2017/03 Hass und Hetze im Netz
In einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft sind Phänomene wie Hate Speech und andere anti-demokratische, menschenverachtende Kommunikationsformen Ausdruck einer sich wandelnden Kommunikationskultur. Bei Hate Speech handelt es sich um eine Form (digitaler) gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, die Personen unter anderem aufgrund ihrer Hautfarbe, ihrer Religion, ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung trifft. Es sind Personen und Gruppen, die auch außerhalb des Netzes ausgegrenzt und angefeindet werden. Online-Hassrede setzt daher letztlich analoge Macht- und Diskriminierungsstrukturen fort. Es können aber auch Menschen zur Zielschreibe von massiver Verachtung und Abwertung in Form von Hate Speech werden, die zwar selbst nicht den angefeindeten Gruppen angehören, sich aber für die Rechte dieser Gruppen und gegen Menschenfeindlichkeit einsetzen.merz 03/2017 vermittelt grundlegendes Wissen zu verschiedenen Dimensionen dieses Phänomens. Es geht hierbei sowohl darum, empirisch fundierte Befunde zu Erscheinungsweisen von extremistischen Inhalten zu vermitteln, sozialwissenschaftlich-empirische Ergebnisse zu Rezeption und Wirkung bereitzustellen und gleichzeitig eine gesellschaftskritische Reflexion anzuregen sowie konkrete medienpädagogische Handreichungen anzubieten.
aktuell
Niels Brüggen: Bildungspartnerschaften zwischen Schule und außerschulischen Akteuren
Medienbildung in der Schule steht aktuell im Fokus der bildungspolitischen Debatte. Die Studie Bildungspartnerschaften zwischen Schule und außerschulischen Akteuren der Medienbildungrichtet den Fokus auf die Zusammenarbeit von Schulen und außerschulischen Bildungseinrichtungen wie Vereinen, öffentlichen Institutionen oder Unternehmen. Sie stellt damit ein Feld der Medienbildung in den Fokus, das sich zwar in vielen unterschiedlichen Formen in der Praxis etabliert hat, zugleich aber in der wissenschaftlichen Reflexion bislang wenig Beachtung fand.
Ein besonderes Augenmerk wirft die Studie auf die Rahmenbedingungen der Zusammenarbeit und analysiert die unterschiedlichen Partner, deren Ziele und Erwartungen. Die außerschulischen Akteurinnen und Akteure bringen wichtige Kompetenzen als Ergänzung zur Schule mit. Dies sind Fachkenntnisse bezüglich neuer Medienentwicklungen, ein enger Bezug zur Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen, spezifische Produktionstechniken, bereitgestellte Technik oder oft auch finanzielle Mittel aus Förderungen. Dabei herrschen klare Vorstellungen von einer idealen Zusammenarbeit: So wird beispielsweise eine Verankerung des Themas Medienbildung in der Schule gewünscht, ein Verständnis der Partner für den Lernraum Schule und ein gegenseitiges Ergänzen der fachlichen und medienpädagogischen Kompetenzen. Wichtig ist den Befragten zudem, sich an den Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen zu orientieren.Probleme gibt es aus Sicht der Beteiligten dann, wenn ein fehlendes bzw. unterschiedliches Verständnis über Medienbildung bzw. Medienkompetenz vorliegt. Auch strukturelle Bedingungen beeinflussen, ob und wie ein Austausch über die Ziele der Zusammenarbeit stattfindet.
Die Studie wurde im Auftrag der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter vom JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis gemeinsam mit JFF-BB realisiert. Unterstützt wurde das Vorhaben von der Auerbach Stiftung, Google Deutschland und der EU-Initiative klicksafe.
Antje Müller: Generation What?
Junge Erwachsene nehmen verstärkt soziale Ungleichheiten war, schätzen die kulturelle Vielfalt, aber auch die vorhandenen Freiheiten und den Individualismus in Deutschland. Das ist ein Ergebnis der europäische Umfrage Generation What? der ländereigenen Sendeanstalten, die jetzt abgeschlossen ist. Die jungen Erwachsenen haben zudem nur mäßiges Vertrauen in die Medien, wobei 41 Prozent kaum und 22 Prozent überhaupt kein Vertrauen schenken. Ohne Informationen wird die Generation allerdings auch nicht glücklich (56 %), überraschenderweise aber durchaus ohne Handy (62 %). Wird nach der Internetbindung gefragt. So zeigt sich, dass eine schwache Mehrheit sowohl unter den Schülerinnen, Schülern und Studierenden (52 %) als auch unter den Berufstätigen (51 %) nicht ohne Internet glücklich sein könnte. Dabei geben sogar 63 Prozent der Schülerinnen und Schüler sowie Studierenden an, dass sie nicht mit ihren Eltern auf Facebook befreundet sind. Die jungen Deutschen wünschen sich außerdem, dass am Ausmaß an Freiheiten und Individualismus nichts verändert wird (91 % und 80 %). Zum Glücklich-Sein werden aber noch andere Dinge benötigt: Die Mehrheit (71 %) kann sich nicht vorstellen, ohne Job glücklich zu sein – und auch nicht ohne andere Mitmenschen: 65 Prozent verneinen, dass sie sich nur auf sich selbst verlassen können. Was die befragten jungen Deutschen wirklich stört, sind erschlichene Leistungen vom Staat (60 %) und dass die soziale Ungleichheit immer mehr zunimmt (85 %). Weitere 52 Prozent finden zudem, dass das System nur teilweise Leistung adäquat belohnt. Generation What? ist ein multimediales Projekt, das vom Bayerischen Rundfunk, vom Südwestrundfunk und vom ZDF umgesetzt und international von der Europäischen Rundfunkunion koordiniert wurde. Von April 2016 bis April 2017 haben sich mehr als 940.000 Menschen aus 35 Ländern beteiligt. Damit ist es die größte europaweite Studie zur Lebenswelt junger Menschen im Alter von 18 bis 34 Jahren. Auf der Website lassen sich die Ergebnisse auch in Echtzeit länderübergreifend vergleichen.
Lisa Geiger: Aktiv gegen Vorurteile
Aktiv gegen Vorurteile ist eine Kampagne gegen Vorurteile und für Toleranz, in der Jugendliche aus ganz Bayern Audio- und Videospots erstellen, die wöchentlich im Netz verbreitet werden. Das Zusammenleben in einer Gesellschaft, die von unterschiedlichen Kulturen geprägt ist, stellt Jugendliche vor große Herausforderungen. Oft fehlt es an Wertschätzung, Toleranz und gegenseitiger Rücksichtnahme. Jugendliche verschiedener Herkunft, aber auch verschiedene Jugendszenen reiben sich an unterschiedlichen Normvorstellungen und damit verbundenen Verhaltensweisen. Im Zuge der Identitätsfindung sind Jugendliche oft unsicher und grenzen sich auf Kosten anderer voneinander ab. In den einzelnen Projekten haben sie die Möglichkeit, Vorurteile aufzugreifen und gemeinsame Regeln des Zusammenlebens zu finden. Zudem können sie ihre eigene Sicht der Welt auf kreative Weise nach außen tragen. Bei Aktiv gegen Vorurteile erarbeiten Jugendliche in Medienprojekten Video- und Audiospots gegen Vorurteile und für Toleranz.
Die gelungensten Kampagnenprodukte werden über Social Media-Kanäle und Jugendradioformate verbreitet. Weitere Dateien stehen auf der Projektwebsite zum Download zur Verfügung. Die Clips können sowohl im Unterricht als auch in anderen Projekten verwendet werden, um für das Thema Vorurteile zu sensibilisieren. Zu dem Projekt entstehen zusätzlich Handreichungen, die Fachkräften aller Bildungsfelder Hilfestellung zur Umsetzung eigener Projekte geben sollen. Aktiv gegen Vorurteile wird im Rahmen der Initiative für Integration und Toleranz vom JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis umgesetzt.
Finanziert wird das Projekt von Stiftung Wertebündnis Bayern, Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration – Organisationseinheit Radikalisierungsprävention, Bayerisches Bündnis für Toleranz – Demokratie und Menschenwürde schützen und Bayerischer Verein für Toleranz, Demokratie und Menschenwürde e. V.
Antje Müller: Abenteuerwelt zum Einsatz im Unterricht
jippie.life ist eine Multimedia-Onlineplattform und interaktiveErlebniswelt für Kinder von sieben bis 13 Jahren, die mit Geschichten auf die Anforderungen und Herausforderungen im neuen Medienzeitalter vorbereiten möchte. Das Gesamtkonzept des Webportals basiert auf einem Krimi-Abenteuer rund um das Weltkultur- und Naturerbe, welches zusammen mit Minispielen zum aktiven Einstieg in die Erlebniswelt der Plattform anregt. Die Abenteuer sind dabei als ‚Clickable-Comics‘ aufbereitet, in der die spielbare Hauptfigur, der elfjährige Tarek, für Interpol um die Welt reist, um zusammen mit der zwölfjährigen Freia und seinem Hund Kito die Behörden über die Machenschaften des berüchtigten Alpenköngis und dessen Schmugglerbande aufzuklären. Dabei bewegen sich die Spielerinnen und Spieler – ob mit eigenem Account oder ohne Log-in – frei durch die Stationen und Spielwelten, mit dem Ziel, durch das Erfüllen von Aufgaben ihr Reisegepäck aufzufüllen und Belohnungen im Abenteuerbuch zu sammeln.
Die Plattform verbindet damit spielerisch die Aneignung nützlichen Wissens über Kulturen, Völker oder Tiere mit kleinen unterhaltsamen Elementen. Zum medialen Austesten für Kinder und Jugendliche bietet die Erlebniswelt sowohl internationale Bezüge als auch Lern-Übungen, die in der Gestaltung der Spielwelt integriert sind. jippie.life regt darüber hinaus zur Entwicklung eigener Inhalte an, die mit Freundinnen und Freunden, Familie oder in der Schulklasse über verschiedene Medien weiterentwickelt werden können. Hierfür wird das JIPPIE-Schulforum zur Verfügung gestellt, das die Plattform für die Nutzung im Unterricht der dritten bis sechsten Klassen per Log-in zugänglich macht. Hier können Arbeitsergebnisse veröffentlicht oder ausgetauscht und Materialien wie digitale Arbeitshefte und fachspezifische Arbeitsblätter genutzt werden, um neue Medien stärker in den Unterricht einzubeziehen.
Das Webportal wird gefördert mit Mitteln der nordmedia Film- und Mediengesellschaft Niedersachsen/Bremen und der Staatsministerin für Kultur und Medien über das Programm Ein Netz für Kinder.
Swenja Wütscher: stichwort Social Bots
Zwischen Trollen als menschliche Akteure und Spam-E-Mails: Social Bots sind Computerprogramme, die eine menschliche Identität vortäuschen und darauf ausgerichtet sind, in sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter maschinell erstellte Beiträge wie Kommentare, Antworten oder Meinungsäußerungen zu generieren, um Diskurse zu beeinflussen bzw. zu manipulieren. Technisch gesehen sind die automatisierten Meinungsmacher mit unterstützenden Bots wie Chat Bots oder digitalen Assistenten eng verwandt; sie unterscheiden sich nur in ihrer Zielsetzung. Nicht zu verwechseln sind Social Bots mit den klassischen Bots. Diese Computerschadprogramme laufen auf vernetzten Rechnern – meist ohne Einverständnis der Eigentümerinnen und Eigentümer –, nutzen deren Netzwerkanbindung und lokale Ressourcen sowie Daten; beispielsweise zum Versand von Spam-E-Mails oder DDoS-Attacken.
Social Bots hingegen bergen das Potenzial, das Vertrauen in die Demokratie zu unterlaufen, indem sie unter anderem zur Veränderung der politischen Debattenkultur im Internet beitragen. So lassen sich beispielsweise Fake-Accounts von Social Bots durch einfache Anpassungen leicht skalieren, sodass auf Twitter tausende Accounts geschaffen werden können, die wiederum zehntausende Tweets pro Tag erzeugen. So können Trends, Interessengruppen und Einzelpersonen manipuliert, Influencer Marketing betrieben und Informationen sowie öffentliche Debatten verzerrt werden, da echte Menschen, die mit dem Social Bot kommunizieren, die Meinungsroboter als echte Internetnutzende wahrnehmen.
Die technischen Möglichkeiten zur Enttarnung von Social Bots hinken noch hinterher. Dennoch wird längst an wesentlich intelligenteren Entwicklungen gearbeitet, die es Gesellschaft und Politik erschweren, Roboter und einen Follower aus Haut und Knochen voneinander zu entscheiden.
Beitrag aus Heft »2017/03 Hass und Hetze im Netz«
Autor: Swenja Wütscher
Beitrag als PDFEinzelansichtAntje Müller: nachgefragt
Der Medienpädagogik Praxis-Blog bietet Medienpädagoginnen und Medienpädagogen Materialien, Methoden, Projektbeispiele, Tipps und Tricks und aktuelle Informationen für die medienpädagogische Praxis in Jugendarbeit und Schule. Im vergangenen Jahr konnten Multiplikatorinnen bzw. Multiplikatoren sowie alle Interessierte an einem Praxis-Camp mitwirken, sich austauschen und Kontakte knüpfen. Antje Müller hat mit Eike Rösch über die Besonderheit eines Barcamps gesprochen, und wie er Köpfe aus Forschung und Praxis an einen Tisch holt.
merz: Das erste Barcamp entstand aus den sogenannten Foo Camps, die nur mit Einladung besuchbar waren. Was ist ein Barcamp – die sogenannte Unkonferenz – heute und was unterscheidet es aus deiner Sicht von Tagungen, Symposien, Kongressen oder Workshops?
Rösch: Für mich ist das Besondere an einem Barcamp, dass es vor allem teilnehmendenorientiert ist und das vorhandene Wissen wertschätzt. Ich finde das für die Medienpädagogik so wichtig, weil sie ein weites Arbeitsfeld ist, in dem ganz viel ausprobiert wird, speziell in der außerschulischen Medienpädagogik. Dort bringen die Fachkräfte ganz viele Erfahrungen mit. Und meiner Meinung nach ist das genau das, auf was bei einem Barcamp gesetzt wird. Wohingegen man sich bei einer Tagung im konventionellen Format immer überlegt, welche Workshops angeboten werden könnten. Das fokussiert dann auch sehr die Sicht der Organisierenden und ihren Wissensstand – und es gibt auch einfach einige Dinge, die sie nicht wissen, nicht wissen können. Was für mich bei einem Barcamp das Besondere ausmacht, ist die Wertschätzung für die Teilnehmenden, die große Flexibilität und, dass man das vorhandene Wissen von allen nutzen kann. Und es ist nach wie vor so, dass die Leute, die bei einer konventionellen Tagung einen Workshop machen würden, auf einem Barcamp auch eine Session anbieten können.
merz: Wer kommt nach deiner Erfahrung zu Barcamps?
Rösch: Der Medienpädagogik Praxis-Blog. Ich glaube, das sind Leute, die lernen und sich austauschen wollen. Ein Barcamp ist, finde ich, auch besonders für Einsteigerinnen und Einsteiger in die Szene geeignet. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass man sehr viel mit Menschen in Kontakt kommt und sich auf Augenhöhe austauscht. Bei uns auf dem Medienpädagogik Praxis-Camp war das so, dass es eine sehr gute Mischung aus allen möglichen Leuten war, die aus der medienpädagogischen Praxis, aber auch der Forschung kamen, und die sich für aktuelle Entwicklungen in der Praxis interessierten. Dabei hatten wir bemerkenswerterweise von Anfang an eine sehr schöne Stimmung. Also, sehr harmonisch, auf Augenhöhe, sehr kommunikativ, sehr unterstützend, sehr hilfsbereit, sehr offen. Es gab auch Menschen, die über Fehler gesprochen haben, wie ihr Projekt schief ging, und wie man daraus lernen kann. Und bei den allermeisten Sessions war es eben auch so, dass die Leute weniger nur ihre eigene Position vorgestellt haben, sondern, dass es eben kurze Inputs gab und anschließend gemeinsam darüber an dem Thema diskutiert wurde.
merz: Innerhalb deiner Reflexion zu eurem Barcamp hast du darauf verwiesen, dass sehr viel von den Barcamp-Prinzipien Gebrauch gemacht wurde. Was meinst du damit?
