2016/05: Medien, Flucht und Migration
Aus gesellschaftspolitischer wie pädagogischer Perspektive gibt es genügend Gründe, das Thema Flucht und Migration aufzugreifen. Es ist kein genuin medienpädagogisches Thema, das diese Ausgabe von merz in ihrem Schwerpunkt behandelt – aber eines, das Diskussionen aufwirft, Dissonanz erzeugt und auch die medienpädagogische Arbeit in vielen Punkten berührt. Die mediale Berichterstattung ruft zwiespältige Gefühle hervor – von Mitgefühl und Rührung über abgebrühte Saturiertheit bis hin zu oberflächlichem bis dumpfem Populismus. Gerade hier ergibt sich für die Medienpädagogik zweierlei – ein spannendes Beobachtungsfeld medialer Abläufe, aber auch ein immenser Bedarf an praktischer Intervention. Wie kann es gelingen, die Menschen, die derzeit hierzulande Zuflucht suchen, in unsere Gesellschaft zu integrieren? Welche Schwierigkeiten sind damit verbunden und welche positiven Potenziale birgt die Situation? merz 05/2016 beschäftigt sich mit diesen Fragen, beleuchtet Facetten der Diskussion und stößt – so unser Anliegen – auch kritisch-reflexive Auseinandersetzungen an.
aktuell
Jana Schröpfer: DJI-Studie: Elternsicht auf Medienerziehung
Beinahe alle deutschen Mütter und Väter fordern verschärfte Maßnahmen des Kinder- und Jugendmedienschutzes, während gut die Hälfte sehr restriktive Medienerziehungsmaßnahmen wie technische Filter ablehnt. Diese und weitere Ergebnisse hat das Deutsche Jugendinstitut (DJI) in einem Studien-Abschlussbericht zusammengetragen.
Medienerfahrungen und -bildungsprozesse werden zuallererst im Kreise der Familie gesammelt. Die elterliche Medienerziehung hat damit eine herausragende Bedeutung. Das DJI interessierte sich deshalb in der Studie Digitale Medien: Beratungs-, Handlungs-, und Regulierungsbedarf aus Elternperspektive für die medienerzieherischen Sichtweisen deutscher Eltern. Dazu wurden seit 2013 im Rahmen eines Zusatzmoduls im quantitativen DJI-Survey Aufwachsen in Deutschland: Alltagswelten (AID:A II) 4.690 Mütter und 3.089 Väter von ein- bis 15-jährigen Kindern in insgesamt 4.800 Haushalten zu ihren Ansichten befragt. Fast 90 Prozent der befragten Mütter und rund 80 Prozent der Väter fordern eine verschärfte Durchsetzung des Kinder- und Jugendmedienschutzes. Sie sorgen sich vor allem um Internetgefahren, die von Werbung ausgehen (21 %), um verstörende und beängstigende Inhalte, versteckte Kosten und Betrug sowie beleidigende bzw. verletzende Aussagen gegenüber ihren Kindern (zu jeweils etwa 10 %). Dennoch verhalten sich viele Eltern hinsichtlich technischer Schutzmaßnahmen zögerlich: Nur 54 Prozent verwenden Programme oder Geräteeinstellungen, um ihre Kinder vor Internetgefahren zu schützen. Dabei werden Schutzvorkehrungen mit zunehmendem Alter der Kinder häufiger ergriffen, während Akademiker-Haushalte signifikant seltener solche Einstellungen verwenden. Während schulische Medienerziehung weitgehend begrüßt wird, herrschen unter den Eltern große Zurückhaltung und reichlich Bedenken über Medienerziehung in Kindertageseinrichtungen oder in der Tagespflege. Vor allem das Erlernen des Internetumgangs und das Kennenlernen neuer Medien werden in diesen Kontexten kritisch beäugt. Die DJIStudie ermöglicht daher auch Implikationen für politische Entscheidungen im Rahmen einer Digitalisierung von Kindergärten und Kitas.
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Autor: Jana Schröpfer
Beitrag als PDFEinzelansichtAdrian Liebig: Initiativbüro „Gutes Aufwachsen mit Medien“
Das Initiativbüro Gutes Aufwachsen mit Medien unterstützt pädagogische Fachkräfte, Ehrenamtliche und Eltern, die in ihrem Alltag das Medienverhalten von Kindern und Jugendlichen begleiten. Für sie werden Materialien und Informationen aus den Bereichen Medienerziehung, Medienbildung sowie aktuelle Themen und Entwicklungen gebündelt, verständlich aufbereitet und unter www.gutes-aufwachsenmit- medien.de kostenfrei zur Verfügung gestellt. Das Initiativbüro ist damit eine zentrale Anlaufstelle für medienpädagogische Aktivitäten. Außerdem bietet es neue Qualifizierungsformate für pädagogische Fachkräfte in Form von Online-Konferenzen an und berät (potenzielle) lokale Netzwerkedabei, kompetente Partner zu finden und Angebote zur Medienkompetenzförderung zu realisieren.
Ziel des Vorhabens ist es, die Rahmenbedingungen für ein gutes Aufwachsen mit Medien für Kinder und Jugendliche in Deutschland kontinuierlich weiterzuentwickeln. Das Initiativbüro unterstützt die Arbeit der beteiligten Akteurinnen und Akteure im Themenfeld bei der Entwicklung zielgruppengerechter Angebote und deren Sichtbarmachung. Alle bereits tätigen Akteurinnen und Akteure, Initiativen, Projekte und Multiplikatorinnen und Multiplikatoren im Feld der medienpädagogischen Arbeit für Kinder und Jugendliche sind eingeladen, diesen Prozess mitzugestalten und sich weiter zu vernetzen. Das Initiativbüro wurde vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ins Leben gerufen und wird durch die Stiftung Digitale Chancen umgesetzt.
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Autor: Adrian Liebig
Beitrag als PDFEinzelansichtRebekka Köhler: Medienportal für Geflüchtete – auf Deutsch, Englisch und Arabisch
Neu in einem fremden Land, dessen Sprache man noch nicht beherrscht – so ergeht es vielen Geflüchteten in Deutschland. Das Verlangen nach Unterhaltung, Abwechslung und Kontakt ist dennoch da. Hier setzt infopoint-bremen.de an: Das Medienportal stellt Geflüchteten und Mitarbeitenden der Flüchtlingshilfe Informationen rund um mehrsprachige Medienangebote zur Verfügung. Denn wer weiß schon spontan, wo es Die Sendung mit der Maus auf Arabisch gibt? Oder aktuelle Nachrichten auf Amharisch, Dari oder Persisch? Oder wie man ohne besondere Umwege eine syrisch sprechende Augenärztin findet? Die Initiatorin Viola Falkenberg sieht im Zugang zu Information und Bildung einen wichtigen Schritt zur Integration von Geflüchteten. Durch das umfangreiche, vielseitige und multilinguale Angebot sollen sie selbstständiger werden, ihr Heimweh ein wenig vergessen sowie der Langeweile entgegenwirken können.
Daher sind unter www.infopoint- bremen.de über 60 Links zu überregional verfügbaren, mehrsprachigen Medienangeboten zu finden; aber auch zu Ärztekammern, Umsonst-Läden, Hotspots et cetera. In den sieben Kategorien ‚Nachrichten‘, ‚Zeitungen‘, ‚Bücher‘, ‚Apps/Filme‘, ‚Flyer/Broschüren‘, ‚Medien für Kinder‘ und ‚Service- Infos‘ gibt es beispielsweise Tipps für fremdsprachige Bücher, die Sendezeiten vom Funkhaus Europa oder dem kindgerechten Wegweiser für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Dabei werden sowohl regional unabhängige Angebote als auch konkret auf Bremen bezogene Beispiele vorgestellt. Die Inhalte des Portals werden durch ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zusammengestellt. Jede bzw. jeder, der Medienzugänge und regelmäßige Veranstaltungen kennt, die für Flüchtlinge interessant sind, kann diese über die Kategorie ‚Mitmachen‘ melden.
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Autor: Rebekka Köhler
Beitrag als PDFEinzelansichtElisabeth Jäcklein-Kreis: stichwort Snapchat
Diese Konkurrenz lehrt Facebook das Fürchten, lässt WhatsApp alt aussehen und macht Instant Messaging endgültig überflüssig. Den Eindruck zumindest vermittelt der Hype, mit dem die App gehandelt und medial besprochen wird. Snapchat heißt das Phänomen, das wie ein Erdrutsch durch die Medienlandschaft zu gehen scheint. Die App kommt unscheinbar daher, wirkt auf den ersten Blick eher so, als verbergen sich dahinter Puzzles und Lieder für kleine Kinder: Auf quietschgelbem Hintergrund flattert ein weißes Gespenst, ohne Augen oder Mund, nur am Umriss erkennbar. Und auch, was sich hinter dem Gespenst verbirgt, scheint zunächst nicht revoluntionär. Fotos und Videos lassen sich über die App aufnehmen und verbreiten, Bilder können bearbeitet und mit Stickern, Texten et cetera verziert werden. Es lassen sich Nachrichten an einzelne Freundinnen und Freunde, aber auch an die ganze Snapchat-‚Gemeinde‘ senden. So weit, so unspektakulär. Das Besondere: Zum einen ist es die einzige Messaging-App mit Verfallsdatum.
Alle Fotos und Videos im Verlauf können 24 Stunden lang geöffnet und dann für circa zehn Sekunden betrachtet werden. Danach weiß nur noch das Gespenst, was da gesendet wurde – oder technisch versierte Nutzerinnen und Nutzer, die sich in den Ordnerstrukturen ihrer Smartphones zurechtfinden können. Erst seit 2016 lassen sich Bilder auch in der App selbst als ‚Snapchat Memories‘ abspeichern und so dauerhaft verfügbar machen. Diese eingebaute Kurzfristigkeit hat zweierlei Folgen. Zum einen sind die Nutzenden quasi gezwungen, täglich einmal die App zu öffnen, wollen sie nicht Gefahr laufen, die vermeintlich wichtigsten Nachrichten zu verpassen. Zum anderen scheint das Wissen um die Vergänglichkeit der eigenen Nachricht einen gewissen enthemmenden Einfluss zu haben. So war Snapchat etwa lange Zeit vorrangig als ‚Die App für Nacktbilder‘ bekannt. Mittlerweile hat sie sich aus dieser etwas zwielichtigen Ecke befreit, ist vor allem für bunte Emoticons und aufwändig verzierte Gesichter bekannt, und hat vor Kurzem die Nutzerzahlen des bislang unangefochtenen Marktführers Facebook geknackt und überholt.
Ganz unkritisch wird das Angebot dennoch nicht gesehen. Gerade aus medienpädagogischer Warte hat der Dienst doch wiederholt mit Datenschutz-Skandalen von sich reden gemacht. So wütet die App relativ unkontrolliert in den Daten der Smartphones, auf denen sie installiert ist. Die Betreiber behalten sich das Recht vor, Aufnahmen zu speichern und selbst weiter zu verwenden, ohne dass die Nutzen den dies beeinflussen können, und mehrmals wurden Sicherheitslücken in der Datenübertragung angeprangert oder aufgedeckt. Die Begeisterung der Jugendlichen aber ist ungebrochen – und auch das wiederum ist für die Medienpädagogik nicht unerheblich. Bedeutet es doch auch, dass hier nicht nur eine potenzielle Gefahr lauert, sondern auch eine große Chance, mit den Nutzenden über genau diese Themen ins Gespräch zu kommen.
Beitrag aus Heft »2016/05: Medien, Flucht und Migration«
Autor: Elisabeth Jäcklein-Kreis
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thema
Ulrike Wagner und Susanne Eggert: Es gibt viele Gründe hinzuschauen
I realize that I can have everything in life. However, it takes timing, the right heart, the right actions, the right passion and a willingness to risk it all. (Lamin K., Senegal) 1
Lamin aus dem Senegal kam letztes Jahr nach Deutschland. Er ist Mitglied der Redaktion von KINO ASYL. Junge Menschen mit Fluchterfahrungen stellen in diesem Projekt ein Programm mit Lieblingsfilmen aus ihren Heimatländern zusammen und präsentieren es in verschiedenen Münchner Kinos – aus ihrer Perspektive. Sein Zitat verdeutlicht, was viele Menschen eint – egal welcher Herkunft sie auch sind. Sie wünschen sich Perspektiven für ihr Leben – mit Herz und Engagement. Es ist gleichzeitig ein Appell gegen die Gleichgültigkeit und gegen das alleinige Streben nach einer Sicherheit, die es wohl nirgends mehr geben kann, wie die Ereignisse in den Sommermonaten 2016 in Bayern gezeigt haben. Die Politik will uns aktuell das Gegenteil versichern – mit der weiteren Aushöhlung von Grundrechten und der Verschärfung der Bestimmungen gegenüber jenen, die Schutz und Sicherheit am notwendigsten brauchen.
Aus gesellschaftspolitischer wie pädagogischer Perspektive gibt es genügend Gründe, das Thema aufzugreifen, auch wenn vielerorts inzwischen durchaus das Gegenteil zu vernehmen ist. Es ist kein genuin medienpädagogisches Thema, das diese Ausgabe von merz in ihrem Schwerpunkt aufgreift, sondern eines, das Diskussionen aufwirft und Dissonanz erzeugt. Unser subjektiver Rückblick fällt dabei sehr zwiespältig aus: Bilder vom Leid vieler Geflüchteter und Geschichten über Einzelschicksale haben uns auf der einen Seite saturiert und irgendwie abgebrüht, und doch rühren uns vor allem die schrecklichen Bilder, die die Schicksale von Kindern auf der Flucht und in Kriegsgebieten in unsere Wahrnehmung bringen. Auf der anderen Seite verflacht die politische Diskussion über Fremdsein und das Fremde zu häufig in oberflächlichem bis dumpfem Populismus, der nicht nur in rechten Kreisen Oberwasser hat, sondern über alle Parteien hinweg und auch in der ‚seriösen' Berichterstattung längst angekommen ist.
Die handlungsorientierte Perspektive in Forschung und Praxis ist mehr denn je gefordert: Allzu leicht ist es, selbst in eine Art Kopf-in-den- Sand-Haltung zu gehen und zu sagen, dass uns das nichts anzugehen braucht und wir trotzdem weiter unsere (engagierten) Medienprojekte machen. Der zweite Weg bestünde vielleicht darin, sich ehrenamtlich als Teil der Willkommenskultur zu engagieren. Ein weiterer Weg ist wohl der holprigste: sich eine kritische Perspektive auf das Themenfeld zu erarbeiten und in die Auseinandersetzung zu gehen, wenn zum Beispiel mal wieder der starke Mann gefordert wird, der jetzt endlich für Ordnung und Sicherheit sorgen soll. Kritisch hinzusehen ist aber auch erforderlich in der Konzeption und Durchführung von pädagogischen Projekten und Aktivitäten. Abseits von Betroffenheitsrhetorik ist eine Auseinandersetzung darüber zentral, wie wir zukünftig in unserer Gesellschaft zusammenleben wollen. Dabei ist das Themenfeld Flucht und Migration komplex genug, aber eben gerade ohne die Medien für uns nicht zu fassen.
Immer wieder gab es in den letzten Jahrzehnten Diskussionen über die Frage der Interkulturalität unserer Gesellschaft, gespeist auch durch mediale Diskurse: Waren es in den 1960er- und 1970er-Jahren noch die damals sogenannten Gastarbeiter, die mit bestimmten Konnotationen des aufstrebenden und fleißigen Arbeitsvolkes belegt wurden, aber ansonsten bitte möglichst wenig auffallen sollten. So waren es Anfang der 1990er-Jahre zum einen die vielen Russlanddeutschen, die seit Mitte des 16. Jahrhunderts Deutschland verlassen hatten, um in Russland ein besseres Leben zu finden und die nun – aus ähnlichen Gründen wie damals – wieder in die frühere Heimat zurückkehrten. Zum anderen kamen zeitgleich Hunderttausende von Menschen aus den Balkanstaaten, die der Krieg aus ihrer Heimat vertrieben hatte. Damals wie heute wurden uns vor allem über die Medien bestimmte Bilder vermittelt.
Im Jahr 2015 sollten wir glauben, dass Flüchtlingsströme über Europa hereinbrechen und ein nie gekanntes Ausmaß annehmen. Wie vielfältig und gewaltig die Ströme der Migration insgesamt betrachtet sind, wird dabei häufig außer Acht gelassen. Der Diskurs um Flucht und Migration bewegt nun erneut auf vielen Titelseiten seit über einem Jahr Journalistinnen und Journalisten, aber auch Politik und Verwaltung und vor allem ‚die Bevölkerung', die als Publikum und als Voyeur von Einzelschicksalen am Geschehen teilnimmt.
„Die schiere Flut der Nachrichtenbeiträge im Herbst 2015 lässt ein Gefühl der Überforderung berechtigt erscheinen, auch wenn es den Alltag der meisten Bürgerinnen und Bürger nicht spiegelte“ – so beschreibt Friederike Herrmann von der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt in ihrem Beitrag den Stimmungswandel im Land gegenüber der Flüchtlingsfrage. Sie zeigt auf, wie sich die Berichterstattung in den Medien innerhalb weniger Monate verändert hat. Weg von der Empathie auslösenden Beschäftigung mit Einzelschicksalen geflüchteter Menschen, die auf Hilfe und Unterstützung angewiesen sind, hin zu Darstellungen, in denen die weitgehend anonyme Masse der Flüchtlinge thematisiert wird, mit der sowohl der Staat als auch nichtstaatliche Hilfsorganisationen überfordert sind. Herrmann erkennt in dieser Entwicklung einen Erklärungsansatz für die allmähliche Veränderung von einer zunächst überwiegend positiven hin zu einer zunehmend skeptischen Einstellung der Bevölkerung zu geflüchteten Menschen. Als Mitglied der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung gehört Heribert Prantl zu der von Herrmann analysierten Zunft.
