Grundfragen der demokratischen Gesellschaft bei Jugendlichen initiiert werden. Vorgaben gab es nur wenige, das Planspiel sollte eine Kooperation von Filmgruppen aus ganz Bayern darstellen und möglichst in Eigenregie realisiert werden. Gemeinsam wurde sich auf eine dreiteilige Webserie, auf das Ausgangsszenario und auf den Titel PARLAMENSCH verständigt.
„Wenn du die Gesellschaft verändern könntest, was würdest du tun…?“. Die Antworten auf diese und weitere Fragen des Lebens in einem politischen System, welches einfache Bürger*innen zu Entscheider*innen werden lässt, gaben die jungen Filmschaffenden in Form von Episodenfilmen. Gerahmt und feingeschliffen lassen sich die Schicksale der Auserwählten nun in waschechter Webserienform unter www.parlamensch.de mitverfolgen. Zum einen waren junge Filmschaffende im Alter zwischen 16 und 24 Jahren am Projekt beteiligt, zum anderen wurden aber auch medienpädagogische Workshops zu diesem Themenspektrum durchgeführt.
PARLAMENSCH verstand sich von Anfang an als Projekt, das maßgeblich durch Jugendliche gestaltet wurde, koordiniert durch ein Team im JFF – Institut für Medienpädagogik in Kooperation mit dem Bayerischen Jugendring (BJR). So wurden bereits das Ausgangsszenario sowie die verschiedenen Hauptprotagonist*innen im Rahmen eines Kick-Off-Treffens von einem jugendlichen Team erdacht. Die inhaltliche Ausgestaltung ihrer Episoden stand den jugendlichen Filmgruppen völlig frei, auch bei der Postproduktion wurden nur wenige rahmengebende Vorgaben gemacht, die eine Montierbarkeit der Episoden zu einer Serie sicherstellten. Im Anschluss an die Premieren von Staffel I und Staffel II wurden die Filmgruppen eingeladen, um auf Basis dieser über das Szenario der folgenden Staffel zu diskutieren.
Wesentliches Ziel bei PARLAMENSCH ist es, mit möglichst vielen jugendlichen Akteur*innen an einer gemeinsamen filmischen Auseinandersetzung zum Thema Demokratie zu arbeiten. Unsere Demokratie und die damit verbundenen Machtprozesse sind stark durch Medien geprägt. Gerade durch das Ausgangsszenario werden die damit verbundenen, komplexen Zusammenhänge den beteiligten Jugendlichen deutlich. Zudem werden diese Verstrickungen innerhalb der einzelnen Episoden thematisiert.
Darüber hinaus fanden fünf stärker medienpädagogisch angeleitete Projekte in Aschaffenburg, Schweinfurt, Würzburg, Wörth und München statt. Hier wurde mit vielen Kooperationspartnern gearbeitet. Dazu gehörten die Medienfachberatung in der Oberpfalz und in Schwaben, dem Jugendkulturzentrum (JUKUZ) Aschaffenburg, der Staatliches Berufliches Schulzentrum Alfons Goppel Schweinfurt und das Medienzentrum Parabol Nürnberg. Bei allen Episoden dieser Gruppen wurden Protagonist*innen gewählt, die nah an der Lebenswelt der Jugendlichen sind. Jede einzelne Filmgruppe hat wiederum mit diversen Institutionen kooperiert, um die jeweiligen Episoden verfilmen zu können.
Im November 2022 wurde von einem jungen Cutter aus allen Episoden ein Langfilm geschnitten, der 2023 auf der Webseite bewundert werden kann. PARLAMENSCH kann als Modell dienen um mit vielen Jugendlichen gemeinsam an einem komplexen Thema zu arbeiten und damit die Vielschichtigkeit aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten. Das Prinzip Planspiel als Fundament für ein Drehbuch von vielen hat sich bei PARLAMENSCH sehr bewährt.
Beitrag aus Heft »2023/01: Für Demokratie, gegen Polarisierung. Impulse für die politische Medienbildung«
Autor: Thomas Kupser
Beitrag als PDFEinzelansichtSteckbrief: Das Projekt TruthTellers – Wie kann ich Verschwörungserzählungen mit Jugendlichen thematisieren? | Raphaela Müller
Die Auseinandersetzung mit dem Thema Verschwörungserzählungen hat die Gesellschaft gerade in der Pandemie stark beschäftigt. So hat auch der Bedarf an pädagogischen Angeboten zugenommen, die Jugendliche dazu befähigen, Quellen zu hinterfragen und Fakten zu checken. Um die Mechanismen und Charakteristika von Verschwörungserzählungen zu verstehen und erkennen zu können, reicht das Wissen zu Quellenkritik und Faktenchecks allein jedoch nicht aus. Vielmehr bedarf es einer ganzheitlichen Auseinandersetzung mit den dahinterstehenden Weltbildern und Narrativen, um für die Strategien der Verbreitung sensibilisiert werden zu können. Hier setzt das Projekt TruthTellers an. Das Projekt wurde initiiert vom JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis und gefördert von der mabb – Medienanstalt Berlin-Brandenburg.
Pädagogischer Ansatz: über Storytelling und mediale Stilmittel der Emotionalisierung
Woher wissen wir eigentlich, was die Wahrheit ist? In fünftägigen Modellworkshops haben sich 2021 drei Berliner Schulklassen der 8. und 9. Jahrgangsstufe in aufeinander abgestimmten Moduleinheiten mit den Themen Wahrheit, Erzählungen und Ideologien auseinandergesetzt. Die Teilnehmenden entwickelten im Projektverlauf selbst Verschwörungsgeschichten und bedienten sich dabei, unterstützt durch den Einsatz digitaler Tools, verschiedener Formen des Storytellings und medialer Stilmittel der Emotionalisierung. Darüber haben sie die Bedeutung von Narrativen und die Kraft des Erzählens selbstwirksam erfahren. Was steckt hinter den Geschichten? Wie erfinde ich eine Verschwörungserzählung? Welche Bausteine brauche ich dafür? Wie kann ich meine Geschichte besonders überzeugend und emotional erzählen? Wie kann ich mit medialen Stilmitteln Emotionen erzeugen und somit Menschen in ihrer Meinungsbildung beeinflussen? Was hat Geschichtenerzählen mit Verantwortung zu tun? Und welche Auswirkungen haben solche Geschichten auf unsere Gesellschaft? Diese und weitere zentrale Fragestellungen standen im Mittelpunkt der pädagogischen Arbeit mit den Jugendlichen. Sie reflektierten gemeinsam darüber, welche bedeutende Rolle Erzählungen, Glaube und Gefühle spielen, um Menschen für das eigene Weltbild, ‚die eigene Wahrheit‘, zu überzeugen.
Materialien & Methodenpool
Zu Beginn der Projektwoche wurde das Thema Verschwörungserzählungen durch eine fiktive Rahmengeschichte eingeleitet. Es wurde bewusst darauf verzichtet auf bestehende Verschwörungserzählungen einzugehen, um nicht auf diese aufmerksam zu machen. Haben im Verlauf des Workshops Teilnehmende selbst einzelne Verschwörungserzählungen erwähnt, wurden diese kurz thematisiert, ohne den Fokus auf die Wiederlegung einzelner Aspekte zu legen. Im Anschluss diskutierten die Teilnehmenden über den Wahrheitsgehalt und erarbeiteten gemeinsam Mechanismen von Verschwörungserzählungen, die gleichzeitig wichtige Elemente für spannende Geschichten sind.
Anhand der Rahmengeschichte mit transparenten Quellenangaben stießen die Schüler*innen auf reale und gefälschte Inhalte. Neben aus dem Kontext gerissenen Nachrichten und Bildern, konnten sie auch Webseiten und Generatoren entdecken, mit welchen Fake People, Fake-Posts, -Tweets, -Chats oder reißerische Überschriften und SharePics generiert wurden. In einer ersten Framing-Übung erzeugten die Teilnehmenden eigene News und neue Zusammenhänge. Diese Übung lieferte auch den Einstieg, um über das Thema Verantwortung zu diskutieren. Mit Hilfe von Pen & Paper-Methoden, wie Charakterbogen und Raumsettings zur Entwicklung der eigenen Figuren und Welten, wurden die Basis für die eigene Geschichte gelegt. Einige Mechanismen von Verschwörungserzählungen, wie beispielsweise die Feindbild-Logiken wurden durch Methoden, wie Cui Bono, vertieft.
Nachdem die Teilnehmenden mit Hilfe von Verschwörungskarten ihre eigene Geschichte logisch zusammengesetzt haben („Es gibt keine Zufälle“), ging es im nächsten Schritt um die Emotionalisierung ihrer Verschwörung. Wie können sie die erfundene Geschichte so aufbereiten, dass sie andere Menschen aufwühlt? Welche Möglichkeiten haben sie, das Thema für alle Menschen relevant werden zu lassen? Wie kann man emotional aufgeladene Medieninhalte (Posts, Nachrichten, Videos, Sprachnachrichten, Bilder, News) framen oder selbst produzieren? Nachdem sich die Teilnehmenden mit verschiedenen Emotionen aus ihrer eigenen Lebenswelt auseinandergesetzt haben, bekamen sie noch Inputs unter anderem zu den Wirkungsweisen von (bewegten) Bildern, Rhetorik, Schrift und Symbolen. Zum Ende des Projekts wurden die Geschichten mit den emotionalisierten Beweisen als PowerPoint, Adobe Spark Video oder Twine Text-Adventure-Game vor der Klasse präsentiert. Die Inhalte und Beweise wurden hinterfragt, diskutiert und durch einen Glaubwürdigkeitstest bewertet. Dadurch gingen die Teilnehmenden in eine tiefere Reflexion über Auswirkungen und Verantwortung bei der Verbreitung solcher Geschichten. Sie riefen sich außerdem nochmal die Mechanismen und Gefahren von realen Verschwörungsgeschichten in Erinnerung und reflektierten über einen sinnvollen Umgang mit Verschwörungsgläubigen.