Rösch: Es waren Menschen da, die mit der Erwartung angereist sind, sich einzubringen und eigene Gedanken und Inhalte zu präsentieren. Das ist ein wichtiges Ding bei Barcamps, dass man auch was anbieten und sich generell einbringen soll. Das hat auch, finde ich, glücklicherweise gut funktioniert. Es sind Menschen gekommen, die sich selber einbringen, sehr aktiv teilnehmen und auch eigene Sessions anbieten wollten. Schon im Vorfeld wurden online auf der Website sehr viele Session-Vorschläge eingereicht und zu denen kamen noch spontane Vorschläge. Die haben wir gesammelt und dann geschaut, ob es da eine Resonanz gibt, wobei wir versucht haben, alle Session-Ideen möglich zu machen. Die Ideen reichten von: „Ich hab da einmal ein Projekt und möchte es vorstellen” bis hin zu „Ich hab‘ da mal ‘ne Frage. Wer kann sie mir beantworten bzw. wer arbeitet mit mir an der Antwort?”.
merz: Wie war der Ablauf auf dem Medienpädagogik Praxis-Camp?
Rösch: Das besondere an unserer Barcamp-Struktur war, dass wir nach der typischen, kurzen Vorstellungsrunde mit inspirierenden Statements aus Praxis und Forschung in eine Gruppendiskussion eingestiegen sind. Das hat sich aus meiner Sicht bewährt und zu der sehr guten Stimmung und der großen Inhaltlichkeit beigetragen. Ansonsten haben wir uns an die klassische Struktur gehalten – Sessionplanung und -koordination, und dann ab in die Sessions. Ganz am Ende stand wie gewohnt ein gemeinsamer inhaltlicher Austausch mit Blick auf die Zukunft. Bemerkenswerterweise waren auch da fast alle bis zum Schluss da.
merz: Welches Minimum an Erfahrungen braucht man denn, um ein Barcamp zu organisieren?
Rösch: Also, ich finde, wer im pädagogischen Bereich tätig ist und Projekte mit Menschen macht, also die, die an den Teilnehmenden orientiert sind, die oder der kann das machen. Und ich finde, Mut und Selbstreflexion sind das Allerwichtigste. Also, immer wieder zu überlegen, orientiere ich mich wirklich an den Teilnehmenden und was passt am besten zu der Zielgruppe. Das muss man sich immer wieder vor Augen führen, damit man nicht in alte Bahnen zurückrutscht. Und vorher ein Barcamp besuchen, das ist sicher auch nicht schlecht ...
merz: Im letzten Praxis-Camp habt ihr bzw. die Teilnehmenden in den Sessions unter anderem die Themen Lightpainting und digitale Herrschaftsverhältnisse behandelt. Wie wird das in diesem Jahr am 22. und 23. September in Mainz aussehen?
Rösch: Es wird, glaube ich, sehr ähnlich aussehen. Und wir versuchen wieder einen Rahmen herzustellen, der Menschen dazu animiert, ihre Themen mitzubringen. Ich kann jetzt nicht genau sagen, was die Themen sein werden. Wir versuchen, die Menschen zu inspirieren und zählen dann darauf, dass sie ganz viele Fragen oder Informationen mitbringen. Ich bin aber zuversichtlich, dass das funktioniert. Es ist total faszinierend, wer beim letzten Mal da war: Studierende, Leute, die in der medienpädagogischen Praxis sind, Forschende, Menschen, die ein bisschen mit der Medienpädagogik in Berührung gekommen sind und vielleicht noch intensiver einsteigen wollen und alte Häsinnen und Hasen. Wer dieses Jahr dabei sein möchte, kann sich auf unserer Website unter www.barcamptools.eu registrieren und als Teilnehmerin bzw. Teilnehmer oder als Teilgeberin oder Teilgeber melden, und im Herbst seine eigenen Inhalte beisteuern.Eike Rösch ist Dozent für Medienbildung an der Pädagogischen Hochschule Zürich und Herausgeber des Medienpädagogik Praxis-Blog. Seine Schwerpunkte im Blog sind Video, Web, Gestaltung und Präsentation.
thema
Karin Knop: Hass und Hetze im Internet geht alle an – No Hate Speech!
In einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft sind Phänomene wie Hate Speech (Hassrede) und andere anti-demokratische, menschenverachtende Kommunikationsformen Ausdruck einer sich wandelnden Kommunikationskultur. Bei Hate Speech handelt es sich um eine Form (digitaler) gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit (vgl. Puneßen 2017). Diese trifft unter anderem Personen aufgrund ihrer Hautfarbe, ihrer Religion, ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung. Es sind Personen und Gruppen, die auch außerhalb des Netzes ausgegrenzt und angefeindet werden (vgl. Felling/Fritsche 2017). Online-Hassrede setzt daher letztlich analoge Macht- und Diskriminierungsstrukturen fort (vgl. Buchzik/Rauscher 2017).
Es können aber auch Menschen zur Zielschreibe von massiver Verachtung und Abwertung in Form von Hate Speech werden, die zwar selbst nicht den angefeindeten Gruppen angehören, sich aber für die Rechte dieser Gruppen und gegen Menschenfeindlichkeit einsetzen (vgl. Felling/Fritsche 2017; Buchzik/Rauscher 2017). Hate Speech ist jedoch kein feststehender juristischer Begriff. Innerhalb des Rechtssystems wird lediglich zwischen zulässigen und unzulässigen Meinungsäußerungen unterschieden. (vgl. Puneßen 2017). Unzulässige Meinungsäußerungen, unter die hasserfüllte Kommentare in digitalen Kommunikationsräumen wie Social Network Sites und Blogs fallen, können den Straftatbestand der Volksverhetzung, der Beleidigung, der üblen Nachrede, der Verleumdung, der Nötigung, der Bedrohung oder der Aufforderung zu Straftaten erfüllen und sind dann entsprechend strafrechtlich durch Strafanzeige und zivilrechtlich – z. B. durch Löschungsanspruch, Änderungsanspruch, Abmahnung oder Unterlassungserklärung, Geldentschädigung bzw. Schmerzensgeld – zu ahnden (vgl. Brings-Wiesen 2017). Aktuell wurde außerdem am 5. April 2017 hierzu ein Gesetzentwurf der Bundesregierung beschlossen, der eine Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken zum Inhalt hat (vgl. Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz 2017) und die schnellere Entfernung und Sanktionierung von Hassreden und Fake News gewähren soll.
Zunahme extremer Inhalte im Netz
Wollen wir aber sowohl die Redefreiheit und gleichzeitig die Würde Andersdenkender sichern, so muss darüber hinaus ein gesellschaftlicher Konsens über die Inakzeptanz von Hate Speech hergestellt werden. Die Verantwortung hierfür kann keinesfalls ausschließlich im Rechtssystem liegen. Vielmehr ist eine Verständigung über akzeptable bzw. inakzeptable Netzkommunikation mit allen Gesellschaftsmitgliedern herzustellen, die wiederum diese Prinzipien dann in der Netzwelt realisieren und für deren Umsetzung eintreten. Deshalb ist das Thema Hate Speech für alle Mitglieder der Zivilgesellschaft aller Altersgruppen relevant. Dabei ist einerseits der restriktiv-bewahrende Kinder- und Jugendschutz, aber insbesondere auch die generationenübergreifende präventiv-befähigende Medienpädagogik herausgefordert (vgl. Hajok 2017). Da es eine Utopie ist, dass das Netz frei von extremen und extremistischen Positionen sein kann, sollten alle Gesellschaftsmitglieder für einen kompetenten Umgang mit solchen Positionen befähigt werden. Denn auch wenn es keine verlässlichen Zahlen gibt, so scheint abgesichert, dass seit 2015 – mit der abrupt gestiegen Zahl von geflüchteten Menschen – der Hass im Netz nochmals stark zugenommen hat (vgl. ebd.). Ob nun aufgrund erhöhter Sensibilität und erhöhter Beschwerdebereitschaft oder wegen eines tatsächlichen Anstiegs solcher Inhalte, bleibt zu klären. Sicher ist jedoch, dass sich die Zahl der Beschwerden wegen volksverhetzender Inhalte von 2014 auf 2015 nahezu verdreifacht hat. Beim Melden rechtsradikaler Webinhalte kam es innerhalb dieses Zeitraums sogar zu einer Verachtfachung (vgl. Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter 2015).
Gründe für (die Intensivierung von) Hate Speech
Wie kommt es aber überhaupt dazu, dass Menschen diese grenzüberschreitende, verächtliche Kommunikationsform wählen? Hierzu existiert ein Bündel von Gründen für die aktive Erstellung und Verbreitung extremistischer Botschaften und Hasskommentare. Nach Schmitt (2017) lassen sich auf der Individual- bzw. Mikroebene mindestens vier psychologische Motive ausmachen. Nämlich erstens die Ausgrenzung und Abwertung einer Fremdgruppe – die, oft irrational, als Bedrohung wahrgenommen wird – mit dem Ziel der Stärkung einer eigenen positiven Gruppenidentität, zweitens die Einschüchterung der Fremdgruppe, drittens die Machtdemonstration bzw. das Erlangen der Deutungshoheit im gesellschaftlichen Diskurs und schließlich viertens die Freude am Beleidigen und Erniedrigen anderer. Die signifikante Zunahme solcher Inhalte wird wiederum auf Makroebene unter anderem den Anonymisierungsmöglichkeiten im Netz, den (digitalen) Beachtungsexzessen und den damit einhergehenden Extremisierungstendenzen sowie Beschleunigungsprozessen (vgl. Hajok 2017) heutiger Kommunikationskultur zugeschrieben oder auf Ängste und Unsicherheiten der Subjekte zurückgeführt, die aus Wachstums- und Globalisierungstendenzen resultieren (vgl. Krotz 2017 in dieser Ausgabe).
Hate Speech im Netz geht alle an
Dass diese anwachsende Menge hasserfüllter Worte und Bilder auch tatsächlich von vielen wahrgenommen wird, verdeutlichen aktuelle Befunde eindrucksvoll. Gemäß einer länderübergreifenden Befragung des Europarats im Rahmen der No Hate Speech-Kampagne im April 2015 zeigte sich, dass 83 Prozent der 6.601 befragten Heranwachsenden im Internet auf Hassreden gestoßen sind (vgl. Council of Europe 2015). Und auch die 2016 im Auftrag der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen durchgeführte Online-Befragung in Deutschland macht deutlich, dass 82 Prozent der 2.044 befragten 14- bis 24-Jährigen schon Erfahrungen mit Hate Speech im Netz gemacht haben. Mehr als die Hälfte (54 %) dieser Gruppe war schon häufig bzw. sehr häufig durch Kontakt betroffen (vgl. forsa 2016). Sowohl der quantitative Anstieg von extremen Inhalten als auch deren nachweisliche Diffusion innerhalb der Netzgemeinschaft sprechen für die immense Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit dem Themen- respektive Problembereich.
Interventionsmöglichkeiten
Felling und Fritsche (2017) benennen als konstruktive Formen der Auseinandersetzung unter anderem die Förderung von Medien- und Sozialkompetenz und den Aufbau von Hilfestrukturen sowie die Herstellung einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive zur wertschätzenden Debattenkultur als Möglichkeiten des pädagogischen Umgangs mit Hate Speech. Vielfältige Initiativen setzen sich bereits seit geraumer Zeit mit Hate Speech und anderen diskriminierenden Formen auseinander und stellen genau solche Angebote bereit. Exemplarisch sollen hier ausgewählte Initiativen kurz vorgestellt werden (vgl. z. B. Kaspar/Gräßer/Riffi 2017; Felling/Fritsche 2017): Aufklärend und Sensibilisierend arbeitet seit 1998 die Amadeu Antonio Stiftung im Bereich Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus. Das JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis setzt sich ebenfalls seit mehreren Jahrzehnten mit Wertevermittlung durch und in Medien auseinander, und bietet dabei beispielsweise seit 2015 Werkstätten zur Förderung von Werte- und Medienkompetenz im Rahmen von ICH WIR IHR im Netz an. Jugendschutz.net – seit 1997 mit unzulässigen Netzinhalten befasst – hält mit hass-im-netz.info ebenfalls ein aktuelles Angebot bereit. Im Juni 2016 startete in Deutschland die europaweite Kampagne no-hate-speech.de,
innerhalb derer relevantes Wissen zum Themenbereich und humoristische Memes zur Gegenrede auf der Website bereitgestellt werden. Beinahe zeitgleich wurde die Initiative Netzkodex (vgl. Schmid/Appelhoff 2017) von der Ministerpräsidentin des Landes Nordrhein-Westfalen ins Leben gerufen. Verantwortliche von Unternehmen, Staat und Zivilgesellschaft erarbeiten klare Informationen zur jeweiligen Verantwortung der Social Media-Anbieter, Plattformbetreiber, Strafverfolgungsbehörden, Landesmedienanstalten, Internetbeschwerdestellen und auch der Nutzerinnen und Nutzer.
Ziel dieses Themenschwerpunkts ist die Vermittlung von grundlegendem Wissen zu verschiedenen Dimensionen des Phänomens. Es geht hierbei sowohl darum, empirisch fundierte Befunde zu Erscheinungsweisen von extremistischen Inhalten zu vermitteln, sozialwissenschaftlich-empirische Ergebnisse zu Rezeption und Wirkung bereitzustellen und gleichzeitig eine gesellschaftskritische Reflexion anzuregen sowie konkrete medienpädagogische Handreichungen anzubieten.
Zu diesem Heft
Christiane Yavuz (jugendschutz.net) gibt einen Überblick zu den menschenverachtenden und demokratiefeindlichen Botschaften von Rechtsextremen und Islamistinnen und Islamisten im Internet. Sie zeigt auf, welch subtile Kommunikationsstrategien von hassverbreitenden Akteurinnen und Akteuren verwendet werden, und wie raffiniert diese gerade in der Ansprache von Jugendlichen vorgehen.
Eine gesellschaftskritische Einordnung des Themenbereichs leistet Friedrich Krotz, der auf die kommunikativen Freiheiten des Netzes abhebt und die Schattenseiten dieser Freiheiten – wie Hate Speech – als Form antidemokratischer, symbolisch vermittelter Gewalt deklariert. Auf Spurensuche gehend, wird die zunehmende Radikalisierung vor dem Hintergrund von Wachstums- und Globalisierungstendenzen eingeordnet. Krotz appelliert an die Mitglieder der Zivilgesellschaft, den digitalen Kommunikationsraum zurückzuerobern und sich aktiv gegen Hass und Hetze einzusetzen.
Diana Rieger und Kolleginnen und Kollegen zeigen auf Basis empirischer Forschungsprojekte zu Inhalten und Wirkungen auf, welche Gemeinsamkeiten islamistische und rechtsextreme Propaganda im Netz aufweisen. Ihre quasi-experimentellen Studien verdeutlichen, dass Ablehnung oder Befürwortung extremistischer Propaganda insbesondere vom Bildungsgrad und der Einstellung zu Autoritarismus abhängen. Neben der damit einhergehenden Identifizierung besonders gefährdeter Heranwachsender zeigt das Forscherteam aber auch das Spektrum und die Ziele von Gegenbotschaften auf, und gibt Einblicke in das Präventionsprogramm CONTRA und dessen medienpädagogische Bedeutung.
