2016/01: schule. smart. mobil
Computerräume, Whiteboards, Laptop-Klassen – jede neue Entwicklung des medialen Angebots stellt auch für Schulen und schulisches Lernen zugleich Herausforderung und Chance dar und führte und führt immer wieder zu neuen Ideen, Konzepten und Anstrengungen, die medialen Möglichkeiten auch im Klassenzimmer einzusetzen. Bisweilen mit inhaltlichem wie didaktischem Mehrwert für alle Beteiligten, bisweilen aber auch als Arrangements, die hauptsächlich Kosten und Ernüchterung produzieren.merz 1/2016 setzt sich kritisch mit verschiedensten Versuchen, die 'Kreidezeit in Schulen zu beenden' auseinander und betrachtet Medien in Schulen von unterschiedlichen Standpunkten aus. Bildung und Digitalisierung, Tablets als Lerninstrumente aber auch die Schule als Werbeplattform für die medialen Marken und kommerziellen Anbieter – Autorinnen und Autoren aus verschiedenen Disziplinen nehmen diese Themen und Fragestellungen unter die Lupe, setzen sich kritisch mit der Historie des schulischen Medieneinsatzen auseinander, zeigen aber auch Möglichkeiten und Chancen für die Zukunft auf.
aktuell
Cornelia Pläsken: JIM-Studie 2015
In knapp zwei Drittel aller Haushalte in Deutschland ist ein Tablet vorhanden – zu diesem Ergebnis kommt die JIM-Studie 2015 und verzeichnet damit einen deutlichen Anstieg zum Vorjahr, in dem nur in rund der Hälfte aller Familien ein solches mobiles Endgerät griffbereit lag. Die Studienergebnisse zeigen außerdem, dass 92 Prozent der Jugendlichen ein Smartphone besitzen, etwa drei Viertel einen eigenen Computer haben, aber nur 57 Prozent einen eigenen Fernseher. Der diesjährige Themenschwerpunkt lag auf den Interessen und dem Informationsverhalten Heranwachsender: Das größte Interesse haben Jugendliche demnach an der Lösung persönlicher Probleme und am aktuellen Zeitgeschehen. Aber auch Musik, Ausbildung und Beruf sind ihnen wichtig. Für acht von 14 Themen ist das Internet ihre bevorzugte Informationsquelle, andere Informationsbedürfnisse erfüllen sie sich vorzugsweise durch klassische Medien wie die Zeitung bzw. Lokalzeitung. Das Interesse am Lesen von Büchern nimmt trotz der Existenz von E-Books nicht ab. 36 Prozent lesen in ihrer Freizeit regelmäßig Bücher, Mädchen (45 %) lieber als Jungen (27 %). Vier Fünftel der Jugendlichen sehen regelmäßig fern: Dafür nutzen 96 Prozent ein stationäres Gerät, 20 Prozent einen Internetzugang und 15 Prozent den Zugang über ein Smartphone; bei 45 Prozent ist dieses übrigens von der Marke Samsung, 23 Prozent besitzen ein Apple-Produkt. Als wichtigste App benennen 90 Prozent WhatsApp, gefolgt vom Facebook-Messenger (33 %) und Instagram (30 %).
Durchgeführt wurde die repräsentative Studie vom Medienpädagogischen Forschungsverbund Südwest in Zusammenarbeit mit den Landesmedienanstalten von Baden-Württemberg (LFK) und Rheinland-Pfalz (LMK) sowie dem Südwestrundfunk. Die Basisdaten von 1.200 Zwölf- bis 19-Jährigen wurden mittels telefonischer Befragung erhoben. Der ausführlichen Ergebnisse stehen online zur Verfügung.http://www.mpfs.de/fileadmin/JIM-pdf15/JIM_2015.pdf
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Autor: Cornelia Pläsken
Beitrag als PDFEinzelansichtFranziska Busse: ARD/ZDF-Onlinestudie 2015
Rund zwei Drittel der Bevölkerung in Deutschland besitzen inzwischen ein Smartphone. Dieses wird als stetiger persönlicher Begleiter genutzt und bedient sowohl Kommunikations- als auch Informations- und Unterhaltungsbedürfnisse. Zu diesem Ergebnis kommt die ARD/ZDF-Onlinestudie 2015. Auswirkungen des mobilen Internetzugangs zeigen sich unter anderem in einer höheren Nutzungsintensität: Während die Internetnutzenden im Durchschnitt 108 Minuten pro Tag online sind, verbringen Menschen mit mobilem Internetzugang 50 Minuten mehr Zeit im Netz. Neben dem Senden und Empfangen von E-Mails ist eine der Hauptanwendungen im Netz die Informationssuche: 82 Prozent der Befragten nutzen Suchmaschinen mindestens einmal pro Woche. Instant-Messaging-Dienste wie Whats-App verwenden 54 Prozent, Nachschlagewerke wie Wikipedia 45 Prozent und Online-Communitys wie Facebook 34 Prozent. Damit ist die Nutzung sozialer Netzwerke seit 2013 nicht mehr gestiegen, sondern aktuell sogar leicht rückläufig. Etwas zugenommen hat der Gebrauch von Foto- Communitys wie Instagram; vor allem bei jungen Frauen.
Sowohl bei der Nutzung sozialer Medien als auch bei der Mediennutzung online zeigen sich große Altersunterschiede: Videos und Audios werden von den 14- bis 29-Jährigen deutlich häufiger rezipiert als von den Befragten ab 62 Jahren. Insgesamt betrachtet steigt die Nutzung von Bewegtbild-Material über alle Altersgruppen hinweg an: 53 Prozent der Internetnutzenden sehen sich mindestens einmal pro Woche Videos oder Fernsehsendungen an. 33 Prozent der Befragten hören Musik, Podcasts oder Radio. Für die repräsentative Studie wurden im Auftrag der ARD/ZDF-Medienkommission im Frühjahr 2015 1.800 Personen in Deutschland befragt.http://www.ard-zdf-onlinestudie.de/
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Autor: Franziska Busse
Beitrag als PDFEinzelansichtJana Schröpfer: Nutzung digitaler Medien – ein Grundbedürfnis für jugendliche Flüchtlinge
Digitale Medien(-dienste) sind für die soziale und bildungsbezogene Teilhabe junger Flüchtlinge hochrelevant, jedoch sind sie in deutschen Versorgungeinrichtungen nur erschwert und oftmals ohne Aufklärung oder Anleitung zugänglich. Das zeigt die empirische Studie Internet ist gleich mit Essen der Universität Vechta und des Deutschen Kinderhilfswerks, die die Nutzung digitaler Medien durch unbegleitete minderjährige Flüchtlinge vor, während und nach der Flucht untersucht hat. Die im Studientitel zitierte Aussage eines Interviewten – „Internet ist gleich mit Essen“ – zeigt bereits, dass vor allem die Internetnutzung bei der Bewältigung fluchtspezifischer Herausforderungen von großer Bedeutung ist. So nutzen die unbegleiteten Jugendlichen digitale Medien, um nach Fluchtetappen Kontakt mit ihren Familien aufzunehmen, Notrufe abzugeben, Kontakt mit Schleuserinnen und Schleusern herzustellen oder um Informationen über Fluchtwege zu erhalten. Nach ihrer Ankunft in Deutschland spielt die Kommunikation mit der Familie und den Peers weiterhin eine wichtige Rolle, digitale Medien werden aber auch zur Orientierung und zur Nachrichtensuche genutzt oder gar zum Erlernen der deutschen Sprache.
Die Mediennutzung hat demnach nicht nur verbindende Funktionen, sondern auch eine Brückenfunktion, da sich die Jugendlichen in der Aufnahmekultur orientieren und mit neuen Peers sowie Fachkräften verbinden können. Allerdings berichten die jungen Flüchtlinge über einen erschwerten Zugang zu digitalen Medien in ihren Einrichtungen oder über restriktive Regeln bezüglich des Internetzugangs. Oftmals gäbe es nicht einmal ausreichend Computer für das Erledigen von Schulaufgaben. Ein anderes Problem zeigt sich darin, dass die Jugendlichen nur mangelhaft über Datenschutzmaßnahmen informiert und ihnen eigens für sie konzipierte Dienste unbekannt sind. Hier kristallisieren sich folglich erste Indikatoren für einen Handlungsbedarf heraus. Die explorative Studie basiert auf 17 Einzelinterviews und einer Gruppendiskussion mit Flüchtlingen im Alter von 15 bis 19 Jahren. Die Ergebnisse sind online kostenfrei abrufbar.
Cornelia Pläsken: stichwort IARC
Alterskennzeichnungen von Spielen mit einem USK-Siegel sind nichts Neues – von Apps allerdings schon! Im Google Play Store finden sich neuerdings die altbekannten USK-Kennzeichnungen wieder. Auch der Firefox Marketplace macht sich die Alterskennzeichnungen zunutze. Windows Mobile wird als nächstes nachziehen – für den App Store von Apple ist die Kennzeichnung aber bislang noch nicht geplant. Die Kennzeichnung erfolgt mit dem System der International Age Rating Coalition – kurz IARC. Verschiedene verantwortliche Organisationen wie das Australian Classification Board oder die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle haben sich zur IARC zusammengeschlossen, um seit 2013 weltweit Apps und Online-Spiele mit einer Alterskennzeichnung zu bewerten. Ihr entwickeltes IARC-System können beispielsweise App-Stores in ihr Angebot integrieren, um auf jugendschutzrechtliche Aspekte hinzuweisen. So können Anbieter wiederum über einen Fragebogen die Inhalte ihrer Produkte einstufen – die Alterskennzeichnung erfolgt daraufhin automatisch nach den Vorgaben der nationalen Selbstkontrollen; zusätzlich werden jugendschutzrelevante Informationen in die Kurzbeschreibung der App eingefügt (z. B. zu Gewalt, beängstigenden Inhalten oder Erotik). Etwas versteckter können hinter dem Button 'weiterlesen' Informationen über interaktive Elemente wie ‚Nutzerinteraktion‘ oder ‚Standortweitergabe‘ kompakt nachgelesen werden.
Zur Qualitätssicherung überprüft und korrigiert die USK regelmäßig stichprobenartig diese Einstufung von Angeboten. Die Implementierung des Systems in App-Stores ist aus Sicht des Jugendschutzes ein Schritt nach vorne: Die Tauglichkeit von Apps für bestimmte Altersgruppen wird direkt sichtbar und Eltern erhalten eine Orientierungshilfe. Weiter können Eltern die Jugendschutz-Einstellungen bei Google Play beispielsweise so einrichten, dass nur Apps in einer gewünschten Altersspanne zum Download zur Verfügung stehen.
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Autor: Cornelia Pläsken
Beitrag als PDFEinzelansichtFranziska Busse: ich-wir-ihr.de. Materialbörse online
Ein Hörspiel über die Mediennutzung Jugendlicher, ein Quiz zu den kommerziellen Strukturen sozialer Netzwerke, ein Clip zum Thema Stress im Netz – das sind nur ein paar der Material-Elemente, die pädagogischen Fachkräften und Interessierten auf ich-wir-ihr.de zur Verfügung stehen. Das Projekt ICH WIR IHR im Netz des JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis wurde im Rahmen der Stiftung Wertebündnis Bayern mit einer Reihe von Jugendverbänden und anderen Institutionen zusammen mit Jugendlichen und Eltern verwirklicht. Diese haben sich in der ersten Projektphase (2012 bis 2014) mittels aktiver Medienarbeit mit wertebezogenen Themen auseinandergesetzt, um ihr Wertebewusstsein zu schärfen und durch Reflexion des eigenen Medienhandelns ihre Medienkompetenz zu fördern.
Aus den Ergebnissen und Erfahrungen der medienpädagogischen Arbeit in den Werkstätten wurden jetzt kompakte didaktische Materialien entwickelt: für einzelne Unterrichtsstunden, für einen Tagesworkshop oder für Elternabende; auch ein intergeneratives Modell wurde integriert. Diese Materialpakete setzen vier unterschiedliche Themenschwerpunkte – Nutzungsverhalten Jugendlicher, Verbraucherbildung, Nutzungsintensität und Online-Konflikten –, die jeweils einzeln oder in einem Gesamtpaket behandelt werden. Ziel dieser Materialien ist es nicht nur, wertebezogenes Online-Handeln Jugendlicher in Schule und außerschulischer Jugendarbeit zum Thema zu machen, sondern auch, Jugendliche und Eltern ins Gespräch kommen zu lassen. Empfohlen werden die Materialien für Jugendliche im Alter von zwölf bis 16 Jahren (6. bis 9. Klasse). Die Rund-Um-Pakete – inklusive Ablaufplan, Präsentationen, Hintergrundinfos, Video-Clips et cetera – stehen zum kostenfreien Download zur Verfügung.
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Autor: Franziska Busse
Beitrag als PDFEinzelansichtJana Schröpfer: wb-web. Portal für Lehrkräfte der Weiterbildung
Für Lehrkräfte der Erwachsenen- und Weiterbildung gibt es eine neue, digitale Anlaufstelle: das Internetportal wb-web. Das von der Bertelsmann Stiftung und dem Deutschen Institut für Erwachsenenbildung – Leibniz Zentrum für Lebenslanges Lernen e. V. entwickelte Portal bietet Lehrenden der Erwachsenen- und Weiterbildung Informations- und Vernetzungsmöglichkeiten. Frei zugänglich erhalten sie erwachsenenpädagogisches Wissen und Praxishilfen zur Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung von Veranstaltungen. wb-web bedient mit seinem Angebot vor allem die Bedarfe frei- und nebenberuflicher Erwachsenen- wie auch Weiterbildnerinnen und -bildner, um die Professionalität der Lehrenden in der Weiterbildung zu stärken.
Auf wb-web sind verschiedene bedienungsfreundliche Rubriken mit Neuigkeiten oder wissenschaftlichen Befunden aus der Weiterbildungslandschaft zu finden, außerdem Dossiers zu lehrrelevanten Themen und Entwicklungen wie der Digitalisierung sowie Materialien zur Unterrichtsbewältigung. Ergänzend bietet das Portal Tools wie fundierte Wissensbausteine, weitere Praxishilfen, ein Forum zum Austausch unter den Lehrenden und ein Online-Fall-Laboratorium mit realen Videofällen aus der Praxis. Die Inhalte fußen auf Ergebnissen einer repräsentativen Bedarfsstudie und Online-Umfragen.
thema
Stefan Welling, Marion Brüggemann und Günther Anfang: Das Ende der Kreidezeit. Können Tablets und Smartphones Schule verändern?
Seit geraumer Zeit nehmen, unabhängig von der Schulform, scheinbar kontinuierlich sogenannte Tablet-Klassen in verschiedensten Konstellationen den Betrieb auf. Auch der Slogan ‚Bring Your Own Device‘ wird in diesem Zusammenhang immer wieder zitiert, häufig zusammen mit dem Versprechen einer Revolution im Unterrichtsalltag, da nun Schülerinnen und Schüler endlich ihre eigenen mobilen Endgeräte in die Schule mitbringen dürfen, um damit nach Herzenslust zu lernen und zu arbeiten. Glaubt man den Herstellern mobiler Endgeräte, so stehen wir an der Schwelle zu einem neuen Zeitalter schulischen Lernens, das durch leistungsstarke Kreativwerkzeuge, interaktive Lehrbücher und unzähligen Apps bestimmt ist, die grenzenlose Möglichkeiten des Lernens aufzeigen (vgl. z. B. Apple Inc. 2015). Damit einher gehen große Erwartungen der Schuladministration hinsichtlich des Mehrwerts dieser Medien für die Verbesserung von Lern- und Lehrprozessen. Viele (Erfahrungs-)Berichte über die Arbeit mit diesen Geräten scheinen die positiven Erwartungen zu bestätigen. Empirisch sind sie aber häufig nicht ausreichend, zumindest nicht, um Verallgemeinerungen über den Mehrwert des Lernens und Lehrens mit Tablets und Smartphones zu treffen. Technische Innovationen wurden schon häufig dazu benutzt, das Ende der Kreidezeit auszurufen und die Schule der Zukunft einzuläuten.
