2012/02: Familie und Medien
Nirgendwo wird der Medienumgang von Kinder sträker geprägt als zu Hause, in der Familie. Welche Medien sind vorhanden und welche Funktionen haben sie? Welche Regeln gibt es und wie werden sie eingehalten? Wie werden Inhalte ausgewählt, welchen Umgang mit Medien leben Eltern und Geschwister den Kindern vor?All diese Fragen prägen die ersten und späteren Erfahrungen und Umgangsweisen mit Medien ganz erheblich, wenn auch oft unbewusst. Dabei spielt es eine große Rolle, wie bewusst und kompetent Eltern selbst mit Medien umgehen. Doch auch umgekehrt bestehen viele wichtige Einflüsse: Nicht nur prägt die Familie den Medienumgang, auch die Medien prägen das Familienleben, sie strukturieren nicht selten Tagesabläufe, setzen Themen und gestalten das Familienleben stark mit.merz 2/2012 legt den Fokus ganz auf dieses grundlegend wichtige Thema. In verschiedenen, theoretischen Artikeln wird der Medienumgang von Familien aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet, die Rolle der Eltern und Geschwister dargestellt und die Frage aufgeworfen und diskutiert, was eine medienkompetente Familie ausmacht. Zusätzlich geben praktische Kästen einen Einblick in das Medienspektrum, das Familien und Kindern zur Verfügung steht und genutzt wird bzw. werden könnte.
aktuell
Cornelia Pläsken: ACTA
Rund um das ACTA-Lager tut sich einiges. Das Anti Counterfeiting Trade Agreement bezeichnet ein Handelsabkommen, das zwischen mehreren Nationen geschlossen werden soll, um Produktpiraterie und Urheberrechtsverletzungen einzudämmen. Viel Aufruhr zu dieser Thematik konnte das Video von Anonymus wecken, das in facebook und anderen sozialen Netzwerken kursiert. Dabei wird ACTA kritisch beleuchtet und näher erklärt,wie die tatsächlichen Auswirkungen aussehen würden. Bei diesem kontroversen Thema scheiden sich die Geister – die Befürworterinnen und Befürworter wollen Einheitlichkeit und der Produktpiraterie den Garaus machen, die Gegner fordern Enthaltung der Unterschrift der Bundesrepublik Deutschland, um Meinungsfreiheit, Informationsfreiheit et cetera zu schützen.
Das Internet bietet eine Vielzahl an Informationen zum Thema, allerdings ist es schwierig, bei dieser Angebotsfülle die Übersicht zu behalten. Markus Runde äußert sich im evangelischen Pressedienst (epd) zu dieser Debatte dahingehend, dass ACTA unterstützend für einen Interessensausgleich zwischen Rechteinhabenden und Nutzenden auf einer internationalen Ebene ist und geistiges Eigentum Schutz findet, da es das deutsche Schutzniveau nicht verändert, sondern bestätigt. Freiheitsrechte werden nicht eingeschränkt, solange die Urheberrechte unangetastet bleiben. Die europäische Kommission nimmt ebenfalls eine befürwortende Haltung ein. Sie postuliert, dass ein Ende der Produkt- und Markenpiraterie zwischen internationalen Handelspartnern benötigt wird, damit die europäische Wirtschaft konkurrenzfähig bleibt. Außerdem sieht die Kommission ACTA nicht als Gefahr für die Meinungsfreiheit, da Menschen nicht davon abgehalten werden, Inhalte im Internet mit anderen zu teilen. Allerdings kann man auch Internetseiten finden, die eine andere Haltung vertreten.
Spiegel-Online kritisiert in mehreren Artikeln beispielsweise die Fokussierung auf die Musikindustrie als Protagonisten anstatt der Urheberinnen, Urheber und Nutzenden und spricht außerdem Missstände bezüglich der vagen Formulierungen des Abkommens und des undemokratischen Hintergrunds, nämlich der Erstellung unter Ausschluss der Öffentlichkeit, an. Im Weiteren informiert auch Amnesty International in ihrem Internetauftritt darüber, dass geistiges Eigentum nicht auf Kosten der Menschenrechte in Mitleidenschaft gezogen werden darf. Außerdem stellen sie sich gegen die Einschränkung von Meinungsäußerungen und Informationsfreiheit. Der weitere Verlauf des Abkommens bleibt zunächst offen, denn das EU-Parlament hat ACTA noch nicht abgesegnet und Deutschland sowie einige andere Nationen hat die Ratifizierung ausgesetzt.