Erste Befunde aus einem aktuellen Projekt im Auftrag der Landesmedienanstalt Nordrhein-Westfalen werden im Interview von Karin Knop mit den beiden Forschenden Carsten Reinemann und Claudia Riesmeyer vorgestellt. Basierend auf einer Repräsentativbefragung im Herbst 2016 wird deutlich, dass ein nicht unerheblicher Anteil der Jugendlichen zwischen 14 und 19 Jahren unweigerlich im Netz und außerhalb mit extremistischen Botschaften konfrontiert wird. Das Forscherteam geht der Frage nach, ob Jugendliche solche Botschaften auch eindeutig identifizieren können und über eine extremismusbezogene Medienkompetenz verfügen, die bei der Identifizierung der oft verschleierten Strategien der Extremistinnen und Extremisten von enormer Bedeutung ist.Ganz konkrete, medienpädagogische Praxisanregungen stellen Simone Rafael und Christina Dinar (Amadeu Antonio Stiftung) vor dem Hintergrund ihrer jahrelangen Arbeit mit Jugendlichen vor. Sie zeigen auf, welche Interventionsmöglichkeiten in pädagogischen Handlungskontexten angewendet werden können und welches Potenzial in der Befähigung zur Entlarvung von extremistischen Botschaften, aber insbesondere auch in der Befähigung zur Gegenrede besteht, um eine aktive und demokratische Zivilgesellschaft zu stärken und damit Partizipation zu fördern.
Die Datteltäter, muslimische Satirikerinnen und Satiriker mit YouTube-Kanal und Präsenz bei funk (Content-Netzwerk von ARD und ZDF), setzen sich parodistisch mit Stereotypen auseinander und erklären den ‚Bildungsdschihad‘. Swenja Wütscher klärt im Interview mit Fiete Aleksander, welche Ziele die Datteltäter mit ihrem Komikangebot verfolgen und welche positiven und negativen Resonanzen sie durch das satirische Angebot erfahren. Anhand prominenter Beispiele – wie die Hassreden gegen Sportjournalistin Claudia Naumann oder DIE GRÜNEN-Politikerin Renate Künast – geht Caja Thimm auf zwei zentrale Dynamiken von digitalen Shitstorms ein, die anhand ihrer zeitlichen Dimension und ihres Verbreitungsmodus analysiert werden. Auch geeignete Reaktionsoptionen der Opfer von hasserfüllter Kommunikation werden anschaulich beschrieben.
Literatur:
Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz, Landesstelle NRW e. V.; Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (2016). Hate Speech. Hass im Netz. Köln und Düsseldorf. www.akjs-sh.de/wp-content/uploads/2016/11/HateSpeech-Brosch%C3%BCre_AKJS.pdf [Zugriff: 10.05.2017].
Brings-Wiesen, Tobias (2017). Das Phänomen der „Online Hate Speech“ aus juristischer Perspektive. In: Kaspar, Kai/Gräßer, Lars/Riffi, Aycha (Hrsg.), Online Hate Speech. Perspektiven auf eine neue Form des Hasses. München: kopaed, S. 35–50.
Buchzik, Dana/Rauscher, Sami (2017). Kontern statt schweigen. In: Kinder- und Jugendschutz in Wissenschaft und Praxis (KJug), 1 (62), S. 14–15.
Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz (2017). Gesetzentwurf der Bundesregierung. Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (Netzwerkdurchsetzungsgesetz – NetzDG) am 05. April 2017. www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RegE_NetzDG.pdf [Zugriff: 10.05.2017].
Council of Europe (2015). No Hate Survey Results. Youth Department of the Council of Europe – European Youth Centre. www.nohatespeechmovement.org/survey-result [Zugriff: 10.05.2017].
Felling, Matthias/Fritzsche, Nora (2017). Hass im Netz – Hate Speech als Herausforderung für die pädagogische Arbeit mit Jugendlichen. In: Kinder- und Jugendschutz in Wissenschaft und Praxis (KJug), 1 (62), S. 7–10.
forsa (2016). Ethik im Netz. Hate Speech. Ergebnisse einer von der LfM im Auftrag gegebenen Online-Befragung deutschsprachiger privater Internetnutzer ab 14 Jahren in Deutschland. Berlin. www.lfm-nrw.de/fileadmin/user_upload/lfm-nrw/Service/Veranstaltungen_und_Preise/Medienversammlung/2016/EthikimNetz_Hate_Speech-PP.pdf [Zugriff: 10.05.2017].
Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter (2015). Jahresbericht 2015. Online-Jugendschutz und Medienbildung von Kindern & Erwachsenen. Berlin. www.fsm.de/sites/default/files/fsm_jahresbericht_2015_online.pdf [Zugriff: 10.05.2017].
Hajok, Daniel (2017). Hate Speech. Hass und Hetze im Netz als Thema des Kinder- und Jugendmedienschutzes. In: Jugend Medien Schutz-Report (JMS), 1 (40), S. 2–6.
Jugendschutz.net (2015). Rechtsextremismus online beobachten und nachhaltig bekämpfen. Bericht über Recherchen und Maßnahmen im Jahr 2014. Mainz. www.spw.de/data/jugendschutz.net_rex_online_bericht2014.pdf [Zugriff: 10.05.2017].
Kaspar, Kai/Gräßer, Lars/Riffi, Aycha (2017). Kampagnen und Aktivitäten gegen Online Hate Speech. In: Kaspar, Kai/Gräßer, Lars/Riffi, Aycha (Hrsg.), Online Hate Speech. Perspektiven auf eine neue Form des Hasses. München: kopaed, S. 171–180.
Puneßen, Anja (2017). Hate Speech / Rechtsfragen. In: Kinder- und Jugendschutz in Wissenschaft und Praxis (KJug), 1 (62), S. 16–17.
Schmid, Tobias/Appelhoff, Mechthild (2017). Die Initiative „Netzkodex“. In: Kaspar, Kai/Gräßer, Lars/Riffi, Aycha (Hrsg.), Online Hate Speech. Perspektiven auf eine neue Form des Hasses. München: kopaed, S. 157–162.
Schmitt, Josephine B. (2017). Online Hate Speech: Definition und Verbreitungsmotivationen aus psychologischer Perspektive. In: Kaspar, Kai/Gräßer, Lars/Riffi, Aycha (Hrsg.), Online Hate Speech. Perspektiven auf eine neue Form des Hasses. München: kopaed, S. 51–56.
Christiane Yavuz: Like – Share – Hate: Extremistische Umtriebe im Netz
In Zeiten der Digitalisierung sind Kinder und Jugendliche immer und überall erreichbar – auch für extremistische Propagandistinnen und Propagandisten. Doch mit welchen Mitteln und Strategien liegen rechtsextreme und islamistische Akteurinnen und Akteure im Social Web auf der Lauer? Wie versuchen sie, Jugendliche für ihre jeweilige Ideologie, Gruppierung oder Aktivitäten zu gewinnen? Und: Welche Gegenmaßnahmen sind notwendig, um junge Nutzende vor extremistischen Beeinflussungsversuchen zu schützen? Erkenntnisse zum aktuellen Stand von jugendschutz.net.
Literatur:
Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (mpfs) (2016). JIM-Studie 2016. Jugend, Information, (Multi-)Media. Basisstudie zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger in Deutschland. Stuttgart.
Beitrag aus Heft »2017/03 Hass und Hetze im Netz«
Autor: Christiane Yavuz
Beitrag als PDFEinzelansichtFriedrich Krotz: Hate Speech und Fake News im Netz
Hate Speech im Netz wird heute vor allem als Handlungsweise einzelner Menschen diskutiert – es geht um ideologische Verblendung, gefühllose Dummheit und fehlende Medienkompetenz. Die kommunikativen Netze sind aber auch sonst zum Kampfplatz geworden: Unternehmen und staatliche Stellen setzen sich dort über berechtigte Interessen der Menschen hinweg, missbrauchen ihre Daten und versuchen, sie zu manipulieren und über den Tisch zu ziehen. Dies muss in diesem Zusammenhang ebenfalls thematisiert werden, wenn sich etwas ändern soll: Es bedarf nicht nur individueller, sondern auch gesellschaftlicher Medienkompetenz und einer gerechteren Organisation der Netze.
Literatur:
Crouch, Colin (2004). Post-Democracy. Cambridge: Polity Press.
Galtung, Johan (2004). Gewalt, Krieg und deren Nachwirkungen. Über sichtbare und unsichtbare Folgen der Gewalt. In: polylog. Forum für interkulturelle Philosophie 5. www.them.polylog.org/5/fgj-de.htm [Zugriff: 19.04.2017].
Habermas, Jürgen (1987). Theorie kommunikativen Handelns. 2 Bde., 4. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Krotz, Friedrich (2017). Mediatisierung: Ein Forschungskonzept. In: Krotz, Friedrich/Despotovic, Cathrin/Kruse, Merle-Marie (Hrsg.), Mediatisierung als Metaprozess. Wiesbaden: Springer VS, S. 13–32.
Marcuse, Herbert (1965). Repressive Toleranz. In: Wolff, Paul/Moore, Barrington/Marcuse, Herbert (Hrsg.), Kritik der reinen Toleranz. Frankfurt am Main: Suhrkamp. www.marcuse.org/herbert/pubs/60spubs/65reprtoleranzdt.htm [Zugriff: 02.05.2017].
Mau, Steffen (2017). Die Fliehkräfte des Sozialen. Gesellschaftlicher Zusammenhalt heute. In: Forschung und Lehre, 24 (5) , S. 300–302.
Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (mpfs) (Hrsg.) (2016). JIM 2016. Jugend, Information, (Multi-)Media. www.mpfs.de/studien/jim-studie/2016 [Zugriff: 18.04.2017].
Saurwein, Florian (2017, im Druck). Automatisierung, Algorithmen, Accountability – Eine Governance Perspective. In: Karmasin, Matthias/Krotz, Friedrich/Rath, Matthias (Hrsg.), Brauchen Maschinen Ethik – und wenn ja, welche? Wiesbaden: Springer VS.
Beitrag aus Heft »2017/03 Hass und Hetze im Netz«
Autor: Friedrich Krotz
Beitrag als PDFEinzelansichtKarin Knop: Jugendperspektive: Wahrnehmung von Extremismus
Medien bestimmen maßgeblich, wie politische Prozesse wahrgenommen werden. Sie haben großen Einfluss auf Meinungsbildung. Insbesondere in sozialen Onlinemedien ist der Ton rauer geworden, Hass und Hetze sowie extremistische Meinungsäußerungen haben zugenommen. Wie gehen Jugendliche mit diesen Inhalten in sozialen Medien um, wie bewerten sie diese, wie tauschen sie sich darüber aus und welche möglichen Verhaltensweisen resultieren hieraus?
Karin Knop, Akademische Rätin am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft der Universität Mannheim, im Gespräch mit Carsten Reinemann und Claudia Riesmeyer. Beide arbeiten am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Simone Rafael/Christina Dinar: Hass und Hetze im Internet – Analyse und Intervention
Wer sich gegen Hass im Netz engagiert, erhält Aufmerksamkeit. Dies ist zunächst eine gute Aufmerksamkeit, die andere dazu ermutigt, Zeichen gegen Ausgrenzung und Abwertung zu setzen. Doch wer sich mit rechtsextremem Hass auseinandersetzt, erhält auch die negative Aufmerksamkeit derer, die sich angesprochen fühlen. Dies beginnt mit beleidigenden Kommentaren und reicht bis zu Rufschädigung und offener Bedrohung. Im Folgenden wird das Format Counter Speech vorgestellt, um zu zeigen, wie Jugendliche in der (medien-)pädagogischen Praxis für eine schärfere Wahrnehmung rassistischer Äußerungen und für Möglichkeiten demokratischer Gegenrede sensibilisiert werden können.
Literatur:
Dinar, Christina (2017). Flüchtlingsfeindlichkeit im Netz: Wie kann Gegenrede in die pädagogische Praxis übersetzt werden? In: Kinder- und Jugendschutz in Wissenschaft und Praxis (KJug), 1 (62), S. 11–13.
Munich Digital Institute (2016). Nutzen Sie Facebook als Informationsquelle für aktuelle politische Themen? www.statista.com/statistik/daten/studie/507695/umfrage/facebook-als-informationsquelle-fuer-aktuelle-politische-themen-in-deutschland [Zugriff: 25.04.2017].
Statista (2006). Rund 30 Prozent schon mit Online-Hassposts konfrontiert. www.statista.com/infografik/4255/rund-30-prozent-schon-mit-online-hassposts-konfrontiert [Zugriff: 25.04.2017].
Vogel, Ines C./Milde, Jutta/Stengel, Karin./Staab, Steffen./Kling, Christoph C./Kunegis, Jérôme (2015). Glaubwürdigkeit und Vertrauen von Online-News. Ein kommunikationswissenschaftlicher Überblick. In: Datenschutz und Datensicherheit, 39 (5), S. 312–331.
Beitrag aus Heft »2017/03 Hass und Hetze im Netz«
Autor: Simone Rafael, Dinar
Beitrag als PDFEinzelansichtSwenja Wütscher: Das EmpÖrium schlägt zurück!
Mit Witz und Verstand gegen Stereotype, Vorurteile, Hass und Rassismus – das ist das Konzept einer sechsköpfigen Gruppe junger Berliner namens Datteltäter. Um ihr Publikum über den Islam oder Rechtspopulismus zu informieren und zum Nachdenken anzuregen, haben sie auf YouTube ein neues Satire-Kalifat errichtet. So versucht das muslimisch-christliche Team um Fiete Aleksander wöchentlich den Spagat, über Flüchtlingshelfer und Terroristen zu spaßen – und so Aufklärung zu betreiben.
Swenja Wütscher, verantwortliche Redakteurin von merz, im Gespräch mit Fiete Aleksander.
Beitrag aus Heft »2017/03 Hass und Hetze im Netz«
Autor: Swenja Wütscher
Beitrag als PDFEinzelansichtCaja Thimm: Hate Speech und Shitstorms als digitale (Un-)Kultur
Die euphorischen Erwartungen von Partizipation und Diskursfreiheit erscheinen gegenwärtig in Zeiten von Shitstorms und Hate Speech in weite Ferne gerückt. Die Dynamiken von Shitstorms und Hate Speech, ihr Entstehen und mögliche Reaktionsoptionen werden an prominenten Beispielen dargestellt.
Literatur:
Bieber, Christoph/Härthe, Constantin/Thimm, Caja (2015). Erregungskampagnen in Politik und Wirtschaft: Digitale Öffentlichkeit zwischen Shit- und Candystorms. Bonn: BAPP.
Dang-Anh, Mark/Einspänner, Jessica/Thimm, Caja (2013). Mediatisierung und Medialität in Social Media: Das Diskurssystem „Twitter“. In: Marx, Konstanze/Schwarz-Friesel, Monika (Hrsg.), Sprache und Kommunikation im technischen Zeitalter. Wieviel Internet (v)erträgt unsere Gesellschaft? Berlin, Boston: de Gruyter, S. 68–91.
Duden (2017). Shitstorm. www.duden.de/suchen/dudenonline/Shitstorm [Zugriff 10.03.2017].
Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM) (2016). Ethik im Netz: Hate Speech. Eine Forsa-Studie im Auftrag der Landesanstalt für Medien NRW. www.lfm-nrw.de/fileadmin/user_upload/lfm-nrw/Service/Veranstaltungen_und_Preise/Medienversammlung/2016/EthikimNetz_Hate_Speech-PP.pdf [Zugriff 10.03.2017].