Waren es in den 1960er-Jahren die Sprachlabors, mit denen man neue Wege des Sprachunterrichts eröffnen wollte, so sollten in den 1980er-Jahren der Informatikunterricht und die allerorts an Schulen neu installierten Computerräume dafür sorgen, dass Schule den Anschluss an das neue technische Zeitalter nicht verliert. Schließlich und endlich folgten die Laptop-Klassen, mit denen man glaubte, das Lernen mobiler und individueller gestalten zu können und die interaktiven Whiteboards, die Lehrkräften neue Möglichkeiten der Vermittlung von Lehr- und Lerninhalten zur Verfügung stellen sollen. Bislang haben sich die hohen Erwartungen an das unterrichtliche Innovationspotenzial neuer Technologien in der Regel nicht erfüllt. Von Sprachlabors redet niemand mehr, Computerräume werden von vielen Lehrkräften gemieden und interaktive Whiteboards werden primär im Kontext bestehender Unterrichtsmethoden genutzt. Laptop-Klassen sind angesichts der inzwischen viel attraktiveren Tablets scheinbar Schnee von gestern und anscheinend nicht mehr zeitgemäß, obwohl sich Anzeichen mehren, dass die ersten Schulen schon wieder von Tablets zugunsten von Laptops abrücken, da sie mehr Einsatzmöglichkeiten bieten.
Oversold and underused?
Die Schule sichert ihre Zukunftsfähigkeit also nicht, indem die dortigen Akteurinnen und Akteure möglichst rasch auf die jeweils neuesten Technologien aufspringen. Will man Lernen und Lehren weiterentwickeln, müssen vor allem die etablierten Handlungsmuster im Lehr-Lernkontext sowie die institutionellen und technischorganisatorischen Bedingungen, unter denen gelernt und gelehrt wird, als Ganzes in den Blick genommen werden. Das bedarf einer größeren Anstrengung als nur in Technologien zu investieren. Die von Cuban et al. (2001) gemachte Feststellung, dass der schulische Einsatz digitaler Medien in keinem adäquaten Verhältnis zu den dafür getätigten Aufwendungen stehe („Oversold and underused“), hat demnach möglicherweise weiterhin Bestand? Was sind die positiven Effekte des schulischen Lernens und Lehrens mit Tablets, die den hohen Aufwand an Ausstattung, Content-Entwicklung und Fortbildung rechtfertigen? Welche Faktoren machen den Tablet-Einsatz in der Schule so wertvoll für Lernen und Lehren, dass die Tablet-Einführung als zukunftsfähige Investition erscheint, und sich längerfristig für die Schule lohnt?
Die vorliegende Ausgabe von merz kann diese Fragen nicht erschöpfend beantworten, allein schon, weil der dafür betrachtete Gegenstand zum einen viel zu dynamisch und zum anderen noch viel zu neu ist. Es stellt insofern eher eine Momentaufnahme dar, die dazu einlädt, innezuhalten und mit etwas Distanz auf das schulische Lernen mit Tablets zu blicken. Denn dann wird man schnell feststellen, dass das Lernen mit Tablets einerseits sicherlich vielfältiges Potenzial für die Verbesserung von Lern- und Lehrprozessen birgt. Andererseits wird man auch sehen, dass damit auch vielfältige Herausforderungen einhergehen, teils bekannter, teils aber auch neuer Natur, sodass es verfrüht wäre, sich schon von der schulischen Kreidezeit zu verabschieden. Vielmehr bedarf die Integration von Tablets in den Schulbetrieb einer kritischen und konstruktiven Begleitung.Rudolf Kammerl diskutiert anhand ausgewählter aktueller empirischer Befunde den Mehrwert digitaler Medien für das schulische Lernen. Was rechtfertigt die Forderung nach mehr digitalem Lernen an Schulen? Was wird tatsächlich besser oder anders, wenn digitale Medien in Lernprozesse integriert werden und welchen Nutzen hat das für die schulische Medienbildung an allgemeinbildenden Schulen?Im Anschluss daran betrachtet Stefan Welling die unterrichtlichen Auswirkungen des Lernens und Lehrens mit Tablets vor allem anhand internationaler Untersuchungen. Neben offensichtlich positiven Effekten wird dabei auch deutlich, dass sich die intensive Nutzung solcher Medien gerade in 1:1-Settings offenbar auch nachteilig auf den Erwerb bestimmter fachlicher Kompetenzen auswirken kann. Ein Aspekt, der im Diskurs über das Lernen mit Tablets bislang keine Beachtung findet. Vor dem Hintergrund des großen ökonomischen Potenzials, das die Vermarktung von Tablets, Apps und Inhalten birgt, verwundert das nicht. Dass es bei zahlreichen Ausstattungsoffensiven nicht nur um eine Verbesserung der Lern- und Lehrumgebung geht, verdeutlicht Martina Schmerr im Gespräch mit Günther Anfang. So sind Tablet- Klassen nicht nur modern, sondern auch ein wirtschaftlicher Faktor. Große Medienanbieter profitieren von diesem riesigen Markt, der nicht immer zum Vorteil der Schulen agiert.Daran schließt sich der Beitrag von Marion Brüggemannan.
Sie betrachtet die Einführung von Tablets an Schulen als komplexen Innovationsprozess, der auf den Ebenen der Lehr-Lernprozesse, der Organisations- und Kommunikationsstrukturen, der technischen Entwicklung sowie auf der Ebene des Selbst- und Aufgabenverständnisses der Lehrkräfte basiert. Es wird gezeigt, dass ein Mehrwert von Tablets für die schulische Bildung erzielt werden kann, wenn ihre Nutzung in Prozesse der schulischen Organisationsentwicklung eingebettet wird. Daran anschließend vermisst Thomas Knaus die Potentiale des Digitalen aus einer theoretischdidaktischen Perspektive. Ausgehend von einem interaktionistisch-konstruktivistischen Verständnis von Lernen werden aus allgemeinpädagogischer und lernpsychologischer Perspektive Voraussetzungen nachhaltigen und motivierenden Lernens identifiziert. Dies fließt in eine vergleichende Analyse der scheinbar konträren Unterrichtsmedien Schulheft und Tablet ein. In dieser Gegenüberstellung offenbaren sich die konzeptionellen Potentiale des Digitalen.Gisela Schubert und Kerstin Heinemann werfen schließlich einen Blick auf Konzepte des Peer-Involvement in der Schule. Dass dieser Ansatz nicht nur in außerschulischen Bildungssettings, sondern auch im Kontext von Schule funktioniert, wird unter anderem durch die zunehmende Anzahl an Medienscout-Projekten an Schulen im gesamten Bundesgebiet sichtbar. Im Mittelpunkt dieser Projekte steht dabei, Schülerinnen und Schüler aktiv zu beteiligen und ihre Kompetenzen im Umgang mit Medien zu stärken. An Beispielprojekten wie Medienscouts, Breakradio, MinecraftEdu und NetKids Pankow wird dies anschaulich erläutert.1
Anmerkung 1 Olivier Steiner und Rahel Heeg gehen im ersten Artikel der Rubrik spektrum auf die Förderung von Medienkompetenzen durch Peer-Involvement im Allgemeinen ein.
Literatur:
Apple Inc. (2015). Das iPad im Unterricht. www.apple.com/de/education/ipad [Zugriff: 11.01.2016].
Cuban, Larry (2001). Oversold and underused. Computers in the classroom. Cambridge (MA), London. Harvard University Press.
Beitrag aus Heft »2016/01: schule. smart. mobil«
Autor: Stefan Welling, Marion Brüggemann, Günther Anfang
Beitrag als PDFEinzelansichtRudolf Kammerl: Digitalisierung, Digitales Lernen, Digitale Bildung?
Mehr Digitales Lernen an Schulen? Durch das schlechte Abschneiden in internationalen Vergleichsstudien steigt der Druck auf Schulen in Deutschland, digitale Medien im Unterricht besser zu integrieren. Aber worin liegt der Mehrwert einer Integration digitaler Medien? Lernen Schülerinnen und Schüler wirklich besser, lernen sie anders oder etwas anderes? Anhand aktueller Befunde und Vorstöße wird der Nutzen für die schulische Medienbildung an allgemeinbildenden Schulen diskutiert.
Literatur:
Bos, Wilfried/Lorenz, Ramona/Endberg, Manuela/ Schaumburg, Heike/Schulz-Zander, Renate/Senkbeil, Martin (2015). Schule digital – Der Länderindikator 2015. Schulische Nutzung digitaler Medien im Bundesländervergleich. Münster: Waxmann.
Eickelmann, Birgit/Gerick, Julia/Bos, Wilfried (2014). Die Studie ICILS 2013 im Überblick – Zentrale Ergebnisse und Entwicklungsperspektiven. In: Bos, Wilfried/Eickelmann, Birgit/Gerick, Julia/Goldhammer, Frank/Schaumburg, Heike/Schwippert, Knut/Senkbeil, Martin/Schulz- Zander, Renate/Wendt, Heike (Hrsg.) (2014), ICILS 2013. Computer- und informationsbezogene Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern in der 8. Jahrgangsstufe im internationalen Vergleich. Münster/New York: Waxmann, S. 9–32.
Frau-Meigs, Divina (2015). Après les attentats de Paris, l’importance de l’éducation aux médias et à l’information. theconversation.com/apres-les-attentats-de-paris- limportance-de-leducation-aux-medias-et-a-linformation- 51298 [Zugriff: 06.12.2015].
Friedmann, Jan (2014). Jeder fünfte Schüler kann nicht mit Comptern umgehen. www.spiegel.de/schulspiegel/ wissen/iclis-studie-zu-computer-faehigkeiten-deutschland- hinkt-hinterher-a-1004079-druck.html [Zugriff: 10.12.2015].
Herzig, Bardo (2014). Wie wirksam sind digitale Medien im Unterricht? Gütersloh: Bertelsmann Stiftung. Kammerl, Rudolf (2014). Bildungsforschung und Medienpädagogik. Mediatisierung und Institutionalisierung medienbezogener Bildungsangebote aus der Perspektive ihrer Bezugs-Disziplin(en). In: merzWissenschaft, 58 (6), S. 94–103.
Kammerl, Rudolf/Unger, Alexander (2015). „Start in die nächste Generation“ – Ein BYOD-Pilotprojekt an sechs Hamburger Schulen. In: Computer + Unterricht, 25 (99) S. 33–35.
OECD (2015). Students, Computers and Learning: Making the Connection, PISA, OECD Publishing. www.dx.doi. org/10.1787/9789264239555-en [Zugriff: 06.12.2015].
Stefan Welling: Besser lernen mit Tablets?
Eine 1:1-Ausstattung aller Schülerinnen und Schüler mit Tablets wird häufig als geeignete Möglichkeit gesehen, Medienkompetenzförderung und Lernprozesse deutlich zu verbessern. Diese Annahme wird anhand internationaler empirischer Untersuchungen kritisch betrachtet. Auf dieser Grundlage wird abschließend ein kursorisches Resümee der Betrachtung für die weitere Ausgestaltung des Lernens mit Tablets innerhalb des hiesigen Bildungssystems gezogen.
Literatur:
Autorengruppe Paducation (2015). Paducation. Evaluation eines Modellversuchs mit Tablets am Hamburger Kurt- Körber Gymnasium. Bremen/Hamburg: Institut für Informationsmanagement Bremen GmbH, Universität Hamburg.
Bos, Wilfired/Eickelmann, Birgit/Gerick, Julia/Goldhammer, Frank/Schaumburg, Heike/Schwippert, Knut/Senkbeil, Martin/ Schulz-Zander, Renate/Wendt, Heike (Hrsg.) (2014). ICILS 2013. Computer- und informationsbezogene Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern in der 8. Jahrgangsstufe im internationalen Vergleich. Münster/New York: Waxmann.
Breiter, Andreas/Aufenanger, Stefan/Averbeck, Ines/Welling, Stefan/Wedjelek, Marc (2013). Medienintegration in Grundschulen. Untersuchung zur Förderung von Medienkompetenz und der unterrichtlichen Mediennutzung in Grundschulen sowie ihrer Rahmenbedingungen in Nordrhein-Westfalen. Berlin: Vistas.
Breiter, Andreas/Welling, Stefan/Stolpmann, Björn Eric (2010). Medienkompetenz in der Schule. Integration von Medien in den weiterführenden Schulen in Nordrhein- Westfalen. Berlin: Vistas.
Brüggemann, Marion (2013). Digitale Medien im Schulalltag. Eine qualitativ rekonstruktive Studie zum Medienhandeln und berufsbezogenen Orientierungen von Lehrkräften. München: kopaed.
Falck, Oliver/Mang, Constantin/Wößmann, Ludger (2015). Virtually No Effect? Different Uses of Classroom Computers and their Effect on Student Achievement. CESifo Working Paper No. 5266. München: Center for Economic Studies, Ifo Institute.
Jahnke, Isa/Svendsen, Niels Vandel/Johansen, Simon Kristoffer/ Zanderr, Pär-Ola (2014a). The Dream About the Magic Silver Bullet: The Complexity of Designing for Tablet-Mediated Learning. Proceedings of the 18th International Conference on Supporting Group Work. Sanibel Island: ACM, pp. 100–110.
Jahnke, Isa/Norqvist, Lars/Olsson, Andreas (2014b). Digital Didactical Designs of Learning Expeditions. In: Rensing, Christoph/de Freitas, Sara/Ley, Tobias/Muñoz-Merino, PedroJ (Eds.), Open Learning and Teaching in Educational Communities. Wiesbaden: Springer, pp. 165–178.
Norqvist, Lars/Jahnke, Isa/Olsson, Andreas (2014). The Learners’ Expressed Values of Learning in a Media Tablet Learning Culture. In: Rensing, Christoph/de Freitas, Sara/ Ley, Tobias/Muñoz-Merino, PedroJ (Eds.), Open Learning and Teaching in Educational Communities. Wiesbaden: Springer, pp. 458–463.
OECD (2015). Students, Computers and Learning. Making the Connection. PISA, OECD Publishing. www.dx.doi. org/10.1787/9789264239555-en [Zugriff: 02.12.2015] .
Pegrum, Mark (2014). Mobile learning languages, literacies and cultures. Basingstoke: Palgrave Macmillan.
Tamim, Rana M./Borokhovski, Eugene/Pickup, David/Bernard, Robert M. (2015). Large-Scale, Government-Supported Educational Tablet Initiatives. Montréal: Condordia University, Centre for the Study of Learning and Performance.
Welling, Stefan/Stolpmann, Björn Eric (2012). Mobile Computing in der Schule – Zentrale Herausforderungen am Beispiel eines Schulversuchs zur Einführung von Tablet-PCs. In: Schulz-Zander, Renate/ Eickelmann, Birgit/ Moser, Heinz/Niesyto, Horst/Grell, Petra (Hrsg.), Jahrbuch Medienpädagogik 9. Wiesbaden: Springer VS, S. 197–221.
Günther Anfang: Schule als ein Milliardenmarkt für Apple, Microsoft, Samsung & Co.
Tablet-Klassen sind nicht nur modern, sondern auch ein wirtschaftlicher Faktor für Schulen. Große Medienanbieter profitieren von diesem riesigen Markt, der an Schulen nicht immer zu deren Vorteil ausgetragen wird. Günther Anfang, Leiter der Abteilung Praxis des JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis, hat mit Martina Schmerr, Referentin im Vorstandsbereich Schule des Hauptvorstands der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), gesprochen, um Gefahren und Chancen dieser Entwicklung auszuloten.
Literatur:
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (2013). GEW Privatisierungsreport Nr. 15: Propaganda und Produktwerbung. Wie Unternehmen mit kostenlosen Unterrichtsmaterialien Einfluss auf Schulen ausüben. www.gew.de/index.php?eID =dumpFile&t=f&f=24014&token=8e016d2111510301ff25 aff75e7ac0340507fda4&sdownload= [Zugriff: 25.11.2015] .
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (im Erscheinen). „Erfolgreich mit Neuen Medien! – Was bringt das Lernen im Netz?“.
Holland-Letz, Matthias (2015). Einfallstor für Microsoft, Apple und Co. In: E&W Erziehung und Wissenschaft, 10. www.gew.de/zeitschriften/eundw/aktuelles/detailseite/ neuigkeiten/ew-102015-digitale-bildung-auf-den-mehrwert- kommt-es-an [Zugriff: 25.11.2015].
www.gew.de/schule/medienbildung [Zugriff: 25.11.2015].
Marion Brüggemann: Aspekte medienbezogener Schulentwicklung bei der Einführung von Tablets
Die Einführung von Tablets an Schulen ist ein komplexer Innovationsprozess, der auf den Ebenen der Lehr-Lernprozesse, der Organisations- und Kommunikationsstrukturen, der technischen Entwicklung und auf der Ebene des Selbst- und Aufgabenverständnisses der Lehrkräfte sowie der gesamten Schule bzw. ihrer Akteurinnen und Akteure angesiedelt ist. Das heißt, ein Mehrwert von Tablets für die schulische Bildung kann nur erzielt werden, wenn ihre Nutzung in Prozesse der schulischen Organisationsentwicklung eingebettet wird.
