2017/04 Soziale Arbeit digital
Bereits häufiger wurde Computern das Potenzial zugesprochen, alles besser, genauer und irgendwie intelligenter zu erledigen. Was ist also zu erwarten, wenn jetzt Smart youth work als ein Kernthema der europäischen Jugendpolitik gesetzt wird? Geht es dabei primär um den digitalen Binnenmarkt, für den auch die Soziale Arbeit als Geschäftsfeld von IT-Konzernen geöffnet werden soll? Geht es um reine Effizienzsteigerung durch den Einsatz digitaler Technologien bei gleichzeitiger Einsparung pädagogisch qualifizierter Fachkräfte? Wer oder was steht im Fokus solch einer Entwicklung?Im Fokus von merz 4/2017 steht jedenfalls die Frage ‚Was machen die Menschen mit der Sozialen Arbeit, wenn sie digitale Medien nutzen?‘. Was können sie gestalten? Wo entstehen Spielräume? Wo werden (neue und alte) Grenzen sichtbar? Dabei wird die Grenzarbeit von einer eher individuellen auf eine überindividuelle Ebene gehoben und übergreifende Phänomene ebenso wie konkrete Beispiele aus den Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit betrachtet. Sechs Jahre nach merz 3/2011 Jugendarbeit und social networks mit der Online-Momentaufnahme der Praxis in der Jugendarbeit mit digitalen Tools wird die Fragestellung also wieder aufgegriffen und der Fokus dabei auf das Feld der Sozialen Arbeit geweitet. Denn die Diskussionen, die in der Jugendarbeit seit sechs Jahren noch nicht abgeschlossen sind, scheinen jetzt auch in anderen Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit relevant zu werden. Zugleich können Akzentverschiebungen in der Diskussion ausgemacht werden. Während 2011 neue Ansätze der Arbeit mit der Zielgruppe und wie digitale Tools hier entsprechend der Ziele von Jugendarbeit genutzt werden können im Vordergrund standen, stellt sich heute die Frage, welche Entwicklungen im Arbeitsalltag von Fachkräften mit digitalen Tools verbunden sind – etwa im Bereich der Falldokumentationen oder der Jugendhilfeplanung.
aktuell
Antje Müller: Jugend-Medien-Studie 2017
Klassisches Fernsehen wird verdrängt und Medienkompetenz setzt sich im Lehrplan durch. Die Oö. Jugend-Medien-Studie 2017 hat das Medienverhalten der Elf- bis 18-Jährigen untersucht und stellt fest: On Demand ist weiter auf dem Vormarsch. Streaming-Dienste wie Netflix (26 %) und Amazon (23 %) sowie Internetplattformen wie YouTube (77 %) stellen für Jugendliche die Hauptquelle für Filme und Videos dar. Im Freizeitverhalten sind die Elf- bis 18-Jährigen jedoch nicht ausschließlich den neuen Medien zugewandt. So kommt noch vor der Kommunikation via WhatsApp und Facebook (73 %), Freunde offline zu treffen (80 %) und mit Familie und/oder Fernsehen Zeit zu verbringen (65 %). Auch die Lesefreude aller Medienangebote bleibt ungebrochen. Unter den genutzten Medien bekommt der Computer Konkurrenz durch den Alleskönner Smartphone, mit dem die Jugendlichen chatten (68 %), YouTube schauen (68 %), telefonieren und surfen (je 63 %).
Zunehmend unbeliebter wird der Computer bereits in Sachen Games. Nur noch 23 Prozent spielen fast jeden Tag mit ihm (2013: 37 %). Die bevorzugten Internetplattformen beinhalten Musikvideos (50 %), lustige Clips (44 %), Comedy von YouTubern (34 %) und Tutorials (25%). Obwohl sich Eltern im Vergleich zu 2015 (32 %) weniger Sorgen machen (24 %) und sich gelassener zeigen, wenn ihr Kind online ist, werden vermehrt Regeln aufgestellt. Nur noch 45 Prozent (2015: 59 %) erlauben ihren Kindern eine uneingeschränkte Smartphone-Nutzung, 64 Prozent (2015: 59 %) haben Verhaltensregeln zur Internetnutzung aufgestellt. Zu den wichtigsten Regeln zählen, keine persönlichen Daten preiszugegeben (79 %), nichts im Internet zu kaufen (76 %), bestimmte Websites nicht zu besuchen (69 %) und das Internet nur zu vorgegebenen Zeiten zu nutzen (64 %).
In Anbetracht der Entwicklungen reagieren auch Lehrkräfte und halten die Vermittlung von Medienkompetenz an der Schule für ein zentrales Thema (93 %). Neue Medien bzw. Technologien werden dementsprechend für die Erstellung von Arbeitsmitteln (96 %), zum Suchen und Sammeln von Informationen (90 %), zur Video- oder Audiowiedergabe (89 %), für Apps und Lernprogramme (72 %) und für E-Learning-Aktivitäten (63 %) eingesetzt. Die Oö. Jugend-Medien- Studie wird jährlich von der Education Group durchgeführt und befragt Jugendliche zwischen elf und 18 Jahren, Eltern mit Kindern im Alter zwischen elf und 18 Jahren und pädagogische Fachkräfte der Sekundarstufe I zum Medienverhalten österreichischer Jugendlicher.
Melanie Theissler: Studie: Wahrnehmung von Fake News
Fake News bedrohen die Demokratie – zumindest für 61 Prozent der Befragten. Doch wie werden Falschnachrichten in der deutschen Bevölkerung überhaupt wahrgenommen? Mit den Ergebnissen der Studie Wahrnehmung von Fake News liegen erstmals valide Daten zu Fake News und deren Wahrnehmung im deutschsprachigen Raum vor. Knapp über die Hälfte der deutschen Onlinenutzenden sind mit Fake News schon einmal in Berührung gekommen, in der Gruppe der 14- bis 24-Jährigen sogar bereits 77 Prozent. Jede zweite befragte Person ist über Berichte in den Medien auf unwahre Meldungen aufmerksam geworden. Immerhin 45 Prozent kontrollieren die dargestellten Fakten und Sachverhalte. Nutzende nennen als Überprüfungsmethoden die Untersuchung auf Absender, Impressum bzw. der Namen der Autorinnen und Autoren oder fragen die URL der Quelle ab. Vorzugsweise Männer und die Altersgruppe der 14- bis 24-Jährigen beleuchten tendenziell am häufigsten dargestellte Fakten und Sachverhalte.
Mit steigendem Alter überprüfen immer weniger Personen die erhaltenen Informationen. Mit 86 Prozent sind sich die Befragten einig, dass es für Nutzende einfacher sein sollte, falsche Nachrichten durch eine Kennzeichnung erkennen zu können. Darüber hinaus befürworten sie mehrheitlich eine Gesetzesänderung zur schnelleren Entfernung von Fake News auf Social Media-Plattformen. Befragte Personen über 60 Jahren vertreten diesen Standpunkt stärker als Jüngere. Westdeutsche geben häufiger an, dass sie auf Falschnachrichten aufmerksam wurden und sind an Fake News generell interessierter als Ostdeutsche. Letztere sind auch häufiger der Meinung, dass es sich bei unwahren Meldungen um freie Meinungsäußerungen handele. Im Vergleich zu Frauen sind Männer gegenüber Fake News aufgebrachter. Auch sind sie verstärkt der Meinung, dass es keine Gesetzesänderung benötige, da Fake News kein neues Phänomen darstelle. Die repräsentative Studie wurde im Auftrag der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM) von forsa durchgeführt. Insgesamt wurden 1.011 Personen ab 14 Jahren befragt, die privat das Internet nutzen.
Beitrag aus Heft »2017/04 Soziale Arbeit digital«
Autor: Melanie Theissler
Beitrag als PDFEinzelansichtMelanie Theissler: Unterrichtsmaterial zu Fake News und Social Bots
Ob Scherznachrichten, Horrormeldungen, betrügerische Nachrichten, Beeinflussung – wahre Nachrichten von Falschen zu trennen kann zu einer Herausforderung werden. Besonders Jugendliche sollten daher über Fake News und deren Identifikation aufgeklärt werden. Mit dem Unterrichtsmaterial Fake News und Social Bots im digitalen Zeitalter halten nun Strategien für den Einsatz im Sekundarbereich I/BBS Einzug in das Bildungswesen. Dieses zielt darauf ab, mithilfe entsprechender Werkzeuge Medienkompetenz und die Fähigkeit des selbstständigen Reflektierens in Hinblick auf die Verifizierung von unwahren Meldungen und Social Bots im Unterricht zu fördern.
Dazu ist das Unterrichtsmaterial in drei Einheiten mit unterschiedlichen Schwerpunkten gegliedert: In der Einheit Irreführung durch Manipulation und Unwahrheiten im Internet erfahren Jugendliche, auf welche Art und Weise Inhalte im Internet gefälscht werden können. Die Schülerinnen und Schüler lernen, die eigene Nutzung von Internetquellen mithilfe von diversen Tools zu hinterfragen und setzen sich mit gesellschaftlichen und politischen Schwierigkeiten auseinander. Die Einheit Einschätzung von bekannten Quellen und Förderung der Quellenkritik soll die Lernenden zur selbstständigen Erarbeitung von Handlungsoptionen anregen. Hier entwickeln sie eine Checkliste zur Bewertung von Informationen und Bildern bzw. überprüfen anschließend ihre praktische Anwendung. In der Einheit Extremistische Inhalte im Netz arbeiten die Jugendlichen in Kleingruppen, um beispielhaft Fake News hinsichtlich Form, Sprache und Inhalt zu analysieren oder die Rolle von Social Bots zu erörtern. Erstellt wurde das Unterrichtsmaterial vom JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis, dem FWU Institut für Film und Bild und dem Niedersächsischen Landesinstitut für schulische Qualitätsentwicklung im Auftrag des Niedersächsischen Kultusministeriums.
Beitrag aus Heft »2017/04 Soziale Arbeit digital«
Autor: Melanie Theissler
Beitrag als PDFEinzelansichtAntje Müller: stichwort Lifelogging
Seit es digitale Daten gibt, wird nach Möglichkeiten gesucht, diese nutzbar zu machen – und nützlich ist alles, was den Menschen besser leben lässt, was ihn schneller, höher und weiter kommen lässt. Erst vor fünf Jahren startete die sogenannte Quantified Self-Bewegung in Deutschland durch. Lifelogging entspricht dabei dem Zeitgeist und spiegelt gesellschaftliche Entwicklungen der Individualisierung, Ökonomisierung und Leistungsgesellschaft. So lässt sich durch das Sammeln und Aufzeichnen von Verhaltens- und Ereignisspuren nicht nur ein digitales Tagebuch führen, sondern insbesondere auch bei tagtäglichen Handlungen assistieren und diese optimieren. Self-Tracking als Gesundheitsmonitoring, Vermessung am Arbeitsplatz, Total Recall, Sleep- und Mood- bis hin zu Think- und Deathlogging – alles lässt sich dank der Unterstützung liebgewonnener Sensoren, vertrauensvoller Apps und smarter Wearables dokumentieren.
Die digitale Aura – geschaffen durch vibrierende Handgelenke, Datenbrillen, Kopfhörer oder smarte Alltagskleidung – suggeriert dabei vermehrt Sicherheit in einer sonst unsteten, beschleunigten Welt, in welcher Verzicht- und Austauschbarkeit großgeschrieben werden. Sie hilft zu verstehen, wie Menschsein funktioniert und eröffnet nicht zuletzt einen erlösenden Weg, die Fehlerquelle ‚Mensch‘ zu überwinden oder das gefühlt ungerichtete Leben durch Disziplin und Ordnung zumindest halbwegs akzeptabel zu gestalten. Dabei kommuniziert unser ‚digitaler Schutzschirm‘ bevorzugt mit Dienstleistern, Firmenkundinnen und -kunden oder Krankenkassen, meldet kalkulierbare Effizienz an Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber und steigert Unternehmensgewinne – reproduziert schließlich das Qualitätsprodukt ‚Mensch', ohne auf Ausreißer zu achten.
Diese „rationale Diskriminierung", wie Stefan Selke (2016) es nennt, gibt Hinweise auf eine neue Ordnung in der Sozialität, in der das Recht auf Vergessen, Zufall, Intuition und Geheimnis erodieren. Auch wenn Gamifikation, Selbstexpertisierung oder auch Kollaborationsgedanken positive Ansätze bergen, bleibt offen, ob die Aufweichung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung nicht letztlich nur noch einen Tropfen auf dem heißen Stein darstellt. Zumal bereits jetzt noch ausgereiftere Technologien wie Bio-Tattoos oder haltungskorrigierende Pflaster auf die Bildfläche treten, die sich noch unauffälliger in den Alltag integrieren lassen und immer mehr mit dem Menschen selbst konvergieren.
Britta Kaufhold: Onlineangebot zu Kinderschutz und Kinderrechten
Im April 2016 hat der Europarat die sogenannte Sofia-Strategie zur Umsetzung der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN-KRK) verabschiedet. Diese umfasst neben den bereits bisher durch die UN-KRK adressierten Aspekten wie Chancengleichheit, Teilhabe, Gewaltfreiheit und kinderfreundliche Justiz erstmals auch die Digitalisierung der Lebenswelten von Kindern. Vor diesem Hintergrund werden im Projekt Kinderschutz und Kinderrechte in der digitalen Welt die Auswirkungen der Digitalisierung auf den Alltag von Heranwachsenden sowie Maßnahmen zu deren Schutz und zur Prävention von Risiken analysiert.
Ziel ist es, eine Strategie für kinder- und jugendpolitische Maßnahmen zu entwickeln und umzusetzen. Diese soll zur Verwirklichung der Kinderrechte in allen Lebensbereichen und zu ihrem Schutz beitragen sowie Kinder zur Wahrnehmung ihrer Rechte und zum Selbstschutz befähigen. Auf www.kinderrechte.digital sind nun Informationen, wie die Rechte und Schutzbedarfe von Kindern und Jugendlichen im digitalen Lebensumfeld zu verstehen sind und auf welche Art und Weise digitale Medien dazu beitragen können, diese Rechte zu verwirklichen.
Die Rubrik Hintergrund stellt Dokumente sowie aktuelle Studien und Publikationen zu Kinderschutz und Kinderrechten zusammen und bereitet diese Informationen verständlich auf. Regelmäßig erscheinende Blogbeiträge greifen aktuelle Aspekte des komplexen Themenfeldes auf und setzen sich mit kinder- und jugendpolitischen Entwicklungen auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene auseinander. Dazu arbeitet das Projekt mit europäischen und internationalen Gremien und Institutionen zusammen, und stößt auf diesen Ebenen Kooperationen zur Verwirklichung der Kinderrechte gemäß UN-KRK in der digitalen Welt an. Zurzeit werden von einem Expertengremium, an dem das Projekt beteiligt ist, beim Europarat Handlungsempfehlungen entwickelt, die Anfang 2018 vom Ministerkomitee verabschiedet und anschließend in den 47 Mitgliedsstaaten die Umsetzung der UN-KRK in der digitalen Lebenswelt von Kindern bewirken sollen.
Das Projekt wird von der Stiftung Digitale Chancen in Zusammenarbeit mit der Koordinierungsstelle Kinderrechte beim Deutschen Kinderhilfswerk durchgeführt.
Beitrag aus Heft »2017/04 Soziale Arbeit digital«
Autor: Britta Kaufhold
Beitrag als PDFEinzelansichtAntje Müller: OER-Zertifizierung an österreichischen Hochschulen
Auf Basis eines Empfehlungsschreibens des Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft präsentiert die Arbeitsgruppe Open Educational Resources das Konzept OER-Zertifizierung an österreichischen Hochschulen, einen Vorschlag zur Zertifizierung von Open Educational Resources (OER) an Hochschulen. Ausgangspunkt ist die Annahme, dass Hochschullehrende aufgrund ihrer Qualifizierung grundsätzlich qualitativ hochwertige Lernobjekte erstellen und diese rechtssicher als OER klassifizieren und ausweisen, wenn sie ausreichend und fachkundig geschult wurden. Die Aufgabe der Hochschule besteht dementsprechend in der Bereitstellung geeigneter Weiterbildungsmaßnahmen und der Schaffung einer entsprechenden Infrastruktur. Auf struktureller Ebene wird zu einer zwei- bis dreistufigen Zertifizierung für Hochschullehrende und Hochschulen sowie der Schaffung und Etablierung nationaler OER-Labels angeregt.
Für Hochschullehrende wird eine zweiteilige, nicht aufeinander aufbauende Zertifizierung vorgeschlagen. Dazu gehört unter anderem, bereits freie Bildungsressourcen produziert und veröffentlicht zu haben. Die Zertifizierung von Hochschulen besteht aus drei, ebenfalls nicht aufeinander aufbauenden Teilen: Neben der Sicherung einer ausreichenden Anzahl OERzertifizierter Lehrkräfte wird auf die Verfügbarkeit und öffentliche Bekennung zu OER- Qualifizierungsangeboten verwiesen. Die Sichtbarkeit der OER-Zertifizierung von Hochschule und Hochschullehrenden soll schließlich durch die Vergabe von verifizierbaren, portablen Open Badges, in Form von standardisierten digitalen ‚Abzeichen‘ gesichert werden. Hierzu schlägt die Arbeitsgruppe die Verwendung visueller und virtueller Repräsentationen vor, welche in Form von digitalen Bilddateien über Metadaten verfügen, welche die zertifizierten Fertigkeiten, Beziehungen und Interessen speichern und online zugänglich gemacht werden können. Eine Zertifizierung der inhaltlichen Qualitat und der Rechtssicherheit von Lernobjekten ist nicht vorgesehen.
thema
Niels Brüggen/Klaus Lutz: Smart youth work – zur digitalen Zukunft der Sozialen Arbeit
Seit dem 1. Juli 2017 hat Estland die EU-Ratspräsidentschaft inne. Neben anderen hochbrisanten Themen, wie der östlichen Partnerschaft, wählte Estland die Digitalisierung als eines der Schwerpunktthemen dieser Legislatur. Genauer: Smart youth work.Nach Big Data Analytics und Smart Data kommt nun also Smart youth work. Bei der einen oder dem anderen mag das reflexhafte Abwehrreaktionen auslösen. Bereits häufiger wurde Computern das Potenzial zugesprochen alles besser, genauer und irgendwie intelligenter zu erledigen. Aber rückblickend kam es dann doch immer anders als von Technologie- Evangelisten vorhergesagt. Aber es kam. Was ist also zu erwarten, wenn jetzt Smart youth work als ein Kernthema der europäischen Jugendpolitik gesetzt wird? Geht es dabei primär um den digitalen Binnenmarkt, für den auch die Soziale Arbeit als Geschäftsfeld von IT-Konzernen geöffnet werden soll? Geht es um reine Effizienzsteigerung durch den Einsatz digitaler Technologien bei gleichzeitiger Einsparung pädagogisch qualifizierter Fachkräfte? Wer oder was steht im Fokus solch einer Entwicklung?