Lobo, Sascha (2013). Ich habe das alles nicht gewollt. Sascha Lobo über die Entstehung des Begriffs Shitstorm. www.spiegel.de/netzwelt/web/sascha-lobo-ueber-die-entstehung-des-begriffs-shitstorm-a-884199.html [Zugriff 21.02.2017].
Pfeffer, Jürgen/Zorbach, Thomas (2015). Shitstorms: Social Media und die Veränderung der digitalen Diskussionskultur. In: Stiegler, Christian/Breitenbach, Patrick/Zorbach, Thomas (Hrsg.), New Media Culture: Mediale Phänomene der Netzkultur. Münster: LIT Verlag, S. 124–142.
Pfeffer, Jürgen/Zorbach, Thomas/Carley, Kathleen M. (2013). Understanding online firestorms: Negative word of mouth dynamics in social media networks. In: Journal of Marketing Communications, 20 (1–2), S. 117–128.
Pörksen, Bernhard/Detel, Hanne (2012). Der entfesselte Skandal. Das Ende der Kontrolle im digitalen Zeitalter. Köln: Herbert von Halem.Seemann, Michael (2011). Vom Kontrollverlust zur Filtersouveränität. In: Heinrich Böll Stiftung (Hrsg.), #public_life. Digitale Intimität, die Privatsphäre und das Netz. Berlin, S. 74–79.
Wizorek, Anne (2013). Was ihr schon immer über #aufschrei wissen wolltet und bisher auch zu fragen wagtet – Ein FAQ-Versuch. In: Kleinerdrei. www.kleinerdrei.org/2013/02/was-ihr-schonimmer-uber-aufschrei-wissen-wolltet-und-bisher-auch-zu-fragen-wagtet-ein-faq-versuch [Zugriff 21.02.2017].
spektrum
Gerhard Tulodziecki: Thesen zu einem Rahmenplan für ein Studium der Medienpädagogik
In einer Zeit, in der Digitalisierung und Mediatisierung einen deutlichen Einfluss auf Beruf und Freizeit, auf Wirtschaft und Technik, auf Meinungsbildung und Politik, auf Kultur und Gesellschaft ausüben, ergeben sich aus pädagogischer Sicht sowohl Fragen nach den Erziehungs- und Bildungsaufgaben von pädagogischen Institutionen als auch nach der Ausbildung von Pädagoginnen und Pädagogen für die Wahrnehmung solcher Aufgaben. Curriculare Überlegungen für pädagogische Einrichtungen, insbesondere für die Schule, waren Thema des Beitrags von Gerhard Tulodziecki in merz 2/2017. Die Überlegungen werden im Folgenden im Hinblick auf die Hochschulausbildung für Pädagoginnen und Pädagogen fortgeführt. Dabei richtet sich der Fokus auf die Medienpädagogik als Wissenschaft und Lehre für alle pädagogisch relevanten Fragen in Medienzusammenhängen.
Literatur
Blömeke, Sigrid (2000). Medienpädagogische Kompetenz. Theoretische und empirische Fundierung eines zentralen Elements der Lehrerausbildung. München: kopaed.
Gysbers, Andre (2008). Lehrer – Medien – Kompetenz. Eine empirische Untersuchung zur medienpädagogischen Kompetenz und Performanz niedersächsischer Lehrkräfte. Berlin: Vistas.
Herzig, Bardo/Martin, Alexander/Schaper, Niclas/Ossenschmidt, Daniel (2015). Modellierung und Messung medienpädagogischer Kompetenz – Grundlagen und erste Ergebnisse. In: Koch-Priewe, Barbara/Köker, Anne/Seifried, Jürgen/Wuttke, Evelin (Hrsg.), Kompetenzerwerb an Hochschulen: Modellierung und Messung. Zur Professionalisierung angehender Lehrerinnen und Lehrer sowie frühpädagogischer Fachkräfte. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S. 153–176
.Klieme, Eckhard/Hartig, Johannes (2007). Kompetenzkonzepte in den Sozialwissenschaften und im erziehungswissenschaftlichen Diskurs. In: Prenzel, Manfred/Gogolin, Ingrid/Krüger, Heinz-Hermann (Hrsg.), Kompetenzdiagnostik. Sonderheft 8 der Zeitschrift für Erziehungswissenschaft. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 11–29.
KMK – Kultusministerkonferenz (2012). Medienbildung in der Schule. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 08.03.2013. Berlin: Sekretariat der KMK.
Kolbe, Fritz-Ulrich (2004). Verhältnis von Wissen und Handeln. In: Blömeke, Sigrid/Reinhold, Peter/Tulodziecki, Gerhard/Wildt, Johannes (Hrsg.), Handbuch Lehrerbildung. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S. 206–232
.Kommer, Sven/Biermann, Ralf (2012). Der mediale Habitus von (angehenden) LehrerInnen. Medienbezogene Dispositionen und Medienhandeln von Lehramtsstudierenden. In: Schulz-Zander, Renate/Eickelmann, Birgit/Moser, Heinz/Niesyto, Horst/Grell, Petra (Hrsg.), Jahrbuch Medienpädagogik 9. Wiesbaden: Springer VS, S. 81–108.
Schell, Fred/Stolzenburg, Elke/Theunert, Helga (Hrsg.) (1999). Medienkompetenz. Grundlagen und pädagogisches Handeln. München: kopaed.
Schulz-Zander, Renate/Eickelmann, Birgit/Moser, Heinz/Niesyto, Horst/Grell, Petra (Hrsg.) (2012). Jahrbuch Medienpädagogik 9. Wiesbaden: Springer VS.
Tulodziecki, Gerhard (2011b). Zur Entstehung und Entwicklung zentraler Begriffe bei der pädagogischen Auseinandersetzung mit Medien. In: Moser, Heinz/Grell, Petra/Niesyto, Horst (Hrsg.), Medienbildung und Medienkompetenz. Beiträge zu Schlüsselbegriffen der Medienpädagogik. München: kopaed, S. 11–39.
Tulodziecki, Gerhard (2012). Medienpädagogische Kompetenz und Standards in der Lehrerbildung. In: Schulz-Zander, Renate/Eickelmann, Birgit/Moser, Heinz/Niesyto, Horst/Grell, Petra (Hrsg.), Jahrbuch Medienpädagogik 9. Wiesbaden: Springer VS, S. 271–297.
Tulodziecki, Gerhard (2017). Thesen zu einem Curriculum zur „Bildung in einer durch Digitalisierung und Mediatisierung beeinflussten Welt“. In: merz | medien + erziehung, 61 (2), S. 50–56.
Die komplette Literatur zu diesem Artikel finden Sie online unter www.merz-zeitschrift.de.
Beitrag aus Heft »2017/03 Hass und Hetze im Netz«
Autor: Gerhard Tulodziecki
Beitrag als PDFEinzelansichtAggi Frantz/Daniel Hajok/Achim Lauber: Wenn Eltern Bilder ihrer Kinder online stellen
Wenn wir Risiken des Medienumgangs diskutieren, dann haben Pädagoginnen und Pädagogen wie Kinder- und Jugendmedienschützerinnen und -schützer in aller Regel die jungen Mediennutzenden im Blick. Der Beitrag zu dem aktuellen Trend, mit der eigenen Familie auch online präsent zu sein, lenkt den Blick nun auch auf die Erziehungsberechtigten. Wenn Eltern Kinderfotos und andere persönliche Daten ihrer Kinder in soziale Netzwerke einstellen, bewegen sie sich in einem Spannungsfeld von Erziehungsrechten und -pflichten einerseits und den Wünschen und Rechten ihrer Kinder andererseits.
Literatur:
Autenrieth, Ulla (2017). Die Visualisierung von Kindheit und Familie im Social Web als Forschungsfeld. In: Hoffmann, Dagmar/Krotz, Friedrich/Reißmann, Wolfgang (Hrsg.), Mediatisierung und Mediensozialisation. Wiesbaden: Springer VS, S. 137–151.
Boyd, Danah/Marwick, Alice (2011). Social Privacy in Networked Publics: Teens’ Attitudes, Practices, and Strategies. www.danah.org/papers/2011/SocialPrivacyPLSC-Draft.pdf [Zugriff: 02.05.2017].
Frantz, Aggi (2016). Die Veröffentlichung von Kinderfotos in sozialen Netzwerken. Wenn Eltern Fotos ihrer Kinder online stellen – aus der Perspektive von Kindern und Jugendlichen. Masterarbeit. Universität Erfurt.
Frantz, Aggi/Hajok, Daniel/Lauber, Achim (2016). Wenn Eltern Bilder ihrer Kinder online stellen. Kinderrechte und Elternpflichten im Kontext des Kinder- und Jugendmedienschutzes. In: Jugend Medien Schutz-Report (JMS), 39 (6), S. 2–6.
Kumar, Priya (2014). A Digital Footprint From Birth: New Mothers’ Decisions to Share Baby Pictures. deepblue.lib.umich.edu/bitstream/handle/2027.42/106577/Priya_Kumar_Thesis.pdf [Zugriff: 02.05.2017].
Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (mpfs) (Hrsg.) (2017). KIM-Studie 2016. Kinder + Medien, Computer + Internet. Basisuntersuchung zum Medienumgang 6- bis 13-Jähriger in Deutschland. Stuttgart.
Nominet (2015). Today’s children will feature in almost 1,000 online photos by the time they reach age five. www.nominet.uk/todays-children-will-feature-in-almost-1000-online-photos-by-the-time-they-reach-age-five [Zugriff: 02.05.2017].
Wernert, Manfred (2014). Internetkriminalität. Grundlagenwissen, erste Maßnahmen und polizeiliche Ermittlungen. Stuttgart: Boorberg.
Wunder, Karin (2015). Minderjährige und das Recht am eigenen Bild. www.juuuport.de/web-thema/minderjaehrige-recht-am-eigenen-bild [Zugriff: 02.05.2017]
Beitrag aus Heft »2017/03 Hass und Hetze im Netz«
Autor: Aggi Frantz, Daniel Hajok, Achim Lauber
Beitrag als PDFEinzelansichtHeike Sälzer: Digitale Medienbildung in der frühen Kindheit
Die Reflexion kindlicher Erlebnisse und Erfahrungen ist eine Kernaufgabe einer Kita. Dazu gehört für Kinder zwischen drei und sechs Jahren auch zunehmend ein kompetenter Umgang mit digitalen Medien – die Wissenschaft spricht bereits von einer mediatisierten Kindheit. Die vorliegende Studie hat untersucht, welche Bedeutung vor diesem Hintergrund medienpädagogische Konzepte in frühkindlichen Bildungseinrichtungen haben. Dabei wurde sowohl die Sicht der Wissenschaft als auch die der Fachkräfte in den Kitas berücksichtigt.
Literatur:
Eder, Sabine/Roboom, Susanne (2014). Klicken, Knipsen, Tricksen. Medienerziehung im Kindergarten. In: Tillmann, Angela/Fleischer, Sandra/Hugger, Kai-Uwe (Hrsg.), Handbuch Kinder und Medien. Wiesbaden: Springer VS, S. 503–516.
Garsoffky, Susanne/Sembach, Britta (2014). Die Alles ist möglich-Lüge: Wieso Familie und Beruf nicht zu vereinbaren sind. München/Berlin: Pantheon Verlag.
Knauf, Helen (2012). Medienbildung in der Kita. Die Nutzung und das Ausprobieren von Medienangeboten. In: Klein & groß, 5, S. 48–51.
Mogel, Hans (1994). Psychologie des Kinderspiels. 2. Aufl. Berlin/Heidelberg: Springer medizin Verlag.
Schallhart, Elisabeth/Eitel, Andreas/Lenich, André/Gartler, Claudia/Wieden-Bischof, Diana/Schaper, Elisabeth/Ehlers, Jan P. (2013). Spielend Lernen im Kindergarten. Neue Technologien im Einsatz. In: Ebner, Martin/Schön, Sandra (Hrsg.), L3T. Lehrbuch für Lernen und Lehren mit Technologien. 2. Aufl. www.pedocs.de/volltexte/2013/8372/pdf/L3T_2013_Schallhart_et_al_Spielend_Lernen.pdf [Zugriff: 02.05.2017].
Six, Ulrike (2008). Medien und Entwicklung, In: Oerter, Rolf/Montada, Leo (Hrsg.), Entwicklungspsychologie. Weinheim: Beltz, S. 885–909.
Six, Ulrike/Gimmler, Roland (2007). Die Förderung von Medienkompetenz im Kindergarten. Eine empirische Studie zu Bedingungen und Handlungsformen der Medienerziehung, Schriftenreihe Medienforschung der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (Hrsg.). Band 57. Düsseldorf: Vistas.
Süss, Daniel/Lampert, Claudia/Wijnen, Christine W. (2010). Medienpädagogik. Ein Studienbuch zur Einführung, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Theunert, Helga/Demmler, Kathrin (2007). (Interaktive) Medien im Leben Null- bis Sechsjähriger – Realitäten und Handlungsnotwendigkeiten. In: Herzig, Bardo/Grafe, Silke (Hrsg.), Digitale Medien in der Schule. Standortbestimmung und Handlungsempfehlungen für die Zukunft. Studie zur Nutzung digitaler Medien in allgemein bildendenden Schulen in Deutschland. Bonn: Deutsche Telekom.
medienreport
Antje Müller: Extreme Dialogue
Institute of Strategic Dialogue, Duckrabbit, Tim Parry Johnathan Ball Foundation for Peace (Hrsg.) (2017). Extreme Dialogue. www.extremedialogue.org, kostenfrei.
Sich fremd, ausgegrenzt oder allein gelassen fühlen, auf sich gestellt sein, umgeben von Problemen – das schürt manchmal die Entwicklung extremer Vorstellungen und führt zu einer Spirale von Denkweisen, die unter anderem auch zur Festigung ideologisierter Haltungen und Einstellungen beiträgt, und sich in der Unterstützung extremistischer Gruppierungen kanalisiert.Mitwirkung, Offenheit und gemeinschaftliches Lernen ist aus diesem Grund der zentrale Ansatz des aus Großbritannien stammenden Lernbegleiters Extreme Dialogue, welcher für ‚schwierige‘ Themen wie Gewalt, Extremismus, Terrorismus und Islamismus bei der Aufklärung und Schulung 14- bis 16-Jähriger genutzt werden kann. Das kostenfreie Online-Materialpaket besteht aus einer Reihe dokumentarischer Kurzfilme und offen zugänglicher Lehrmittel für insgesamt dreieinhalb- bis viereinhalbstündige Workshops, die sich aus ein- bis eineinhalbstündigen Themenblöcke zusammensetzen.
Derzeit sind fünf Sets verfügbar, die sich mit erlebten und überlebten Taten auseinandersetzen. Gefördert werden sollen damit eine kritische Denkweise und die digitale Bildung, welche sich durch sichere und konstruktive Diskussionen über Extremismus und Radikalisierung in einem schulischen oder gemeinschaftlichen Rahmen entwickeln können. Extreme Dialogue möchte Kontakt zu den Menschen herstellen, mit denen das junge Zielpublikum normalerweise keinen Umgang hat, um so dem Schwarz-Weiß-Denken ‚wir gegen die Anderen‘ entgegenzuwirken.Kernelement des Präventionskonzepts sind persönliche Geschichten von internationalen Täterinnen und Tätern wie auch von Opfern, die von Extremismus aus dem gesamten ideologischen Spektrum betroffen sind. Darunter finden sich unter anderem ein ehemaliges Mitglied einer rechtsextremen Gruppe in Kanada, ein Flüchtling aus Syrien und ein ehemaliges Mitglied der Ulster Volunteer Force (UVF), dessen Vater von der IRA getötet wurde.