Im Gespräch mit Ulrike Wagner erläutert er, welche Rolle der Journalismus in einer Zeit hat, in der ein Gutteil der Bevölkerung sich große Sorgen darum macht, wie die bundesdeutsche Gesellschaft die Herausforderung der vielen Flüchtlinge meistern kann. Außerdem präzisiert er die Verantwortung der Einzelnen, die Rolle der Medien und seine persönliche Haltung zum Umgang mit Populismus. Nadia Kutscher und Lisa-Marie Kreß schließlich haben in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Kinderhilfswerk eine qualitativ- empirische Studie mit minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen durchgeführt, deren Ziel es war, Hinweise darauf zu erhalten, „inwiefern in deren lebensweltlichem Kontext digitale Medien als Zugänge für informelle Bildung und zur Realisierung von Teilhabeoptionen dienen“. Dabei zeigte sich, dass die Medien positive Potenziale in verschiedener Hinsicht bieten. Einerseits hinsichtlich des ‚bonding' und ‚bridging', also indem sie den Geflüchteten ermöglichen, Kontakt zu ihrer Familie und ihrem Freundeskreis zu halten (bonding) wie auch einen Zugang zum Aufnahmeland zu finden (bridging). Andererseits können Medien auch „erweiterte soziale Beziehungen [eröffnen]und neue Kenntnisse, Unterstützungsoptionen und Fähigkeiten zugänglich [ machen ]“. Kutscher und Kreß stellen jedoch fest, dass diese Möglichkeiten bisher nur von einem Teil der Geflüchteten genutzt werden, von den für sie Verantwortlichen bisher aber fast gar nicht.
Ein weiteres Problem, das die Untersuchung zutage bringt, ist die nahezu alternativlose Nutzung von Diensten wie Facebook oder WhatsApp, die personenbezogene Daten ihrer Nutzenden sammeln, was die jungen Flüchtlinge in eine prekäre Lage bringen kann. Hier sehen die Autorinnen auch die medienpädagogische Arbeit gefordert. Im zweiten Teil des Themenschwerpunkts stellen sich verschiedene Projekte aus der praktischen pädagogischen Arbeit mit geflüchteten jungen Menschen und Medien vor. Im vergangenen Jahr wurden zahlreiche Ideen entwickelt und umgesetzt, die geflüchtete Menschen unterstützen sollen, anzukommen und sich hier in Deutschland zurechtzufinden. Diese Projekte stellen für die Institutionen, insbesondere aber für die beteiligten pädagogischen Fachkräfte eine besondere Herausforderung dar. Nicht selten erschweren Sprachbarrieren dabei den Dialog. Aber auch andere Probleme wie beispielsweise traumatische Erfahrungen der Geflüchteten oder ein enges zeitliches Projektkorsett stellen die pädagogischen Fachkräfte vor schwierige Aufgaben. Die fünf vorgestellten Projekte machen deutlich, wie breit das Spektrum ist: Ein Refugee QR-Code-Poster, das in vielen Münchner Unterkünften und Einrichtungen hängt, zeigt geflüchteten Jugendlichen, welche Angebote in der Stadt für sie interessant oder hilfreich sein könnten. Besonders daran ist, dass das Poster von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen mit Unterstützung durch Medienpädagoginnen und Medienpädagogen des SIN – Studio im Netz selbst erstellt wurde. Auch diejenigen geflüchteten Jugendlichen, die bei medien+bildung.com ein Tandempraktikum machen, haben die Möglichkeit, anderen Menschen die Stadt, in der sie jetzt leben, nahezubringen.
Gemeinsam mit deutschen Schülerpraktikantinnen und -praktikanten erstellen sie Videobeiträge für das Webprojekt ludwigshafen, lernen dabei den Beruf der Mediengestalterin bzw. des Mediengestalters kennen, knüpfen Kontakte zu deutschen Jugendlichen und verbessern ganz nebenbei auch noch ihre Sprachkenntnisse. Das Erlernen und der Umgang mit der deutschen Sprache stehen in Mittelpunkt von Lesestart für Flüchtlingskinder, einem Projekt der Stiftung Lesen. Das Programm richtet sich an neu ankommende Familien mit Kindern im Alter bis fünf Jahre, denen in den Landeserstaufnahmeeinrichtungen nicht nur Lese- und Medienboxen zur Verfügung stehen, die viele Gesprächsanlässe bieten. Daneben steht ihnen auch geschultes Personal zur Seite, das sie mit dem Vorlesen vertraut macht und ihnen dessen Vorzüge nahebringt. Das Projekt Perspektiven des JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis hat einen inhaltlichen Zugang. In Übergangsklassen mit Schülerinnen und Schülern, die nur rudimentäre oder gar keine Deutschkenntnisse haben, sollten die Jugendlichen sich mit den Themen ‚Kinder- und Menschenrechte‘ und ‚Ankommen‘ auseinandersetzen und dazu mediale Produkte erarbeiten. Das Projekt wurde wissenschaftlich begleitet, um systematisch einzuschätzen, welche Potenziale die medienpädagogische Arbeit für die Auseinandersetzung mit einem Thema aber auch für die Sprachförderung bereithält.
Die Idee des letzten vorgestellten Projekt, das ebenfalls vom JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis durchgeführt wird, KINO ASYL, wurde inzwischen schon von anderen Städten aufgegriffen. KINO ASYL ist ein Filmfestival, das von jungen Geflüchteten wie Lamin aus dem Senegal organisiert wird. Mit Filmen aus ihren Herkunftsländern bieten sie den Zuschauerinnen und Zuschauern Einblicke in andere Teile der Welt. Wie kann es gelingen, die Menschen, die derzeit hierzulande Zuflucht suchen, in unsere Gesellschaft zu integrieren? Welche Schwierigkeiten sind damit verbunden und welche positiven Potenziale birgt die Situation? Mit dem merz-Themenschwerpunkt Medien, Flucht und Migration wollen wir uns mit diesen Fragen beschäftigen, Facetten der Diskussion beleuchten und – so unser Anliegen – auch kritisch-reflexive Auseinandersetzungen anstoßen. Dafür braucht es auch ein bisschen mehr von, wie Lamin es ausdrückt: "the right passion and a willingness to risk it all".
Dr. Ulrike Wagner ist Direktorin des JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis sowie Leiterin des Arbeitsbereichs Forschung. Ihre Schwerpunkte sind Umgang von Kindern und Jugendlichen mit digitalen Medien und Medienkonvergenz, Mediensozialisationsforschung in sozial- und bildungsbenachteiligten Milieus, Partizipationsforschung sowie Methoden der Kindheits- und Jugendforschung.
Dr. Susanne Eggert ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis. Ihre Schwerpunkte sind Medien in der Familie sowie Medien und Migration.
Anmerkung1
Nach Dublin-Verordnung wurde Lamin zwischenzeitlich nach Italien abgeschoben und ist ziemlich hoffnunglsos, dort seine Situation verbessern zu können.
Beitrag aus Heft »2016/05: Medien, Flucht und Migration«
Autor: Ulrike Wagner, Susanne Eggert
Beitrag als PDFEinzelansichtFriederike Herrmann: Von der Willkommenskultur zum Problemdiskurs
Das Thema Flüchtlinge beherrschte in den vergangenen Monaten die Medien. Allein schon das Ausmaß der Berichterstattung konnte performativ Gefühle der Überwältigung und Überforderung beim Publikum erzeugen. Nach einer zunächst ungewöhnlich positiv konnotierten und empathischen Haltung der Medien wendete sich im Herbst 2015 das Blatt. Nun überwog wieder eine negative Präsentation des Flüchtlingsthemas, die durch die Ereignisse zur Jahreswende und die Terroranschläge des Jahres 2016 nochmals verstärkt wurde.
Literatur:
Arlt, Dorothee/Wolling, Jens (2016). Threatening or Beneficial? Exploring the Effects of Positive and Negative Attitudes an Communication on Hostile Media Perceptions. In: Global Media Journal, German Edition, 6 (1), S. 1–8.
Bonfadelli, Heinz/Friemel, Thomas N. (2015). Medienwirkungsforschung. 5. überarb. Aufl. Konstanz: UVK.
European Journalism Observatory (EJO) (2015). Wie Zeitungen aus West- und Osteuropa über die Flüchtlingskrise berichteten. de.ejo-online.eu/top/wie-zeitungenin-europa-ueber-die-fluechtlingskrise-berichteten [Zugriff: 03.08.2016].
Hafez, Kai (2016). Essay: Compassion Fatigue der Medien? Warum der deutsche Flüchtlingssommer so rasch wieder verging. In: Global Media Journal, German Edition, 6 (1), S. 1–8.
www.db thueringen.de/servlets/MCRFileNodeServlet/dbt_derivate_00035505/GMJ11_Hafez.pdf [Zugriff: 03.08.2016].
Hemmelmann, Petra/Wegner Susanne (2016). Flüchtlingsdebatte im Spiegel von Medien und Parteien. Ein Überblick. In: Communicatio Socialis, 49 (1), S. 21–38.
Herrmann, Friederike (2016). Das Märchen vom überkochenden Brei. Narrative in der medialen Berichterstattung zum Flüchtlingsthema im Herbst 2015. In: Communicatio Socialis, 49 (1), S. 6–20.
Hickethier, Knut (1998). Narrative Navigation durchs Weltgeschehen. Erzählstrukturen in Fernsehnachrichten. In: Kamps, Klaus/Meckel, Miriam (Hrsg.), Fernsehnachrichten. Prozesse, Strukturen, Funktionen. Opladen: Springer VS, S. 185–202.
Krüger, Udo Michael/Zapf-Schramm, Thomas (2016). Info-Monitor 2015: Europa und Deutschland rücken ins Zentrum globaler Krisen. In: Media Perspektiven 2/2016, S. 70–97.
Lorenzer, Alfred (Hrsg.) (1986). Kultur-Analysen. Frankfurt am Main: Suhrkamp.Lorenzer, Alfred (1976/1974). Die Wahrheit der psychoanalytischen Erkenntnis. Ein historisch-materialistischer Entwurf. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Luginbühl, Martin/Schwab, Katharine/Burger, Harald (2004). Geschichten über Fremde. Eine linguistische Narrationsanalyse von Schweizer Fernsehnachrichten von 1957 bis 1999. Bern u. a.: Peter Lang.
Prantl, Heribert (2015). Wie die EU Flüchtlinge tötet. www.sueddeutsche.de/politik/fluechtlingspolitik-du-sollst-nicht-toeten-1.2439653 [Zugriff: 18.08.2016].
Beitrag aus Heft »2016/05: Medien, Flucht und Migration«
Autor: Frederike Herrmann
Beitrag als PDFEinzelansichtUlrike Wagner: Den öffentlichen Raum nicht aufgeben
Medien bestimmen maßgeblich mit, wie Realität und Wirklichkeit wahrgenommen werden. Vor allem in der Flüchtlingsdebatte hat sich die Stimmung stark aufgeheizt. Welcher Verantwortung müssen sich Journalistinnen und Journalisten stellen? Welche Wünsche haben sie an die Gesellschaft – und was kann die Pädagogik dazu beitragen? Dr. Ulrike Wagner, Direktorin des JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis, im Gespräch mit Prof. Dr. Heribert Prantl, Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung.
Beitrag aus Heft »2016/05: Medien, Flucht und Migration«
Autor: Ulrike Wagner
Beitrag als PDFEinzelansichtNadia Kutscher/Lisa-Marie Kreß: Medienhandeln von Geflüchteten als Praxis informeller Bildung
Digitale Medien sind in der Lebenswelt unbegleiteter minderjähriger Geflüchteter sowohl während der Flucht als auch im Aufnahmeland Deutschland fest verankert. Neben jugendtypischen Nutzungsweisen spielen informelle Bildungspraktiken mit digitalen Medien eine wichtige Rolle für das (Über-)Leben der jungen Menschen. Vor diesem Hintergrund zeigen sich entsprechende Anforderungen an pädagogische Angebote.
Literatur:
Alam, Khorshed/Imran, Sophia (2015). The digital divide and social inclusion among refugee migrants. A case in regional Australia. In: Information Technology & People, 28 (2), S. 344–365.
Betts, Alexander (2014). Introduction: Refugees and innovation. In: Forced Migration Review, supplement 2014:Innovation and refugees. www.fmreview.org/innovation/ betts.html [Zugriff: 11.08.2016].
Europäische Kommission (2007). EU Research on Social Sciences and Humanities. Children in Communication about Migration. cordis.europa.eu/docs/publications/ 1001/100124371-6_en.pdf [Zugriff: 11.08.2016].
Gillespie, Marie/Ampofo, Lawrence/Cheesman, Margarte/Faith, Becky/Iliadou, Evgenia/Issa, Ali/Osseiran, Souad/Skleparis,Dimitris (2016). Mapping Refugee Media Journeys. Smartphones and Social Media Networks. Research Report. www.open.ac.uk/ccig/sites/www.open.ac.uk.ccig/files/ Mapping%20Refugee%20Media%20Journeys%2016%20 May%20FIN%20MG_0.pdf [Zugriff: 20.07.2016].
Karstedt, Susanne (2004). Linking Capital. Institutionelle Dimension sozialen Kapitals. In: Kessl, Fabian/Otto, Hans-Uwe (Hrsg.), Soziale Arbeit und Soziales Kapital. Zur Kritik lokaler Gemeinschaftlichkeit. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 45–62.
Kölner Flüchtlingsrat e. V. (o. J.) Asyl in Deutschland. Die Anhörung [Film]. www.asylindeutschland.de/de/film-2 [Zugriff 11.08.2016].
Koons, Stephanie (2015). IST researchers explore technology use in Syrian refugee camp. Penn State News. http:// news.psu.edu/story/350156/2015/03/26/research/istresearchers- Explore-technology-use-syrian-refugee-camp [Zugriff: 20.07.2016].
Kutscher, Nadia (2003). Informelle Bildung und digitale Spaltung. In: Spektrum Freizeit: Informelle Bildung. Sonderausgabe 2/2003.
Kutscher, Nadia (2009). Bildungsbenachteiligung von Kindern – Perspektiven für die Eröffnung von Teilhabechancen in informellen und formellen Kontexten. In: Deutsches Kinderhilfswerk e. V. (Hrsg.), Kinderreport 2010. Freiburg, S. 137–156.
Kutscher, Nadia (2015). Mediatisierung der Kinder- und Jugendhilfe – Herausforderungen der digitalen Gesellschaft für professionelle Handlungskontexte. In: Arbeitsgemeinschaft für Kinder und Jugendhilfe – AGJ (Hrsg.), Gesellschaftlicher Wandel – Neue Herausforderungen für die Kinder- und Jugendhilfe?! Berlin, S. 39–58.
Kutscher, Nadia/Kreß, Lisa-Marie (2015). Internet ist gleich mit Essen. Empirische Studie zur Nutzung digitaler Medien durch unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Projektbericht in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Kinderhilfswerk. DOI: 10.13140/RG.2.1.1028.8729. bit.ly/1OAnwtI [Zugriff: 11.08.2016].
Leung, Linda/Lamb, Cath Finney/Emrys, Liz (2009). Technology’s Refuge. The Use of Technology by Asylum Seekers and Refugees. Sydney: UTS ePress.
Norris, Pippa (2003). Social Capital and ICTs: Widening or reinforcing social networks? Paper presented at the “International Forum on Social Capital for Economic Revival”, Tokyo, March 2003. www.esri.go.jp/jp/workshop/030325/030325paper6.pdf [Zugriff:11.08.2016].
Otto, Hans-Uwe/Rauschenbach, Thomas (2004). Die andere Seite der Bildung. Zum Verhältnis von formellen und informellen Bildungsprozessen. Wiesbaden: Springer VS.
Beitrag aus Heft »2016/05: Medien, Flucht und Migration«
Autor: Nadia Kutscher
Beitrag als PDFEinzelansichtMedienpädagogische Projekte mit geflüchteten jungen Menschen
Sind sie erst einmal in Deutschland angekommen und haben ihren vorläufigen Zielort erreicht, möchte ein Großteil der geflüchteten Menschen aus verschiedenen Herkunftsländern möglichst schnell ein möglichst ‚normales‘ Leben führen. Für die Kinder und Jugendlichen heißt das, zur Schule zu gehen, für die etwas Älteren, eine Ausbildungsstelle, einen Praktikumsoder Arbeitsplatz zu finden, um dadurch ihrem Alltag eine Struktur und einen Sinn zu geben, aber auch, um die deutsche Sprache zu lernen und Kontakte zu knüpfen. Um den Prozess des Ankommens zu unterstützen, wurde eine Vielzahl pädagogischer Projekte entwickelt. Fünf sehr unterschiedliche medienpädagogische Angebote werden hier vorgestellt.
Refugee QR-Code-PosterDie
Idee zu Refugee QR-Code-Poster entstand aus einem vorangegangenen Projekt mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen (UMF). Im Zuge dessen recherchierten geflüchtete Jugendliche nach Angeboten und Projekten, die es bereits für sie in der Stadt gibt. Dabei stießen sie auf Freizeitstätten, Sehenswürdigkeiten sowie Kultur- und Sportangebote. Um herauszufinden, welche Themen und Angebote darüber hinaus für geflüchtete Jugendliche interessant sein könnten, hat SIN – Studio im Netz sie selbst, aber auch Pädagoginnen und Pädagogen in den Unterkünften direkt befragt. Die Ergebnisse aus den gemeinsamen Recherchen wurden gebündelt, in QR-Codes umgewandelt und auf einem Poster gesammelt. Dieses steht nun neu ankommenden geflüchteten Menschen in München zur Verfügung.