Vor dem Hintergrund dieser Fragen ist dieses Zitat von Madis Lepajõe, Staatssekretär im estnischen Jugendministerium, interessant: “Smart youth work will help us identify new methods for targeting youth through evolving technologies and innovation. By involving the youth in the development of smart solutions we also support their digital competences.”Lepajõe spricht zwei wesentliche Aspekte an, die nicht nur in der Jugendarbeit, sondern in einer von Digitalisierung geprägten Gesellschaft für alle Felder der Sozialen Arbeit relevant sind. Zum einen betont er die Möglichkeit, mit digitalen Innovationen neue Ansätze zu gestalten, um junge Menschen anzusprechen und zu erreichen. Diese Idee begleitet verschiedene Felder der Jugendhilfe bereits seit vielen Jahren. Kontaktmöglichkeiten über WhatsApp oder Facebook sind zwar in vielen Einrichtungen umstritten.
Einschlägige Erfahrungen sprechen aber dafür, dass jugendaffine digitale Dienste tatsächlich niederschwellige Möglichkeiten der Ansprache und Kontaktaufnahme bieten. Für alle Felder der Sozialen Arbeit erwachsen daraus Chancen, aber auch Herausforderungen. Dazu gehört, dass die genutzten Dienste in der Regel nicht für die Zwecke pädagogischer Arbeit geschaffen wurden und in den Code andere Verwendungsweisen eingeschrieben sind. Dazu gehört auch, dass bei der Nutzung digitaler Dienste häufig nicht die fachlichen Ansprüche an den Datenschutz gewahrt werden können. Wenn Beratungsangebote auch WhatsApp als Kontaktmöglichkeit anbieten, werden damit nicht nur neue Wege für die (oder zur) Zielgruppe geschaffen. Vielmehr verändert der technische und strukturelle Rahmen auch die professionelle Praxis. Und dieser Veränderungsprozess muss reflektiert werden.
Hier kommt der zweite von Lepajõe angesprochene Aspekt ins Spiel. Für ihn ist es Smart youth work, die digitale Innovationen gestaltet und dabei junge Menschen aktiv beteiligt. Er akzentuiert Jugendarbeit (oder allgemeiner wieder Soziale Arbeit) nicht in der Rolle, auf die von außen kommenden Entwicklungen zu reagieren – auf jene neue App, auf dieses neue Betriebssystem, auf jene neue Plattform. Soziale Arbeit entwickelt Ideen für sinnvolle Einsatzszenarien, Handlungskonzepte und sogar Anwendungen. Das gab und gibt es auch in Deutschland. Und wenn man sich den Katalog von Softwarelösungen für soziale Einrichtungen und Unternehmen in der Sozial- und Gesundheitswirtschaft (www.socialsoftware. de/softwarekatalog.html) ansieht, wird schnell deutlich, dass es nicht nur um die großen digitalen Plattformen geht, die in der Lebenswelt der Zielgruppen eine große Bedeutung haben.
Das Spektrum der Funktionsbereiche, die digital unterstützt werden können, reicht wesentlich weiter und berührt in einigen Bereichen zweifellos das eigene Professionsverständnis – gerade bei der Planung von Maßnahmen oder auch der Falldokumentation. Anregend ist an Lepajões Aussage grundsätzlich das Verständnis, dass pädagogische Fachkräfte in der Sozialen Arbeit selbst die Digitalisierung (mit-)gestalten. Und das gilt, wenn Jugendarbeit (in der Tradition der handlungsorientierten Medienpädagogik und der aktiven Medienarbeit) Jugendliche dazu motiviert, selbst digitale Technologien zur Bearbeitung sozialer Themen zu nutzen. Und es gilt gleichermaßen, wenn social software in verschiedenen Bereichen der Sozialen Arbeit eingesetzt wird.
Entsprechend steht in dieser Ausgabe von merz | medien + erziehung nicht die Frage ‚Was macht die Digitalisierung mit der Sozialen Arbeit?‘ im Fokus. Die Frage wird vielmehr umgekehrt und danach gefragt ‚Was machen die Menschen mit der Sozialen Arbeit, wenn sie digitale Medien nutzen?‘. Was können sie gestalten? Wo entstehen Spielräume? Wo werden (neue und alte) Grenzen sichtbar? Im 15. Kinder- und Jugendbericht (KuJ) werden Zumutungen und Herausforderungen des digital-vernetzten Lebens diskutiert, die Jugendhilfe, Jugendarbeit oder allgemein Soziale Arbeit aufgreifen muss. Interessanterweise müssen pädagogische Fachkräfte in diesen Arbeitsfeldern ja ebenfalls mit diesen Zumutungen und Herausforderungen umgehen. Auch die Fachkräfte sind Grenzarbeiter, wie im KuJ-Bericht die Jugendlichen bezeichnet werden, die sich im Netz zwischen widersprüchlichen Anforderungen (Datenschutz) und Funktionslogiken (Plattformen) bewegen. Die vorliegende Ausgabe will diese Grenzarbeit von einer eher individuellen Ebene auf eine überindividuelle heben und übergreifende Phänomene ebenso wie konkrete Beispiele aus den Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit betrachten. Sechs Jahre nach merz 3/2011 Jugendarbeit und social networks (Heftredaktion Jürgen Ertelt und Niels Brüggen) mit der online verfügbaren Momentaufnahme der Praxis in der Jugendarbeit mit digitalen Tools (www.merz-zeitschrift.de/ ePublikation_Jugendarbeit_und_socialnetworks) greift merz diese Fragestellung wieder auf und weitet den Fokus dabei auf das Feld der Sozialen Arbeit.
Denn die Diskussionen, die in der Jugendarbeit seit sechs Jahren noch nicht abgeschlossen sind, scheinen jetzt auch in anderen Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit relevant zu werden. Zugleich können Akzentverschiebungen in der Diskussion ausgemacht werden. Während 2011 neue Ansätze der Arbeit mit der Zielgruppe und wie digitale Tools hier entsprechend der Ziele von Jugendarbeit genutzt werden können im Vordergrund standen, stellt sich heute die Frage, welche Entwicklungen im Arbeitsalltag von Fachkräften mit digitalen Tools verbunden sind – etwa im Bereich der Falldokumentationen, der Jugendhilfeplanung et cetera. Diese Entwicklung spiegelt sich auch in den Beiträgen der vorliegenden Ausgabe wider.Zu diesem
Heft:
Niels Brüggen eröffnet das Schwerpunktthema, indem er exemplarisch Haltungen in der Pädagogik zu Medien aufgreift, die sich auch im aktuellen Diskurs um digitale Medien erkennen lassen. Die Pole zwischen Technikskepsis und -euphorie setzt Brüggen in ein Verhältnis zu früheren pädagogischen Positionen. Hinter diesen Haltungen, so die These, stehen aber grundsätzliche Annahmen über Medien, mit denen verbunden ist, welche Position Fachkräfte zu (digitalen) Medien einnehmen. Tradierte Medienvorstellungen sind dabei von digitalen Dingen durchaus herausgefordert. Entsprechend skizziert er ein Medienverständnis, das eine Basis für eine eigene Position anbietet. Digitale Medien sind in die Handlungskonzepte Sozialer Arbeit immer stärker eingebunden und verändern somit auch die Rahmenbedingung Sozialer Arbeit nachhaltig.
Nadia Kutscher betrachtet dieses Phänomen unter zwei Aspekten. Zum einen richtet sie den Blick auf die Mediatisierung und nimmt damit die mediale Entwicklung von Kommunikation und Interaktion in den Fokus. Zum anderen richtet sie den Blick auf die Informatisierung, und stellt die Erzeugung, Verbreitung und Prozessierung von Information ins Zentrum. Aus dieser Analyse leitet sie die fachlichen Verpflichtungen für Handlungsfelder der sozialen Arbeit ab und stellt somit ein Analysemodell für die Veränderungen, die sich aus der Logik der Digitalisierung für die Soziale Arbeit ergeben, zur Verfügung. In ihrem Fazit weist sie eindringlich darauf hin, dass die aufgeworfenen Fragen nicht ausschließlich in individualisierter Form oder auf der Ebene der Organisation bearbeitet werden können, sondern erheblicher Handlungsbedarf auf der politischen Ebene besteht.
Barbara Buchegger und Louise Horvath nähern sich den Herausforderungen der digitalen Jugendarbeit aus europäischer Sicht. In der Screenagers- Studie wurde mit fünf Leitfragen erfasst, welchen Stellenwert die digitale Jugendarbeit exemplarisch in fünf verschiedenen Ländern der Europäischen Union besitzt. Unbestritten ist dabei der Stellenwert von Medien im Alltag Jugendlicher. Der Einsatz von Medien in der Jugendarbeit stellt sich in den verschiedenen Ländern aber sehr unterschiedlich dar. Dies ist unter anderem auch auf die sehr unterschiedlichen Einstellungen gegenüber der Online-Welt zurückzuführen. Hier gilt es, Konzepte zu erarbeiten, um diese Unterschiede zu nivellieren.
In einem Interview mit Prof. Dr. Richard Reindl geht Klaus Lutz der Frage nach, ob E-Beratung einen neuen Standard in der Beratungsarbeit setzt oder ob es sich um eine Ergänzung der vielfältigen Betreuungsangebote handelt. Braucht es ganz neue Qualifikationen für eine erfolgreiche Beratung oder sind die Erfahrungen aus der Faceto- Face Beratung zum großen Teil übertragbar? Wird in Zukunft die Maschine die Stelle des Beraters einnehmen? Werden vielleicht sogar die Therapeutinnen und Therapeuten der Zukunft durch Social Bots ersetzt? Mit seiner langjährigen Erfahrung aus der Weiterbildung von Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen zu Online-Beraterinnen und -Beratern gibt Prof. Richard Reindl interessante Einblicke in die Entwicklung der E-Beratung und die mediengestützte Sozialarbeit. Die digitale Erfassung von standardisierten Vorgängen sowie die digitale Erfassung von Daten aller Art liegen im Trend. Dies lässt sich unschwer an Entwicklungen wie dem papierlosen Büro, der digitalen Aktenführung oder der Steuererklärung über ein Onlineportal ablesen. Diese Entwicklung macht auch vor der Jugendarbeit nicht halt.
Joshua Weber setzt sich in seinem Beitrag mit digitalen Dokumentationssystemen auseinander, wie sie zum Beispiel in der pädagogischen Falldokumentation zum Einsatz kommen. Er sieht in dieser Entwicklung durchaus Vorteile, warnt aber zugleich vor der Gefahr, dass eine zu starke Standardisierung eine Begrenzung von Handlungs- und Entscheidungsspielräumen mit sich bringt. Er kommt zu dem Schluss, dass eine fachlich begründetet Standardisierung in der Falldokumentation durchaus zur Professionalisierung beitragen kann, aber gleichzeitig genügend Raum für ‚Freitexte‘ bleiben muss, um ein vertieftes Fallverständnis nach Aktenlage zu ermöglichen.Mit dem Aufruf zu einer Blogparade zum Thema „Jugendarbeit im digitalen Wandel“ versucht diese merz, eine neue Diskurskultur anzustoßen. Anhand von sieben Leitfragen wurden Expertinnen und Experten aus der medienpädagogischen Forschung und Praxis gebeten, in eine Diskussion einzutreten.
Die im Heft abgedruckten Statements sind nur ein Ausschnitt aus den eingegangenen Texten. Die Volltexte sind über merz-zeitschrift.de und den Medienpädagogik Praxis-Blog verfügbar. Vom 15. August bis 15. September 2017 besteht die Möglichkeit, sich online an diesem Diskurs zu beteiligen. Niels Brüggen und Klaus Lutz laden alle Interessierten herzlich dazu ein.
Beitrag aus Heft »2017/04 Soziale Arbeit digital«
Autor: Niels Brüggen, Klaus Lutz
Beitrag als PDFEinzelansichtNiels Brüggen: 'Digitale Dinge' in der pädagogischen Arbeit
Die Digitalisierung transformiert unsere Gesellschaft – und so auch die Arbeitsbereiche der Sozialen Arbeit in der Jugendhilfe, der Altenpflege et cetera. Oft werden besondere technische Aspekte hervorgehoben, die diese Transformation begründen. Im Artikel wird dagegen die Frage in den Fokus gerückt, welche Rolle die Menschen und ihre Haltung in diesem Prozess spielen.
Literatur:
Andrasch, Matthias (2016). Der Data Breakthrough – Du und die Medienpädagogik in der digitalen Krise? (v0.1). www.matthias-andrasch.de/2016/der-data-breakthrough-du-unddie-medienpaedagogik-in-der-digitalen-krise-entwurf [Zugriff: 27.07.2017].
Gapski, Harald (2015). Medienbildung in der Medienkatastrophe – Big Data als Herausforderung. In: Gapski, Harald (Hrsg.) ,Big Data und Medienbildung. München: kopaed, S. 63–79.
Hoffmann, Dagmar (2017). Mediensoziologie. In: Schorb, Bernd/Hartung-Griemberg, Anja/Dallmann, Christine (Hrsg.),Grundbegriffe Medienpädagogik: kopaed, S. 308–312.
Schorb, Bernd (2011). Zur Theorie der Medienpädagogik. In: Moser, Heinz/Grell, Petra/Niesyto, Horst (Hrsg.), Medienbildung und Medienkompetenz. Beiträge zu Schlüsselbegriffen der Medienpädagogik. München: kopaed, S. 81–94.
Schorb, Bernd (1989). „Kids & Chips“. Was bringt der Computer der Jugendarbeit? In: Schorb, Bernd/Theunert, Helga (Hrsg.), Ran an den Computer? Zwischen Euphorie und Distanz. Die IuK-Techniken in der Jugendarbeit. Opladen: Leske + Budrich, S. 33–48.
Sesink, Werner (2003). Wozu Informatik? Ein Antwortversuch aus pädagogischer Sicht. www.waste.informatik.hu-berlin.de/~bittner/tdi/2003/pp/pp_sesink_030119.pdf [Zugriff: 27.07.2017]
Theunert, Helga (2013). Zugänge zum Subjekt. Sinnverstehen durch Kontextualisierung. In: Hartung, Anja/Lauber, Achim/Reißmann, Wolfgang (Hrsg.), Das handelnde Subjekt und die Medienpädagogik. Festschrift für Bernd Schorb. München: kopaed, S. 129–148.
Tulodziecki, Gerhard (2016). Aktuelle Debatten beim GMK-Forum 2015 im „Rückspiegel“. Welchen Lösungsbeitrag können medienpädagogische Grundlagen leisten? In: Brüggemann, Marion/Knaus, Thomas/Meister, Dorothee M. (Hrsg.), Kommunikationskulturen in digitalen Welten. Konzepte und Strategien der Medienpädagogik und Medienbildung. München: kopaed, S. 83–99.
Wagner, Ulrike/Würfel, Maren (2013). Gesellschaftliche Handlungsfähigkeit in mediatisierten Räumen. In: Hartung, Anja/Lauber, Achim/Reißmann, Wolfgang (Hrsg.) ,Das handelnde Subjekt und die Medienpädagogik. Festschrift für Bernd Schorb. München: kopaed, S. 159–167.
Nadia Kutscher: Digitalisierung der Sozialen Arbeit
Digitale Medien spielen in verschiedenen Kontexten Sozialer Arbeit zwischen Adressatinnen und Adressaten, Fachkräften und Organisationen eine zunehmende Rolle. Dabei sind sowohl ‚Alltagsmedien‘ wie soziale Netzwerke und Apps als auch Fachsoftware im Bereich der Fallbearbeitung relevant. Diese Entwicklungen betreffen ‚klassische‘ Fragen von Professionalität und werfen auch neue ethische wie pragmatische Fragen für alle Akteurinnen und Akteure auf. Der Beitrag umreißt Entwicklungen und Herausforderungen für Fachlichkeit in der Sozialen Arbeit unter den Bedingungen von Digitalisierung.
Literatur:
Bundesjugendkuratorium (2016). Digitale Medien – Ambivalente Entwicklungen und neue Herausforderungen in der Kinder- und Jugendhilfe. Stellungnahme des Bundesjugendkuratoriums. www.bundesjugendkuratorium.de/assets/pdf/press/BJK_DigitaleMedien_Web.pdf [Zugriff: 20.06.2017].
Digital Manifest (2015). Das Digitale Manifest. www.spektrum.de/thema/das-digital-manifest-algorithmen-und-big-data-bestimmen-unsere-zukunft/1375924 [Zugriff: 07.07.2017].
Dolinsky, Hillary Rose/Helbig, Natalie (2015). Risky Business: Applying Ethical Standards to Social Media Use with Vulnerable Populations. In: Advances in Social Work, 16 (1), S. 55–66.
GMK/KBoM (2017). Digitale Datenerhebung und –verwertung als Herausforderung für Medienbildung und Gesellschaft. Ein medienpädagogisches Diskussionspapier zu Big Data und Data Analytics. www.keine-bildung-ohnemedien.de/wpcontent/uploads/2014/06/bigdata_diskussionspapier_gmk_kbom.pdf [Zugriff: 20.06.2017].
Kutscher, Nadia (2015). Mediatisierung der Kinder- und Jugendhilfe – Herausforderungen der digitalen Gesellschaft für professionelle Handlungskontexte. In: Arbeitsgemeinschaft für Kinder und Jugendhilfe – AGJ (Hrsg.), Gesellschaftlicher Wandel – Neue Herausforderungen für die Kinder- und Jugendhilfe?! Berlin, S. 39–58.
Kutscher, Nadia/Farrenberg, Dominik (2014). Teilhabe und soziale Kompetenz durch die Nutzung von digitalen Medien: Herausforderungen für die Kinder- und Jugendpolitik. Expertise zum 10. Kinder- und Jugendbericht der Landesregierung NRW. www.mfkjks.nrw/sites/default/files/asset/document/10-kjbnrw-expertise-kutscher_farrenberg_u.a.pdf [Zugriff: 06.07.2017].
