2014/02: Medien und Zeit
Vor mehr als 500 Jahren, als man noch nicht ausdrücklich über die Zeit gesprochen und auch nicht mit ihr Handel getrieben hat, war sie heilig. Danach waren es die Uhren und die Kalender, die zu Heiligtümern wurden und manch ein Manager trägt heute noch seinen ‚Timer‘ wie eine Monstranz vor sich her. Heute, in der Postmoderne angekommen, heiligen wir die Medien, die ihrerseits wiederum das Aktuelle, das ‚Immer‘, das ‚Überall‘ und das ‚Sofort‘ anbeten. „Die Civilisation will die Materie vergessen machen und den Verkehr beflügeln ...“ Mit diesen prophetischen Worten kennzeichnete Franz von Baader vor 150 Jahren die Entwicklung „des Lebens überhaupt und des socialen Lebens insbesondere“ (Baader 1854, S. 101). Er hat in einem Ausmaß recht gehabt, wie er es sich selbst nicht hat vorstellen können. Heute ist Realität, was die Futuristen zu Beginn des 20. Jahrhunderts kühn postulierten: „Zeit und Raum sind gestern gestorben. Wir leben bereits im Absoluten, denn wir haben schon die ewige, allgegenwärtige Geschwindigkeit erschaffen“ (Marinetti 1909).Die medienpädagogische und allgemeine Herausforderung besteht darin, erstens die temporalen ‚Facetten‘ und ‚Seiteneffekte‘ des Mediengebrauchs in der Forschung angemessen zu berücksichtigen, die Medien ausdrücklich hinsichtlich ihrer zeitstrukturierenden Implikationen in der Medienpädagogik zu thematisieren und den Zielgruppen der Medienpädagogik Möglichkeiten und Wege aufzuzeigen, wie sie die vielfältigen Medien dazu nutzen können, ihre zeitliche Autonomie und Souveränität zu steigern, was letztlich einen Beitrag zur Alltagstauglichkeit und Identitätsbildung darstellt. merz 2/2014 liefert aus unterschiedlichen Perspektiven Argumente dafür, sich dieser Herausforderung zu stellen.
aktuell
Lisa Klimesch: DIVSI U-25 Studie
Welche Rolle spielt das Internet im Alltag junger Menschen? Wie wichtig ist ihnen die eigene Privatsphäre im Web? An welche Wertesysteme sind ihre digitalen Verhaltensmuster gekoppelt?Um Antworten auf diese und weitere Fragen zu erhalten und eine Landkarte der aktuellen digitalen Lebenswelten von Heranwachsenden zu skizzieren, hat das SINUS-Institut Heidelberg im Auftrag des Deutschen Instituts für Vertrauen und Sicherheit im Internet (DIVSI) von Mai bis September 2013 eine Grundlagenstudie durchgeführt. Das zweistufige Forschungsdesign umfasste sowohl eine qualitative leitfadengestützte Studie als auch eine quantitative Repräsentativerhebung, für die Interviews mit 1.500 Heranwachsenden im Alter von neun bis 24 Jahren geführt wurden. Im Hinblick auf die Mediennutzung im Alltag zeigen die Ergebnisse deutlich: Die Mehrheit der Kinder und Jugendlichen ist – zumeist per Smartphone – mehrmals täglich online.
Die Grenzen zwischen Online und Offline sind damit in Auflösung begriffen: Durch den Bereitschaftsmodus mobiler Apps sind Heranwachsende jederzeit erreichbar – das Internet wird damit zum integralen Bestandteil des Alltags. Neben der Mediennutzung im Alltag beleuchtet die Studie auch den Umgang mit legalen und illegalen Online-Angeboten, das Vertrauen und die Sicherheit im Internet sowie die Einstellung der Kinder und Jugendlichen zu Privatsphäre und Identität im Netz. Die Studienergebnisse weisen auf ein neues Verständnis von Privatheit hin: So werden personenbezogene Daten als weniger schützenswert empfunden als beispielsweise Informationen zur sozialen Reputation.Die Identifizierung sieben verschiedener Internet-Milieus gibt weiteren Aufschluss über die Lebenswelten der Heranwachsenden und deren Zugangsweisen zum Internet. Dabei zeigen sich deutliche Unterschiede der Mediennutzung entlang formaler Bildungsniveaus, die auch in der digitalen Welt auf Aspekte sozialer Ungleichheit hinweisen.
Der Milieu-Ansatz der Studie und die Untersuchung von Wertesystemen ermöglichen einen differenzierten Einblick in das Verhalten der nachwachsenden Generation im Netz und tragen wesentlich zur pädagogischen Arbeit, insbesondere der Entwicklung geeigneter Angebote für Medien und Internetkompetenz, bei.www.divsi.de/wp-content/uploads/2014/02/DIVSI-U25-Studie.pdf
Swenja Wütscher: Games und Gaming kompetent gemacht
„(Spielen) ist besser als die Realität (…), ist nicht so langweilig“ (Junge, 16 Jahre). Die Welt rund um Computerspiele hat sich in den letzten Jahren auch durchaus weiterentwickelt, sei es die Hardware der mobilen Spielgeräte, realitätsnähere Grafik, Onlinevernetzung von Spielenden, neue Genres wie Social Network Games oder neue Erlösmodelle wie Free-to-Play. Allerdings bringen diese (Spiel-) Alltagsveränderungen auch neue Herausforderungen mit sich, sowohl für (spielende) Heranwachsende, als auch für Eltern und pädagogische Fachkräfte. Im Fokus des zweijährigen Modellprojekts GamesLab stand daher die Frage nach einem souveränen Umgang mit digitalen Spielwelten, der Verantwortungsbewusstsein, Spielspaß und Selbstbestimmung vereint und kreatives und spielerisches Handeln ebenso wie die kritische Auseinandersetzung mit Games einschließt.
In der integrierten Praxis-Forschungs-Aktivität wurden Zwölf- bis 14-Jährige in Bayern über Werkstätten zu Computerspielen angesprochen und motiviert, sich selbst einzubringen und Materialien zu entwickeln, die ihre Sicht auf Computerspiele – verbunden mit Fragen, Anregungen und Handlungsempfehlungen – darstellen. Die erstellten Produkte brachten die Heranwachsenden einerseits in sogenannte Jugendtagungen ein und nutzen sie für weitere Aktivitäten in ihrem sozialen Umfeld, wie Schule oder Jugendarbeit. Aus der wissenschaftlichen Begleitung wurden Handlungsempfehlungen für Schule, Jugendhilfe und Politik generiert; diese stellt die Perspektive von älteren Kindern und Jugendlichen in den Mittelpunkt und eruiert sowohl ressourcenorientierte und kompetenzstärkende Aspekte des Computerspielens als auch Problemlagen der Gruppe der Vielspielenden.
Die Befragung von jungen Vielspielenden hat gezeigt, dass vorurteilsbehaftetes und abwehrendes Verhalten der Erwachsenen junge Computerspielende noch stärker ins Abseits bringen kann. Kinder und Jugendliche, die tatsächlich zu viel spielen, brauchen Unterstützung durch pädagogische Fachkräfte und Eltern, um zu einem souveränen Umgang mit Computerspielen zurückzufinden. Jugendliche, denen die kompetente Unterstützung mit Computerspielen fehlt, sind potenziell stärker Risiken wie exzessivem Computerspielen, Kostenfallen oder Kontakt- und Konfrontationsrisiken ausgesetzt. Neben der Stärkung medienpädagogischer Kompetenzen bei Erwachsenen scheint auch die Stärkung der Mitverantwortung der Peergroup ein erfolgversprechender Weg, um ältere Kinder und Jugendliche dazu anzuregen, ihr eigenes Medienhandeln zu reflektieren und selbstbestimmt mit Medien umzugehen.
Durchgeführt wurde das Projekt vom JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis in Kooperation mit dem Medienzentrum Parabol und Unterstützung des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Soziales, Familie und Integration. Die Einzelpublikationen von GamesLab (Expertise, Evaluationsbericht, Bericht zur Vielspielenden-Befragung), die pädagogischen Materialien sowie die Produkte aus den Werkstätten sind online verfügbar.www.jff.de/games/gameslab
Lisa Klimesch: Medienkompetenz und Jugendschutz
Die Tribute von Panem – The Hunger Games, Kriegerin, Dirty Girl und Chronicle – wozu bist du fähig? – so lautet die Filmauswahl der jetzt veröffentlichten Studie Medienkompetenz und Jugendschutz IV bei der die Wirkung von Kinofilmen und die Frage im Fokus standen, inwieweit diese Jugendlichen bei der Bewältigung von Alltagsproblemen und der Lösung von Identitätskonflikten helfen können. Von September 2012 bis Juli 2013 führte die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) in Kooperation mit dem Jugendministerium Rheinland- Pfalz quantitative und qualitative Erhebungen durch, an denen sich insgesamt 517 Schülerinnen und Schüler beteiligten. Hauptkriterien für die Auswahl der Filme waren das Miterleben mit jungen Charakteren, die sich Teenagern zur Identifikation anbieten, sowie eine FSK Freigabe ab zwölf Jahren.
Die Ergebnisse der Studie belegen eine deutlich identitätsstiftende Wirkung von Filmen auf Zwölf- bis 15-Jährige: Filmische Protagonistinnen und Protagonisten erfüllen eine Vorbildfunktion und werden auf vielfältige Art und Weise in den Prozess jugendlicher Identitätsbildung miteinbezogen. Nachdem die Heranwachsenden die vier Filme gesehen hatten, konnten außerdem eine Reduktion von Aggressionen und Angstneigungen sowie eine gesteigerte Kompromissbereitschaft in Konfliktsituationen festgestellt werden. Neben sozialen Gruppenidentitäten und kosmopolitischer Weitung beleuchtet die Studie auch die durch Filme geprägten Identitätskonzepte Jugendlicher. Hinsichtlich des Auf- bzw. Abbaus von Vorurteilen durch Filme weisen die Studienergebnisse ein differenziertes Bild auf: So verminderte beispielsweise der Film Tribute von Panem sexistische frauenfeindliche Einstellungen, während Dirty Girl zur Reduktion von Fremdenfeindlichkeit und Vorurteilen gegenüber dicken Menschen beitragen konnte.Die Ergebnisse zeigen, dass Jugendliche problematische Inhalte eines Films nicht einfach in ihre Lebenswelt übernehmen, sondern diese kritisch hinterfragen – im Jugendschutz muss daher zwischen Herausforderung und Beeinträchtigung abgewogen werden.
Die Studie stellt einen wichtigen Beitrag zur Medienwirkungsforschung dar und bietet pädagogischen Fachkräften zudem aktuelle Informationen zur Rolle von Filmen bei der Entwicklung vom Kind zum Jugendlichen.www.medienkompetenz-jugendschutz.de
Swenja Wütscher: Stichwort Threema
Facebook hat WhatsApp gekauft, Datenschützerinnen und Datenschützer sowie Kundinnen und Kunden haben Alarm geschlagen. Und jetzt? Na Threema – so sagen es jedenfalls die gestürmten App-Charts unter Android und iOS. Der Schweizer Online-Dienst garantiert durch eine asymmetrische Ende-zu-Ende- Verschlüsselung den sicheren Versand von Kurznachrichten. Konkret heißt das, dass außer den vorgesehenen Empfängerinnen und Empfängern niemand den Klartext zu Gesicht bekommt. Im Unterschied zu anderen populären Messenger-Apps – einschließlich derer, die Verschlüsselung einsetzen – können bei Threema selbst die Serverbetreibenden nicht mitlesen; auch die NSA nicht.