Sonja De Vetta, SIN – Studio im Netz e. V.www.studioimnetz.de/projekte/qr-code-plakat
KINO ASYL
KINO ASYL ist ein Festival mit Filmen aus den Herkunftsländern geflüchteter junger Menschen. Das Festival wird von den Kuratorinnen und Kuratoren mit Fluchterfahrung mit Unterstützung von Fachleuten selbst gestaltet und findet vom 4. bis 8. Dezember 2016 in München statt. Es soll Einblicke in andere Teile der Welt ermöglichen – und zwar aus der Perspektive derjenigen, die erst vor kurzem nach Deutschland gekommen sind. KINO ASYL wird vom Medienzentrum München veranstaltet. Kooperationspartner der Initiative sind: Refugio München, Filmstadt München, Münchner Stadtbibliothek, Hochschule für Fernsehen und Film (HFF) München und Münchner Kammerspiele. Die Veranstaltung wird von der Bundeszentrale für politische Bildung ( bpb), dem Kulturreferat München und dem Stadtjugendamt München gefördert.
Mareike Schemmerling, JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxiswww.kinoasyl.de
Tandempraktika für Flüchtlinge
Seit April 2016 bietet das Haus der Medienbildung, eine Einrichtung von medien+bildung.com, für jungeFlüchtlinge ab 14 Jahren zweiwöchige Tandempraktika mit deutschsprachigen Schülerinnen und Schülernan. Während dieser Zeit lernen die Jugendlichen im Team den Beruf der Mediengestalterin bzw. des Mediengestalters Bild und Ton kennen und produzieren Audio- und Videobeiträge für das neue Webprojekt ludwigshafen. Das gemeinsame Praktikum fördert den Spracherwerb und erleichtert die berufliche Orientierung. Basiskenntnisse der deutschen Sprache etwa auf dem Niveau A2 werden vorausgesetzt, praktische Vorerfahrungen in der Mediengestaltung sind nicht nötig. Das Team vom Haus der Medienbildung hat Kontakt zu Jugendhilfeeinrichtungen aufgenommen und war mit einem Stand bei der ersten Jobbörse für Geflüchtete vertreten, um die Tandempraktika bekannt zu machen.
Hans-Uwe Daumann, medien+bildung.comwww.medienundbildung.com/wir-ueber-uns/praktikum-fsj/tandempraktikum
Perspektiven
Perspektiven sind medienpädagogische Modellprojekte in Übergangsklassen mit Schülerinnen und Schülern, die nur rudimentäre oder gar keine Deutschkenntnisse haben. Innerhalb des Themenrahmens „Kinder-/Menschenrechte und Ankommen“ wurden Fragen bearbeitet, wie „Was ist euch für euer Leben wichtig?“, „Bildung = Ausbildung? Was bedeutet (ein Recht auf) Bildung für mich?“ oder „Was macht (mich) glücklich?“ Zu diesen Fragen erarbeiteten die Kinder und Jugendlichen mediale Produkte, in denen sie ihre persönliche Perspektive zum Ausdruck brachten. Die Modellprojekte wurden wissenschaftlich begleitet, um die Potenziale der Medienarbeit für die thematische Arbeit mit der Zielgruppe und für die Sprachförderung systematisch einzuschätzen.Niels Brüggen und Kati Struckmeyer, JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxiswww.jff.de/jff/aktivitaeten/von-a-z/projekt/proj_titel/perspektiven-wissenschaftliche-begleitungLesestart für FlüchtlingskinderDie Stiftung Lesen führt im Auftrag des Bundesministerium für Bildung und Forschung ein bundesweitesProgramm für Flüchtlingskinder durch, das in Zusammenarbeit mit allen Landes- Erstaufnahmeeinrichtungen (EAE) realisiert wird. Das dreijährige Programm richtet sich an alle neu ankommenden Familien mit Kindern bis fünf Jahresowie an Kinder, die die Spielstuben der EAEs besuchen. Durch die Bereitstellung von Lese- und Medienboxen, die Schulung der Haupt- und Ehrenamtlichen zu Vorleserinnen und Vorlesern in den EAEs als auch die Vernetzung mit Vorlese-Initiativen in der Region sollen die Themen Vorlesen und Erzählen im Alltag der EAEs nachhaltig etabliert werden.
Melitta Göres, Stiftung Lesenwww.lesestart-fuer-fluechtlingskinder.de
spektrum
Herwig Winkel: Zu jung und doch dabei
Soziale Netzwerke werden immer früher Gegenstand kindlicher Internetaktivitäten. Was Kinder auf diesen Sozialen Netzwerkseiten treiben und wie sehr dabei oftmals gesetzliche Grenzen überschritten werden, zeigt eine Studie der Pädagogischen Hochschule Vorarlberg.
Literatur:
Bartel, Rainer (2010). Alles Wichtige zu Facebook. Alles, was Sie wirklich brauchen! Düsseldorf: Data Becker.
Bichsel, Peter (1980). Kindergeschichten. 10. Aufl. Darmstadt und Neuwied: Luchterhand.
Burger, Thorsten (2013). Social Media und Schule. Wege zum konstruktiven Umgang mit Facebook & Co. Hamburg: AOL.
Busemann, Katrin/Fisch Martin/Frees, Beate (2012). Dabei sein ist alles – zur Nutzung privater Communitys. In: Media Perspektiven, 16 (5), S. 258–267.
Ernst, Christina (2015). Mein Gesicht zeig ich nicht auf Facebook. Social Media als Herausforderung theologischer Anthropologie. In: Anselm, Reiner/Körtner, Ulrich H.J. Hrsg.), Edition Ethik, Band 15. Göttingen: Edition Ruprecht.
Faerman, Juan (2010). faceboom. Wie das soziale Netzwerk Facebook unser Leben verändert. München: Südwest.
Klier, Alexander (2014). Zeit für Soziale Netzwerke. In: merz | medien + erziehung, 58 (2), S. 46–53.
Kuhn, Johannes: Internet, Ort der Einsamkeit. www.sueddeutsche.de/digital/kommunikation-im-netz-internet-ort-der-einsamkeit-1.79231
Lukaßen, Daniela: Cyber-Grooming – Gefahr aus dem Internet. www.kinder.de/ratgeber/kinder-und-medien/artikel/cyber-grooming-gefahr-aus-dem-internet/wie-sie-ihr-kind-schuetzen.html
Meckel, Miriam: Aus Vielen wird das Eins gefunden. Wie Web 2.0 unsere Kommunikation verändert. www.bpb.de/apuz/30964/aus-vielen-wird-das-eins-gefunden-wie-web-2-0-unsere-kommunikation-veraendert?p=all
Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (mpfs) (2015a): JIM-Studie 2015. Jugend, Information, (Multi-)Media. Basisuntersuchung zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger. www.mpfs.de/fileadmin/JIM-pdf15/ JIM_2015.pdf
Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (mpfs) (2015b). KIM-Studie 2014. Kinder + Medien, Computer + Internet. Basisuntersuchung zum Medienumgang 6- bis 13-Jähriger. www.mpfs.de/fileadmin/KIMpdf14/ KIM14.pdf
Münker, Stefan (2012). Die Emergenz digitaler Öffentlichkeiten. Die sozialen Medien im Web 2.0. Frankfurt: Suhrkamp.
Musiał Katarzyna/Kazienko Przemysław: Social networks on the Internet. link.springer.com.doi.vlb-portal.vorarlberg.at/content/pdf/10.1007%2Fs11280-011-0155-z.pdfMuuß-Merholz, Jöran: Schule und Web 2.0. Wie Social Media die schulische Kommunikation durcheinanderwirbelt. In: Regenthal, Gerhard/Schütte, Jan (Hrsg.), Öffentlichkeitsarbeit macht Schule. www.joeran.de/dox/Joeran-Muuss-Merholz-Schule-und-Web-2.0-Wie-Social-Media-die-schulische-Kommunikation-durcheinanderwirbelt.pdf
Nast, Michael (2016). Generation Beziehungsunfähig. 3. Aufl., Hamburg: Edel Germany.
Piotrowski, Kati (2006). Online:Offline. Soziale Netzwerke von Jugendlichen. In: Tillmann, Angela/Vollbrecht, Ralf (Hrsg.), Abenteuer Cyberspace. Jugendliche in virtuellen Welten. Frankfurt: Peter Lang, S. 75–89.
Pfeiffer, Thomas/Muuß-Merholz, Jöran (2012). Mein Kind ist bei Facebook. Tipps für Eltern. München: Addison-Wesle.
Roth, Philipp (2016). Aktuelle Facebook Nutzerzahlen. www.allfacebook.de/zahlen_fakten/44224 [Zugriff: 18.08.2016].
Schemmerling, Mareike/Gerlicher, Peter/Brüggen, Niels (2013). „Ein Like geht immer …“. Studienergebnisse zu Identitätsarbeit in Sozialen Netzwerkdiensten. In: merz | medien + erziehung, 57 (2), S. 53–58.
Schillinger, Remo (2010). Faszination Facebook. So fern und doch so nah. Psycho-soziale Motivatoren für die aktive Partizipation bei Social Networking Sites. Hamburg: Diplomica.
Schmidt, Jane (2014). Facebook, Surfen und Co. So ist mein Kind sicher im Internet. Weinheim: Sybex, a Wiley brand.
Teusen, Gertrud (2013). Schlau machen statt dumm surfen. Wie Eltern die Medienkompetenz ihrer Kinder fördern. Freiburg im Breisgau: Urania.
Thaler, Lisa Carmela (2016). Phänomen „Facebook“ – Chancen und Gefahren eines Sozialen Netzwerkes für Kinder im Alter von 9 bis 12 Jahren. Unveröffentlichte Bachelorarbeit an der Pädagogischen Hochschule Vorarlberg.
Trost, Kai (2013). Soziale Onlinenetzwerke und die Mediatisierung der Freundschaft. Eine qualitative Studie zur Bedeutung von Facebook für das Freundschaftskonzept Jugendlicher. In: Schwarzer, Bettina (Hrsg.), Online-Medien-Management, Band 3. Baden-Baden: Nomos.
Wampfler, Philippe (2013). Facebook, Blogs und Wikis in der Schule. Ein Social-Media-Leitfaden. Göttingen: Vandenhoeck& Ruprecht.
Beitrag aus Heft »2016/05: Medien, Flucht und Migration«
Autor: Herwig Winkel
Beitrag als PDFEinzelansichtBarbara Arifi/Gerhild Bachmann: Smartphones und WhatsApp in der jugendlichen Alltagswelt
Die Forschungsarbeit „Jugend und Instant Messaging. Wie gehen jugendliche SmartphonenutzerInnen mit der Nachrichtenflut um?“ erforscht den Umgang mit der Informationsflut mit Fokus auf WhatsApp. Die Ergebnisse zeigen, dass die befragten Jugendlichen aus Österreich sehr unterschiedlich reagieren. Außerdem sind sie der Meinung, dass sie keiner Nachrichtenflut ausgesetzt sind. Auch zeigen die Ergebnisse, dass WhatsApp für die Befragten eine hohe Relevanz aufweist.
Literatur:
Albers-Heinemann, Tobias/Friedrich, Björn (2014). Das Elternbuch zu WhatsApp, Facebook, YouTube & Co. 1. Aufl. Köln: O‘Reilly Verlag.
Arifi, Barbara (2015). Jugend und Instant Messaging. Wie gehen jugendliche SmartphonenutzerInnen mit der Nachrichtenflut um? Unveröffentlichte Masterarbeit an der Karl-Franzens-Universität Graz.
Education Group GmbH (2015). Medienverhalten der Jugendlichen aus dem Blickwinkel der Jugendlichen. Handy/Smartphone. www.edugroup.at/fileadmin/DAM/ Innovation/Forschung/Dateien/8_Handy_Smartphone_Jugend_2015.pdf [Zugriff: 20.07.2016].
Großegger, Beate (2013a). Schöne neue Online-Welt. Die „Generation Facebook“ kommuniziert entgrenzt, mobil und in Echtzeit – wohin führt der Trend? www.jugendkultur.at/wp-content/uploads/Dossier_schoene_neue_Onlinewelt_Grossegger_2013.pdf [Zugriff: 20.07.2016].
Großegger, Beate (2013b). Wenn alle senden, denkt niemand mehr nach. Onlinekommunikation als Chance und Herausforderung für die Pädagogik. www.jugendkultur.at/wp-content/uploads/Digital_lernen_Kommentar_Grossegger_2013.pdf [Zugriff: 20.07.2016].
Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (mpfs) (2014). JIM 2014. Jugend, Information, (Multi-)Media. Basisstudie zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger in Deutsch-land. www.mpfs.de/fileadmin/JIM-pdf14/JIM-Studie_2014.pdf [Zugriff: 20.07.2016].
Ruch, Claudia (o. J.). Instant Messaging and Applications. www.medien.ifi.lmu.de/fileadmin/mimuc/hs_ss2006/reports/04_ClaudiaRuch_InstantMessaging.pdf [Zugriff: 20.07.2016].
Statista GmbH (2015). Anzahl der aktiven Nutzer von WhatsApp weltweit von April 2013 bis April 2015 (in Millionen). de.statista.com/statistik/daten/studie/285230/umfrage/aktive-nutzer-von-whatsapp-weltweit [Zugriff: 20.07.2016]
Beitrag aus Heft »2016/05: Medien, Flucht und Migration«
Autor: Gerhild Bachmann, Barbara Arifi
Beitrag als PDFEinzelansichtRebecca End: Pokémon Go
Als Risikopotenziale des Spiels Pokémon Go werden häufig die Unfallgefahr im Straßenverkehr sowie lückenhafte Datenschutzbestimmungen geäußert. Allerdings sind diese Risiken nicht neu. Daher können auch bestehende Handlungsempfehlungen aus der medienpädagogischen Praxis auf das Format übertragen werden.
Literatur:
Arnold, Patricia/Kilian, Lars/Thillosen, Anne/Zimmer, Gerhard M. (2013). Handbuch E-Learning. Lehren und lernen mit digitalen Medien. 3. überarb. Aufl.. Bielefeld: Bertelsmann.
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (Hrsg.) (2009). Gut hinsehen und zuhören! Ein Ratgeber für pädagogische Fachkräfte zum Thema „Mediennutzung in der Familie“. Lahr: Kaufmann.
Deterding, Sebastian/Sicart, Miguel/Nacke, Lennart/O'hara, Kenton/Dixon, Dan (2011). Gamification. Using Game-Design Elements in Non-Gaming Contexts. In: Proceeding CHI EA '11 Extended Abstract on Human Factors in Computing Systems. New York: ACM, S. 2425–2428.
Deutscher Kraftfahrzeug-Überwachungs-Verein e. V. (DEKRA) (2016). Erhebung der DEKRA Unfallforschung in sechs europäischen Hauptstädten. Fußgänger beim Überqueren der Straße: Riskante Ablenkung durch Smartphones. www.dekra.de/de/pressemitteilung?p_p_lifecycle=0&p_p_id=ArticleDisplay_WAR_ArticleDisplay&_ArticleDisplay_WAR_ArticleDisplay_articleID=59165368 [Zugriff: 18.07.2016].
Djordjevic, Valie (2011). Datenschutz in sozialen Netzwerken – Meine Daten gehören mir. In: klicksafe (Hrsg.), Spielregeln im Internet- Durchblicken im Rechtedschungel. www.klicksafe.de/service/materialien/broschueren-ratgeber/spielregeln-im-internet-1-durchblicken-im-rechte-dschungel [Zugriff: 10.08.2016].
Fuest, Benedikt (2016). Das steckt hinter dem Hype um „Pokémon Go“. www.welt.de/wirtschaft/webwelt/article156964074/Das-steckt-hinter-dem-Hype-um-Pokemon-Go.html [Zugriff: 18.07.2016].
Jugendschutzgesetz (JuSchG) vom 23. Juli 2002 (BGBI. I S. 2730) Abs.2, §4–7.
Gennies, Sidney (2016). Pokémon Go zeigt, wie die Zukunft aussieht. www.tagesspiegel.de/weltspiegel/augmented-reality-pokemon-go-zeigt-wie-die-zukunft-aussieht/13882846.html [Zugriff: 18.07.2016].
GoNintendo (2016). Pokémon GO analytics/survey show age of users, time spent playing, weight loss & more [ Tweet ]. www.twitter.com/GoNintendoTweet/status/753740902229696512 [Zugriff: 10.08.2016].
Iwama, Satoshi/Mitsuhara, Hiroyuki/Iwaka, Kazuhisa/Tanaka, Kazumoto/Kozuki, Yasunori/Shishibori, Masami (2015). Using AR and HMD for disaster prevention education. In: Gómez Chova, L./López Martinez, A./Candel Torres, I. (Hrsg). INTED 2015 Proceedings. 9th International Technology Education and Development Conference. IATED.
Krasemann, Henry (2016). Pokémon Go: Datenschützer kritisiert Nutzungsbedingungen. www.heise.de/ct/artikel/Pokemon-Go-Datenschuetzer-kritisiert-Nutzungsbedingungen-3269009.html [Zugriff: 23.07.2016].
Meyer, Julia (2011). Identität und virtuelle Identität natürlicher Personen im Internet. Baden-Baden: Nomos.
Microsoft (2016). General Frequently Asked Questions. www.microsoft.com/microsoft-hololens/en-us/faq [Zugriff: 10.08.2016].
Niantic Inc. (2016a). Updates. www.pokemongo.nianticlabs.com/de [Stand: 18.07.2016].
Niantic Inc. (2016b). Gehe auf Entdeckungsreise. www.pokemongo.com/de-de/explore [Zugriff: 18.07.2016].