Kutscher, Nadia/Ley, Thomas/Seelmeyer, Udo (2015b). Mediatisierung Sozialer Arbeit im Horizont sozialpädagogischer und technikbezogener Theorieperspektiven. In: Kutscher, Nadia/Ley, Thomas/Seelmeyer, Udo (Hrsg.) ,Mediatisierung (in) der Sozialen Arbeit. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren, S. 281–298.
Kutscher, Nadia/Ley, Thomas/Seelmeyer, Udo (2014). Mediatisierte Lebens- und Arbeitswelten. Herausforderungen der Sozialen Arbeit durch die Digitalisierung. In: Blätter der Wohlfahrtspflege, 3, S. 87–90.
Kutscher, Nadia/Otto, Hans-Uwe (2014). Digitale Ungleichheit – Implikationen für die Betrachtung medialer Jugendkulturen. Überarbeitete Fassung. In: Hugger, Kai-Uwe (Hrsg.) ,Digitale Jugendkulturen. 2., überarb. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 283–298.
Ley, Thomas/Seelmeyer, Udo (2014). Dokumentation zwischen Legitimation, Steuerung und professioneller Selbstvergewisserung. Zu den Auswirkungen digitaler Fach-Anwendungen. In: Sozial Extra, 38 (4), S. 51–55.
Reamer, Frederic G. (2013). Social Work in a Digital Age: Ethical and Risk Management Challenges. In: Social Work, 58 (2), S.163–172.
Zorn, Isabel/Seelmeyer, Udo (2016). Digitale Technologien in der Sozialen Arbeit. Zur Notwendigkeit einer technischen Reflexivität. In: Der pädagogische Blick, 23 (3), S. 134–146.
Beitrag aus Heft »2017/04 Soziale Arbeit digital«
Autor: Nadia Kutscher
Beitrag als PDFEinzelansichtBarbara Buchegger/Louise Horvath: Europäische Perspektiven auf Herausforderungen der digitalen Jugendarbeit
Was soll digitale Jugendarbeit leisten? Wie die Jugendarbeit selbst unterscheiden sich auch der Status-Quo und der Handlungskontext in Europa je nach Land. Eine von 15 europäischen Ländern besetzte Gruppe an Expertinnen und Experten arbeitet bis Ende 2017 zu den Herausforderungen der digitalen Jugendarbeit. Bereits erhoben wurde in der Screenagers-Studie, dass digitale Medien in ihrem Stellenwert für jugendliche Lebenswelten anerkannt werden. Bei der Nutzung und dem Einsatz durch Jugendarbeiterinnen und -arbeiter gibt es allerdings noch Aufholbedarf – sowohl bei den technischen Fähigkeiten wie auch bei ihren Einstellungen zur Online-Welt.
Literatur:
National Youth Council of Ireland (2016). Using ICT, digital and Social Media in youth work. A review of research findings from Austria, Denmark, Finland, Northern Ireland and the Republic of Ireland. Screenagers International Research Project. www.youth.ie/sites/youth.ie/files/International%20report%20final.pdf [Zugriff: 02.07.2017].
Europäische Kommission (2016). Mandate of the expert group on digitalisation and youth. www.ec.europa.eu/assets/eac/youth/policy/documents/mandate-expert_group-digitalisation-youth_en.pdf [Zugriff: 16.05.2017].
Europäische Kommission (2015). Quality Youth Work. A common framework for the further development of youth work. Report from the Expert Group on Youth Work Quality Systems in the EU Member States. www.ec.europa.eu/assets/eac/youth/library/reports/quality-youth-work_en.pdf [Zugriff: 16.05.2017].
Beitrag aus Heft »2017/04 Soziale Arbeit digital«
Autor: Barbara Buchegger, Louise Horvath
Beitrag als PDFEinzelansichtKlaus Lutz: Von der Telefonseelsorge zur E-Beratung
Eine gute Beratungs- oder Sozialarbeit zeichnet sich nicht nur durch fachliche Kompetenz, sondern vor allem auch durch die Klientenbeziehung aus. In Zeiten von digitalisierten Lebenswelten besteht eine wesentliche Aufgabe der Sozialen Arbeit darin, auch online Beratungsangebote bereitzustellen, die dem Rechnung tragen (können).
Klaus Lutz, pädagogischer Leiter des Medienzentrum PARABOL in Nürnberg, im Gespräch mit Richard Reindl, Leiter der Studienwerkstatt Onlineberatung an der Technischen Hochschule Nürnberg.
Joshua Weber: Softwarebasierte Falldokumentation im Balanceakt um die fallangemessene Darstellung
Der zunehmende Einsatz von Fachsoftware zur Falldokumentation unterliegt dem Spannungsverhältnis zwischen der einzelfallorientierten Darstellung und der Subsumtion der Fälle unter Kategorien und Schemata. Aus der Perspektive fallangemessener Darstellungsmöglichkeiten wirft der Beitrag einen Blick auf einhergehende potenzielle Problemfelder der Standardisierung.
Literatur:
Früh, Andrea (2012). Die IT-isierung der Sozialen Arbeit. Mehrwert und Tücken von Softwarelösungen für die Soziale Arbeit. In: SozialAktuell, 44 (9), S. 22–23.
Kreidenweis, Helmut (2005). Die Hilfeplanung im Spiegel ausgewählter Software Produkte. Expertise im Modellprogramm Fortentwicklung des Hilfeplanverfahrens. München: Deutsches Jugendinstitut e. V.
Kutscher, Nadia/Ley, Thomas/Seelmeyer, Udo (2011). Subjekt – Technik – Kontext. Zur Aneignung von Informations- und Kommunikationstechnologien in der Sozialen Arbeit. In: Arbeitskreis „Jugendhilfe im Wandel“ (Hrsg.), Jugendhilfeforschung. Kontroversen – Transformationen – Adressierungen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 187–214.
Ley, Thomas (2010). „Unser Schreibzeug arbeitet mit an unseren Gedanken.“ Oder: Zur Konstruktion des sozialpädagogischen Falles in computerisierten Arbeitsumgebungen. In: Cleppien, Georg/Lerche, Ulrike (Hrsg.), Soziale Arbeit und Medien. Wiesbaden: VS, S. 219-233.
Ley, Thomas/Seelmeyer, Udo (2014). Dokumentation zwischen Legitimation, Steuerung und professioneller Selbstvergewisserung. In: Sozial Extra, 38 (4), S. 51–55.
Merchel, Joachim (2004). Pädagogische Dokumentation zwischen Etikettierung und Ausweis fachlichen Handelns. In: Henes, Heinz/Trede, Wolfgang (Hrsg.), Dokumentation pädagogischer Arbeit. Grundlagen und Methoden für die Praxis der Erziehungshilfen. Frankfurt: IGfH-Eigenverlag, S. 15–41.
Merchel, Joachim/Tenhaken, Wolfgang (2015). Dokumentation pädagogischer Prozesse in der Sozialen Arbeit: Nutzen durch digitalisierte Verfahren? In: Kutscher, Nadia/Ley, Thomas/Seelmeyer, Udo (Hrsg.), Mediatisierung (in) der sozialen Arbeit. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren, S. 171–191.
Poguntke-Rauer, Markus (2007). Wie kommt die Fachlichkeit in den PC? (Teil 2). In: Halfar, Bernd/Kreidenweis, Helmut (Hrsg.), Sozialinformatik. Perspektiven für Praxis, IT-Entwicklung, Forschung und Lehre. Eichstätt: Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt, S. 48–53.
Weber, Joshua (2016). Zwischen Standardisierung und Einzelfallorientierung – Überlegungen zum softwareunterstützten Arbeitsprozess in der Betreuungspraxis. In: BtPrax, 24 (3), S. 102–104.
Verena Ketter/Klaus Lutz/Eike Rösch/Angela Tillmann: Jugendarbeit im digitalen Wandel
Zur Diskussion gestellt
Was bedeutet der digitale Wandel für die unterschiedlichen Felder der Jugendarbeit? Welche Rolle kann die Medienpädagogik bei einer konstruktiven Gestaltung dieses Wandels übernehmen? Jugendarbeit muss sich mit den Veränderungen in der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen, aber auch der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen wie auch der eigenen Arbeitsbedingungen auseinandersetzen. Doch was bedeutet das konkret? Als Diskussionsformat über diese Fragen lädt merz zur Blogparade ein.
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Diskutiert wird auf dem Medienpädagogik Praxis-Blog: mitmachen
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Als Grundlage für die Blogparade hat merz Expertinnen und Experten aus Forschung und Praxis gebeten, Fragen zu beantworten. In diesem Text sind ihre Diskussionsbeiträge zusammengestellt.
Für einen diskursiven Einstieg sorgen: (1) Prof. Dr. Verena Ketter, Professorin für Medien in der Sozialen Arbeit an der Hochschule Esslingen, (2) Klaus Lutz, pädagogischer Leiter des Medienzentrum PARABOL, (3) Eike Rösch, Herausgeber des Medienpädagogik Praxis-Blog und (4) Prof. Dr. Angela Tillmann, Professorin an der Fachhochschule Köln.
Warum sollte sich Jugendarbeit mit digitalen Medien auseinandersetzen?
Jugendarbeit unterstützt beim Aufwachsen mit Medien und fördert den Mediendiskurs
Rösch Jugendliche weisen Medien eine große Bedeutung und verschiedenste Funktionen innerhalb ihrer Sozialisation zu. Jugendarbeit, die Jugendliche im Aufwachsen unterstützen möchte, muss dem gerecht werden und Medien auch in ihrer Praxis eine ebenso große Rolle zuweisen.
Lutz Zentraler Ansatz der außerschulischen Jugendarbeit ist die Ausrichtung ihrer Angebote an der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen. Unbestritten sind die Medien zu einem festen Bestandteil der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen geworden. Die Medien sind zentrales Werkzeug ihrer Kommunikation, Medienkonsum bestimmt einen großen Teil ihrer frei verfügbaren Freizeit. Daraus ergibt sich für die Jugendarbeit die Notwendigkeit, Medien in die Arbeit mit einzubeziehen. Zum einen, um die Jugendlichen dort abzuholen, wo sie stehen, zum anderen aber auch, um mit ihnen in den Diskurs über ihren Mediengebrauch zu treten. Dieser Diskurs sollte sich einerseits an ihren Interessen und Leidenschaften in Verbindung mit Medien orientieren, andererseits aber auch eine Reibungsfläche für die Reflektion ihrer eigenen Mediennutzung bieten sowie die gesellschaftlichen Auswirkungen einer immer stärker mediatisierten Gesellschaft einbeziehen.
Ketter Der Jugendarbeit kommt als ein Handlungsfeld der Sozialen Arbeit die Aufgabe der Bildung und der Unterstützung zu. Neben formalen und informellen Settings stellt sie einen weiteren Bildungsort dar, der einen wechselseitigen Austausch vom Ich und einer durch digitale Medien beeinflussten Welt eröffnet. So sollte Jugendarbeit Heranwachsende bei der Identitätsbildung und Lebensbewältigung unterstützen, Orientierung in der digitalisierten Gesellschaft bieten sowie dem Auftrag nachgehen, soziale Gerechtigkeit herzustellen – vor allem, weil die Digitalisierung zur Reproduktion von Ungleichheitserfahrungen beiträgt.
Medien können zum selbstbestimmten und sozial engagierten Handeln anregen
Tillmann Die Lebenswelten Jugendlicher sind medial durchdrungen. On- und Offline-Welten durchdringen sich vielseitig und dynamisch. Teilhabe bedeutet für junge Menschen heute auch immer digitale Teilhabe. Wenn die Jugendarbeit die digitale Kommunikation und die digitalen Angebote ausblendet, würde sie einen wichtigen Aspekt des (Alltags-)Lebens Jugendlichen ignorieren – und ihrem Auftrag, die Entwicklung Jugendlicher zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu fördern, nicht umfassend nachkommen. Eine Bildung ohne Medien ist heute nicht mehr möglich, darauf hat bereits das von mehreren Institutionen der Medienpädagogik initiierte und ausgearbeitete Medienpädagogische Manifest im Jahr 2009 hingewiesen. Über Medien werden Jugendlichen neue Perspektiven auf die Welt als auch neue Möglichkeiten der Artikulation von eigenen Interessen und Positionen eröffnet. Die Jugendarbeit ist daher aufgefordert, die digitalen Medien und Technologien in ihrer Arbeit zu berücksichtigen und mit den Jugendlichen gemeinsam zu schauen, wie Selbstbestimmung, gesellschaftliche Verantwortung und soziales Engagement auch in Medien oder medienunterstützt möglich sind. Hierbei gilt es auch zu schauen, wie Angebote gemeinschaftlich online ausgestaltet werden können. Darüber hinaus eignet sich die Jugendarbeit aber auch im besonderen Maße für die Förderung von Medienbildung und Medienkompetenz, da sie Jugendliche an anderer Stelle abholt als die Familie, die sich Jugendliche im buchstäblichen Sinne nicht aussuchen können, oder die Schule, die verpflichtend ist und sich noch als ein sehr undemokratischer Ort präsentiert. Leitbegriffe der Freiwilligkeit, Partizipation, Selbstorganisation und Verantwortungsübernahme gehören nach wie vor zu den Leitbegriffen der Jugendarbeit – hierauf verweist beispielsweise auch der 15. Kinder- und Jugendbericht. Dies prädestiniert die Jugendarbeit nicht zuletzt auch für die politische Medienbildung. Die Jugendarbeit kann somit neben Elternhaus und Schule wichtige und notwendige Optionen eröffnen, dass Jugendliche sich kritisch mit der digitalen Kommunikationskultur und Gesellschaft auseinandersetzen – und darin auch eine Sinn für sich erkennen. Im Kontext der Angebote der Jugendarbeit sollte es Jugendlichen dann auch möglich sein, die Bedeutung und den Mehrwert eines sozialverantwortlichen Umgangs in und mit Medien zu erfahren und Ausgrenzungs- und Diskriminierungserfahrungen, die sie in je spezifischer Form sowohl on- als auch offline erleben, zu reflektieren und bearbeiten zu können. Es gilt, Jugendlichen darüber hinaus auch Räume zur Verfügung zu stellen, in denen sie ihre Kommunikationsroutinen aufbrechen und die Bedeutung der digitalen Kommunikation und Information für die persönliche Entwicklung als auch für die Kommunikationskultur und Meinungsbildung reflektieren können.
Entstehen neue Methoden, Ansätze oder Inhaltsbereiche für die Jugendarbeit?
Konzepte und Methoden von Jugendarbeit reagieren auf die mediatisierte Lebenswelt und schaffen eine Beziehungsbindung
Lutz Medien sind Mittel zur Kommunikation. Kommunikation ist das zentrale Element zur Beziehungsbindung, welche die Grundvoraussetzung für eine gelingende Jugendarbeit darstellt. Allein die vielfältigen Kommunikationsmöglichkeiten durch Medien eröffnen eine Vielzahl von neuen "Kanälen", um Beziehungsstränge mit Jugendlichen zu knüpfen. Diese reichen von der Bewerbung von Veranstaltungen bis zur Lebensberatung in Krisensituationen. Desweitern haben sich die Räume, die der Jugendarbeit zur Verfügung stehen, auf den virtuellen Raum erweitert. Auch wenn Jugendliche nicht vor Ort sind, kann zum Beispiel gemeinsam an Projekten gearbeitet oder ein Turnier gespielt werden.
Rösch Ich bin der Auffassung, dass sich zunächst die Konzepte von Jugendarbeit weiterentwickeln müssen: Sie müssen eine Antwort darauf geben, wie Jugendarbeit grundsätzlich aussehen muss, wenn die Lebenswelt von Jugendlichen weitgehend mediatisiert ist. Medien dürfen hierbei kein Add-on sein, sondern müssen selbstverständlicher Teil der pädagogischen Praxis sein. Auf dieser Basis werden sich auch die Methoden weiterentwickeln, manche auch neu entwickeln. In der mobilen Jugendarbeit ist das heute schon gut zu beobachten. Aber auch andere Bereiche der Jugendarbeit müssen sich ganz grundlegende Fragen neu stellen. Ich denke darüber hinaus, dass sich digitale Jugendkultur zu einem neuen Inhaltsbereich entwickelt. Hierzu gibt es mehr und mehr Angebote auch außerhalb spezifisch medienpädagogischer Projekte – ebenso selbstverständlich wie in anderen jugendkulturellen Bereichen.
Ketter Hypermedialität, Orts- und Zeitunabhängigkeit, Peering, Interaktion, Kollaboration und Sharing sind Prinzipien digitaler Medien, die das professionelle Handeln auf allen Ebenen tiefgreifend beeinflussen. Im administrativen Bereich sind digitale Dienstleistungen vorzuhalten, gesetzlich verankert ist beispielsweise der elektronische Zugang für Bürgerinnen und Bürger zur Verwaltung oder die digitale Aktenführung. Dieser Dateneinsatz wie auch der Einfluss digitaler Medien auf der Adressatinnen- sowie Adressaten- und Professionsebene (zum Beispiel visuelle Methoden, aufsuchende Ansätze, gleichrangige Konzepte) verweisen auf die Notwendigkeit einer Ethik in digitalisierten Arbeitskontexten.
Kann Medienpädagogik zur positiven Gestaltung des "digitalen Wandels" beitragen?Medienpädagogik kann ...
... Kinder und Jugendliche bei der Entwicklung ihrer Persönlichkeit unterstützen
Lutz Zentrale Aufgabe jeder Pädagogik ist es, Kinder und Jugendliche bei der Entwicklung ihrer Persönlichkeit zu unterstützen und zu begleiten. Ziel einer erfolgreichen Medienpädagogik ist darüber hinaus die Entwicklung von Medienkompetenz, die Kindern und Jugendlichen ein gelingendes Leben mit Medien ermöglicht. Sowohl eine Persönlichkeit, die zum kritischen Denken fähig ist, als auch Medienkompetenz, die den Einsatz von Medien im Sinne ihrer Nutzer zu steuern weiß, sind beste Voraussetzungen dafür, dass Medien als Gestaltungselement der Zukunft wirksam werden.