So lauten zumindest die hauseigenen Versprechen, denen allerdings Nutzende selbst Vertrauen entgegen bringen müssen, da es kein Open Source-Angebot ist. Und, selbstverständlich beinhalten die derzeitigen Garantien auch keine Vorhersage darüber, ob Threema irgendwann nicht auch an Facebook und Co. verkauft werden könnte. Im Funktionsumfang kann der Instant Messenger jedenfalls mit den Vergleichbaren sehr wohl mithalten: Textnachrichten, Gruppenchats, Bilder, Videos und auch der aktuelle Standort können verschickt, das Adressbuch kann synchronisiert werden. Einzig die Einrichtung ist umständlicher und die Vorschau der Push-Nachrichten beinhaltet (auf iOS) keine Nachrichtenvorschau – dafür mehr Datenschutz und sicherere Kommunikation. S
icherlich ist diese App keine eierlegende Wollmilchsau in punkto Datenschutz. Es gibt schlichtweg kein globales Datenschutzrecht, kein globales Kontrollorgan zum Schutze unserer Daten. Es kann auch keinen sicheren Messenger geben, denn selbst gesetzliche Regelungen könnten nur Konsequenzen garantieren, nicht aber echte Sicherheit. Wenn es aber um das Chatten an sich geht, hat Threema derzeit die Nase vorn – unterstützt von Android (1,60 Euro) und iOS (1,80 Euro), Betriebssysteme wie Windows Phone sind noch außen vor. Letztendlich wird die wichtigste Entscheidung aber nicht bei der Auswahl des Messengers, sondern bei der – hoffentlich reflexiven und kompetenten – Auswahl der Informationen getroffen, die über diesen preisgegeben und verbreitet werden.
Ein Hinweis am Rande für alle, die sich von WhatsApp verabschieden wollen: Es ist darauf zu achten, die App nicht nur zu deinstallieren, sondern zuvor in den Einstellungen unter ‚Account‘ das eigene Konto zu löschen. Ansonsten bleiben die Daten des Nutzenden weiter auf den Servern des Unternehmens gespeichert.
Cornelia Pläsken: Ist Google das Internet?
Suchmaschinen sind zu einem wichtigen Werkzeug des Internets geworden. Doch wie genau suchen Menschen nach Informationen, nach welchen Kriterien wählen sie die Informationen aus und welche Rolle nehmen Suchmaschinen dabei ein? Diesen und weiteren Fragen geht die Studie Die Googleisierung der Informationssuche nach. Gefördert und durgeführt wurde das Forschungsprojekt vom Forschungsschwerpunkt Medienkonvergenz der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Die verantwortlichen Projektpartnerinnen und -partner sind Univ.-Prof. Dr. Birgit Stark, Univ.-Prof. Dr. Dieter Dörr und Univ.-Prof. Dr. Stefan Aufenanger. Die Studie wurde in zwei Teilen erhoben. Teilstudie eins wurde im September 2012 erhoben und basiert auf neun qualitativen Gruppendiskussionen mit jeweils drei Internetnutzenden verschiedenen Alters und verschieden ausgeprägter Medienkompetenz. Für die Teilstudie zwei, deren Durchführung im Mai 2013 stattfand, wurde eine repräsentative quantitative Online-Befragung mit 1.012 Internetnutzenden im Alter von 16 bis 82 Jahren durchgeführt.
Die Ergebnisse zeigen, dass Google die zentrale Rolle bezüglich Suchmaschinen im Internet einnimmt. 92 Prozent geben an, dass sie für die Informationssuche im Internet Google verwenden. 60 Prozent nutzen die Vorschläge, die bei der Eingabe von Suchbegriffen erscheinen und lediglich 26 Prozent wechseln zu einer anderen Suchmaschine, wenn Google nicht das gewünschte Ergebnis anzeigt. Über die Personalisierungsproblematik der Suchergebnisse – also die individuelle Personalisierung von Suchergebnissen auf Basis von vorangegangenen Suchanfragen – wissen die wenigsten Nutzerinnen und Nutzer Bescheid und begrüßen die Nützlichkeit dieser Funktion zugleich. Des Weiteren ist das Thema Datenschutz für sie wichtig, da die Mehrheit beispielsweise Vorratsdatenspeicherung ablehnt. Das eigene Suchverhalten wird dabei allerdings nicht infrage gestellt, solange die Personen mit den Suchergebnissen von Google zufrieden sind.
Die vermeintliche Darstellung von Internetnutzenden als rational agierende und gründlich recherchierende Individuen zeigt sich als unrealistisch, da für die meisten Suchanfragen ein geringer kognitiver Aufwand betrieben wird. Die Rezipierenden haben ein naives und unkritisches Bild von Google vor Augen, das auch in ihrem Suchverhalten wiederzufinden ist. Die gesamten Studienergebnisse werden im Juli 2014 veröffentlicht.
www.ifp.uni-mainz.de/Bilder_allgemein/Suchmaschinen_Management_Summary.pdf
Swenja Wütscher: MekoKitaService ist online
Im Internet ins Museum gehen, den Großeltern E-Mails senden, die Sandmännchen-App auf dem Tablet – in Kinderzimmern sind digitale Medien längst angekommen. In Kindertagesstätten stehen Kindermedien allerdings oft noch weit hinter dem Bildungsplan, der Sprachförderung oder der Förderung motorischer Kompetenzen, obwohl es überwiegend bereichernde, pädagogisch wertvolle Medienerlebnisse und kreativitätsförderndeAngebote sind, mit denen sich Kinder gerne beschäftigen. Der MekoKitaService der Landesanstaltfür Medien NRW (LfM) ist daher ein weiterer Baustein, mit dem Medienerziehung in den Kitas verstärkt verankert werden kann.
Der monatliche Newsletter bietet ab sofort für Kitas und Familienzentren konkrete Anregungen und Materialien zur Vermittlung und Förderung von Medienkompetenz im Kindergarten. In den Rubriken wie „Medien in Gespräch und Spiel“, „Medien aktiv“ oder „Medien und Familie“ macht die Redaktion Vorschläge, wie Erzieherinnen und Erzieher Medien und Medienthemen in den Alltag ihrer Einrichtungen einbinden können, also wie sich beispielsweise mit Kita-Kindern altersgerecht und aktiv zum Thema Medien arbeiten lässt, welche Online-Angebote Kita-Fachkräfte für ihre Arbeit nutzen und auch wie Eltern erreicht und einbezogen werden können.
Die Anmeldung zu dem kostenfreien Abonnement des MekoKitaService erfolgt auf der Homepage, mit der inhaltlichen Erstellung des Angebots ist die Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur (GMK) beauftragt.
www.meko-kitas-nrw.de
Karen Schönherr: Tagung: Scripted Reality in der medienpädagogischen Arbeit
Scripted Reality ist seit Jahren im medienpädagogischen Diskurs. Die rheinland-pfälzische Landeszentrale für Medien und Kommunikation (LMK) und ihre Tochtergesellschaft medien+bildung.com (m+b.com) ergründeten mit einer Fachtagung, welche pädagogischen Ansätze es dazu gibt und welcher Schritte es noch bedarf, um Jugendliche umfangreicher im Umgang mit diesem Genre zu bilden. 65 Bildungswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, Lehrkräfte, Studierende und medienpädagogische Fachkräfte aus dem gesamten Bundesgebiet folgten am 25. Februar 2014 der Einladung nach Ludwigshafen. In fünf Kurzpräsentationen wurden Projekte mit unterschiedlichen pädagogischen Zugängen zum Thema vorgestellt. Drei dieser Projekte versetzen Jugendliche in die Rollen von Produzenten. Sie sollen dabei selbst erfahren, dass für Scripted Reality Geschichten erfunden werden, die das Ziel verfolgen, so krass, emotional, peinlich – sprich faszinierend – zu sein, dass das Publikum nicht wegschaltet. Diesen Rollentausch gestalten der tv.profiler der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM) und der Scripted-Reality-Workshop des Landesmedienzentrums Baden- Württemberg (LMZ), indem sie die Schülerinnen und Schüler selbst Charaktere und Storys erfinden lassen. Das Projekt Echt oder Fake?! (m+b.com) ergänzt diese Methoden mit der praktischen Umsetzung: Die Jugendlichen drehen und schneiden ihre eigene Sendung. Dementsprechend unterscheidet sich auch der zeitliche Umfang: Echt oder Fake?! bedarf außerdem einer gewissen Videoerfahrung der Lehrkraft oder der Unterstützung durch eine medienpädagogische Fachkraft.
Die umfangreiche Handreichung Schein & Sein der Medienanstalt Hamburg/Schleswig-Holstein (MA HSH) bietet zusätzlich ein Praxismodul in drei ortsansässigen Offenen Kanälen an. Es liefert neben anderen Modulthemen vor allem einen textlichen Zugang zum Verständnis von verschiedenen (teil-)gescripteten Genres. Dazu gehört auch eine DVD, auf der kommentierte Sendungsausschnitte zeigen, welche Stilmittel zum Einsatz kommen, um eine Echtheitsästhetik zu erzeugen. Eine digitale Publikation realisieren derzeit auch die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) und die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb): Die DVD-Rom Faszination Medien (FAME) ist ein gut strukturiertes Lernangebot, mit dem Schülerinnen und Schüler autark oder mit der Lehrkraft arbeiten können, und das ab Sommer 2014 über die bpb bezogen werden kann. Die Materialien aller anderen Projekte stehen als Downloads und zum Teil als Printversion zur Verfügung. Die Tagung vermittelte viele verschiedene Handlungsansätze, mit denen das Thema Scripted Reality im Kontext von schulischer und außerschulischer Bildung bearbeitet werden kann. Die vorgestellten Konzepte berücksichtigen unterschiedliche Rahmenbedingungen und unterschiedliche Persönlichkeiten von Lehrenden und Lernenden. In der abschließenden Podiumsdiskussion wurde deutlich, dass Schulen für die Umsetzung dieser Projekte oft finanzielle und zeitliche Hürden überwinden müssen, da sich Medienbildung (noch) nicht verbindlich in der Lehrerausbildung und den Lehrplänen niederschlägt.
Wiederholt richtete sich der Blick auf die Pflicht zur Kennzeichnung von ‚gescripteten‘ Inhalten. Dr. Thomas Voß (MA HSH) erachtet sie als notwendig, um Kindern und Jugendlichen den fiktionalen Charakter von Scripted Reality zu verdeutlichen. Dr. Maya Götz (IZI) reicht dies aber nicht, um jungen Zuschauerinnen und Zuschauern die Einordnung des Gesehenen zu erleichtern. Oft sei Produzenten gar nicht bewusst, was für Kinder problematisch ist. Sie seien aber durchaus an Ideen zur Veränderung interessiert. Karen Schönherr (m+b.com) fragte, ob nicht Outtakes im Abspann eine weitere Möglichkeit wären. Dr. Meike Isenberg (LfM) wies auf die bestehenden Kontakte zu den Sendern und ihren Jugendschutzbeauftragten hin. Auch die Eltern müssten ihren Kindern beim Verarbeiten von Medieninhalten allgemein und beim Erkennen des Realitätsgehaltes von Scripted Reality im Speziellen helfen. Dafür fehlt es Maya Götz und Constantin Schnell (LMZ) jedoch am kritischen öffentlichen Diskurs. Leopold Grün (FSF) würde diesen lieber auch hinsichtlich der vermittelten Rollenbilder geführt sehen, als nur über deren Fiktionalisierungsgrad.
Die Moderatorin Katja Friedrich, Geschäftsführerin von m+b.com, schlug vor, dass man sich doch einmal zu einem Workshop mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, pädagogischen Fachkräften, Eltern und Produzenten zusammenfinden könnte, um Wege zur Verbesserung auszuloten.QuellenFSF, bpb. Faszination Medien (DVD-ROM). Ein multimediales Lernangebot für Schule und Jugendarbeit.
fsf.de/medienpaedagogik/material/fame/ [Zugriff: 01. 04.2014].
LfM. „tv.profiler“ – Eine Unterrichtseinheit für eine Schulstunde. www.br-online.de/jugend/izi/deutsch/publikation/tv_profiler/tv_profiler.htm [Zugriff: 01.04.2014].
LMZ. Workshop Inszenierte Wirklichkeit / Reality TV. www.lmz-bw.de/medienbildung/jugendmedienschutz/film-fernsehen/workshop-inszenierte-wirklichkeit-reality-tv.html [Zugriff: 01.04.2014].
M+b.com. Scripted Reality – Echt oder Fake?!. scripted-reality.wordpress-und-bildung.de [Zugriff: 01.04.2014].