Innerhalb von etwa fünf bis zehn Minuten berichten die Männer in ihrer Landessprache – untertitelt in wahlweise deutscher, englischer, ungarischer oder französischer Sprache – von ihrem düsteren Lebensweg und ihrer Kindheit, die oft verkettet ist mit verstörenden Erfahrungen. Innerhalb emotional geladener Erklärungen machen sie mit deutlichen Worten die Beweggründe für die vom Hass getriebenen Taten und Erlebnisse klar, und beschreiben nachvollziehbar den schwierigen Prozess, diese zu überwinden. Neben den Dokumentarfilmen stehen Prezi-Präsentationen und Ressourcenpakete zur jeweiligen Falldarstellung bereit, die über den Link ‚Unterrichtsmaterial‘ auf Deutsch, Englisch, Ungarisch und Französisch abrufbar sind. Diese eignen sich daher auch für den Einsatz im deutschsprachigen Unterricht; übrigens sind alle Filme auf Anfrage auch in Britischer Gebärdensprache erhältlich.
Darin enthalten sind partizipative Übungen und Aktivitäten zur Anregung und sicheren Durchführung robuster Diskussionen. Mithilfe von zum Beispiel Fragestellungen zum explorativen Lernen und narrativen Übungen kann das Einfühlen in unterschiedliche Perspektiven und Standpunkte sowie das Engagement zur Richtigstellung fragwürdiger Aussagen gefördert werden. Weiterhin wird Anlass gegeben über die Auswirkungen von Handlungen und Entscheidungen nachzudenken und nach neuen Möglichkeiten und Alternativen zu suchen.In Anbetracht der vielfältigen und zahlreichen Formen von Gewalt, denen vor allem junge Menschen ausgesetzt sind und auf die sie selbst zurückgreifen, liefert das Materialpaket ein gut durchdachtes interaktives Präventionskonzept, um die online wie offline geführten Gespräche unter Gleichaltrigen auch in Gegenwart eines sachkundigen Erwachsenen zu führen. Medial gestützt und vorrangig mit Diskussionsübungen in Klein- bis Großgruppen können so problematische Verhaltensweisen – wie Misstrauen, Entfremdung und Entmenschlichung – wirksam aufgebrochen werden, bevor sich extreme Einstellungen festigen.
Gleichzeitig liefert das Konzept wichtige Impulse zur eigenen Meinungsäußerung und fördert das soziale Engagement in Schulklassen und Jugendgruppen – durch eine anregende Auswahl und eine prägnante Beschreibung von ‚Aktivitäten‘ und einen Überblick über potenzielle ‚Lernleistungen‘ und ‚Lehreinheiten‘ mit jeweiligen Lernzielen und Empfehlungen zu möglichen Reaktionen und Herausforderungen. Mit einer ansprechenden und schnell realisierbaren Methodenmischung aus geschlossenen Abschnitten und Gruppenarbeitsvariationen könnten die einzelnen Ressourcenpakete im Webangebot jedoch dominanter platziert und um Schnellhilfen mit geringeren Seitenumfängen ergänzt werden. Zudem geht nicht immer klar hervor, wie sich die Filme und Prezi-Präsentationen ergänzend in die Vorschläge zur Seminargestaltung einfügen sollen. Die Kurzfilme und Einzelinterviews verkörpern ein wirksames Element, um die Eindringlichkeit des Themas zu verdeutlichen. Eingebettet in persönlichen und emotional aufgeladenen Berichten erhalten die Nutzenden ein umfassendes Bild von der Täterin, dem Täter bzw. vom Opfer, die bewusst auf eine Verschleierung, Verklärung oder Verharmlosung ihrer Situation verzichten.
Trotz der Brisanz des Themas, das durchaus auch beängstigende Potenziale birgt, wird auf die visuelle Darstellung von Gräueltaten, widrigen Lebensumständen oder gewalttätigen Methoden verzichtet – das kommt der jungen Zielgruppe entgegen. Auffällig ist jedoch die überwiegende Täterperspektive, die zudem ausschließlich von älteren Männern geschildert wird. Für gefährdete junge Frauen bzw. zur Extremismus-Prävention für weibliche Risikogruppen findet sich hier leider noch kein Anknüpfungspunkt. auch stellt sich die Frage, ob diese Tatbeschreibungen für Jugendliche genügend anschlussfähig sind. Zu beachten ist darüber hinaus, dass fast alle Täterperspektiven aus einer vorab geschilderten selbst durchlebten Opferrolle resultieren und somit die filmische Dokumentation, sofern sie alleinstehend angewandt wird, vorhandenes extremistisches Gedankengut möglichweise eher schüren statt verhindern könnte.
Bei der reflexiven Einordnung und Brückenleistung kommt den Lehrenden dementsprechend eine wichtige Rolle zu. Extreme Dialogue ermutigt insgesamt zum kritischen Denken und gibt Anlass zum Nachdenken über eigene Grundwerte und gemeinsame Überzeugungen. Ziel des Partizipationskonzepts ist die Erlangung von Kenntnissen über Wurzeln und Auswüchse extremistischer Taten, wie auch das Verstehen von Motiven und die Infragestellung von Mythen und Missverständnissen im Zusammenhang mit extremistischen Gruppierungen. Das Konzept eignet sich daher weniger zur Entradikalisierung als vielmehr zur Prävention. Der Aufbau von Kompetenzen, wie die Fähigkeit zur Analyse von Konsequenzen und Wirkungen des gewalttätigen Extremismus, leistet auf diese Weise einen Beitrag dazu, dass junge Leute gesellschaftliche Veränderungen aktiver mitgestalten.
Markus Achatz/Michael Bloech: Genre-Crossover und spannende Kinogeschichten aus Fernost
Vier aktuelle Filme aus Fernost bieten spannende Einblicke in gesellschaftliche Veränderungsprozesse und zeigen frische Crossover-Qualität mit vielfältigen Genremischungen. Alle Neuerscheinungen liefen als Weltpremieren auf den Internationalen Filmfestspielen Berlin 2017 und stellen heranwachsende Protagonistinnen und Protagonisten ins Zentrum ihrer unterschiedlichen Geschichten: Die internationale Großproduktion Mr. Long spielt mit Genres und überwindet mühelos die Grenzen zwischen Action-Thriller und Gefühlskino. Den Kern bilden dabei ein untergetauchter Profikiller, ein achtjähriger Junge, dessen drogenabhängige Mutter sowie eine Handvoll merkwürdiger Nachbarn. Neben zwei einsamen jungen Menschen spielt in The Tokyo Night Sky is Always the Densest Shade of Blue die Großstadt eine weitere Hauptrolle. Der chinesische Independent-Film Ben Niao (The Foolish Bird) schildert die verzweifelte Suche einer 16-Jährigen nach Glück und eigener Identität. Ein Coming-of-Age-Film mit einem nüchternen Blick auf Perspektivlosigkeit und Isolation im heutigen China. Karera ga Honki de Amu toki wa (Close-Knit) führt eine ungewöhnliche Patchwork-Familie zusammen und ist ein warmherziges Plädoyer für Toleranz.
Strick-Kurs für neue Familienformen
Grob übersetzt heißt der Originaltitel des japanischen Films Karera ga Honki de Amu toki wa (Close-Knit) von Naoko Ogigami in etwa ‚Wenn sie anfangen, ernsthaft zu stricken‘. Die elfjährige Tomo ist laufend allein. Nach der Schule isst sie jeden Tag abgepackte Reisbällchen aus dem Supermarkt. Ihre Mutter kümmert sich kaum um das Kind und kommt häufig spätnachts betrunken nach Hause. Als sie – nicht zum ersten Mal – längere Zeit wegbleibt, kontaktiert Tomo ihren Onkel Makio. Der nimmt sie bei sich auf, allerdings unter neuen Vorzeichen: Er lebt inzwischen mit seiner Freundin Rinko zusammen. Nach anfänglicher Überraschung, dass Rinko eine Transgenderfrau ist, wird bald klar, mit welch großer Fürsorge und Liebe sich alle um Tomo kümmern. Das Mädchen fühlt sich schnell wohl und die drei wachsen zu einer kleinen Familie zusammen. Doch diese Idylle wird von der Außenwelt nicht mitgetragen. Beispielsweise zeigt die Mutter eines Klassenkameraden Tomos offen ihre Abneigung gegenüber Rinko und ihrer Transsexualität. Dabei geht Rinko in ihrer Aufgabe als Ersatzmutter völlig auf und genießt auch als Altenpflegerin im Beruf Anerkennung. Dennoch muss sie immer wieder neuen Mut fassen. Die Zweifel an ihrer sexuellen Identität kanalisiert Rinko durch permanentes Stricken. Der Griff zu den Stricknadeln verleiht der Geschichte eine beinahe meditative Atmosphäre, die an asiatische Filme ganz anderer Genres anknüpft. Auch Tomo lernt hierdurch mit ihren Verunsicherungen umzugehen. In einer ungemein entspannten Sequenz sitzen Rinko, Tomo und Makio strickend unter Kirschblüten an einem Flussufer. So gewinnen glückliche Momente die Überhand gegen gesellschaftliche Normen und Repressalien. Regisseurin Naoko Ogigami setzt dabei nicht auf zu viel Melodramatik, vielmehr webt sie leichtfüßigen und auch skurrilen Humor in die Geschichte. Rinko strickt nämlich nicht irgendetwas, sondern exakt 108 wollene Penisse. Diese sollen sie auf dem Weg bis zur offiziellen Änderung des Geschlechts in ihrem Pass begleiten, um dann – in Anlehnung an 108 Glieder einer buddhistischen Gebetskette – feierlich verbrannt zu werden.
Der Film idealisiert einerseits ein eher klassisch-konservatives Familienbild, konterkariert dieses aber durch eine eigene Dynamik aus Rinkos Transsexualität und ihrem Wunsch nach einer stereotypen Frauenrolle sowie ihrer Beziehung zu Makio und Tomo: Makio mit seiner vorbehaltlosen Zuneigung und beeindruckenden Besonnenheit, Tomo mit ihrem kindlichen Gemüt und Bedürfnis nach Geborgenheit. Wie kompliziert die Welt in Wahrheit ist, verdeutlicht die ungeschnittene Schlussszene, als Tomos Mutter zurückkehrt, um ihr Kind wieder abzuholen.
Close-Knit nähert sich einem Tabu-Thema auf sensible Weise und verknüpft dies mit einer Coming-of-Age Geschichte, die mit Tomo sowie (anhand von Rückblenden) mit Rinko gleich zwei starke Hauptfiguren hat. Bereits mit dem Debütfilm Barber Yoshino (Yoshinos Frisörsalon), der 2004 auf dem Kinderfilmfest der Berlinale lief, bewies Ogigami viel Gespür für feinen Humor und die Welt von Heranwachsenden. Zuletzt kam ihre bunte Komödie Rentaneko (Rent-a-Cat; Berlinale Panorama 2012) über eine junge Frau, die Katzen an einsame Menschen vermietet, in die Kinos. Close-Knit spiegelt die Torheit von Vorurteilen und ist ein empathisches Plädoyer für Menschlichkeit und Mitgefühl.
Perspektivlosigkeit in einer chinesischen Kleinstadt
Deutlich düsterer und drastischer geht es im Alltag der jungen Hauptprotagonistin Lynn im chinesischen Film Ben Niao (The Foolish Bird) zu. Die 16-Jährige ist ebenfalls von ihrer Mutter verlassen, allerdings aufgrund der in vielen Regionen Chinas weit verbreiteten Arbeitsmigration. Das Mädchen und ihre kleinen Geschwister leben bei den Großeltern während Lynns Mutter in einer weit entfernten Großstadt arbeitet. Auf Druck der Mutter bewirbt sich Lynn an der örtlichen Polizeiakademie. Sie ist eine fleißige Schülerin, verstrickt sich aber mit ihrer Freundin May in gefährliche Geschäfte mit geklauten Handys. Die Mädchen verkaufen Smartphones, die Mitschülerinnen an ihrer Schule abgenommen wurden und dort lagerten. Dabei geraten die beiden Mädchen an einen korrupten Hehler und in ein Netz aus Kriminalität und sexueller Gewalt. Als May eines Tages nicht mehr auf Lynns Nachrichten antwortet, muss sie das Schlimmste befürchten.
Regisseurin Huang Ji hat Ben Niao gemeinsam mit Kameramann Ryuji Otsuka inszeniert, der auch für ihren Debütfilm Jidan he Shitou (Egg and Stone, 2012) hinter der Kamera stand. Beide Filme porträtieren zurückgelassene Kinder. Im Interview betont Huang Ji die starken autobiografischen Züge der Geschichte. Sie hätte viele Ereignisse, die der Film zeigt, selbst erlebt – bis hin zur Isolation und negativen ersten sexuellen Erfahrungen. Sie sei eines von diesen Tausenden jungen Mädchen gewesen, die sich alle ähneln und im immer gleichen Trainingsanzug herumlaufen. Der Film spielt in der Stadt Meiching (Provinz Hunan), in der Huang Ji viele Jahre gelebt hat. Mit etwa 100.000 Einwohnern eine typische Kleinstadt, in der heute immer mehr Kinder und Jugendliche ohne Eltern aufwachsen, weil diese fernab in den Metropolen arbeiten. Huang Ji und Ryuji Otsuka haben die Story in die Jetztzeit verlagert. Das Streben der Heranwachsenden nach materiellem Glück mündet im Verkauf der gestohlenen Smartphones, was aber nur wenige hundert Yuan einbringt. Social Media-Kommunikation und die Anonymität der virtuellen Welt sind omnipräsent im Leben der Teenager – im Film wunderbar konterkariert durch Lynns lange Fahrradfahrten durch die Stadt, ein Sinnbild ihrer verlorenen Suche nach Individualität, Zuneigung und Wärme. Bis heute ist unklar, ob und wann der Film in China gezeigt werden kann. Die Zensurbehörden haben noch keine Freigabe erteilt. Vielleicht nützt es, dass Ben Niao eine ‚Lobende Erwähnung‘ der internationalen Jury in der Sektion Generation 14plus der Berlinale 2017 erhalten hat.
Einsame Herzen in Tokios Großstadtdschungel
Yozora ha itsu demo saikou mitsudo no aoiro da (The Tokyo Night Sky is Always the Densest Shade of Blue) – der poetische Titel passt gut zur Geschichte dieses Films, die inspiriert wurde von der Melancholie junger Erwachsener und vom ‚Sich-Verlieren‘ im Puls der Großstadt. Das Protagonisten-Duo Mika und Shinji braucht eine ganze Weile bis es sich gegenseitig wahrnimmt und erkennt, dass das Leben und die Liebe kein Zufall sind. Mika geht zwei Jobs nach und arbeitet tagsüber als Krankenschwester, nachts als Bardame. Shinji jobbt als Bauarbeiter. Beide begegnen sich auf wundersame Weise immer wieder, wohl wissend, dass die Einsamkeit ebenso Bestandteil ihres Lebens ist wie ihre Überzeugung, seltsame Außenseiter zu sein. Mika leidet unter der Leere nach dem Tod ihrer Mutter und einer gescheiterten Beziehung. Shinji fühlt sich als Freak, auch weil er auf einem Auge blind ist. Dennoch glaubt er, dass er gerade deswegen viele Dinge anders sehen kann. In Szenen mit Shinji und drei seiner Kollegen auf der Großbaustelle für die Olympischen Spiele 2020 entstehen immer wieder tragikomische Momente. Regisseur und Drehbuchautor Yuya Ishii verweist auf Gedichte über Tokio als eine wichtige Vorlage für den Film und schildert beinahe zärtlich die Verlorenheit inmitten der Riesenmetropole, die von verunsicherten Menschen bevölkert wird. Am Ende steht die Frage, ob man nicht auch gemeinsam einsam sein kann. Mit Poesie und märchenhaften Stimmungsbildern begleitet Ishii seine Figuren durch eine Stadt, dessen Nachthimmel so blaue Nuancen hat wie sie nur zwei sehen können, die die Liebe gefunden haben.