Niantic Inc. (2016c). Pokémon GO Nutzungsbedingungen www.nianticlabs.com/terms/pokemongo/de [Zugriff: 23.07.2016].
Nintento (2016). Pokémon Ratgeber für Eltern. www.pokemon.com/de/pokemon-videospiele/pokemon-go [Zugriff: 18.07.2016].
O'Fallon Police Department Missouri (2016). Press Release. [Facebook-Post] www.facebook.com/180316078675503/photos/a.262124017161375.70607.180316078675503/1272368709470229/?type=3&theater [Zugriff: 18.07.2016].
Schaar, Peter (2012). Mein Pseudonym und ich. In: merz | medien + erziehung, 56 (3), S. 26–28.
Schart, Dirk/Tschanz, Nathaly (2015). Praxishandbuch Augmented Reality für Marketing, Medien und Public Relations. Konstanz: UVK.
Beitrag aus Heft »2016/05: Medien, Flucht und Migration«
Autor: Rebekka End
Beitrag als PDFEinzelansichtAngelika Mayer/Senta Pfaff-Rüdiger: BR backstage
Im Juni 2015 veranstaltete der Bayerische Rundfunk zum ersten Mal einen Jugendmedientag, um Jugendlichen Medien begreifbar zu machen: BR backstage. Rund 1.500 bayerische Schülerinnen und Schüler aller Schularten ab der siebten Jahrgangsstufe und ihre Lehrkräfte folgten der Einladung, einen Blick hinter die Kulissen der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt zu werfen. Das Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der LMU München hat diesen Tag wissenschaftlich begleitet und evaluiert.
Literatur:
Herzig, Bardo/Meister, Dorothee M./Moser, Heinz/Niesyto, Horst (2010). Medienkompetenz im Zeitalter des Web 2.0 – Editorial. In: Herzig, Bardo/Meister, Dorothee M./Moser, Heinz/Niesyto, Horst (Hrsg.), Jahrbuch Medienpädagogik 8. Medienkompetenz und Web 2.0. Wiesbaden: Springer VS, S. 9–17.
Jarren, Otfried/Donges, Patrick/Künzler, Matthias/Schulz, Wolfgang/Held, Thorsten/Jürgens, Uwe (2001). Der öffentliche Rundfunk im Netzwerk von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Eine komparative Studie zu Möglichkeiten der Absicherung des Public Service. Baden-Baden: Nomos.
Pfaff-Rüdiger, Senta/Riesmeyer, Claudia (2016). Moved into action. Media literacy as social process. In: Journal of Children and Media, 10 (2), S. 164–172.
Riesmeyer, Claudia/Pfaff-Rüdiger, Senta/Kümpel, Anna S. (2016). Wenn Wissen zu Handeln wird: Medienkompetenz aus motivationaler Perspektive. In: Medien & Kommunikationswissenschaft, 64 (1), S. 36–55.
Schorb, Bernd (2005). Medienkompetenz. In: Hüther, Jürgen/ Schorb, Bernd (Hrsg.), Grundbegriffe Medienpädagogik. 4. Aufl. München: kopaed, S. 257–262.
Theunert, Helga (2009). Medienkompetenz. In: Schorb, Bernd/Anfang, Günther/Demmler, Kathrin (Hrsg.), Grundbegriffe Medienpädagogik. München: kopaed, S. 199–204.
Beitrag aus Heft »2016/05: Medien, Flucht und Migration«
Autor: Angelika Mayer, Senta Pfaff-Rüdiger
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medienreport
Stefan Piasecki: Unterhaltung, Kunst und Jugendschutz
Kino und Film im Iran
Von der nachrevolutionären Zeit über den Krieg zwischen Irak und Iran, die Golfkriege der 1990er- und frühen 2000er-Jahre bis zur damit eingetretenen Destabilisierung der gesamten regionalen Nachbarschaft – der moderne Iran war in den letzten Jahrzenten unterschiedlichsten Phasen und Ereignissen ausgesetzt. Eine bewegte Zeit, die sich auch in den filmisch produzierten Inhalten erspüren lässt. Das Kinomagazin Film überspannt all das in seiner Berichterstattung. Es existiert seit 1982, kurz nach der Islamischen Revolution 1979. Auch politischer Wandel, Reformen sowie UN-Sanktionen fließen in das Magazin ein.
Der iranische Filmmarkt – Ein Spiegel des 20. Jahrhunderts
Die iranische Filmindustrie gehört zu den jüngsten der Welt. Erst ab 1930 wurden im Iran kommerzielle Filme produziert, als erster iranischer Spielfilm gilt der Stummfilm Abi & Rabi. Von einer Filmindustrie lässt sich erst ab Mitte der 1950er-Jahre sprechen, als jährlich etwa zwölf Filme produziert wurden. Ihre Narrative und Perspektiven gründen in der jahrtausendealten Tradition persischer Dichtkunst und Erzähltradition. Wie alle anderen Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wurde auch die Kulturproduktion von der Islamischen Revolution umgewälzt, die den Schah 1979 ins Exil trieb und Ayatollah Khomeini den Iran zu einer Islamischen Republik umgestalten ließ. Die iranische Filmindustrie wurde aus zweierlei Richtungen von diesen Ereignissen berührt. Einerseits sollten nun entschieden unmoralische und unislamische Inhalte aus dem öffentlichen Leben verbannt werden, andererseits richtete sich die Revolution nicht zuletzt gegen den amerikanischen Einfluss auf die iranische Innenpolitik – somit waren gerade ausländische Filmproduktionen Ziel von Behinderungen und Verboten. Viele Kinos im Iran wurden noch während der revolutionären Unruhen zerstört, weitere in den Jahren danach. Der Film als Medium der Unterhaltung wie auch der Information war jedoch zu wichtig, als dass er dauerhaft aus dem öffentlichen Leben zu verdrängen gewesen wäre. Ab 1983 förderte der damalige Kulturminister Mohammed Khatami die Filmproduktion mit dem Ziel, sie auch international als kulturelle Stimme des Iran zu etablieren. Im Westen ist der Iran als Produktionsland von Filmen wenig bekannt, trotzdem werden etwa 100 Filme im Jahr produziert, die sich vielfach an ein jüngeres Publikum unter 25 Jahren wenden. Als erfolgreich gelten im Iran insbesondere Komödien, Beziehungs- und Sozialdramen sowie Actionfilme. Im Westen sind diese, anders als das indische Bollywood-Kino oder chinesische Actionstreifen, vornehmlich Cineastinnen und Cineasten bekannt. Gerade für sie gelten die Werke von Abbas Kiarostami, Ashgar Farhadi oder Jafar Panahi als cineastische Spezialitäten der besonderen Art. Nader & Simin (Seperation)oder Taxi Teheran ( Taxi) konnten auch in Deutschland größeres Interesse hervorrufen. Letzteres Werk gewann beispielsweise den Goldenen Bären der Berlinale 2015 und Ashgar Farhanis The Salesman die Goldene Palme 2016 für das beste Drehbuch. Abbas Yari berichtet, dass das Publikum in Cannes die Vorführung von The Salesman über zehn Minuten beklatscht habe. Im Gegensatz dazu gibt es eine ganze Reihe von iranischstämmigen Filmemachenden, die im Westen erfolgreich, im Iran selbst aber teilweise weniger bekannt sind. Zu ihnen gehört zum Beispiel der in Schweden aufgewachsene Babak Najafi (London Has Fallen, 2016).
Anders als in anderen islamischen Ländern haben weibliche Regisseurinnen wie Tahmineh Milani, Marziyeh Boromand oder Rakhan Banietemad einen festen Platz unter den Größen des iranischen Films. Science-Fiction oder Fantasy-Filme aus iranischer Produktion gibt es so gut wie gar nicht. Die Produktion sei zu teuer und die Konkurrenz durch ausländische Produktionen – die nicht selten als billige Raubkopien erhältlich sind – zu groß. Zu den wenigen Ausnahmen gehört die im Juli 2016 in iranischen Kinos angelaufene Komödie Dracula ( Deracula) von Reza Attaran.
Im Kino dominieren inländische Produktionen
Die Dominanz der inländischen Produktionen im Kino liegt jedoch, so Abbas Yari, nicht etwa daran, dass Iranerinnen und Iraner keine ausländischen Filme mögen. Vielmehr sei der Raubkopie-Markt so stark, dass so gut wie alle internationalen Filme ab dem Zeitpunkt der Ausstrahlung oder schon früher auf gebrannten DVDs oder per Download erhältlich seien. Kämen sie dennoch ins Kino, wären sie oft um unmoralische oder stark gewalthaltige Szenen verkürzt – so wie auch in Deutschland Filme hinsichtlich ihrer Jugendgefährdungspotenziale untersucht und erst mit Schnittauflagen für bestimmte Altersstufen freigegeben werden. Der Begriff der ‚sozialethischen Desorientierung‘ spielt vorwiegend in Deutschland eine Rolle, im Iran werden vor allem Szenen entsprechend geschnitten, die gegen gängige moralisch-religiöse Auffassungen verstoßen. Iranische Kinogängerinnen und -gänger stünden so vor der Entscheidung, für wenig Geld eine ungeschnittene ausländische Grau- Fassung zu erstehen oder mehr für den Besuch eines aufbereiteten und freigegebenen Kinofilms zu bezahlen. Geschnitten und gekürzt wird gerade auch für das Fernsehen aus eben jenen religiösen oder moralischen Gründen. Die jahrelange politische Eiszeit aufgrund des internationalen Konflikts um das iranische Atomprogramm endete am 16. Januar 2016 mit der Aufhebung der UN-Sanktionen. Mit einer zu beobachtenden Öffnung des Landes und seines Kultur- und Medienmarktes wird sich hier möglicherweise größeres Interesse einstellen.
Jugendmedienschutz: Deutschland und der Iran im Vergleich
Die neue Offenheit und der Wandel in internationalen Geschäftsbeziehungen wird viele Bereiche des öffentlichen Lebens vor große Herausforderungen stellen. Fragen des Urheberrechts und des Jugendschutzes konnten in der Vergangenheit beispielsweise weitgehend unberücksichtigt bleiben. Schon bald könnten internationale Anbieter und Anwaltskanzleien Druck aufbauen und versuchen, auf den iranischen Markt mit immerhin 81 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern zu gelangen. Umso wichtiger erscheint es, dass rechtzeitig wichtige Fragen des Jugendschutzes sowie moralischer und kultureller Besonderheiten aufgeworfen und geklärt werden. Nur über sie lassen sich eine Steuerung der Importe und der Schutz bestimmter Altersgruppen erreichen. Inhaltlich ist der Jugendschutz im Iran gänzlich anders geregelt als in Deutschland. In der Bundesrepublik Deutschland obliegt die Altersfreigabe von Filmen den Obersten Landesjugendbehörden. Ihnen unterstehen:
- die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) für Trägermedien (Kinofilme und DVDs),
- die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) für ausgestrahlte Inhalte (TV) sowie
- die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle für Computerspiele (USK).
Der Jugendmedienschutz in Deutschland beruht zudem auf den Grundlagen des Jugendschutzgesetzes (JuSchG). Alle im Kino ausgestrahlten oder auf DVD erhältlichen Filme werden durch unabhängige Kommissionen und mittels transparenter Verfahren geprüft. Im Rahmen der Sichtprüfung werden die Bild- und Tonebene wie auch Einzeldarstellungen geprüft. Entscheidend ist jeweils der Gesamtzusammenhang. Während Filme nach dem Jugendschutzgesetz beurteilt werden, greift bei gesendeten Medien, also TV-Filmen, der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV). Filme, die nicht verboten sind – wie etwa im Falle von Gewaltverherrlichung, Pornografie – werden über Sendezeitbeschränkungen Kindern und Jugendlichen unzugänglich gemacht. Während in Deutschland also grundsätzlich alle Filme in ihren unterschiedlichen Distributionsformen hinsichtlich der Tauglichkeit für verschiedene Altersgruppen bewertet werden, existiert eine institutionalisierte Altersfreigabe in der Islamischen Republik Iran bislang nicht. Dies liegt an der Produktionsweise iranischer Filme. Skripte sind vor Produktionsbeginn beim Ministerium für Kultur und islamische Führung einzureichen. Eine Kommission prüft das jeweilige Drehbuch und später in möglicherweise anderer Besetzung die fertige Produktion. Die Mitglieder dieser Kommission sind Regisseurinnen und Regisseure, aber auch Angestellte des Religionsministeriums und der Islamischen Universität in Ghom. Die Drehbücher werden auf mögliche Verstöße gegen Moral, Sitten und auf politische Korrektheit hin überprüft.
Bereits hier fallen anstößige oder gewalttätige Szenen auf und werden angepasst oder entfernt, bevor das Skript freigegeben wird. Während der Dreharbeiten gibt es zunächst keine weiteren Kontrollen. Erst nach der Prüfung des fertigen Films werden möglicherweise erneut Schnittauflagen erteilt – eine abermalige Altersfreigabe erscheint somit nicht nötig, da eine Produktion bereits mehrfach begutachtet wurde. Wie viele Produktionen von Änderungsauflagen betroffen sind, ist auch Abbas Yari nicht bekannt. Interessanterweise unterliegen Filme für Kinder weniger starken Reglementierungen; Produktionen für diese Altersgruppe werden von den Prüf- und Begutachtungsbehörden nicht so ernst genommen wie Filme für Erwachsene, was auch dazu führt, dass viele iranische Regisseurinnen und Regisseure zunächst mit Kinderfilmen in den Beruf einsteigen. Altersfreigaben werden also selten ausgesprochen, sind aber dennoch möglich. Jedoch gibt es bislang nicht einmal ein dutzend Filme, die im Nachhinein für eine bestimmte Altersgruppe beschränkt wurden, weil man den Grad an Gewaltdarstellungen oder die Menge gezeigten Blutes Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren nicht zumuten wollte.
Fernsehen und Print
Das Fernsehen spielt im Iran nach Ansicht von Yari eine wichtige Rolle. Der durchschnittliche Familienhaushalt verfüge über zwei bis drei Fernsehgeräte oder Computer und der Fernseher laufe im Hintergrund ständig mit. Im Fernsehen, etwa im zweiten iranischen Programm, das sich vornehmlich an jüngere Zuschauerinnen und Zuschauerwendet, gibt es nur einige wenige Regelungen hinsichtlich der Alterstauglichkeit von Produktionen. Diese sind jedoch in ihrer Ausgestaltung nicht präzise gefasst und die Bewertungsergebnisse werden auch nicht veröffentlicht wie jene von FSK und FSF. Vorgenommen wird die Einschätzung von der Akquisitionsabteilung des Senders, der bei der Sichtung des zur Verfügung stehenden Materials entsprechend gewichten kann. Für ausländische Produktionen gibt es keine Vorlagepflicht, die sich auf die Tauglichkeit für bestimmte Altersgruppen bezieht. Sie werden für die Ausstrahlung im Fernsehen jedoch ebenfalls regelmäßig bearbeitet. Zuletzt stellt sich die Frage, ob auch gedruckte Erzeugnisse einer Kontrolle unterliegen. Film ist nach wie vor die auflagenstärkte Kinopublikation des Iran. Nachdem sie in der Spitze Auflagen von bis zu 100.000 verkauften Exemplaren erzielen konnte, hat sie, wie viele andere Zeitschriften weltweit, aufgrund des Internets und des dortigen Alternativangebots an Berichten und Rezensionen etwa 75 Prozent der Auflage eingebüßt, genießt unter iranischen Filmfans aber nach wie vor Kultcharakter und kann monatlich etwa 25.000 Exemplare verkaufen. An den monatlich erscheinenden Ausgaben arbeiten 25 feste und einige freie Redakteurinnen und Redakteure. Die Redaktion des Magazins Film unterliegt dabei keiner Zensur, bekräftigt Abbas Yari. Aufgrund der langjährigen Erfahrung auf dem Zeitschriftenmarkt wüsste das Teams bereits im Voraus um Inhalte, die anstößig sein könnten. Dabei ginge es nicht einmal um staatliche Kontrolle. Ihre Kundinnen und Kunden selbst würden unter Umständen negativ reagieren, wenn freizügige Bilder oder explizite Gewaltdarstellungen veröffentlicht würden. Für derlei Darstellungen gäbe es keine Tradition im Iran, die Menschen seien daran nicht gewöhnt. Auch würde man nicht über Filme berichten, die im Iran ohnehin keine realistische Chance auf Vorführung hätten, eben weil sie den Erwartungen und Gepflogenheiten widersprächen.
Fazit
Der iranische Medienmarkt ist vielfältig, aber gänzlich anders strukturiert als etwa der deutsche. Das iranische Kino ist ‚Erzählkino‘ in bester Tradition auch europäischer Autorenkinos. Im Fernsehen werden – anders als im Kino – eine Vielzahl internationaler, auch deutscher Produktionen und Serien gezeigt. Urheberrechtlichen Schutz gibt es kaum, insbesondere ausländische Produktionen werden offen als professionell aufbereitete Raubkopien verkauft. Einen Jugendschutz, der mit dem deutschen Modell vergleichbar wäre, gibt es nicht. Dennoch werden iranische Produktionen im Vorfeld und im Verlauf der Produktion hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit den Grundsätzen einer islamischen Gesellschaft überprüft. Abzuwarten wird sein, inwieweit die Öffnung des Landes zu einer Ausweitung der Märkte führen und welche Rolle die internationale Film- und Vertriebsindustrie spielen wird. Als Land mit 80 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern, die im mittleren Osten im Vergleich gut ausgebildet und wirtschaftlich unabhängig sind, könnte der Iran ein bevorzugtes Ziel für die Expansion von internationalen Vertrieben werden.