... sich in den politischen Diskurs über die Digitalisierung einbringen und positionieren
Ketter Ethnografisch sollte die medienpädagogische Praxis und Forschung Medientechnologien in den Blick nehmen und auf ihre Bedeutung für die Jugendarbeit analysieren, gegebenenfalls übertragen. Zudem muss sich Medienpädagogik im Sinne ihrer Adressatinnen und Adressaten in den politischen Diskurs über die Digitalisierung einbringen und sich positionieren, um restriktive Maßnahmen zu verhindern und Menschenrechte zu wahren. Unerlässlich ist, den Adressatinnen und Adressaten eine Stimme zu geben, sie zu mobilisieren und gemeinsam an der digitalen Weiterentwicklung mitzuwirken, um damit den Wandel nicht nur Medieninstitutionen zu überlassen.
Tillmann Mit ihrem Fokus auf Bildungsprozesse macht Medienpädagogik deutlich, dass es zu kurz greift, nur die ökonomische Seite des digitalen Wandels in den Blick zu nehmen, sondern dass es stattdessen um den Menschen und den Zusammenhalt der Gesellschaft geht, und somit auch um Fragen der sozialen Gerechtigkeit und des demokratischen Miteinanders in und im Umgang mit Medien und digitalen Technologien. Diese Bildungsprozesse lassen sich nicht steuern und kontrollieren, sondern benötigen anregende Lernorte und Freiräume. Die Medienpädagogik kann, indem sie einen kritisch-reflexiven und sozial verantwortlichen Umgang mit Medien fördert, einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass die Kommunikationskultur eine demokratische bleibt und Menschen sich für ihr Handeln verantwortlich fühlen, kreativ einbringen und die Kommunikationskultur sowie den digitalen Wandel mitgestalten (möchten). Die Herausforderungen des digitalen Wandels lassen sich also nicht alleine von technologischer, rechtlicher und politischer Seite lösen. Mit ihrem Fokus auf Medienkompetenz und Medienbildung kann die Medienpädagogik zeigen, welche Fähigkeiten, welches Wissen und Können, aber auch welche gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen in einer datengetriebenen und kommerzialisierten Welt notwendig sind, damit Menschen die Gesellschaft weiterhin mitgestalten, ihr aber auch widerständig begegnen können.
... Standards zur Fortbildung von Fachkräften in der Jugendarbeit weitergeben
Rösch In der Medienpädagogik gibt es eine breite methodische Erfahrung und eine spezifische Professionalität. Mit der Mediatisierung der Sozialen Arbeit ist eine umfassende Weiterbildung von Jugendarbeiterinnen und Jugendarbeitern erforderlich. Medienpädagogik sollte es hier gelingen, ihre fachlichen Standards weiterzugeben. Sie kann zudem dazu beitragen, Brücken zwischen verschiedenen pädagogischen Feldern sowie Szenen zu schlagen. Denn auch für die Jugendarbeit ist es mehr und mehr erforderlich, sich mit Medienproduzentinnen und -produzenten, Hackerinnen und Hackern, Netz- und Techaktivistinnen bzw. -aktivisten sowie anderen zu vernetzen und mit ihnen zusammenzuarbeiten. Nicht zuletzt kann Medienpädagogik Jugendarbeit auch dabei unterstützen, notwendige technische Mittel gemeinsam mit anderen Fachleuten zu entwickeln: etwa Kommunikationsplattformen, die professionellen Standards genügen oder Beteiligungstools, die besonderen Anforderungen entsprechen.
Was sollte im Zuge der "Digitalisierung" nicht passieren?
Der Fokus sollte jenseits des (Jugend-)Schutzgedankens und Big Data liegen
Ketter Im Rahmen der Digitalisierung sollte es nicht passieren, dass die (Jugend-)Schutzgedanken und die enormen Datenbestände ausschließlich in den Fokus medienpädagogischer Praxis und Forschung gestellt und darüber die Relevanz des kreativ-ästhetischen, identitätsfördernden und demokratisierenden Potenzials übersehen werden. Explorative Räume für die medienpädagogische Praxis und Forschung sind weiterhin aufrechtzuerhalten und genussvoll zu erkunden. Dafür ist eine finanzielle Förderung von medienpädagogischer Praxis, Forschung und Weiterqualifizierung sicherzustellen, die über die Projektförderung hinaus verstetigt ist und vielfältige Perspektiven auf- bzw. einnimmt.
Die ökonomische Rationalität sollte nicht über die Gesellschaftsordnung und das mündige Subjekt gestellt werden
Tillmann Das ökonomische Prinzip bzw. die ökonomische Rationalität sollte nicht über die gesellschaftliche Ordnung gestellt werden. Es kann nicht das vordergründige Ziel sein, die Welt effizienter zu gestalten. Hierzu trägt die Digitalisierung aktuell in enger Verbindung mit der Kommerzialisierung und Ökonomisierung bei. So werden zu jeder Zeit und bei zunehmend mehr Gelegenheiten Daten über Menschen gesammelt werden, die zur Mustererkennung eingesetzt werden (können): in der Politik, der Marktforschung, der Medizin, der Verwaltung, im Bildungswesen, in der Sozialen Arbeit etc. Die darauf aufbauenden Entscheidungen und Maßnahmen sorgen allerdings nicht nur für scheinbar effizientere Lösungen, sondern können auch normbildend, verhaltensbestimmend und damit auch diskriminierend wirken. Aktuell wissen wir auch nicht, wer welche Daten in welchem Kontext von uns erhebt und auswertet, und wir können unsere Daten nicht nachträglich löschen. Die intransparente Datensammlung und -verarbeitung tangiert damit unmittelbar unsere Persönlichkeitsrechte. Die Menschen sollten sich mit dieser Situation und Entwicklung nicht abfinden. Parallel zu den Entwicklungen, die mit dem Begriff der Datafizierung beschrieben werden, lässt sich eine Tendenz in der Gesellschaft beobachten, in Folge der die Verantwortung für die Lebensgestaltung immer mehr dem einzelnen Menschen auferlegt wird. In diesem Kontext fügen sich Technologien ein, die Menschen zur Selbstvermessung und zur Selbstoptimierung einladen. Wer Jugendliche als ‚digital natives‘ bezeichnet, bürdet ihnen ebenfalls viel Verantwortung auf und unterstellt, dass sie a priori für die ‚digitale Gesellschaft‘ vorbereitet und qualifiziert sind. Ausgeblendet werden damit strukturelle Rahmenbedingungen von weiterhin bestehenden und sich verfestigenden sozialen Ungleichheiten, die sich im Medienzugang und -handeln zeigen, ebenso wie verschiedene Formen von Benachteiligung und Diskriminierung. Beobachten lässt sich weiterhin, dass die Digitalisierung zur Beschleunigung von Prozessen und Ereignissen in der Gesellschaft und damit auch einer Steigerung des Lebenstempos beiträgt. Wir sind immer und überall erreichbar, können jederzeit auf Informationen zugreifen, befinden uns in permanenten Reaktionsschleifen. Auf den Einfluss der technologischen Entwicklung auf diese Beschleunigungsprozesse hat bereits vor einiger Zeit Hartmut Rosa hingewiesen. Demnach haben Menschen, die sich den stetig wechselnden Handlungsbedingungen nicht konsequent anpassen, Sorge, die Anschlussvoraussetzungen und -optionen für die Zukunft zu verlieren. Gefördert werden auf diese Weise gleichermaßen Verpassensängste und Anpassungszwänge. Dem gilt es entgegenzusteuern. Darüber hinaus trägt der technologische Wandel auch zu weiteren Entgrenzungen bei – Entgrenzungen zwischen Öffentlichkeit und Privatheit, Freizeit und Schule sowie Arbeit und so weiter. Alle diese Entwicklungen fordern Menschen, auch schon in jungen Jahren. Es gilt also die Disziplinierungs- als auch Ermöglichungspotenziale der Technologien weiterhin kritisch im Blick zu haben und eine Kommunikationskultur zu etablieren, in der Menschen Zeit und Raum haben, innezuhalten, nachzudenken, sich selbstbestimmt zu orientieren und auch widerständig positionieren zu können.
Rösch Pädagogische Felder müssen generell gefeit sein, dass sie nicht zu einem Teil einer gesellschaftlichen Mobilisierung zur Vorbereitung auf einen angeblichen globalen Wettbewerb zwischen mediatisierten Gesellschaften gemacht werden. Dies passiert aktuell zum Teil in der Schule, wo ‚digitale Bildung‘ zur Grundqualifikation hierfür erklärt wird. Damit läuft Bildung Gefahr, nicht mehr das mündige Subjekt, sondern die toughe Arbeitnehmerin oder den toughen Arbeitnehmer zum Ziel zu haben. Genauso darf Jugendarbeit nicht verzweckt werden, etwa zur Prävention, Problembehandlung oder zur Qualifikation.
Offenheit für Veränderungen, kritische Reflexion und Nutzung von Gestaltungsmöglichkeiten
Lutz Die Zukunftsszenarien bezüglich der fortschreitenden Digitalisierung sind überwiegend besorgt bis ängstlich. Will man die Zukunft mitgestalten, sollte man sich den auf uns zukommenden Veränderungen stellen, sie kritisch reflektieren, aber auch die Gestaltungsmöglichkeiten nutzen. Sicherlich sind die Veränderungen tiefgreifend. Aber immer wenn man denkt "alles soll doch bitte so bleiben wie es ist", wird es höchste Zeit, etwas zu verändern.
Wie kann/sollte Jugendarbeit mit Dilemmata der Digitalisierung, wie mit dem Schutz und der Auswertung von Daten umgehen?
Ein Spagat zwischen Selektion wertvoller Medienangebote, Aufgreifen jugendlicher Alltagspraktiken und Förderung von Medienkompetenz
Lutz Dieses Dilemma ist nicht aufzulösen. Dies entbindet uns aber nicht davon, immer wieder auf dieses Dilemma zu verweisen. Es ist enorm wichtig, Kenntnis davon zu haben, welchen ‚Preis‘ man für die Nutzung moderner Kommunikation zahlt, um für sich persönlich ausloten zu können, wo eine Grenze überschritten wird. Darüber hinaus bedarf es eines Paradigmenwechsels im Bereich des Datenschutzes. Der Einzelne ist nicht mehr in der Lage, durch eigenes Handeln seine Daten zu schützen. Hier verlagert sich die Verantwortung auf eine übergeordnete Ebene. Dem Staat kommt es immer stärker zu, dafür Sorge zu tragen, dass uns die persönliche Datenspur nicht zum Nachteil gereicht wird, die wir durch die – nicht immer frei wählbare – Nutzung von Medien hinterlassen.
Rösch Das Kernproblem hierbei sind die Machtverhältnisse auf den großen kommerziellen Plattformen: Wenige Menschen entscheiden darüber, was dort passiert und was nicht, zahlende Nutzerinnen und Nutzer dürfen die Daten verwenden, während insbesondere Jugendliche de facto gezwungen werden, die gegebenen Bedingungen zu akzeptieren. Jugendarbeit muss das zum Thema machen – mit den Jugendlichen, aber auch auf politischer Ebene –, um eine Sensibilität hierfür, aber auch um andere Rahmenbedingungen zu schaffen. Darüber hinaus kann und muss Jugendarbeit hier an ihren beiden Prinzipien Lebensweltorientierung und Partizipation ansetzen: Einerseits ist es geboten, die Plattformen genau deswegen auch zu nutzen, weil sie eine Bedeutung für Jugendliche haben. Andererseits ist Jugendarbeit gefordert, im angemessenen Maße gemeinsam mit Jugendlichen alternative technische Plattformen zu schaffen und zu pflegen. Auf diese Weise kann sich nach und nach eine andere Praxis entwickeln.
Ketter Abgesehen von pädagogisch initiierten Räumen (Erprobungsräume) bedarf es der Orientierung an der Alltags- und Lebenswelt aller Internetnutzerinnen und -nutzer – unabhängig von der Lebensphase. Nur wenn Medienpädagogik sich kommerzieller Produkte bedient, kann eine anwendungsorientierte Auseinandersetzung erfolgen. Jugendliche lernen zum Beispiel in Beteiligungsprojekten unterschiedliche Mediensysteme kennen, beschäftigen sich reflektiert-kritisch mit der Datenverarbeitung, sodass Daten sensibel mitgeteilt werden. Medienpädagogik hat zugleich die Verantwortung an einer adressatinnen- sowie adressatenorientierten Ausgestaltung der Digitalisierung.
Tillmann Aufgabe der Medienpädagogik ist es, auf Software-Produkte hinzuweisen, die verantwortungsvoll mit den Daten der Menschen umgehen und Aufgabe der Fachkräfte ist es sicher auch, mit gutem Vorbild voran zu gehen. Aber gleichermaßen ist es unsere Aufgabe, Jugendliche bei ihren Alltagspraktiken abzuholen. Medienkompetenz und somit ein kritischer Umgang mit Medien werden im Umgang bzw. in der Auseinandersetzung mit Medien(-angeboten) entwickelt. Für die Medienpädagogik besteht somit die Herausforderung darin, Wege zu finden, wie dieses Dilemma thematisiert werden kann – ohne erhobenen Zeigefinger und ohne, dass jemand ausgeschlossen wird. Vielmehr gilt es die Folgen der Datensammlung und -auswertung erfahrbar zu machen und dafür Strategien und kreative Methoden zu entwickeln. Darüber hinaus greift es aber auch zu kurz, die Verantwortung allein beim Subjekt zu suchen und auf den Selbstschutz zu setzen. Vielmehr sind auch die Unternehmen und die Politik in der Pflicht. Sie sind aufgefordert, entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen, sodass die privaten Daten weiterhin ausreichend geschützt sind. Auch haben sie Sorge dafür zu tragen, dass Jugendliche in die Diskussion einbezogen werden, sie mitbestimmen können, was mit ihren Daten passiert. So betont auch der 15. Kinder- und Jugendbericht die Notwendigkeit, Jugendliche für die Teilnahme am Diskurs der Netzwerkgesellschaft nicht nur zu befähigen, sondern sie auch daran zu beteiligen. Es gilt somit, gemeinsam mit Jugendlichen Wege zu finden, wie wir unsere informationelle Selbstbestimmung zurückerobern und erhalten.
Sind medienfreie Angebote für Jugendliche in einer von Medien dominierten Welt notwendig?
Medienverzicht kann Inspiration für spannende Erkenntnisse liefern, wenn nicht der moralischen Zeigefinger erhoben wird
Rösch Generell sollten Medien der Zielsetzung eines pädagogischen Angebots dienen. Dazu kann es auch gehören, keine Medien zum Teil des Angebots zu machen – aus welchem Grund auch immer. Das Angebot sollte aber vor allem auch einem Bedürfnis der Jugendlichen entsprechen. Solche mit moralischem Zeigefinger bekommen sie auch woanders, dafür braucht es keine Jugendarbeit.
Lutz Ein systematischer Verzicht auf Dinge und Handlungen, die uns im Alltag als selbstverständlich erscheinen, ist immer ein Quell spannender Erkenntnisse. In diesem Sinne sind sicherlich auch medienfreie Angebote für Jugendliche sinnvoll. Ist das Ziel solcher Angebote aber, Jugendliche zu einem Wandel oder gar stärkeren Verzicht ihrer Mediennutzung im Alltag zu bewegen, halte ich solche Methoden für verfehlt. Es gilt vielmehr, die Medienaffinität Jugendlicher dazu zu nutzen, Themen aufzuarbeiten oder Partizipationsprozesse zu gestalten. Die Medien im Sinne ihrer Interessen einsetzen zu lernen, ist hier oberste Zielsetzung. Dies kann nur mit Medien gelingen.
Angebote ohne Medien können entschleunigen und die Reflexion des Medienhandelns fördern
Tillmann Das übergeordnete Ziel der Pädagogik ist es, die Persönlichkeitsbildung zu fördern – also die Perspektive zu erweitern, neue Zugänge zur Welt zu entwickeln und die Wahrnehmung und Achtsamkeit gegenüber Menschen, Dingen und der Welt zu schulen. Hier bieten Medien einen wichtigen, aber nicht den einzigen Zugang. Es gibt zahlreiche andere Möglichkeiten, soziale Verantwortung zu lernen, Ich-Stärke, Eigensinn, Kritikfähigkeit und Kreativität zu entwickeln. Vor dem Hintergrund der technologisch angetriebenen Beschleunigungsprozesse und impliziten Anpassungszwänge ist es sogar wichtig, sich der digitalen Kommunikation zeitweise zu entziehen. Das eigene Medienhandeln kann Menschen auch in Distanz zu sich, zu anderen Menschen und der Welt bringen. Wenn die Distanz zu groß wird und das alltägliche Leben entgleitet, können medienfreie Angebote helfen, wieder einen Zugang zu sich und der Welt zu finden. Medienfreie Angebote eröffnen außerdem Optionen, Medienerlebnisse zu verarbeiten und das eigene Medienhandeln zu reflektieren.
Analog und digital sind zusammenzudenken
Ketter Es geht nicht um ein Ausspielen von medienfreien und mediennutzenden, pädagogischen Interventionen – analog und digital sind zusammenzudenken. Bildung in einer durch digitale Medien geprägten Gesellschaft bedeutet gerade auch, aus der Vielfalt an Angeboten auszuwählen und die Konzentration auf einen Gegenstand oder eine Angelegenheit richten zu können. Diesen Aspekt in Bildungsarrangements zu vermitteln und währenddessen innovative Konzepte und Ansätze zu entwickeln, ist entscheidend.
Künftiger Arbeitsalltag und Qualifikationen von Fachkräften in der Jugendarbeit
Augenscheinlich geringe Veränderungen bei zunehmender Medienintegration
Lutz Aus meiner Sicht wird sich der Arbeitsalltag in der Jugendarbeit in den nächsten Jahren nicht so entscheidend ändern. Vor allem die mit Medien gestützte Freizeitgestaltung wird eine immer zentralere Rolle im Alltag von Jugendlichen spielen. Dieses Freizeitverhalten wird sich in den Angeboten der Jugendarbeit widerspiegeln müssen, um an den Interessen und Fähigkeiten der jungen Menschen anzuknüpfen. Vor allem die Expertise der Jugendlichen bezüglich ihrer Mediennutzung, sei es die Könnerschaft in Computerspielen oder der virtuose Umgang mit der Handykamera, muss auch in ihrer Freizeit eine Würdigung finden. Dies gilt umso mehr, als ich nicht glaube, dass die Anerkennung dieser Fähigkeiten in der nächsten Zeit in der Schule stattfinden wird.