MA HSH. Schein & Sein - Inszenierte Wirklichkeit in Reality-TV & Web 2.0 - Eine Handreichung für den Unterricht. www.ma-hsh.de/aktuelles-publikationen/publikationen/schein-sein/ [Zugriff: 01.04.2014]
thema
Karlheinz A. Geißler und Andreas Lange: Editorial
Vor mehr als 500 Jahren, als man noch nicht ausdrücklich über die Zeit gesprochen und auch nicht mit ihr Handel getrieben hat, war sie heilig. Danach waren es die Uhren und die Kalender, die zu Heiligtümern wurden und manch ein Manager trägt heute noch seinen ‚Timer‘ wie eine Monstranz vor sich her. Heute, in der Postmoderne angekommen, heiligen wir die Medien, die ihrerseits wiederum das Aktuelle, das ‚Immer‘, das ‚Überall‘ und das ‚Sofort‘ anbeten. „Die Civilisation will die Materie vergessen machen und den Verkehr beflügeln ...“ Mit diesen prophetischen Worten kennzeichnete Franz von Baader vor 150 Jahren die Entwicklung „des Lebens überhaupt und des socialen Lebens insbesondere“ (Baader 1854, S. 101). Er hat in einem Ausmaß recht gehabt, wie er es sich selbst nicht hat vorstellen können. Heute ist Realität, was die Futuristen zu Beginn des 20. Jahrhunderts kühn postulierten: „Zeit und Raum sind gestern gestorben. Wir leben bereits im Absoluten, denn wir haben schon die ewige, allgegenwärtige Geschwindigkeit erschaffen“ (Marinetti 1909). Rundfunk, Fernsehen und das Internet bestimmen mit wachsender Intensität und vor allem tiefgreifend, unsere Wirklichkeit und das, was wir für ‚wirklich‘ halten. Sie prägen in der Art und Weise, wie sie gestaltet und von uns wahrgenommen werden, unser Verständnis von Zeit und unseren Umgang mit ihr.
Die zeitlichen Koordinaten des Lebens in Bildung, Lernen, Arbeit und Freizeit, aber auch in der Familie und der Peergroup sind häufig durch Medien bestimmt: Mit dem Radio lassen wir uns wecken, und mit der Fernbedienung in der Hand schlafen wir vor dem Fernseher schließlich ein, dazwischen ein Arbeitstag, den immer mehr Menschen vor diversen Bildschirmen mit dem Finger auf dem Touch-Screen verbringen, nicht selten auch bemüht, ihre „sozialen Standleitungen“ (Reißmann 2013) zu anderen Menschen dadurch à jour zu halten. Die Zeitgestalten der Medien sowie auch die Möglichkeiten, Zeit mit Medien zu gestalten, sind äußerst vielfältig (Beck 1994). Auf den ersten Blick dienen die geliebten Geräte erstens der Beschleunigung des Lebens und mittlerweile zweitens immer mehr der Abkopplung von festen Vorgaben.
Insbesondere in den elektronischen Medientechniken sind ‚zeitsparende‘ Effekte angelegt: Das Telefonieren spart den Besuch oder den zeitaufwendigen Brief; E-Mails befördern eine Nachricht in Sekundenschnelle; Radio und Fernsehen können uns ‚live‘ über beliebig entfernte Ereignisse informieren, ohne jene Zeitverzögerung, die dem vormals ‚schnellen‘ Medium Zeitung noch anhaftet. Das neue Leitmedium, den Computer, einschließlich seiner vielgestaltigen Abkömmlinge, nutzen wir, um zeitintensive Routinen und Abläufe zu beschleunigen: von der Buchhaltung über die Textverarbeitung bis hin zu umfangreichen Internet-Recherchen. Dazu kommt die Beschleunigung in und durch die Medienformate. Ein Krimi oder eine Dokumentation aus den 60er Jahren ist nicht nur wegen der bescheidenen Sendequalitäten ‚altbacken‘, sondern wegen der langsamen Schnitte und tempoarmen Handlungsbögen. Das könnte einen „Sozialisationseffekt“ dergestalt entfalten, dass zumindest der kognitive Aufwand zur Decodierung dieser Inhalte steigt (Grunow et al.).
Die Mediatheken von Fernseh- und Radioangeboten wiederum machen uns weitgehend unabhängig von kollektiv vorgegebenen Sendezeiten. Bezogen auf unser Heft-Thema heißt dies, dass Kinder und Jugendliche demnach in einer auch durch Medien beschleunigten, gleichzeitig immer stärker auf individualisierte, gleichsam ‚solitär‘ und dadurch auch fragmentierte Zeitverwendung hin abzielende/ermöglichende Gesellschaft aufwachsen. Da darf es nicht wundern, dass die nächste Welle der Kulturkritik der Medien auch hier ein neues Betätigungsfeld gefunden hat, man denke an die Stichwörter „Digitale Demenz“ und „Hyperaktivität“ bzw. das Zeitalter der Zerstreuung /Simultaneität … Zumindest in technischer Hinsicht scheint das Ende der Beschleunigung erreicht. Wenn sich Informationen mit Lichtgeschwindigkeit übertragen lassen, ist dem unaufhörlichen Streben nach möglichst rascher und verzögerungsfreier Nachrichtenübermittlung das Ziel abhanden gekommen und damit auch die Beschleunigung als technische Leitmaxime der Medienentwicklung an ihrem Ende.
Im Anschluss an das napoleonische Zeitalter vollendete sich die Beschleunigungsidee in weniger als 200 Jahren. Die elektromagnetischen Welten haben die Sekunde in deren Bruchteile zerlegt und die Räume, besonders aber die Zeiten, der menschlichen Wahrnehmung entzogen. ‚Zeit‘ wird mittels neuer Techniken jenseits der bewussten Anschauung organisiert. Mit den Beschleunigungspotenzialen der Medien wurden völlig neue Möglichkeiten des Denkens und Handelns erschlossen. Mit der „elektrischen Augenblicksverbindung“ (Warburg 1923) und der „Eroberung der Allgegenwärtigkeit“ (Valéry 1959) lässt sich die Zeit scheinbar eliminieren. Nichts dauert mehr. Alles ist sofort, auf Knopfdruck, da. Und doch haben wir das Gefühl, dass uns mehr denn je etwas fehlt. Mit dem Ende der Beschleunigung gewinnt die Zeit-Verdichtung als weitere spätmoderne Technik der Zeitbewirtschaftung noch mehr an Bedeutung. Verdichtet, so die real wirksame Vorstellung, lässt sich die relativ knapp bemessene, gleichwohl historisch neue Dimensionen einnehmende Lebenszeit dann ,effizienter‘ nutzen, zum Beispiel indem man mehrere Dinge gleichzeitig tut bzw. möglichst viel (an Information) in die gleiche Zeit packt. Auch hierfür bietet die Welt der Medien eine Vielzahl an Möglichkeiten: Radiohören beim Zeitungslesen, Bügeln beim Fernsehen, Musikhören beim Internet-Surfen, Telefonieren beim Auto- oder beim Zugfahren. Wer seine Aufmerksamkeit teilt, hat mehr vom Leben – so lautet das Credo der Zeitoptimierer. Es geschieht immer etwas, und weil immer etwas geschieht, geschieht noch vieles andere. Das möglichst gleichzeitig, immer aber möglichst schnell. Selbst das Bildungssystem ist von diesem Tempo-Virus (Borscheid 2004) infiziert, mit nicht nur positiven Effekten für die Schülerinnen und Schüler.
Vielmehr scheint sich die Verdichtung der Kindheit und Jugend in einer Prekarisierung anderer Tätigkeiten auszuwirken wie beispielsweise der Jugendverbandsarbeit (Lange/Wehmeyer 2014). Das Handeln derer, die die Medien nutzen, erschöpft sich jedoch nicht in den Strategien der Beschleunigung und Zeitverdichtung. Denn Zeit ist in unserer Gesellschaft nicht nur zu einem knappen Gut geworden, mit dem es möglichst ‚effizient‘und ‚sparsam‘ zu wirtschaften gilt. Sie ist zuweilen auch im Überfluss vorhanden. Zu allererst für das Heer der unfreiwilligen Arbeitslosen. Aber auch für diejenigen, die sich tagsüber in ihrem Beruf abrackern (dürfen), verwandelt sich Zeit spätestens am Feierabend oder in der Freizeit zu etwas, mit dem man reichlich gesegnet ist (Erst ‚ranklotzen‘, dann ‚reinglotzen‘, ist das Motto dieses Lebensstils). Mit diesem Zeit-Reichtum können nicht alle gleichviel anfangen. Die gesuchte Ablenkung, die mehr als vier Stunden (Frees/Eimeren 2013), die die Bundesbürger täglich vorm Fernseher verbringen (Reuband 2012: Fernsehen kann als low-cost-Freizeitbeschäftigung vor allem bei älteren Menschen noch zulegen) beispielsweise, ist immer auch eine Ablenkung von der ‚Leere‘ der Zeit, von der ‚Langeweile‘, dem ereignislosen Verfließen der Zeit – und damit immer auch eine Ablenkung von sich selbst. Der Mediengebrauch dient offenbar nicht nur der Beschleunigung des Lebens, sondern auch dazu, die wachsende ‚freie‘ Zeit zu strukturieren und ihr einen wie auch immer gearteten Sinn zu geben.
Ganz gleich, ob in chronischer Zeitnot oder in der Situation, in der wir uns einem Überfluss an Zeit gegenüber sehen: In beiden Fällen vertreiben wir die Zeit aus unserem Leben: zum einen, indem wir sie möglichst intensiv bewirtschaften und nach dem Prinzip ‚Zeit ist Geld‘ den Kampf gegen alles Langsame, Bedächtige, Pausierende aufnehmen. Zum anderen, indem in der so gewonnenen Freizeit mit Hilfe der Medien die Zeit ‚totgeschlagen‘ wird. Wir sprechen von ‚Zeitvertreib‘ wenn wir beschreiben, um was es geht: ‚Zeit‘ soll vertrieben, Zeitlosigkeit erreicht werden. Der massenmediale Weg zur Zeitlosigkeit ist die massenmediale wie auch durch interaktive Medien getriebene Beschleunigung, die Rundum-Betriebsamkeit, die Verdichtung der Sensationen, die Dauerablenkung. Auch wenn tagsüber ununterbrochen und erfolgreich Zeit ‚gespart‘, Abläufe beschleunigt werden und durch gerätegestützte Parallelhandlungen verdichtet wird, scheinen viele doch an langen Fernsehabenden oder in stundenlangen Internet-Sitzungen alle Zeit der Welt zu haben. Die Rastlosigkeit beim vermeintlichen Sparen von Zeit mündet am Feierabend in der nicht minder großen Ratlosigkeit, sinnvoll mit ihr (und sich) umzugehen. Es fällt offenbar schwer, eine Balance zwischen dem ‚Müssen‘ und der möglichen ‚Muße‘ zu finden. Zeitmangel und Zeitüberfluss verweben sich zu spät- oder postmoderner Zeiterfahrung. Je mehr Zeit man hat, umso mehr muss aufgrund des neoliberalen Verwertungszeitgeistes mit dieser etwas gemacht werden und entsprechend weniger hat man dann wieder.
Vier Zeitdynamiken sind es, die für die elektronischen Medien und für deren Gebrauch charakteristisch sind:
Informations- und Kommunikationsmedien zielen darauf ab, räumliche wie zeitliche Distanzen zu reduzieren. Bereits die frühen Formen der Nachrichtenübermittlung versuchten das Trennende des Raumes mit möglichst geringem Zeitaufwand zu überwinden. Den neuen elektronischen Medien gelingt es erstmals, diesen Zweck aller Mediennutzung zu vollenden. Mit der Lichtgeschwindigkeit der Signalübertragung wird die Grenze der Beschleunigung erreicht, werden zeitliche und räumliche Distanzen reduziert und der Wahrnehmung entzogen. Räumliche wie zeitliche Unterschiede verlieren ihre Bedeutung im weltweiten Netz der Medien. Die globale Gleichzeitigkeit wird zur zentralen Zeiterfahrung.
Die weltweite Medienvernetzung kommt dem menschlichen Streben und der menschlichen Sehnsucht nach möglichst schwereloser Überwindung von Raum und Zeit entgegen. Weniger diese Überwindung als solche, vielmehr ihre (vermeintliche) Mühelosigkeit macht die Faszination der neuen Medien aus. Angefangen mit dem Telefon, vorerst endend mit der digitalen Neuschöpfung der Welt im Cyberspace, erheben wir uns zu engelsgleichen Wesen. Geschöpfe, die der Naturgesetzlichkeit scheinbar nicht mehr unterliegen und die Barrieren von Raum, Zeit und Materie mühelos überwinden. Die Gesetze der Schwerkraft scheinen außer Kraft, wenn wir uns per Mausklick oder Fernbedienung die Welt auf den Bildschirm holen. Diese ‚Engelhaftigkeit‘ unserer virtuellen Existenz versteckt und verdeckt die materiellen und naturgesetzlichen Bedingungen, denen die neuen Medien und ihr Gebrauch unterliegen. Diese Engelhaftigkeit erstaunt uns Erwachsene vielleicht noch, ist aber zur existenziellen Matrix der heute Heranwachsenden geworden.