Aus den Modellworkshops sind pädagogische Methoden und Materialien entstanden, die für die Arbeit mit Jugendlichen kostenfrei genutzt werden können und auf www.truthtellers.de abrufbar sind.
Beitrag aus Heft »2023/01: Für Demokratie, gegen Polarisierung. Impulse für die politische Medienbildung«
Autor: Raphaela Müller
Beitrag als PDFEinzelansichtDagmar Hoffmann: Digitaler Alltag, Datenpraktiken und Subjektautonomie
Im Beitrag werden einige Überlegungen zum Verständnis und den Folgen digitaler Praktiken im Alltag sowie zur gesellschaftlichen Rahmung von Digitalisierung vorgestellt. Es werden selektiv Herausforderungen identifiziert, die Menschen im alltäglichen Umgang mit digitalen Technologien zu bewältigen haben. Ihre Datenpraktiken sind oftmals kaum kontrollierbar, was wiederum die Subjektautonomie beeinträchtigen kann.
Literatur
Barnes, Susan B. (2006). A privacy paradox: Social networking in the United States. In: First Monday, (11) 9 . DOI: 10.5210/
fm.v11i9.1394.Block, Katharina/Dickel, Sascha (2020). Jenseits der Autonomie: Die De/ Problematisierung des Subjekts in Zeiten der Digitalisierung. In: BEHEMOTH – A Journal on Civilisation, 13 (1), S. 109–131. DOI: 10.6094/behemoth.2020.13.1.1040.
Burkhardt, Marcus/van Geenen, Daniela/Gerlitz, Carolin/Hind, Sam/Kaerlein, Timo/Lämmerhirt, Danny/Volmar, Axel (2022). Introduction. In: Burkhardt, Marcus/van Geenen, Daniela/Gerlitz, Carolin/Hind, Sam/Kaerlein, Timo/Lämmerhirt, Danny/Volmar, Axel (Hrsg.), Interrogating Datafication. Towards a Praxeology of Data. Bielefeld: transcript, S. 9–36.
Dander, Valentin (2014). Von der ‚Macht der Daten‘ zur ‚Gemachtheit von Daten‘. Praktische Datenkritik als Gegenstand der Medienpädagogik. In: Mediale Kontrolle unter Beobachtung, 3 (1), S. 1–21. DOI: 10.25969/mediarep/13783.
Ganz, Kathrin (2018). Die Netzbewegung. Subjektpositionen im politischen Diskurs der digitalen Gesellschaft. Opladen/Berlin/Toronto: Barbara Budrich.
Gapski, Harald/Packard, Stephan (Hrsg.) (2021). Super-Scoring? Datengetriebene Sozialtechnologien als neue Bildungsherausforderung. München: kopaed.
Habscheid, Stephan/Hector, Tim M./Hrncal, Christine/Waldecker, David (2021). Intelligente Persönliche Assistenten (IPA) mit Voice User Interfaces (VUI) als ‚Beteiligte‘ in häuslicher Alltagsinteraktion. Welchen Aufschluss geben die Protokolldaten der Assistenzsysteme? In: Journal für Medienlinguistik, 4 (1), S. 16–53. DOI: 10.21248/jfml.2021.44.
Hoffmann, Dagmar/Sūna. Laura (2022). Von Datenspuren und Datenbewusstsein im Alltag – Zum Verständnis von Medien- und Datenpraktiken. JFF – Jugend Film Fernsehen e.V. https://digid.jff.de/magazin/daten/datenbewusstsein-datenpraktiken [Zugriff: 03.01.2023]
Knorre, Susanne/Müller-Peters, Horst/Wagner, Fred (2020). Die Big-Data-Debatte. Chancen und Risiken der digital vernetzten Gesellschaft. Wiesbaden: Springer VS.
Lyon, David (2001). Surveillance society: Monitoring Everyday Life. Buckingham: Open University Press.
Missomelius, Petra (2022). Bildung – Medien – Mensch. Mündigkeit im Digitalen. Göttingen: V&R unipress.
Nassehi, Armin (2019). Muster. Theorie der digitalen Gesellschaft. München: C.H. Beck.
PricewaterhouseCoopers (PwC) (2019). Ergebnisse: Bevölkerungsbefragung zu personalisierter Werbung. Frankfurt am Main. www.pwc.de/de/technologie-medien-und-telekommunikation/bevoelkerungsbefragung-personalisierte-werbung.pdf [Zugriff: 03.01.2023]
Beitrag aus Heft »2023/01: Für Demokratie, gegen Polarisierung. Impulse für die politische Medienbildung«
Autor: Dagmar Hoffmann
Beitrag als PDFEinzelansichtSteckbrief: KI and ME - über Künstliche Intelligenz, Big Data und die Auswirkungen auf unsere Gesellschaft | Nadine Wegmeyer und Viktoria Magnucki
Zielgruppe Schüler*innen im Alter von 14 bis 16 Jahren
Referent*innen Viktoria Magnucki und Nadine Wegmeyer
Finanziers und Partner Förderprogramm Politische Medienkompetenz der Niedersächsischen Landeszentrale für politische Bildung
Laufzeit: September 2022 bis Dezember 2023
Diese Zielsetzung wird verfolgtDas medienpädagogische Projekt KI and ME behandelt an drei Tagen die Themen Big Data und Künstliche Intelligenz und verknüpft diese mit der Lebenswelt der Teilnehmenden sowie sozialen und politischen Fragestellungen. Wir beleuchten mit den Jugendlichen im Alter von 14 bis 16 Jahren, wie aus den Daten, die wir im Internet teilen, eine unendliche Fülle an Informationen entsteht, deren Analyse längst außerhalb der menschlichen Kapazitäten liegt. Das Ziel von KI and ME ist es, die Auswirkungen auf das Leben eines*r jeden Einzelnen abzuschätzen und einen bewussten Umgang mit den Technologien anzuregen.
Dabei thematisieren wir auch politische Implikationen: Es werden nicht nur individuelle Perspektiven beleuchtet – Wie verhalte ich mich richtig? Wie schütze ich mich? – sondern politische und soziale Konsequenzen ausgearbeitet und diskutiert – Wie verändert sich die Gesellschaft durch Big Data und KI? Dabei stehen besonders reflexiv-kritische und künstlerische Prozesse im Vordergrund. Neben der Reflexion über digitale Infrastrukturen werden kreative Fähigkeiten im Bereich Filmsprache, Umgang mit Kamera- und Tontechnik und Filmschnitt gefördert. Es werden KI-Anwendungen ausprobiert, mit denen wir Bilder und Texte generieren sowie mehr oder weniger komplexe Gespräche führen. Die Erfahrungen und Erkenntnisse werden in Form eines Kurzfilms aufbereitet, der über und mit künstlichen Systemen darüber erzählt, wie sich Schüler*innen die Transformation der eigenen Lebenswelt vorstellen.
Deswegen ist das Vorhaben ein Vorbild für andere
Ob als Teil von Suchmaschinen und Sprachassistenten oder als Empfehlung für den nächsten Film – Jugendlichen begegnet KI bereits in vielen Lebensbereichen. Der Begriff ist weitläufig bekannt, doch die Abschätzung konkreter gesellschaftlicher Konsequenzen erscheint abstrakt und sollte in medienpädagogische Vorhaben integriert werden. Denn es herrscht eine von der Popkultur beeinflusste pessimistische Vorstellung davon, wie KI unsere Zukunft transformieren wird. Medienprojekte sollten hier eine realistische Technikfolgenabschätzung anregen, die sich zwischen völliger Faszination oder allgemeiner Ablehnung einpendelt.
Da durch den Einsatz von KI diskriminierende Strukturen nicht nur reproduziert und abgebildet, sondern potenziell ins Unendliche vervielfältigt und rekonstruiert werden können, sollte das Thema auch hinsichtlich gesellschaftlicher Spaltung und Desinformation beleuchtet werden. Gemeinsam mit den Jugendlichen werden diskriminierende Strukturen und der gesellschaftliche Bias intelligenter Systeme diskutiert.
So gestaltet sich der Workshop im Detail
Im ersten Schritt werden die Begriffe Big Data und KI erklärt und auf den Alltag der Teilnehmenden bezogen. Dabei wird spielerisch die eigene Position zu Innovationstechnologien anhand lebensnaher Szenarien hinterfragt. Wir bewegen uns durch ein an den Turing Test angelehntes Gedankenexperiment in die Zukunftsvision der Jugendlichen und rücken die Frage nach Risiken und Potenzialen in den Fokus. Anschließend können die Jugendlichen gemeinsam mit einer KI ein Skript schreiben, mit ihr kommunizieren und eigene Bilder generieren. Das Projekt wird abgeschlossen durch eine kreative Arbeitsphase, in der die Teilnehmenden in Kleingruppen unter Begleitung der Pädagoginnen einen Teilaspekt ihrer Zukunftsvision als Kurzfilm inszenieren.
Aus diesen Erfahrungen, Hürden, Fehlern können andere lernen
Eine Herausforderung des Projekts ist das Aufbereiten der komplexen Sachverhalte für die Zielgruppe. Deswegen werden die Inhalte konsequent auf die Lebenswelt der Jugendlichen bezogen und anhand von konkreten Beispielen und Modellen erklärt. Die inhaltliche Auseinandersetzung sollte immer als Reaktion auf ein praxisnahes Beispiel folgen oder auf eine aktive Arbeitsphase bezogen sein. Es ist genügend Zeit für die Positionierung der Teilnehmenden notwendig, damit Sorgen und Ängste, aber auch eine unreflektierte Faszination für die Technologie aufgefangen und in der Gesamtgruppe besprochen werden können.