Cornelia Pläsken: FIM-Studie 2011
Die Studie Familie, Interaktion und Medien 2011, kurz FIM-Studie 2011, wurde vom Medienpädagogischen Forschungsverbund Südwest und Südwestrundfunk durchgeführt. 2011 wurden mithilfe von 260, für die Grundgesamtheit repräsentativen, Familien Daten erhoben. Diese bestehen aus Tagebucherhebungen und Basisbefragungen der Kinder, Jugendlichen und Eltern, wobei die Altersspanne der Kinder zwischen drei und 19 Jahren liegt. Die Studie untersuchte Qualität, Inhalte und Formen der innerfamiliären Kommunikation, das Vorhandensein von kommunikativen Verhaltensmustern innerhalb der Familie, Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Generationen bei der Mediennutzung und die Bedeutung von Medientechnik und Medieninhalten im familiären Gefüge. Erhoben wurden die gemeinsam verbrachte Zeit von Eltern und Kindern und die individuellen Gesprächsthemen untereinander. Dabei konnte ein positives Bild innerhalb der Familien erfasst werden.
Wenn man die Mediennutzung von Eltern und Kindern betrachtet, zeigt sich, dass das Fernsehen einen hohen Stellenwert hat. Gemeinsamer Fernsehkonsum mit den Kindern kommt bei 71 Prozent der Eltern mehrmals pro Woche vor. Bei der Internetnutzung hingegen sind es nur 13 Prozent der Eltern, die regelmäßig mit ihren Kindern zusammen im Netz surfen. Außerdem wird deutlich, dass das Nutzungsverhalten von Eltern und Kindern sich zum großen Teil unterscheidet. Nur das soziale Netzwerk Facebook ist von großer Beliebtheit innerhalb der Familie. Beim Thema Medienkompetenz schätzen sich 21 Prozent der Eltern als sehr kompetent und 60 Prozent als etwas kompetent ein. Dieser Anteil der Eltern empfindet die Auswirkungen der Medienentwicklung in den letzten Jahren als eher positiv. 2011 wurde die FIM-Studie zum ersten Mal durchgeführt. Sie bietet ergänzende Ergebnisse zur JIM- und KIM-Studie, da hier Bezug auf die ganze Familie genommen wurde.
www.mpfs.de/fileadmin/FIM/FIM2011.pdf
Cornelia Pläsken: Medienbildung in der Schule
Die Kultusministerkonferenz hat am 8. März 2012 eine neue Erklärung zum Thema „Medienbildung in der Schule“ abgegeben. Damit wurde der letzte Beschluss „Medienpädagogik in der Schule“ von 1995 deutlich ergänzt und auf den neuesten Stand gebracht. Durch Neuerungen und Weiterentwicklung von Technologien haben die Medien einen größeren Stellenwert für die Schule als zuvor. Intention dieser Erklärung ist es, Medienbildung zu einem festen Bestandteil von Schulen zu machen und gleichzeitig den Lehrkräften und den Schulen selbst Hilfestellung in Bezug auf Erziehung und Unterricht zu bieten. Außerdem sollen die Möglichkeiten, die die neuen Medien bieten und der didaktisch Mehrwert, den sie besitzen, zur Gestaltung von Lehr- und Lernprozessen auf individueller und institutioneller Basis aufgezeigt werden. Die Erklärung geht näher auf die Bedeutung der Medienbildung in der Schule ein.
Dabei spielen nicht nur Unterstützung und Gestaltung innovativer und nachhaltiger Lehr- und Lernprozesse eine Rolle, sondern auch eine selbstbestimmte, aktive und demokratische Teilhabe an Politik, Kultur und Gesellschaft, Identitätsbildung und Persönlichkeitsentwicklung, Ausprägung moralischer Haltungen, ethischer Werte und ästhetischer Urteile und der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor negativen Einflüssen und Wirkungen der Medien. Des Weiteren finden Handlungsfelder der Medienbildung in der Schule genauere Betrachtung. Lehr- und Bildungspläne sollen in Hinblick auf diesen Aspekt aktualisiert und akzentuiert werden, um sie auf den neuesten Stand zu bringen. Von Lehrerinnen und Lehrern wird verlangt, dass sie in der Lage sind, mithilfe von ausgeprägter Medienkompetenz Umgang mit Medien und Inhalte vermitteln zu können. Schulentwicklung soll durch Ausstattung, technischen Support, Kompetenzen im Umgang mit Urheberrecht und Datenschutz, Bildungsmedien und Weiteres vorangetrieben werden.