Die Informations- und Kommunikationsmedien sind nicht nur Teil unserer Nonstop-Gesellschaft; sie sind dafür mitverantwortlich. Die pausenlose Verfügbarkeit von Programmangeboten in Fernsehen und Radio ist heutzutage selbstverständlich. Das Internet ist ein ‚Ort‘, zu dem man jederzeit Zutritt findet. Die vielfältigen Formen moderner Telekommunikation ermöglichen ein Nonstop der Erreichbarkeit. Dadurch nehmen die individuellen Nutzungsspielräume entscheidend zu. Eine soziale Koordination des Medienumgangs und des Mediengebrauchs findet jedoch nur selten statt, eher kann man von einer massiven Deregulierung sprechen. Individuell sind die Freiheiten zweifelsohne größer geworden, aber kollektiv (zum Beispiel politisch) werden diese Freiheiten nicht mehr abgesichert, so dass mit den Freiheiten auch die Zwänge zunehmen. Auf soziale Zeiten und Rhythmen wie etwa das Wochenende oder den Wechsel von Arbeit und Ruhe nehmen die Medien (bzw. ihre Nutzenden) keine Rücksicht mehr. Dies führt zu der erfahrbaren Paradoxie: Je vernetzter und flexibler unsere Nonstop-Gesellschaft, umso isolierter sind ihre Mitglieder. Das allmähliche Verschwinden der Wirklichkeit geht mit einem wirklichen Verschwinden der Allmählichkeit einher.
Die Medien, speziell jene, die wir als ‚neu‘ bezeichnen, konfrontieren uns täglich mit höchst flexiblen Zeitformen. Diese sind jedoch nicht mehr an der zeitlichen Vielfalt der Natur orientiert, weder der äußeren Natur noch unserer eigenen, inneren Natur. In einer globalisierten Medienwelt ist immer ‚was los‘, ein Event jagt das andere, stets ist dadurch alles taghell beleuchtet. Die Vielfalt der Zeitmuster, die wir in der Natur vorfinden, wird ergänzt und häufig auch ersetzt durch eine Vielfalt von technisch/elektronisch produzierten Zeitmustern und Programmschemata, deren interner Verweisungslogik und darauf zugeschnittener theatraler Inszenierungen im Bereich der Wirtschaft, des Sports und der Politik. Durch diese Entkopplung von den Zeiten der Natur entsteht eine zivilisatorische Spannung zwischen der Welt der Medien einerseits und der kaum noch wahrgenommenen Natur andererseits. Trotz aller medialer Aufrüstung und Abschirmung sind und bleiben die Menschen jedoch ein Teil der Natur, allein die Zugehörigkeit zur Natur lässt sich, die Medien sorgen dafür, besser leugnen. Spätestens am Ende unserer Existenz werden wir sie akzeptieren müssen.
Vor dieser Folie betrachten die Beiträge der vorliegenden merz-Ausgabe das Thema Medien und Zeit aus unterschiedlichen Perspektiven: Woher kommen eigentlich unsere Probleme mit der Zeit? Frank Orthey befasst sich mit dieser Frage anhand eines stroboskopartigen Blicks zurück in die Zeitgeschichte und legt so fossile temporale Gesteine frei, die vielfach modifiziert und dann um neue ‚Brocken‘ ergänzt – zu nennen ist die Erfindung und technische Implementation der linearen Zeit in Gestalt der Uhren – unsere heute Zeitökologie und Zeitwahrnehmung mitgeformt haben. Karlheinz A. Geißler, Jonas Geißler und Frank Michael Orthey loten in ihrem launigen intergenerativen Chat sowohl die erwartbaren und nicht erwartbaren temporalen Gemeinsamkeiten wie Unterschiede zwischen den Generationen als auch die notwendigen Kompetenzen aus, um nicht in der Flut von Optionen, die ja immer auch Zeit brauchen, um abgewogen zu werden, unterzugehen. Dass die zeitlichen Folgen der Mediatisierung des Alltags höchst ambivalent sind, arbeitet überzeugend Vera King heraus. Dieses Ambivalente erstreckt sich dabei auf die temporale Logik des Alltags, der durch die neuen Möglichkeiten der Medien- und Kommunikationstechnologien auf der einen Seite eigentlich entspannter organisiert werden könnte, da man sich bestimmte Wege sparen kann; auf der anderen Seite kommt es aber zu heftigen Beschleunigungsspiralen, weil man mehr Tätigkeiten in eine Zeiteinheit zu packen bemüht ist. Aber auch die temporale Logik der frühen Lebensphasen ist höchst widersprüchlich: Einerseits verkürzen Medien und deren Inhalte das Kindsein, andererseits verbleiben junge Menschen länger im Elternhaus. Auf dieser Basis, unterfüttert durch eine eigene empirische Untersuchung, arbeitet die Autorin subtil die möglichen Implikationen dieser zweifachen neuen Zeitordnungen auf der Mikro- wie Makroebene heraus und leitet daraus bedenkenswerte Aufgabenfelder für die Medienbildung ab; vor allem das Einüben der spielerischen Distanzierung und Reflexivität dürfte sich lohnen.
Auf der Basis einer ‚dichten Beschreibung‘ des spätmodernen Alltags zwischen Familien- und Berufsverpflichtungen, die ohne Medien kaum mehr zeitlich zu integrieren und synchronisieren wären, sowie einer Phänomenologie moderner medialer Anforderungen entwickelt Frank Orthey ein Tableau notwendiger Zeit Kompetenzen zu deren Bewältigung. Insbesondere hinsichtlich der „Transversalitätskompetenzen“ gibt er Einblick in ein fruchtbares Feld nicht nur medienpädagogischer Arbeit jenseits der eingespielten Zuständigkeiten und Hoheitsgebiete. Die spezifischen Zeiten sozialer Netzwerke untersucht Alexander Klier und erinnert dabei an die aus dem Bildungsbürgertum stammende Auffassung, wonach Freizeit nicht eigentlich freie Zeit ist, sondern mindestens in einigen Anteilen auch der Selbstfindung, Selbstveredelung zu dienen habe. Auf der Basis der Theorie sozialer Praktiken wird überzeugend aufgezeigt, dass auch die Nutzung sozialer Netzwerke nicht einfach vorherige Praktiken und Technologien verdrängt, sondern es vielmehr zu differenziellen Verwendungsweisen der Newcomer kommt. Und dazu gehört bei den sozialen Netzwerken ihre ‚praktische‘ Abkoppelbarkeit von physischer und temporaler Ko-Präsenz, sprich: Man kann sich ein- und ausklinken, wie es einem passt.
Die Beiträge zeigen trotz ihrer durchaus unterschiedlichen Annäherung und ihrer unterschiedlichen wissenschaftstheoretischen Basis: Die medienpädagogische und allgemeine Herausforderung besteht zusammengenommen darin, erstens die temporalen ‚Facetten‘ und ‚Seiteneffekte‘ des Mediengebrauchs in der Forschung angemessen zu berücksichtigen, die Medien ausdrücklich hinsichtlich ihrer zeitstrukturierenden Implikationen in der Medienpädagogik zu thematisieren und den Heranwachsenden Möglichkeiten und Wege in den unterschiedlichsten pädagogischen und außerpädagogischen Settings aufzuzeigen, wie sie die vielfältigen Medien dazu nutzen können, ihre zeitliche Autonomie und Souveränität zu steigern, was letztlich einen Beitrag zur Alltagstauglichkeit und Identitätsbildung darstellt.
Literatur
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Autor: Andreas Lange, Karlheinz A. Geißler
Beitrag als PDFEinzelansichtFrank Michael Orthey: Von der Urzeit zur Medienzeit
„Unter welchen Umwelt-Bedingungen wurde und wird Zeit (…) wahrgenommen und gedacht?“ Der Beitrag geht dieser Frage nach und spannt dabei den Bogen von Urzeit über Neuzeit und Moderne– von der Entdeckung der Zeit über die Entwicklung eines Zeitbewusstseins und zeitlicher Rationalität – bis hin zur Postmoderne, in der hektische Gleichzeitigkeit und Zeitdruck vorherrschen.
Literatur:
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Hoeg, Peter (1995). Der Plan von der Abschaffung des Dunkels. Roman. München und Wien: Hanser-Verlag.
Luhmann, Niklas (1968). Die Knappheit der Zeit und die Vordringlichkeit des Befristeten. In: Die Verwaltung 1/1968, S. 3-30.
Lyotard, Jean-Francois (1988). Beantwortung der Frage: Was ist postmodern? In: Welsch, Wolfgang (Hg.): Wege aus der Moderne. Weinheim. S. 193-203.
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Orthey, Frank Michael (2013). Systemisch führen. Grundlagen, Methoden, Werkzeuge. Stuttgart: Schäffer-Poeschl.
Rosa, Hartmut (2005). Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag.
Schmahl, Kurt (1988a). Industrielle Zeitstruktur und technisierte Lebensweise. In: Zoll, Reiner (Hg.): Zerstörung und Wiederaneignung von Zeit. Frankfurt am Main: Suhrkamp-Verlag. S. 344 – 370.
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Zoll, Reiner (1988b). Zeiterfahrung und Gesellschaftsform. In: Zoll, Reiner (Hg.): Zerstörung und Wiederaneignung von Zeit. Frankfurt am Main: Suhrkamp-Verlag. S. 72 – 88.
Beitrag aus Heft »2014/02: Medien und Zeit«
Autor: Frank Michael Orthey
Beitrag als PDFEinzelansichtKarlheinz A. Geißler, Jonas Geißler und Frank Michael Orthey: Zeit und Medien
Gechattet hatten sie bislang noch nie. Es war aber klar, dass eine realistische Annäherung an das Thema ‚Zeit und Medien‘ nicht anders gehen kann … Ein Selbstversuch sollte es sein – erwartungsgemäß mit den grenzenlosen Begrenztheiten des Mediums – und der Versuchspersonen.LiteraturGeißler, Karlheinz A.: Schlusssituationen. Die Suche nach dem guten Ende. Beltz-Verlag, Weinheim, 4. Auflage 2005
Beitrag aus Heft »2014/02: Medien und Zeit«
Autor: Karlheinz A. Geißler, Jonas Geißler, Frank Michael Orthey
Beitrag als PDFEinzelansichtVera King: „… nur mal eben Mails gecheckt“
Im Kontext digitaler Medien wandeln sich unsere Lebensbedingungen immer rascher. Auch das Familien- und Alltagsleben unterliegt diesem Wandel, der sehr widersprüchliche Auswirkungen auf das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen mit sich bringt. Vor dem Hintergrund der Medialisierung und Beschleunigung beleuchtet der Beitrag damit einhergehende Veränderungen für die heutige Alltags- und Beziehungsgestaltung und untersucht deren Folgen für Familien.
Literatur:
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Frank Michael Orthey: Mediale Endlosigkeit
Wer sich im hektischen und stets gleichzeitig ablaufenden Medienbetrieb nicht verlieren möchte, sollte seine medialen Sinne schärfen: Im Umgang mit hochkomplexen, vielfältigen Situationen, für den Übergang von Medienzeit zur medienfreien Zeit und bei Selbst- und Fremdreflexion von Internetnutzung ist sowohl Medien- als auch Zeitkompetenz gefragt. Der Beitrag diskutiert verschiedene zeitbedingte Web-Phänomene – von medialen Störungen und steter Gleichzeitigkeit im Netz über Bild- und Textfluten bis hin zu neu geschaffenen ‚Eigenzeiten‘ – und macht auf deren Potenziale und Risiken aufmerksam.
Literatur:
Ehrenberg, Alain (2008). Das erschöpfte Selbst. Depression und Gesellschaft der Gegenwart. Frankfurt: Suhrkamp.
Fellmann, Max (2014). „Tipp: Tippen!“ In: Süddeutsche Magazin (Nr. 5 vom 31.01.2014). München: Süddeutscher Verlag.
Geißler, Karlheinz A. (2004). Alles. Gleichzeitig. Und zwar sofort. Unsere Suche nach dem pausenlosen Glück. Freiburg: Herder Verlag.