Diese Methode empfehlen wir als Best-Practice-Beispiel selbst einmal auszuprobieren
Um die inhaltlichen Schwerpunkte mit der aktiven Medienarbeit zu verknüpfen, haben wir die KI-Anwendungen zur Ideenfindung sowie im Bereich Storyboard- und Drehbucherstellung eingebunden. Durch die Faszination, die von den Tools ausgeht, kommen die Schüler*innen nahtlos in ein eigenständiges Ausprobieren und Experimentieren. Ein Schlüsselfeld für den Einsatz von KI in der Schule ist die Textgenerierung. Das Tool Inferkit bietet einen niedrigschwelligen Zugang zur Texterstellung mittels KI. Das Prinzip ist einfach: Die Jugendlichen überlegen sich den Anfang der Geschichte, das KI-gestützte Tool beendet sie. So erhalten unsere Teilnehmenden kreative Inspirationen für ihre eigenen Drehbücher und können auch die Grenzen der Anwendung austesten. Mit der Anwendung Dall-E 2 werden aus einfachen Texteingaben Bilder generiert, die sich zur Erstellung des Storyboards eignen. Das Tool eignet sich hervorragend dafür, darüber ins Gespräch zu kommen, wie Personen vom System interpretiert werden und was diese Darstellung über unseren gesellschaftlichen Bias verrät.
Haben Sie Interesse am Projekt, Anregungen oder Ideen? Weitere Informationen finden Sie hier.Beitrag aus Heft »2023/01: Für Demokratie, gegen Polarisierung. Impulse für die politische Medienbildung«
Autor: Nadine Wegmeyer, Viktoria Magnucki
Beitrag als PDFEinzelansichtONLINE EXKLUSIV: Georg Materna: Diversität oder Filterblase?
Mit dem Begriff der Filterblase wird oftmals kritisiert, dass Soziale Medien eine immer größere Rolle für Meinungsbildungsprozesse spielen. Im Artikel werden der Begriff und die mit ihm einhergehenden Gesellschaftsdiagnosen wie Polarisierung und Radikalisierung kritisch hinterfragt. Es wird argumentiert, dass die Herausforderungen für das Informationshandeln in Sozialen Medien weniger in Filterblasen liegen, sondern in den bei Rezipient*innen häufig wenig ausgeprägten Bewertungskriterien für den Umgang mit der Diversität und Fülle an Informationen in Sozialen Medien.
[Für den gesamten Artikel bitte nach unten scrollen und 'Beitrag als PDF' öffnen]
Creative Commons Lizenzvertrag
Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.
ZitiervorschlagMaterna, Georg (2023). Diversität oder Filterblase? Herausforderungen und Ressourcen für das Informationshandeln junger Menschen in Sozialen Medien. In: merz | medien + erziehung, 67 (1), S. 97–108. www.merz-zeitschrift.de/
fileadmin/user_upload/merz/PDFs/merz_23-1_online_exklusiv_
materna_georg_diversitaet_oder_filterblase.pdfLiteratur
Bogner, Alexander (2021). Die Epistemisierung des Politischen. Wie die Macht des Wissens die Demokratie gefährdet. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung.
Brüggen, Niels/Dohle, Marco/Kelm, Ole/Müller, Eric (Hrsg.) (2021). Flucht als Krise? Flucht, Migration und Integration in den Medien sowie die themenbezogene Aneignung durch Heranwachsende. München: kopaed.
Brüggen, Niels/Schemmerling, Mareike (2013). Identitätsarbeit und sozialraumbezogenes Medienhandeln im Sozialen Netzwerkdienst facebook. In: Wagner, Ulrike/Brüggen, Niels (Hrsg.), Teilen, vernetzen, liken. Jugend zwischen Eigensinn und Anpassung im Social Web. Baden-Baden: Nomos, S. 141–210.
Bruns, Axel (2019). Are filter bubbles real? Cambridge, UK, Medford, MA: Polity Press.
Demmler, Kathrin/Hoffmann, Dagmar/Materna, Georg (2023). Medienpädagogik und politische Bildung. Gemeinsam gegen Polarisierung und Desinformation. Editorial. In: merz I medien + erziehung, 67 (1), S. 7–9.
Gerhards, Jürgen/Neidhardt, Friedhelm (1990). Strukturen und Funktionen moderner Öffentlichkeit. Fragestellungen und Ansätze. Berlin.
Golesorkh, Jawaneh (2019). Bilder des Islams in medialen Lebenswelten. Zwischen antimuslmischem Rassismus und muslimischer Selbstermächtigung. In: merz | medien + erziehung, 63 (3), S. 51–56.
Habermas, Jürgen (2022). Ein neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit und die deliberative Politik. Berlin: Suhrkamp.
Hasebrink, Uwe/Domeyer, Hanna (2010). Zum Wandel von Informationsrepertoires in konvergierenden Medienumgebungen. In: Hartmann, Maren/Hepp, Andreas (Hrsg.), Die Mediatisierung der Alltagswelt. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 49–64.
Hölig, Sascha/Behre, Julia/Schulz, Wolfgang (2022). Reuters Institute Digital News Report 2022. Ergebnisse für Deutschland. Hamburg.
Hosseinmardi, Homa/Ghasemian, Amir/Clauset, Aaron/Mobius, Markus/Rothschild, David M./Watts, Duncan J. (2021). Examining the consumption of radical content on YouTube. In: Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, 118 (32). DOI: 10.1073/pnas.2101967118.
Kiefer, Michael/Hüttermann, Jörg/Dziri, Bacem/Ceylan, Rauf/Roth, Viktoria/Srowig, Fabian/Zick, Andreas (Hrsg.) (2018). „Lasset uns in shaʼa Allah ein Plan machen“. Fallgestützte Analyse der Radikalisierung einer WhatsApp-Gruppe. Wiesbaden: Springer VS.
Marcks, Holger/Fielitz, Maik (2020). Die offene Gesellschaft und ihre virtuellen Feinde. Über digitalen Faschismus. In: Berliner Debatte Initial, 31 (1), S. 1–12.
Neuberger, Christoph/Bartsch, Anne/Reinemann, Carsten/Fröhlich, Romy/Hanitzsch, Thomas/Schindler, Johanna (2019). Der digitale Wandel der Wissensordnungen. Theorierahmen für die Analyse von Wahrheit, Wissen und Rationalität in der öffentlichen Kommunikation. In: Medien & Kommunikationswissenschaft, 67 (2), S. 167–186.
Nordbruch, Götz/Asisi, Pierre (2019). Legitime Fragen, problematische Antworten: Islamistische Angebote in Sozialen Medien. In: merz | medien + erziehung, 63 (3), S. 45–50.
Pariser, Eli (2012). The filter bubble. What the Internet is hiding from you. London: Penguin Books.
Pörksen, Bernhard (2018). Die große Gereiztheit. Wege aus der kollektiven Erregung. München: Carl Hanser.
Schmid, Sophia/Allgaier, Joachim/Baeva, Gergana (2021). Empfehlungen in Krisenzeiten. Welche Inhalte machen die Empfehlungsalgorithmen von YouTube sichtbar? Berlin: Medienanstalt Berlin Brandenburg (mabb).
Schmidt, Jan-Hinrik/Merten, Lisa/Hasebrink, Uwe/Petrich, Isabelle/Amelie, Rolfs (2017). Zur Relevanz von Online-Intermediären für die Meinungsbildung. Hamburg: Hans-Bredow-Institut für Medienforschung.
Schober, Maximilian/Cousseran, Laura/Lauber, Achim/Brüggen, Niels (2022). "Und das war dann schon immer sehr gruselig". Umgang von Jugendlichen mit algorithmischen Empfehlungssystemen und Kompetenzanforderungen in hybriden Lebenswelten. In: Diskurs Kindheits- und Jugendforschung/Discourse Journal of Childhood and Adolescence Research, 17 (4), S. 437–451.
Schweiger, Wolfgang (2017). Der (des)informierte Bürger im Netz. Wie soziale Medien die Meinungsbildung verändern. Wiesbaden: Springer.
Stark, Birgit/Magin, Melanie/Jürgens, Pascal (2021). Maßlos überschätzt. Ein Überblick über theoretische Annahmen und empirische Befunde zu Filterblasen und Echokammern. In: Eisenegger, Mark/Prinzing, Marlis/Ettinger, Patrik/Blum, Roger (Hrsg.), Digitaler Strukturwandel der Öffentlichkeit. Historische Verortung, Modelle und Konsequenzen. Wiesbaden/Heidelberg: Springer VS, S. 303–323.
Dr. Georg Materna arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am JFF. Seine Schwerpunkte: Meinungsbildung Jugendlicher in sich wandelnden Öffentlichkeiten und universelle Extremismusprävention am Schnittpunkt von Medienpädagogik und politischer Bildung.
Beitrag aus Heft »2023/01: Für Demokratie, gegen Polarisierung. Impulse für die politische Medienbildung«
Autor: Georg Materna
Beitrag als PDF
spektrum
Henrike Friedrichs-Liesenkötter/Anna-M. Kamin/Dorothee Meister/Liudmyla Ponomarenko/Jeannine Teichert: Leben in Ungewissheiten. Medien(-handeln) mit Blick auf Alltag, Erziehung und schulische Bildung aus der Perspektive geflüchteter Frauen aus der Ukraine
Im Beitrag werden mittels einer explorativen Studie Herausforderungen in Bezug auf das Medienhandeln gegenwärtig geflüchteter Ukrainerinnen im Kontext von Alltag, Erziehung und schulischer Bildung identifiziert. Aus den Ergebnissen lassen sich (medien-)pädagogische Unterstützungsbedarfe hinsichtlich dieser besonderen Situation ableiten.