Rösch Auf den ersten Blick wird sich der Arbeitsalltag der Jugendarbeit nur wenig verändern. An vielen Stellen fällt aber auf den zweiten Blick die selbstverständliche Integration von Medien und mediatisierter Kommunikation ins Auge: nicht nur das Smartphone, sondern auch spezifische Websites und andere Tools. Hiermit gelingt es Jugendarbeiterinnen und Jugendarbeitern, Jugendliche in ihrer mediatisierten Sozialisation angemessen zu begleiten. Hilfreich sind dabei Einblicke in die digitale Jugendkultur und mediatisierte Identitätsarbeit. Ebenso sind aber angepasste Konzepte und Methoden wie auch die entsprechende eigene Medienkompetenz der Fachkräfte wichtig.
Ketter Aufgrund der stetigen und rasanten Weiterentwicklung von Medientechnologien – und auch der nicht intendierten Medienpraktiken Heranwachsender – ist bereits der Blick in eine nahe Zukunft unwägbar. Wichtig für die Planung und Durchführung von Fachkräftequalifizierung erscheint das seismografische Arbeiten, das heißt ein immerwährender Abgleich der medientechnologischen Entwicklungen, die Analyse der damit einhergehenden Phänomene, das explorative Erproben und Erforschen sowie ein innovativer Transfer auf die Soziale Arbeit respektive Jugendarbeit.
Tillmann Die Schnittmengen und Überlappungen zwischen On- und Offline-Räumen werden weiter zunehmen, Online-Räume weiter an Attraktivität gewinnen – dies vielleicht umso mehr, je weniger öffentliche Orte Jugendlichen zur Verfügung stehen. Damit ändern sich auch die Entwicklungsbedingungen Jugendlicher (Datafizierung, Datenklau, Fake News, Socia Bots, Hate Speech, Cybermobbing, Sexting usw.). Das hat Auswirkungen auf das alltägliche, soziale und kulturelle Handeln Jugendlicher. Im Zuge dessen verändert sich auch das Arbeitsfeld der Jugendarbeit – steigen die (medien-)pädagogischen Anforderungen an die Fachkräfte. Im 15. Kinder- und Jugendbericht wird darauf hingewiesen, dass es in der Jugendarbeit immer auch darum geht, Jugendliche und junge Erwachsene über schulische Qualifizierungsprozesse hinaus bei der Bewältigung der Kernherausforderungen der Jugendphase – der Qualifizierung, Verselbstständigung und Selbstpositionierung – zu begleiten und zu unterstützen. Herausgearbeitet wird in dem Bericht, dass das Internet einen wichtigen Ermöglichungsraum darstellt, in dem Jugendliche die drei Anforderungen bearbeiten können. Die Jugendarbeit ist aufgefordert, dieser Entwicklung zukünftig verstärkt Rechnung zu tragen. Zu klären ist weiterhin, wie die Jugendarbeiterinnen und Jugendarbeiter den digitalen Kontakt zu Jugendlichen zukünftig gestalten und mit der Rundum-Verfügbarkeit umgehen. Dies setzt eine Diskussion über Standards und Qualitätskriterien voraus und erfordert – angesichts der Dominanz kommerzieller Angebote – auch eine Reflexion der Datensicherheit. Nicht zuletzt gilt es auch im Umgang mit digitalen Medien, klare Qualitätsstandards für Einrichtungen zu entwickeln, die den Mitarbeitenden Sicherheit im Umgang mit der Mediennutzung der Kinder und Jugendlichen geben. Jugendarbeiterinnen sowie Jugendarbeiter in fünf Jahren werden sich also weiterhin den Entwicklungen und Herausforderungen, die mit dem digitalen Wandel einhergehen, stellen müssen. Es wird eine immer engere Verknüpfung von sozial- und medienpädagogischem Wissen in der Jugendarbeit notwendig sein. Erforderlich sind medienpädagogische Fort- und Weiterbildungen, die den Fachkräften eine klare Handlungsorientierung für den Umgang mit Medien in ihrem Arbeitsfeld geben und sie gleichermaßen dazu befähigen, Bildungsgelegenheiten für Jugendliche zu schaffen, die eine (Weiter-)Entwicklung von Medienkompetenz ermöglichen. Ziel ist somit einerseits die Vermittlung eines sozialisatorischen Wissens über das Medienhandeln Jugendlicher als auch die Förderung von Medienkompetenz und mediendidaktischer Kompetenz bei Fachkräften. Nicht zuletzt kann die Jugendarbeit die digitalen Medien zukünftig noch stärker auch zur Vernetzung mit anderen Initiativen nutzen und auch dazu, die eigene Sichtbarkeit zu erhöhen.
Welche neuen Qualifikationen brauchen Fachkräfte in der Jugendarbeit sowie Medienpädagoginnen und Medienpädagogen?
Lutz Vor allem müssen Fachkräfte verstehen, was Jugendliche an medialen Welten so fasziniert und wie wichtig sie für die Bewältigung ihrer Entwicklungsaufgaben sind. Den Überblick zu behalten ist nicht immer leicht – auch nicht für Medienpädagoginnen und Medienpädagogen.
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Aufruf zur Blogparade
merz erkundet in der Ausgabe merz 4/2017 Soziale Arbeit digital Potenziale in der Verbindung von offline und online und ruft mit diesem Beitrag, der auch in der Printausgabe erschienen ist, zu einer Blogparade "Jugendarbeit im digitalen Wandel" auf. Damit sollen neue Räume für die Diskussion über das Heftthema eingebunden werden.
Alle Leserinnen und Leser sind eingeladen, eigene Blogbeiträge zu ihrer Perspektive auf das Thema zu verfassen und diese mit dem Startbeitrag zu verlinken. Die Beiträge werden hier beim Beitrag gelistet, in der kommenden Ausgabe merz 5/2017 erscheint ein Kurzbericht zu den Beiträgen der Blogparade.
Zeitraum der Blogparade ist bis 15. September 2017 .
Beiträge können aber auch danach noch beigesteuert werden.
Für die Beiträge können die nachstehenden Leitfragen beantwortet, aber auch durch weitere Themenfacetten ergänzt werden:- Warum sollte sich Jugendarbeit mit digitalen Medien auseinandersetzen?
- Welche neuen Methoden, Ansätze oder Inhaltsbereiche für die Jugendarbeit entwickeln sich durch den Einbezug digitaler Medien?
- Was kann Medienpädagogik zur positiven Gestaltung des "digitalen Wandels" beitragen?
- Was sollte im Zuge der sogenannten Digitalisierung nicht passieren?
- Wie mit dem Dilemma umgehen, dass wir für unsere Arbeit kommerzielle Produkte nutzen, die Jugendlichen nicht ermöglichen, ihre privaten Daten ausreichend zu schützen? ggf. Welche weiteren Herausforderungen sehen Sie/siehst du?
- Sind medienfreie Angebote für Jugendliche in einer von Medien dominierten Welt notwendig? Warum?
- Wie sieht der Arbeitsalltag in der Jugendarbeit in fünf Jahren aus? Welche neuen Qualifikationen brauchen Fachkräfte in der Jugendarbeit und Medienpädagoginnen und Medienpädagogen dann?
Es laden ein: Niels Brüggen und Klaus Lutz für merz | medien + erziehung.Beitrag aus Heft »2017/04 Soziale Arbeit digital«
Autor: Verena Ketter, Klaus Lutz, Eike Rösch, Angela Tillmann
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spektrum
Nadja Zaynel: Wie Jugendliche und junge Erwachsene mit Down-Syndrom das Internet nutzen
In zwölf Leitfadeninterviews, vier Expertengesprächen sowie fünf teilnehmenden Beobachtungen wurde untersucht, wie Jugendliche und junge Erwachsene mit Down-Syndrom im Alter von 13 bis 28 Jahren das Internet nutzen und auf welche Barrieren sie dabei stoßen. Auf Basis der Erkenntnisse werden medienpädagogische Handlungsempfehlungen gegeben, die die Barrieren potenziell überwinden können.
Literatur
Aktion Mensch (2011). Web 2.0/barrierefrei. Eine Studie zur Nutzung von Web 2.0 Anwendungen durch Menschen mit Behinderung. www.publikationen.aktion-mensch.de/barrierefrei/Studie_Web_2.0.pdf [Zugriff: 22.05.2017].
Bernasconi, Tobias (2007). Barrierefreies Internet für Menschen mit geistiger Behinderung. Eine experimentelle Pilotstudie zu technischen Voraussetzungen und partizipativen Auswirkungen. Oldenburg: BIS-Verlag.
Bird, Gilian/Buckley, Sue (2005). Handbuch für Lehrer von Kindern mit Down-Syndrom. Zirndorf: G&S Verlag.Dobransky, Kerry/Hargittai, Eszter (2006). The Disability Divide in Internet Access and Use. In: Information, Communication and Society, 9 (3), S. 313–334.
Hargittai, Eszter (2002). Second-Level Digital Divide. Differences in People’s Online Skills. In: First Monday, 7 (4). www.firstmonday.org/htbin/cgiwrap/bin/ojs/index.php/fm/article/view/942/864 [Zugriff: 22.05.2017].
Landesarbeitsgemeinschaft Lokale Medienarbeit NRW (LAG) (2015). Methoden für eine Inklusive Medienarbeit. 20 Methodenkarten inkl. 5 Ergänzungskarten zu Behinderungsarten. www.medienarbeit-nrw.de/plugin.php?menuid=1&template=form_manager/templates/form.html&form_manager_id=3 [Zugriff: 31.05.2017].
McGuire, Dennis/Chicoine, Brian (2008). Erwachsene mit Down-Syndrom verstehen, begleiten und fördern. Stärken erkennen, Herausforderungen meistern. Zirndorf: G&S Verlag.
Niesyto, Horst (2009). Digitale Medien, soziale Benachteiligung und soziale Distinktion. In: MedienPädagogik. Zeitschrift für Theorie und Praxis der Medienbildung,Themenheft 17: Digitale Medien, soziale Benachteiligung und soziale Distinktion. www.medienpaed.com/17/niesyto0906.pdf [Zugriff: 22.05.2017].
Schluchter, Jan-René (2014). Medienbildung in der (sonder)pädagogischen Lehrerbildung. Bestandsaufnahme und Perspektiven für eine inklusive Lehrerbildung. München: kopaed.
Zaynel, Nadja (2017). Internetnutzung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Down-Syndrom. Wiesbaden: Springer VS.
Zaynel, Nadja (2014). „Lieblingsorte in Münster“ von Menschen mit Down-Syndrom. Unterstützende Techniken für Kinder und Jugendliche. In: InterAktiv (1), S. 23–25.
Zaynel, Nadja (2013). Wie Kinder und Jugendliche mit Down-Syndrom fernsehen. In: merz | medien + erziehung, 57 (4), S. 50–55.
Steffi Ebert: Kinderfilm und Kindheit in Europa
Der europäische Kinderfilm und die darin präsentierte Kindheit stehen im Mittelpunkt des Forschungsprojekts „Kinderfilm in Europa 2004-2015“. Damit berührt das Projekt filmwissenschaftliche und filmsoziologische Fragestellungen. Im Gegensatz zu bislang üblichen Einzelfallanalysen bzw. genrehistorischen Studien und Rezeptionsforschungen nähert sich das Projekt seinem Gegenstand mithilfe der Auswertung von zuvor online gesammelten Daten zu Kinderfilmproduktionen in Europa.
Literatur:
Brown, Noel. (2017). Children’s Film. New York: Wallflower Press.
Bühler-Niederberger, Doris (2011). Lebensphase Kindheit: theoretische Ansätze, Akteure und Handlungsräume. Grundlagentexte Soziologie. Weinheim: Juventa.
Drucker, Johanna (2017). „Digital Humanities als epistemologische Praxis“. In: Zeitschrift für Medienwissenschaft,16 (1), S. 115–124.
Exner, Christian/Kümmerling-Meibauer, Bettina (Hrsg.) (2012). Von wilden Kerlen und wilden Hühnern: Perspektiven des modernen Kinderfilms. Marburger Schriften zur Medienforschung. Marburg: Schüren.
Kirchhöfer, Dieter (Hrsg.) (2003). Kindheit in der DDR: die gegenwärtige Vergangenheit. Frankfurt am Main: Peter Lang.
Kümmerling-Meibauer, Bettina/Thomas Koebner (Hrsg) (2010). Kinder- und Jugendfilm. Reclams Universal-Bibliothek. Stuttgart: Philipp Reclam.
Rose, Jacqueline (1994). The Case of Peter Pan: Or The Impossibility of Children’s Fiction. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Twele, Holger (1993). Kinderkino in Europa. 1. Aufl. Frankfurt/Main: Bundesverb. Jugend und Film.Wolf, Steffen (1969). Kinderfilm in Europa: Darstellung der Geschichte, Struktur und Funktion des Spielfilmschaffens für Kinder in der Bundesrepublik Deutschland, ČSSR,Deutschen Demokratischen Republik und Großbritannien 1945–1965. München-Pullach: Dokumentation Verlag.
Forschungsgruppe Lehrerbildung Digitaler Campus Bayern: Kernkompetenzen von Lehrkräften für das Unterrichten in einer digitalisierten Welt
Der Beitrag ist das Ergebnis einer interdisziplinären Arbeitsgruppe mehrerer Universitäten im Kontext des Förderprogramms "Digitaler Campus Bayern". Auf der Grundlage von Vorarbeiten zum Konstrukt der Medienkompetenz wurde ein heuristisches Rahmenmodell medienbezogener Kernkompetenzen von Lehrkräften für das Unterrichten in einer digitalisierten Welt entworfen. Demnach benötigen Lehrkräfte eigene Medienkompetenzen sowie 19 professionsspezifische medienbezogene Lehrkompetenzen, die sich nach einer Wissens- und einer Handlungskomponente ausdifferenzieren und im Rahmen eines Phasenmodells unterrichtsbezogenen Handelns systematisieren lassen.
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Den gesamten Artikel können Sie hier downloaden.
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Literatur:
Bloemeke, Sigrid (2000). Medienpädagogische Kompetenz: theoretische und empirische Fundierung eines zentralen Elements der Lehrerausbildung. München: KoPäd.
Kultusministerkonferenz (KMK) (2012). Medienbildung in der Schule. www.kmk.org/fileadmin/Dateien/veroeffentlichungen_beschluesse/2012/2012_03_08_Medienbildung.pdf [Zugriff: 20.01.17].
Kultusministerkonferenz (KMK) (2016). Bildung in der digitalen Welt. Strategie der Kultusministerkonferenz. www.kmk.org/fileadmin/Dateien/pdf/PresseUndAktuelles/2016/Bildung_digitale_Welt_Webversion.pdf [Zugriff: 10.12.2016].
Valtonen, Teemu/Sointu, Erkko T./Mkitalo-Siegl, Kati/Kukkonen, Jari (2015). Developing a TPACK measurement instrument for 21st century pre-service teachers. In: Seminar.net - International Journal of Media, Technology & Life-Long Learning, 11 (2), S. 87-100.
Autorinnen und Autoren:
Forschungsgruppe Lehrerbildung Digitaler Campus Bayern: Florian Schultz-Pernice (LMU), Lena von Kotzebue (LMU), Ulrike Franke (LMU), Carina Ascherl (LMU), Carola Hirner (LMU), Birgit Neuhaus (LMU), Anja Ballis (LMU), Uta Hauck-Thum (LMU), Monika Aufleger (LMU), Ralf Romeike (Universität Erlangen-Nürnberg), Volker Frederking (Universität Erlangen-Nürnberg), Axel Krommer (Universität Erlangen-Nürnberg), Michael Haider (Universität Regensburg), Silke Schworm (Universität Regensburg), Christof Kuhbandner (Universität Regensburg) und Frank Fischer (LMU).
Martha Zan: Ohrenbär
Die literarische Kindersendung OHRENBÄR wird 30 Jahre alt. Doch welche Bedeutung hat diese so minimalistische Kunstform im Kinderalltag und in der Schule heute (noch)? Tatsache ist die enorme Relevanz der Zuhörförderung für Kommunikation und Sprach- und Schreibkompetenzen. Interessant ist, wie sich darin die Förderung von Fantasie verzahnt und welche Rolle dabei das Radio einnimmt.
Literatur:
Anfang, Günther (2015). Von der Medienerziehung zur aktiven Medienarbeit. In: Anfang, Günther/Demmler, Kathrin/Lutz, Klaus/Struckmeyer, Kati (Hrsg.), wischen klicken knipsen. Medienarbeit mit Kindern. München: kopaed, S. 263–265.
Greenfield, Patricia/Beagles-Roos, Jessica (1988). Radio vs. Television: Their Cognitive Impact on Children of Different Socioeconomic and Ethnic Groups. In: Journal of Communication,38 (2), S. 71–92.
Heidtmann, Horst (2004). Anspruch auf Qualität – Kinderradio aus bildungs- und kulturpolitischer Sicht. In: Schill,Wolfgang/Linke, Jürgen/Wiedemann, Dieter (Hrsg.), Kinder & Radio. München: kopaed, S. 37–44.
Imhof, Margarete (2010). Zuhören lernen und lehren. Psychologische Grundlagen zur Beschreibung und Förderung von Zuhörkompetenzen in Schule und Unterricht. In: Bernius, Volker/Imhof, Margarete (Hrsg.), Zuhörkompetenz in Unterricht und Schule. Beiträge aus Wissenschaft und Praxis. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, S. 15–30.
Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (mpfs)(Hrsg.) (2017). KIM-Studie 2016. Kindheit, Internet, Medien. Basisstudie zum Medienumgang 6- bis 13-Jähriger in Deutschland. Stuttgart.
Prieß, Eva (2014). Hörspielprojekte in der Grundschule: Anleitung zur spielerischen Vermittlung von Medienkompetenz. Hamburg: disserta.
Rogge, Jan-Uwe (1996). Hören als Erlebnis. Die Bedeutung von Hörkassetten im (Medien-)Alltag von Kindern. In: Schill, Wolfgang/Baacke, Dieter (Hrsg.), Kinder und Radio. Zur medienpädagogischen Theorie und Praxis der auditiven Medien. Beiträge zur Medienpädagogik, Bd. 2. Frankfurt/Main: Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik, S. 30–39.
Rogge, Jan-Uwe/Bartram, Angelika (2015). Lasst die Kinder träumen. Warum Phantasie wichtiger ist als Wissen. Reinbek: Rowohlt.Schill, Wolfgang (2008). Integrative Medienerziehung in der Grundschule. Konzeption am Beispiel medienpädagogischen Handelns mit auditiven Medien. München: kopaed.