Langmaack, Barbara (1991). Themenzentrierte Interaktion. Weinheim: Beltz Verlag.
Luhmann, Niklas (1968). Die Knappheit der Zeit und die Vordringlichkeit des Befristeten. In: Die Verwaltung 1/1968, S. 3-30.
Orthey, Frank Michael (2006). betriebe – lernen – systeme. Wie Unternehmen sich durch lernen verändern. Beobachtungen und Perspektiven zwischen Theorie und Praxis. www.bieson.ub.uni-bielefeld.de/frontdoor.php?source_opus=859.
Virilio, Paul (1986). Die Ästhetik des Verschwindens. Berlin: Merve Verlag.
Virilio, Paul (1992). Rasender Stillstand. München, Wien: Hanser Verlag.Virilio, Paul (1993). Revolutionen der Geschwindigkeit. Berlin: Merve Verlag.
Beitrag aus Heft »2014/02: Medien und Zeit«
Autor: Frank Michael Orthey
Beitrag als PDFEinzelansichtAlexander Klier: Zeit für Soziale Netzwerke
Ich schreibe diesen Artikel aus einer Binnenperspektive und in einem sehr positiven Sinne als jemand, der Soziale Netzwerke aus praktischer Erfahrung kennt. Dabei sei darauf hingewiesen, dass es sich bei dem, was nun folgt, ausschließlich um Formen der Verbindung und Kommunikation im bzw. über das Internet handelt. Also um das, was im weitesten Sinne „Web 2.0“ oder „Social Web“ genannt wird.
Literatur:
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DJI (2012b)(Hrsg.). Facebook, Flöte, Fußball: Bilanz der MediKuS-Studie. Ein Interview mit Mariana Grgic und Prof. Dr. Thomas Rauschenbach (beide DJI). www.intern.dji.de/cgi-bin/projekte/output.php?projekt=538&Jump1=LINKS&Jump2=208 [Zugriff: 06.01.2014].
Döring, Nicola (22003). Sozialpsychologie des Internet. Die Bedeutung des Internet für Kommunikationsprozesse, Identitäten, soziale Beziehungen, Gruppen. Göttingen: Hogrefe.
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spektrum
Wolf-Thorsten Saalfrank und Thomas Lerche: Haben heißt nicht können
Sofortness ist ein Phänomen, das sich in den letzten Jahren verstärkt zeigt, häufig in digitaler Ungeduld resultiert und mit dem Begriff der Beschleunigung vergleichbar ist. Mit Blick auf dieMedienpädagogik und Lernpsychologie gilt es deshalb zu hinterfragen, welche Auswirkungen Sofortness haben kann und ob sich pädagogisches Handeln gegen den beschleunigten Zeitgeist stellen muss.
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Beitrag aus Heft »2014/02: Medien und Zeit«
Autor: Thomas Lerche, Wolf-Thorsten Saalfrank
Beitrag als PDFEinzelansichtChristina Schachtner: Kinder und Dinge
Im HappyLab Vienna, einem von 127 FabLabs, können Kinder mithilfe von computergestützten Maschinen verschiedene Dinge und Materialien herstellen. Durch Beobachtungen von sowie Interviews und Gruppendiskussionen mit den Kindern – bezüglich der von ihnen erstellten Dinge – wurde die Dingwelt des Cyberspace näher erforscht. Der Beitrag beschreibt Bedeutungen, Beziehungen und Interaktionsmöglichkeiten von Dingen im digitalen Kontext.
Literatur:
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Beitrag aus Heft »2014/02: Medien und Zeit«
Autor: Christina Schachtner
Beitrag als PDFEinzelansichtGeorg Peez: Mit Fingerspitzengefühl zu Erfahrung und Wissen
Weisen die Finger- und Handmotorik, welche sich bei Kindern im Alter von acht bis 13 Monaten an deren Schmier- und Sudelaktivitäten beobachten lassen, Korrespondenzen auf zu der Bedienung von Handheld-Computern mit berührungssensitivem Monitor? Zur Beantwortung dieser Frage werden acht Fallstudien mit Kleinkindern, in denen Schmierhandlungen dokumentiert sind, phänomenologisch ausgewertet. Ähnlichkeiten zwischen der Benutzung des Multi-Touchscreens und den Schmierhandlungen von Kleinkindern werden exemplarisch vorgestellt sowie generalisiert und diskutiert.
Literatur:
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Claas Wegner und Kathrin Remmert: Unterrichtsreflexion 2.0
Die Fähigkeit zur Selbstreflexion stellt besonders in pädagogischen Berufen eine Grundvoraussetzung zur persönlichen Weiterentwicklung dar. Am Beispiel des Kolumbus-Kids-Projekts wird die Methode des Reflexionswikis zur Verbesserung des Lehrverhaltens von Lehramtsstudierenden durch Selbstreflexion erläutert. Vor- bzw. Nachbereitung des Unterrichts und Videoanalysen des Handelns der Lehrkräfte spielen dabei eine genauso wichtige Rolle wie Selbstbewertung und die Bewertung durch die Betreuenden.
Literatur:
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Gudjons, Herbert (2007). Frontalunterricht neu entdeckt. Integration in offene Unterrichtsformen. 2. Auflage. Bad Heilbrunn Verlag: Julius Klinkhardt.
Hager, Christina (2008). Selbstreflexion. Online: www.teachers-ipp.eu/Selbstreflexion.html [Zugriff: 06.12.2011].
Heidemann, Rudof (2009). Körpersprache im Unterricht. Ein Ratgeber für Lehrende. 9. durchgesehene Auflage. Wiebelsheim: Quelle& Meyer Verlag.
Kultusministerkonferenz (2004). Standards für die Lehrerbildung. Bildungswissenschaften. Online: www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2004/2004_12_16-Standards-Lehrerbildung.pdf [Zugriff: 08.01.2012].
Lipowsky, Frank (2007). Was wissen wir über guten Unterricht? Im Fokus: Die fachliche Lernentwicklung. In: Guter Unterricht. Maßstäbe und Merkmale. Friedrich Jahresheft, S. 26-30.
Meyer, Hilbert (2010). Was ist guter Unterricht? Sonderausgabe. 6. Auflage. Berlin: Cornelsen Scriptor.Schön, Donald A. (1983). The reflective practitioner. How professionals think in action. New York: Basic Books.
Schröder, Hartwig (2001). Didaktisches Wörterbuch. Wörterbuch der Fachbegriffe von „Abbilddidaktik“ bis „Zugpferd-Effekt“. 3., erweiterte und aktualisierte Auflage. München: Oldenbourg.
Beitrag aus Heft »2014/02: Medien und Zeit«
Autor: Claas Wegner, Kathrin Remmert
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medienreport
Michael Bloech und Markus Achatz: Perspektiven des Aufwachsens
Die unterschiedlichen Facetten des Heranwachsens, die Suche nach Identität und Orientierung, das Erleben von Sehnsüchten und ersten Enttäuschungen – in allen Programmsparten der 64. Internationalen Filmfestspiele Berlin fanden sich herausragende Produktionen mit Hauptfiguren in dieser Lebensphase. Im Wettbewerb beispielsweise Richard Linklaters Langzeitstudie Boyhood oder der österreichische Beitrag Macondo von Sudabeh Mortezai. Zwölf Jahre hat Linklater an Boyhood gearbeitet und dabei jedes Jahr einige Sequenzen gedreht, so dass die zunächst kindlichen Hauptprotagonisten real beim Aufwachsen begleitet werden.
Ein gewagtes und in dieser Form einzigartiges Unterfangen. Im Zentrum der Familiengeschichte stehen der Junge Mason – anfangs sechs Jahre alt, am Schluss ist er mit der High-School fertig – sowie seine Schwester Samantha und die Eltern (dargestellt von Patricia Arquette und Ethan Hawke). Linklaters Experiment ist gelungen, denn der 164-Minuten-Film ist nicht nur kurzweilig und humorvoll, sondern auch eine feinsinnige Sozialstudie über das Leben der texanischen Mittelschicht. Die Auffangsiedlung Macondo liegt zwischen Autobahn, Flughafen und Donauufer im Wiener Stadtbezirk Simmering. Regisseurin Sudabeh Mortezai, geboren in Ludwigsburg, aufgewachsen in Teheran und Wien, portraitiert anhand des elfjährigen tschetschenischen Flüchtlingsjungen Ramasan das Leben in dieser eigenen Welt hinter Blechzäunen und Kasernenmauern. Etwa 3.000 Asylsuchende aus 22 Ländern sind hier untergebracht. Überfordert von der Aufgabe, den fehlenden Vater in der Familie zu ersetzen und im Konflikt zwischen den Idealen und der Realität, befindet sich der muslimische Junge auf der Suche nach Antworten für seine komplizierte Lebenssituation. Die Kamera bleibt dabei konsequent auf Augenhöhe des Kindes.
Kinderfilme bei Generation: Eine Frage der Perspektive
Im Programmbereich GENERATION hat diese Perspektive bereits Tradition und die Sektion hat sich inzwischen zu einem echten Geheimtipp für Berlinale-Besucherinnen und -Besucher entwickelt. In diesem Jahr traten zwölf abendfüllende Kinderfilme bei Generation Kplus und 17 Jugendfilme bei 14plus in den Wettstreit um die Gläsernen Bären. Mit dem neu renovierten Zoo-Palast stand auch wieder eine renommierte und repräsentative Spielstätte zur Verfügung. Also konnte in den insgesamt gut besuchten Veranstaltungen gespannt darauf geblickt werden, was die Festival-Leitung um Maryanne Redpath diesmal aus aller Welt ausgewählt hatte. In Kplus war es zunächst ein wenig bedauerlich, dass sich das Programm mit seiner Auswahl teilweise vom kognitiven Entwicklungsniveau vor allem jüngerer Kinder entfernte. Das ästhetische Niveau der Filme war dagegen erfreulich hoch, aber in der Summe waren es leider eher Filme über Kinder und für Erwachsene. Mögen die fünf gezeigten Animationsfilme zunächst formal den Genre-Geschmack der Kinder getroffen haben, die Mehrzahl dieser Produktionen war jedoch sowohl von der Machart als auch vom Thema nicht für Kinder angemessen, teilweise sogar emotional überfordernd. Symptomatisch dafür war bereits der Eröffnungsfilm Lolou, l’incroyable secret (Loulou, das unglaubliche Geheimnis), der in der Exposition seine Protagonisten, einen coolen Wolf und ein lustiges Kaninchen, für kleine Kinder passend einführt, aber dann in der szenischen Folge mit einer überflüssigen Härte aufwartet. Auch das Grundthema von Loulou, ob es Kindern gelingt, die genetisch geprägten Determinanten durch eine positive Sozialisation zu überwinden, ist durchaus relevant, kann aber in der bedrohlich präsentierten Art und Weise für kleinere Kinder verstörend wirken. Leider setzt sich dieser Trend bei den Realfilmen teilweise fort. Finn, eine holländisch belgische Produktion über einen Jungen, der in Kontakt mit seinem verstorbenen Großvater tritt, behandelt damit ein Thema, von dem viele Kinder betroffen sind. Die Geschichte wird hier jedoch für Kinder nur schwer nachvollziehbar, da Traumwelt und Realität so miteinander verschmolzen werden, dass Kinder die Ebenen kaum differenzieren können. Die türkisch-deutschfranzösische Produktion Were Dengê Min (Folge meiner Stimme) kämpft mit ähnlichen Rezeptions-Problemen. Konkret geht es um ein kleines Mädchen aus einem einsamen Dorf in der Bergwelt Kurdistans, die eine Schusswaffe für ihren inhaftierten Vater bei seinen Verwandten in der weit entfernten Stadt organisieren möchte, um ihn aus dem Gefängnis auszulösen. Das komplexe politische Geschehen im türkischen Teil Kurdistans bleibt dabei nicht nur für Kinder unverständlich und die Oma des kleinen Mädchens gerät im Verlauf der Geschichte zunehmend in den Fokus der Story, das Kind wird zusehends zum schmückenden Beiwerk.