Literatur
Friedrichs-Liesenkötter, Henrike/Hüttmann, Jana (Im Erscheinen). Bedingungen zur Ermöglichung von Bildung und Teilhabe junger Geflüchteter im Kontext digitalisierter Bildungsarrangements: Eine Fokussierung mit Blick auf Mediendidaktik sowie Handlungsbefähigung im Alltag. In: Ganguin, Sonja/Elsner, Anneke/Kühn, Jessica/Wendt, Ruth/Naab, Thorsten/Rummler, Klaus/ Bettinger, Patrick/Schiefner-Rohs, Mandy/Wolf, Karsten D. (Hrsg.), Jahrbuch Medienpädagogik 19. Wiesbaden: Springer VS.
Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur (GMK) (2022). GMK fordert verstärkte medienpädagogische Initiativen in Forschung und Praxis für Geflüchtete. Bielefeld. www.gmk-net.de/2022/06/02/gmk-fordert-verstaerkte-medienpaedagogische-initiativen-in-forschung-und-praxis-fuer-gefluechtete [Zugriff: 16.12.2022]
Fujii, Michi S./Hüttmann, Jana/Kutscher, Nadia/Friedrichs-Liesenkötter, Henrike (2021). Participation?! Educational Challenges for Young Refugees in Times of the COVID-19 Pandemic. In: Media Education, 11 (2), S. 37–47. DOI: 10.36253.
Teichert, Jeannine (2021). Mediating Close Friendship Intimacy in Times of (Social) Distance. Networking Knowledge: Journal of the MeCCSA Postgraduate Network, 14 (1), S. 51–66. DOI: 10.31165/nk.2021.141.648.
Beitrag aus Heft »2023/01: Für Demokratie, gegen Polarisierung. Impulse für die politische Medienbildung«
Autor: Henrike Friedrichs-Liesenkötter, Anna-Maria Kamin, Dorothee M. Meister, Liudmyla Ponomarenko, Jeannine Teichert
Beitrag als PDFEinzelansichtLisa Waldenburger/Jeffrey Wimmer/Svenja Stein: Ein gesunder Umgang mit Smartphones? Eine zweistufige Analyse von Apps gegen digitalen Stress
Das Smartphone gilt als ein zentraler Auslöser von digitalem Stress, bietet aber gleichzeitig auch Bewältigungsstrategien an, die helfen können, einen stressfreieren Umgang mit digitalen Medien zu erlernen. Ziel der vorgestellten Fallstudie ist es, empirisch zu überprüfen, inwieweit Apps als Hilfsmittel gegen digitalen Stress taugen. Dazu wurde im ersten Schritt das weite Feld der digitalen Anwendungen inhaltsanalytisch systematisiert. Im zweiten Schritt wurden ausgewählte Angebote zur Stressreduktion und zur Steigerung von Medienkompetenz im Nutzer*innen-Alltag getestet.
Literatur
irillo, Francesco (2009). The Pomodoro Technique. Durham: Lulu.
Coulon, Sandra M./Monroe, Courtney M./West, Delia S. (2016). A Systematic, Multi-domain Review of Mobile Smartphone
Apps for Evidence-Based Stress Management. In: American Journal of Preventive Medicine, 51 (1), S. 95–105. DOI: 10.1016/j.amepre.2016.01.026.Koch, Christoph (2021). Digitale Balance. Mit smarter Handynutzung leichter leben. München: Heyne.
Lazarus, Richard S. (1993). Coping Theory and Rsearch: Past, Present, and Future. In: Psychosomatic Medicine, 55 (3), S. 234–
247. DOI: 10.1097/00006842-199305000-00002.Otto, Daniela (2022). Digital Detox. Die ideale Anleitung für eine gesunde Smartphonenutzung. Berlin/Heidelberg: Springer VS.
Vester, Frederic (2021). Denken, Lernen, Vergessen. Was geht in unserem Kopf vor, wie lernt das Gehirn, und wann lässt es uns im Stich? 40. Auflage. München: dtv.
Waldenburger, Lisa/Wimmer, Jeffrey (2022). Digitale Medien, Gesundheit und Medienkompetenz im Alltag: Das Phänomen Digitaler Stress. In: Manzei-Gorsky, Alexandra/Schubert, Cornelius/von Hayek, Julia (Hrsg.)., Digitalisierung und Gesundheit. Baden-Baden: Nomos, S. 303–326.
Beitrag aus Heft »2023/01: Für Demokratie, gegen Polarisierung. Impulse für die politische Medienbildung«
Autor: Lisa Waldenburger, Jeffrey Wimmer, Svenja Stein
Beitrag als PDFEinzelansichtMarden Nascimento/Lucia Santa-Cruz: Photographing to release creative forces
This article analyzes how the learning of photographic reading and practice may help high school students solve problems through creativity. To understand how to balance the educational system with the professional demands from the creative economy, we examined the reports of the two cycles of Ateliê Fotográfico (Photographic Studio), the fieldwork held for the research project: Ateliê Fotográfico: The effect of teaching and learning photography on the release of creative forces. Based on literature review and exploratory research, we intend to identify the link between creative economy, knowledge society, education, labor, imagination, expression and creativity.
References
Araya, Daniel/Peters, Michael A. (2010). Education in the creative economy: Knowledge and Learning in the Age of
Innovation. New York: Peter Lang.Barbosa, Ana Mae (2014). A imagem no ensino da arte. São Paulo: Perspectiva.
Brown, John Seely (2010). Foreword: Education in the Creative Economy. In: Araya, Daniel/ Peters, Michael A. (Eds.),
Education in the creative economy: knowledge and learning in the age of innovation. New York: Peter Lang.Dondis, Donis A. (1997). Sintaxe da linguagem visual. São Paulo: Martins Fontes.
Fontcuberta, Joan (2012). A câmera de pandora: a fotografi@depois da fotografia. São Paulo: Editorial Gustavo Gili.
Harvey, David Alan (2013). Based on a True Story. BurnBooks.
Nascimento, Marden do Vale (2020). Ateliê fotográfico: o efeito do ensino-aprendizagem de fotografia na liberação das forças criativas. Dissertation. Escola Superior de Propagandae Marketing, Rio de Janeiro. www.tinyurl.com/4tdmmyp6 [Zugriff: 03.01.2023]
Ostrower, Fayga (1987). Criatividade e processos de criação. Petrópolis, RJ: Vozes.
Robinson, Ken (2019). Somos todos criativos: os desafios para desenvolver umas das principais habilidades do futuro. São
Paulo: Benvirá.Schön, Donald A. (2000). Educando o profissional reflexivo: um novo design para o ensino e a aprendizagem. Porto Alegre:
Artmed.Shore, Stephen (2014). A natureza das fotografias: uma introdução. São Paulo: Cosac e Naify.
Throsby, David (2010). The economics of cultural policy. Cambridge: Cambridge UP.
Beitrag aus Heft »2023/01: Für Demokratie, gegen Polarisierung. Impulse für die politische Medienbildung«
Autor: Marden Nascimento, Lucia Santa Cruz
Beitrag als PDFEinzelansicht
medienreport
Judith Bittner: Durch die Gipfel des Dschungels
Broken Rules (2022). Gibbon: Beyond the Trees. Game für den PC (Steam; 13,99 €) und die Nintendo Switch (13,99 €).
Hoch hinaus in neue Welten – das können Spieler*innen in Gibbon: Beyond the Trees. In dem Jump ‘n‘ Run-Abenteuer können sie die Lebenswelt der Gibbons selbst erkunden, indem sie einen solchen steuern, um ihn bei seiner Reise durch den Dschungel zu begleiten. Hierbei besteht die Aufgabe darin, ihn erfolgreich durch den Dschungel zu führen, sodass er alle Schwierigkeiten erfolgreich meistert und nicht abstürzt. Ist es zu Beginn noch leicht, den Gibbon die Baumwipfel und andere Hindernisse erklimmen zu lassen, wird das im Verlauf des Spiels immer schwerer. Spieler*innen können sich schnell auf den Ablauf der Handlungen einstimmen, da sie immer wieder mit einer ähnlichen Ausgangslage konfrontiert werden: Ein Gibbon auf seiner Reise durch die Wälder. Spieler*innen bleiben stets in der Außenperspektive, entscheiden über die Handlungen des Gibbons, können aber die Umgebung und Szenarien der Geschichte nicht beeinflussen. Die Spielfunktionen sind auf zwei Tastenkombinationen beschränkt.
Die Spielkulisse ist vornehmlich der Dschungel, welcher anhand der Bäume und weiterer grafischer Elemente erkennbar wird. Akustik-Musik und Schreie der Gibbons begleiten Spieler*innen durch den malerischen Lebensraum der Affen, welcher vom menschlichen Handeln nicht unberührt bleibt. So hangelt nicht nur der Gibbon durch einen naturbelassenen Dschungel, dieser wird auch von Menschen bewirtschaftet. Seine Reise ist in mehrere Kapitel unterteilt. In jedem sieht die Umgebung etwas anders aus und es steht eine sich chronologisch entwickelnde neue Thematik im Vordergrund. So wirkt der Dschungel zu Beginn des Spiels als ein Ort, in welchem naturbelassenes Leben stattfindet. Gleichzeitig wird der Gibbon im Spielverlauf mit einem brennenden Dschungel konfrontiert, welcher im Zeichen der Abholzung von Wäldern steht. Hier wird exemplarisch der menschliche Einfluss in die Lebenswelt der Gibbons sichtbar und anhand weiterer Merkmale, wie durch Bagger, Spieler*innen nähergebracht. Ein weiterer spezieller Gibbon-Affe begleitet und leitet Spieler*innen auf dem Weg durch den Dschungel. Die beiden Gibbons scheinen sich nahezustehen und so streifen oftmals beide zusammen durch die Wälder. Obwohl bei dem Spiel ähnliche Abläufe stattfinden, bleibt ein Spannungsbogen erhalten, da man es kaum abwarten kann, welche Wendung der Spielverlauf nehmen wird.