Dr. Stefan Piasecki ist Professor für Soziale Arbeit an der CVJM-Hochschule in Kassel. Er habilitierte in Religionspädagogik mit einer explorativen Studie zur Religion in Computer- und Videospielen. Seine Schwerpunkte sind Handlungsfelder der Sozialen Arbeit und Medienpädagogik.
Beitrag aus Heft »2016/05: Medien, Flucht und Migration«
Autor: Stefan Piasecki
Beitrag als PDFEinzelansichtNicolas Löffler: Spiel und Asyl
Tausende von Menschen müssen aufgrund von Krieg oder Armut aktuell ihre Heimat verlassen und stellen andere Länder vor eine gewaltige Herausforderung. Die Hintergründe und Motive ihrer Flucht sowie die Strapazen und Gefahren auf ihrer Reise gehen dabei jedoch oft unter. Journalistinnen und Journalisten sowie Computerspiele-Hersteller haben in sogenannten Newsgames versucht, die Situation und Entscheidungen von Flüchtlingen greifbarer zu machen und eine Möglichkeit zu bieten, sich spielerisch mit der Materie auseinanderzusetzen. So kann zu dem ansonsten meist sachlich behandelten Thema eine persönliche und emotionale Verbindung aufgebaut werden. Die folgenden Spiele sind besonders geeignet für die medienpädagogische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen und können als Diskussionsgrundlage in der Schule wie auch zuhause dienen. Auch für Erwachsene kann diese neue Art der Auseinandersetzung sehr gewinnbringend sein. Syrian Journey In Syrian Journey, ein Spiel der BBC, müssen folgenreiche Entscheidungen getroffen werden. Es werden bei der Reise durch verschiedene Länder Situationen beschrieben, und die Spielerinnen und Spieler vor die Wahl zwischen zwei, manchmal auch drei Antworten gestellt, die unterschiedliche Auswirkungen auf die Weiterreise haben.
Ziel ist die erfolgreiche Einreise in ein sicheres Land und die Gewährung von Asyl. Die skizzenhaft bebilderten Szenarien beruhen dabei auf Erlebnissen von echten Flüchtlingen.Da Syrian Journey haupsächlich aus Text mit einzelnen Illustrationen besteht, wirkt es weniger wie ein Computerspiel als eine interaktive Geschichte. Für Menschen mit Freude am Lesen bietet es jedoch einen interessanten Einblick in die Strapazen und schwierigen Entscheidungen, die Flüchtlinge häufig auf sich nehmen, und bietet durch seine Kürze einen schnellen Einstieg in das Thema.Papers, Please In Papers, Please nehmen die Spielenden die Rolle einer Bürgerin bzw. eines Bürgers in einem totalitären fiktiven Staat ein. Im Verlauf müssen sie unterschiedliche Aufgaben für die korrupte Regierung erfüllen. So müssen sie unter anderem Immigrantinnen und Immigranten an einem Grenzübergang kontrollieren und entscheiden, wer das Land betreten darf und wer nicht. Die Einreisebedingungen ändern sich jedoch in immer geringeren Zeitabständen. Zudem versuchen ominöse Geheimgesellschaften, die Spielenden für ihre Zecke zu missbrauchen. Beispielsweise haben Aufträge, die nicht erfolgreich oder innerhalb der vorgegebenen Zeit ausgeführt werden, Geldstrafen zur Folge. Das Spiel stellt die Spielerinnen und Spieler vor schwierige moralische Entscheidungen und lässt sie mit der Zeit immer stärker an die Grenzen von richtig und falsch stoßen. Die anspruchsvollen Verwaltungsaufgaben und der schnell ansteigende Schwierigkeitsgrad machen Papers, Please zu einem Spiel, das schnell frustrieren kann – und durchaus auch soll, denn die zermürbende Macht des fiktiven Staats wird hierdurch besonders eindrücklich.
Last Exit Flucht Dieses Spiel des UN-Flüchtlingswerk ( UNHCR) vermittelt den Spielenden in drei verschiedenen Stufen die Strapazen einer Flucht sowie die damit verbundenen Hürden. Die Spielenden stellen sich einem suggestiven Polizeiverhör, entscheiden, wie, wohin und mit wem sie flüchten wollen, beurteilen den Unterschied zwischen Flüchtling und Migrant und versuchen, sich nach dem genehmigten Asylantrag ein neues Leben aufzubauen. Last Exit Flucht besteht aus einzelnen Kapiteln und ist daher gut in mehreren Sitzungen spielbar, zwischen denen die Flucht-Etappen und moralischen Aspekte reflektiert werden können. In dunklen Tönen gehalten, versteht es das Spiel, die Stimmung einer nächtlichen Flucht eindrücklich festzuhalten. Stellenweise sind die Handlung und die damit verbundenen Entscheidungen etwas vorhersehbar, bieten aber dennoch einen guten Gesprächsansatz. Cloud ChasersDas für Smartphones konzipierte Spiel Cloud Chasers des Schweizer Gamestudios Blindflug führt die Spielenden durch eine postapokalyptische Welt, in der eine extreme Spaltung von Arm und Reich herrscht. Ein verzweifelter Farmer beschließt, sich mit seiner Tochter auf eine lange und riskante Reise durch karges Ödland zu machen, um so vielleicht ein besseres Leben führen zu können. Das Spiel bietet jedoch kein echtes örtliches Ziel, dass erreicht werden muss. Vielmehr liegt der Fokus auf der Reise selbst, der Gesamtatmosphäreund den Strapazen, die einer realen Flucht nachempfunden sind.
Anders als die bisher aufgeführten Spiele, verarbeitet dieses die Flüchtlingsthematik in einem eher fantastischen Kontext, der optisch mit realen Fluchtbedingungen wenig zu tun hat. Dieser Rahmen bietet die Möglichkeit, das Thema neutral und frei von belastenden Bildern zu reflektieren – und so auch jüngere Kinder und Jugendliche an die Materie heranzuführen.
Nicolas Löffler ist studentische Hilfskraft am JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis. Derzeit studiert er Soziale Arbeit an der Katholischen Stiftungsfachhochschule München.
Beitrag aus Heft »2016/05: Medien, Flucht und Migration«
Autor: Nicolas Löffler
Beitrag als PDFEinzelansichtJana Schröpfer: Verräter oder Held?
Wer war Edward Joseph Snowden, bevor er im Sommer 2013 durch den NSA-Enthüllungs- Skandal weltweit bekannt wurde? Was kann einen Mann dazu bringen, Verfolgung und Hass eines ganzen Staatsapparates auf sich zu ziehen, um der Welt die Augen zu öffnen? Der Film von US-Regisseur Oliver Stone geht genau diesen Fragen nach. Schnell wird klar: Snowden lebte vor seinen Enthüllungen ein komfortables Leben in Hawaii, profierte von Anerkennung und verdiente eine Menge Geld – er hätte das alles nicht tun müssen. Doch sein Innenleben verhielt sich anders: Er konnte seine Arbeit, vor allem seine dadurch gewonnenen Erkenntnisse, nicht mit seinem Gewissen vereinbaren und entschied sich daher, sie der Gerichtsbarkeit der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Diesen Gewissensweg zeichnet die Filmbiografie SNOWDEN in Hollywood-Manier nach.
Entsprechend weist eine zu Beginn eingeblendete Untertitelung darauf hin, dass es sich um eine Fiktionalisierung der realen Ereignisse handelt. Der Spielfilm beginnt mit einer ausgeschmückten Darstellung des bereits Bekannten. In einem Einkaufszentrum in Hong Kong warten eine Dokumentarfilmerin und ein Journalist des Guardian auf den noch identitätslosen Whistleblower. Der erste Auftritt Snowdens, dargestellt durch Schauspieler Joseph Gordon-Levitt, zeigt einen jungen, seltsamen Kautz, der sich den Journalistinnen und Journalisten unsicher und befangen mit einem Zauberwürfel in der Hand nähert. Sein seltsam anmutendes Verhalten wird im Folgenden weiter ausgemalt, wenn er sich beispielsweise zum Schutz seiner Passwörter mit einem Laptop unter der Bettdecke versteckt oder die Handys der Journalistinnen und Journalisten in einer strahlungssicheren Mikrowelle verstaut. Was zunächst wie neurotisch-paranoides Verhalten wirkt, gewinnt durch die filmischen Erzählungen an erschreckender Rechtfertigung.
Auch der nerdige, verquere Snowden entwickelt sich im Laufe des Films zum Sympathieträger. Eingeschobene Flashbacks erzählen seine Geschichte, die mit einem jungen amerikanischen Mann beginnt, der einen nahezu stereotypen patriotischen Idealisten mimt. Mit einem Großvater, der eine wichtige Amtsstellung bekleidete, und einem Vater bei der US-Küstenwache wollte auch der junge Ed Snowden seinen Teil für Amerika leisten und in den Irakkrieg ziehen. Aufgrund zwei gebrochener Beine wird er jedoch ausgemustert und beginnt seine Karriere bei der CIA mit der Selbstaussage: „Ich will meinem Land dabei helfen, die Welt zu verbessern“. Zu dieser Zeit schweben ihm noch Terrorabwehr und das Abhören von Feindinnen und Feinden zum Schutz der USA vor. Als Computergenie wird er schnell zum Ausbildungsbesten der CIA und nimmt deren propagierte Ideologie zunächst pflichtbewusst an.
Doch bereits zu dieser Zeit wird er mit gegenläufigen Einflüssen konfrontiert. So lernt er zum Beispiel seine spätere Freundin Lindsay Mills – dargestellt von Shailene Woodley – kennen, eine liberale Demokratin und Irakkrieg-Gegnerin, die den konservativen Snowden zunehmend bekehrt. Auch einer seiner Ausbilder, in Person des ruhiggelassen agierenden Nicolas Cage, gibt ihm durch implizite Kritik an den Geheimdiensten erste Anlässe des Zweifels. Die wahren Momente des Augen-Öffnens‘ ergeben sich jedoch direkt aus Snowdens Arbeit für die US-Sicherheitsdienste. Sei es, als ein aufsässig-jugendlicher Kollege in Genf ihm erstmals zeigt, wie man durch Laptopkameras in die Schlafzimmer von Zivilistinnen und Zivilisten blicken kann, sei es der Missbrauch von privaten Informationen durch einen Vorgesetzten, der beinahe tödliche Folgen für die Bespitzelten hat, oder durch andere Szenarien. Wie sehr diese Ereignisse Snowden belasten wird im Film recht emotionalisiert dargestellt – durch seine epileptischen Anfälle und Probleme in seiner Liebesbeziehung zu Lindsay. Lindsay selbst steht dabei nicht selten für die Naivität des Normalbürgers, wenn sie beispielsweise Unverständnis darüber äußert, warum sie ihre Laptopkamera abkleben soll. „Ich habe doch nichts zu verbergen“ – ein Satz, der auch im aktuellen gesellschaftlichen Diskurs nicht selten fällt. An seiner NSA-Arbeitsstelle in Hawaii werden Snowden schließlich die Ausmaße der amerikanischen Bespitzelung bewusst, die sich nicht – wie weiterhin erhofft – auf feindliche Staaten, sondern vor allem auf die amerikanische Bevölkerung richten. Sein Enthüllungsentschluss und der ‚Diebstahl‘ der geheimen NSA-Dokumente stellen schließlich den Spannungshöhepunkt des Filmes dar, welcher durch schnelle Schnitte, Erzählsprünge und unruhige Musik einem Actionfilm in nichts nachsteht.
Das Ende des Filmes widmet sich schließlich der heroischen Darstellung Edwards Snowdens. Seine gelingende Flucht nach den Enthüllungen erleichtert das Publikum und der Film läuft mit Vorträgen Snowdens aus, die er computerübermittelt von Russland aus führt. Eine wahre Überraschung erfährt der Film jedoch noch, wenn die Figur des Snowden plötzlich nicht mehr durch Schauspieler Gordon-Levitt vertreten wird, sondern die reale Person Edward Snowden auf die Leinwand tritt. In Interviewform darf dieser die letzten mahnenden Worte des Filmes sprechen. So wirkt die Erzählung – trotz der Fiktionalisierung der Ereignisse – wie eine Bestätigung, dass alles auf einer wahren Geschichte beruht. Der Spielfilm über Snowden könnte wie sein Titelheld selbst einige Kontroversen hervorrufen. Bemängeln lässt sich die Hollywood-Aufmachung des Filmes, vor allem die ausgiebige Konzentration auf die Liebesbeziehung zwischen Snowden und Mills. Dunkle Szenenbilder, enge Flure, Bildvariationen von Kameralinsen, übergroße Bildschirme mit flackernden Computercodes, beeindruckende Animationen und andere Stilmittel untergraben darüber hinaus das Dokumentarische an dem Film und machen ihn zu einem Politthriller, der auch von solchen genossen werden kann, die gar nicht wissen, dass Edward Snowden tatsächlich existiert. Doch ist das wirklich schlimm? Die Botschaft des Filmes ist dennoch klar und deckt sich mit der Intention des Whistleblowers: Man kann immer und überall überwacht werden, und dies von Menschen, die ihre Macht möglicherweise missbrauchen.
Zwar läuft der Film entgegen Snowdens Wunsch, dass sich die Öffentlichkeit eigenständig eine Meinung bildet, indem die ‚Verräter-Held-Frage‘ sehr eindeutig beantwortet wird und auch die Geschehnisse entsprechend und kaum anfechtbar gerahmt werden. Möglicherweise trifft dies aber den Kern der Zeit: Snowdens Enthüllungen sind bereits drei Jahre her, die öffentliche Debatte hat sich zusehends beruhigt und so gut wie nichts hat sich geändert. Vielleicht bedarf es hier – über die bereits veröffentlichten Dokumentationen und Interviews hinaus – schlichtweg einem massentauglichen Spielfilm, der ein breites Publikum mittels einer dramatischen Personalisierung ermahnt, die Enthüllungen jenes Mannes nicht zu vergessen.
Jana Schröpfer war studentische Hilfskraft am JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis und bei merz | medien + erziehung. Derzeit studiert sie den Masterstudiengang Internationale Public Relations an der Ludwig-Maximilians- Universität München.
Beitrag aus Heft »2016/05: Medien, Flucht und Migration«
Autor: Jana Schröpfer
Beitrag als PDFEinzelansichtStefanie Brosz: Heroes in New Dimensions
Ganze 20 Minuten lang ein brandneues, noch nicht erschienenes Game anzocken? Dafür stellt man sich doch gerne vier Stunden lang an eine Menschenschlange an! Zumindest nahmen viele begeisterte Spielefans diese Wartezeit auf sich, um Final Fantasy XV, Mafia 3, Battlefield 1, Titanfall 2 oder FIFA 17 vor den offiziellen Releases schon einmal exklusiv auf der gamescom 2016 ausprobieren zu können. Die diesjährige Spielemesse stand unter dem Motto ‚Heroes in New Dimensions' und öffnete am 17. August für Fachbesucherinnen und -besucher sowie die Presse und vom 18. bis zum 21. August für alle Spiel- und Medienbegeisterten die Tore. Beim Einlass gab es die bereits angekündigten verstärkten Kontrollen von Taschen und Rucksäcken. Wer wie gewohnt in einer ausgefallenen Cosplay-Verkleidung kommen wollte, musste dieses Jahr die gebastelten Spielzeugwaffen nämlich zuhause lassen. Das tat der Messe selbst aber überhaupt keinen Abbruch: Bereits am ersten Messetag für die Öffentlichkeit war sofort ordentlich was los, es füllten sich alle elf Hallen des riesigen Messegeländes bis zum letzten Winkel.
Insgesamt konnte sich die gamescom 2016 über einen Besucheransturm von etwa 345.000 Schaulustigen aus 97 Ländern erfreuen. Ein neuer Rekord konnte mit den 877 teilgenommenen Unternehmen aus 54 Ländern vermerkt werden. Es gab auch in der Tat viel zu sehen: VR-Spiele sind zwar keine Weltneuheiten, doch trotzdem noch in den Kinderschuhen unter den Spieletechniken. Mit dem VR-Kletterspiel The Climb von Crytek konnte beispielsweise die Virtual Reality- Technologie ganz unblutrünstig ausprobiert werden. Neue Spielversionen oder Erweiterungen wie Final Fantasy Teil einhundert ... beziehungsweiseoffiziell Teil XV, Tekken 7 bis Gears of War 4 wurden vorgestellt und konnten meist entweder um die 20 Minuten lang am Computer oder einer Konsole angespielt werden – oder aber es gab, wie bei dem Action-Adventure Dishonored 2, einen exklusiven detaillierten Trailer zum Spiel zu sehen.
Hier ließ der Publisher Bethesda es sich nicht nehmen, gleich im Anschluss auch noch den Ego-Shooter Prey vorzustellen, der erst im Jahr 2017 veröffentlicht wird. Auch Spiele, die bereits auf dem Markt sind, konnten auf der Messe gezockt werden. Denn wenn der amerikanische Computerspiele-Entwickler Blizzard Entertainment schon gefühlt zwei Drittel einer gesamten Halle einnimmt, hat er natürlich alles im Gepäck, was der Konzern aktuell so zu bieten hat: Neben dem neuen World of Warcraft: Legion gab es auch Overwatch, anlässlich des 20. Geburtstags von Diablo gleich alle drei Teile dieses Action- Rollenspiels, außerdem noch Starcraft II, Heroes of the Storm und Hearthstone– alles zum Selberspielen auf insgesamt über 500 Gaming-Computern.