SABUs Genre-Mix über einen kochenden Samurai
Der japanische Regisseur Hiroyuki Tanaka, der nur unter seinem Künstlernamen SABU firmiert, ist ein gern gesehener Gast auf der Berlinale. Bereits 1997 wurde er in die Sektion Panorama mit D.A.N.G.A.N Runner eingeladen. Anschließend tauchte er in loser Folge immer wieder mit Filmen im Programmblock Forum oder im Panorama auf. So gewann er im Jahr 2000 mit seinem Film Monday den renommierten FIPRESCI Award, den Preis der internationalen Filmkritik. Im Zentrum seiner Filme stehen oft gebrochene Heldinnen und Helden, sympathische Außenseiterinnen und Außenseiter, die in abstruse Situationen geworfen werden und ihre Probleme meistern müssen. Herausragendes Moment der Erzählkunst von SABU ist dabei der kühne Genre-Mix aus Martial Arts, Film Noir, Slapstick, Liebesfilm und dieses Mal in seinem neuen Werk Mr. Long zusätzlich aus Elementen des ‚Koch-Films‘. Gekonnt stürzt SABU die Zusehenden dabei in eine permanente Achterbahn der Gefühle, auf harte Action folgen Szenen skurriler Komik oder Augenblicke anrührender Emotionen.
Zu Beginn von Mr. Long erleben wir eine Szene, die den Helden bei seiner anstrengenden Arbeit zeigt. Emotionslos und nahezu wortlos verrichtet Long, wie schon zuvor in den 1970er-Jahren Jeff (Alain Delon) in Melvilles Klassiker Le samouraï (Der eiskalte Engel), seine Arbeit als Auftragskiller. Dabei gerät Mr. Long – wie auch Jeff – anschließend in eine schier ausweglose Situation. Nach einem Mordauftrag in seiner Heimat Taiwan wird Long nach Japan geschickt, allerdings misslingt sein Auftrag und er muss sich schwer verletzt, ohne Sprachkenntnisse und völlig mittellos in einer Abbruchszenerie am Rande von Tokio zurechtfinden. Ein kleiner Junge und auch nette, aber naive Menschen aus der Nachbarschaft kümmern sich hingebungsvoll um ihn. Sie basteln sogar eine kleine fahrbare Suppenküche, mit der Long nun seinen Lebensunterhalt kochend bestreitet. Dann tritt Lily, eine drogenabhängige Prostituierte, in sein Leben und er findet mit ihr eine neue, schwere Aufgabe. Mit Entschlossenheit kümmert er sich um sie und ihren Sohn, die beiden verlieben sich, doch das scheinbare Glück währt nicht lange.
Im Gegensatz zu Melville verlässt SABU dabei das strenge ästhetische Korsett des Film Noir und spielt kühn und gekonnt mit unterschiedlichsten Stilelementen. Er bringt zusammen, was eigentlich nicht zusammen passt. Dennoch besitzt gerade diese Mixtur etwas magisches, sie überhöht die Wirkung der einzelnen Elemente. So bleibt einem beispielsweise die drastische Szene, in der Lily von einem Zuhälter in die Drogenabhängigkeit gezwungen wird, besonders nachhaltig im Bewusstsein, da sie eingebettet wurde in emotional kontroverse Szenen. SABU ist mit Mr. Long nicht nur der Sprung in das erlauchte Programm des Wettbewerbs der Berlinale geglückt, sondern ihm ist tatsächlich ein berührendes, kleines Kunstwerk gelungen. Ein Kunstwerk insofern, als dass es bei Mr. Long nicht um das nackte Abbilden oder Bebildern von Wirklichkeiten oder der Präsentation von Fantastischem geht, sondern vielmehr um eine unterhaltsame Fabel. Das ‚Fabelhafte‘, die moralische Komponente, erschließt sich dabei vollends in der unerwarteten Schlusssequenz, die hier natürlich nicht verraten werden soll. Der Film Mr. Long kommt am 14. September in die deutschen Kinos.
Beitrag aus Heft »2017/03 Hass und Hetze im Netz«
Autor: Markus Achatz, Michael Bloech
Beitrag als PDFEinzelansichtMelanie Theissler: Von der Straße ins Herrenhaus – und wieder zurück?
Ursula Poznanski (2015). Layers. Gelesen von Jens Wawrczeck. Hörverlag, 765 Min., 14,99 €.
Wo schlafe ich? Wo bekomme ich was zu essen? Solche Fragen stellt sich der 17-jährige Dorian. Er ist obdachlos, und das schon seit sechs Monaten. So lange versucht er schon, seinem gewalttätigen Vater zu entkommen. Tagtäglich kämpft er mit Sorgen über Kälte, Hunger, Schlafplatzmöglichkeiten, gegen die Polizei und potenziell gefährliche Menschen. Und so beginnt auch die Erzählung mitten in einer für Dorian brenzligen Situation, in der die Zuhörenden hineingezogen werden: Dorian wird mitten in der Nacht, die er in einem U-Bahnhof verbringt, urplötzlich der Rucksack entrissen. Der Dieb ist für Dorian ein altbekannter Obdachloser, der sich ebenfalls öfter im U-Bahnhof aufhält und Emil genannt wird. Er bereitet Dorian immer wieder Schwierigkeiten, doch er kann Emil für gewöhnlich ruhigstellen, indem er ihm ‚seinen‘ Alkohol besorgt. Doch da Emil sich diesmal nicht so einfach besänftigen lässt, muss Dorian ihn mittels körperlichen Einsatzes dazu zwingen, ihm seinen Rucksack, seine Wasserflasche und sein Taschenmesser wiederzugeben. Diese Geschehnisse werden emotional, eindrucksvoll und imaginativ beschrieben – und wechseln zwischen Dorians Gedanken und äußerlichen Beschreibungen. Grundsätzlich wird die Erzählung ausschließlich aus Dorians Perspektive dargestellt. So bekommen die Hörenden einen überaus anschaulichen Eindruck davon, welche Sorgen den 17-Jährigen anlässlich der aktuellen Umstände plagen; dass er zum Beispiel aufgrund der Kälte eine Winterjacke braucht, dass er nicht weiß, wann er in der Notunterkunft schlafen und wo er sein nächstes Essen besorgen soll, und wie oft er welchen Supermarkt aufsuchen kann. Denn eines möchte Dorian auf keinen Fall: Auffallen. Daher achtet er neben einem regelmäßigen Ortswechsel für die Nahrungsbeschaffung auch auf ein adäquates Aussehen und meidet Gewalt, wo es nur geht. Er möchte unerkannt bleiben. Dieses Verhalten passt auch sehr zu Dorians Charakter, der den Hörenden als sehr klug, freundlich, höflich, vorausschauend und planerisch sowie pazifistisch begegnet. Alkohol und Drogen lehnt er aus Prinzip ab, Betteln meidet er, bis es gar nicht mehr anders geht. Aufgrund seines jungen Alters, seiner Vorgeschichte und den eher untypischen Charakterzügen eines Obdachlosen, gibt Dorian einen bedauernswerten, aber gleichzeitig auch sehr liebevollen Protagonisten ab. Die Zuhörerinnen und Zuhörer können auf diese Weise einfach und sehr schnell eine emotionale und mitfühlende Bindung zu dem Teenager entwickeln. So auch, als Dorians Leben sich von einem auf den anderen Tag auf eine merkwürdige Weise ändert. Der findet nämlich eines Nachts seinen Bekannten Emil blutend, keine zwei Schritte neben seinem Schlafplatz entfernt. Erstochen – offenbar mir Dorians Taschenmesser, welches direkt neben Emil liegt. Aber Dorian kann sich nicht an die Tat erinnern. Er weiß lediglich, dass er mit dem Messer in der Hand eingeschlafen ist. Als Dorian völlig überfordert überlegt, was er nun tun soll, taucht wie aus dem Nichts ein fremder Mann auf, der sich ihm als Niko vorstellt und ihm anbietet, sich um die Leiche und die Angelegenheiten zu kümmern. Er möchte Dorian sogar aus der Obdachlosigkeit heraushelfen.
Die Hörerinnen und Hörer befinden sich an dieser Stelle noch in der Einleitung der Erzählung. Die Ereignisse werden zügig und spannungsreich erzählt, überfordern dennoch nicht. Informationen, die die Hörenden zum Verständnis der Charaktere oder der Handlung benötigen, werden geschickt an den richtigen Stellen erwähnt oder tauchen in Dorians Gedanken auf. So überlegt er beispielsweise, ob er dem fremden Mann trauen kann und auf sein Hilfsangebot eingehen soll. Denn er hat bereits jetzt schon gelernt: lieber einmal mehr misstrauisch sein, als aufgrund falschen Vertrauens in Schwierigkeiten geraten. Bei diesem seltsamen Angebot von Niko schreit eigentlich alles in ihm nach Misstrauen und die Hörenden erleben alles nahezu hautnah mit. Denn der Erzähler Wawrczeck weiß seine Stimme gekonnt einzusetzen. So emphatisiert er unterschiedlich stark, variiert gekonnt sein Sprachtempo und setzt an den richtigen Stellen Pausen, die für zusätzliche Spannung sorgen.
In der Haupthandlung entschließt sich Dorian tatsächlich, Nikos Hilfe anzunehmen, um sich dann – nach einer Fahrt in einem dubiosen Van – unerwartet in einem luxuriösen Herrenhaus wiederzufinden. Hier lernt er Antonia kennen, die ihn im Anwesen herumführt, ihm sein eigenes Zimmer zeigt und ihm erklärt, dass er von nun an wieder Schulunterricht hat. Als ihm Antonia klar macht, dass gewiss nicht jede Person in dem Haus aufgenommen wird, weiß Dorian nicht, ob er lachen oder weinen soll. Und er fragt sich erneut, was das alles soll, wer hinter all dem steckt und warum ausgerechnet er ‚auserwählt‘ wurde? Außerdem stutzt er darüber, dass es in dem prunkvollen Gebäude kein Internet und kein Fernsehen gibt. Wird Dorian in diesem Haus wirklich geholfen oder stellt es weitere Gefahren für ihn dar? Werden ihm seine neue Mitbewohnerin Stella oder sein Mitbewohner Melvin auf seinem Weg helfen, wenn es gefährlich wird?
Layers kann aufgrund teils gewalttätiger Beschreibungen sowie der anspruchsvollen und komplexen Handlungen Jugendlichen ab 14 Jahren empfohlen werden. Die Zielgruppe wird zum einen mit alterstypischen Problemen (z. B. Interesse am anderen Geschlecht) als auch mit Komplikationen eines jugendlichen Obdachlosen konfrontiert. So können die Zuhörenden sich gut bis sehr gut mit dem Protagonisten identifizieren und werden gleichzeitig zum Nachdenken über die Probleme von Obdachlosen angeregt. Weiterhin begegnet dem Publikum in der Erzählung ein von der Gesellschaft abgeschnittenes soziales Hierarchie-System, welches in ähnlichen Formen ebenfalls in der Realität auftaucht. In der Geschichte wird überaus gut veranschaulicht, wie der Protagonist als Neuzugang in das System integriert wird. Da die gesamte Geschichte aus der Perspektive des Protagonisten erzählt wird, erleben die Zuhörenden sehr gut, wie es sich anfühlt, in so ein System integriert zu werden. Die Erzählung vermittelt Hintergrundinformationen über solche Systeme und macht ethische und soziale Werte wie Freundschaft erfahrbar. Es lädt die Zuhörenden aber auch dazu ein, gewisse Informationen kritisch zu hinterfragen.
Beitrag aus Heft »2017/03 Hass und Hetze im Netz«
Autor: Melanie Theissler
Beitrag als PDFEinzelansichtAntje Müller: No secrets!
Fast ununterbrochen sind wir online, berichten über unseren aktuellen Status oder unser Befinden, teilen unsere Selfies oder gestreamte Musik und tracken dazwischen noch kurz die aktuelle Fitnessleistung. Digitale Nähe gibt vielen von uns ein gutes Gefühl und vervollständigt das fragmentierte, sich ständig in Bewegung befindende Selbst. Unsicher, wer ‚da draußen‘ bewertet, und in Schach gehalten durch ‚globale‘ Konsequenzen wird unermüdlich nach geeigneten Mitteln gesucht, den Ansprüchen der fiktiven Anderen gerecht zu werden. Bereitwillig wird das Selbst kontrolliert – wenn es die Anderen nicht schon tun, dann wollen wir wenigstens gewappnet sein.
Im schwarzen Loch der Netzwelt wird der Drang nach Selbstoptimierung jedoch schnell zur Selbstüberwachung. Mit der leichtfertigen Entscheidung, die eigenen Schlafleistung oder tägliche Verhaltensmuster zu protokollieren, und im festen Glauben, alles bliebe auf der eigenen kleinen ‚Black Box‘, ignorieren wir, wo die digitale Vernetzung aufhört, und verlieren den Überblick – ungeachtet dessen, dass wir mit der Flut an digitalen Informationen gegenwärtige wie künftige Überwachungssysteme versorgen. Das Stadtmuseum München legt mit seiner Sonderausstellung No secrets! – Bilder der Überwachung Datenüberwachungsmittel offen, die nicht nur zeigen, wo wir uns aktuell befinden, sondern auch, auf welche Ziele und künftiges Verhalten wir zusteuern.
Die Ausstellung stellt sich der herausfordernden Aufgabe, die Allgemeinheit bei der Erinnerung an Staats- und Geheimdienstaktivitäten zu unterstützen, während im selben Zuge das kontrollaffine Internet der Dinge und das mediale Ausmaß von Big Data sichtbar gemacht werden. We know you better than you know yourself – dem Slogan möchte das Stadtmuseum etwas entgegensetzen. Hierzu beleuchten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Künstlerinnen und Künstler das aktuelle Phänomen hinsichtlich unter anderem der Fragestellungen ‚Wie lässt sich die Bereitschaft zur Selbstüberwachung erklären?‘ und ‚Welche Gefahren birgt der Hang – oder Zwang – zur Transparenz?‘.Erste Annäherungen an das oft emotionale und kontrovers diskutierte Thema finden durch einen kurzen Rückblick auf die früheren staatlichen Kontrollen von Mensch und Raum statt. Dabei zeigen die Einführung der öffentlichen Straßenbeleuchtung und die erkennungsdienstliche Fotografie erste Erfassungs- und Kontrollpotenziale.
Im Hauptteil widmet sich No secrets! zeitgenössischen Arbeiten aus den Bereichen Fotografie, Video, Malerei, Plakat und Installation, mit Schwerpunkt auf der fotografischen und plakativen Umsetzung. Die Künstlerinnen und Künstler – wie Peter Neusser, Florian Freier, Max Eicke, Sebastian Arlt, Timm Ulrichs, Philipp Messner, Gretta Louw, Jens Massmann oder Jens Klein – nutzen hierbei verschiedenste Herangehensweisen und Blickwinkel, um „die heutigen Praktiken der Überwachung zu torpedieren, zu reflektieren oder zumindest sichtbar zu machen“. Ergänzend zum Ausstellungsthema soll die freiwillige Selbstüberwachung via Internet, Smartphone und Social Media thematisiert werden.