Von (medien-)pädagogischem Interesse ist die unterschwellige Auseinandersetzung mit Themen wie Artenschutz und Naturschutz. So wurde eine Affenart als Spielfigur gewählt, welche vom Aussterben bedroht ist. Dies wird im Spiel leider nicht direkt vermittelt, aber deutet auf den vermeintlichen Gedankengang gang der Entwickler*innen hin, auf das Aussterben der Gibbons aufmerksam zu machen. In den einzelnen Kapiteln werden Spieler*innen nämlich schon mit der harten Realität konfrontiert, dass die Naturbelassenheit des Dschungels unter den Einflüssen von Menschen teils äußerst negativ beeinflusst wird; indem Bäume abgeholzt werden, sich Menschen ansiedeln und Waldbrände entfachen. Dies regt zum Nachdenken an und führt die Relevanz des Erhalts des Dschungels vor Augen. Diese Botschaft könnten ältere Kinder wahrnehmen und sie zu einer Auseinandersetzung mit der Thematik anregen, in der (medien-)pädagogischen Praxis oder an Schulen könnte es direkt dazu eingesetzt werden. Jedoch ist hervorzuheben, dass das Spiel hierfür lediglich als Anregung dienen kann, da im Fokus stets die Spielfreude steht.
Das Spiel Gibbon: Beyond the Trees wurde kürzlich mit dem Pädagogischen Medienpreis 2022 ausgezeichnet und überzeugte aufgrund der Atmosphäre und der geringen komplexen Spielmechanik. S.I.N – Studio im Netz empfiehlt das Spiel ab sieben Jahren. Diese Einschätzung erscheint aufgrund der Thematik und der simplen Spiellogik angemessen. Der Eingriff der Menschen in den Lebensraum wird nicht brutal dargestellt, sondern vielmehr durch Grafiken und Hindernisse vermittelt. Somit werden jüngere Spieler*innen angemessen herangeführt. Mithilfe des farbenfrohen Designs und grafischer Animationen schaffen es die Entwickler*innen das Gefühl auszulösen, nicht nur einen Gibbon zu steuern, sondern für die Spielzeit auch einen Teil der Geschichte zu verkörpern. Dies wird durch die Liebe zum Detail gefördert, welche das Spiel prägt. So sind die einzelnen Kapitel auch inhaltlich benannt, welche dabei helfen, sich als Spieler*in mit der Handlung zu identifizieren.
Beitrag aus Heft »2023/01: Für Demokratie, gegen Polarisierung. Impulse für die politische Medienbildung«
Autor: Judith Bittner
Beitrag als PDFEinzelansichtLisa Melzer: Spielentwicklung leicht gemacht – Mit Candli zum eigenen Online-Game
Enlightware (2020). Candli. Online-Software. Kostenfreie Basisversion, Premiumversion auf Anfrage.
Einblicke in Berufsfelder wie Gamedesign oder Spieleentwicklung erhalten? Für viele Kinder und Jugendliche eine Traumvorstellung. Wer sich gerne Geschichten überlegt oder fantastische Welten ausdenkt, hat vielleicht schon mal davon geträumt, wie es wäre, die eigenen Gedankenkonstrukte zum Leben zu erwecken. Mit dem kostenlosen Programm fällt der Einstieg in den komplexen und aufwendigen Akt der Spieleentwicklung leicht. Alles, was dafür nötig ist, sind Stift, Papier und ein
Smartphone oder Tablet. Die Idee der App besteht darin, Zeichnungen, Malereien oder Bilder in ein selbst gestaltetes Videospiel mit eigenen Regeln einzubauen. Mit wenigen Klicks können Kinder auf diese Weise in einem komplett personalisierten Spiel aktiv werden und einzigartige Kreationen erschaffen.Bis das fertige Spiel steht, gilt es mithilfe des Programms fünf Arbeitsschritte zu durchlaufen. Zunächst wählen die Nutzer*innen eine der vier Ansichten aus, die sich am besten zur Verwirklichung der eigenen Spielideen eignet. Steht der Rahmen des Spiels fest, kann der kreative Schaffensprozess beginnen. Nun müssen Figuren, Gegenstände und Objekte auf Papier festgehalten werden, die Teil des individuellen Spieleuniversums werden sollen. Welche Stifte und Farben dafür zur Anwendung kommen, bleibt den jungen Künstler*innen selbst überlassen. Um die analogen Spielelemente in die digitale Spielewelt zu importieren, werden alle Zeichnungen mit der Tablet- oder Handykamera fotografiert und in den Spieleeditor hochgeladen. Danach können die Objekte frei in der Spielewelt platziert und mithilfe einer visuellen Programmiersprache mit Wenn-Dann-Regeln versehen werden. Ist die Programmierung abgeschlossen, kann das personalisierte Spiel per QR-Code mit Familie, Freund*innen oder Mitschüler*innen geteilt werden.
Um einen Überblick über alle Funktionen und Möglichkeiten von Candli zu erhalten, stehen den Nutzer*innen KI-gestützte Erklärvideos zur Verfügung, die den Umgang mit der Programmoberfläche erleichtern und die einzelnen Arbeitsschritte bis hin zum fertigen Spiel auf kindgerechte Weise erläutern. Orientierung bietet dabei auch eine Übersicht über Spiele von anderen Nutzenden, die ebenfalls mit der Software erstellt wurden und als Inspiration für neue Ideen dienen können. Ob schnelle Autorennen, knifflige Rätsel oder nervenaufreibende Jump ’n Run-Abenteuer: dem Einfallsreichtum der Nutzer*innen sind keine Grenzen gesetzt. Gerade zu Beginn können diese Beispiele als Unterstützung dienen, um sich mit der Handhabung des Programms vertraut zu machen und ein Verständnis dafür zu entwickeln, welche Möglichkeiten die Software zum Experimentieren mit Formen, Farben und Spieloberflächen bietet. Zusätzlich steht ein Forum zum Austausch von Fragen oder anderen Anliegen zur Verfügung. Dort können Nutzer*innen nicht nur Hinweise zur Bedienung der Software erhalten, sondern auch sich und andere über Updates, Erweiterungen oder Verbesserungen des Programms informieren. Gerade diese Funktionen tragen wesentlich dazu bei, sich in der bunten Palette an Gestaltungsoptionen zurechtzufinden.
Wertvolle Lerneffekte ergeben sich vor allem durch eine eigenständige und selbstgesteuerte Auseinandersetzung mit den Mechanismen des Programms und dem Wissens- und Erfahrungsaustausch mit anderen Lernenden. Candli ermöglicht es somit insbesondere jungen Nutzer*innen, Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten zu entwickeln und sich angesichts herausfordernder Aufgaben als selbstwirksam zu erleben. Besonders der Prozess des Umwandelns analoger Zeichnungen in virtuelle Spielwelten schafft Räume, auf Entdeckungsreise zu gehen, eine andere Perspektive einzunehmen und neue Zusammenhänge herzustellen.
Schlussendlich werden dadurch vielfältige Potenziale zum Einsatz derartiger Software zur Steigerung der Lernmotivation und/oder auch zur Gestaltung von Gruppen- oder Projektarbeiten deutlich.Candli zeichnet sich gegenüber anderen Tools dadurch aus, dass es Nutzer*innen durch Experimentieren und Ausprobieren ermöglicht, komplexe Zusammenhänge zu verstehen und sich eigenständig digitale Kompetenzen anzueignen. Die Anwendung überzeugt mit einem Konzept, welches über bisherige digitale Kreativ- oder Programmiertools für Kinder hinausgeht und vielfältige Möglichkeiten der künstlerischen Gestaltung und des Erwerbs von grundlegenden Programmierkenntnissen bietet. Insgesamt scheint das Programm daher auch für den Einsatz im Schulkontext geeignet, da keine Vorkenntnisse im Programmieren benötigt werden. Da die Bedienung der Software besonders jüngeren Nutzer*innen einiges abverlangt, lässt sich die Anwendung für Kinder ab einem Alter von zehn Jahren empfehlen.
Im November 2022 wurde die Online-Software Candli mit dem Pädagogischen Medienpreis in der Kategorie ‚Angebote für die pädagogische Praxis‘ ausgezeichnet. Sie wurde von Enlightware, einem Spin-off der ETH Zürich Game Technology Center entwickelt.
Beitrag aus Heft »2023/01: Für Demokratie, gegen Polarisierung. Impulse für die politische Medienbildung«
Autor: Lisa Melzer
Beitrag als PDFEinzelansicht
publikationen
Georg Materna: Warum Jürgen Habermas nicht auf Twitter ist
Habermas, Jürgen (2022). Ein neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit und die deliberative Demokratie. Berlin: Suhrkamp. 108 S., 18,00 €.
Sechs Jahrzehnte nach Erscheinen seines erfolgreichsten Buchs veröffentlicht Habermas ein ‚Update‘ , das seine These vom Strukturwandel der Öffentlichkeit mit Blick auf das postdigitale Zeitalter reformuliert. Wie im ‚Alten Strukturwandel‘ argumentiert Habermas auch im ‚Neuen‘ zum einen zeitgeschichtlich. Und zum anderen normativ, wenn er aufzeigt, inwiefern der Medienwandel demokratische Meinungsbildungsprozesse qualitativ beeinflusst. Dazu gehört, dass er ideale politische Aushandlungsprozesse beschreibt, die oftmals als Blaupause für demokratische Öffentlichkeiten herangezogen werden. Beide Argumentationsstränge finden sich auch im aktuellen Buch, wobei der normative Teil etwas überzeugender scheint als die Zeitdiagnose.