Literatur:
Autorengruppe Paducation (2014). Paducation – Evaluation eines Modellversuchs mit Tablets am Hamburger Kurt-Körber-Gymnasium Hamburg. www.kurt-koerbergymnasium.de/wp-content/uploads/2015/04/paducation_ bericht.pdf [Zugriff: 09.12.2015].
Bohl, Thorsten/Helsper, Werner/Holtappels, Heinz Günter/ Schelle, Carla (Hrsg.) (2010). Handbuch Schulentwicklung: Theorie, Forschungsbefunde, Entwicklungsprozesse, Methodenrepertoire. Bad Heilbrunn: Klinkhardt UTB.
Breiter, Andreas (2015). Mobiles Lernen mit Tablets – Was können wir von anderen Ländern lernen? Fachtagung „Mobiles Lernen mit Tablets“ www.ifib.de/publikationsdateien/151019- Vortrag_Esslingen_Breiter_final.pdf [Zugriff: 21.11.2015].
Breiter, Andreas/Welling, Stefan/Stolpmann, Björn-Eric (2010). Medienkompetenz in der Schule, Integration von Medien in den weiterführenden Schulen in Nordrhein- Westfalen. Berlin: Vistas.
Brüggemann, Marion (2013). Digitale Medien im Schulalltag. Eine qualitativ-rekonstruktive Studie zum Medienhandeln und berufsbezogenen Orientierungen von Lehrkräften. München: kopaed.
Dalin, Per/Rolff, Hans-Günter/Buchen, Herbert (1995). Institutioneller Schulentwicklungs-Prozeß: ein Handbuch. Bönen: Kettler.
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Fullan, Michael (2007). The new meaning of educational change. New York: Teachers College Press.
GEO (2014). Digital macht schlau! So nutzen Eltern ud Lehrer die neuen Chancen. 12/14.
Knoke, Andreas/Durdel, Anja (Hrsg.) (2011). Steuerung im Bildungswesen: zur Zusammenarbeit von Ministerien, Schulaufsicht und Schulleitungen. Wiesbaden: VS Verlag.
Rolff, Hans Günter (2010). Schulentwicklung als Trias von Organisations-, Unterrichts- und Personalentwicklung. In: Bohl, Thorsten/Helsper, Werner/Holtappels, Heinz Günter/ Schelle, Carla (Hrsg.), Handbuch Schulentwicklung: Theorie, Forschungsbefunde, Entwicklungsprozesse, Methodenrepertoire. Bad Heilbrunn: Klinkhardt UTB, S. 29–36.
Schiefner-Rohs, Mandy/Heinen, Richard/Kerres, Michael (2013). Private Computer in der Schule: Zwischen schulischer Infrastruktur und Schulentwicklung. www.medienpaed. com/globalassets/medienpaed/2013/schiefnerrohs1304. pdf [Zugriff: 09.12.2015].
Stolpmann, Björn Eric/Welling, Stefan/Meyer, Michaela (2015). Dokumentation des Tabletprojektes des Wetteraukreises „Aufbau einer Modellschule und Best Practise Beispiel für den Einsatz von Tablet-Computern in Grundschulen des Wetteraukreises“. Bremen ifib consult. www.ifib.de/publikationsdateien/dokumentation_tabletprojekt_ wetteraukreis.pdf [Zugriff: 10.11.2015].
TabletBS (2015). TabletBS: Einsatz von Tablets im Unterricht an Beruflichen Schulen. www.schule-bw.de/unterricht/ tablet_projekt [Zugriff: 20.11.2015].
Beitrag aus Heft »2016/01: schule. smart. mobil«
Autor: Marion Brüggemann
Beitrag als PDFEinzelansichtThomas Knaus: Potentiale des Digitalen
Wird mit Tablets in der Schule nur rezipiert und recherchiert, bleiben Potentiale digitaler Medien ungenutzt. Ausgehend von einem interaktionistisch-konstruktivistischen Verständnis von Lernen werden aus lernpsychologischer und allgemeinpädagogischer Perspektive Voraussetzungen nachhaltigen und motivierenden Lernens identifiziert. Diese Kriterien dienen der knappen vergleichenden kommunikationswissenschaftlichen Analyse zweier Unterrichtsmedien: Schulheft und Tablet. In dieser Gegenüberstellung offenbaren sich zwei konzeptionelle Potentiale des Digitalen.
Literatur:
Böhme, Jeanette (2006). Schule am Ende der Buchkultur. Medientheoretische Begründungen schulischer Bildungsarchitekturen. Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt. CTGV – Cognition and Technology Group at Vanderbilt (1993). Anchored Instruction and Situated Cognition Revisited. Educational Technology, S. 52–70.
Deci, Edward L./Ryan, Richard M. (1993). Die Selbstbestimmungstheorie der Motivation und ihre Bedeutung für die Pädagogik. In: Zeitschrift für Pädagogik, 39 (2), S. 223–239.
Glasersfeld, Ernst von (1997). Radikaler Konstruktivismus. Ideen, Ergebnisse, Probleme. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Kant, Immanuel (1960). Über Pädagogik. Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt.
Keil, Reinhard (2006). Zur Rolle interaktiver Medien in der Bildung. In: Keil, Reinhard/Schubert, Detlef (Hrsg.), Lernstätten im Wandel. Innovation und Alltag in der Bildung. Münster: Waxmann, S. 59–77.
Kittler, Friedrich (1986). Grammophon Film Typewriter. Berlin: Brinkmann & Bose.
Knaus, Thomas (2015). Me, my Tablet – and Us. Vom Mythos eines Motivationsgenerators zum vernetzten Lernwerkzeug. In: Friedrich, Katja/Siller, Friederike/Treber, Albert (Hrsg.), smart und mobil. Digitale Kommunikation als Herausforderung für Bildung, Pädagogik und Politik. München: kopaed, S. 17–42.
Knaus, Thomas/Engel, Olga (2015). (Auch) auf das Werkzeug kommt es an – Technikhistorische und techniktheoretische Annäherungen an den Werkzeugbegriff in der Medienpädagogik. In: Knaus, Thomas/Engel, Olga (Hrsg.), fraMediale. digitale Medien in Bildungseinrichtungen [Band 4]. München: kopaed, S. 15–57.
Knaus, Thomas (2013). Technik stört! Lernen mit digitalen Medien in interaktionistisch-konstruktivistischer Perspektive. In: Knaus, Thomas/Engel, Olga (Hrsg.), fraMediale. digitale Medien in Bildungseinrichtungen [Band 3]. München: kopaed, S. 21–60.
Petko, Dominik (2012). Hemmende und förderliche Faktoren des Einsatzes digitaler Medien im Unterricht: Empirische Befunde und forschungsmethodische Probleme. In: Schulz-Zander, Renate/Eickelmann, Birgit/Moser, Heinz/ Niesyto, Horst/Grell, Petra (Hrsg.), Qualitätsentwicklung in der Schule und medienpädagogische Professionalisierung. Wiesbaden: VS Verlag, S. 29–50.
Piaget, Jean (1973). Einführung in die genetische Erkenntnistheorie. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Valentin, Katrin (2015). Video-Tutorials. Eine Handreichung für pädagogische Fachkräfte an Schulen und in der Kinder- und Jugendarbeit. www.paed2.phil.uni-erlangen. de/handreichung-video-tutorials.pdf [Zugriff: 15.11.2015].
Wygotski, Lew S. (2002). Denken und Sprechen. Weinheim/ Basel: Beltz.
Gisela Schubert und Kerstin Heinemann: Culture-Clash. Peer-Involvement in der Schule
Peer-Involvement bedeutet mehr als ein paar zusätzliche Methoden. Doch wie kann dieser Ansatz in der Schule gelingen? Welche Stolpersteine gibt es? Welche Erfahrungen wurden in der medienpädagogischen Arbeit im Kontext Schule damit bereits gemacht? Diese Fragen werden auf Basis der Evaluationsergebnisse des Förderprogramms „peer³ – fördern_ vernetzen_qualifizieren“ beleuchtet.
Literatur:
Kessl, Fabian/Reutlinger, Christian (2010). (Sozial)Raum – ein Bestimmungsversuch. In: Kessl, Fabian/Reutlinger, Christian (Hrsg.), Sozialraum. Eine Einführung. 2. durchgesehene Auflage. Wiesbaden: VS Verlag, S. 21–38.
Steiner, Olivier/Heeg, Rahel (2015). Evaluation Projekte Peer Education/Peer Tutoring zur Förderung von Medienkompetenzen. BAND I: Anlage der Evaluation und Ergebnisse der übergreifenden Analyse. www.jugendundmedien.ch/de/aktuell/ aktuell-meldungen/details/news/594-bericht-zum-potenzial- von-peer-education-peer-tutoring-zur-foerderung-von- medie.html?cHash=ac423aa7f43f53fa70a50a1f9e5c18 de [Zugriff: 02.12.2015].
Beitrag aus Heft »2016/01: schule. smart. mobil«
Autor: Gisela Schubert, Kerstin Heinemann
Beitrag als PDFEinzelansichtSchule als ein Milliardenmarkt für Apple, Microsoft, Samsung & Co.
Tablet-Klassen sind nicht nur modern, sondern auch ein wirtschaftlicher Faktor für Schulen. Große Medienanbieter profitieren von diesem riesigen Markt, der an Schulen nicht immer zu deren Vorteil ausgetragen wird. Günther Anfang, Leiter der Abteilung Praxis des JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis, hat mit Martina Schmerr, Referentin im Vorstandsbereich Schule des Hauptvorstands der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), gesprochen, um Gefahren und Chancen dieser Entwicklung auszuloten.
merz: Microsoft, Apple, Samsung und Co. sind alle an Schulen unterwegs und sponsern dort auf vielfältige Art und Weise deren technische Ausstattung. Welche Initiativen von Seiten der Industrie gibt es denn an Schulen?
Schmerr. Da gibt es einige. Schulen sind ein Milliardenmarkt, wenn man die Ausstattung im Blick hat. Gut beobachtbar ist, dass vor allem die beiden großen Anbieter, Microsoft und Apple, um die Marktführung an Schulen ringen, indem sie Fortbildungen für Lehrkräfte oder auch kostenfreie bzw. günstige Hardware sowie die entsprechenden Produkte oder Programme anbieten. Apple zum Beispiel bietet in seinem Store Materialien für den Unterricht in Mathematik oder Geschichte an. Google führt das Programm Certified teachers durch, welches zum Ziel hat, den Einsatz seiner Apps und Schulangebote zu fördern. Microsoft hat eine ähnlich klingende Initiative, die sogenannten Expert Educators. Außerdem laden sie zu Fortbildungen oder Kongressen ein, die durchaus in Nobelhotels fernab der deutschen Grenze stattfinden, beispielsweise in Barcelona. Apple ermuntert weiter weltweit Lehrkräfte, sich zu sogenannten Apple Distinguished Educators ausbilden zu lassen, um anschließend als Botschafter für Apple und dessen Produkte in Schulen oder auf Kongressen Werbung zu machen. Das lenkt mittlerweile auch die kritischen Blicke von Fachleuten auf diese Programme, weil darin durchaus ein Verstoß gegen das Neutralitätsgebot, gegen das Beamtenrecht oder die Anitkorruptionsrichtlinie gesehen werden kann.
merz: Das Lernen mit Tablets wird häufig synonym mit dem Lernen mit iPads bezeichnet – und Apple tut einiges, um seine Marktmacht zu behaupten und auszubauen. Wie bewerten Sie die Rolle dieses Unternehmens im Bildungsbereich?
Schmerr: Das Unternehmen ist sehr agil, nachdem es vor einigen Jahren negativ aufgefallen war. Was Datenschutz, Nutzerrechte und Privatsphärenschutz betrifft, hat Apple sich mittlerweile verbessert. Das ist erstmal positiv zu bewerten. Aber nicht zuletzt wird dadurch deutlich, dass heutzutage der Schutz der Privatsphäre durchaus ein Verkaufsargument ist. Apple profiliert sich deshalb so, um sich jetzt von beispielsweise Google oder Facebook weiter abzugrenzen. Außerdem hat man den Eindruck, dass Apple genau dann Charme23 merz thema offensiven oder Ausstattungswellen anstößt, wenn eine Gerätegeneration verramscht werden soll, weil die nächste Version des Tablets in Produktion ist. Das Problematische ist aber – das betrifft nicht nur diesen Konzern –, dass Schüler, wenn ihre Schulen Apple-Geräte anschaffen, nur mit dieser Marke vertraut werden; selbiges gilt für Microsoft und die Anwendungen unter Windows. Das heißt, derjenige, der den Fuß in die Schultür bekommt, gewinnt die Kunden von morgen. Das muss im Schulbereich zumindest kritisch gesehen werden.
merz: Wie sieht denn so ein Sponsoring konkret aus?
Schmerr: Die Anbieter – nicht nur die Technologiefirmen – stellen vergünstigt oder auch kostenfrei Technik, Software oder Schulungen zur Verfügung. Sie schließen zum Teil auch Verträge mit einzelnen Schulen ab oder gehen eine sogenannte Lernpartnerschaft ein. Meist geschieht das nicht immer offen, dennoch sind damit in der Regel aber Gegenleistungen verbunden. Das heißt, dass sich eine Schule auf die Produkte eines Sponsors festlegt – dies geschieht automatisch, wenn diese Tablets anschafft – und damit auch auf dessen Angebot im zugehörigen App-Store. Teilweise wurde und wird auch versucht, die Daten von Schülern und Lehrkräften zu sammeln, um deren Nutzerprofile erfassen oder sie als Kunden besser durchleuchten zu können. Es gibt heutzutage keinen Überblick mehr darüber, auf was sich einzelne Schulen jeweils einlassen. Die Kultusministerien wiederum fühlen sich nicht mehr verantwortlich. Sie haben in den letzten Jahren vielmehr in großer Zahl die Sponsoring-Bedingungen für Schulen gelockert und die Selbstständigkeit von Schulen sehr stark erhöht – heute mündet das in einer organisierten Verantwortungslosigkeit.
merz: Inwieweit ist dann die Unabhängigkeit der Schule in Gefahr?
Schmerr: Sie ist es, da sich Schulen mitunter über Jahre an einen bestimmen Anbieter binden und damit die Kaufentscheidungen von Schülern unter Umständen stark beeinflussen. Ich verweise auch nochmal auf die Lehrerfortbildungen, die zum Teil in Fünf-Sterne-Hotels stattfinden, und damit auch die Neutralität der Lehrkräfte vermutlich nicht mehr vollständig gewährleisten. Verantwortlichen Personen an Schulen muss daher bewusst sein, dass sie durch die Bindung an einen Anbieter der Kommerzialisierung von Schule Vorschub leisten, auch wenn sie dem im ersten Moment nicht entkommen können. Sie sollten aber dennoch versuchen, ihre Entscheidungen frei zu treffen, bevor sie sich für Jahre an einen Anbieter binden, da ein Neutralitätsgebot für den öffentlichen Schulbereich existiert. Eine Möglichkeit wäre beispielweise, mit mehreren Anbietern zusammenzuarbeiten oder bei der Betriebssoftware über Linux oder andere Open Source-Programme nachzudenken. Das sollte innerhalb einer jeden Schule auch offen kommuniziert und diskutiert werden. Auch könnte dies zum Unterrichtsthema werden, um Schüler an diese ökonomischen und kommerziellen Dimensionen heranzuführen.
merz: Immer häufiger stellen Firmen Unterrichtsmaterialien zum kostenfreien Download im Internet zur Verfügung. Wie sieht es da hinsichtlich der Qualität der Materialien und der versteckten Einflussnahme der Firmen auf die Inhalte aus?