Die Ausstellung präsentiert sich klar strukturiert, mit einer guten Mischung aus historischer Dokumentation, staatlicher, privater Raumerfassung und Personenkontrolle, kombiniert mit künstlerischer Neuinterpretation des Gegenstands. In sechs Räumlichkeiten bearbeiten die Kunstschaffenden alte wie neue Überwachungssysteme sowie verdächtige, beobachtete und kontrollierte Räume, Landschaften und Personen. Zudem setzen sie sich mit dem Wechselspiel aus Schutz, Verlust und Neukonstruktion der Identität aufgrund von Kontrolle und Überwachung auseinander. Die Ausstellungsstücke wurden in klare Themenbereiche wie ‚Orte der Überwachung‘ gebündelt und auf genügend Wirkraum ausgestellt Die Besucherin bzw. der Besucher erhält dadurch eine jeweils gut dosierte Informationsmenge, die bleibende Eindrücke hinterlässt und zum Nachdenken anregt. Trotz der anfangs überschaubar wirkenden Größe lädt No Secrets! durch kleine Enthüllungen und versteckte Funde zu neuen Entdeckungen ein, so dass auch ein längerer Aufenthalt nicht langweilig wird.
Für jede und jeden ist etwas dabei: Älteren Besucherinnen und Besuchern wird die RAF-Problematik wieder in Erinnerung gerufen. Jüngere werden durch Snowden-, Trump- und Cloud-Darstellungen zur kritischen Reflexion ihrer Lieblings-Datenspeichersysteme, ihres Nachrichtenkonsums in Filterbubbles, aber auch zur Hinterfragung der Verfolgung von Whistleblowern und Vigilanten angeregt. Sogar durchschnittliche, ‚Vater Staat‘ vertrauende Bürgerinnen und Bürger werden durch kontrollartig angeordnete Fotoserien von Briefkasten-Gängerinnen und -gängern wachgerüttelt. Die zeitgeschichtlich Interessierten kommen am stärksten auf ihre Kosten: Neben Miniaturkameras, versteckt im Herrenanzug, historischen Filmen zur Zeit der Berliner Mauer oder Plakaten zur Volkszählung finden sich auch Dokumentationen früherer und heutiger Überwachungsorte.
Die politische Brisanz und die ironisch bis zynische Bearbeitung der Überwachungs- und Kontrollthematik durchziehen die gesamte Ausstellung wie ein aufklärerischer roter Faden. Außenseitercharakter hat dagegen die künstlerische Auseinandersetzung mit den auf Datensammelalgorithmen basierenden Marktplätzen von unter anderem Facebook, YouTube oder Instagram. Auch von Apps zur Selbstkontrolle und deren Folgen für die eigene Identitätsausbildung oder -verformung ist leider kaum die Rede. No secrets! ist insgesamt eine sehenswerte Ausstellung, die sich kennzeichnet durch ihre zeitgeschichtlich vielfältige Zusammenstellung, welche eine Vielzahl von Sinnen anspricht und damit den Zugang zur Thematik für Klein und Groß ebnet. Trotz der Unterpräsenz von wirtschaftlichen wie neueren technischen Entwicklungen überzeugt die Ausstellung mit ihrer Einladung zum intergenerationalen Wissens- und Erfahrungsaustausch, mit hohem Gewicht auf der Reflexionsebene.
No secrets! wurde kuratiert von Rudolf Scheutle und in einem Projekt der ERES-Stiftung und dem Münchener Stadtmuseum realisiert. Die Ausstellung kann noch bis zum 16. Juli 2017 dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr im Münchner Stadtmuseum besucht werden.
publikationen
Antje Müller: Online Hate Speech – Gift im Netz
Kasper, Kai/Gräßer, Lars/Riffi, Aycha (Hrsg.) (2017). Online Hate Speech. Perspektiven auf eine neue Form des Hasses. München: kopaed. 200 S., 18,80 €.
Eine niedrigere Hemmschwelle zur Herabsetzung von Mitmenschen zeigt sich nicht nur in der realen Lebenswelt. Auch im Netz machen Diffamierung und Diffusion der Sprache, gestützt und genährt von Anonymität und Passivität der Userinnen und User, zunehmend von sich Reden – eine explosive Mischung, die Hasskommentare zutage befördert hat und zunehmend organisierte Trolle, Flaming und Cybermobbing auf den Plan ruft. Es handelt sich dabei um ein Alltagsphänomen, das nicht neu ist und sowohl im analogen wie auch im digitalen Raum, je nach Kultur, unterschiedliche Ausprägungen annimmt. Dennoch ist eine neue virale Qualität des Hasses und der Ressentiments zu verzeichnen, die zugleich mit einem verstärkten Maß einer scheinbar etablierten ‚Umgangsform‘ – der Verdrängung – einhergeht. Wenn jedoch das Netz als öffentlicher Raum angesehen werden soll, dann sollte es vor Hetzerinnen und Hetzern, vor Terror-Propagandistinnen und -Propagandisten und vor Trollen verteidigt sowie die Würde der Andersdenkenden gesichert werden, so das Herausgeberteam der Publikation Online Hate Speech.
Der vierte Band der Schriftenreihe zur Digitalen Gesellschaft NRW betrachtet aus diesem Grund in einem interdisziplinären Ansatz Hassreden im Netz aus unterschiedlichsten Perspektiven. Mit einem multiperspektivisch differenzierten Blick und durch die Bündelung unterschiedlicher fachlicher Zugänge soll ein tieferes Verständnis für das Phänomen gefördert werden, um Hate Speech den Nährboden für die Verbreitung von Fehlinformationen und extremistischen Botschaften zu entziehen und eine Polarisierung oder gar Spaltung unserer Gesellschaft zu verhindern. Online Hate Speech nähert sich dem Gegenstand zunächst aus der zeitgeschichtlichen sowie politischen und juristischen Perspektive, wonach im Anschluss mit vorwiegend psychologischem und journalistischem Blick auf die Akteurinnen und Akteure des Hate Speech geschaut wird. Analysiert werden Verbreitungsmotivationen, Motive und Gründe für Hassattacken der Täterinnen und Täter, aber auch Strategien zur Verarbeitung durch die Opfer. Unter den Täterinnen und Tätern finden sich darüber hinaus nicht nur Einzelpersonen, die aus angestautem Ärger oder Machtgefühlen heraus agieren, sondern auch organisierte Auftragstrolle und Social Bots, welche automatisiert auf Basis von Empfehlungsalgorithmen für die Verbreitung von Cyberhate sorgen.
Im fließenden Übergang beschäftigt sich das folgende Kapitel mit den Bereichen des Auftretens von Hate Speech und schließt dabei auch eine wirtschaftliche Perspektive mit Folgen von Negativkommunikation in Unternehmen ein. Aus Sicht der Community-Nutzerinnen und -Nutzer wird sich außerdem mit Attacken im Computerspiel-Bereich auseinandergesetzt. Hier treten auch Flamerinnen und Flamer auf die Bildfläche und es gilt, sich mit einem hohen Maß an sexistischem Sprachgebrauch auseinanderzusetzen.Um mögliche Umgangsformen und Gegenstrategien für die Lesenden zu bieten, stellt Online Hate Speech im letzten Kapitel Praxisprojekte wie BRICkS und #denk_net vor, die Anregungen zur Konzeption und Durchführung von Workshops mit Jugendlichen geben und sich auch mit der irrational emotionalen Ebene von Hassreden befassen. Arbeitsergebnisse der Initiative Netzkodex zur Erarbeitung eines Kodexes sowie eine Sammlung an Kampagnen und Aktivitäten gegen Online Hate Speech runden schließlich den praxisorientierten Abschnitt gelungen ab.
Im Vergleich zu den bisherigen Veröffentlichungen der Schriftenreihe zur digitalen Gesellschaft NRW fügt sich das Thema nahtlos in die aktuellen Diskurse und Herausforderungen der Medienbildung ein. Während Social Web und Senioren (2013) Rezipierende über 60 fokussiert, Einfach fernsehen? (2013) Medienmacherinnen und -macher sowie Fernsehnutzende anspricht und Big Data und Medienbildung (2015) medienpädagogische Fachkräfte hinsichtlich der Vermittlung einer informatischen Perspektive bedient, richtet sich der aktuelle Band mit seinem Schwerpunkt der destruktiven Medieninhalte innerhalb der digitalen Interaktion an die Allgemeinheit. Diese profitiert von einem schlüssigen Aufbau, der sowohl Theorie- als auch Praxisanteile liefert, um sich dem Phänomen anzunehmen. Die wirklich gelungen umgesetzte Interdisziplinarität mit Perspektiven aus Politik, Wirtschaft, Recht, (Sozial-)Psychologie, Journalismus, Soziologie, Wissenschaft und Forschung sowie Medienbildung erfüllt dabei Vorbildcharakter.
Etwas geschmälert wird dieser Eindruck durch den im Theorieteil stark vertretenen und zum Teil sehr trocken anmutenden Fachjargon, der zuweilen gespickt ist mit für die allgemeine Leserschaft schwer zugänglichen Fachtermini oder schwergängigen Formulierungen, wie sie sich beispielsweise im juristischen Beitrag wiederfinden. Mithilfe eingestreuter Interviews und der Darlegung von Fallbeispielen ab dem zweiten Kapitel wird die inhaltliche Aufbereitung aber zunehmend aufgelockert und zeigt eine höhere lebensweltliche Nähe, durch die das Phänomen auch außerhalb der dominanten journalistischen und psychologischen Perspektive greifbarer wird. Insbesondere hilfreich für (medien-)pädagogische Praktikerinnen und Praktiker, Sozialarbeiterinnen und -arbeiter, aber auch für Eltern und Studierende wäre eine stärkere Variation an Inhaltsformen, die mit grafischen oder tabellarischen Aufbereitungen noch bereichert werden könnten. Die Verzahnung zwischen Theorie- und Praxisanteilen sowie die hohe Interdisziplinarität garantieren jedoch die Ansprache eines breiten Zielpublikums, dass das vielschichtige und bisher nur schwer handhabbare Phänomen des Online Hate Speech klarer umreißt und zugleich wichtige, innovative und wirklich lesenswerte Anstöße für die medienpädagogische Praxisarbeit liefert.
Melanie Theissler: Fantastische Freie Software – und wo sie zu finden ist
Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter e. V./Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen e. V./Google Germany GmbH (Hrsg) (2016). Werkzeugkasten Freie Software im Projekt „Medien in die Schule“. Materialien für den Unterricht. www.medien-in-die
Was ist unter Soft- und Hardware zu verstehen? Wie kann Software im Unterricht genutzt werden? Und zu Hause? Das Herausgeberteam – Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter e. V. (FSM), Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen e. V. (fsf) und Google Germany GmbH – hat mit der Onlinepublikation Werkzeugkasten Freie Software eine Handreichung erstellt, in der verschiedene Software und sieben Werkzeuge ausführlich dargestellt sowie deren pädagogische Relevanz im Unterricht reflektiert werden. Die Onlinepublikation besitzt sechs Kapitel und ein Glossar: Zu Beginn werden Fachbegriffe aus der Informatik kurz erläutert und an metaphorischen Beispielen alltagsnah und anschaulich erklärt. Die Lesenden werden mit vielen Definitionen versorgt, die leicht verständliche Erklärungen enthalten und so für fachfremde Lesende bestens geeignet sind. Positiv hervorzuheben sind weiterhin die kapitelabschließenden und beratenden Hinweise bezüglich der Installation eines Programms.
Anschließend sind Begrifflichkeiten und Funktionen thematische Schwerpunkte. Es werden unter anderem verschiedene Softwaremodelle verglichen und rechtliche Faktoren vorgestellt. Grafiken unterstützen dabei komplexere Aspekte und begünstigen das Verständnis.
Nachfolgend wird erklärt, weshalb Freie Software eigentlich kostenfrei ist und sein kann. Dazu werden historische Einflüsse herangezogen, die die theoretische Basis bilden. Der Frage, weshalb Open Source kostenfrei ist, wird gesondert beantwortet. Das folgende Kapitel widmet sich Open Source in der Bildung. Hierzu werden Vorteile und Vorsichtsmaßnahmen hinsichtlich des Einsatzes von Freier Software in Schulen genannt. Dieser Abschnitt enthält nun vermehrt fortgeschrittenes Wissen über Freie Software und erfordert bereits einige Vorkenntnisse des Fachbereichs; wenn auch zu Kapitelbeginn die Erklärungen zur Freien Software aus den vorherigen Kapiteln wiederholt werden und damit das Kapitel eher für Neulinge gedacht zu sein scheint.
Das fünfte Kapitel stellt Beispiele für das Aufkommen und die Nutzung Freier Software in unter anderem der Textverarbeitung, der Kommunikation oder der fächerspezifischen Organisation bzw. Anwendung vor. Die Anwendungen werden hinsichtlich ihrer Funktionen erklärt und anschließend bewertet, inwieweit sie für den Einsatz in Schulen geeignet sind. Am Seitenrand finden sich außerdem weiterführende Links zu den Quellen oder Apps des jeweiligen Programms. Diese praxisorientierten Informationen sind für Lesende besonders empfehlenswert. Anschließend werden sieben der bereits erwähnten Werkzeuge detailliert erläutert, für den Einsatz im Unterricht bewertet und je in ein Anwendungsbeispiel praxisnah eingebettet.
Insgesamt ist die Online-Publikation sehr gut geeignet, um der Zielgruppe Lehrkräfte ein erstes Verständnis für Open Source zu geben, deren Sinn und Einsatz im Unterricht zu vermitteln sowie ihnen den Zugang zu Freier Software zu vereinfachen. Die Veröffentlichungsform einer frei zugänglichen, interaktiv-gestaltbaren Online-Publikation ist in diesem Kontext nicht nur hervorragend gewählt, sondern mittels stetig weiterführender Links zu Definitionen, Apps oder inhaltsnahen Kapiteln auch ideal umgesetzt worden.
Beitrag aus Heft »2017/03 Hass und Hetze im Netz«
Autor: Melanie Theissler
Beitrag als PDFEinzelansichtAutenrieht, Ulla/Bizzarri, Sarah/Lützel, Nadja (2017). Kinderbilder im Social Web. Eine empirische Studie zu Internet-basierter Bildpräsenz und Bildnutzung von unter 12-Jährigen. Short Cuts | Cross Media Bd. 12. Baden-Baden: Nomos. 153 S., 29,00 €.
Kommunikation in Bildern statt in Worten. Knapp zwei Milliarden Fotos werden täglich in den sozialen Medien kommuniziert und verteilt. Die Erstellerinnen und Ersteller werden dabei immer jünger. Die Publikation Kinderbilder im Social Web widmet sich daher den Funktionen und Bedeutungen privater Bilder in Social Media-Plattformen mit Blick auf Elf- und Zwölfjährige, da diese Altersgruppe bereits einen sicheren Umgang mit dem Internet hat und sich aktiv in Facebook und Co. mitteilt. Die Handhabung, das Handeln und die Einstellung der Kinder wie auch ihrer Familien mit und zu Bildern im Internet ist daher zentraler Fokus der Basler Studie. Die Publikation ist in sieben Kapitel gegliedert. Das erste Kapitel leitet thematisch zu Kindern und (Bild-)Medien mittels diverser Studien zur Mediatisierung des Alltags ein. Die beiden folgenden Kapitel stellen das methodologische und methodische Vorgehen der Studie mittels qualitativer Interviews vor. Anschließend werden die Ergebnisse der Interviewanalysen präsentiert, eine Zusammenfassung sowie ein Ausblick über die gewonnenen Ergebnisse folgen. Das siebte und letzte Kapitel rundet die Publikation mit einem anwendungsbezogenen Konzept in Form von Tipps und Informationen für Familien hinsichtlich des Umgangs mit Kinderbildern ab. Kinderbilder im Social Web ist gut verständlich, erkenntnisreich und dabei bespickt mit hilfreichen Tabellen und Grafiken. Aufgrund der guten Nachvollziehbarkeit und vieler anwendungsbezogener Tipps ist das Werk sowohl für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlicher als auch für (medien-)pädagogische Fachkräfte geeignet, die erstmalig in diesem Gebiet praktizieren. Aber auch Eltern können insbesondere die Studienzusammenfassung und die anwendungsbezogenen Kapitel empfohlen werden, da sie kompaktes, spannendes Wissen über das Verhalten von Kindern im Umgang mit digitalen Bildern im Internet vermitteln.