Ausgangspunkt der normativen Überlegungen ist, dass der demokratische Staat seine Legitimität daraus ableitet, dass alle Bürger*innen gleichberechtigt an politischen Entscheidungsprozessen teilhaben können. Habermas beschreibt diese Prozesse als Deliberation. Im Idealzustand besteht Deliberation aus fortdauerndem Dissens, einem wahrhaftigen Austausch von Argumenten und einer daraus folgenden politischen Entscheidung. Sollte sich diese nicht bewähren, kann die Deliberation von neuem beginnen. Realiter sieht es meistens anders aus. Deliberation ist eher ein Spektrum: Es gibt diffuse Themen und Argumentationen in der politischen Öffentlichkeit, aus der Meinungsbekundungen der Zivilgesellschaft entstehen können. Wirkliche Deliberation findet eher in parlamentarischen Ausschüssen statt. Im ‚Neuen Strukturwandel‘ reagiert Habermas auf Kritik, die die normative Idealisierung der Deliberation hinterfragt. Habermas verweist dafür auf die Unterscheidung zwischen Beobachter*innen und Teilnehmer*innen deliberativer Prozesse. Beo bachter*innen werden häufig Abweichungen vom Ideal aufzeigen können. Für die Teilnehmenden ist aber trotzdem wichtig, das Ideal als gemeinsame Orientierung aufrechtzuerhalten. Nur so können sie Kritik am Prozess formulieren und an seiner Realisation arbeiten. Habermas sieht Deliberation auch als ein Modell für die aktuellen Herausforderungen in pluralistischen Gesellschaften, wo es stark um wertebezogene und kulturelle Problemlagen gehe. Die Bereitschaft, sich in diesem Kontext auf deliberative Diskursformen einzulassen, könne helfen, Probleme verhandelbar zu machen.
Zentraler Raum der Deliberation ist die politische Öffentlichkeit. Ein entscheidendes Kriterium für deren demokratische Qualität ist, dass sie ausreichend sensibel gegenüber den Anliegen der Zivilbevölkerung reagiert. Dafür tragen Journalistin*innen, Politiker*innen und andere Expert*innen Verantwortung. Sie produzieren Medienbeiträge, in denen die Bevölkerung ihre Anliegen wiederfindet und mithilfe derer sie sich orientieren kann. Diese wichtige Funktion sieht Habermas in der Krise. Grund dafür sei die mittlerweile große Masse privater medialer Inhalte, die weder qualitativ an journalistische Stücke heranreichen noch gesellschaftspolitische Relevanz besitzen. Digitale Medien machten alle Bürger*innen potenziell zu Autor*innen, die diese neue Rolle aber erst noch erlernen müssten. Das gilt besonders für die Kommunikation auf privatwirtschaftlichen Plattformen. So habe es zwar durchaus einen Reiz, auf Twitter seine politische Botschaft kurzzufassen, dennoch gehe die Kommunikation dort eher in Richtung Narzissmus und Singularisierung. Allgemein sieht Habermas in Sozialen Medien einen „Sog zur selbstbezüglich reziproken Bestätigung von Interpretationen und Stellungnahmen“ (S. 85). Die für Deliberation so wichtige politische Öffentlichkeit zerfällt in seiner Argumentation in viele kleine Kommunikationskreisläufe, die sich gegenseitig weder rezipieren noch anerkennen. Damit biegt er ab in Richtung Echokammer und Filterblase als Kritikpunkte an Sozialen Medien.
Der ‚Neue Strukturwandel‘ hat das Potenzial, Habermas‘ Ideen zur deliberativen Demokratie und zur Relevanz von Öffentlichkeit breiten Fachkreisen (erneut) bekannt zu machen. Kritikwürdig ist die Engführung auf Filterblasen und Echokammern. Diese sind als Medienphänomene wesentlich umstrittene als Habermas erkennen lässt. Statt zunehmend mehr Gleiches zu sehen, bekommen die meisten Nutzer*innen digitaler Medien ein Mehr an Diversität. Das interpretiert Habermas aber in Richtung ‚Blasenbildung‘. Paradoxerweise vernachlässigt er dadurch bestehende Polarisierungstendenzen in der Gesellschaft, die sich online zwar zeigen, dort aber nicht entstanden sein müssen. Hinzu kommt, dass digitaler und gesellschaftlicher Wandel die Machtstrukturen verändern, auf denen die politische Öffentlichkeit lange Zeit fußte. Diese Dynamik wird durch Soziale Medien befördert, ist aber nicht genuin in ihnen angelegt. Etablierte Akteur*innen der politischen Öffentlichkeit erleben diesen Prozess als Krise. Es ist jedoch wichtig, diese Wahrnehmung nicht einfach zu übernehmen, sondern einzuordnen und zu prüfen. Darauf geht Habermas jedoch nicht ein. Trotz dieser Kritik ist das Buch als Einführung und auch als ‚Update‘ spannend zu lesen. Mit dem Ziel, dass es Deliberation und Debatte fördert, lässt sich ihm weite Verbreitung wünschen.
Beitrag aus Heft »2023/01: Für Demokratie, gegen Polarisierung. Impulse für die politische Medienbildung«
Autor: Georg Materna
Beitrag als PDFEinzelansichtAndreas Lange: „Seltsam-Perverser“ Theoriecharme gut verdaulich aufbereitet
Laufenberg, Mike (2022). Queere Theorien zur Einführung. Hamburg: Junius. 300 S., 17,90 €.
Theorieentwicklung entlang der Maxime, neue Perspektiven auf soziale und individuelle Sachverhalte zu gewinnen, orientiert sich mit Gewinn an einer Auffassung, die Theorien als Instrumente ansieht – Instrumente, die einen heuristischen Zweck erfüllen (vgl. Reckwitz 2021). Eine weitere Qualitätsdimension einer solchen pragmatisch gehandhabten Theorie ist für mich ihr inter- und transdisziplinäres Anschlusspotenzial. Und dies alles ist gegeben, so meine Lesart, wenn die Queertheorie verstärkt Eingang in den medienwissenschaftlichen Mainstream gewinnt.
Eine solide und kluge Grundlage hierfür hat Mike Laufenberg in der renommierten Lehrbuchreihe [XY] zur Einführung geschaffen. Nach einer knappen Einleitung, in der er das rebellische, selbstermächtigende und affektgeladene Gemisch der „seltsam-perversen“ Theorie aufbereitet, rekonstruiert der Autor die Geschichte und wichtigsten Wurzeln des Queer-Ansatzes. Ein wuchtiges Katapult zur Verbreitung der queeren Kernideen lieferten dabei, die in sich wiederum sehr heterogenen, feministischen Strömungen der 1970er- und 1980er-Jahre mit ihrer vehementen Kritik an der „Zwangsheterosexualität“ (S. 29) und Homophobie. Eine wichtige theoretische Figur bildete die „Normativität“ von Geschlechts- und Sexualitätscodierungen und -praktiken. Separatist*innen und Fusionist*innen standen sich gegenüber. Die Separatist*innen waren insofern orthodox, als sie sich gegen jegliche andere Interpretation von „Schuldigen“ und Opfern wandten, wohingegen die Fusionist*innen um Koalitionsbildungen im Diskurs und den Praktiken von Sexualität und Lebensweise bemüht waren. Ein weiteres theoretisches Geschoss mit großer Wirkung gab Foucault ab (S. 67). In seinen Schriften wird eine historische Erklärung für die spezifisch moderne Form von Sexualität als wesentliche Komponente einer neuen Phase subtiler Machtausübung gesehen, als Bindeglied zwischen Biopolitik und Individualpolitik. Ein ganzer Werkzeugkoffer von Kontrollmechanismen wurde demnach geöffnet, um das Dispositiv einer heteronormativen, männlichen Bedürfnissen entsprechenden Form von Sexualität in die Seelen und Körper der Menschen nachhaltig einzuzimmern.
Über Foucault hinaus spielt die queere Normativitätskritik eine tragende Rolle (S. 129). Und diese Normalität ist auf das Engste mit der gesamten rechtlichen, sozialen und ökonomischen Architektur moderner Gesellschaften regelrecht vernietet, sodass bestimmte Formen der Lebensführung gefördert und andere diskriminiert, wenn nicht sogar in ihrer Existenz bedroht werden. Die Kritik der Heteronormativität ist gewissermaßen das Flaggschiff der queeren Theoriearmada (S. 133 ff.). Heute sehen wir uns im Neoliberalismus mit Rück- und Fortschritten der queeren Agenda konfrontiert, worauf die Theorie wieder mit vielfältigen und sich heftig bekriegenden Versuchen antwortet, diese Widersprüche in den Griff zu bekommen (S. 141 ff.). Die Diskussion zwischen großer Kapitalismusanalyse und der Decodierung der Geschlechterverhältnisse wird dann großflächig in einem eigenen Kapitel vertieft. Besonders ergiebig und weiterdenkenswert sind die Auseinandersetzungen um den Stellenwert, den Familien im Reproduktionsregime des neoliberalen kapitalistischen Staates spielen oder besser, welcher ihnen zugedacht wird (S. 199). Es liegt auf der einen Seite auf der Hand, dass die Familie aus Sicht der queeren Theorie eine die aktuellen Machtverhältnisse zementierende Institution darstellt und man sie durchaus abschaffen möchte. Auf der anderen Seite wird weiterführend argumentiert, es gehe nicht um die Verbannung der Familie, sondern vielmehr um eine Aufhebung des Notwendigkeitscharakters der Familie, also um eine Erweiterung der Formen des sorgenden Miteinanderlebens. Die globalen Dimensionen der queeren Thematiken sind wiederum Gegenstand eines eigenen Kapitels (S. 209).