Schmerr: Hier konnte in den letzten zehn bis 15 Jahren ein großer Anstieg verzeichnet werden. An der Universität Augsburg wurde untersucht, wie viele freie Unterrichtsmaterialien im Internet zu finden sind: 800.000 oder mehr. Man kann beobachten, ohne dass es weitere empirische Daten dazu gibt, dass Schulen immer mehr zum Feld von Lobbyisten werden, die auch dadurch auffallen, dass sie zum Beispiel Greenwashing betreiben. Energieunternehmen, Banken und Versicherungsdienstleister bringen sich mit ins Spiel. Es werden immer wieder Fälle bekannt, bei denen anstößige oder auch weltanschaulich fragwürdige Materialien in Schulen geschickt werden. Zu diesem Ergebnis ist auch der Materialkompass derVerbraucherzentrale Bundesverband e. V. gekommen, der besonders den Materialien von Privatunternehmen Mängel bescheinigt. Auch Markenartikel- oder Süßwarenhersteller gehen zum Teil sehr platt und werbemäßig auf Schüler zu. Werden die Kultusministerien darauf hingewiesen, wie stark diese Einflussnahme privater Art schon geworden ist, was die Gewerkschaften GEW und DGB bereits getan haben, dann erntet man mittlerweile Schulterzucken oder das optimistische Credo ‚Die Schulen, die machen das schon‘. Unsere Forderungen nach einer öffentlichen Prüfstelle sind hingegen auf Ablehnung gestoßen.
merz: Folglich könnte man sagen: Mehr Angebote bedeuten mehr Chancen oder mehr Gefahren. Wer gewinnt denn Ihrer Ansicht nach, die Chancen oder die Gefahren?
Schmerr: Das lässt sich nicht sagen, da es bestimmte Gefahren gibt, die uns heute erst deutlich werden und Chancen, über die wir in der heutigen Zeit besser Bescheid wissen als früher. Ich glaube, die Schule kann sich nicht abschotten und sagen ‚Wir machen da nicht mit‘, um den Gefahren nicht zu erliegen. Sie muss digitale Lernräume eröffnen und Kinder und Jugendliche darin begleiten. Ich bin aber sehr skeptisch, was die Hoffnungen oder die Euphorie betrifft, dass sich dadurch die Lernprozesse oder -ergebnisse verbessern würden. Schulen sollen versuchen, die Chancen möglichst gut zu nutzen und die Gefahren möglichst gut zu minimieren bzw. zu umgehen. Bezüglich der Gefahren würden wir uns allerdings auch etwas mehr Verantwortung der öffentlichen Hand wünschen. Dazu drei Stichworte: Beim Thema Datenschutz ist die USA im Schulbereich weiter als Deutschland und verbietet zum Beispiel an Schulen, dass Kinder auf Seiten unterwegs sind, wo sie getrackt werden, also ihr Handeln nachverfolgt wird. Zweitens bräuchten Lehrkräfte mehr Rechtssicherheit, da sie sich manchmal am Rande der Legalität bewegen, weil Digitalmedien nicht in dem Ausmaß geregelt sind wie konventionelle Printmedien. Drittens: Den Gefahren, denen Kinder und Jugendliche im Internet ausgesetzt sind, begegnet man am besten, indem man eine gute medienpädagogische Grundbildung an Schulen vermittelt.
merz. Was planen denn Microsoft, Apple und Co. für die nächsten Jahre?
Schmerr: Ich habe den Eindruck, dass alle großen Player an Werkzeugen oder Szenarien für den Bildungsbereich basteln, weil das einfach noch ein riesengroßer, unausgeschöpfter Markt ist. Kürzlich hat auch die Bertelsmann Stiftung verlautbart, dass sie einen Schwerpunkt auf digitale Bildung setzen möchte. In diesem Bereich wittern sie sehr viel Potenzial. Außerdem haben wir gehört, dass Microsoft zum Beispiel an virtuellen Klassenzimmern arbeitet, in welchen Schüler wie auch Lehrkräfte als Avatare aufeinandertreffen, oder auch an Headsets, die die Lernströme bei Schülern während des Lernprozesses messen, um ihre E-Learning-Produkte weiterentwickeln zu können. Das bereitet natürlich Datenschutz- oder auch Persönlichkeitsschutzprobleme. Hier versuchen die Lobbyisten bereits gesetzliche Grundlagen zu deregulieren. Auch Google ist aktiv, da die Firma beispielweise mit ihrer Hightech-Brille Google Glass nun auch Schulen ins Visier nimmt.
merz: Zum Schluss ein Blick in die Zukunft: Welchen Stellenwert sollten Medien in der Schule Ihrer Ansicht nach haben?
Schmerr: Medien haben bereits einen recht hohen Stellenwert, was positiv zu bewerten ist. Ich denke, sie sollten viel selbstverständlicher ein Teil von Bildungsprozessen sein und nicht nur als Präsentations- oder Unterrichtsgegenstand, sondern auch als eine Chance für das Lernen über oder auch mit Medien gesehen werden. Ebenso beinhalten sie das Potenzial für Chancengleichheit, für emanzipatorische Prozesse oder für mehr Teilhabe von Kindern. Die Euphorie bezüglich der Lernergebnisse beim Medienlernen teile ich nicht. Die letzte PISA-Auswertung der OECD, die im September 2015 veröffentlicht worden ist, hat gezeigt, dass Schulen, die besonders gut ausgestattet sind, keine positiveren Lernergebnisse erzielen als andere. Am besten haben die Schulen abgeschnitten, die mittelprächtig ausgestattet sind. Auch das muss zur Kenntnis genommen werden, um nicht zu viel Hoffnung damit zu verknüpfen. Aber ich glaube, dass die Potenziale im Schulbereich noch nicht ausgeschöpft sind. Um diese auszuschöpfen, das ist ein Thema für die GEW, sind Themen wie Ausstattung und Veränderung von Lernprozessen sehr wichtig, aber allem voran die Ausbildung von Lehrkräften.
Das Interview führte Günther Anfang. Martina Schmerr arbeitet als Referentin im Vorstandsbereich Schule des Hauptvorstands der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Nach ihrem Studium der Germanistik, Pädagogik, Filmwissenschaft und Politik arbeitete sie zuvor unter anderem als Medienpädagogin und Jugendbildungsreferentin. Neben einer breiten Palette schulpolitischer Themen gehören zu ihren Arbeitsschwerpunkten bei der GEW auch Medienbildung an Schulen sowie Ökonomische Bildung, Privatisierung und Lobbyismus im Schulbereich. www.gew.de/schule
Literatur:
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (2013). GEW Privatisierungsreport Nr. 15: Propaganda und Produktwerbung. Wie Unternehmen mit kostenlosen Unterrichtsmaterialien Einfluss auf Schulen ausüben.www.gew.de/index.php?eID =dumpFile&t=f&f=24014&token=8e016d2111510301ff25 aff75e7ac0340507fda4&sdownload= [Zugriff: 25.11.2015].
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (im Erscheinen). „Erfolgreich mit Neuen Medien! – Was bringt das Lernen im Netz?“.
Holland-Letz, Matthias (2015). Einfallstor für Microsoft, Apple und Co. In: E&W Erziehung und Wissenschaft, 10. www.gew.de/zeitschriften/eundw/aktuelles/detailseite/ neuigkeiten/ew-102015-digitale-bildung-auf-den-mehrwert- kommt-es-an [Zugriff: 25.11.2015].
www.gew.de/schule/medienbildung [Zugriff: 25.11.2015].
spektrum
Olivier Steiner und Rahel Heeg: Peer-Involvement zur Förderung von Medienkompetenzen
Peers und Peergroups gewinnen im Jugendalter für die Sozialisation und damit auch der Medien-(Selbst-)Sozialisation hohe Bedeutung. Es scheint also naheliegend und vielversprechend, Peers und Peergroups bei Ansätzen zur Förderung von Medienkompetenzen zu berücksichtigen. Hier setzten die Projekte „Peer Education und Peer Tutoring zur Förderung von Medienkompetenzen Jugendlicher" an.
Literatur:
Damon, William (1984). Peer education: The untapped potential. In: Journal of Applied Developmental Psychology, 5 (4). S. 331–343.
Demmler, Kathrin/Heinemann, Kerstin/Schubert, Gisela/ Wagner, Ulrike (2012). Expertise: Peer-to-Peer-Konzepte in der medienpädagogischen Arbeit. München: JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis.
Frankham, Jo (1998). Peer Education: the unauthorised version. In: British Educational Research Journal, 24 (2), S. 179–193.
Jörissen, Benjamin/Marotzki, Winfried (2010). Medienbildung in der digitalen Jugendkultur. In: Hugger, Kai-Uwe (Hrsg.), Digitale Jugendkulturen. Wiesbaden: VS Verlag, S. 103–117.
Lange, Andreas/Theunert, Helga (2008). Jugendliche Medienkulturen als (Selbst-)Sozialisationsinstanz – Einführung in den Themenschwerpunkt. In: Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation, 28 (3), S. 228–230.
Lutz, Klaus/Rösch, Eike/Seitz, Daniel (Hrsg.) (2012). Partizipation und Engagement im Netz. Neue Chancen für Demokratie und Medienpädagogik. München: kopaed.
Moser, Heinz (2010). Die Medienkompetenz und die ‚neue‘ erziehungswissenschaftliche Kompetenzdiskussion. In: Herzig, Bardo/Meister, Dorothee M./Moser, Heinz/Niesyto, Horst (Hrsg.), Jahrbuch Medienpädagogik 8. Medienkomeptenz und Web 2.0. Wiesbaden: VS Verlag, S. 59–79.
Neumann-Braun, Klaus/Kleinschnittger, Vanessa (2012). Peer Education und Medienkompetenzförderung. In: Soziale Sicherheit CHSS, 4, S. 231–235.
Nörber, Martin (2003). Peers und Peer Education. Vorwort. In: Nörber, Martin (Hrsg.), Peer Education. Bildung und Erziehung von Gleichaltrigen für Gleichaltrige. Weinheim: Beltz, S. 9–15.
Shiner, Michael (1999). Defining peer education. In: Journal of Adolescence, 22 (4), S. 555–566.
Steiner, Olivier/Goldoni, Marc (Hrsg.) (2013). Kinderund Jugendarbeit 2.0. Grundlagen, Konzepte und Praxis medienbezogener Sozialer Arbeit. Weinheim: Juventa.
Topping, Keith/Ehly, Stewart (1998). Peer-assisted learning. Mahwah: Lawrence Erlbaum.
Beitrag aus Heft »2016/01: schule. smart. mobil«
Autor: Olivier Steiner
Beitrag als PDFEinzelansichtBernhard Debatin: Welche Werte vermitteln digitale Medien Heranwachsenden?
Nicht die durch Medien kommunizierten Inhalte werden untersucht, sondern die Wertvermittlung durch die Medientechnologie selbst, vor allem die instrumentellen Werte Verfügbarkeit und Konnektivität, die sich in der Mediennutzung ebenso mitteilen wie die Erfahrung der Inferiorität und Überwältigung durch mangelnde Kontrollmöglichkeiten. Neben verstärkter individueller Medienkompetenz kann vor allem ein gesellschaftliches Verständnis von Media Literacy Auswege bieten.
Literatur:
Anders, Günter (1961). Die Antiquiertheit des Menschen. Band 1. München: Beck.
Baacke, Dieter (1999). Medienkompetenz als zentrales Operationsfeld von Projekten. In: Baacke, Dieter/ Kornblum, Susanne/Lauffer, Jürgen/Mikos, Lothar/Thiele, Günther A. (Hrsg.), Handbuch Medien: Medienkompetenz. Modelle und Projekte. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, S. 31–35.
Bauer, Thomas A. (2014). Kommunikation wissenschaftlich denken. Perspektiven einer kontextuellen Theorie gesellschaftlicher Verständigung. Wien/Köln/Weimar: böhlau.
Berriman, Liam/Thomson, Rachel (2015). Spectacles of intimacy? Mapping the moral landscape of teenage social media. In: Journal of Youth Studies, 18 (5), pp. 583–597.
Bitkom (2014). Jung und Vernetzt: Kinder in der digitalen Gesellschaft. Berlin. www.bitkom.org/Publikationen/ 2014/Studien/Jung-und-vernetzt-Kinder-und-Jugendliche- in-der-digitalen-Gesellschaft/BITKOM_Studie_ Jung_und_vernetzt_2014.pdf [Zugriff: 25.11.2015]
Döring, Nicole (2014). Consensual sexting among adolescents: risk prevention through abstinence education or safer sexting? In: Cyberpsychology: Journal of Psychosocial Research on Cyberspace, 8 (1). www.cyberpsychology. eu/view.php?cisloclanku=2014031401&article=9 [Zugriff: 25.11.2015].
Elofson, Matt (2014). New Digital Media: A Contemporary “Eternal Fear.” In: The Journal of Youth Ministry, 12, pp. 33–51.
Hugger, Kai-Uwe/Tillmann, Angela/Bader, Julia/Cwielong, Ilona/Kratzer, Verena (2013). Kids Mobile Gaming: Mobiles Spielen bei Kindern im Alter von 6 bis 13 Jahren. www.th-koeln.de/mam/downloads/deutsch/hochschule/ fakultaeten/f01/007_diskurs2_2013_huhugg_tillmann_ ua_04_06_2013.pdf [Zugriff: 21.12.2015]
Roszak, Theodore (1986). Der Verlust des Denkens. Über die Mythen des Computer-Zeitalters. München: Droemer & Knaur. Statista (2015). Mediennutzung von Jugendlichen – Statista-Dossier. www.de.statista.com/statistik/studie/ id/27166/dokument/mediennutzung-von-jugendlichenstatista- dossier [Zugriff: 25.11.2015].
Turkle, Sherry (2011). Alone together: Why we expect more from technology and less from each other. New York: Basic Books.
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Elke Hemminger: Zwischen Kult und Kommerz. iPeople als technikfokussierte Szene
Für viele Menschen stehen der Technologiekonzern Apple, seine Produkte und die Person Steve Jobs für Innovation, Kreativität, Ästhetik und das Gefühl, gegen den Strom zu schwimmen. Mit Hilfe von Daten eines Studierendenprojekts wird eine erste Beschreibung der sogenannten iPeople als technikfokussierte Szene im Sinne einer posttraditionalen Vergemeinschaftung unternommen.
Literatur:
Hitzler, Ronald/Honer, Anne/Pfadenhauer, Michaela (Hrsg.) (2009). Posttraditionale Gemeinschaften: Theoretische und ethnografische Erkundungen. Wiesbaden: VS Verlag.
Hitzler, Ronald/Niederbacher, Arne (2010). Leben in Szenen. Formen juveniler Vergemeinschaftung heute. Wiesbaden: VS Verlag.
Honer, Anne (1999). Bausteine zu einer lebensweltorientierten Wissenssoziologie. In: Hitzler, Ronald/Reichertz, Jo/Schröer, Norbert (Hrsg.), Hermeneutische Wissenssoziologie. Konstanz: UVK.
Krotz, Friedrich (2009). Posttraditionale Vergemeinschaftung und mediatisierte Kommunikation. Zum Zusammenhang von sozialem, medialen und kommunikativem Wandel. In: Hitzler, Ronald/Honer, Anne/Pfadenhauer, Michaela (Hrsg.), Posttraditionale Gemeinschaften: Theoretische und ethnografische Erkundungen. Wiesbaden: VS Verlag, S. 151–169.
Krotz, Friedrich/Hepp, Andreas (2012). Mediatisierte Welten. Forschungsfelder und Beschreibungsansätze. Wiesbaden: VS Verlag.
Pfadenhauer, Michaela (2005). Ethnography of Scenes. Towards a Sociological Life-world Analysis of (Post-traditional) Community-building. In: Forum Qualitative Sozialforschung, 6 (3). www.qualitative-research.net/fqstexte/ 3-05/05-3-43-e.htm [Zugriff: 23.10.2015].
Pfadenhauer, Michaela (2008). Markengemeinschaften. Das Brand als ‚Totem’ einer posttraditionalen Gemeinschaft. In: Hitzler, Ronald/Honer, Anne/Pfadenhauer, Michaela (Hrsg.), Posttraditionale Gemeinschaften. Wiesbaden: VS Verlag, S. 214–227.
Pfadenhauer, Michaela (2009). Technikfokussierte Posttraditionale Vergemeinschaftungen: Zum Kulturellen Potential von Konsumgegenständen. In: Teorie vědy/Journal for Theory of Science, Technology, and Communication, 31 (3–4), S. 153–171.
Reichertz, Jo (2012). Die lebensweltliche Ethnografie von Anne Honer. Zum Tode einer Freundin und Kollegin. In: Forum Qualitative Sozialforschung, 13 (2). www.qualitative- research.net/index.php/fqs/article/view/1822/3360 [Zugriff: 19.11.2015]
Alexander Seifert: Internetkompetenzen im Alter
Ältere Menschen nutzen auch heute noch seltener das Internet als jüngere Generationen. Der Internetnutzung stehen zum Teil altersbedingte und persönliche Hemmnisse im Weg. Anhand von Befragungen älterer Schweizerinnen und Schweizer zu ihrer Nutzung bzw. Nichtnutzung des Internets werden Probleme aufgezeigt und präferierte Schulungskonzepte zur Kompetenzaneignung vorgestellt und diskutiert.