Kamera in Augenhöhe – Die Welt aus den Augen von Kindern
Dass es auch anders geht, beweist der indische Film Killa (Das Fort) von Regisseur Avinash Arun. Zu Recht gewann er als erster indischer Feature-Film überhaupt den Gläsernen Bären für den besten Film im Generation Kplus-Wettbewerb. Killa erzählt die Geschichte des elfjährigen Chinu, der mit seiner Mutter an einen neuen Wohnort in der Provinz Maharashtra ziehen muss. Nachdem Chinus Vater gestorben war und die Mutter beruflich versetzt wurde, müssen die beiden einen Neuanfang machen. Andere Umgebung, neue Schule, fremde Mitschülerinnen und Mitschüler – alles Herausforderungen, die der Junge zu meistern hat. Chinu geht die Aufgabe mit großer Neugier und ohne Vorbehalte an. Er trifft dabei auf eine Gruppe Jungen, die für den einen oder anderen Streich aufgeschlossen sind. In der Schule wird der Neue als begabter Schüler vorgestellt, was ihm unter den Gleichaltrigen den Spitznamen Stipendium einbringt. Avinash Arun hat Regie und Kamera geführt sowie das Buch geschrieben. Die Story basiert auf seinen realen Erfahrungen, denn auch seine Familie zog häufiger um. Kaum hatte er sich an den neuen Ort gewöhnt und Freundschaften geschlossen, kam der nächste Umzug. Die Berlinale Kinderjury war vor allem von den Kameraeinstellungen und der Leistung der jungen Schauspielerinnen und Schauspieler beeindruckt. Ebenfalls stark auf die Perspektive von Kindern fokussiert war auch der deutsche Wettbewerbsbeitrag Jack, der in der Cross-Section von Generation Kplus lief. Die Produktion weist aus, was möglich ist, wenn sich Geschichte und Kamera ganz auf die Erlebniswelt eines Kindes konzentrieren. Regisseur Edward Berger wagt sich an ein radikales Experiment, so präsentiert er mit vehementer Geradlinigkeit ausschließlich die Geschehnisse seiner Hauptperson Jack, einem zehnjährigen Jungen, der sich um seinen kleineren Bruder Manuel kümmern muss, da die alleinerziehende Mutter auf Grund von Beziehungsproblemen und ihrer Arbeitssituation hoffnungslos überfordert ist. Nachdem das Gericht der Mutter das Sorgerecht entzogen hat und Jack in einem Jugendheim landet, verschwindet die Mutter und lässt Manuel das Wochenende über bei einer Freundin. Als die Mutter dann jedoch nicht mehr auftaucht und Jack im Jugendheim zudem eine Dummheit begeht, reißt Jack aus und macht sich zusammen mit Manuel auf die Suche nach der geliebten Mutter. Der Film schildert auf sehr ernste Weise ihre Suche nach Liebe und Geborgenheit. Dass all dies letztlich zum Scheitern verurteilt ist, aber nicht unbedingt das unversöhnliche Ende darstellen muss, zeigt Jacks Entscheidung am Schluss. Er übernimmt mit einem mutigen Schritt nicht nur die Verantwortung für seinen Bruder, sondern auch für seine gänzlich überforderte Mutter. Den beeindruckenden, erfreulich unsentimentalen Film trägt nicht nur die besondere schauspielerische Leistung von Ivo Pietzcker in der Rolle des in der Großstadthölle taumelnden Jack sondern auch die teilweise entfesselte Hand-Kameraarbeit von Jens Marant, der einen ohne Betroffenheitsheischerei mitnimmt auf eine alptraumhafte Odyssee durch ein hartes Stück Berliner Realität und dies ausschließlich aus dem Blickwinkel eines Kindes. Was damit insgesamt nach einfältiger Rührseligkeitsdramaturgie aus der Sichtweise von abgeklärten Erwachsenen anmutet, dokumentiert vielmehr eine Verschiebung der Perspektive auf die Wahrnehmung eines zehnjährigen Jungen. So gesehen war es vielleicht sogar bezogen auf die Adressaten des Films ein wenig unpassend, Jack im ‚Erwachsenen‘-Wettbewerb zu präsentieren, da er sich ausschließlich auf die Gedankenwelt und Gefühle eines Kindes konzentriert.
Coming of Age – Einfühlsame Geschichten bei 14plus
Eine komplexe, schwierige Mutter-Kind Beziehung steht auch im Vordergrund des prämierten Generation 14plus-Beitrags 52 Tuesdays von Sophie Hyde. Was als rein formale Idee der Dokumentarfilmemacherin Sophie Hyde begann, nämlich ein Jahr lang jeden Dienstag mit Laiendarstellerinnen und -darstellern nachmittags bis in die späten Abendstunden zu filmen, gewinnt durch den von ihr erst anschließend gewählten Inhalt eine sehr gefühlvoll packende Wendung und Dichte. Erzählt werden emotionale Brüche und Entwicklungen im Verlauf eines Jahres aus der Sicht des Teenagers Billie, die mit einer komplexen und für sie überraschenden Situation konfrontiert wird. Konkret geraten die Beziehungsstrukturen innerhalb Billies Familie völlig durcheinander, als die Mutter ihre geplante Geschlechtsumwandlung eröffnet. Ihr Leben im falschen Körper möchte sie durch massive medizinische Eingriffe und Manipulationen in neue Bahnen lenken. Damit jedoch verändert sich nicht nur die Körperlichkeit der Mutter, sondern wandeln sich auch die Entwicklungsprozesse der Tochter und die emotionalen Bindungen untereinander. Nach der Aussprache über die Entscheidung der Mutter entschließt sich das Mädchen, ein Jahr lang nur noch jeden Dienstagnachmittag ihre Mutter zu besuchen, um aus der Distanz heraus die Entwicklung zu beobachten. Erzählt wird daher nicht nur die dramatische Geschichte einer Gender-Transformation sondern auch die exzessive Suche nach Identität und sexueller Orientierung der 16-jährigen Tochter mit allen Tiefen und Höhen. Der anrührende und formal eigenwillige Film erhielt damit zu Recht als bester Film den Gläsernen Bären der Jugendjury bei der Sektion Generation 14plus. Eher sachte und ruhig hat die 34-jährige Regisseurin Inés María Barrionuevo ihren Film Atlántida (ebenfalls 14plus) inszeniert und dabei die Themen jugendlicher Identitätsfindung und vorsichtiger sexueller Orientierung an einen kleinen Ort irgendwo im ländlichen Argentinien verlegt. Die Geschichte spielt an einem einzigen heißen Sommertag im Jahr 1987. Die Hitze gibt das schleppende Tempo vor. Lucía ist schon früh unterwegs, um im Schwimmbad ihre Bahnen zu ziehen, später sitzt sie zu Hause in der Küche schwitzend über ihren Büchern, denn sie möchte unbedingt nach Buenos Aires auf die Universität gehen. Das wäre schon anstrengend genug, doch ihre jüngere Schwester Elena liegt mit Gipsbein im Bett und kommandiert sie permanent herum. Alle anderen treffen sich am Pool und reden nur darüber, wer wen geknutscht hat. Fast alle, denn es gibt noch Ana, die gerne Bücher liest und eigentlich bei Elena zu Besuch ist. Als Lucía genug von allem hat, schnappt sie sich das Auto ihrer Eltern und fährt mit Ana ins Grüne. Die beiden lassen sich treiben und wissen, dass sie Außenseiterinnen sind, aber gleichzeitig – jede für sich – etwas Besonderes. Eben nicht wie all die anderen. Atlántida ist geprägt von der Lethargie und Last eines heißen Sommers, öffnet dabei aber Räume für Sehnsüchte und sanfte Leidenschaft. Obwohl nicht jede Figur ausgefeilt und jeder Handlungsstrang schlüssig erscheint, wird das Publikum in den zähen Rhythmus des Tages mitgenommen und durch kleine Begebenheiten in die Sehnsüchte der Charaktere gezogen. Ausgefallene Perspektiven sowie fantastische Lichtstimmungen machen Atlántida zu einem besonderen Film.
Beeindruckende Bildästhetik, bedrückende Geschichten
Den großen Preis der Internationalen Jury 14plus erhielt die belgisch-niederländische Produktion Violet. Ein Film, der in seiner Intensität auffiel. Im dokumentarischen 4:3-Format und in einer stilsicher an Videoclips und Kunstfotos erinnernden Ästhetik inszenierte Regisseur und Autor Bas Devos ein eindringliches Drama, das gleichermaßen fasziniert und beklemmt. Der 15-jährige Jesse muss miterleben, wie in einer verlassenen Einkaufspassage sein bester Freund erstochen wird. Der Schock des Mordes lähmt Jesse vollends. Er kann nicht eingreifen, nicht die fliehenden Täter verfolgen, seinem Freund nicht sofort zu Hilfe eilen. Dieser Augenblick verändert für Jesse alles. Der Film begleitet den Jungen beim Versuch, zu verarbeiten und am restlichen Leben ansatzweise teilzunehmen. Doch er bleibt mit seinen Schuldgefühlen und seiner Einsamkeit allein, auch wenn die BMX-Clique wieder vor der Türe steht und Jesse mitfährt. Die aufgeräumte Vorortsiedlung liegt unter einem erdrückenden Teppich des Schweigens. Weder Jesses Eltern noch die BMX-Gruppe können mit der Tragödie umgehen. Am ehesten behält Jesses Vater noch Anschluss zu seinem Sohn. Regisseur Bas Devos spielt mit den Elementen: Die Kamera zeigt Unschärfen, dunkle Felder, einzelne Sequenzen fließen ineinander oder sind wie Farbspiele, die manchmal wie in einem Rätsel in einer Totalen oder Halbtotalen aufgelöst werden. In einer festen Einstellung sehen wir Bäume in einem Wald. Immer wieder springen die BMX-Biker von unten ins Bild und verschwinden wieder. Einer nach dem anderen. Monotonie und Flow, Routine und Nervenkitzel. Die Loops der Biker laufen immer weiter. Die Tonspur des Films spielt eine eigene Hauptrolle, mal mit purem Lärm, mal durch erdrückende Stille. Den Beginn der Mordszene am Anfang sehen wir nur über die Überwachungsmonitore des Einkaufszentrums. Rein akustisch nehmen wir wahr, dass der Wachmann den Raum verlässt, worauf das Drama tonlos seinen Lauf nimmt. Als später Jesse mit der Clique ein Black-Metal-Konzert besucht, hören wir einen kompletten Track in voller Lautstärke, sehen aber nur die wogende Menge des Publikums. In den Gesichtern spiegelt sich die Lightshow der Bühne und entgegen des rasenden Tempos der Drums fährt die Kamera langsam an die Menschen heran bis ganz nah in Jesses Gesicht.
Nichtsehen und gesehen werden
Aus dem Programm der Sektion PANORAMA ragte der brasilianische Film Hoje eu Quero Voltar Sozinho (The Way He Looks) heraus. Der jugendliche Drang nach Unabhängigkeit steht hier im Zentrum. Im Falle von Leonardo ist damit aber eine ganz besondere Komponente verbunden, denn er ist von Geburt an blind. Mit seinen 15 Jahren möchte er endlich selbständiger sein und leidet zunehmend unter dem Kontroll- und Sicherheitsbedürfnis seiner Mutter. Ganz entgegen der Bedenken der Eltern bemüht sich Leonardo um Informationen für einen Schüleraufenthalt in den USA. Nur seine Klassenkameradin und Freundin Giovana unterstützt ihn in diesen Bestrebungen. Beide sind seit vielen Jahren ein eingespieltes Team und hängen wie zwei beste Freunde ständig zusammen. Der neue Mitschüler Gabriel bringt in der Beziehung von Leonardo und Giovana einiges durcheinander. Leonardo ist von Gabriel auf ungewohnte Art fasziniert. Schließlich vertraut Leonardo Giovana an, dass er sich in Gabriel verliebt hat. Daniel Ribeiro hat einen behutsamen Film gemacht, der ganz nah an Leonardos Alltag bleibt, mit den ganz speziellen Sorgen und Schwierigkeiten des Jungen, jedoch in keinem Moment auf Mitleid abzielend. Die Hauptfigur wird als facettenreicher Charakter gezeigt, auf dem Weg zur Selbstfindung und beim Entdecken seiner Gefühle. Unaufdringlich, aber dennoch intensiv setzt Ribeiro die Tonspur ein, mit leisen Geräuschen oder dem Atem der Protagonisten. Wir treten als Zuschauer im wahrsten Sinne zurück, wenn in einer Sequenz Leonardo spät nachts auf einer Decke im Freien sitzt. Die Kamera entfernt sich von der Szene, als Giovana den Platz verlässt und Leo allein auf einer Wiese zurückbleibt, während die Geräusche der umliegenden Partyaktivitäten unverändert präsent bleiben. In einer emotionalen Szene bringt Gabriel Leonardo zu einem Song der schottischen Band Belle & Sebastian das Tanzen bei. „I feel like dancing on my own, where no one knows me, and where I can cause offence just by the way I look” heißt es da.