Stiftung Medienkompetenzforum Südwest (Hrsg.) (2009). Ohren auf! Die Kunst des Zuhörens lernen und lehren. Eine Material- und Methodensammlung zur Zuhörförderung bei Kindern im Vorschulalter. Ludwigshafen: mkfs.Valkenburg, Patti M./Beentjes, Johannes W. J. (1997). Children's Creative Imagination in Response to Radio and Television Stories. In: Journal of Communication, 47 (2), S. 21–38.
Zukunftsinstitut (2013). www.zukunftsinstitut.de/artikel/medien/radio-in-zeiten-der-digitalisierung [Zugriff: 15.05.2017].
medienreport
Melanie Theissler: Wie erkenne ich Fake News?
Neue Wege des Lernens e. V. (2017). Fake News Check. iOS/Android, kostenfrei.
Auf Social Media nutzen sie gerne Schlagwörter, wie ‚Must see!‘ oder ‚unglaublich!‘, auf Onlinevideoplattformen treten sie häufig mittels sogenannter Clickbaits in der Videovorschau auf. Immer stärker rücken Fake News in den Fokus vieler sozialwissenschaftlicher Fachkräfte und Internetnutzender. Sie alle stellen sich dabei die Fragen, wie wahre von falschen Nachrichten unterschieden und welcher Quelle noch getraut werden kann. Der Verein Neue Wege des Lernens e. V. möchte Antworten darauf geben und stellt dazu die App Fake News Check als Hilfsmittel zur Aufklärung von Falschnachrichten zur Verfügung. Die Anwendung überprüft mithilfe eines Fragenkatalogs, ob es sich bei einer suspekten Nachricht um eine gefakte Meldung handelt oder ob ihrem Inhalt bedenkenlos vertraut werden kann.
Zur Überprüfung der Fake News werden die Userinnen und User durch 19 Fragen geführt, die auf virtuellen Karteikarten gezeigt werden. Jede Karteikarte beinhaltet eine Frage. Die nutzende Person kann diese Fragen in Bezug auf die von ihr verdächtige, falsche Nachricht beantworten. Die Fragen handeln von typischen Merkmalen falscher Nachrichten, ob es sich beispielsweise um besonders skandalöse Neuigkeiten handelt bzw. die Nachricht mit Quellen belegt wurde oder die Person zum Teilen der Nachricht aufgefordert wird. Nicht alle Fragen müssen beantwortet werden, um zur nächsten Frage zu gelangen. Am Ende der Befragung gibt Fake News Check in einer kurzen Auswertung eine Einschätzung, wie wahrscheinlich es ist, dass es sich bei der von Nutzenden verdächtigten Nachricht um Fake News handelt. Je mehr Fragen beantwortet werden, desto qualitativ hochwertiger ist auch die Einschätzung. Wenn die Userinnen und User während der Beantwortung der Fragen dem Hintergrund der ihnen gestellten Frage nachgehen wollen, können sie auf das Feld ‚Karte umdrehen‘ klicken. Hier wird der Hintergrund jeder Frage erläutert.
Wer noch keine genauen Vorstellungen hat, wie die App richtig zu bedienen ist, kann über das Feld ‚Bedienen‘ mehr erfahren. Hier wird erklärt, welche Funktion die App hat, welcher Nutzen sich dahinter verbirgt und vor allem auch, was die Anwendung nicht leisten kann. Fake News Check ist zugunsten des informativen Charakters gestalterisch einfach und von der generellen Farbnutzung schlicht-freundlich gehalten. Farben werden nur gezielt im Zusammenhang zur positiven oder negativen Auswertung der Nachricht eingesetzt. Auch die Handhabung der Anwendung ist sehr nutzerfreundlich. Durch den Homescreen, von welchem aus alle Funktionen erreicht werden können, finden sich die Nutzerinnen und Nutzer leicht und intuitiv gut in der Anwendung zurecht.
Die App Fake News Check eignet sich sehr gut für pädagogische Zwecke und die Förderung von Medienkompetenz im Unterricht. Gemeinsam mit (medien-)pädagogischen Fachkräften und in Form des Blended Learning können Kinder und Jugendliche entsprechende Medienkompetenzen zum selbstständigen Identifizieren von Fake News erwerben. Die App kann als unterstützende Methode bzw. als zusätzliche praktische Übung zu anderen didaktischen Mitteln fungieren. Unter einer professionellen Anleitung kann der eigentliche Nutzungszweck der App vermittelt und die Anwendung adäquat angewandt werden. So können Kinder und Jugendlichen gemeinsam mit den Lehrenden anhand typischer Kennzeichen den Unterschied lernen, vertrauenswürdige Quellen von nicht-vertrauenswürdigen zu unterscheiden. Unterstützend wirken dabei das in die App inkludierte Glossar sowie eine Linkliste mit thematisch weiterführenden Internetadressen. Beide Funktionen ermöglichen Projektarbeiten in medienpädagogischen Kontexten, wie zum Beispiel das Lernen entsprechender Fachtermini oder das Kennenlernen von gemeinnützigen Vereinen, Blogs oder EU-Initiativen, die für die Sicherstellung und Verbreitung von wahrheitsgetreuen News arbeiten.
Der Verein Neue Wege des Lernens e. V. bietet beispielsweise eine praktische Anleitung sowie Arbeitsmaterialien zum didaktischen Umgang mit der Anwendung Fake News Check im Unterricht. Dies bietet Lehrenden eine genaue Anweisung zum Umgang mit der Anwendung, um Schülerinnen und Schülern ein auf die App konzipiertes Projekt durchzuführen. Nach Beenden eines solchen Projekts helfen Fragenkatalog sowie Glossar den Jugendlichen, das erlernte Wissen beizubehalten und nach Belieben aufzufrischen. Personen außerhalb des (medien-)pädagogischen Rahmens allerdings, die sich nicht ausführlich mit der App Fake News Check beschäftigen und Nachrichten im Alltag kurzfristig auf ihre Tauglichkeit überprüfen möchten, neigen eher dazu, sich auf die Auswertungsergebnisse zu verlassen statt sich auf das eigene Hintergrundwissen und Reflexionsvermögen zu berufen. Der Namen der App ist hierbei tendenziell irreführend, da es die Nutzenden zur Annahme verleitet, sich auf die Richtigkeit des automatisch erzeugten Ergebnisses verlassen zu können. Zwar wird in der Anleitung der App erklärt, dass es sich hierbei um keine hundertprozentig zuverlässige Überprüfung von Falschnachrichten handelt, jedoch wird dies erst in der gesonderten weiterführenden Bedienungsanleitung deutlich.
Die edukativen Zwecke, nämlich das Lehren des selbstständigen Erkennens sowie ein sicherer Umgang mit Fake News, könnten zum Beispiel in Form eines im Homescreen inkludierten Hinweises verdeutlicht werden. Grundsätzlich erreicht der Weg des virtuellen Lernens insbesondere Kinder und Jugendliche aber hervorragend, da sie mit Apps ohnehin nahezu ausnahmslos vertraut sind. Jedoch könnte aufgrund einer vorschnellen Annahme über den Gebrauch der App als unhinterfragter Qualitätscheck der positive Anreiz schnell verloren gehen. Die ursprüngliche Intention, die Zielgruppe beim Kompetenzerwerb zu unterstützen, würde damit untergraben werden. Dieser ambivalente Charakter lässt fragen, ob junge Nutzende mit wenig Erfahrung im Umgang mit Falschberichterstattung den Fragenkatalog selbstständig und mit einer hohen sowie sicheren Antwortquote bearbeiten können. Daher kann die Anwendung verstärkt (medien-)pädagogischen Fachkräften der Praxis sowie Lehrkräften empfohlen werden, die das Ziel der Entwicklungsförderung von Kindern und Jugendlichen verfolgen.
Die Anwendung kann im Google Playstore bzw. Apple Store kostenfrei heruntergeladen werden.
Beitrag aus Heft »2017/04 Soziale Arbeit digital«
Autor: Melanie Theissler
Beitrag als PDFEinzelansichtAntje Müller: „musstewissen“, sagt funk
„Im Unterricht nicht aufgepasst? Bei den Hausaufgaben keinen Plan und morgen eine Klassenarbeit? Hättste wisse müsse? Kannste wissen – musstewissen ...“ – seit Mitte März diesen Jahres ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk mit seinem Angebot musstewissen auf YouTube vertreten. Produziert von funk, entwickelt das ZDF in Kooperation mit der ARD ein schulbegleitendes Edutainment-Angebot, dass studierte Expertinnen und Experten aus Natur-, Geschichts- und Kommunikationswissenschaften zusammenführt und zu E-Lehrkräften macht. Adressiert an Achtklässlerinnen und -klässler soll Jugendlichen zwischen 14 und 29 Jahren Grundwissen in Mathe, Deutsch, Chemie, Geschichte und Physik vermittelt werden, das ihnen bei Klausuren, Referaten oder Hausarbeiten helfen und ganz nebenbei auch noch Spaß machen soll.
Die Playlist erweitert sich wöchentlich um ein neues Erklärvideo, wobei die Inhalte auf die Lehrpläne der verschiedenen Bundesländer und Schulformen abgestimmt sind. Immer montags stehen Formeln, Gleichungen und Textaufgaben mit dem journalistisch bewanderten ‚Mathe- Kumpel‘ Nicole Valenzuela auf dem Stundenplan. Dienstags läuft ‚Die Klugscheisserin‘ und musikalische Europaexpertin Lisa Ruhfus im Kanal musstewissen Deutsch zur theatralischen Höchstform auf. Bergfest gefeiert wird mit der smarten Polymerforscherin Mai-Thi Nguyen-Kim von schönschlau und Terra X Lesch & Co, die jeden Mittwoch zu einem charmanten Ausflug in die Welt der Chemie einlädt. Donnerstags wird mit dem unterhaltsamen, pädagogisch versierten Geschichtenerzähler MrWissen2go Mirko Drotschmann in historisch bewegte Zeiten und das Leben spannender Persönlichkeiten eingetaucht. Und schließlich wird am Freitag mit dem witzigen, sportlich-musikalischen Dreamteam Simon Weßel-Therhorn und Eduard Flemmer von LekkerWissen und einer doppelten Portion physikalischer Experimente ins verdiente Wochenende gejumpt. Wer trotzdem noch nicht gut genug vorbereitet fühlt, findet auf Instagram und Facebook den passenden Spickzettel, einschließlich weiterer spannender Fakten zum behandelten Stoff. Alle musstewissen-Kanäle zeichnen sich durch eine einheitliche Struktur und Aufbereitung aus. Eingesetzt werden zahlreiche animierte Erklärgrafiken, um das Gesagte verständlich zu machen. Typisch sind die immer wiederkehrenden Merkkästen mit Begriffsklärungen, Schlagwörtern, Formeln oder Zusammenfassungen. In den Geschichts-‚lesungen‘ wird darüber hinaus mit unaufgeregten Hintergrundbildern gearbeitet, die – wie in einer Diaprojektor-Vorführung – regelmäßig wechseln.
Jeder Kanal fokussiert die Stärken seines Fachgebiets. So nutzt das Physiker-Duo die Chance auf Experimente unter Einsatz abwechslungsreicher Beispiele wie Skateboards, Taschenlampen oder Holzstäbe, während sich in Deutsch auf aufwendig produzierte, humorvolle Bühnendarbietungen mit Aha-Effekt konzentriert wird. In Mathematik gibt es dagegen Schritt-für-Schritt-Anleitungen für schwierige Formeln mit einer angenehmen Vortragsgeschwindigkeit und musstewissen Chemie wiederum bewegt sich im Spannungsfeld informatives Labor mit Coolnessfaktor und Augenzwinkern. Manche Themen werden relativ zügig innerhalb von drei Minuten erklärt, mit anderen setzt sich das YouTuber-Team in bis zu elf Minuten auseinander – und das gern auch auf Wunsch der Community. Generell wird auf Anschlusskommunikation und Interaktion in den Kommentaren hoher Wert gelegt. Die überwiegend positiven Resonanzen fallen dabei recht unterschiedlich aus und stammen gerade in den Kanälen Mathe und Deutsch häufig von Älteren, wie Studierenden oder auch kritischen pädagogischen Fachkräften. Auffallend hoch frequentiert kommt dagegen Geschichte bei der eigentlich adressierten Zielgruppe an. Die hohe Eignung zum Zuschauen oder auch Nebenbeihören der ersten musstewissen Geschichte- Produktionen scheinen einen Nerv zu treffen. Wer es dagegen lieber unterhaltsamer und dynamischer mag, schaltet musstewissen Deutsch oder Physik ein. Obgleich der zahlreichen humorvollen Analogien, Metaphern und anderer abwechslungsreicher (sprachlicher) Erklärmittel ist das Informationslevel mindestens immer gleich auf mit dem Unterhaltungslevel und hält konstant die Erklärlinie vom Einfachen zum Komplizierten, vom Konkreten zum Abstrakten. Doch trotz innovativer Elemente bleibt musstewissen eher dem klassischen Frontallehrer-Unterrichtsstil zugeneigt, der Schrift und Zahlen fixiert. Die Gestaltungsmittel sind zwar vielfältiger und helfen den visuellen Lerntypen, dennoch ist die Nähe zur Kindernachrichtensendung logo! auffällig.
Insbesondere die Animationen erinnern häufig an das bekannte Erklärstück. Dieses zentrale Element, welches alle Kanäle verbindet, könnte – entsprechend dem Innovationscharakter des Formats – einen eigenständigen Anstrich vertragen. Neben zum Teil hohen Sprechgeschwindigkeiten und Inhalte-Dynamiken, die je nach Thema auch gut angekommen, zeigt sich eine Entwicklung zum ‚Glattmachen‘ des Edutainment- Angebots. Wo sich am Anfang noch Versprecher, Lacher und sichtbare Begeisterung zeigten, stehen mittlerweile häufiger perfektionierte, monotone Vorträge ohne Höhen und Tiefen und konventionelle Unterrichtsbeispiele auf dem Plan. Mit Blick auf die beliebtesten YouTuberinnen und YouTuber der 14- bis 29-Jährigen und die hohe Bedeutsamkeit ihrer Persönlichkeit, besteht Potenzial, die Community mit einer stärkeren Nähe ganz individuell und authentisch anzusprechen. musstewissen bietet dennoch mit seinem umfangreichen Lernvideoangebot eine gute Ergänzung zum Unterricht. Durch die Besetzung wird das Klischeebild einzelner Fachgebiete aufgeweicht und die hohe Varianz eingesetzter Gestaltungs- und Aufbereitungsmittel zeigt die Experimentierfreudigkeit wie auch hohes Engagement der Macherinnen und Macher. Zwar erreicht das Angebot noch vorwiegend Studierende, Erwachsene und pädagogische Fachkräfte, nichtsdestotrotz schafft musstewissen ein gut aufbereitetes, ansprechendes Angebot, dass zum freiwilligen selbstständigen Lernen motiviert und denjenigen helfen kann, die neben der direkten Schüler-Lehrer-Interaktion nach alternativen, leicht verständlichen Lernmitteln suchen.
Günther Anfang: Von Athen lernen?
Vielleicht wäre es für die documenta 14, die aktuell in Kassel stattfindet, besser gewesen, erst einmal von den Erfahrungen der vergangenen documentas zu lernen. Denn was diese documenta auszeichnet, ist eher Beliebigkeit als ein stringentes und pfiffiges Konzept. Neues steht neben Altem, Kunst aus Griechenland neben Leihgaben aus aller Welt und das Ganze ist wenig inspirierend. Schon das Programmheft ist so unübersichtlich, dass man immer wieder darin blättert, um nachzuvollziehen, wo was warum ausgestellt wird. Relativ sicher ist dabei, dass alles, was im Fridericianeum ausgestellt wird, aus dem Athener Nationales Museum für Zeitgenössische Kunst (EMST) stammt. Im Gegenzug wurde alles aus dem Fridericianeum nach Athen verfrachtet. Kulturaustausch nennt man das. Die Grundidee des Kurators der documenta 14, Adam Szymczyk, war ja, die documenta dieses Mal an zwei Orten – in Kassel und in Athen – stattfinden zu lassen.
Da waren die Athener gar nicht so begeistert, denn wieso sollen sie plötzlich eine Veranstaltung gut finden, die nicht ihre eigene ist? Kunst haben sie in Griechenland wahrlich genug. Und Sorgen haben sie wahrlich auch andere. Wir schenken euch ein bisschen Kunst, aber die Kredite erlassen wir euch nicht, könnte man böse behaupten. Einige sprechen sogar von Kulturimperialismus. Nun gut, das Festival in Athen kann von meiner Seite aus nicht weiter bewertet werden, da ich nicht selbst dort war. Aber dafür können Eindrücke von Kassel wiedergegeben werden. Und die sind leider nur bedingt positiv. Es fängt schon damit an, dass Kassel an und für sich keine besonders attraktive Stadt ist. Die documenta hätte da die Chance, alle fünf Jahre Glanz in die Stadt zu bringen. Auf dem Friedrichsplatz gelingt das auch ein bisschen, denn da steht ein großer, aus verbotenen Büchern bestehender Parthenon. Der macht erst einmal was her. Allerdings wird bei näherem Betrachten klar, welche Bücher da alles als verboten verbaut wurden. Da sind die Buddenbrooks ebenso dabei wie der Da Vinci Code. Insgesamt 50.000 Bücher, die irgendwo auf der Welt einmal verboten waren oder es heute sind, sollen den Parthenon der Bücher nach dem Willen der argentinischen Künstlerin Marta Minujín bilden. Als Kunstprojekt ist es eine Neuauflage des Parthenons, den sie 1983 in Argentinien zum Ende der Militärdiktatur errichten ließ. Damals waren es aber verbotene Bücher der Militärdiktatur. In Kassel sind es alle Bücher, die irgendwo und irgendwann einmal verboten waren.