Den Knopf auf seine Darstellung macht der Autor durch Bemerkungen zur Queer Theory im Interregnum, also einer gesellschaftlichen Zwischenzeit. Unsicherheit, Prekarität und virtuelle Optionsvielfalt generieren einen neuen Rahmen für die zumindest partielle Durchsetzung der queeren Agenda. Aber die aktuellen gesellschaftlichen Verhältnisse provozieren eben auch neochauvinistische Ressentiments gegen Transmenschen und Co. In diesem Zusammenhang sind nun auch die Medienwissenschaften gut beraten, die Rolle von Kommunikation und Digitalisierung in diesem neu aufgespannten Zwischenraum zu untersuchen und sich dabei mit Gewinn an dieser seltsam-perversen Theorie zu bedienen. Mike Laufenbergs Publikation ist hierfür eine wertvolle Navigationshilfe in einem sehr zerklüfteten Wissenschaftsterrain.
Beitrag aus Heft »2023/01: Für Demokratie, gegen Polarisierung. Impulse für die politische Medienbildung«
Autor: Andreas Lange
Beitrag als PDFEinzelansichtErik van der Beek: Kinder und Jugendliche im Unmarked Space der Leitmedien?
Precht, Richard David/ Welzer, Harald (2022). Die vierte Gewalt. Wie Mehrheitsmeinung gemacht wird, auch wenn sie keine ist. Frankfurt a. M.: S. Fischer. 288 S., 22,00 €.
Mit ihrer Veröffentlichung legen Richard David Precht und Harald Welzer ein populärwissenschaftliches Buch zur Bedeutung der Massenmedien für das politische Geschehen und die öffentliche Meinungsbildung in Deutschland vor. Damit wenden sie sich wichtigen kommunikationswissenschaftlichen Fragestellungen zu, welche die digitale Transformation der Leitmedien und ihre Funktion in der Demokratie betreffen. Die zwölf Kapitel bilden eine Dramaturgie von der Problembeschreibung über dessen Analyse bis hin zu Lösungsansätzen. Argumentativ beziehen sich Precht und Welzer auf Studien, Begriffe und Theorien der Kommunikationswissenschaft, Sozialwissenschaft und Sozialpsychologie. Die Verknüpfung dieser Quellen mit den Beobachtungen und Erfahrungen der Autoren sowie die Zuspitzung von Argumenten verweisen auf die Textform des Essays. Precht und Welzer eröffnen das Buch mit einer persönlichen Note: der Schilderung des medialen Theaters rund um den Offenen Brief an Olaf Scholz zum Krieg in der Ukraine, den die Autoren mitgezeichnet haben. Danach gehen sie analytischer vor. Sie arbeiten pointiert heraus, dass die Repräsentation von vielfältigen Meinungen konstitutiv für den öffentlichen Diskurs in einer liberalen Demokratie ist. Anhand der Berichterstattung über gesellschaftlich wichtige Themen problematisieren die Autoren eine wachsende Differenz zwischen der Meinungsvielfalt in der deutschen Gesellschaft und der veröffentlichten Meinung der Leitmedien. Sie konstatieren, dass die Leitmedien immer seltener die Meinungsvielfalt zu gesellschaftlich wichtigen Themen abbilden. Als ‚Unmarked Space‘ bezeichnen sie die wachsende Repräsentationslücke zwischen öffentlicher und veröffentlichter Meinung.
Precht und Welzer beobachten, dass sich die Leitmedien zu politischen Akteuren entwickeln. Diese ‚amtierenden Medien‘ kolonialisieren das politische System, nehmen Einfluss auf die politische Willensbildung und nutzen die veröffentlichte Meinung als Mittel zur Durchsetzung ihrer Interessen. Das gelingt, weil sie sich in ihrer Berichterstattung in Krisenzeiten, die durch Unsicherheit und Ungewissheit gekennzeichnet sind, aneinander orientieren. In diesem ‚Cursor-Journalismus‘ konstruieren die amtierenden Medien eine Phantomwirklichkeit jenseits der Öffentlichen Meinung, die durch Aufregerthemen und einen polarisierten Diskurs bestimmt ist. ‚Direktmedien‘ wie Twitter spielen dabei eine zentrale Rolle. Hier sind Politik und Journalismus miteinander vernetzt, der Cursor wird von den amtierenden Medien gesetzt und die personalisierte Kommunikation führt zur Ent-sachlichung von Diskursen.
Die Thesen von Precht und Welzer sind nicht neu und halten einer wissenschaftlichen Überprüfung kaum stand. Es gelingt ihnen nicht, die vielfältige Landschaft der Bürger*innen- und Alternativmedien in den Blick zu nehmen, die in Form von Podcasts, YouTube-Videos und Blogs für viele Menschen alternative Deutungsangebote bereitstellen. Dennoch stellen die Autoren wichtige Fragen und bearbeiten diese populärwissenschaftlich. Die mediale Aufmerksamkeit, die das Buch im Spätsommer 2022 erlangte, hat kaum dazu beigetragen, dass diese wichtigen Fragen kritisch in einer breiteren Öffentlichkeit diskutiert wurden. Vielmehr standen die Akteur*innen der Leitmedien, der Politik und die Autoren selbst im Fokus. Dennoch: Precht und Welzer tragen eine Vielzahl von Beobachtungen zusammen, die durchaus geeignet sind, die Funktion der Leitmedien für den öffentlichen Diskurs zu problematisieren. Es ist jedoch nötig, sich – ganz im Sinne von Habermas – vernünftig mit ihren Thesen auseinander zu setzen.
Für die Medienpädagogik ergeben sich drei Anknüpfungspunkte. Erstens stellen Precht und Welzer Fragen, die das Verhältnis von Medien und Öffentlichkeit sowie politische Partizipation in der Demokratie betreffen. Diese Fragen tangieren den Kernbereich der Medienpädagogik: das gute Aufwachsen mit Medien und Medienkompetenz als Voraussetzung zur gesellschaftlichen Teilhabe. Daher sollte sich die Medienpädagogik intensiv mit solchen populärwissenschaftlichen Thesen auseinandersetzen und sich in das mediale Theater einbringen. Zweitens kann die Medienpädagogik auf der Ebene der Förderung eines kritisch-reflexiven Umgangs mit Medien ansetzen. Die Beobachtungen, die die Autoren machen, laden dazu ein, mit Kindern und Jugendlichen das Mediensystem zu analysieren und dessen Funktion zu reflektieren. Drittens sollte die Medienpädagogik die Repräsentation von Problemlagen und Meinungen junger Menschen in den Leitmedien stärker in den Blick nehmen. In den vielen Krisen der Gegenwart befinden sich junge Menschen und ihre riskanten Lebenslagen tatsächlich im Unmarked Space der Leit-medien. Kinder und Jugendliche müssen dort sichtbar sein, damit sie im öffentlichen Diskurs und in der Politik wahrgenommen werden.
Beitrag aus Heft »2023/01: Für Demokratie, gegen Polarisierung. Impulse für die politische Medienbildung«
Autor: Eric van der Beek
Beitrag als PDFEinzelansichtHeinrike Paulus: Huber, Wolfgang (2022). Menschen, Götter und Maschinen. Eine Ethik der Digitalisierung. München: C.H. Beck. 207 S., 18,00 €.
Huber, Wolfgang (2022). Menschen, Götter und Maschinen. Eine Ethik der Digitalisierung. München: C.H. Beck. 207 S., 18,00 €.
„Der digitale Wandel ist nicht nur in seiner technischen Dynamik, sondern auch in seiner ethischen Brisanz eine der enormen Herausforderungen unserer Zeit“. Theologie-Professor Wolfgang Huber befasst sich in seiner wissenschaftlich-ethischen Publikation mit einer Ethik der Digitalisierung. Die acht Kapitel sind ein Plädoyer, den Menschen und nicht die Technik in den Mittelpunkt des Diskurses über technische und soziale Entwicklungen der Digitalisierung zu stellen. Verantwortungsbewusstes Handeln angesichts der Digitalisierung ist der rote Faden in Hubers Ausführungen, bei denen er sich unter anderem auf den israelischen Historiker Yuval Noah Harari, den Oxforder Philosophen und Medienkritiker Luciano Floridi oder den Soziologen Max Weber und dessen Verantwortungsethik bezieht.
Der Mensch muss sich verantwortlich wissen, was technische Instrumente bewirken. Ein Tenor: „Die Herrschaft des Menschen über seine Werkzeuge schließt die Verantwortung für die Zwecke ein, denen sie dienen sollen“ (S. 41). Das impliziert unter anderem, dass Kinder mit dem Medienkonsum nicht allein gelassen werden, Mediennutzende die Souveränität über Technologien behalten oder diese zurückgewinnen. Huber arbeitet heraus, dass viele Menschen mit dem von der Digitalisierung vorgegebenen Tempo nicht mehr mithalten können. Er dokumentiert, inwieweit Technologie-Entwicklungen das gesamte Leben in Arbeit und Alltag verändern und dies angesichts des Schutzes der Menschenwürde eine Herausforderung für den medien- sowie digitalethischen Diskurs darstellt. Wie der Umgang mit im Netz zu beobachtenden, sinkenden Hemmschwellen, die mit Cybermobbing, -stalking und Hate Speech in massive digitale Gewalt münden.
1Medientipp dazu: Gespräch mit Andreas Brönte: nachtlinie. Von einer Ethik der Digitalisierung, Mediathek, Bayerischer Rundfunk.