Wenn man selber keine Lust hatte, den Controller oder die Maus in die Hand zu nehmen, konnte man auch einfach nur als neugierige Beobachterin bzw. neugieriger Beobachter zuschauen, wie die Spielhungrigen nach bis zu vier Stunden Wartezeit endlich mal ran durften. Einfach mal testen So landeten beispielsweise auch wir irgendwann im neuen Deus Ex Teil Mankind Devided, in welchem ein Kampf von Mensch-Maschinen geschlagen werden muss. Denn durch einen Hackerangriff drehen die kypernetischen Verbesserungen in Form von Implantaten durch und die sogenannten augmentierten Menschen greifen plötzlich Mitmenschen an. Besonders war, dass wir auf der gamescom auch viele unbekanntere Spiele in der Beta-Version anzocken konnten. So zum Beispiel The Black Death, ein Survival-Spiel, das im Mittelalter stattfindet. Hierbei spielt, wie der Name schon sagt, die Pest eine Rolle und man sollte sich vor Infizierten in Acht nehmen. Sollte es aber doch zu einer zombieähnlichen Begegnung kommen, muss gekämpft werden. Es soll aber auch ein friedliches Spiel möglich sein, man muss sich eben nur gut genug verstecken.
Dieses Massively Multiplayer Online Role-Playing Game (MMORPG), in dem Spielende in bis zu zehn verschiedene Rollen schlüpfen können, befindet sich zwar noch in der Testphase, das interessante Setting und Roleplay lässt aber schon jetzt auf ein spannendes Spiel hoffen. Es kommt übrigens von einem Entwicklerteam der Syrin Studios aus England, auf die wir in der sogenannten Indie Arena gestoßen sind. In dieser Indie Arena Booth – auf einer Fläche von 620 Quadratmetern – wurden tatsächlich 80 unterschiedliche Indie-Spiele präsentiert. Indie steht kurz für ‚independent‘ – so ist das Besondere an den Spielen, dass sich deren Entwicklerinnen und Entwickler oft in ganz neue Richtungen, weg von der breiten Mainstream- Masse begeben (können), da sie unabhängig von großen Entwicklerfirmen arbeiten. Langes Anstehen gab es in dieser facettenreichen Entertainment- Area nicht, trotzdem wurde man mit Energizern wie Snacks und Getränken gut versorgt und konnte sich so leicht in den vielen Angeboten verlieren. Ein Highlight war beispielsweise das Jump’n'Run-Game Huntdown, das mit seiner oldschool-mäßigen 8-Bit-Grafik richtig Lust auf einen gemütlichen Nintendo- Abend macht. Für retrobegeisterte Spielerinnen und Spieler ohne Konsole gibt es das Spiel übrigens auch für das Smartphone zum Download. Die Indie Booth Arena ist – gerade für junge Studios und Newcomer – ein Raum für kreative Ausgestaltung.
Kein Wunder, dass die Organisatoren des Gemeinschaftsstands für Indie-Entwicklerinnen und -entwickler bereits mit einigen Preisen ausgezeichnet wurden, wie dem Deutschen Entwicklerpreis für die beste Marketing- Kampagne und dem Sonderpreis der Jury 2015 beim Deutschen Computerspielpreis. Die Zukunft spielt Wie schon erwähnt gab es einige Virtual Reality- Spiele – wie The Climb von Crytek oder mit etwas mehr Action von Ubisoft die neuen Spiele Eagle Flight und Star Trek: Brigde Crew – mit verschiedenen Herstellerbrillen zu testen. Zu Beginn ist diese VR-Technik leicht verwirrend, denn man befindet sich optisch in einem komplett anderen Raum, welcher dazu noch sehr invasiv wirkt. Bei gefährlichen oder angsteinflößenden Situationen im Spiel kann man damit nicht mal eben wegschauen oder mit einem Blick auf die eigenen Füße die Erinnerung zurückholen, dass alles nicht echt ist. Den Blick auf die eigenen Füße gibt es damit schlichtweg nicht mehr, man sieht ausschließlich jenen virtuellen Raum, ohne eigene Körperwahrnehmung. Ein fantastisches, sehr real wahrgenommenes Erlebnis, das nicht ohne Grund in vielen Vorträgen für die Fachbesucherinnen und -besuchern im Congress- Centrum aufgegriffen wurde. Unter anderem konnte man sich dort beispielsweise ausgiebig mit der Frage auseinandersetzen, ob Virtual Realtiy zu einnehmend sein könnte. Unter dem Dachthema „Die Zukunft spielt“ wurden insgesamt über 80 nationale und internationale Referentinnen und Referenten eingeladen, die über Wissen, Zukunftsvisionen und Potenziale, Einsatzmöglichkeiten von Computerspielen und Applied Interactive Technologies (APITS), aber auch über branchenübergreifende Grundlagenforschung beim Einsatz digitaler Technologien referierten.
Fazit Die gamescom hat damit auch dieses Jahr wieder die unterschiedlichsten Interessengruppen ausreichend bedient; egal, ob man sich nun einfach treiben lassen wollte oder mit festen Vorsätzen kam, spezielle Spiele definitiv anzuspielen. Die Indie Arena Booth ist dazu dieses Jahr ein Stück angewachsen, die VR-Technologie wurde deutlich präsenter ebenso wie die Sicherheitskontrollen. Und so kann davon ausgegangen werden, dass auch vom 22. bis 26. August 2017 Spaß und Action für alle Technik- und Spielebegeisterten wieder garantiert sein werden. Dann vornehmlich zu den vier Schwerpunkten ‚Interaktive Spiele', ‚Virtual Reality', ‚Neuerscheinungen' sowie ‚Medienkompetenz und -pädagogik‘.
Stefanie Brosz ist studentische Hilfskraft am JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis. Derzeit studiert sie den Masterstudiengang Medien- und Kommunikation mit Schwerpunkt Mediendidaktik an der Universität Augsburg.
Beitrag aus Heft »2016/05: Medien, Flucht und Migration«
Autor: Stefanie Brosz
Beitrag als PDFEinzelansichtJana Schröpfer: Wenn ich …
Aktion Jugendschutz, Landesarbeitsstelle Bayern e. V.(2016). Medien. Wenn-Ich-Karten zum Thema exzessive Nutzung. Mit Jugendlichen ins Gespräch kommen. München. Spiel mit 139 Karten, 44-seitiges Begleitheft, 15,50 €.
Lückenhaften Aussagen wie „Bei einer Hassgruppe würde ich (nicht) mitmachen, weil …“ auf gedruckten Spielkarten sollen Kinder und Jugendliche beim Erlernen eines risikoarmen und kritischen Gebrauchs von digitalen Medienangeboten unterstützen. Die Aktion Jugendschutz, Landesarbeitsstelle Bayern e. V. hat mit den sogenannten Wenn-Ich-Karten eine Materialbox entwickelt, die einen Austausch unter Heranwachsenden über die Bedeutung und den Nutzen von Smartphones, Computerspielen und sozialen Netzwerken sowie deren Einstellungen und Erfahrungen diesbezüglich ermöglichen soll. Diese spielerische Form der Auseinandersetzung existiert bereits für andere erziehungsrelevante Themen, stellt mit den Karten zu exzessiver Mediennutzung aber erstmals medienpädagogische Anliegen ins Zentrum. Die Box besteht aus fünf Kartendecks, die ‚allgemeine Fragestellungen‘ sowie Lückensätze zu den Themenschwerpunkten ‚Computerspielen‘, ‚soziale Netzwerke‘, ‚Smartphone‘ und ‚Glücksspiel im Internet‘ enthalten.
Zentraler Bestandteil des medienpädagogischen Pakets ist das Begleitheft, das nicht nur eine Spielanleitung inklusive denkbarer Variationen enthält, sondern auch über das Phänomen der exzessiven Mediennutzung aufklärt. Mithilfe empirischer Studien wird einleitend über die Verbreitung digitaler Medien und die Mediennutzung Heranwachsender referiert. „Medienabstinenz kann heute kein Ziel mehr sein“ – so die Schlussfolgerung der Broschüre. Die Faszination, die von Computerspielen, Smartphones und sozialen Netzwerken ausgeht, wird daher ebenfalls mit sich daraus ergebenden Risiken beleuchtet. Auch Internetsucht, ihre tatsächliche Verbreitung und Diagnosekriterien finden ihren Platz – was pädagogische Fachkräfte für das beiliegende Gruppenspiel sensibilisiert und vorbereitet. Das tatsächliche Kartenspiel funktioniert sehr simpel.
In Gruppen von fünf bis etwa 15 Personen decken die Teilnehmenden nach und nach die verdeckten Satzkärtchen auf, was – ähnlich eines beliebten Teenagerspiels – unter anderem durch das Drehen einer Flasche initiiert werden kann. Nun gilt es die Sätze auf den Karten zu vervollständigen und gegebenenfalls in der Gruppe darüber zu diskutieren. Neben allgemeinen Fragestellungen zur digitalen Mediennutzung werden auch explizit suchtbezogene Aussagen in den Raum gestellt: „Ich habe (nicht) genug Zeit für Sport, Hobbys, Freunde, Schule, weil …“ oder „Als computersüchtig würde ich jemanden bezeichnen, der …“. Projektionsfragen wie letztere ermöglichen ehrlichere Antworten und vermeiden Effekte der sozialen Erwünschtheit. Karten, die zu einer tieferen Reflektion anregen – „Man sagt, dass einsame Menschen durch soziale Netzwerke in der realen Welt immer mehr vereinsamen. Das kann ich mir (nicht) vorstellen, weil …“ – ermöglichen zudem eine ideelle bzw. normative Auseinandersetzung mit der Thematik. Konfliktthemen wie Pornografie oder Datenschutz werden ebenfalls eingebunden: „Pornos haben viel/wenig mit der realen Sexualität zwischen Erwachsenen zu tun, weil …“ oder „Für eine Nutzung, die meine Daten sicher macht, würde ich (nicht) zahlen, weil …“. Von zentralem Vorteil ist dabei, dass die Formulierungen auf den Karten je eine positive und negative Valenz der Aussagen ermöglichen, sodass den Spielenden nicht durchweg negative Interpretationen in den Mund gelegt werden. Zudem werden auch erfreuliche Aspekte der Mediennutzung mit einbezogen, wenn es zum Beispiel um die schönste Erfahrung in sozialen Netzwerken geht. Letztendlich können sich die Heranwachsenden mit Hilfe der Stimulus-Karten auch eigne Handlungsempfehlungen aussprechen: „Im Umgang mit digitalen Medien sollte man folgende Regeln beachten …“.
Das Kartenspiel beruht auf der Annahme, dass Kinder und Jugendliche gerne erklären, was sie tun und warum etwas für sie wichtig ist. Darüber hinaus ermöglicht das simple Spiel einen aufrichtigen Austausch in der Peergroup: Gerade problematische Verhaltensweisen oder fragliche Äußerungen können in der Gruppe zur Diskussion gestellt werden und durch Gleichaltrige, die nicht nur als Gleichgesinnte sondern häufig auch als Expertinnen und Experten auf diesem Feld angesehen werden, reflektiert, kritisiert und im besten Fall korrigiert werden.
Das medienpädagogische Kartenspiel beruht sichtlich auf theoretischer und praktischer Expertise, jedoch mangelt es an Anreizen zur Umsetzung. Es stellt keine neue Methode zur Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex dar und ist gerade für die empfohlene Altersgruppe (ab zwölf Jahren) möglicherweise zu simpel. Der propagierte spielerische Umgang mit medienerzieherischen Themen ist sicherlich von großer Bedeutung, der bloße Einsatz von Satzkarten kann jedoch schnell zu Langeweile führen. Während vorhergehende Wenn-Ich-Karten zu Problemfeldern wie ‚Sucht‘ und ‚Gewalt‘ sicherlich ihren präventiven Zweck erfüllten, hätte die Spielkonzeption hinsichtlich des Themas exzessiver Mediennutzung erweitert werden und beispielsweise digitale Medien in das spielerische Szenario einbezogen werden können, wenn nicht sogar sollen, um die Auseinandersetzung mit den einhergehenden Möglichkeiten und Risiken authentischer zu gestalten. Zudem wirken die Satzkarten trotz der sowohl positiv als auch negativ auslegbaren Formulierung nicht vollständig suggestionsfrei und trotz des sehr reflektierten Begleitheftes lassen sich dem Gruppenspiel bewahrpädagogische Motive entnehmen. Nichtsdestotrotz eignet sich die Materialbox für pädagogische Fachkräfte der schulischen und außerschulischen Jugendarbeit, die kompetent aufbereiteten Input zu digitalen Medien und exzessiver Mediennutzung erhalten möchten und die dazu bereit sind, die Spielkarten auch mit eigener Kreativität einzusetzen.
Jana Schröpfer war studentische Hilfskraft am JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis und bei merz | medien + erziehung. Derzeit studiert sie den Masterstudiengang Internationale Public Relations an der Ludwig-Maximilians- Universität München.
Beitrag aus Heft »2016/05: Medien, Flucht und Migration«
Autor: Jana Schröpfer
Beitrag als PDFEinzelansichtRebekka Köhler: Kompakte Einführung in die Medienpädagogik
Fleischer, Sandra/Hajok, Daniel (2016). Einführung in die medienpädagogische Praxis und Forschung. Kinder und Jugendliche im Spannungsfeld der Medien. Weinheim: Beltz. 270 S., 19,95 €.
Alltag, gesellschaftliches Zusammenleben, Bildung und Erziehung können schon lange nicht mehr getrennt von Medien betrachtet werden. Vor allem Kinder kommen immer früher und mit immer vielfältigeren Mediengeräten und -angeboten in Kontakt. Die Medienpädagogik als interdisziplinärer Forschungsbereich ist mit ihrer gesellschaftlichen Relevanz immer weiter gewachsen. Das Lehrbuch Einführung in die medienpädagogische Praxis und Forschung aus der Reihe Studienmodule Kindheitspädagogik wagt einen zusammenfassenden Überblick über den aktuellen Stand der Medienpädagogik in Praxis und Forschung. Diese Einführung erhebt gleichwohl nicht den Anspruch auf Vollständigkeit in einem inzwischen so weitreichenden Feld. Die Publikation richtet sich explizit an Bachelor- Studierende der Pädagogik, Erziehungswissenschaft und Medienpädagogik und möchte einen ersten Zugang zur Praxis und Forschung der Medienpädagogik ermöglichen sowie Interesse für eine tiefergehende Beschäftigung wecken.
Das Lehrbuch ist in drei Teile aufgeteilt, welche jeweils mit einem kurzen, einleitenden Absatz die Ziele und Inhalte des jeweiligen Kapitels verdeutlichen. Jeder Teil besteht aus drei bis vier Unterkapiteln, an deren Schluss in grauen Kästchen Fragen und Hinweise zur weiterführenden Auseinandersetzung mit dem Inhalt anregen sollen. Auch werden in diesen Anekdoten und Wissenswertes rund um die verschiedenen Themen zur Verfügung gestellt. Aufgrund dieses klaren Aufbaus und durch hilfreiche Querverweise im Fließtext ist auch ein nicht-lineares Lesen der Publikation gut möglich.
Im ersten Teil richtet das Autorenteam den Blick auf die Hauptzielgruppe der Medienpädagogik, indem sie das Spannungsfeld Kindheit, Jugend und Medien theoretisch und empirisch skizziert. Aus sozialisationstheoretischer Perspektive werden das Heranwachsen in mediatisierten Lebenswelten, die Bedeutung von Medien für Heranwachsende und deren Medienumgang geschildert. Im zweiten Teil rückt die Medienpädagogik als wissenschaftliche Disziplin mit ihrer theoretischen Fundierung und ihrer eigenen Forschungstradition in den Fokus. In Form eines Rückblicks wird die Entwicklung hin zur aktuellen medienpädagogischen Lage gezeichnet. Dabei werden drei gegenwärtige, nebeneinander existierende Ansätze der Medienpädagogik beschrieben: 1) die bewahrpädagogische bzw. normative Medienpädagogik, 2) die bildungstechnologische Medienpädagogik und 3) die handlungsorientierte Medienpädagogik. Zudem wird die Disziplin Medienpädagogik in Lehre und Forschung, ihre theoretischen Grundlagen sowie Perspektiven und Methoden ausführlich vorgestellt. Im dritten und letzten Teil wird schließlich ein Bild von der medienpädagogischen Praxis vermittelt, welches sich aus den vorherigen theoretischen und empirischen Informationen speist. Fleischer und Hajok erläutern hier zunächst Handlungskonzepte, -felder und Methoden der Medienarbeit. Dabei orientieren sie sich überwiegend an der handlungsorientierten Medienpädagogik. Anschließend wird Medienpädagogik als Berufsfeld skizziert, gespickt mit einer Auswahl medienpädagogischer Initiativen und Projekte. Abschließend wagt das Autorenteam einen Blick über den deutschen Tellerrandhinaus und betrachtet die Medienpädagogik international. Dabei werden die Vorteile und die Wichtigkeit einer internationalausgelegten Forschungsdisziplin betont, internationale Fachzeitschriften vorgestellt und Begriffe zur weltweiten Verständigung angeführt. Das Autorenteam hat es geschafft, den interdisziplinären Bereich der Medienpädagogik kurz und prägnant zu umreißen.