Literatur
Bundesamt für Statistik (2014). Informationsgesellschaft – Indikatoren. www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/ 16/04/key/approche_globale.indicator.30103.301. html?open=308#308 [Zugriff 31.07.2015]
Doh, Michael (2011). Heterogenität der Mediennutzung im Alter. München: kopaed.
Doh, Michael/Schmidt, Laura I./Herbolsheimer, Florian/ Jokisch, Mario R./Schoch, Judith/Dutt, Anne J./Rupprecht, Fiona/Wahl, Hans-Werner (2015). Neue Technologien im Alter. Ergebnisbericht zum Forschungsprojekt „FUTA“. Heidelberg: Universität Heidelberg.
Genner, Sarah (2013). Neue Medien – Neue Generationenbeziehungen? Wenn Kinder Senioren am Computer unterrichten. In: merz, 57 (5), S. 51–57.
Lindenberger, Ulman/Lövdén, Martin/Schellenbach, Michael/ Li, Shu-Chen/Krüger, Antonio (2011). Psychologische Kriterien für erfolgreiche Alterstechnologien aus Sicht der Lebensspannenkognition. In: Lindenberger, Ulman/Nehmer, Jürgen/ Steinhagen-Thiessen, Elisabeth/Delius, Julia/ Schellenbach, Michael (Hrsg.), Altern und Technik. Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH, S. 17–33.
Martin, Mike/Kliegel, Matthias (2014). Psychologische Grundlagen der Gerontologie. Stuttgart: Kohlhammer. Mollenkopf, Heidrun/Kaspar, Roman (2004). Technisierte Umwelten als Handlungs- und Erlebensräume älterer Menschen. In: Backes, Gertrud M./Clemens, Wolfgang/ Künemund, Harald (Hrsg.), Lebensformen und Lebensführung im Alter. Wiesbaden: VS Verlag, S. 193–221.
Prensky, Marc (2001). Digital Natives, Digital Immigrants. In: On the horizon, 9 (5), S. 1–6.
Schelling, Hans Rudolf/Seifert, Alexander (2010). Internet- Nutzung im Alter: Gründe der (Nicht-)Nutzung von Informations-und Kommunikationstechnologien (IKT) durch Menschen ab 65 Jahren in der Schweiz. Zürich: Zentrum für Gerontologie.
Seifert, Alexander/Schelling, Hans Rudolf (2015). Digitale Senioren. Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) durch Menschen ab 65 Jahren in der Schweiz. Zürich: Pro Senectute Schweiz. Stadelhofer, Carmen/Marquard, Markus (2004). Seniorinnen und Online-Medien. In: merz, 48 (4), S. 9–17.
Beitrag aus Heft »2016/01: schule. smart. mobil«
Autor: Alexander Seifert
Beitrag als PDFEinzelansichtAnselm Sellen: Überwachung am eigenen Leib erleben
Die Methode MiniLARP (Live Action Role Play) eröffnet die Möglichkeit, Teilnehmende auch für abstrakte Themen ansprechend zu sensibilisieren. Darunter fällt insbesondere auch die Debatte rund um das Stichwort Überwachung, konkret das OER-MiniLARP ‚Register for CTRL‘.
Literatur:
American History Central (o. A.). Benjamin Franklin (1706–1790). www.americanhistorycentral.com/entry. php?rec=469&view=quotes [Zugriff: 10.12.2015].
Herzog, Roman (2015). Der Neoliberalismus, das Internet und wir. Pathologien der Freiheit. www.wdr5.de/sendungen/ dok5/der-neoliberalismus-das-internet-und-wir100. html [Zugriff: 22.01.2016].
Pearl, Mike (2015). At This Danish School, LARPing Is the Future of Education. www.vice.com/read/at-this-danish-schoollarping- is-the-future-of-education-482 [Zugriff: 10.12.2015]
medienreport
Jos Schnurer: Aufklären statt Ausklinken!
Gärtner, Melanie (2015). Grenzen am Horizont. Drei Menschen. Drei Geschichten. Drei Wege nach Europa. Frankfurt: Brandes & Apsel. 190 S., 19,90 €. Gärtner, Melanie (2015). Im Land Dazwischen. Dokumentarfilm, DVD, 57 Min., 14,90 €.
Je nach Einstellung und Stand der individuellen und gesellschaftlichen Aufklärung wird bei der Flüchtlingsthematik entweder argumentiert, Deutschland sei kein (klassisches) Einwanderungsland oder es wird ein Einwanderungsgesetz für Deutschland gefordert, mit dem (scheinbar) die wesentlichen Probleme aus der Welt geschafft werden könnten. Die Auseinandersetzungen bewirken zudem, dass sich eine antidemokratische, fremdenfeindliche und rassistische Stimmung verbreitet, die die jahrzehntelangen, gesellschaftlichen Bemühungen zur Verwirklichung einer globalen Ethik gefährden. Die Autorin und Filmemacherin Melanie Gärtner bemüht sich darum, mit ihren Berichten und Dokumentationen Verständnis für die Menschen zu wecken, die sich auf der Flucht befinden. Sie spürt den Gründen nach, die Menschen dazu veranlassen, auf unsicheren, entbehrungsreichen, langwierigen und kostspieligen Wegen – nicht selten unter Lebensgefahr – nach einer besseren Perspektive für ihr Leben zu suchen.
Der harte Weg auf der Flucht
In der Publikation Grenzen am Horizont schildert Gärtner ihre Erfahrungen an den Küsten Marokkos, an denen viele Flüchtlinge aus afrikanischen Ländern ankommen und über die Straße von Gibraltar Europa beinahe zum Greifen nahe sehen – und doch nicht erreichen können. Weil eine offizielle Einreise beinahe ausgeschlossen ist, bleibt den Flüchtlingen nichts anderes übrig, als im Schlauchboot über die stürmische und zudem streng überwachte Meerenge oder über den abgesicherten Grenzzaun in die spanische Exklave Ceuta zu gelangen. Sie erzählt exemplarisch die Geschichte von drei jungen Flüchtlingen: Sekou aus Mali, Babu aus Indien und Cyrille aus Kamerun. Sie verstecken sich vor der Polizei, bauen ihre Nachtlager in Wäldern und im Gestrüpp nahe der Küste auf und versuchen, mit Gelegenheitsarbeiten zu überleben. Sekou stammt aus Kita, einem malischen Dorf. Die fruchtbare Region ermöglichte den Bauern bisher immer eine gute Baumwollernte. Eine Dürre sorgt allerdings dafür, dass vor allem die jungen Männer nach anderen Möglichkeiten suchen müssen, sich selbst und vor allem ihre Großfamilien ernähren zu können. Als es Sekou eines Nachts nach vielen vergeblichen Versuchen gelingt, zusammen mit vier weiteren Flüchtlingen den Grenzzaun in die spanische Exklave Ceuta zu überwinden, muss er feststellen, dass er sich zwischen zwei Grenzen befindet, „hinter ihm der Zaun und Marokko, in das zurückkehren für ihn unvorstellbar [ist], und vor ihm das Meer, die natürliche Grenze zwischen den Kontinenten Afrika und Europa, die ihm auch in Ceuta den Weg [versperrt]“. Auch der junge Inder Babu, den maffiose Schlepper auf gefährlichen Wegen durch die afrikanische Wüste nach Ceuta gebracht haben, fristet mit anderen Flüchtlingen sein Leben im Versteck im Wald.
Etwas Geld zum Überleben verdient er mit illegalen Gelegenheitsarbeiten. Einmal in der Woche ruft er seine Eltern in Indien an und erzählt, wie gut es ihm gehe und dass er zurechtkomme. Seine Familienmitglieder im indischen Punjab sind nicht bettelarm, aber auch nicht wohlhabend. Es geht ihnen besser, wenn jemand aus der Familie etwas Geld nach Hause bringt. Deshalb hatten alle zusammengelegt, um es Babu zu ermöglichen, mit Hilfe von Schlepperorganisationen nach Bamako zu fliegen, um von dort aus über die Sahara nach Europa zu kommen. Cyrille wiederum schlug sich in Kamerun mit einem Kopierservice durchs Leben. Dieser brachte ihm zwar kein geregeltes Einkommen, er konnte davon aber einigermaßen leben. Bei einer Razzia zerstörte allerdings ein Polizist sein Kopiergerät, es kam zu einem Handgemenge und er landete im Gefängnis. Als er einige Tage später fliehen kann, macht er sich auf den Weg in die Fremde – die spanische Küstenwache rettet ihn später aus einem seeuntauglichen Schlauchboot. Während er sich tagsüber als Parkplatzeinweiser ein paar Euro verdient, versucht er nachts, sich zwischen die Gestänge unter LKWs zu klemmen, um so vielleicht in den streng abgeschirmten und bewachten Hafen von Ceuta zu kommen, sich auf einem Schiff verstecken zu können und nach Spanien zu gelangen.
Schicksale als authentische Aufklärungsmittel
Die Bemühungen, ‚Flüchtlinge‘ nicht als globales, anonymes Phänomen sondern als individuelle Schicksale zu betrachten, sind mittlerweile deutlich erkennbar. Es sind Versuche, den Blick auf die Wirklichkeiten von Menschen zu richten, die aus verschiedensten Gründen – wie lokalen und globalen Unsicherheiten – gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen und anderswo, in Europa etwa, Lebensgrundlagen und -perspektiven zu finden. Eine wirksame Möglichkeit, nicht weg-, sondern hinzuschauen: Um nicht Ideologien und Menschenhass auf den Leim zu gehen, sondern sich vielmehr selbst ein Bild zu machen, etwa als Journalistin oder Journalist, Schriftstellerin oder Schriftsteller, Flüchtlingshelferin oder -helfer – und als politisches Lebewesen aufgrund von Vernunftbewusstsein und humanen Fähigkeiten zwischen Gut und Böse unterscheiden zu können. Die Berichte in Grenzen am Horizont werden durch den Dokumentarfilm Im Land Dazwischen veranschaulicht und greifbar gemacht. Die Zuschauenden erhalten Antworten, warum genau Sekou, Babu und Cyrille ihre Heimat verlassen, um im verheißungsvollen Europa hoffentlich ein besseres, perspektivenreicheres Leben führen zu können. Die empathische, wirklichkeitsgetreue Darstellung von drei Fluchtschicksalen, den alltäglichen Nöten und Gefahren, aber auch dem festen Willen der Männer, ein besseres, menschenwürdiges Leben anzustreben, machen Film und Buch zu einem echten Aufklärungsunternehmen gegen die Kakophonien und unzumutbaren und falschen politischen und gesellschaftlichen Signale um die Flüchtlingsproblematik in Europa.
Die Frage danach, wie Menschen in ihrem existentiellen Denken und Tun human agieren und reagieren können und sollen, basiert schließlich auf der Überzeugung, dass der Mensch auch ein lernfähiges Lebewesen ist, darauf angewiesen, den ‚aufrechten Gang‘ nicht nur physisch, sondern auch psychisch und moralisch zu üben (vgl. Bayertz 2012). Mit den Konzepten und Methoden des interkulturellen und globalen Lernens kann es gelingen, ein Weltbild zu erlangen, das Menschlichkeit als oberstes, humanes Streben aufzeigt und leben lässt (vgl. Lang-Wojtasik/Klemm 2012). Die Publikation Grenzen am Horizont und der Dokumentarfilm Im Land dazwischen sind ausgezeichnet geeignet, Diskussionsmaterialien für die schulische und außerschulische Bildungs- und Aufklärungsarbeit zu liefern. Die bewegenden Schicksale der einzelnen Personen bieten eine passende Grundlage, den Versuch zu unternehmen, Grenzen in den Köpfen aufzulösen und eine Öffnung hin zu mehr Menschlichkeit entstehen zu lassen.
Literatur:
Bayertz, Kurt (2012). Der aufrechte Gang. Eine Geschichte des anthropologischen Denkens. München: C. H. Beck. Lang-Wojtasik, Gregor/Klemm, Ulrich (Hrsg.) (2012). Handlexikon Globales Lernen, Münster: Klemm und Oelschläger.
Franziska Busse: Auf der Flucht vor dem roten Leuchten
Nemetschek Stiftung (2015). Utopolis – Aufbruch der Tiere. App für iOS/Android, kostenfrei.
Ein Wolf, eine Spinne, ein Hirschkäfer, ein Eichhörnchen und ein Wildschwein: Sie alle leben friedlich zusammen im Wald, bis eines Tages unerwartet das rote Leuchten ausbricht. Niemand weiß, was genau es ist oder woher es kommt. Die Eule Armin aber, die schon aus ihrer alten Heimat Utopolis fliehen musste, erzählt den anderen Tieren, wie gefährlich es sei. Schnell wird allen klar, dass sie fliehen müssen. An dieser Stelle beginnt die Spiel-App Utopolis − Aufbruch der Tiere: Spielerinnen und Spieler schlüpfen darin in jeweils eine der fünf Tierfiguren und treten einer Spielergruppe bei, mit der sie sich gemeinsam auf die Flucht begeben. Eine Gruppe kann aus 15 oder 25 Personen bestehen, sodass jedes der fünf Tiere darin mehrmals vertreten ist. Da es sich um ein Gemeinschaftsspiel handelt, müssen alle Mitspielenden etwa zur gleichen Zeit online sein. Diese Anforderung wird durch sogenannte Spielrunden gelöst, die immer zu festen Tageszeiten stattfinden und eine bestimmte Stundenanzahl andauern. Beides kann von den Spielenden beim Erstellen einer Spielergruppe selbst festgelegt werden. Ein Spielrundenwechsel findet in der Regel ein- bis zweimal pro Tag statt. Level für Level müssen sich die Waldbewohnerinnen und -bewohner nun vorankämpfen und immer neue Aufgaben erfüllen, um dem Leuchten zu entwischen. In Level 1 muss beispielsweise ein Planwagen fertiggestellt werden, mit dem die Tiere aus dem Wald fliehen können. Im zweiten Level muss ihr Wagen repariert werden – eine bereits viel schwierigere Gemeinschaftsaufgabe.
Der Spieleinstieg gestaltet sich leider etwas langwierig, da viele Funktionen wie die Beschaffung von Nahrung oder der allgemeine Spielablauf in der App selbst nicht erklärt werden. Es ist daher sehr hilfreich, sich vor Spielantritt auf der Webseite in die grundlegenden Anforderungen einzulesen. Diese Anfangsprobleme lösen sich natürlich nach und nach. Positiv ist das zur Verfügung stehende Zeitfenster, welches erlaubt, dass Handlungen sich auch über mehrere Spielrunden erstrecken. Dies ermöglicht beispielsweise, die tierische Spielfigur erst in Spielrunde 2 mit Nahrung zu versorgen. Außerdem können sich die Mitspielenden per Chatfunktion gegenseitig helfen. Schnell wird klar, dass ein erfolgreiches Spiel nur dann zustande kommt, wenn alle Mitspielenden zusammenhalten. Einen Planwagen bauen und reparieren ist nur möglich, wenn alle Tiere an einem Strang ziehen. Auch hat jedes Tier individuelle Fähigkeiten, die in verschiedenen Spielzügen gebraucht werden. So können beispielweise Eichhörnchen Seile herstellen, Spinnen hingegen sind Spezialisten für mystische Essenzen. Bringt sich eine Tierart nicht ein, haben alle verloren. Neben den gemeinsamen Levelzielen verfolgt jedes Tier aber gleichzeitig auch seine eigenen Ziele, wie die Nahrungsbeschaffung – das birgt Konfliktpotenzial, da allen Spielenden nur eine begrenzte Anzahl an Aktionspunkten zur Verfügung steht, mit welchen Nahrung und Baumaterial gleichzeitig gesammelt bzw. hergestellt werden müssen. Das erfolgreiche Abschließen der Spiellevel hängt also eng mit dem stetigen Aushandeln von Kompromissen zusammen, wie das ein oder andere Mal − zum Wohle der Gemeinschaft – auf Nahrung zu verzichten. Um ein effektives Zusammenspiel zu fördern, ist es möglich, Gesetzesvorschläge in die Gemeinschaft einzubringen und über diese demokratisch abzustimmen. Diese können beispielsweise besagen, dass niemand Mitspielende töten darf oder dass alle Mitspielenden den Besitz aller einsehen dürfen. So entscheiden der Zusammenhalt der Gruppe und die Motivation der einzelnen Mitspielenden über das Ziel des Spiels, gemeinsam dem roten Leuchten tatsächlich zu entkommen.