Beitrag aus Heft »2014/02: Medien und Zeit«
Autor: Markus Achatz, Michael Bloech
Beitrag als PDFEinzelansichtLisa Klimesch: Von der Maus zum Elefanten
„Hallo, mein Name ist Calli Clever. Toll, dass du dich dazu entschlossen hast, das Tastenschreiben zu erlernen!“ So begrüßt Calli Clever, eine kleine grüne, giraffen-ähnliche Comic-Figur, alle Kinder auf www.tipptrainer-calli-clever.de. In Kooperation mit dem BMFSFJ sowie der Jugendschutz-Initiative Ein Netz für Kinder hat die Website Lernen für Kinder den Tipptrainer entwickelt, der Anfang 2014 mit dem Kinder-Online-Preis ausgezeichnet wurde. Er soll Kindern in erster Linie Spaß am Lernen vermitteln. Callis Freunde repräsentieren die Schwierigkeitsstufen des Trainings: Maus (‚Anfänger‘), Pinguin (‚Fortgeschritten‘), Affe (‚Ziemlich gut‘), Löwe (‚Fast-Profi‘) und Elefant (‚Tipp-Profi‘). Auf der Startseite findet sich neben der kurzen Einführung in den kostenlosen Tipptrainer ein ‚Lektionsbogen‘, auf dem jede erfolgreich abgeschlossene Lektion abgehakt und somit der eigene Lernfortschritt selbst dokumentiert werden kann. Außerdem stehen Tipps zum richtigen Sitzen und Dokumente mit Erklärungen und Arbeitsmaterialien zum Download bereit. Dann geht es weiter zum eigentlichen Tipptrainer: Die 25 Lektionen können je nach bereits vorhandenen Tipp-Fähigkeiten flexibel durchlaufen werden. Der Schwierigkeitsgrad ist an Figuren und Farben leicht zu erkennen. Das Design der Website wirkt vor allem durch die Tierfiguren und kleinen Animationen freundlich und einladend; auch das Layout ist durch seine Übersichtlichkeit und einfache Navigation sehr kindgerecht. Alle Aufgaben und Tipps liest Calli Clever laut vor. Lektion 1 beginnt mit der Grundstellung der Finger und den Buchstaben f und j. Die Übungen werden in einem kleinen, virtuellen blauen Heft präsentiert, darunter ist eine Tastatur abgebildet auf der die gesuchten Buchstaben farbig markiert werden – das erleichtert das Finden der Zeichen und das Tippen mit dem richtigen Finger.
Mit jeder Lektion lernen die Kinder neue Buchstaben, später auch Ziffern und Sonderzeichen, dazu. Zwischendurch geht es auch um Geschwindigkeit: Einfache Texte sollen mit Hilfe eines kleinen Metronoms in gleichmäßigem Tempo abgetippt werden. Die Reihenfolge von Tipp-Training, kleinen Spielen und Lockerungsübungen variiert in jeder Lektion – das sorgt für Spaß und Abwechslung! „Herzlichen Glückwunsch, gut gemacht!“ Am Ende jeder Übung zeigt Calli Clever, wie viele Zeichen richtig eingegeben wurden und motiviert zum Weitermachen. Dazu dienen auch die Sterne, die mit jeder abgeschlossenen Lektion gesammelt werden können, um später Spiele freizuschalten, stellen eine zielgruppengerechte Motivation dar. Am Ende jeder Lektion können die Kinder testen, was sie gelernt haben. Ein besonderes Feature sind die Übungen in der letzten Lektion für ‚Tipp-Profis‘: Hier sollen die Kinder das erlernte konkret anwenden. Sie sollen selbst einen Entschuldigungsbrief und eine Geburtstagseinladung verfassen. Calli Clever präsentiert hierfür neben einem Video-Tutorial, das die einzelnen Schritte genau erklärt, auch bunte Grafik-Vorlagen und Brief-Beispiele. Außerdem verrät er Tipps und Tricks zu verschiedensten Funktionen eines Schreibprogramms und hilft den Kindern bei der Formulierung ihres Briefs. Lerninhalte werden an vielen Schulen bereits nicht mehr ins Schulheft abgeschrieben, sondern in den Laptop getippt – die Beherrschung des 10-Finger-Systems stellt also schon jetzt nicht mehr nur eine nützliche Fertigkeit, sondern eine wichtige Schlüsselqualifikation dar.
Der Tipptrainer Calli Clever hat diesen Trend erkannt und führt Kinder ab sechs Jahren einfühlsam und spielerisch an das Tippen heran. Das Training vermittelt mit seinem bunten Mix aus Übung und kleinen Spielen jedoch nicht nur Schreibfähigkeiten, sondern auch Spaß am Lernen – Kindern wie Erwachsenen!
publikationen
Sex & Crime. Medienpädagogik zwischen Lust und Grauen. MedienConcret 1/14. 98 S., 7,00 €
„SEX! Nun, da ich Ihre Aufmerksamkeit habe: Ihnen einen wundervollen Tag!“ – der Spruch auf einer Schiefertafel am Rande eines Spazierweges dient auf den ersten Blick der Erheiterung der Passantinnen und Passanten. Auf den zweiten regt die in ihm verborgene Ironie jedoch auch zum Nachdenken an: Können heutzutage wirklich nur noch ‚sexualisierte‘ Sätze Aufmerksamkeit erregen? Ein Blick in unsere Medienwelt des 21. Jahrhunderts zeigt deutlich: Erotik und Sex ziehen die Massen an und lassen die Kassen klingeln. Genauso große mediale Präsenz erfahren allerdings auch Gewaltszenarien jeglicher Art – je brutaler und grausamer, desto publikumswirksamer. Erwachsene sind es gewohnt, derartige Darbietungen selektiv oder gar nicht mehr bewusst wahrzunehmen – doch wie gehen Teenager mit sexuellen und gewalthaltigen Inhalten um? Auf welche Weise werden sie durch entsprechende Bilder und Filmszenen geprägt? Wie sieht pädagogisches Handeln aus, das Teenager auf ihrem Weg durch die Medienwelten adäquat begleitet? Die aktuelle Ausgabe von medienconcret – Magazin für die pädagogische Praxis greift das sensible Thema des Sex & Crime auf und beschreibt das Spannungsfeld der Medienpädagogik zwischen Lust und Grauen.
In insgesamt 21 Beiträgen tragen Expertinnen und Experten aus den Bereichen (Medien-)Pädagogik, Film, Fernsehen und Literatur Hintergrundinformationen in Form empirischer Befunde, wissenschaftlicher Theorien und Praxis-Erfahrungen zusammen und nähern sich so der Grundsatzfrage der Thematik: Soll man Jugendliche nun schützen oder stärken? Die einzelnen Artikel widmen sich derzeitigen Trends und Entwicklungen und untersuchen verschiedene Medienformate auf deren Inhalte hin. So thematisieren Christine Dallmann und Ralf Vollbrecht beispielsweise weitverbreitete Gefährdungsannahmen und plädieren in der Frage ‚Schützen vs. Stärken‘ ganz klar für mehr Unterstützung der Jugendlichen. Aktuellen medialen Herausforderungen sollte mit Gelassenheit und Offenheit für Gespräche begegnet werden. Diese Meinung vertreten auch Angela Tillmann und Martina Schuegraf, die die Dimensionen von Körperlichkeit und Sexualität in den Medien untersuchen. Verschiedene Risikobereiche des Internets, die von Gewaltdarstellungen und pornografischen Inhalten geprägt sind, stehen im Fokus weiterer Beiträge, die hierzu empirische Befunde zum Pornografiekonsum Jugendlicher aufzeigen und Wirkungstheorien zu Gewaltdarstellungen erläutern.
Ein ehrlicher Wertediskurs mit den Jugendlichen sowie die Vermittlung von Respekttoleranz und der Fähigkeit zu Reflexion stehen im Fokus der Handlungsempfehlungen. In Vom Spaß am Rumballern nehmen drei Jugendliche die Lesenden mit hinein in die Welt der Computerspiele und beziehen Stellung zu brutalen Gewaltszenen. Ihr Fazit: Jeder und jede Spielende nimmt Gewaltdarstellungen ganz unterschiedlich wahr. Während das Hauptaugenmerk der meisten Spielenden auf der Hintergrundgeschichte des Games und den jeweiligen Charakteren liegt, sind Gewalthandlungen oftmals nur ein nebensächlicher Aspekt, lediglich das Mittel zum Zweck. Laut Martin Geisler, der das Thema Sex und Gewalt in Computerspielen vertieft, sind aus pädagogischer Sicht Anregungen zur Reflexion des individuellen Spielverhaltens gefragt.Fünf weitere Beiträge sind dem Medium Film und Fernsehen gewidmet: Das inhaltliche Spektrum reicht dabei von der Hypersexualisierung im Kinderfernsehen über geschlechterstereotype Darstellungen in Werbespots bis hin zu Sex und Gewaltszenen in Kino, Fernsehserien und Spielfilmen. Dabei wird deutlich: Enttabuisierte Darstellungen von Sex und Gewalt beherrschen die Fernsehangebote, beeinflussen das Denken und Handeln von Kindesalter an und prägen so stereotype rollenspezifische Vorstellungen. Pädagogischer Handlungsbedarf wird deutlich: So können beispielsweise die Absichten der Film und Fernsehindustrie mit den Jugendlichen diskutiert werden. Während das Medienformat Internet im Gespräch mit dem Manager eines Online-Erotik-Kontaktportals thematisiert wird, konzentriert sich Klaus Farin auf die Zeitschrift Bravo und das Dr. Sommer Team, das Aufklärung rund um das Thema Sex bietet.
Er resümiert: Die Probleme der Jugendlichen sind heute die gleichen wie vor sechzig Jahren – Bedarf an wirklich ehrlichen Antworten auf ihre Fragen besteht jedoch noch immer. Der dritte Teil des Magazins ist der pädagogischen Praxis gewidmet und bietet den Lesenden neben Anregungen zu medienpädagogischer Mädchen- und Jungenarbeit sowie dem Umgang mit medial vermittelten Stereotypen und sexualisierten Selbstdarstellungen auch Praxismaterial zum Thema Pornografie und Gewalt im Web 2.0. medienconcret möchte Heranwachsende, Eltern und pädagogische Fachkräfte für einen verantwortungsbewussten Umgang mit medialen Darstellungen zu Sex und Gewalt sensibilisieren und Impulse zur gemeinsamen Auseinandersetzung mit diesen Themen geben. Durch die diversen Beiträge von Autorinnen und Autoren mit unterschiedlichem beruflichem Hintergrund sowie durch Aussagen der Jugendlichen selbst gelingt dem Magazin dabei ein differenziertes Bild der Thematik Sex & Crime. Besonders im Hinblick auf die oftmals geäußerte Forderung nach Verständnis und Gesprächsbereitschaft von Seiten der Erwachsenen, könnte der Beitrag der Teenager selbst dabei im Gesamtbild jedoch mehr Platz einnehmen. Die einzelnen Beiträge sind nicht thematisch geordnet, was eine informative Lektüre zu einzelnen Themenbereichen leider erschwert
. Der variierende Aufbau und die unterschiedlichen Formen der Beiträge sowie die vielen Bilder und Abbildungen nehmen die Leserinnen und Leser auf abwechslungsreiche Art und Weise mit hinein in das Thema Sex & Crime in den Medien. Der Serviceteil der medienconcret bietet zudem zahlreiche Zusatzinformationen zu einzelnen Themen und enthält eine Auswahlfilmliste und Materialien für die sexualpädagogische Praxis. Die abschließende Vorstellung von 18 Projektarbeiten zu Sex und Gewalt entlässt das Lesepublikum mit konkreten Anregungen und Ideen für die pädagogische Praxisarbeit.