Ihr Ziel, die vielfältigen Ansätze der Erziehungswissenschaft, der pädagogischen Kindheitsforschung, der Jugendsoziologie, der Medienpädagogik, der Medien- und Kommunikationswissenschaft sowie den Jugendmedienschutz vorzustellen, ist gelungen. Dabei nutzen sie eine leicht verständliche Sprache, die für eine akademische Arbeit teils sogar etwas zu locker erscheint. Der als „Plauderton“ (S. 8) bezeichnete Sprachstil kann jungen Studierenden als angenehme Abwechslung erscheinen, wirkt für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung allerdings manchmal deplatziert. Dennoch wird hierdurch vor allem auch unerfahrenen Leserinnen oder Lesern der Einstieg in die Medienpädagogik erleichtert. Durch die ausführliche Beschreibung kindlicher und jugendlicher Lebenswelten im Spannungsfeld der Medien zu Beginn des Lehrbuchs ist die anschließende theoretische Aufarbeitung der Medienpädagogik verständlich und nachvollziehbar. Mittels des konsequent subjektorientierten Zugangs zieht sich zudem ein roten Faden durch das Werk, der eine klare Orientierungslinie bietet. Besonders zu betonen ist der dritte Teil der Publikation: Der Abriss von der Arbeitswelt medienpädagogischer Fachkräfte ist informativ, bietet eine gute Übersicht zur aktuellen Arbeitslage und ist insbesondere für orientierungslose Studierende ein echter Mehrwert. Auch der internationale Blick auf die Medienpädagogik, mit Verweisen auf relevante Zeitschriften und Publikationen, ist erwähnenswert. Studierenden dürfte vor allem die Auflistung der im internationalen Kontext durchgesetzten Begrifflichkeiten für das weitere Studium hilfreich sein.
Dennoch gibt es in diesem Einführungswerk auch Schwächen. Vor allem mit Blick auf die Zielgruppe fällt der Umfang der weiterverweisenden Literaturangaben sehr mager aus. Während am Ende der Unterkapitel Fragen und Aufgaben zum Aktivwerden anregen, fehlen hier schlicht Literaturhinweise. Insbesondere für Studienanfängerinnen und -anfänger wären hier zusätzliche Literaturtipps wünschenswert gewesen. Auch fallen die Literaturbezüge für ein Lehrbuch und Einführungswerk insgesamt eher mau aus. Dem eigenen Anspruch, „Bezug auf die mittlerweile recht üppige medienpädagogische Fachliteratur“ (S. 8) zu nehmen und auf „Klassiker und aktuelle Texte“ (S. 8) zu verweisen, kommen Fleischer und Hajok leider nur bedingt nach.
Einführung in die medienpädagogische Praxis und Forschung bietet einen guten, kompakten Überblick, der das Grundwissen zur Medienpädagogik auf den Punkt bringt. Die praktische Ausrichtung der Einführung macht sich nicht nur in der Titelwahl bemerkbar, sondern auch in der Aufbereitung. Es wird dem aktuellen Stand der Forschung gerecht und kann trotz der erwähnten Mängel für Studierende der Erziehungswissenschaft und (Medien-)Pädagogik sowie für Interessierte empfohlen werden. Rebekka Köhler ist studentische Hilfskraft beim FLIMMO – Programmberatung für Eltern. Derzeit studiert sie den Masterstudiengang Medien und Kommunikation an der Universität Augsburg.
Beitrag aus Heft »2016/05: Medien, Flucht und Migration«
Autor: Rebekka Köhler
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publikationen
Elisabeth Jäcklein-Kreis: Ist das Pädagogik oder kann das weg?
Mikhail, Thomas (2016). Pädagogisch handeln. Theorie für die Praxis. Paderborn: Ferdinand Schöningh. 302 S., 39,90 €.
Auf dem Spielplatz und dem Pausenhof, im Seniorenheim und beim Assessment Center, im Hörsaal und selbst im Straßenverkehr, ständig werden Menschen informiert, angeregt, belehrt, unterwiesen, erzogen – schlicht, es wird pädagogisch gehandelt. Doch ist das tatsächlich so? Ist jede Belehrung oder sogar jedes Schimpfen, jede Erklärung oder auch Machen-Lassen gleich pädagogisch? In welchen Kontexten findet überhaupt ‚Pädagogik‘ statt und was ist ‚richtiges‘ pädagogisches Handeln? Wo verlaufen die Grenzen? Welchen Kriterien muss Handeln genügen, damit es pädagogisch ist? Wie lässt es sich definieren, wie unterschieden – und wovon? Thomas Mikhail, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Institut für Berufspädagogik und Allgemeine Pädagogik der Universität Karlsruhe bzw. des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) stellt in seinem Buch Pädagogisch Handeln die Gretchenfrage: Wann ist die Pädagogik eine Pädagogik? Eine „flächendeckende pädagogische Orientierungslosigkeit“ beobachtet Mikhail, die er am Absatz der Erziehungsratgeber, Elternkurse und Beratungsangebote festmacht und als Ausgangspunkt seiner Betrachtungen nimmt – und daneben ein weit ausdifferenziertes berufliches Feld von „…pädagoginnen“ und „…pädagogen“ aller Art, die aber über keinerlei gemeinsame Definition ihrer Tätigkeit verfügen: Pädagogisch ist, was die Pädagogin bzw. der Pädagoge tut. Davon ausgehend stellt sich Mikhail dem ambitionierten Vorhaben, das Feld des (potenziell) Pädagogischen ein- und abzugrenzen und ‚aus der Theorie für die Praxis‘ zu bestimmen, was denn nun Pädagogik ist und was nicht.
Er nähert sich dem, wie man es häufig tut, zunächst historisch. In einer ‚Problemgeschichte‘ lässt er diverse Vertreter der (theoretischen) Pädagogik zu Wort kommen und stellt deren verschiedene Herangehensweisen an ihr Feld vor. So widmet er Platon, Augustinus, Thomas von Aquin, Comenius, Rousseau, Herbart, Pretzelt und Prange je ein Unterkapitel, zeichnet deren Denklinien und ihre sowohl terminologischen als auch methodischen Unterschiedlichkeiten nach und arbeitet aus den jeweiligen Sichtweisen den Kern pädagogischen Agierens heraus, um abschließend mit Bezug auf Schleiermacher eine Systematik vorzustellen, in der er einen Überblick über die Herangehensweisen schafft und deren Gemeinsamkeiten aufzeigt und betont. Auf Basis dieser Gemeinsamkeiten soll geprüft werden, was Pädagogik eigentlich ausmacht. Dieser Frage nähert er sich anschließend in zwei größeren Kapiteln aus gänzlich gegensätzlichen Richtungen: zum einen über die Erarbeitung genuin pädagogischer Prinzipien, zum anderen über die Vorstellung sogenannter parapädagogischer Handlungsformen, also explizit nicht „rechtmäßig pädagogischer“ Handlungen, die mithin die Grenzen der Pädagogik darstellen.
Im Rahmen der ‚pädagogischen Prinzipien‘ arbeitet er als zentrale Charakteristika und „unhintergehbare Prinzipien“ jeder Pädagogik Bildsamkeit, Selbstbestimmung und Dialog heraus – wobei er betont, dass diese Prinzipien zwar über keine Erkenntnisfunktion verfügen, also nicht vermitteln können, wie pädagogisch gehandelt werden soll, durchaus aber ordnungsstiftende Funktion haben und nützlich dabei sein können, Erfahrungen und Erkenntnisse daran zu prüfen. Auf der anderen Seite identifiziert er als parapädagogische, also gerade nicht pädagogische Handlungsweisen Unterweisung, Gewöhnung, Laissez- faire. Zwar legt Mikhail Wert darauf, jeweils herauszuarbeiten, dass ein solches Agieren nicht per se ‚schlecht‘ sei und auch nicht ‚verboten‘ in pädagogischen Zusammenhängen; im Gegenteil, er hält alle drei für wichtige Aspekte und Aktionsformen innerhalb pädagogischen Handelns. Er stellt aber dennoch heraus, dass sie für sich genommen nicht pädagogisch sind, sondern vielmehr die Grenzen pädagogischen Handelns markieren, etwa weil sie sich an anderen Gesichtspunkten – wie bei der Unterweisung beispielsweise ökonomischen – orientieren als an pädagogischen, weil sie Vorstufen zum pädagogischen Handeln darstellen, wie die bei der Gewöhnung der Fall ist, oder weil sie, wie Laissez-faire, gerade eine (bewusste) Unterlassung pädagogischen Handelns bezeichnen.
Auf Grundlage sowohl dieser historischen Hinführung als auch der Abgrenzung widmet sich Mikhail in einem finalen Kapitel der Betrachtung zentraler Praxisfelder pädagogischen Handelns. Nun muss er zu guter Letzt doch feststellen, dass die Grenzen zwischen pädagogischem und parapädagogischem Handeln in der Praxis verschwimmen und überhaupt „reines Erziehungshandeln“ nicht denkbar ist. Nichtsdestoweniger werden Institutionen, Schule und Familie als pädagogische Umfelder herausgearbeitet und beschrieben und Kriterien dafür vorgestellt, wie sich pädagogisches Handeln in diesen Kontexten zeigt. Nach der letzten Seite bleibt ein wenig der Eindruck, dass der Untertitel sich im Innenteil doch nicht allzu stark durchsetzen konnte – es wird zwar viel Theorie behandelt, eine umfassende Beschäftigung mit der Praxis bleibt aber weitgehend aus. Nichtsdestoweniger ist diese Theorie ein wirklicher Gewinn für alle, die sich aus privatem oder beruflichem Interesse, mit forschender oder praktischer Perspektive für das Thema interessieren. Mikhail geht sein sehr grundlegendes Thema strukturiert und nachvollziehbar an, schreibt interessant und stringent und lädt so Laien wie Expertinnen und Experten ein, sich einmal ganz neu mit Pädagogik in ihren Erscheinungsformen, Möglichkeiten und Grenzen zu beschäftigen – und so vielleicht ganz neue Blickwinkel zu gewinnen, die eben doch auch der Praxis zuträglich sein können.
Dr. Elisabeth Jäcklein-Kreis ist Redakteurin bei merz | medien + erziehung sowie Lektorin im kopaed-Verlag.
Beitrag aus Heft »2016/05: Medien, Flucht und Migration«
Autor: Elisabeth Jäcklein-Kreis
Beitrag als PDFEinzelansichtJana Schröpfer: Wie angebracht sind digitale Ängste?
Milzner, Georg (2016). Digitale Hysterie. Warum Computer unsere Kinder weder dumm noch krank machen. Weinheim: Beltz. 256 S., 18,95 €.
Es ist Wahnsinn, was mit Kindern heute geschieht. Wahnsinn? – Ja, und zwar hinsichtlich beider Konnotationen des Wortes, hält Diplompsychologe und Psychotherapeut Georg Milzner fest. Wahnsinn kann für etwas stehen, das man schrecklich oder krankhaft findet, oder aber für etwas, das positiv beeindruckt. „Und tatsächlich ist das, was Kinder im Zeitalter der Digitalität erleben, auch beides, toll und möglicherweise gefährlich.“ Zu Beginn schildert Milzner in einem Problemaufriss den bekannten Wahnsinn, den ein Großteil der Gesellschaft mit übermäßigem Computerkonsum verbindet. Es geht um Störungsbilder, um nervöse, verhaltensauffällige oder zurückgezogene Kinder. Dieses Szenario stellt er anschließend dem gegenüber, wenn danach gefragt wird , ob es nicht „irre“ sei, wie souverän Kinder ein Smartphone bedienen können, wie schnell sie technische Probleme lösen und neue zukunftsrelevante Kompetenzen herausbilden. Bereits die Einleitung spricht somit digitale Skeptikerinnen und Skeptiker wie auch euphorische Personen an. Wer aufgrund des Buchtitels also eine reine Lobeshymne an digitale Medien erwartet, liegt falsch. Milzner plädiert für einen konstruktiven Umgang mit der Thematik, die aktuelle Debatte würde falsch geführt und sei zudem höchst widersprüchlich. Seine zentrale These, dass „Computerkinder“ nicht degenerieren, sondern sich für eine bereits absehbare Zukunft mit neuen Anspruchshaltungen wappnen, verfolgt er auf differenzierte Weise. Eingangs kritisiert er mitunter nicht sachlich geführte Diskussionen über den „Bildschirm“. Die diversen Beschäftigungen vor und mit Bildschirm-Medien werden von den meisten Menschen als Einheitsbrei betrachtet. Auch wissenschaftliche Studien trennen häufig nicht zwischen dem Konsum von Fernsehen und dem aktiven Spiel an der Computerkonsole – was laut Milzner deutlich unterschiedliche Beschäftigungen sind.
Hinsichtlich Ungenauigkeit und Verallgemeinerungen bemängelt er auch populäre empirische Studien, deren Urteile häufig negativ und einseitig sind, obgleich die statistischen Ergebnisse solche Urteile meist gar nicht zulassen. Hinzu kommt die Unsauberkeit von Vorgehensweisen, wenn zum Beispiel Extremfälle einer Stichprobe zu simplen Durchschnittswerten zusammengefasst oder 19-jährige junge Erwachsene mit zwölfjährigen Vorpubertären in einen „Studientopf“ geworfen werden. Besonders einleuchtend sind seine Ausführungen zum derzeitigen „digitalen Dilemma“, das darin bestünde, dass viele Bevölkerungsgruppen über den Umgang der Heranwachsenden mit Computern in Sorge sind, „während sich gleichzeitig unsere Lebenswelt immer mehr digitalisiert“. Im Kontrast zu den besorgten Aufschreien stehen die Digitalisierung von Schulen, das Aufrüsten von Haushalten mit allerlei Computern oder das immense Vorhandensein von „Bildschirmarbeitsplätzen“. Im weiteren Verlauf bezieht der Autor Stellung zu viel diskutierten Fragen: Macht Computerspielen beispielsweise dumm und gewalttätig? Lässt es Sprachkompetenzen und Kreativität verarmen? Wie gefährlich sind soziale Netzwerke wirklich? Zuweilen nimmt er auch Bezug auf bekannte Studien oder Buchklassiker der letzten Jahre, die gegenläufige Thesen vertreten, wie Turkles Verloren unter 100 Freunden oder Spitzers populistisches Werk Digitale Demenz. Dabei geht es ihm nicht um eine vollständige Widerlegung verbreiteter Auffassungen; vielmehr hält Milzner fest, dass viele Ableitungen so nicht getroffen werden können und dass viele Ergebnisse weniger Anlass zur Beunruhigung liefern als auf den ersten Blick angenommen. Besonders interessant ist dabei das Kapitel über Internet- bzw. Computersucht. Milzner konzentriert sich hier nicht (nur) auf psychiatrische Diagnosekriterien, sondern reflektiert Suchtverhalten logisch und nachvollziehbar anhand verwandter Erscheinungsformen wie Gewohnheit, Exzess oder Leidenschaft. Man kann Milzner nicht vorwerfen, dass er Tatbestände beschönigt. Neben seinen abgewogenen Überlegungen schildert er sowohl harmlose positive als auch besorgniserregende Fälle aus seiner Alltagspraxis als Psychotherapeut. Seine Lösungsansätze sind nicht neu. Unter anderem empfiehlt er einen begleitenden Umgang mit digitalen Medien: keinen ignoranten, verbietenden, sondern einen interessiert-emphatischen. Das Befolgen solch bekannter Empfehlungen würde die gesellschaftliche Hysterie hinfällig machen, denn Computerkinder seien gesünder als weitläufig prognostiziert, vor allem diejenigen, die begleitet werden.
Die erwachsene Leserschaft findet sich wohl am ehesten im Kapitel „Computerproblem als Beziehungsproblem“ wieder, in dem es darum geht, wem man heutzutage noch ungeteilte Aufmerksamkeit schenkt. Milzner empfiehlt eine „kleine Aufmerksamkeitsethik“, die jede bzw. jeder (wieder-)erlernen und Kindern beibringen sollte. Das findet sich auch abschließend in den Handlungsempfehlungen unter „Was Kinder im digitalen Zeitalter von uns brauchen“ wieder. Dort findet sich zwar ebenfalls nichts bahnbrechend Neues, jedoch tragen die vorhergehenden Ausführungen erheblich zur Einsicht und zum Nachvollziehen der (selbst-)erzieherischen Maßnahmen bei. Mit dem letzten Kapitel wird Milzner noch einmal seinem bereits zu Beginn des Buches getroffenen Appell treu: Digitale Hysterie sei fehl am Platz; an ihre Stelle sollte eine interessierte und ‚echte' Auseinandersetzung zwischen Eltern, Erziehenden, Kindern und Jugendlichen treten. Die Publikation eignet sich damit für alle, die sich dafür interessieren, was hinter der digitalen Panik steckt. Besonders empfiehlt sie sich für Erziehende und besorgte Eltern, die mit ihren Schützlingen des Öfteren aufgrund benannter Themen aneinandergeraten. Digitale Hysterie ist zwar kein wissenschaftliches Buch, dennoch beruht es auch auf eigenen ‚empirischen‘ Erfahrungen. Zeitweise erinnert es an eine umfassende Kolumne oder einen journalistischen Kommentar. Vorgestellt werden die persönlichen Erfahrungen und Überlegungen eines Diplompsychologen und Psychotherapeuten. Im Gegensatz zum Titelvorläufer Digitale Demenz sind diese jedoch ausgewogen und differenziert, und die Diskussion gegenläufiger Studien und Publikationen erfolgt mit logischer Präzision und wissenschaftlicher Expertise. Auch wenn manch subjektive Überlegungen auf die gleiche Weise widerlegt oder durch Studienergebnisse untergraben werden könnten, ist dieses Buch dennoch eines: logisch und nachvollziehbar. Weder Hype noch Verteufelung des digitalen Wandels finden Platz – es ist eine reflektierte Auseinandersetzung mit dem höchstaktuellen und kontrovers diskutierten Themenkomplex.
Jana Schröpfer war studentische Hilfskraft am JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis und bei merz | medien + erziehung. Sie studiert Internationale Public Relations an der Ludwig- Maximilians-Universität München.
Beitrag aus Heft »2016/05: Medien, Flucht und Migration«
Autor: Jana Schröpfer
Beitrag als PDFEinzelansichtBareither, Christoph (2016). Gewalt im Computerspiel. Facetten eines Vergnügens. Bielefeld: transcript. 368 S., 34,99 €.