Zielgruppe der App sind Jugendliche, denen Utopolis – Aufbruch der Tiere ermöglichen möchte, gesellschaftliche Handlungsmuster und demokratisches Handeln zu erleben. Die Auszeichnungen des mobilen Spiels zeigen, dass die App ihr Ziel durchaus erreicht: Unter anderem gewann es als ‚bestes Serious Game‘ den Deutschen Computerspielpreis 2015, den Pädi 2015 in der Kategorie ‚Apps für Jugendliche‘ und die GIGA-Maus 2015 in der Kategorie ‚Familie‘. Zusätzlich existiert pädagogisches Begleitmaterial, sodass es auch gut in Schulklassen oder Jugendgruppen eingesetzt werden kann. Tatsächlich können die Spielerinnen und Spieler auf ihrer Flucht vor dem roten Leuchten mit wichtigen gesellschaftlichen Fragestellungen in Kontakt kommen: Während einer Testrunde für diesen Artikel fiel beispielsweise eine Spielerin mit Sabotagen negativ auf, wahllos griff sie andere Mitspielende an. Daraufhin wurde sie von einem Mitspieler getötet, gefolgt von den Worten im Chat: „Gern geschehen, Leute!“ Dieser Tatendrang traf bei den anderen Mitspielenden allerdings nicht nur auf Dankbarkeit. Eine Mitspielerin merkte an, dass man mit einem Gesetz den Störenfried einfach aus der Gruppe hätte werfen können. Die Selbstjustiz stieß auf wenig Akzeptanz, stattdessen gewannen demokratische Entscheidungen und Gerechtigkeitssinn die Oberhand in dieser Gruppe. So lassen sich einige Aspekte, die eine demokratische Gesellschaft ausmachen, auf die kleine Gemeinschaft der Tiere im Wald herunterbrechen.
Utopolis ist damit kein herkömmliches Lernspiel, mit dem sich die Spielenden konkretes Wissen aneignen. Vielmehr erhalten die Jugendlichen die Möglichkeit, sich selbst im Zusammenspiel mit anderen kennenzulernen, immer wieder konfrontiert von den Chancen und Schwierigkeiten einer Gesellschaft. Ob Utopolis aber tatsächlich immer einen Beitrag zur politischen Bildung leisten kann, ist fraglich. So ist beispielsweise ein erfolgreicher Spielabschluss ohne Gesetze genauso möglich wie mit diesen. Die meisten Mitspielerinnen und Mitspieler formen die Tier-Gesellschaft außerdem nicht, sie bringen keine Gesetze ein und beteiligen sich kaum an der Konversation. So hängt der Mehrwert des Spieles sehr von der Motivation der Spielenden ab. Vermutlich bringen diejenigen Spielerinnen bzw. Spieler, die eine Schlüsselposition in Utopolis einnehmen, bereits ein großes demokratisches und politisches Verständnis mit. Trotzdem ist das Spiel eine sehr gute Möglichkeit, mit gesellschaftlichen Handlungsweisen konfrontiert zu werden. Selbst Spielende, die sich wenig einbringen, merken, dass das Spiel schnell vorbei sein kann, wenn sich niemand für die Gemeinschaft einsetzt. So lernen sie, dass Zusammenhalt wichtig ist und allgemeine Interessen manchmal über den eigenen stehen, da es sonst zu spät für alle ist. Damit fördert Utopolis – Aufbruch der Tiere Solidarität und macht Demokratie auf unterhaltsame und spannende Weise erlebbar.
Beitrag aus Heft »2016/01: schule. smart. mobil«
Autor: Franziska Busse
Beitrag als PDFEinzelansichtTeresa Strebel: Etwas mehr Respekt, bitte!
Stiftung Lesen (2015). Respekt, Respekt! Ideen für den Unterricht für die Klassenstufen 7–10. www.stiftunglesen. de/programmbereich/schule/sekundarstufe/respekt. 22 S., kostenfrei.
Wie möchte ich von meinen Mitmenschen behandelt werden? Wie gehe ich mit den Menschen in meinem Umfeld richtig um? Was genau steckt hinter Begriffen wie Toleranz, Fairness, Anerkennung, Mobbing oder Diskriminierung? Gerade in Pubertät geht es im Kontext von Orientierungs- und Identitätsbildungsprozessen Heranwachsender häufig um respektvolles oder respektloses Verhalten, da Grenzen, Autoritäten, eigenes Handeln und dessen Konsequenzen ausgetestet sowie neue Erfahrungen gesammelt werden (vgl. Albert et al. 2010; Geißler et al. 2013). Das Unterrichtsmaterial Respekt, Respekt! der Stiftung Lesen, die dieses mit Unterstützung der Kulturinitiative eXperimente der Aventis Foundation konzipiert hat, motiviert Lehrkräfte, diese Verhaltensweisen zum Thema zu machen. Arbeitsgrundlage sind Themenkarten für Schülerinnen und Schüler, mit deren Hilfe diese die aufeinander aufbauenden Schwerpunkte ‚Bedeutung von Respekt‘, ‚Kommunikation und Respekt‘ und ‚Respekt im Netz‘ erarbeiten. Auf jeder Karte finden sich zum einen Informationen zu einzelnen Aspekten des jeweiligen Schwerpunkts, zum anderen vielfältige Anschlussaufgaben, die selbständig – alleine oder im Team – bearbeitet werden sollen. Zum Einstieg geht es um den Begriff Respekt allgemein. Es werden erste Erläuterungen dargelegt, die verständlich und treffend beschreiben, was sich hinter dem Wort verbirgt. Auf Basis dessen machen sich die Jugendlichen Gedanken dazu, was sie selbst darunter verstehen. Auch wird auf den geschichtlichen und rechtlichen Hintergrund, also Respekt im Kontext von Menschenwürde eingegangen sowie respektvolles Verhalten in verschiedenen Situationen und gegenüber unterschiedlichen Personengruppen beleuchtet.
Der Zusammenhang von Respekt und Gefühlen bzw. Empathie-Fähigkeit ist Teil des zweiten Schwerpunkts. Hier geht es vor allem um respektvolles Verhalten in der alltäglichen Kommunikationund die Macht von Worten. Die Schülerinnen und Schüler werden angeregt, sich mit der Kommunikation innerhalb ihrer Peergroup und der Schule auseinanderzusetzen sowie zu reflektieren, was ‚rausgerutschte‘ oder ‚reingedrückte‘ Äußerungen und Sprüche bei ihnen selbst oder dem Gegenüber auslösen können. In diesem Kontext spielen auch die Selbstwahrnehmung bzw. eigene Stärken und Schwächen eine zentrale Rolle. Abschließend werden gemeinsame Regeln für einen fairen Umgang innerhalb der Klasse entwickelt. Gerade mit Blick auf sogenannte Hate Speeches und Cybermobbing-Problemfelder, mit denen sich viele junge Internetnutzende konfrontiert sehen (vgl. mpfs 2014; Schnetzer 2014), wird Respekt auch im Netz – speziell in sozialen Netzwerken – relevant. In diesem Kontext geht es immer wieder um den Missbrauch persönlicher Daten. Anhand ihrer eigenen Online-Profile analysieren und bewerten die Projektteilnehmenden daher im dritten Teil des Materialpakets die Informationen, die sie über sich im Internet finden. Sie erhalten Hilfestellungen sowie Tipps zu ihren Rechten im Netz. Außerdem werden sie zur besseren Nachvollziehbarkeit bei der Analyse eines Songtextes in die Position eines Täters bzw. Opfers versetzt. Abgerundet wird das Material durch eine umfassende Sammlung an Zusatzmaterialien in Form von Medien-, Linkund Lesetipps – für Lehrkräfte wie auch für die Jugendlichen selbst. Das Unterrichtsmaterial Respekt, Respekt! – kostenfrei downloadbar – ist modern und flippig designt und erinnert von der Aufmachung her an eine Jugendzeitschrift oder -Webseite. Die Themenkarten sind abwechslungsreich aufbereitet: eine Kombination aus informativen, aber auch feinfühligen Texten, Visualisierungen, Zitaten, Ausschnitte aus Studien und Songtexten sowie Links zu Videos und Webseiten. Auch die Aufgaben und Anregungen sind vielseitig und reichen von kreativen Inszenierungen über Diskussionen und Spiele bis hin zur Reflexion des eigenen Handelns.
Im Projekt wird eine sehr offene Herangehensweise gewählt, so dass sich die Jugendlichen auf Basis ihrer Vorstellungen, Gedanken und Erfahrungen zu Respekt und respektvollem bzw. respektlosem Verhalten das Thema selbst erschließen können – angeregt durch das Material. Die Themenkarten, die von Lehrenden zuvor lediglich ausgedruckt werden müssen, dienen als Grundlage und motivieren zur Auseinandersetzung mit den einzelnen Facetten von Respekt bzw. geben Anregungen, das eigenen Verhalten und das anderer zu reflektieren – und letztendlich eventuell auch aktiv zu überdenken. So erhalten die Projektteilnehmenden die Chance, sich selbst, aber auch andere besser kennenzulernen. In den Inhalten wird weder vorgegeben wie ‚richtiges‘ Verhalten und Respekt auszusehen haben noch zu solchem Verhalten belehrt. Die Materialen selbst sind konkret als Unterrichtsmaterial ausgezeichnet, sie können aber sehr gut auch in andere pädagogische Settings integriert werden. Empfohlen wird es für Schülerinnen und Schülern der siebten bis zehnten Jahrgangsstufe. Im Schulkontext kann das Material beispielsweise im Rahmen des fächerübergreifenden Projektunterrichts in Fächern wie Gemeinschaftskunde, Gesellschaftslehre, Sozialkunde sowie dem Religions- und Ethikunterricht verwirklicht werden. Mit Blick auf die kommunikativen und sprachlichen Aspekte von Respekt ist es auch möglich, die Projektinhalte im Deutschunterricht zu thematisieren. Etwas unklar bleibt leider, welchen ungefähren zeitlichen Umfang die Projektbausteine in Anspruch nehmen, es besteht jedoch die Möglichkeit, einzelne Stationen zu kürzen oder auszulassen. So kann das Material an individuelle Gegebenheiten angepasst werden.
Literatur:
Albert, Mathias/Hurrelmann, Klaus/Quenzel, Gudrun/TNS Infratest Sozialforschung (2010). Jugend 2010. 16. Shell Jugendstudie. Frankfurt: Fischer.
Geißler, Holger/Schöpe, Susanne/Klewes, Joachim/Rauh, Christina/von Alemann, Ulrich (2013). Wertestudie 2013: Wie groß ist die Kluft zwischen dem Volk und seinen Vertretern? Köln: YouGov.
Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (mpfs) (2014). JIM-Studie 2014. Jugend, Information, (Multi-)Media. Basisuntersuchung zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger. www.mpfs.de/fileadmin/JIM-pdf14/ JIM-Studie_2014.pdf [Zugriff: 04.11.2015].
Schnetzer, Simon (2014). Toleranz Online 2014: Eine Jugendstudie über Respekt, Sicherheit und Freiheit im Internet. Hamburg: Diplomica.
Franziska Busse: Einfach Anders
Steinhöfel, Andres (2015). Anders. Hörbuch, Silberfisch. 331 Min., 19,99 €.
Es ist wie ein Wunder. Nach 263 Tagen erwacht der elfjährige Felix Winter aus seinem Koma. Darin hatte er seit seinem elften Geburtstag gelegen, nach einem Unfall, den seine Eltern verursacht hatten. Jetzt scheint Felix wieder gesund und wohlauf, doch ist er nicht mehr ganz derselbe: Er leidet an einer Amnesie und kann sich daher weder an Personen noch an Ereignisse aus der Zeit vor dem Koma erinnern. So sind seine Eltern für ihn zwei Fremde, die ihm in Zukunft sagen werden, wann er ins Bett gehen soll. Hinter dem Unfall selbst scheint allerdings mehr zu stecken als ein reines Unglück: Warum hatte Felix beispielsweise am Unfalltag einen längeren Nachhauseweg von der Schule genommen als sonst? Überhaupt scheint es bereits vor dem Unfall ein großes Geheimnis gegeben zu haben, das nicht ans Licht kommen soll – zumindest verbergen zwei Freunde von Felix, Ben und Nisse, irgendetwas vor ihm. In Zusammenhang damit steht scheinbar auch eine Datei auf Felix‘ Computer. Diese ist allerdings in ein passwortgeschütztes Truescript-Volumen eingebettet und sowohl Felix als auch sein Vater versuchen regelmäßig nur vergeblich, dieses zu knacken. Felix geht nun bereits wieder zur Schule. Das neue Schuljahr fängt gerade an – und schnell merken alle, dass er nicht mehr derselbe ist. Auch Felix selbst fühlt sich anders und kann sich mit seinem früheren Ich nicht mehr identifizieren. Er beschließt daher, sich ab jetzt auch so zu nennen: Anders. Im Gegensatz zu Felix nimmt Anders kein Blatt vor den Mund und spricht alles aus, was er denkt. Er ist nicht ängstlich und angepasst, sondern selbstbewusst. Und, er hat besondere Gaben: Anders kann Gefühle und Krankheiten erkennen. Menschen strahlen für ihn Farben aus, je nachdem, welche Aura sie besitzen. So bringt Anders beispielsweise seinen Pfleger Gary und die Ärztin Laura zusammen. Auch erkennt er, dass Stack, sein alter Nachhilfelehrer und neuer Freund, im Inneren seines Wesens immer noch tief um seine vor 15 Jahren verstorbene Frau trauert. Allerdings können nicht alle Menschen in Felix‘ Umgebung mit dieser Veränderung gut umgehen – vielen macht Anders sogar Angst. Zwar versucht er immer wieder nur zu helfen, wenn er seinen Mitmenschen erklärt, dass sie krank seien, eine Erkältung hätten oder sich untersuchen lassen sollten, doch meistens stößt er damit auf pures Unverständnis. Seiner Mutter macht die Veränderung von Felix am meisten zu schaffen. Sie ist eine kontrollierende, sich und andere ständig optimierende Person. So zieht sie beispielsweise Kreidestriche um Felix‘ Schuhe, um am nächsten Morgen nachzuvollziehen zu können, ob ihr Sohn nachts das Haus verlassen hat. Anders, der wiederum regelmäßig nachts nach draußen geht, um sich abzureagieren, stellt seine Schuhe immer sehr gewissenhaft und passgenau zurück in diese Linien. Manchmal muss Anders nämlich einfach etwas Verrücktes machen, das seine gesamte Aufmerksamkeit bündelt, um das Chaos in seinem Inneren unter Kontrolle zu bringen. So balanciert er ab und zu gerne auf dem Brückengeländer am Fluss entlang oder klettert in die meterhohe Bluteiche am Fluss. An dem mystischen Ort soll früher eine Nixe mit ihrem Baby gelebt haben, die in irgendeiner Verbindung zu Anders zu stehen scheinen …
Das Hörbuch Anders ist eine Mischung aus Kinder- und Jugendgeschichte, die vom Erwachsenwerden erzählt. Sie begleitet Felix, wie dieser sich von der Kontrollsucht seiner Mutter löst und anfängt, seine eigenen Gedanken zu formulieren. Schließlich lernt er sich selbst dabei neu kennen. Das Hörbuch wird vom Autor Andreas Steinhöfel selbst auf unsentimentale und gleichzeitig einfühlsame Art und Weise vorgelesen. So können die Hörerinnen und Hörer gut in die Geschichte eintauchen, ohne dabei allzu traurig oder wütend zu werden. Die einzelnen Kapitel sind zudem abwechslungsreich jeweils aus der Perspektive eines anderen Charakters erzählt. Steinhöfel schenkt diesen Protagonistinnen und Protagonisten mit seiner Stimme eine jeweils eigene Färbung und hebt dadurch besondere Charaktereigenschaften hervor. Unter anderem kommen die Nachbarin, Vater und Mutter, Stack, Felix‘ Freund Ben und die Lehrerin zu Wort. Anders ist zwar ab elf Jahren freigegeben, allerdings ist es sprachlich sehr komplex geschrieben. Gleichzeitig werden viele Details nicht eindeutig erklärt, sondern finden auf einer Metaebene statt. Da das Hörbuch über fünf Stunden dauert, kann die Geschichte zwar ab dem empfohlenen Alter angehört werden, wirklich verstanden wird sie aber vermutlich erst von Jugendlichen ab 14 Jahren. Zusätzlich kann das Hörbuch aber Erwachsenen empfohlen werden. Diese werden beim Hören mitunter auf versteckte Kritik stoßen, die die Geschichte am Verhalten gewisser Eltern gegenüber Kindern übt. Die vorkommenden Eltern haben beispielsweise eine ganz genaue Vorstellung davon, wie ihr Kind sein sollte. So kann sich die Mutter von Felix einfach nicht damit abfinden, dass er sich verändert hat.