Hier fängt die Beliebigkeit dieser documenta an. Vieles erschließt sich den Besucherinnen und Besuchern nicht, und bei vielen Exponaten bleibt unklar, warum sie ausgestellt wurden. Die Kunst der Gegenwart ist dieses Mal an viel zu vielen Orten verteilt und geht im Sammelsurium der bestehenden Ausstellungen unter. Irgendwie weiß man nie genau, gehört das nun dazu oder hängt es auch normalerweise im jeweiligen Ausstellungsgebäude. Somit bleiben wenig erhellende Eindrücke. Da sticht noch am meisten die Neue Galerie heraus, die in der ehemaligen Hauptpost und Briefzentrum von Kassel untergebracht ist. Hier beeindrucken sowohl der Ort der Ausstellung, eine riesige Industriehalle, als auch die verschiedenen zum Teil großflächigen Exponate. Und hier wird die documenta endlich auch politisch. Das Video 77sqm_9.26min (2017) rekonstruiert die Ermordung des 21-jährigen Halit Yozgat in seinem Internetcafé im Jahr 2006. Forscher des Forensic Architecture Institute London bezweifeln in dem Video, dass der damalige hessische Verfassungsschützer Andreas Temme von dem Mord durch den NSU nichts mitbekommen hat. Das Video ist auf drei Bildschirme aufgeteilt: Auf einem ist eine Zeitleiste zu sehen, auf dem anderen nachgestellte Szenen mit Schauspielern, auf einem anderen laufen Computeranimationen ab. Obwohl oder gerade weil es nüchtern gehalten ist, berührt das Video und lässt Besucherinnen und Besucher der documenta mit vielen Fragen zurück.
Mit einer ganz anderen Ausprägung von Gewalt beschäftigt sich eine Künstlerin, die der Gemeinschaft der Sámi in Norwegen angehört. Máret Ánne Sara hat einen morbiden Vorhang aus 300 Rentierschädeln mit Einschusslöchern (Pile o’ Sápmi, 2017) geknüpft. Sie erinnert damit an den Kampf der Sámi um die eigene Identität, zu der das Halten kleiner Rentierherden gehört. Die wiederum waren immer wieder von massenhaften Zwangskeulungen betroffen. Auch hier ist man unwillkürlich mit Fragen konfrontiert, die den Umgang mit Minderheiten im Land betreffen und warum sich hier niemand dagegen stellt. Eine weitere wichtige Fragestellung, die die documenta aufgreift, ist der Umgang mit Flucht in Europa. Diesem Thema widmen sich vor allem die Exponate in der documenta Halle. Der mexikanische Künstler Guillermo Galindo macht hier mit Wrackteilen von Booten (Fluchtzieleuropahavarieschallkörper, 2017) auf das Leid von Flüchtlingen aufmerksam. Allerdings stellt sich Besucherinnen und Besuchern auch hier die Frage, inwieweit ein pittoreskes kaputtes Boot das Leid der Flüchtlinge sichtbar machen kann. Hier steht man als Gaffer vor einer tragischen Geschichte und bekommt das Gefühl nicht los, sich am Leid der Flüchtlinge noch zu ergötzen.
Schließlich und endlich wird man auf der documenta 14 dann doch noch provoziert und es bleibt offen, ob hier nicht ein Skandal riskiert wird. Provokateur ist der Peruaner Sergio Zevallos, der in der Neuen Galerie seine Arbeit A War Machine ausstellt. Zavallos übernimmt in seiner Installation pseudodokumentarisch die Schädelmaße, mit denen Ethnologen zu Kolonialzeiten beweisen wollten, dass ‚Wilde‘ von Natur aus dumm sind. Die Maße legt er an (vermeintlich) geborene Kriminelle an. Am Ende formt er daraus Schrumpfköpfe und erstellt eine Fotowand mit Fotos, auf der man zum Beispiel das mutmaßliche NSU-Mitglied Beate Zschäpe findet. Aber auch ein Foto von der Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen oder der IWF-Chefin Christine Lagarde. Fraglich bleibt hier, ob das dumm dreist oder einfach nur oberflächlich provokativ ist. Ich weiß es nicht, genau so wenig, wie ich etwas über das Konzept dieser documenta weiß.
Die documenta 14 in Kassel läuft noch bis 17. September 2017.
Beitrag aus Heft »2017/04 Soziale Arbeit digital«
Autor: Günther Anfang
Beitrag als PDFEinzelansichtGünther Anfang: VIVA ARTE VIVA
Neulich fragte mich meine Tochter (8 Jahre), ob ich mit ihr nicht in die Pinakothek der Moderne in München gehen will, denn sie wolle mir dort etwas zeigen. Ich war erst einmal erstaunt, da die Pinakotheken ja nicht unbedingt ein Ort sind, den Kinder als erstes nennen, wenn sie Spaß haben wollen. Hintergrund war allerdings gleichzeitig auch, dass meine Tochter die Pinakotheken mit mir schon immer gerne besucht hat, da es da leckere Trinkschokolade (= Spaßfakator) gibt, und sie kurze Zeit zuvor mit ihrer Schulklasse eine Führung in dem Museum besucht hatte. So ließ ich mich gerne auf diesen Vorschlag ein und machte mich zusammen mit meinen beiden Töchtern (7 und 8 Jahre) auf den Weg ins Museum. Am Ort angekommen wurde ich auch gleich zielgerichtet zu drei Kunstwerken geführt. Das erste Bild war eines von Pablo Picasso, Madame Soler (1903), aus seiner blauen Periode. „Schau, das hat der Picasso in blau gemalt, weil die Frau traurig ist. Und jetzt zeig ich dir noch eines!“
Das nächste Bild stammte von Max Beckmann: Bildnis Quappi in Blau. „Hier ist die Frau auch in blau gemalt, weil sie auch traurig ist!“. Auf die Frage, woher sie das denn wisse, antwortete sie: „Von einer Frau, die uns das letzte Woche bei unserem Schulausflug gesagt hat. Und die hat uns noch ein Bild gezeigt!“. Sofort wurde ich an der Hand genommen und durch drei weitere Räume dirigiert, bis wir vor einem ziemlich düsteren Bild von Georg Baselitz standen. „Hier musst du dich auf den Kopf stellen, um das Bild erkennen zu können!“ Okay, nachdem ich mich auf den Kopf gestellt hatte, erkannte ich zwei männliche Figuren. „Der hat alles auf dem Kopf gemalt!“ Nun gut, ich hatte verstanden: blau ist traurig und Baselitz kopfüber. Die Erkenntnis über Kunst war für diesen Tag erst einmal perfekt, nun war Trinkschokolade angesagt. Mit Kindern Kunstausstellungen zu besuchen ist immer wieder spannend und macht Spaß. Vor allem dann, wenn es gelingt, dass die Kinder selbst durch die Ausstellung führen. Da reichen auch drei Exponate. Ganz anders ist es natürlich, wenn man ein ganzes Kunstfestival wie die Biennale 2017 in Venedig besucht, die dieses Jahr unter dem Motto VIVA ARTE VIVA steht. Auch da gelingt es, Kunst und Spaß miteinander zu verbinden, wenn man nur der Entdeckerfreude freien Raum lässt. Bei der Biennale wird vor allem im Arsenale, der ehemaligen Schiffswerft von Venedig, einiges geboten. In den riesigen Lagerhallen gelangt man von einer Installation zur anderen. Vieles ist beindruckend allein dadurch, dass es groß und farbenprächtig ist.
Auch bei der diesjährigen Biennale gibt es dort einiges zu bestaunen. Gleich am Eingang der Arsenale stößt man auf mehrere riesige Marmorkugeln der aus Polen stammenden Künstlerin Alicja Kwade: Pars pro Toto (2017, Naturstein, Sand). Hier könnte man natürlich herrlich damit spielen. Zumindest anfassen darf man die Kugeln und das ist ja auch schon etwas Besonderes. Für Kinder ist aber auch ein netzartiges Zeltdach, in das man hineinschlüpfen und darin auf Trommel-Musik machen kann, beeindruckend. Die Installation Um Sagrado Lugar (A Sacred Place) stammt von Ernesto Neto. In diesem Zelt können sich die Besucherinnen und Besucher in brasilianische Schamanenrituale einweisen lassen und Einblicke in das Leben von Huni-Kuin- Indianern aus dem Amazonas erhalten. Den Kindern bereit das sehr viel Freude, denn wer will nicht gerne mit anderen in einem Zelt trommeln und Schamanenrituale kennenlernen. Ebenso beeindruckend ist ein Kunstwerk, das aus bepflanzten Schuhen besteht. Die von Michel Blazy gestaltete Collection de Chaussures zeigt eine Installation mit Schuhen, Pflanzen, Erde und Wasser und sticht schon deshalb hervor, da man unweigerlich plötzlich aus allen Schuhen Pflanzen sprießen sieht. Genauso überwältigend ist ein Kunstwerk des Schweizer Künstlers Julian Charriere, der in Berlin lebt. In Venedig zeigt er eine Installation aus Salz des bolivianischen Salzsees Salar de Uyuni mit dem Titel Future Fossil Spaces. Die riesigen Salzsäulen kann man umrunden und sich dazwischen verstecken. Wenn das kein Abenteuer ist! Schließlich und endlich gelangt man bei der Biennale 2017 noch zu einer riesigen Textilinstallation der US-amerikanischen Künstlerin Sheila Hicks, die in Paris lebt. In Venedig zeigt sie ihre Installation Scalata al di la dei terreni cromatici / Escalade Beyond Chromatic Lands, das sind bunte Wollknäuel im gigantischen Ausmaß. Bei deren Anblick möchte man sich am liebsten mittenreinlegen und Pause machen. Doch beim Stichwort Pause machen sollte man nicht vergessen, dass Kinder beim Besuch von Kunstausstellungen einige Pausen brauchen, in denen es Eis, Getränke und Zeit zum Spielen gibt. Dann kann ein Besuch einer Kunstausstellung gelingen, und muss auch nicht immer mit heißer Schokolade sein. Die 57. Biennale in Venedig läuft noch bis 26. November 2017.
Beitrag aus Heft »2017/04 Soziale Arbeit digital«
Autor: Günther Anfang
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publikationen
Antje Müller: Gender und Gaming
Hahn, Sabine (2017). Gender und Gaming. Frauen im Fokus der Games-Industrie. Bielefeld: transcript. 226 S., 34,99 €.
Spielen ist ein zentraler Bestandteil verschiedenster Kulturen. Es ist nicht nur unterhaltend oder dient eskapistischen Motiven, vielmehr transportiert es eine Fülle an kulturtypischen Besonderheiten, Normen und Werten. Ganz allgemein genießt Spielen aber auch gesellschaftsübergreifendes Ansehen, das mit seinem interaktionistischen Charakter mit Leichtigkeit soziale Gruppen zusammenführt, Fremdheit in Freundschaft verwandelt und sich dabei einem zur Sprache alternativen Kommunikationsmedium bedient. Diese positive Zuschreibung, oft verbunden mit einer freudigen, kindlichen Erinnerung, stand lange Zeit in Kontrast zum Ruf digitaler Spiele. Verpönt als ‚Killerspiele‘, die nicht zuletzt durch vermehrte Amokläufe skandalisiert wurden, galten sie allein durch ihre Neuartigkeit in der Medienlandschaft als verhaltenspsychologisch riskant.
Erst zu Beginn des 21. Jahrhunderts konnten sie einen kulturellen wie auch wirtschaftlichen Aufstieg verzeichnen. Als fester Bestandteil des Medienalltags breiter Bevölkerungsschichten erreichen digitale Spiele inzwischen jeden zweiten Deutschen und gelten seit 2008 ganz offiziell als Medium mit Kulturgutcharakter. Entwicklungen wie diese fördern digitale Spiele in ihrer Zugänglichkeit für Randgruppen. Führende Personen des öffentlichen Lebens und der Politik zeigen eine höhere Aufgeschlossenheit, aber vor allem auch weibliche Spielerinnen interessieren sich zunehmend für die immer vielfältiger werdenden Spieledesigns und -content. Unlängst stellen Gamerinnen mit einem Anteil von rund 50 Prozent eine wirtschaftlich hoch relevante Zielgruppe dar, die nicht zuletzt die Kaufentscheidungen männlicher Familienangehöriger treffen.
Die ehemalige Games-Entwicklerin, Sabine Hahn, unternimmt aus diesem Grund mit ihrem Werk Gender und Gaming den notwendigen Schritt, digitale Spiele von ihrem überholten ‚Boys Toys‘-Image zu lösen und verdeutlicht, dass Konsuminteressen weiblicher Gamerinnen und die erhöhte Offenheit gegenüber Games-Entwicklerinnen eine stärkere Berücksichtigung finden sollten. Ausgehend vom theoretischen Ansatz des Virtuous Cycle untersucht sie das ‚Henne-Ei-Problem‘, dass der Annahme unterliegt, dass der wachsende Anteil der von weiblichen Spielerinnen bevorzugt gespielten Games zusammen mit einer erhöhten Unterstützung der im Arbeitsumfeld integrierten weiblichen Werte sowie Arbeitsstile dazu führt, dass sich mehr Mädchen und Frauen für Games interessieren. Der Virtous Cycle bewirkt dementsprechend die Herstellung solcher digitaler Spiele, die sich insbesondere an Frauen und Mädchen wenden, weil mehr Entwicklerinnen an Games arbeiten und dieser Umstand wiederum dazu führt, dass mehr Spiele entstehen, die Frauen und Mädchen anziehen. Als Kulturwissenschaftlerin, Soziologin und Journalistin untersucht Hahn, die selbst zehn Jahre in der englischen, koreanischen und amerikanischen Spieleindustrie beschäftigt war, konsequenterweise die weiblichen (Konsum-)Interessen und Bedingungen zur Schaffung attraktiver Beschäftigungsmöglichkeiten für junge Frauen und Mädchen.
Sie widmet sich in der Publikation der Wirksamkeit des sozio-kulturellen Geschlechts und dessen Rolle in der Gamer-Industrie und -Kultur. Der Grundannahme folgend, dass alle Ebenen in einem positiven Zusammenhang des Virtuous Cycle stehen, konzentriert sie sich darüber hinaus auf die Situation der Frauen innerhalb der Unternehmen der Spieleindustrie und erörtert unterschiedliche Fragestellungen im Hinblick auf Frauen und digitale Spiele. Der Band beschäftigt sich ausführlich mit der Begriffsbestimmung und Einordnung digitaler Spiele. Es werden nicht nur Definitionen aus unterschiedlichen kommunikations- und kulturwissenschaftlichen Perspektiven herausgearbeitet, sondern parallel auch die Relevanz und das Erkenntnisinteresse digitaler Spiele als Kulturgut, als Medium und als Wirtschaftsfaktor transparent gemacht. Innerhalb der theoretischen Perspektiven bedient sich Hahn grundlegenden Erkenntnissen der Games Studies, arbeitet Genderaspekte in Games und Gaming heraus und erläutert die Wirkweise des Virtuous Cycle.
Dieser eröffnet eine spannende neue Sicht auf das Forschungsfeld der Computerspiele und unterstreicht die Forderung nach Diversity, welche sich implizit an die marktentscheidenden, an der Formung und Internalisierung von stereotypen Werten und Einstellungen beteiligten Urheberinnen und Urheber richtet. Das Wirkkonzept sowie die Tragweite des Virtuous Cycle verdeutlicht Hahn unter anderem durch Exkurse zu Die Sims, das erstmals einen meßbaren, wirtschaftlichen Erfolg bei Gamerinnen erzielte. Weitere Ausführungen, wie zur #GamerGate- Debatte oder zum Girl Game Movement, vermitteln darüber hinaus wichtiges Insiderwissen und eine kritische Auseinandersetzung mit bisher eher unterbeleuchteten Entwicklungen in der Computerspielbranche. Im zweiten Teil des Bandes setzt sich Hahn intensiv mit dem Forschungsstand zu Frauen und digitalen Spielen auseinander, wobei es ihr gelingt, sowohl die wichtigsten Vertreterinnen und Vertreter aus dem Fachbereich Gender und Games mit deren aktuellsten Forschungsergebnisse zu bündeln als auch eine hochgradige Internationalität abzubilden.
Einen stärkeren synoptischen und wissenschaftlich-analytischen Blick kann und will dieser Band zwar nicht leisten, dafür unterstützen die gesammelten Ergebnisse jeden wissenschaftlich Interessierten und Arbeitenden bei der Gewinnung eines Überblicks über das noch junge Forschungsfeld. Abgesehen von einer mitunter auftretenden inhaltlichen Überschneidung wird mit einer einfachen und verständlichen Sprache und mithilfe zahlreicher Studien- und Hintergrundinformationen die wissenschaftliche und wirtschaftliche Relevanz des Themas nachvollziehbar gemacht. Auch wenn der Einsatz einer gendersensiblen Sprache den Eindruck des Bandes nicht gemindert hätte, wurden wichtige neue Aspekte wie die Bedeutsamkeit von Games als Werte- und Rollenmodell- Lieferant oder die Relevanz von Narration in Games sowie die sozialen und ökonomischen Auswirkungen des Geschlechts bei der Produktentwicklung zu Tage gefördert.
Der Fokus im Gender- und Gaming- Diskurs auf den Virtuous Cycle als Kernursache für die Abwesenheit von Interessentinnen und Konsumentinnen hätte mit einer Ausweitung des Blicks auf andere relevante Ursachen, die beispielsweise der strukturellen Gewalt inhärent sind, noch abgerundet werden können. Insgesamt liefert Gender und Gaming eine empfehlenswerte Überblicksarbeit mit einem ersten Zugang auf die Expertenperspektive der Produzenten zu einem kulturell bedeutsamen Forschungsgebiet. Im Wirkkreis der Computerspiele werden Frauen als relevante Zielgruppe betrachtet, die nicht nur als Konsumenten Schnittpunkte liefern, sondern zugleich auch in der Spielindustrie sowie als Spielfiguren Einfluss auf die Entwicklung stereotyper Wertvorstellungen nehmen. Die Publikation präsentiert sich mit eine gelungenen Verzahnung unterschiedlichster Forschungsperspektiven und lädt mit einem zu Recht erhaltenen Platz im Forschungsbereich der Gender und Games Studies zur näheren Überprüfung des Virtuous Cycle ein.
Bernsen, Daniel/Kerber, Ulf (Hrsg.) (2017). Praxishandbuch Historisches Lernen und Medienbildung im digitalen Zeitalter. Opladen: Barbara Budrich. 447 S., 36,00 €.
Medienbildung soll Teil des Unterrichts werden. Aber wie kann das praktisch aussehen? Das Herausgeberteam Bernsen und Kerber zeigt im Sammelband Praxishandbuch Historisches Lernen und Medienbildung am Beispiel des Schulfachs Geschichte exemplarisch, wie mit Hilfe digitaler Medien unterrichtet werden kann. Zentral sind hier die Darstellung und der Zugang zu Quellen sowie das formelle und informelle Lernen. Ziel ist eine Verknüpfung von Geschichtsdidaktik und Medienpädagogik, um so Medienbildung entsprechend kreativ und nahe am Unterricht zu fördern. Der Band ist in vier Hauptteile aufgeteilt. Der erste Teil beschäftigt sich mit den Grundlagen des historischen Lernens mit digitalen Medien und gibt neben einer thematischen Einführung erste medientheoretische Überlegungen für die Geschichtsdidaktik.