Für eine umfangreiche Vermittlung von Medienbildung ist es für die Schule von großem Nutzen, außerschulische Kooperationspartner heranzuziehen und auf Qualitätssicherung und Evaluation zu achten. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Medienbildung ein wichtiger Teil der schulischen Bildung und der Schule an sich geworden ist und eine feste fundierte Verankerung dieser Thematik gefordert wird.
www.medieninfo.bayern.de/download.asp?DownloadFileID=ab80a6b8134d011dfecfa5feaff2fad5
Elisabeth Jäcklein-Kreis: Jugendschutz – Land in Sicht?
Die Novellierung des JMStV ist gescheitert, dafür wurden zwei technische Jugendschutzprogramme für Windows erstmal von der Kommission für Jugendmedienschutz kjm anerkannt – und nun? Um das zu diskutieren lud die kjm am 30. März 2012 zur Veranstaltung ‚Fragen am Freitag‘ in die Bayerische Landeszentrale für Neue Medien BLM. Eine „streitige Diskussion“ erwartete Moderatorin Verena Weigand nicht, als sie auf dem Podium die Gäste begrüßte und die wurde es auch nicht, dafür sorgte schon die Auswahl der Expertinnen und Experten an den Mikros. Felix Barckhausen, der Referatsleiter „Jugend undMedien“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Katharina Geiger, die Geschäftsführerin des Deutschen Evangelischer Frauenbundes, Landesverband Bayern, Friedemann Schindler, der Leiter von jugendschutz.net sowie für die beiden anerkannten Jugendschutzprogramme Stefan Schellenberg, der Mitbegründer JusProg e.V., und ein kurzfristig umdisponierter Vertreter der Telekom hatten sich eingefunden. So vielfältig wie die Runde waren dann auch die Meinungen; man war sich einig, dass Jugendschutzprogramme ein wichtiger Schritt seien, dass die Anerkennung der beiden Programme sehr zu begrüßen sei und dass es nun wichtig sei, diese Programme flächendeckend einzusetzen und sowohl ihre Usability als auch ihre Zuverlässigkeit (bisher werden 80 Prozent der gefundenen Seiten richtig eingeschätzt) und Einsetzbarkeit (bisher nur auf Windows-Rechnern möglich) weiter zu verbessern.
Zwar warf Verena Weigand ein paar Kritikpunkte als ‚Themenanreize‘ in die Runde, die wurden aber schnell abgewunken, es wurde eher einmütig festgestellt, dass die vorher so kritische Netzgemeinde sich erstaunlich ruhig verhielte und Stefan Schellenberg meinte, das darauf zurückführen zu können, dass es gegen die Programme „bei Licht betrachtet“ eben keine wirkliche Kritik mehr gäbe. Einzig die Frage, wie viel Verantwortung Eltern überhaupt noch haben sollten, ließ einige Wogen entstehen: Während etwa Schellenberg moderat forderte, Eltern zwar flächendeckend zu informieren, aber nicht zum Einsatz der Programme zu zwingen, möchte Katharina Geiger am liebsten nur noch Computer mit vorinstallierten Jugendschutzprogrammen auf dem Markt sehen. Diese harmonische Atmosphäre konnten auch vereinzelte kritische Fragen der 50 Zuhörerinnen und Zuhörer nicht stören – schade eigentlich, ein echtes Gegenüber mit gegensätzlicher Meinung hätte der Diskussion doch sicher mehr Würze verliehen und Mut zur ehrlichen Auseinandersetzung bewiesen.
Beitrag aus Heft »2012/02: Familie und Medien«
Autor: Elisabeth Jäcklein-Kreis
Beitrag als PDFEinzelansichtElisabeth Jäcklein-Kreis: stichwort Barrierefreiheit
Denkt man an Barrieren, tauchen zunächst einmal rote und weiße Streifen vor dem geistigen Auge auf. Straßensperrungen, Zäune, Schranken an Bahnübergängen und Parkhäusern, sechseckige Schilder mit warnendem STOP darauf. Solcherlei Barrieren sind ‚die Guten‘, sie wollen Menschen von potenziellen Gefahren fernhalten und schützen. Doch nicht alle Barrieren sind so gutmütig – immer wieder tun sich sowohl im ‚echten Leben‘ als auch in Medien Barrieren auf, die eigentlich niemand will und brauchen kann. Treppen etwa, wo ein Rollstuhlfahrer in den fünften Stock muss. Deutsche Textwüsten, in denen Menschen mit anderer Muttersprache nur ‚Bahnhof‘ lesen können. Homepages mit winziger Schrift, die die Seniorin erst zur Lesebrille und dann resigniert zur Zeitung greifen lassen. Seiten mit Werbebannern und Bildanordnungen, die Braille-Software an den Rand des Absturzes bringt. Solche Barrieren verhindern, dass alle Menschen gleichermaßen Zugang zu Gegenständen, Einrichtungen und Medien haben können und sind deshalb weniger beliebt – im Gegenteil.