Des Weiteren kommt Kritik zum Vorschein, dass Kindern im entscheidenden Moment oft nicht zugehört wird. So erklärt Felix beispielsweise immer wieder, er sehe Farben rund um die Menschen und könne Gefühle lesen. Doch niemandem fällt auf, dass es sich dabei um Anzeichen für Synästhesie handelt. Die meisten Erwachsenen versuchen zudem nicht, ihm zu helfen, sein neues Ich zu formen, sondern vielmehr, sein altes Ich wiederherzustellen. Insbesondere seine Mutter versperrt sich geradezu gegen neue bzw. andersartige Dinge. Die Legende von der Nixe im Erler Loch gibt der Geschichte eine Prise Märchenhaftigkeit und auch sonst werden nicht alle Rätsel und Unklarheiten gelöst. Durch eben diese mystischen und nicht ganz erklärbaren Elemente wird die Fantasie der Zuhörerinnen und Zuhörer angeregt. So können sie individuell weiterdenken, die Geschichte weiterspinnen oder eigene Ideen entwickeln – zu Meerjungfrauen, zu den Gefühlen von Menschen und vielleicht sogar zu sich selbst und darüber, wer sie eigentlich sind.
Beitrag aus Heft »2016/01: schule. smart. mobil«
Autor: Franziska Busse
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publikationen
Teresa Strebel: Die Kunst, Bilder zu lesen
Doelker, Christian (2015). Bild-Bildung. Grundzüge einer Semiotik des Visuellen. Elsau: alataverlag. 196 S., 24,95 €.
Bilder sind überall. In den meisten Medien – egal ob analog oder digital – sind entweder Inhalte visuell umgesetzt oder Bilder dienen als Eyecatcher. Ausdrucksstarke Bilder sind oft entscheidend, wenn es darum geht, das Interesse und die Aufmerksamkeit der Betrachtenden zu wecken. Die Bandbreite an Visualisierungen umfasst statische, bewegte oder animierte Bilder, die in einer Vielzahl von medialen Produkten wie Fotos, Videos, Grafiken, Animationen oder Ähnlichem realisiert werden. Bilder erscheinen oft selbsterklärend und ihr Verstehen wird auch heute noch als selbstverständliche Fähigkeit marginalisiert, die weit hinter das komplexe Textverstehen tritt. In der Erziehungswissenschaft sowie in der Kommunikations- bzw. Medienwissenschaft galt und gilt die Sprache lange Zeit als Instrument menschlicher Erkenntnis, ein integrierender Ansatz aller Modalitäten fand bzw. findet kaum statt. Auch die Schule definiert ihren Alphabetisierungsauftrag primär über die Förderung sprachlicher Fähigkeiten. In seiner Publikation Bild-Bildung fordert Christian Doelker, Bilderlesen als gleichwertige Kulturtechnik anzuerkennen bzw. die Ausweitung des Alphabetisierungsauftrags von Sprache auf Bilder zu unterstützen. Seine Bildsemiotik nimmt Bilder in ihrer Komplexität ernst: Um Bilder verstehen und sie in ihrer Vielschichtigkeit erfassen zu können, müssen sie bewusst wahrgenommen werden und ihre Betrachtung über einen flüchtigen Blick hinausgehen. Als Professor für Medienpädagogik und im Sinne der Förderung von visueller Kompetenz (visual literacy) geht es Doelker darum, dass Bildinformationen richtig verstanden und von Rezipierenden selbständig und kritisch beurteilt werden können.
Sein Band liefert demnach detaillierte Anregungen bzw. Anleitungen zur Bildanalyse, die er entlang von drei Dimensionen vornimmt – so gliedert sich auch seine Publikation in drei Teile: Bildbedeutung (die semantische Ebene), Bildverknüpfung (syntaktische Ebene) und Bildfunktion (pragmatische Ebene). Bei der Bildbedeutung geht es darum, alle Aspekte eines Bilds und dessen Bedeutungstiefe wahrzunehmen. Doelker geht hier zunächst auf den Begriff der visuellen Kompetenz ein und stellt grundlegende Bedeutungsmodelle zur Bildanalyse vor, die anhand verschiedener Bild- Beispiele angewendet werden. Im Zusammenhang mit der Förderung von visueller Kompetenz ist hier besonders die Methode des ‚Bilderlesens in drei Schritten‘ interessant, die eine Umsetzung der bildsemantischen Theorie in der Praxis zum Beispiel in Schulunterricht oder Ausbildung vornimmt. Der zweite Teil beschäftigt sich mit der Verbindung von Bildern mit anderen Bildern oder Zeichensystemen. Bilder sollen in der Analyse beispielsweise in Kombination mit Sprache und Tönen beleuchtet und der Präsentationskontext miteinbezogen werden. Unter anderem werden hier Pressebilder und deren zugehöriger Pressetext in ihrer Kombination und Beziehung zueinander untersucht – eine weitere Grundlage, die zur kritischen Betrachtung und Beurteilung von medialen Produktionen anregt. Im dritten Teil, der sich mit den Funktionen sowie der Wirkung von Zeichen in Bildern befasst, veranschaulicht Doelker, dass Bildfunktionen sowohl von Künstlerinnen und Künstlern, Fotografinnen und Fotografen, Redakteurinnen und Redakteuren, aber auch von Rezipierenden selbst bestimmt werden können. Anhand von Werbebildern werden Elemente der klassischen Rhetorik in eine visuelle übertragen und sprachliche Stilmittel in der Bildanalyse angewendet. Unter Einbezug zahlreicher Beispiele wird deutlich, wie die Wirkung von (Werbe-) Bildern aktiv beeinflusst und eingesetzt werden kann.
Christian Doelkers betrachtet Bilder jeder Erscheinungsform mit einem philologisch, kunsthistorisch geschultem analytischem Blick und eröffnet seinen Leserinnen und Lesern anhand einer Vielzahl von – visuell unterstützten – Beispielen interessante Perspektiven. Die Bildanalysen erfolgen innerhalb der einzelnen Dimensionen sehr detailliert und umfassend, Doelker integriert eine Fülle an Aspekten auf unterschiedlichen Ebenen. Schritt für Schritt ergeben sich neue Bedeutungszusammenhänge und der ‚Gesamttext‘ präsentiert sich – gerade für Novizen – in einem überraschend neuen Licht. Die Publikation vermittelt umfangreiches analytisches Fachwissen, das weit über Grundlagenwissen in diesem Bereich hinausgeht. Demnach richtet sich die Publikation in erster Linie an interessierte Fachkräfte mit kunsthistorischem oder medienwissenschaftlichem Hintergrund. Zudem können aber auch (medien-)pädagogische Fachkräfte ihre eigene visuelle Kompetenz erweitern und erhalten in einigen Teilen der Publikation Anregungen für Methoden zur Förderung eben dieser Kompetenzen in der Praxis. Beispielsweise finden sich hilfreiche Anregungen und eine Anleitung zum Einstieg in die Bildanalyse, die auch im Rahmen des Kunstunterrichts in der Oberstufe sowie in der Museumspädagogik eingesetzt werden können.
Cornelia Pläsken: Im Fokus des Visuellen - Pädagogik, YouTube & Co.
Lauffer, Jürgen/Röllecke, Renate (Hrsg.) (2015). Bewegte Bilder – Bewegende Pädagogik. Visuelle Medienkulturen in der Jugendmedienarbeit. Medienpädagogische Konzepte und Perspektiven. Dieter Baacke Preis Handbuch 10. München: kopaed. 127 S., 16 €.
Bewegtbilder haben Konjunktur, bei Kindern und Jugendlichen sind YouTube-Videos und dergleichen so beliebt wie noch nie. Um diese mediale Entwicklung aufzugreifen, setzt sich das zehnte Dieter Baacke Preis-Handbuch mit diesem jugendkulturellen Phänomen auseinander und macht unter dem Titel Bewegte Bilder – Bewegende Pädagogik einen ersten Aufschlag. Im ersten Teil des Herausgeberwerks werden thematisch passende Beiträge aus Forschung und Praxis beschrieben. Kai-Uwe Hugger und Lea Marie Braun gehen Videoclips im Internet und ihrer Orientierungsfunktion für Jugendliche hinsichtlich ihrer eigenen Identitätsbildung und -entwicklung auf den Grund. Dabei betonen sie die hohe Relevanz, die das Internet mittler weile für identitätsstiftende Prozesse hat. In einem Interview erzählen Claudia Wegener und Alexander Rihl, was es mit YouTube- Stars und den daraus entstandenen Fankulturen auf sich hat – unter anderem unter Bezug auf die bisher unveröffentlichte Studie der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF. Eileen Lübcke und Stefan Welling beschäftigen sich mit dem Aspekt der sozialen Benachteiligung, indem sie sich der Videonutzung und -produktion von Jugendlichen aus benachteiligenden Verhältnissen widmen. Dabei versuchen sie, Potenziale und Bedeutungszuschreibungen des Filmemachens zu verdeutlichen. Das Special der Publikation handelt von Praxismethoden, die sich mit YouTube und YouNow beschäftigen; sie sind das Resultat zweier Workshops.
Im zweiten Teil der Publikation werden Projekte vorgestellt, die mit dem Dieter Baacke Preis prämiert wurden: app2music – Appmusik- AGs an Berliner Schulen der Forschungsstelle Appmusik der Universität der Künste Berlin ermöglichte es beispielsweise Kindern und Jugendlichen, mithilfe von Smartphones und Tablet gemeinsam Lieder zu covern, eigene Stücke zu komponieren oder einfach zu improvisieren. Die Schule am Weserbogen hat in Zusammenarbeit mit der Jugendkunstschule Löhne das Projekt „Ausgeschlossen“ – Tatort Schule realisiert: Schülerinnen und Schüler setzten sich mit Mobbing und Ausgrenzung im Schulalltag auseinander, indem sie eine entsprechende Geschichte entwickelten und filmten. Im Media To Be-Projekt (Cyber-)Mobbing – Aufgeklärt! Schüler der Stadt Cottbus klären auf haben Schülerinnen und Schüler unterschiedlicher Jahrgangsstufen Kurzfilme zum Thema Cybermobbing gedreht. Im Fokus hatten sie dabei die Themen Toleranz- Erziehung und soziale Integration. Das Dieter Baacke Preis-Handbuch Bewegte Bilder – Bewegende Pädagogik behandelt damit ein aktuelles Thema, aus dem sich bereits neue Jugendkulturen entwickelt haben, welche für ein besseres Verständnis weiter untersucht werden sollten. Die Beiträge tasten sich dabei nicht nur vorsichtig an die neue jugendkulturelle Bewegung heran, sondern versuchen durchweg, ihr direkt auf den Grund zu gehen. Damit wurde eine nützliche Basis geschaffen, die das Herausgeberwerk zu einer – wenn auch seitentechnisch sehr übersichtlichen – Grundlagenliteratur macht.
Anlässlich der zeitgemäßen Thematik der Publikation wäre es aber wünschenswert gewesen, weitere auch umfangreichere bzw. tiefergreifende Beiträge vorliegen zu haben, die bisher noch nicht berücksichtigte Aspekte miteinbeziehen. Das Herausgeberwerk eignet sich dennoch gut sowohl für (medien-)pädagogische Fachkräfte, die sich in ihrer praktischen Arbeit mit Bewegtbild auseinandersetzen, für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einschlägiger Fachrichtungen, die sich vorrangig mit Jugendkulturen beschäftigen als auch für Studierende der Medienpädagogik. Traditionsgemäß runden auch die Beschreibungen der ausgezeichneten medienpädagogischen Projekte die Publikation in besonderer Weise ab.
Beitrag aus Heft »2016/01: schule. smart. mobil«
Autor: Cornelia Pläsken
Beitrag als PDFEinzelansichtBertelsmann Stiftung (Hrsg.) (2015). Individuell fördern mit digitalen Medien. Chancen, Risiken, Erfolgsfaktoren. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung Verlag. 337 S., 28,00 €.
Wie können digitale Medien gewinnbringend in Schulen eingesetzt werden? Wie können sie insbesondere für eine individuelle Förderung verwendet werden? Welche Unterstützungsangebote benötigen Lehrkräfte, um das Potenzial digitaler Medien auszunutzen? Die Publikation Individuell fördern mit digitalen Medien führt in die Chancen und Risiken des Einsatzes digitaler Medien in Schulen ein. Es werden sowohl Mythen über die Bezeichnung von Schülerinnen und Schüler als Digital Natives widerlegt als auch die Gefahren einer digitalen Ungleichheit erläutert. Im zweiten Kapitel liegt der Fokus auf der individuellen Förderung von Kindern und Jugendlichen durch digitale Medien. Diese theoretischen Ausführungen werden durch zwei Fallbeispiele ergänzt, auch die technische Infrastruktur an deutschen Schulen wird beleuchtet. Anhand verschiedener Szenarien wird dargestellt, welche Herausforderungen und Möglichkeiten dies birgt.
Des Weiteren werden anhand von zehn Beispielen aus der Schulpraxis die Chancen der Digitalisierung für eine individuelle Förderung im Unterricht dargestellt. Abschließend wird ein alternatives Unterrichtskonzept vorgestellt: das entwicklungsorientierte Forschungsprojekt ‚Flipped Classroom‘, in welchem die übliche Reihenfolge von schulischen und außerschulischen Aktivitäten umgedreht werden. Schülerinnen und Schüler eignen sich digital bereitgestellte Lerninhaltezunächst zuhause an, um sie anschließend in der Klasse anzuwenden, zu besprechen und zu vertiefen. Individuell fördern mit digitalen Medien gibt einen umfassenden Überblick über das pädagogische Potenzial digitaler Medien. Der theoretische Input wird dabei passend durch drei Studien und zahlreiche Praxisbeispiele ergänzt, so dass die Publikation Lehrkräften, pädagogischen Fachkräften sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einschlägiger Fachrichtungen empfohlen werden kann.
Gapski, Harald (Hrsg.) (2015). Big Data und Medienbildung. Zwischen Kontrollverlust, Selbstverteidigung und Souveränität in der digitalen Welt. Schriftenreihe zur digitalen Gesellschaft NRW, Band 3. München: kopaed. 139 S., 14,80 €.
In nur einer Minute werden heutzutage über 200 Millionen E-Mails verschickt, es gibt wesentlich mehr internetfähige Geräte als Menschen auf der Welt und alle zwei Jahre verdoppelt sich das digitale Datenvolumen. Das Phänomen ‚Big Data‘ ist längst keine Neuheit mehr, dennoch bringt es immer neue gesellschaftliche Herausforderungen mit sich. Für das Bildungswesen zählen derzeit ‚Learning Analytics‘ zu den Zukunftsmöglichkeiten, die Entscheidungsprozesse über den Einsatz von Ressourcen und Lernangeboten erleichtern oder Lernprozesse prognostizieren und personalisieren können. Wie der Untertitel ‚Zwischen Kontrollverlust, Selbstverteidigung und Souveränität‘ des Herausgeberwerks Big Data und Medienbildung bereits suggeriert, muss der Big Data-Trend allerdings auch ethisch hinterfragt werden. Warum sich Medienpädagogik mit Big Data Analytics befassen sollte wird eingangs umfassend beantwortet und durch erste Handlungsempfehlungen ergänzt. Anschließend geht es um mögliche Konsequenzen für die erziehungswissenschaftliche Medienforschung und -praxis.