Computerspiele stehen oftmals im Mittelpunkt diverser Diskussionen. Gerade im Blick auf die aktuelle politische Debatte kommt die Frage nach der Aggressivitätsförderung durch Gewaltszenen solcher Spiele immer wieder erneut auf. Christoph Bareither bezieht sich in seinem Buch Gewalt im Computerspiel auf emotionale Einflüsse, welche Spielende durchlaufen, und warum sie das, was andere schockiert, als Vergnügen wahrnehmen. In fünf aufeinander aufbauenden Kapiteln erklärt der Emotionsforscher Theorie und Methodik von Gewalt und Emotionen sowie die emotionale Wirkung der ludisch-virtuellen Gewalt (Computerspielgewalt) auf die Nutzenden.
Der Autor beobachtete Online-Games, LANPartys und Artikel verschiedener Zeitschriften. Anhand seiner Beobachtungen beschreibt er den Lesenden den Spielaufbau und -durchlauf sowie die damit gewonnen emotionalen Erfahrungen und deren Einfluss während des Spielprozesses. So erläutert er, dass sich Gewalt für die Spielenden offenbar nur als spannender, herausfordernder Wettkampf darstellt, und die schadensfreie virtuelle Simulation von Macht und Kontrolle ermöglicht. Gewalt steht dabei als Metapher für Wünsche und Motivationen wie Herausforderungen, Erfolg und Nervenkitzel.
Des Weiteren beschreibt er, warum die Erfahrung von Ungerechtigkeit eine emotionale Abneigung gegen das herausfordernde Team steigert. Durch die Artikulation von Beleidigungen demonstrieren die Spielenden nicht etwa eine spielerische Aggressivität, sondern ein Sich-Einlassen auf das narrative Spielangebot, in welchem das entgegengesetzte Team dem eigenen Unrecht getan hat. Diese Emotionspraktik dramatisiert die Situation und bereichert so das Spielvergnügen. Bareithers Werk eignet sich damit für Personen aus den Bereichen der Medienpädagogik, Kommunikationswissenschaft, Psychologie, Ethnologie und Emotionsforschung. Der Autor stellt keine pädagogischen Hypothesen auf, sondern beschreibt seine Wahrnehmungen und Erkenntnisse anhand einer ethnischen Studie. Das Buch ist gut strukturiert, jedoch nicht für jeden Lesenden in allen Bereichen nachvollziehbar.
Nicht-Spielende können durch die Verwendung vieler Fachbegriffe die eigentliche Definition und Bedeutung des Computerspiel- Genre eventuell nicht vollständig nachvollziehen. Ist man aber mit dem Bereich des Gaming vertraut, so dürften keine weiteren Verständnisfragen entstehen. ss
Bigl, Benjamin (2016). Virtuelle Computerspiel-Welten. Rezeption und Transfer in dynamisch-transaktionaler Perspektive. Köln: Halem. 393 S., 35 €.
Auf der diesjährigen gamescom standen Besucherinnen und Besucher stundenlang an, um auch nur für wenige Minuten einen der Top-Trends der Messe einmal auszuprobieren: Virtual Reality. Doch wo die Technik bereits an einer Erweiterung der ersten Generation arbeitet, ist die wissenschaftliche Kenntnis über diese Materie noch in den Kinderschuhen. Das Werk von Benjamin Bigl Virtuelle Computerspiel-Welten stellt einen ambitionierten Versuch dar, das Erleben bei Computerspielen experimentell zu untersuchen und im Sinne einer Grundlagenforschung nachzugehen. Den Kern der empirischen Untersuchung bildet dabei die Frage nach den Transfers zwischen Spiel- und Alltagswelt. Dabei werden Unterschiede in der Rezeption von klassischen Computerspielen zu neueren Spielen mit bewegungssensitiven Eingabegeräten herausgearbeitet.
Des Weiteren wird untersucht, ob die Wirkungsweise bewegungsgesteuerter digitaler Spiele es der Spielerin bzw. dem Spieler ermöglicht, tiefer in das Spielgeschehen einzutauchen. Die Arbeit ist insgesamt breit aufgestellt und liefert neben einer umfangreichen empirischen Untersuchung auch einen umfassend Einblick in eine kommunikationswissenschaftliche Perspektive auf Computerspiele. Unter anderem erläutert Bigl in den ersten Kapiteln seiner Arbeit die Medienvirtualität als phänomenologischen Bezugsrahmen sowie Konzepte des Erlebens virtueller Welten, bevor er sich seiner experimentellen Untersuchungen am Forschungsgegenstand der Wii widmet. Bigls Arbeit richtet sich vor allem an Kommunikations- und Medienwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler. Mit der Veröffentlichung im Jahr 2016 erscheint die Arbeit aufgrund des veralteten Forschungsgegenstandes, der Spielekonsole Wii (2007) aus dem Hause Nintendo, jedoch direkt als veraltet. Die nun erscheinenden VR-Brillen HTC: Vive und Oculus Rift bieten eine ganz neue Dimension des Erlebens virtueller Realität und eröffnen einen völlig neuen Blickwinkel.
Dennoch bietet Bigls mit seiner Arbeit einen starken Anhaltspunkt für die zukünftige und dringend erwünschte Methodenentwicklungen im Bereich der virtuellen Realitäten. kk
Kubandt, Melanie (2016). Geschlechterdifferenzierung in der Kindertageseinrichtung. Eine qualitativrekonstruktive Studie. Opladen/ Berlin/Toronto: Verlag Barbara Budrich. 355 S., 44 €.
Viel wird darüber diskutiert, wie mit Geschlecht- (erkonstruktionen) in institutionalisierten Bildungseinrichtungen umgegangen werden sollte: Wie könnte Gerechtigkeit hergestellt werden? Welchen Problemen müsste begegnet werden? Wie sollte mit Mädchen und Jungen von Anfang an umgegangen werden, um möglichst jeder Ungleichbehandlung vorzubeugen? Was dabei mitunter außer Acht gelassen wird, ist die Frage, wie das Thema aktuell tatsächlich in der Praxis vorkommt. Darüber müssen häufig Vermutungen und Annahmen genügen. Melanie Kubandt begegnet dieser Lücke in ihrer Dissertation, indem sie danach fragt, welchen Umgang mit Geschlecht, vielleicht auch welchen Niederschlag der Genderdebatte man in Kindertageseinrichtungen tatsächlich beobachten kann.
Dazu bereitet sie auf 125 Seiten den Stand der Forschung auf, legt dar, welche Diskurslinie zu Geschlecht und Gender es gibt und inwieweit der Umgang mit Geschlecht in Kindertageseinrichtungen bereits theoretisch thematisiert wurde. Darauf aufbauend entwickelt sie ihre eigene, qualitativ rekonstruktive Herangehensweise, in der sie anhand einer teilnehmenden Beobachtung in einer Kindertagesstätte den tatsächlichen Status Quo in der Praxis beleuchtet. 14 Monate verbrachte die Autorin insgesamt in einer Kindertageseinrichtung, um dort Informationen zum Umgang der Kinder selbst aber auch der Betreuungspersonen mit Geschlecht und Gender zu sammeln und auszuwerten. Sehr ausführlich beschreibt sie ihre Herangehensweise an die Beobachtung und ihr eigenes Rollenverständnis als Forscherin.
Anschließend widmet sie sich ihren Beobachtungen in der Kindertagesstätte – sowohl im Hinblick auf die Erzieherinnen, deren Selbst- und Rollenverständnis, deren (Ausbildungs-) Hintergrund und pädagogisches Herangehen als auch im Hinblick auf die Kinder selbst, deren Selbstbilder, Rollenbilder und Interaktionen. So kann sie insgesamt ein umfassendes und ausgewogenes Bild davon zeichnen, welche Sichtweisen und Umgangsweisen auf und mit Geschlecht in der Kindertagesstätte zu finden sind, in welchen Situationen und aus welcher Richtung das Thema eine Rolle spielt – und wie dies für die weitergehende Diskussion und theoretische Fundierung des Themas nutzbar gemacht werden kann, so dass Theorie, Diskussionen und Zielvorstellungen zukünftig nicht mehr nur auf Vermutungen fußen müssen, sondern in der Praxis verankert sein können. ejk
Scherr, Sebastian (2016). Depression – Medien – Suizid. Zur empirischen Relevanz von Depressionen und Medien für die Suizidalität. Wiesbaden: Springer VS. 301 S., 39,99 €.
Der Werther-Effekt ist weithin bekannt – und geistert immer wieder als Schlagwort, Befürchtung oder Ermahnung durch öffentliche Diskussionen, wenn (prominente) Selbstmorde mediale Beachtung finden und damit möglicherweise unangemessen oder unverantwortlich umgegangen wird. Das Vorhandensein dieses Effektes wird landläufig als gegeben angenommen, wenngleich in der Forschung noch drastische Lücken klaffen – was etwa die Frage nach der Art der Berichterstattung angeht, die Frage nach dem Einfluss verschiedener medialer Kanäle oder auch die Frage nach einem Zusammenhang von medialer Berichterstattung und psychischen Erkrankungen wie Depressionen, die häufig auch Suizidalität beeinflussen.
Sebastian Scherr knüpft in seiner Dissertation an diese Fragestellungen an, wirft einen umfassenden Blick sowohl auf die bestehende Forschungslage zu Medien und Suiziden als auch auf den Zusammenhang von Depression und Suizidalität sowie die Wechselwirkungen zwischen Depression und Mediennutzung. Darauf aufbauend wertet er eine repräsentative Telefonbefragung sowie eine flankierende Online-Befragung aus, in denen Muster im Mediennutzungsverhalten sowie der Depressivität und Suizidalität der Befragten erhoben wurden. In der sehr umfangreichen Befragung mit insgesamt mehr als 3.000 Teilnehmenden verifiziert Scherr Befunde zur Depressivität und Suizidalität in Deutschland, die bereits vorlagen. Auch nimmt er neu die Zusammenhänge zwischen Mediennutzung, Depressivität und Suizidalität in den Blick und arbeitet Handlungsmuster heraus, die so bisher nicht belegbar waren.
Für die Forschung zu Mediennutzung und Suizidalität – hoffentlich aber auch für den praktischen Umgang von Medienanbietern mit den Themenkomplexen psychischer Erkrankung und Selbstmord – ist die Studie daher ein spannender und aufschlussreicher Beitrag. ejk
Trüby, Daniel (2016). Mobiles Lernen an der Schnittstelle von Filmbildung und Sprachförderung. München: kopaed. 191 S., 16,80 €.
In einer von digitalen Mediengeprägten Zeit gehören Tablets und Smartphones für Jugendliche längst zum Alltag. Zum Nachrichten lesen, Filme schauen oder Musik streamen können vor allem Tablets vielseitig genutzt werden. Den Fragen, ob sich die technischen Geräte auch zum Lernen eignen und inwiefern sie die Motivation sowie Lerneffizienz von Jugendlichen fördern können, geht Daniel Trüby in seiner Publikation Mobiles Lernen an der Schnittstelle von Filmbildung und Sprachförderung nach. Grundlage ist ein zehntägiges Sprachfördercamp zum Thema ‚Film, Sprache, Begegnung' mit 31 Jugendliche aus Rumänien, Deutschland, Kroatien und Serbien. Diese erlernten auf einem gemeinsamen Camp in Rumänienmit professioneller Unterstützung, wie man einen Spielfilm produziert. Entsprechende Kenntnisse eigneten sich die Teilnehmenden in begleitenden Workshops selbst an. Kernthema des Projekts war zudem, dass die Hauptsprache am Filmset Deutsch war. Alle – abgesehen von den deutschen Teilnehmenden – belegten seit einem Jahr das Fach Deutsch als Fremdsprache in der Schule.
Der Autor geht bei seiner Untersuchung – auf Basis von leitfadengestützten Interviews, einer schriftlichen Befragung und teilnehmender Beobachtung – besonders auf die medienpädagogischen Ansätze des mobilen Lernens ein: Mobiles Lernen sieht er dabei als Oberbegriff für Lernmethoden, welche sich mit zeitgemäßen technischen Aspekten auf das Individuum und die medial geprägte Gesellschaft beziehen. Das mobile Gerät fungiert als Schnittstelle zwischen Jugendkultur und dem gezielten Lernen im Unterricht. Des Weiteren stellt Trüby die kommunikative Dimension in den Vordergrund. Er zeigt, dass es den Jugendlichen durch die Verwendung von Tablets leichter fällt, ins Gespräch zu kommen. Auch das Verstehen von Aufgaben in Verbindung mit dem Filmprojekt gestaltete sich für die Jugendlichen einfacher, wenn sie mit dem Tablet arbeiteten. Außerdem bringen die sich wiederholenden, technischen Arbeitsschritte eine Struktur in den Handlungsablauf, was den Teilnehmenden half, sich Wörter und Bilder besser einzuprägen. Zusammenfassend wertet Trüby das Projekt als sinnvoll und förderlich aus.
Er erläutert, dass die medienpädagogische Praxisforschung auch in Zukunft gestärkt und betrieben werden muss, um weitere Erkenntnisse über mediale Lernangebote zu erhalten. Die Publikation richtet sich an Personen aus den Bereichen Sprachförderung, Medienpädagogik sowie Medien- und Kommunikationswissenschaft, die an Forschungsarbeiten mit medialen Inhalten und sprachfördernden Maßnahmen interessiert sind. Überzeugend und sehr gut nachvollziehbar sind der Aufbau und die Struktur des Werks, welches in zehn Bereiche untergliedert ist. Etwas enttäuschend ist die Tatsache, dass sich das Ergebnis nur auf die Projektdurchführung mit Tablets bezieht und nicht getestet wurde, ob die Teilnehmenden auch ohne technische Geräte ein effizientes Lernergebnis erzielt hätten. Das Resümee ist nicht wirklich aufklärend und lässt die Lesenden bezogen auf die Fragestellungen teilweise im Unklaren. Dennoch ist es ein gelungenes Werk, das viele interessante Aspekte zum Thema Sprachförderung durch Medien liefert. ss
kolumne
Niels Brüggen: Mein Smartphone stiehlt mir meine Sprache!
Ich habe seit einiger Zeit ein neues Smartphone. Schmerzlich vermisse ich die ausfahrbare Volltastatur des alten Geräts, denn das Vertippen auf den Bildschirmfeldern hat nun auch bei mir Einzug gehalten. Zugleich erlebe ich jetzt neue Begegnungen mit der KI (daraus macht mein Telefon kurzerhand Kinder) und wir sind mitten im Problem: Mein neues Telefon klaut mir meine Sprache. Jedenfalls fühlt es sich so an, wenn ich ständig die automatisch ausgewählten Worte korrigieren muss, um meine zu behalten. MyHammer wird zu Mohammed, Holzfenster zu Holzgestell oder um wieder zu den Kindern zurückzukommen wurde Schleich-Tieren zu Schlechteren.
Im Einzelfall ist das sogar amüsant. Im unerschöpflichen Netz werden sogenannte Autocomplete-Fails gesammelt, bewertet und finden sich dann sogar zwischen Buchrücken gedruckt im Handel wieder. In erster Linie sind diese Autocomplete-Fails aber schlicht nervig. Nachrichten oder Notizen werden sinnentstellt und Kommunikation erschwert. Im Wechselspiel zwischen Eintippen, Autokorrektur und Korrektur wird zugleich ein Prozess der wechselseitigen Abstimmung von Mensch und Technik sichtbar. Denn ebenso, wie mein Telefon ‚lernt', welche Worte ich in welchen Kombinationen häufig nutze, stimme ich meine Wortwahl auf die erwartbaren Vorschläge des Telefons ab. Meine Sprache wird mir bewusst, wenn mir meine Worte genommen werden. Und zugleich verändere ich meine Sprache und passe sie dem Gerät oder vielmehr der fehleranfälligen Tastatur und der Vervollständigungssoftware an, um möglichst selten korrigieren zu müssen.
Wir kennen uns nun schon besser – mein Smartphone und ich. Mittlerweile habe ich viel seltener Wutausbrüche, weil mein Telefon einfach nicht schreibt, was ich (mit kleinen tastaturbedingten Fehlern) eingegeben habe. Alles gut also. Oder doch nicht ganz? Denn ich muss an diese Software denken, die über eine Sprachanalyse Persönlichkeitsmerkmale der sprechenden bzw. schreibenden Person erfassen können soll. Demnach geben unter anderem Wortwahl, Satzbau und -länge weitaus mehr von uns preis als nur die Inhalte, die wir kommunizieren wollen. Wer unsere Sprache auswertet, erhält demnach tiefe Einblicke auch in die unbewusste Persönlichkeitsstruktur. Was, wenn meine Autovervollständigungssoftware auch entsprechende Potenziale entwickelt? Oder eher realistisch: Wenn Daten der Internet-Kommunikation für solche Analysenherangezogen werden? Angesichts der Bedeutung von Smartphones und Tablets in der Online-Kommunikation würde Autocomplete die Ergebnisse verfälschen – oder gar unsere Persönlichkeit beeinflussen?
Ich könnte natürlich die automatische Vervollständigung bzw. Wortvorschläge abschalten. Darüber hinaus kann ich auch wählen, ob mein Smartphone „Meinen Schreibstil verwenden“ soll. So kann mein Telefon meinen Schreibstil lernen, sichern und mit anderen Geräten synchronisieren. Und plötzlich bin ich mir nicht so ganz sicher, wie weit diese Software noch von der Sprachanalyse weg ist und was sie von meinem Unbewussten weiß. Und: Wie gut haben Sie und Ihr Smartphone sich schon kennengelernt?
Beitrag aus Heft »2016/05: Medien, Flucht und Migration«
Autor: Niels Brüggen
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Kati StruckmeyerVerantwortliche Redakteurin
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