Der zweite Teil beschreibt den digitalen Wandel in der Geschichtswissenschaft, -kultur und dem Geschichtslernen. Hier wird sich Fragen hinsichtlich der Veränderungen durch die Digitalisierung für die Geschichtswissenschaft, für Archive oder Museen und deren Auswirkungen für das historische Lernen gewidmet. Im dritten Teil werden konkrete Vorschläge zur digitalen Unterrichtsgestaltung dargelegt und reflektiert, welche im vierten Teil anhand von Beispielen verdeutlicht werden. Hier wird auch auf Kompetenzen, Methoden und weiterführende Möglichkeiten eingegangen. Der Sammelband beschäftigt sich sehr umfangreich mit der Thematik und bewegt sich sprachlich wie inhaltlich auf einem anspruchsvollen Niveau. Das Werk empfiehlt sich daher eher für Lesende mit etabliertem Vorwissen in Forschung und Praxis, insbesondere in den Kommunikations- oder Sozialwissenschaften.
Dank des gesonderten Querverweisverzeichnisses dient es aber auch als Nachschlage- und Anleitungswerk zu möglichen theoretischen Hintergründen. Erläuterungen von Definitionen und Technologien sowie Vorschläge für Unterrichtskonzepte mit digitalen Medien liefen außerdem direkte Anknüpfungspunkte für Lehrende. Zudem werden ausreichend Ausblicke und Anregungen für weitere Studienarbeiten geliefert.
Bosshart, Stefan (2017). Bürgerjournalismus im Web. Kollaborative Nachrichtenproduktion am Beispiel von „Wikinews“. Konstanz: UKV. 416 S., 54 €.
Im Zuge der Digitalisierung sind Informationen jederzeit und individuell abrufbar. Doch gerade die wichtigste Informationsform, die Nachrichten, stammen mittlerweile zu einem großen Anteil von Laien. Dieser Umstand wirft die Frage auf, ob Bürgerjournalismus den gleichen Beitrag zur Informierung der Bürgerinnen und Bürger leisten kann wie professioneller Journalismus. Um dies zu beantworten, führt Stefan Bosshart, aufbauend auf einem differenzierten theoretischen Fundament, zwei Teilstudien durch. Diese befassen sich inhaltsanalytisch mit den von Laien erbrachten Leistungen der Nachrichtenplattform Wikinews und vergleichen diese mit den professionellen journalistischen Beiträgen des Internetportals sueddeutsche.de.
Im ersten Teil des Bandes werden konstitutive und qualitätsbezogene Merkmale des Journalismus erörtert. Die Verwendung diverser Schemata erweist sich als gelungene Ergänzung der Ausführungen. Im Zuge dessen wird darauf geachtet, den Bezug zur heutigen digitalisierten Zeit nicht zu vernachlässigen. Weiterhin wird sich den unterschiedlichen Rollen der am journalistischen Kommunikationsprozess beteiligten Personen zugewandt. In Anbetracht der zunehmenden Grenzverschiebung zwischen Rollen der Kommunikatorinnen und Kommunikatoren, Vermittlerinnen und Vermittlern sowie Rezipierenden scheint dieses Vorgehen durchaus sinnvoll. Die im Theorieteil erschlossenen Kriterien dienen der Konzeption des angeschlossenen Empiriesegments.
So lässt sich im Gesamtwerk durchgehend eine klare Richtung erkennen. Das methodische Vorgehen zur Untersuchung zweier antagonistischer Plattformen erscheint schlüssig und wird nachvollziehbar ausgearbeitet. Auf interessante Weise werden Gemeinsamkeiten wie auch Unterschiede beider Plattformen unterbreitet, welche die Tatsache offenbaren, dass eine Laienplattform zwar einen nicht unerheblichen journalistischen Beitrag leistet, die etablierten Massenmedien jedoch nicht ersetzen kann. Bürgerjournalismus im Web kann Kommunikations-, Sozial- sowie Medienwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern empfohlen werden. Journalistisches Vorwissen ist nicht erforderlich.
Daryan, Nika (2017). Bildung in Bildern – eine Mediologie. Weinheim: Juventa. 192 S., 26,95 €.
Die zentrale Thematik des Buches ist die Digitalisierung und ihre Auswirkungen auf die Bildhaftigkeit von Bildung. Als hochkomplexes Phänomen stellt Bildung unbewusst Weltlichkeit her, was wiederum Effekte auf Subjekte hat. Das Werk nimmt diese Veränderungen in den Blick und zeichnet sich dabei vor allem durch eine Verknüpfung von erziehungswissenschaftlichen und anthropologischen Perspektiven aus. Daryan betont in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit einer bildungswissenschaftlichen Reflexion der Relation von Mensch und Medium. So wirken sich die Digitalisierung und die in der Hypersphäre gemachten Erfahrungen zum einen auf das Ich aus, wodurch die Körper-Welt- Relation vergrößert wird. Zum anderen beeinflusst sie speziell auch Schülerinnen und Schüler. Es entsteht ein Gegensatz zwischen der hypersphärischen Körper-Welt-Relation und der videosphärischen Schule.
Die Autorin fordert dementsprechend eine produktive Infragestellung der vorherrschenden Vorstellungen über Bildung. Ziel des Buchs ist die Bildlichkeit und Körperlichkeit von Bildung in den Mittelpunkt zu rücken. Dafür ist eine stärkere transdisziplinäre Ausrichtung der erziehungs- und bildungswissenschaftlichen Forschung erforderlich. Der Band zeichnet sich durch eine komplexe Analyse der Digitalisierung und der Bildung aus. Die Argumente werden an zahlreichen Beispielen veranschaulicht, dennoch ist das Werk nicht leicht zu lesen und bleibt, trotz angeführten Beispiele, auf einer abstrakten Ebene Zudem erschwert die geringe Qualität der enthaltenen Bilder die Lesbarkeit und die Kontextualisierung des Inhalts.
Bildung in Bildern ist interessant für Personen, die sich über eine anthropologische Perspektive auf Bildung informieren wollen. Die Publikation eignet sich für sowohl Bildungs- und Erziehungswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler wie auch für Anthropologinnen und Anthropologen.
Hostettler, Otto (2017). Darknet. Die Schattenwelt des Internets. Zürich: NZZ Libro, Neue Zürcher Zeitung AG. 207 S., 29,90 €.
Mit dem Amoklauf in München 2016, bei dem sich der Täter seine Waffe illegal im Internet besorgt hatte, erhielt ein Thema neue Brisanz: Das Darknet. Der Name ist Programm, denn mangels technischen Knowhows tappen Behörden und Strafverfolgerinnen und -verfolger hier größtenteils im Dunkeln. Mit Darknet leistet Otto Hostetter einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung des schwer fassbaren Internetphänomens. Hostetter bietet dem Lesepublikum eine umfassende Übersicht, die weit über eine Definition vom Darknet als Schwarzmarkt für illegale Produkte und Dienstleistungen hinausgeht.
Zum Einstieg umreißt Hostettler die Positionierung des Darknets innerhalb des Internets. Zudem geben seine Erklärungen Aufschluss darüber, wer, warum und wie man sich dort bewegt bzw. bewegen kann. Durch seine Feldforschung als Käufer im Darknet legt er die Position eines solchen offen und problematisiert, wie einfach der Zugang ins Darknet gelingt. Mit bekannten Verkaufsplattformen, wie Ebay oder Amazon, vergleichbar kann sich jedermann mit Drogen, Waffen oder illegalen Dienstleistungen eindecken. Schwierig ist das Aufdecken dieses kriminellen Handels – wie die Ausführungen des Bandes zur Überforderung der Ermittlerinnen und Ermittler sowie die damit einhergehende verzögerte Reaktion auf strafbare Taten aufzeigen.
In einem ausführlichem Interview mit einem erfolgreichen Verkäufer im Darknet wird die Kehrseite der Gefahr beleuchtet: Eine blühende Parallelwirtschaft mit eigener Währung, die kaum verfolgbar ist und deren Akteurinnen und Akteure schwer zu fassen sind. Als Weckruf an die Behörden eröffnet Hostettler zuletzt auch Chancen des Darknets in Hinblick auf neue internationale Kooperationen und den Aufbau neuer Strukturen. In dem gut verständlichen Fachbuch wird das Darknet umfassend und aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet, und die Relevanz in aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen eingebettet.
Die Publikation ist für Interessierte mit oder ohne technisches Knowhow gleichermaßen zu empfehlen. Grafiken und bildhafte Metaphern helfen zusätzlich beim Verständnis von komplexen technischen Strukturen.
Jantschek, Ole/Waldmann, Klaus (Hrsg.) (2017). Shape the Future. Digitale Medien in der politischen Jugendbildung. Schwalbach: Wochenschauverlag. 189 S., 19,80 €.
Wie lassen sich Facebook und andere neue Medien am besten für die Jugendpolitik nutzen? Die Publikation Shape the Future beschäftigt sich mit dieser Frage und repräsentiert Erfahrungen, Überlegungen und Schlussfolgerungen hinsichtlich der politischen Bildung mit digitalen Medien. Sie entstand im gleichnamigen Projekt, welches aufgrund der wachsenden Relevanz neuer Medien über drei Jahre durchgeführt wurde. Ziel des Projekts war es, neue und erweiterte Maßnahmen für die politische Jugendbildung aufzudecken. Dabei stand insbesondere die Verknüpfung von Offline- und Online-Formaten im Vordergrund. Daher wurden im Rahmen des Projekts bildungspolitische und medienorientierte praktische Fragen sowie das Mediengewohnheitsverhalten Jugendlicher fokussiert. Das Werk beginnt mit einem Streitgespräch über die Bildung im digitalen Wandel und erläutert daraufhin Konzepte, Fragestellungen und Ziele des Projekts. Anschließend geht es um digitale Medien in der Praxis der politischen Jugendbildung, welche anhand des Projekts dargestellt werden.
Das folgende Kapitel befasst sich mit der Relevanz der Arbeit mit digitalen Medien innerhalb der politischen Jugendbildung. Im letzten Kapitel geht es um die Praxis der politischen Jugendbildung und den digitalen Wandel. Es wird ein ausführliches Resümee gezogen sowie ein Blick in die Zukunft geworfen, mit einem analytischen Blick auf die Veränderung von Bildungsprozessen, die Weiterentwicklung von Formaten und den Einsatz von Spielen. Das zunächst orientierungslos erscheinende Inhaltsverzeichnis erschwert Lesenden den Einstieg in die Thematik. Es wird nicht ersichtlich, welche Inhalte allgemein gehalten sind und welche sich auf das Projekt beziehen. Auffallend positiv präsentieren sich dagegen die Sprachwahl sowie die verständnisstützenden Grafiken und das Glossar.
Die Publikation richtet sich an alle Fachkräfte der medienpädagogischen Praxis und Forschung, die von einer umfangreichen und jahrelangen Erfahrung hinsichtlich der jugendpolitischen Bildung im Zusammenhang mit digitalen Medien profitieren und sich informieren möchten bzw. selbst mit weiteren Forschungsarbeiten oder Praxisprojekten anknüpfen wollen. Die praktische Arbeit wird stets mit der Theorie verknüpft und bleibt trotzdem Schwerpunkt des Buches, so dass es insbesondere medienpädagogischen Fachkräften zu empfehlen ist. Das Werk eignet sich, dank des Glossars, aber auch für andere Interessenten und Laien.
Schweiger, Wolfgang (2017). Der (des)informierten Bürger im Netz. Wie soziale Medien die Meinungsbildung verändern. Wiesbaden: Springer VS. 214 S., 14,99 €.
Immer häufiger stehen in den sozialen Medien Fakten neben Fake News, Lügen neben Wahrheiten und Wissenschaft neben Verschwörung. Das hat auch Auswirkungen auf die politische Meinungsbildung der Bevölkerung.
In Der (des)informierte Bürger im Netz diskutiert Schweiger daher die Rolle der sozialen Medien in der öffentlichen und akademischen Debatte. Schweiger geht es um die Sicherung des demokratischen Prinzips mit einem fairen Wettbewerb unter politischen Positionen und mittels öffentlicher Debatten, unabhängiger Nachrichtenmedien und freien Wahlen. Aus seiner Sicht ist die Zunahme nicht-journalistischer medialer Angebote wie Facebook, YouTube oder Twitter und der zunehmend sporadische Kontakt mit journalistischen Nachrichten problematisch. Für aufklärerische Zwecke setzt er sich demnach mit dem Demokratiebegriff, den Nachrichtenmedien und dem Internet auseinander, bevor er darauf aufbauend auf den Nachrichtenjournalismus, den Bürgerjournalismus sowie alternative und soziale Medien eingeht. Hiernach behandelt der Band das Informieren im Internet und maßgebliche Einflussfaktoren sowie Konsequenzen hinsichtlich der eigenen Person und der Politik, und erörtert die Beeinflussung der öffentlichen Meinung durch Social Media. Zuletzt fokussiert er die sogenannte politisierte Bildungsmitte, die auch einen Beitrag zur Meinungsbildung im Internet beiträgt. Schließlich liefert Schweiger noch einen anwendungsbezogenen Ausblick zum Umgang mit der politischen Meinungsbildung.
Das gut aufgebaute Werk befasst sich intensiv mit einem sehr aktuellen, politischen Zeitgeschehen und kann daher Studierenden und medienpädagogischen Fachkräften empfohlen werden. Gerade die anwendungsbezogenen Empfehlungen des Autors liefern umfangreiches Material für Diskussionen, die für Fachkräfte in der Praxis relevant sind. Inhaltlich fallen die Nutzung von Grafiken und Tabellen, eine eloquente Sprache sowie die prägnanten Zusammenfassungen positiv auf, die die Publikation sehr anschaulich machen.
Beitrag aus Heft »2017/04 Soziale Arbeit digital«
Autor: Melanie Theissler
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kolumne
Klaus Lutz: Samstags kommt das Sams – oder nicht
Samstag ist aus meiner Sicht der undankbarste Tag der Woche. Entweder steht ein Wochenendseminar mit Jugendlichen an oder ein Vortrag auf einer Tagung. Streckt die Arbeit ihre langen Arme einmal nicht nach einem aus, so ist der Samstag dennoch nie arbeitsfrei. Das Bad und die Toiletten müssen beispielsweise geputzt und die aufgebrauchten Vorräte aufgefüllt werden. So muss man sich also nach dem Frühstück lange Einkaufszettel erklären lassen – als würde sich es um einen lateinischen Text handeln – lassen und dutzende Ermahnungen einstecken, nicht wieder den falschen Käse und zusätzliche kalorienhaltige Leckereien mitzubringen. Erstaunlicherweise teile ich dieses Schicksal mit vielen Männern. Das Internet der Dinge lässt auf sich warten. Mit vielen anderen schiebe ich meinen Einkaufswagen die Regale entlang, kaufe wieder den falschen Käse, saure statt süße Sahne und stelle mich an der Kasse an. Mich stört dieses Warten aber überhaupt nicht, denn das enge Zusammenstehen ermöglicht es mir, meinen – zugegeben etwas absonderlichen – Leidenschaften nachzugehen: Unterhaltungen anderer belauschen oder selbst ein Gespräch mit wildfremden Menschen beginnen.
So auch, als vor mir ein gutaussehender großer dynamischer Mann, etwa Mitte 30 – meine Schwägerin würde sagen „ein Schnittchen“ –, die Kassiererin freundlich begrüßte und während des Kassiervorgangs mit ihr plauderte. Die beiden schienen sich privat zu kennen, denn die Kassiererin erkundigte sich nach der Tochter, die sonst doch immer mitkäme. Der wahrscheinlich auch beruflich sehr erfolgreiche Mann berichtete, dass jetzt, wo sie in der ersten Klasse sei, die Schule vorgehe. Sie sei gestern auf einem Geburtstag gewesen und müsse daher heute ihre Hausaufgaben erledigen. Schließlich sei Schule nun mal wichtig. Super, dachte ich mir, da haben wir es wieder. Die Kindheit ist mit dem Eintritt in die Schule zu Ende. Wahrscheinlich hat der ehrgeizige Vater längst das Gymnasium für das Kind ausgesucht, Klavier spielt sie sicher seit Jahren und die Ausbildungsversicherung für ein Studienjahr im Ausland ist auch längst abgeschlossen. Ich konnte gar nicht schnell genug den Laden verlassen, um meine Empörung über so viel ‚Bildungsfixiertheit‘ mitzuteilen. Zuhause hatte aber – wie jeden Samstag – niemand Zeit und Lust, sich meine Einkaufsgeschichten anzuhören. Gut, dass es die sozialen Medien gibt: Tablet geschnappt, um auf Facebook meine Erlebnisse mitzuteilen.
In kürzester Zeit erhielt ich etliche wütende Kommentare über Eltern, die sich nur über ihre Kinder definieren, Empörung über das Schulsystem und das Ende der Kindheit durch das Selbige. Zufällig ergab es sich, dass ich am darauffolgenden Samstag wieder einkaufen musste – und an der Kasse stand erneut der gutaussehende junge Mann, diesmal mit seiner Tochter. Das kleine freundliche Mädchen, welches offensichtlich ein Down-Syndrom hat, erzählte der Kassiererin gerade begeistert von der Schule und wieviel Spaß ihr diese mache. Plötzlich stand das Ganze in einem neuen Zusammenhang. Ich bewunderte den Vater dafür, dass er seiner Tochter und deren Bildung dieselbe Wichtigkeit und Aufmerksamkeit zukommen lässt wie einem nicht behinderten Kind. Ich schämte mich, dass ich eine Geschichte in die Welt gesetzt hatte, die bei genauer Recherche ganz anders hätte erzählt werden müssen. Ich tröstete mich damit, dass ich immerhin nicht heimlich ein Foto von dem gutaussehenden Mann ins Internet gestellt hatte. Soweit reicht meine Medienkompetenz dann doch noch. Ich leiste hiermit öffentlich Abbitte. Mir wurde eindrücklich klar, wie schnell man zum Produzenten von Fake News werden kann.
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