Wie Medienkompetenzförderung in einer Welt mit Big Data angepasst werden sollte, wird diskutiert, bevor anhand einer medienhistorischen Einordnung spezifische pädagogische Herausforderungen in den Blick genommen werden. In den darauf folgenden Kapiteln werden ethische Fragen behandelt und für personale Autonomie, eine Ethik für Algorithmen und eine Aufklärung über Datenschutz plädiert. Das Sammelwerk schließt mit Arbeitsmaterialien für die medienpädagogische Praxis ab: darunter beispielweise eine „medienethische Roadmap“ für Schülerinnen und Schüler oder das Planspiel „Start-up in Datarryn“. Von der Frage, ob eine Auseinandersetzung mit Big Data überhaupt relevant ist, über konkrete Phänomene und ethische Bedenken bis hin zu medienpädagogischen Materialien: Das Herausgeberwerk beleuchtet verschiedene Perspektiven des gesellschaftlichen Phänomens und wird dadurch dessen Komplexität gerecht. Es eignet sich vor allem für Akteurinnen und Akteure der Medienbildung und -pädagogik, die nicht nur nach Praxisempfehlungen suchen, sondern sich in erster Linie für eine wissenschaftliche Aufbereitung des Themenkomplexes interessieren.
Holfelder, Ute/Ritter, Christian (2015). Handyfilme als Jugendkultur. Konstanz/ München: UVK. 150 S., 19,99 €.
Handyfilme sind ein mediales Phänomen, dem bisher wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Um dieses Thema grundsätzlich näher zu beleuchten, praktische Einsatzmöglichkeiten zu entwickeln und Studienergebnisse zu präsentieren, haben Ute Holfelder und Christian Ritter Handyfilme als Jugendkultur veröffentlicht. Nach einleitenden begrifflichen Erläuterungen und der Vorstellung des Forschungsprojekts wird zunächst historisch ein Blick auf Handyfilme geworfen. Darauf folgt die Beschreibung verschiedener Praktiken (z. B. Aufnehmen, Teilen etc.), die begleitend zu Handyfilmen möglich sind. Daneben werden auch Bereiche wie Ästhetik oder Aneignung und Jugendkultur in die Arbeit miteinbezogen. Als Anlässe und Motive für die Entstehung von Handyfilmen werden beispielsweise Freundschaften, Sport und Musik oder das Teilen von Eindrücken aufgeführt. Abgerundet wird die Monografie von konkreten Vorschlägen für die Medienbildung. Durch die Verknüpfung theoretischer Grundlagen mit Studienergebnissen und praktischen Einsatzmöglichkeiten bietet die Publikation eine solide Wissensbasis für Medienpädagoginnen und -pädagogen in Forschung und Praxis.
Köver, Chris/Burger, Daniela/Eismann Sonja. Hack‘s selbst! Digitales do it yourself für Mädchen. Weinheim: Beltz & Gelberg. 140 S., 16,95 €.
Hacking wird gemeinhin als etwas Böses angesehen und mit Viren, Spam-Mails sowie dem Ausspionieren von Behörden und Unternehmen in Verbindung gebracht. Ursprünglich bedeutet Hacking aber ‚eingreifen‘ und ‚verbessern‘. So dreht sich Hack’s selbst um alles, was Mädchen und junge Frauen mit Technik und Computern selbermachen können – inklusive Bastelanleitungen. Zu Beginn wird in die Welt digitaler Spiele eingeführt und erläutert, wie man einen Game- Controller aus Obst bauen oder eigene Spielideen entwickeln kann. Auch im Kapitel Hacken und Verbessern werden Mädchen und jungen Frauen angeregt, selbst aktiv zu werden: Sie lernen, eine funkgesteuerte Katzenklappe zu entwickeln oder ihre Handschuhe touchtauglich zu machen. Des Weiteren geht es darum, wie man Wissen teilen und dazu beispielsweise ein Video drehen, bei Wikipedia mitwirken oder einen Blog führen kann. Auch werden die Themen des Engagierens und Vernetzens angesprochen. Es wird erklärt, wie Online-Petitionen gestartet und eigene Spuren im Netz verwischt werden können.
Auch die Welt des Programmierens verliert durch das Buch ihren Schrecken, indem erklärt wird, wie man mit HTML und CSS einen Blog programmieren kann. Neben all den praktischen Anleitungen werden in Hack‘s selbst auch Themen wie Datenschutz und Internetsicherheit behandelt – vom Verschlüsseln von E-Mails über die Selbstpräsentation im Netz bis hin zum Erstellen starker Passwörter. Vorrangige Zielgruppe der praxisorientierten Publikation sind Mädchen und junge Frauen. Auch optisch ist es auf diese zugeschnitten: Eine ungewöhnliche, verpixelte Schrift und bunte Farben dominieren das Layout. Die Anleitungen für die Erstellung eigener Medienprodukte und Projekte sind anschaulich erklärt und werden mit Bildern und Beispielen untermalt. Die Publikation kann daher auch pädagogischen Fachkräften empfohlen werden, die Anregungen für ihre praktische Medienarbeit mit Mädchen und jungen Frauen suchen.
Nistor, Nicolae/Schirlitz, Sabine (Hrsg.) (2015). Digitale Medien und Interdisziplinarität. Herausforderungen, Erfahrungen, Perspektiven. Münster/ New York: Waxmann. 354 S., 34,90 €.
Der sinnvolle Einsatz von Medien innerhalb der Forschung oder Hochschullehre ist nicht immer einfach. Um Erfahrungen, potenzielle Herausforderungen wie auch Perspektiven im interdisziplinären Feld zu bündeln, haben Nicolae Nistor und Sabine Schirlitz die Tagung 2015 der Gesellschaft für Medien in der Wissenschaft nochmals in einer Publikation zusammengestellt. Diese Publikation untergliedert sich in sechs Abschnitte, die sich sowohl thematisch als auch von der konzeptionellen Form der Beiträge unterscheiden: Im ersten Teil von Digitale Medien und Interdisziplinarität werden neben Erkenntnissen aus der Technikphilosophie auch Ergebnisse einer Evaluation einer Online- Vorlesung mit Studierenden unterschiedlicher Fachrichtungen wie auch die Potenziale von Vorlesungsaufzeichnungen für die Hochschulbildung angesprochen. Der zweite Abschnitt konzentriert sich auf Open Educational Resources. Neben den klassischen MOOCs wird auch der Kaiserslauterer Open Online Course (KLOOC) thematisiert. Teil drei beschäftigt sich mit Geschäftsmodellen – bezogen auf E-Learning-Einrichtungen oder auch Nachhaltigkeitsgedanken hinsichtlich von mediengestützter Weiterbildung an Hochschulen.
Gestaltungsbeispiele aus der Praxis füllen den vierten Abschnitt der Publikation. Die Bandbreite der vorgestellten Projekte reicht von einem interdisziplinären Seminarkonzept über die Ausbildung von E-Tutorinnen und -Tutoren für die Betreuung von Studierenden bis hin zum Einsatz von Medien in Museen. Im fünften Teil werden verschiedene Workshops vorgestellt, die beispielsweise Change Management und Organisationsentwicklung im Sinne der Implementierung von E-Learning an Hochschulen oder den Einsatz von Moodle behandeln. Im letzten Abschnitt werden überblicksartig Poster unterschiedlicher Projekte vorgestellt. Die Präsentationen reichen von Blended Learning in der Lehrerbildung bis hin zur Entwicklung eines Serious Games für den Bereich offener Organisationen. Insgesamt bietet das Herausgeberwerk damit eine äußerst umfassende Sammlung von Beiträgen, die thematisch wie auch konzeptionell sehr ausdifferenziert ist. Somit eignet sich Digitale Medien und Interdisziplinarität vor allem für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterschiedlicher Fachrichtungen, die im Bereich von E-Learning tätig sind.
Richter, Carola/El Difraoui, Asiem (Hrsg.) (2015). Arabische Medien. Konstanz und München: UVK. 344 S., 44 €.
Mit dem Begriff der Facebook- Revolution erlangte insbesondere die Rolle sozialer Medien in der arabischen Welt große Bekanntheit. Die dynamischen Entwicklungen von Gesellschaft und Politik in den arabischen Ländern und damit auch die der Medienlandschaften sind allerdings schwer einzuordnen und zu verstehen. Das Herausgeberwerk Arabische Medien bietet einen ersten Überblick über Medien und aktuelle Entwicklungen in den verschiedenen arabischen Staaten.
Obgleich diese keineswegs homogen sind, weisen sie dennoch eine gemeinsame Geschichte – und Mediengeschichte – auf, sodass zahlreiche transnationale Phänomene festzustellen sind, die im im ersten Teil der Publikation erläutert werden: von der Geschichte arabischer Massenmedien über die politische Rolle sozialer Netzwerkmedien bis hin zur Darstellung von Geschlechtern in arabischen Medien. Der zweite Teil beleuchtet mit 18 Länderstudien von Marokko bis zum Jemen die nationalen Besonderheiten der jeweiligen Medienlandschaften, indem konkrete Ereignisse wie auch politische und rechtliche Rahmenbedingungen sowie ökonomische Kontexte dargelegt werden. Denn sis heute werden Medien in allen arabischen Ländern staatlich reglementiert und als Sprachrohr der Herrschenden verstanden – erst das Internet schafft zumindest teilweise Abhilfe. Arabische Medien ist das erste Werk in deutscher Sprache, das einen umfassenden Überblick über diese Medienlandschaft bietet.
Aufgrund der großen Anzahl an untersuchten Ländern gehen die Länderstudien leider wenig ins Detail. Ihr immer gleicher Aufbau schafft aber eine gute Strukturierung und sorgt dafür, dass alle grundlegenden Einflüsse auf die Medienlandschaften behandelt werden können. Das Buch eignet sich hervorragend als Einstieg in das Themengebiet und kann Studierenden der Medienwissenschaften, der internationalen und politischen Kommunikation sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern einschlägiger Fachrichtungen nur empfohlen werden.
Verständig, Dan/Holze, Jens/Biermann, Ralf (Hrsg.) (2016). Von der Bildung zur Medienbildung. Festschrift für Winfried Marotzki. Wiesbaden: Springer VS. 334 S., 39,99 €.
Wenn herausragende Wissenschaftlerinnen oder Wissenschaftler pensioniert werden, ist das immer ein gewisser Verlust für die dazugehörige Disziplin – so auch für die Bildungswissenschaft und Medienpädagogik. Um die Arbeit von Winfried Marotzki entsprechend zu würdigen, haben Dan Verständig, Jens Holze und Ralf Biermann den Sammelband Von der Bildung zur Medienbildung herausgegeben. Dieser greift die Arbeit von Marotzki auf und denkt bzw. entwickelt diese weiter. Im ersten Teil, der sich auf qualitative Sozialforschung und Biografie- Arbeit konzentriert, geht es unter anderem darum, wie das Fremde oder Andersartige im Forschungskontext verstanden werden kann, welche Bedeutung Zahlen und Metaphern in der Debatte rund um das Feld der Triangulation haben und in welchem Verhältnis Bildungstheorie und bildungsbiographische empirische Forschung stehen.
Der zweite Teil fokussiert Bildung und Bildungstheorien: Der Diskurs von Normativität im Konzept von transformatorischen Bildungsprozessen wird dargelegt, ebenso die Darstellung von Bildung als komplexes Relationengefüge im Kontext philosophischer Basisannahmen. Der dritte Teil beschäftigt sich mit Medien, Medialität und Bildung, konkret mit der Einflussnahme digitaler Personenprofile auf die Medienbildung und mit Berufs- und Professionsperspektiven. Der Sammelband wagt damit den Versuch, die Arbeit von Marotzki auf 334 Seiten einzufangen und resultiert damit in einer Sammlung verschiedener Teilaspekte seines Tuns, durch die trotz ihrer Differenziertheit ein stringent roter Faden leitet. Deshalb ist die Publikation Von der Bildung zur Medienbildung auch für Studierende, Dozierende, Fachkräfte sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Erziehungs- und Bildungswissenschaft sowie der Medienpädagogik geeignet.
kolumne
Klaus Lutz: Zukunftsträume
Ich liebe Preisverleihungen im Fernsehen! Ob Bambi, Webvideopreis oder Sportler des Jahres, wenn ich Zeit habe, bin ich gerne vom Sofa aus live dabei. So auch am 02. Dezember 2015, als ich nach einem anstrengenden Arbeitstag unvermittelt bei der Preisverleihung des deutschen Zukunftspreises gelandet bin, von dessen Existenz ich bis dato noch keine Kenntnis hatte. Prämiert werden – soweit ich das verstanden habe – innovative Erfindungen der deutschen Wirtschaft. Eine der nominierten ‚Erfindungen‘ ist ein ausgeklügeltes Radarsystem für Fahrzeuge, welches in seiner letzten Ausbaustufe Fahrerinnen und Fahrer überflüssig macht. Nach einem gut gemachten Sendung mit der Maus-Erklärvideo bittet Moderatorin Maybrit Illner – heute ein Traum in rosa – Ralf Bornefeld von Infineon auf die Bühne. Sie konfrontiert ihn gleich zum Einstieg mit der Frage, ob der deutsche Mann bzw. die Frau (genau in dieser Reihenfolge) schon bereit sei, sich das Lenkrad von einer Maschine aus der Hand nehmen zu lassen. Leider ereilt mich – während ich noch gespannt der Antwort entgegenfiebere – in diesem Moment das Schicksal von so vielen Fernsehabenden. Es fällt mir immer schwerer, die Augen offenzuhalten, in mein Bewusstsein dringen nur noch Begriffsfetzen wie Zukunft und Industrie 4.0 vor sowie Teile des „auch du, Klaus, sollst mehr auf Sauberkeit achten, wenn ich schon das Putzen übernehme“-Monologs meiner Freundin, bevor ich die Reise in die Welt der Träume antrete: Nach einem langen Arbeitstag komme ich gegen 20.30 Uhr nach Hause.
In Gedanken bei meiner To-Do-Liste für die Woche versuche ich, die Wohnungstür aufzuschließen. Der Chip – früher Schlüssel – gibt diese aber nicht frei. Nach mehreren vergeblichen Versuchen lese ich auf dem Türdisplay ‚Bitte erst Schuhe ausziehen‘. Schlagartig erinnere ich mich daran, dass ich letzte Woche einen neuen Teppichboden habe verlegen lassen und sich deshalb die Tür erst öffnen soll, nachdem ich die Schuhe ausgezogen habe. Und dank des Microchips in meinen Schuhen weiß die Tür auch, ob ich brav in die Hausschlappen geschlüpft bin – oder nicht. Also: Schuhe aus, Tür öffnet sich. Ich gehe zum Kühlschrank, um mir ein Feierabendbier zu holen. Dieser öffnet sich zwar, das Fach mit den alkoholischen Getränken leider nicht. Das Kühlschrankdisplay verrät mir aber, dass meine Freundin, die zurzeit im Ausland weilt, heute beim Frauenarzt war und in der dritten Woche schwanger ist. Da ich ihr leichtsinnigerweise versprochen hatte, bei einer Schwangerschaft gemeinsam mit ihr auf Alkohol zu verzichten, ist der Kühlschrank nicht mehr bereit, das Alkoholfach freizugeben. Also, einmal durchschnaufen, über den Nachwuchs freuen, und beim Nachbarn dessen Bier saufen. Nur blöd, dass das Türschloss Wind von dem Plan bekommen hat und nicht bereit ist, die Wohnungstür zu öffnen. Was soll‘s: rauf aufs Sofa, vor die Glotze. Doch statt Preisverleihungen oder Autoschrauber-Sendungen erfahre ich heute alles, was es über Schwangerschaften zu wissen gibt. Später im Bett werde ich auch noch im Zwei- Stunden-Takt durch ein Rütteln der Matratze geweckt, die mich auf den neuen Schlafrhythmus vorbereiten möchte. Wer zum Teufel hat der Matratze von der Schwangerschaft erzählt? Entnervt nehme ich meine Decke und ziehe aufs Sofa um.
Am Morgen lese ich auf meinem Handydisplay, dass ich um 17.00 Uhr einen Termin bei meiner Therapeutin habe, die wissen möchte, warum ich die Nacht auf dem Sofa verbracht habe. Ich mache Frühstück und gebe dem Sofa, der alten Petze, einen Tritt, bevor ich verärgert aus der Wohnung stolpere ... und wache wieder auf. Ich bin etwas verwirrt, weil Maybrit Illner anscheinend schon Feierabend gemacht hat, ohne sich von mir zu verabschieden. Es ist bereits nach Mitternacht und ich begebe mich direkt ins Bett. Jaja, ohne Zähneputzen. Beim Einschlafen überlege ich leicht panisch, ob meine elektrische Zahnbürste dies wohl direkt an meine Zahnärztin weitergibt. Dann aber schnaufe ich erleichtert durch, denn noch ist das alles Zukunftsmusik. Oder doch nicht?
Ansprechperson
Kati StruckmeyerVerantwortliche Redakteurin
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