Beitrag aus Heft »2023/01: Für Demokratie, gegen Polarisierung. Impulse für die politische Medienbildung«
Autor: Heinrike Paulus
Beitrag als PDFEinzelansichtLisa Melzer: Sliwka, Anne/Klopsch, Britta (2022). Deeper Learning in der Schule. Pädagogik des digitalen Zeitalters. Weinheim: Beltz. 221 S., 19,95 €.
Sliwka, Anne/Klopsch, Britta (2022). Deeper Learning in der Schule. Pädagogik des digitalen Zeitalters. Weinheim: Beltz. 221 S., 19,95 €.
Die beschleunigten Digitalisierungsprozesse der letzten Jahre fordern neue Formen der Kommunikation und Wissensvermittlung wie auch zeitgemäße Konzepte für die Modernisierung und Weiterentwicklung von Unterricht und Lernen. Diese Erkenntnis nimmt das Buch als Anlass, um die Idee einer innovative Pädagogik des digitalen Zeitalters zu entwerfen. Anliegen ist es, ein Reformmodell zu präsentieren, welches sich den veränderten Anforderungen annimmt und den Blick für eine neue Lern- und Unterrichtskultur weitet.
Um herauszuarbeiten, warum der Wandel zum Deeper Learning an deutschen Schulen unbedingt angegangen werden sollte, stellen Sliwka und Klopsch unterschiedliche wissenschaftliche Argumente dar, die sich für eine Erneuerung von Schule und Unterricht aussprechen. Um diese zu untermauern, werden internationale Entwicklungen vorgestellt, die zeigen, dass eine Pädagogik im Sinne des Deeper Learnings neue Wege aufzeigen kann, um sich von konventionellen Lern- und Unterrichtsformaten zu lösen und Lernen partizipativer zu gestalten. Daran anschließend wird ein für das deutsche Schulwesen adaptiertes Modell vorgeschlagen, welches Hilfestellungen für die professionelle Planung, Gestaltung und Umsetzung der Methode liefert.
Im zweiten Teil wird erläutert, welche pädagogischen Zielsetzungen und Leitprinzipien Deeper Learning zugrunde liegen. Eine übersichtliche Darstellung des Aufbaus einer erfolgreichen Deeper-Learning-Unterrichtseinheit eranschaulicht eindrücklich, wie Schüler*innen gezielt unterstützt werden können, sich nicht als passive Rezipient*innen, sondern als aktiv Gestaltende ihres eigenen Lernens zu begreifen. Abgerundet wird das Buch durch eine tiefergehende Auseinandersetzung damit, was ein solcher Paradigmenwechsels für die Rolle Lehrender, ihr pädagogisches Handeln sowie ihre professionelle Entwicklung bedeutet. Ein Fahrplan bündelt wichtige Hinweise zur Realisierung des angestrebten Transformationsprozesses. Insgesamt bietet das Buch eine kompakte, anschauliche Darstellung eines innovativen Lehr- und Lernkonzepts, das auf eindrückliche Weise aufzeigt, wie Bildung zeitgemäß und zukunftsgerecht gestaltet werden kann. Dabei sind es vor allem die spannenden theoretischen Überlegungen und ermutigenden Praxisbeispiele, die allen pädagogisch Tätigen als Anregung dienen können, um sich mit einem vielversprechenden Konzept zur Neuausrichtung von Lehre und Lernen zu beschäftigen und neue Impulse in die Diskussion und pädagogische Arbeit einzubringen.
Beitrag aus Heft »2023/01: Für Demokratie, gegen Polarisierung. Impulse für die politische Medienbildung«
Autor: Lisa Melzer
Beitrag als PDFEinzelansichtLuisa Giebler: Standl, Bernhard (2022). Digitale Lehre nachhaltig gestalten. Münster/ New York: Waxmann. 267 S., 39,00 €.
Die Pandemie machte eine rasante Umstrukturierung auf digitale Lehrangebote nötig. Diese brachte neben vielen Schwierigkeiten auch zahlreiche Chancen für die nachhaltige Implementierung von Online-Lehrformaten im Bildungsbereich mit sich. Der Sammelband Digitale Lehre nachhaltig gestalten trägt unterschiedliche Ansätze und Konzepte zu digitalen Lehrformaten zusammen, welche auf Praxiserfahrungen deutschsprachiger Hochschulen und Schulen basieren und zum Teil während der Pandemie-Situation (weiter-)entwickelt wurden. Er ist in sechs Teile untergliedert, welche jeweils ein anderes Themengebiet in Augenschein nehmen.
Es werden zum Beispiel Voraussetzungen für die nachhaltige Implementierung der digitalen Lehre an Hochschulen diskutiert, sowie Herausforderungen und Chancen digitaler Lehrkonzepte dargestellt. Die Chancen der langfristigen digitalen Lehre zeigen sich in der Barrierefreiheit, der Flexibilität, der Zeitersparnis, sowie in der Selbstständigkeit. Herausforderungen stellen dabei je-doch vor allem der fehlende soziale Austausch und der mangelnde gemeinsame Diskurs dar. Es wird deutlich, dass Lehrende und Studierende auch nach der Pandemie Blended Learning als hybrides Lernformat bevorzugen; unter anderem Konzepte wie Learning Exprerience Designs, Quality-Online Learning, Learning Analytics, OER und KI-basierte Techniken. Auch Fragen der Inklusion, der Selbstbestimmtheit im Studium sowie technischer Voraussetzungen und Medienkompetenz der Lehrenden werden aufgegriffen.
Der Band greift die Sicht Studierender und Lehrender auf und basiert auf Praxiserfahrungen der vergangenen zwei Jahre. Er gibt einen umfassenden Einblick in digitale Kursformate, Lernangebote und Modelle, die während der Pandemie und darüber hinaus entwickelt wurden, um digitale Lehre nachhaltig in Bildungseinrichtungen zu implementieren. Das Buch spricht vor allem Lehrende und Forschende an, aber auch Lehramtsstudierende, die offen für neue Lehrformate und Anregungen für zukünftige Unterrichtsgestaltung sind.
Beitrag aus Heft »2023/01: Für Demokratie, gegen Polarisierung. Impulse für die politische Medienbildung«
Autor: Luisa Giebler
Beitrag als PDFEinzelansicht
kolumne
Kati Struckmeyer: Ironische Smileys
Neulich meinte mein Lebenspartner als Reaktion auf eine Textnachricht von mir, dass man mir die Gen X anmerke. Und zwar daran, wie ich meine Smileys verwende. Ich zückte eine Augenbraue. Zum einen natürlich, weil ich nicht Gen X bin (1980! Erster Jahrgang der Millenials oder der Gen Y!). Zum anderen aber auch, weil ich nicht wusste, dass die Verwendung von Smileys generationenabhängig ist. Die jüngeren Generationen verwendeten Smileys jedenfalls ironisch, wurde ich kurz danach aufgeklärt.
Ironische Smileys? Da ich zu den Über-40-Jährigen gehöre, deren Schuhregal in erster Linie aus weißen Turnschuhen besteht, musste ich mir das natürlich sofort genauer ansehen. Außerdem: Ich liebe Ironie, ich finde das Leben ohne Ironie fast unerträglich. Leider versteht das nicht immer jede*r, aber darauf kann ich keine Rücksicht nehmen – Ironie ist für mich eine Bewältigungsstrategie, ohne die ich dieses Leben nur schwer auszuhalten finde.
Also, erster Versuch – ich schreibe etwas Lustiges und hänge statt des Tränen lachenden Smileys das vor Unglück heulende Smiley an. Leichtes Unwohlsein beim Abschicken der Nachricht. Meine Freundin antwortet direkt: „Haha, falscher Smiley, passiert mir auch manchmal!“. Offensichtlich Gen X. Kurz darauf, nächster Versuch. Ich probiere meine Begeisterung für etwas auszudrücken, indem ich das Totenkopf-Emoji hinzufüge. Kommt nicht gut an. Auch der Versuch, mein empathisches Bedauern für eine Sache mit einem freudig strahlenden Smiley auszudrücken, sorgt für Unverständnis. Ich diagnostiziere das Problem, dass mein Freundeskreis einfach zu alt für ironische Smileys ist. Außerdem werde ich selbst nicht warm mit der Umkehr der Smiley-Botschaften.
Aber wenn ich eines in 42 Jahren gelernt habe, dann, dass sich Trends irgendwann auch wieder umkehren. Genauso wie auf die
Rückkehr der Hüftjeans (nooooo!), der Postkarte (yeahhhh!) oder des Händeschüttelns (uahhhh!) kann man also auch seelenruhig darauf warten, dass Smileys wieder das bedeuten, wonach sie aussehen. Oder einfach zu seinem Alter stehen und den eigenen, unschlagbaren Witz mit einem Tränen lachenden Smiley verstärken, sicher ist sicher. Das, habe ich gelesen, ist laut der britischen Forschungsagentur Perspectus Globus sowieso das Emoji, das generationenübergreifende Beliebtheit genießt und mit 45 Prozent das meist genutzte Emoji überhaupt ist (zumindest bei den Brit*innen). Ab und an werde ich trotzdem auch zukünftig einen ironischen Smiley verschicken, vielleicht an den Tagen, an denen ich ein neues graues Haar entdecke.Beitrag aus Heft »2023/01: Für Demokratie, gegen Polarisierung. Impulse für die politische Medienbildung«
Autor: Kati Struckmeyer
Beitrag als PDFEinzelansicht
Ansprechperson
Kati StruckmeyerVerantwortliche Redakteurin
kati.struckmeyer@jff.de
+49 89 68 989 120
Ausgabe bei kopaed bestellen
Zurück