Bengesser, Cathrin/Tekster, Thomas (Hrsg.) (2013). Senioren im Web 2.0. Beiträge zu Nutzung und Nutzen von Social Media im Alter. München: kopaed. 126 S., 14,80 €
Obwohl die Großelterngeneration (60+), die vermeintlichen ,digital immigrants´, in wenigenJahren die am stärksten wachsende Gruppe der Internetnutzenden darstellen wird, sind Senioren und Seniorinnen aktuell weitestgehend aus der digitalen Gesellschaft und aktiven Mitgestaltung von Online-Gemeinschaften ausgeschlossen. An dieser Stelle setzen die Autorinnen und Autoren der zehn Beiträge in Senioren im Web 2.0 an und stellen innovative Herangehensweisen vor, die Ältere zum einen in die Nutzung von Social-Web-Angeboten einführen, zum anderen aber auch zur engagierten Mitarbeit anregen sollen.
Zunächst geht es um das Wie und Warum der Internet-Nutzung von Seniorinnen und Senioren: Neben konkreten Zahlen zum Nutzungsverhalten werden auch potenzielle Hinderungsgründe genannt, Vorurteile aus dem Weg geräumt und schließlich praxisnahe Anregungen zur Heranführung an das Social Web gegeben. Außerdem gewährt das Buch Einblicke in Projekte, die in erster Linie auf eine Einbindung des Erfahrungsschatzes sowie der Interessen der Seniorinnen und Senioren abzielen und dabei mit ganz unterschiedlichen medialen Formaten arbeiten. So geht es beispielsweise um Interaktionsförderung durch interaktives Fernsehen, Social-Reading-Kreise, Wikipedia-Projekte oder um ein Modell zum Online-Lernen in der öffentlichen Verwaltung.
Die einzelnen Beiträge können ganz unabhängig voneinander und je nach Interessenlage gelesen werden. Sie bieten vor allem pädagogischen Fachkräften, die sich mit dem Bereich Mediennutzung im Alter beschäftigen, die Möglichkeit eines Überblicks zu bereits durchgeführten Projekten und können als Ideen- und Methodenquelle dienen.
Hofmann, Anna/Lassacher, Martina (Hrsg.) (2014). KINO erleben und begreifen. Filmanalyse mit Kindern und Jugendlichen. Wien: facultas wuv. 175 S., 19,40 €
Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch, … Heutzutage stehen die verschiedensten Sprachen auf dem Lehrplan und werden Kindern und Jugendlichen über Jahre hinweg im Unterricht nahegebracht. Die visuell-auditive Sprache des Films dagegen bleibt außen vor – zu Unrecht, wie die Herausgeberinnen des Buches finden. Aus diesem Grund präsentieren sie elf Beiträge von Expertinnen und Experten aus den Bereichen Medienpädagogik, Film- und Medienbildung sowie Filmgeschichte. Die Einführung gibt zunächst einen grundlegenden Einblick in die Film- und Kinowelt, in deren Entwicklung und wesentlichen Merkmale. In den nachfolgenden Artikeln greifen die Autorinnen und Autoren spezifische Themenbereiche aus Film und Kino auf – das inhaltliche Spektrum reicht dabei von der Arbeit mit Fotogrammen im Unterricht und Filmdramaturgie für Kinder über Ton, Licht und Farbe in Filmen bis hin zu filmischen Perspektiven, Erzählstrukturen und dem Verfassen eines Drehbuchs.
Beiträge sind dabei nach dem Schema einer Unterrichtsvorlage aufgebaut und beinhalten neben Altersempfehlungen, Lernzielen und Tipps zur Unterrichtsvorbereitung auch Informationen zum theoretischen Hintergrund des Themas und zur praktischen Vorgehensweise im Unterricht. Verschiedene Aufgabenstellungen zu altersgerechten Filmbeispielen können von Lehrkräften sowohl für den eigenen Unterricht übernommen als auch zur Orientierung bei eigenen Ideen genutzt werden. Drei weitere Artikel zu Gewaltdarstellungen in Filmen sowie Erfahrungsberichten aus Projektarbeiten gewähren Einblick in die Praxis der Filmanalyse. Die Herausgeberinnen möchten Lehrkräften von Mittelschulen sowie der Unterstufe allgemein bildender höherer Schulen geeignete Anleitungen und Lehrmittel an die Hand geben und sie auf diese Weise bei der Durchführung von Filmanalysen im Unterricht unterstützen. Das ist ihnen auf sehr einfühlsame und praxisnahe Weise gelungen.
Durch den gut strukturierten Aufbau des Buches können die Beiträge sowohl als konkrete Unterrichtsvorlagen als auch für einen ersten informativen Einblick in das Thema genutzt werden. Eine Sammlung mit Arbeitsblättern für einzelne Unterrichtssequenzen, die dem Lesenden am Ende des Buches zur Verfügung gestellt wird, sowie ein Glossar mit Erklärungen zu wichtigen Fachausdrücken komplettieren das umfangreiche Lehrmaterial.
Müller, Kai (2013). Spielwiese Internet. Sucht ohne Suchtmittel. Berlin, Heidelberg: Springer Spektrum. 187 S., 19,99 €
Wer stundenlang im Internet surft, kein Interesse an sozialen Kontakten zeigt und nur schwerzurück in die Offline-Realität findet, der ist süchtig. Oder? Kai Müller wagt sich an das komplexe und vieldiskutierte Thema der Internetsucht heran und beschreibt einleitend die Kontroverse der Fachwelt, die sich um die Klassifizierung von Internetsucht als eigenständiges psychisches Störungsbild dreht. Im zweiten Kapitel klärt er Lesende über die Entstehung exzessiver Verhaltensweisen – auch ohne Suchtmittel – auf. Wie weit verbreitet ist Internetsucht und welche Konsequenzen zieht sie nach sich?
Zur Beantwortung dieser Fragen zieht Müller im dritten Kapitel internationale Studien und (neuro-)wissenschaftliche Theorien zur Thematik heran, anhand derer er auch die Risikofaktoren des Individuums selbst und des sozialen Umfelds beleuchtet. Anschließend lenkt er die Aufmerksamkeit der Lesenden auf die Diagnostik von Internetsucht und diverse Erkennungsmerkmale, gibt Tipps zu einem kompetenten Umgang mit Medien und zeigt Handlungsmöglichkeiten auf, kritischen Konsummustern adäquat zu begegnen. Im letzten Kapitel nimmt Müller das Lesepublikum mit auf die ‚Spielwiese Internet‘ und erklärt anhand konkreter Beispiele das Suchtpotenzial verschiedener Online-Angebote.
Spielwiese Internet bietet (medien-)pädagogischen Fachkräften einen informativen Einblick in das Thema Internetsucht und spannt dabei den Bogen von theoretischem Wissen zu konkreten Praxismaßnahmen. Viele Begriffserklärungen und Textzusammenfassungen sorgen dabei auch in den die theoretischen Aspekte der Thematik vertiefenden Kapiteln für eine leicht verständliche Lektüre.
Trepte, Sabine/Reinecke, Leonard (2013). Medienpsychologie. Grundriss der Psychologie Band 27. Stuttgart: Kohlhammer, 276 S., 22,90 €
Die Medienpsychologie beinhaltet laut der Autorin und dem Autor die spannendsten Themen von heute. Deshalb haben sie dieser Thematik eine Monografie gewidmet. Auf 276 Seiten geben Sabine Trepte und Leonard Reinecke einen umfassenden Umriss über die Medienpsychologie. Nach einem einleitenden Kapitel, in dem definitorisch und geschichtlich auf den Begriff eingegangen wird, folgt die Beschreibung der Methoden dieser Disziplin. Sie reichen vom Experiment über Befragungen bis hin zur Inhaltsanalyse. Anschließend folgen Kapitel zur Medienselektion, Medienrezeption und Medienwirkung. Darin werden unter anderem das Streben nach Konsistenz, Emotionen in Bezug auf Medienwahl, kognitive Verarbeitung und Prozesse, Unterhaltungserleben, Priming wie auch emotionale Desensibilisierung thematisiert.
Weiterhin wird näher auf Medienwirkungen auf aggressives und prosoziales Verhalten eingegangen. Das Kapitel über computervermittelte Kommunikation umfasst verschiedene Modelle wie auch sozial-kognitive Prozesse, die damit in Zusammenhang stehen. Abschließend werden Aspekte wie die Mensch-Computer-Interaktion und virtuelle Umgebungen, Medienkompetenz sowie verschiedene Berufsfelder der Medienpsychologie genauer beschrieben. Medienpsychologie eignet sich als Grundlagenwerk für Studierende einschlägiger Fachrichtungen, um sich mit der Thematik vertraut zu machen wie auch für medienpsychologische Fachkräfte als Nachschlagewerk.
kolumne
Ariane Hussy: Bitte partizipieren Sie!
Voll Freude stellte ich vor kurzem fest, dass endlich meine politische Partizipation wieder verlangt wird: Zuhauf ereilten mich E-Mails, Facebook-Event-Einladungen und besorgte Nachfragen, ob ich denn auch schon „etwas dagegen getan“ oder „mich beteiligt“ hätte. Im Anhang der Aufruf zur virtuellen Unterschrift auf einer beliebigen Online-Petition. Das Ausfüllen kostet fünf Minuten, das Gewissen ist für ein paar Tage beruhigt. Die bürgerliche Rolle in der Demokratie habe ich mit einem leidenschaftlichen Mausklick ausgelebt! Yeah! Ich fühle mich wie ein zweiter Rudi Dutschke, ich bin eine Rebellin, die auf Demonstrationen verpixelte Banner schwenkt und aufgebrachte Parolen an virtuelle Pinnwände schreibt! Und an sich umhüllt eine Online-Petition wirklich der Hauch des Verruchten. Man solidarisiert sich, man setzt sich ein, und all das, ohne in der Fußgängerzone von Menschen angesprochen zu werden, die einen vorher in tiefschürfende Diskussionen verwickeln.
Doch vielleicht ist das auch eines der Probleme. Der Mausklick fällt uns lockerer aus dem Handgelenk als eine tatsächliche Unterschrift. Der Inhalt der Petition wird überflogen, ein kurzer Blick wird darauf geworfen, welche Leute denn schon unterschrieben haben, und wenn all das passt und das Teewasser grade fertig ist, wird schnell der eigene Name in das vorgesehene Feld geschrieben. Ich kam, sah und klickte. Die Einfachheit, mit der Menschen über eine Online-Petition zu erreichen sind, treibt seltsame Blüten. „Hurra!“ scheinen sie zu denken „Ein Werkzeug, um all den Kleinkram zu ändern, der mir jeden Tag im Gehirn zwickt!“ Eine Petition gegen Rasenmähen am Sonntag und für Blumen am Fahrrad. Eine Forderung gegen blasse Moderatoren und für die Abschiebung singender kanadischer Buben. Diese nichtoffiziellen Online-Petitionen, im Rausch der Empörung getippt, richten sich nicht an Parlamente. Sie können sich an konkrete Personen, Organisationen und ein bisschen auch an die Menschheit an sich richten. Sie blinken auf dem Bildschirm ins Auge und sagen kurz: „Hey, geht es dir nicht genauso?“ Deine Meinung ist kein Außenseiter, die wachsende virtuelle Unterschriftenanzahl zeigt: In Wahrheit ist sie der geheime Underground-Star.
Du wusstest es doch schon immer, und nun wissen es alle anderen auch. Erschöpft lese ich all die Anfragen und Posts zu Sojamilch und Tierrettung, zu autofreien Tagen und öffentlichen Gärten. So viele Meinungen, wie sie von mir erwartet werden, habe ich noch gar nicht. Und damit nicht genug, der Schneeball rollt und reißt eine Meinungsflut mit sich. Eine relevante Petition verlangt natürlich nach einer Gegenpetition, nach noch anderen Meinungen, nach einer Lawine aus schillernden Blütenblättern, von denen man sich eines aussuchen soll. Aber wenn ich nicht partizipiere, was dann? Wird die Schnellstraße gebaut? Wird die Gentrifizierung die Stadt verschlucken? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Durchatmen und neues Teewasser aufsetzen. Interessant sind sie, die Meinungsfluten. Was mich oft beschäftigt und relevant ist, unterstütze ich. Sonst können wir uns zurücklehnen und uns an der Schar der Aussagen, Wünsche und Forderungen erfreuen, erschrecken und ergötzen. Und vielleicht wird sich ja alles irgendwann in seiner Meta-Ebene auslöschen: Die gefürchtete Online-Petition gegen Online-Petitionen.
Ansprechperson
Kati StruckmeyerVerantwortliche Redakteurin
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