Beitrag aus Heft »2017/03 Hass und Hetze im Netz«
Autor: Melanie Theissler
Beitrag als PDFEinzelansichtBrandhofer, Gerhard (2017). Lehr-/Lerntheorien und mediendidaktisches Handeln. Eine Studie zu den digitalen Kompetenzen von Lehrenden an Schulen. Marburg: Tectum. 272 S., 34,95 €.
Trotz weiter Verbreitung digitaler Medien – durchschnittlich vier Mobiltelefone und 2,7 Computer pro Privathaushalt – verbleibt die tatsächliche Mediennutzung in deutschen und österreichischen Schulen im internationalen Mittelfeld. Die Publikation widmet sich der Frage nach den Kompetenzen Lehrender in Zusammenhang mit dem Lehren und Lernen mit digitalen Medien und den Wechselwirkungen zwischen Lehrtheorien und mediendidaktischem Handeln. Der erste Teil des Buchs behandelt die dafür relevanten Theorien, der zweite Teil die vom Autor durchgeführte, empirische Lehrerbefragung. Anlässlich der mannigfaltigen Bedeutungen von Begriffen rund um den Einsatz digitaler Medien werden diese zu Anfang definiert und abgegrenzt, bevor der Kompetenzbegriff eingeführt und auf Grundlage von sechs Argumenten die Notwendigkeit des digitalen Medieneinsatzes im Unterricht erläutert wird. Des Weiteren werden mehrere grundlegende Lerntheorien vorgestellt, um dem Ausmaß der vielfältigen Formen und Settings von Lernen Rechnung zu tragen.
Es folgen Beschreibungen, Vergleiche und Bewertungen verschiedener Rahmenmodelle, um die Kompetenzen Lehrender bezüglich digitaler Medien zu charakterisieren. Den theoretischen Teil abschließend, werden das maßgebliche Kompetenzmodell sowie einige internationale Untersuchungen vorgestellt. Die sich anschließende Studienpräsentation nimmt seitentechnisch einen ähnlich großen Umfang wie der theoretische Abschnitt ein. Darin beschreibt Brandhofer sein Vorgehen sowie die Ergebnisse seiner in Österreich durchgeführten Lehrerbefragung. Diese war rein quantitativ ausgerichtet, der Schwerpunkt lag auf der Sekundarstufe I. In seinem Resümee greift er nochmal seine Hypothesen auf und schließt daraus auf weitere Forschungsfragen und nötige Entwicklungen in der Lehrenden(fort)bildung.
Die theoretische Gliederung von Lehr-/Lerntheorien und mediendidaktisches Handeln erscheint leider nicht immer sinnvoll, ergibt aber insgesamt eine schlüssige Argumentation, so dass das Werk Forscherinnen und Forschern der (Medien-)Pädagogik und Psychologie empfohlen werden kann.
Fuchs, Max (2017). Politik und Pädagogik. Zur notwendigen Revitalisierung einer spannungsvollen Beziehung. München: kopaed. 211 S., 18,80 €.
Schon seit der Antike ist das Verhältnis von Pädagogik und Politik eines der zentralen Elemente der Erziehungs- und Bildungsphilosophie. Für die Philosophen im antiken Griechenland war eine Verquickung der genannten Begriffe noch selbstverständlich, wohingegen heutzutage eine gewisse Abstinenz seitens der Politik gegenüber der Pädagogik zu erkennen ist. In Politik und Pädagogik haucht Fuchs dieser angestaubten Beziehung wieder Leben ein.Er geht er davon aus, dass Pädagogik und Politik zwei Seiten derselben Medaille sind. Mit einem interdisziplinären Ansatz veranschaulicht er, wie diese beiden bedeutungsschwangeren Wörter miteinander interagieren.
Zunächst beleuchtet er dazu die Begriffe vor dem Hintergrund der onto- bzw- anthropogenetischen Entwicklung des Menschen sowie der Gesellschaft und grenzt sie voneinander ab, ohne ihre gleichzeitige Verzahnung zu vernachlässigen. Anschließend eröffnet er einen umfassenden historischen Rückblick. Auf theoretischer Ebene fällt es als Leser jedoch schwer, dabei einen roten Faden zu erkennen, da sich der Autor einer Vielzahl an Quellen aus unterschiedlichen Disziplinen bedient, die wiederum verschiedenste Positionen anbieten. Die historische Richtung der Publikation ist klar erkennbar. Damit zielt der Autor überraschenderweise nicht auf eine Beschreibung der Entwicklung von Pädagogik und Politik, sondern beabsichtigt das Aufzeigen der Dimensionen der beiden Begriffe und deren soziokulturelle Entstehungsbedingungen.
Dies gelingt ihm gut, da er den Lesenden durch eine facettenreiche, geschichtliche Einbettung ermöglicht, ein transparenteres Bild der vorherrschenden Systeme zu konstruieren. Innerhalb der nachfolgend bearbeiteten kritischen Reflexion der heutigen Demokratieentwicklungen stellt Fuchs anschaulich Problematiken der heutigen Staatsform und Ökonomie dar – und belegt seine Annahmen mit prägnanten Theorien und Zitaten. In Politik und Pädagogik wird mit klarer, deutlicher Sprache die Verbindung der Politik zur Pädagogik hergestellt. Dazu holt der Autor zwar teilweise weit aus, was sich aber im Sinne einiger Konzepte als sinnvoll herauskristallisiert. Das Werk ist damit einem breiten Spektrum an Sozialwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern zu empfehlen. Unter anderem Medienpädagoginnen und -pädagogen, da auch kommunikations- und medienbezogene Inhalte ihren Platz finden.
Sieben, Gerda (Hrsg.) (2017). Occupy Culture! Das Potenzial digitaler Medien in der Kulturvermittlung. München: kopaed. 216 S.,18 €.
„Theater ist was für alte Leute!“ – so die häufige Meinung Jugendlicher. In dieser Aussage steckt oft auch ein Fünkchen Wahrheit, die mit leichter Ironie an die Notwendigkeit einer Reformation von kulturellen Angeboten für das Publikum von heute und morgen appelliert. Occupy Culture! nimmt sich dieser Problematik an und analysiert den Einsatz digitaler Medien zur Kulturvermittlung. Das Werk ist das Ergebnis eines dreijährigen Modellprojekts des jfc Medienzentrum und enthält Aufsätze von medienpädagogischen und kulturwissenschaftlichen Fachkräften.
Da Medien ein entscheidender Einfluss auf die kulturelle und ästhetische Orientierung sowie auf die Sozialisation und Weltwahrnehmung Jugendlicher innewohnt, stellt die Publikation das Potenzial digitaler Medien bei der Vermittlung von Kunst und Kultur an junge Rezipierende vor. Auf Basis eines Überblicks über den kultur- und jugendsoziologischen Status quo werden Methoden mediengestützter Kulturvermittlung und deren konkrete Anwendung in Jugend- und Kultureinrichtungen vorgestellt. Benannt werden Chancen, aber auch Problematiken und Grenzen des Einsatzes von Medien in der Kulturvermittlung, die besonders Kindern und Jugendlichen benachteiligter Milieus zugänglich gemacht werden und künstlerische Erfahrungsmöglichkeiten jenseits jugendkultureller Ausprägungen gewähren sollen.
Das Werk plädiert neben der Darstellung medienpädagogischer Methoden der Kulturvermittlung auch für das Überdenken der konkreten Kulturformate. Kunst sollte den Geschmack des jungen Publikums treffen und dessen Erfahrungen einbeziehen. Medieneinsatz beispielsweise im Theater oder Museum verändere nicht nur die Kunstproduktion, sondern ebne auch den Weg zu einer neuen (und jüngeren) Zielgruppe. Durch den pädagogisch-wissenschaftlichen Blick auf die Kulturvermittlung ergibt sich eine Empfehlung für eine breite Leserschaft: Occupy Culture! ist ein angenehm lesbares, sinnvoll aufgebautes Fachbuch, das zahlreiche Anstöße für Medien- und Kunstpädagoginnen und -pädagogen sowie auch für Kunstschaffende bietet. Die persönliche Wichtigkeit des Themas, von der zwischen den Zeilen der Autorinnen und Autoren immer wieder zu lesen ist, bereichert das Werk zudem.
Vedder, Björn (2017). Neue Freunde. Über Freundschaft in Zeiten von Facebook. Bielefeld: transcript. 200 S., 20,99 €.
Freundschaft ist eine fundamentale Säule des Lebens, gestaltet den Alltag, formt Interessen und Vorlieben. Sie gibt dem Alter Ego die Chance, sich in ihr zu entfalten, aber auch wiederzuerkennen und sich seiner selbst zu vergewissern. Nicht ohne Grund können soziale Netzwerke wie Facebook enorme Nutzerzahlen verbuchen, obwohl gerade diese Art der Freundschaftspflege in der Kritik steht. Doch was wird im heutigen zeit- und ortsunabhängigen Alltag (noch) unter Freundschaft verstanden?Mit einem philosophischen Ansatz untersucht Vedder in Neue Freunde anhand popkultureller, zeitgeschichtlicher Materialien – wie literarische Klassiker, Lieder und filmische Kassenschlager –, was unter diesem Phänomen verstanden wurde und wird. Dabei steht zunächst eine begriffliche Annäherung im Vordergrund, getreu der Kant'schen Auffassung, dass „eine Praxis nur gelingen kann, wenn sie auf einem angemessenen Begriff der Sache basiert“.
Die Suche nach Glück erscheint als zentraler Beweggrund für Freundschaften. Allerdings dienen sie auch dem egoistischen Interesse, sich als liebenswerten Menschen bestätigt zu wissen. Dieses Spannungsverhältnis zwischen theoretischem Glück und praktischenm Narzissmus legt Vedder anhand eines Theorieentwurfs offen und entwickelt zugleich Prinzipien für das Gelingen von Freundschaft. In einer gelungenen Verknüpfung philosophischer Ansätze mit den Freundschaftsinterpretationen antiker Klassiker bis zeitgenössischer Popkultur gelingt ihm ein mediengeschichtlicher Zirkelschlag. Mühelos vergleicht er Aussagen großer Philosophen wie Sokrates, Humes oder Kant mit Freundschaftsdeutungen aus Film, Literatur und Musik sowie aus Studien und Theorien – und findet stets zurück zur heutigen Freundschaftskultur, verkörpert vor allem durch Facebook.
Ohne einen Ratgeber zu liefern und dem Pessimismus der gegenwärtigen Kulturkritiken vorbehaltlos zu folgen, plädiert Vedder für ein positives Verständnis des in der Freundschaft innewohnenden Narzissmus und motiviert Lesende implizit, sich auch mit dem eigenen Narzissmus auseinanderzusetzen. Neue Freunde eignet sich insbesondere für Fachkräfte und Interessierte in der pädagogischen Kulturvermittlung wie auch für Medienpädagoginnen und -pädagogen, die die Bedeutung von Freundschaft innerhalb der Mediennutzung hinterfragen und in Bezug auf das ständige Vergewissern der eigenen Liebenswürdigkeit und der resultierenden Kontrolle affirmativer Gesten von Freundinnen und Freunden – Stichwort Facebook-Sucht – zum reflexiven Denken anregen möchten.
kolumne
Klaus Lutz: Das ferngesteuerte Kind
Es gab Zeiten, da musste alles selbst gemacht werden: Die Autofenster mussten heruntergekurbelt, das Geschirr von Hand gewaschen, zum Umschalten am TV-Gerät selbst ein Kopf gedrückt und der Kaffee mit kochend heißem Wasser aufgebrüht werden. Das Telefon hatte eine Schnur, der Rasierapparat keine.
Irgendwann verabschiedete sich das Telefon von der Wählscheibe, in der man so schön mit den Fingern herumbohren konnte, und bekam ein Tastenfeld, später dann einen Touchscreen. Der Geschirrspüler gesellte sich mit dem Trockner zur Waschmaschine, zum Telefon gesellten sich Anrufbeantworter und Router. Auch die Fernbedienungen entwickelten sich weiter: Erst konnten Modellflugzeuge und Rennautos mühelos via Fernsteuerung durch den Raum bewegt und Rollläden rauf- und runtergefahren werden, mittlerweile kann die Heizung längst von unterwegs via App geregelt werden. Wer die Fernbedienung hat(te), hat(te) die Macht – und mächtig ist heute jeder, der über ein digitales Endgerät mit Steuerungsapps verfügt.
Auch Erziehungsberechtigte konnten sich im Laufe der Zeit über eine stetig wachsende Anzahl technischer Hilfsmittel freuen. Diese ließen die Erziehungsverantwortung leichter ertragen, machten den Alltag unkomplizierter: Neben zahlreichen elektronischen ‚Kinderbelustigungsspielzeugen‘ von der singend-summenden Nachtlampe für Babys über Dreiräder mit Hilfsmotor und Babyphone bis hin zu Greifringen für Vorschulkinder mit Handyhalterung, elektronischen Stiften, sprechenden oder gar spionierenden Puppen sowie Spielzeugrobotern ist alles da, was das Kinder- und Jugendherz begehrt – und durch interessante Zusatz- oder Programmierfunktionen auch so manch Erwachsenen.Das mit Abstand beste Gerät ist jedoch das Smartphone für das eigene Kind: So musste man früher noch vor Ort sein, um den Nachwuchs nach frühzeitigem Schulschluss in Empfang zu nehmen. Heute gibt es dafür dankenswerterweise eine ‚Fernbedienung‘, ein internetfähiges Mobiltelefon nämlich, mit welchem sich der Nachwuchs selbstständig nach Hause bringt und bei Bedarf jederzeit ablenken oder beschäftigen kann, so dass Eltern nur für kurze Momente ihre Meetings unterbrechen müssen, um einen sehr kurzen „Geh jetzt los, geh direkt zum Zahnarzt und danach zum Training“-Anruf zu tätigen. Oder noch einfacher, um eine WhatsApp-Nachricht zu schicken.
Apropos Smartphone: Ausgemalt hatte sich das Kind den Besitz eines Mobiltelefons sicherlich viel befreiender und erhebender. Kommunikation ist aber nun mal keine Einbahnstraße. Dank Timer, Geozaun-Funktion und schlüsselanhängergroßen GPS-basierten Tracking- oder Ortungsgeräten können Eltern heute – im großen Gegensatz zu früheren Generationen – das Mobiltelefon entspannt als verlängerten Arm nutzen und selbst auf wohlmeinende „Wo bist du?“- oder drohende „Warum-bist-du-nicht-hier“-Anrufe verzichten. Besonders fiese Eltern greifen einfach zur Überwachungs-App oder dem ultimativen Übel: Sie berauben den teuren Minicomputer seiner Internet-Funktion, bevor sie es süffisant lächelnd wieder ihrem Kind aushändigen.
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Kati StruckmeyerVerantwortliche Redakteurin
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