Menschen, Institutionen und Anbieter bemühen sich nach Kräften, diese Barrieren abzubauen und Angebote zu schaffen, die sich als ‚barrierefrei‘ bzw. ‚zugänglich‘ (vom englischen Ausdruck accessability) bezeichnen können. In Deutschland ist dieser Wunsch sogar gesetzlich festgelegt: Das Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen erklärt etwa in § 4: „Barrierefrei sind bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung, akustische und visuelle Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen sowie andere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für behinderte Menschen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind.“Generell sollte es natürlich Ziel sein, (Medien-)Angebote so zu gestalten, dass alle potenziellen Nutzerinnen und Nutzer sie auch für sich in Anspruch nehmen können, ohne dass die Aneignung zum Lebenswerk wird – auch und gerade aus medienpädagogischer Sicht.
Denn wer mit Kindern oder älteren Menschen, mit Menschen mit Migrationshintergrund oder aus bildungsbenachteiligten Milieus, mit Menschen mit körperlichen oder psychischen Einschränkungen arbeitet – also wer überhaupt mit Menschen arbeitet, sollte auch versuchen, ‚menschen‘gerechte Angebote zu machen.
Beitrag aus Heft »2012/02: Familie und Medien«
Autor: Elisabeth Jäcklein-Kreis
Beitrag als PDFEinzelansichtnachgefragt Patrick Hammer, GRIN Verlag
1998 wurde der GRIN Verlag gegründet und war einer der ersten Anbieter von ‚User Generated Quality‘ auf dem Buchmarkt. Bei GRIN.com, Hausarbeiten.de und Diplomarbeiten24 können Lehrende an Hochschulen, Absolventen und Studierende wissenschaftliche Texte wie Studien, Seminar-, Diplom- oder Doktorarbeiten und wissenschaftliche Aufsätze präsentieren und dabei entscheiden, ob sie damit Geld verdienen oder ihre Texte kostenfrei zur Verfügung stellen wollen. Zusätzlich können Autorinnen und Autoren ihre Texte kostenlos als Buch publizieren, das mit ISBN-Nummer im Buchhandel angeboten wird. Bisher hat der GRIN Verlag über 70.000 Bücher und 130.000 eBooks auf den Markt gebracht und bis zu vier Millionen Besucherinnen und Besucher pro Monat auf den Verlagsseiten. merz hat nachgefragt.
merz: Seit 1998 bietet GRIN.com eine ganz neue Möglichkeit, wissenschaftliche Arbeiten extrem billig zu veröffentlichen, selbst Hausarbeiten und Abschlussarbeiten. Erklären Sie uns kurz, was das Besondere an ihrem Angebot ist? Wie ist die Idee dazu entstanden?
Hammer: Die Veröffentlichung ist nicht nur extrem billig, sondern kostenlos. Das ist in Verbindung mit der Print- und eBook-Veröffentlichung und den hohen Autorenhonoraren, das wir auszahlen, einzigartig. Die am häufigsten genutzte Option für Autorinnen und Autoren ist unsere Vermarktung. Dabei produzieren wir ein professionelles eBook (und auf Wunsch auch ein gedrucktes Buch), das wir mit ISBN über unsere Websites und Vertriebskanäle wie Amazon Kindle, Buchhandlungen, Webshops und Reader- Geräte verfügbar machen. Die Autorinnen und Autoren erhalten ein Honorar von bis zu 40 Prozent auf jeden Verkauf. Auch steht ihnen frei, ihre Texte ‚Wikipedia-like‘ kostenlos verfügbar zu machen oder ein Einmalhonorar von zehn Euro zu beziehen. Letzteres ist bei kürzeren Arbeiten interessant, wo nicht erwartet wird, dass sich die Texte gut verkaufen. Die Idee entstand schon 1998 während meines Studiums, als ich eine Hausarbeit in meinem Fachbereich Kommunikationswissenschaft schrieb. Ich wollte sehen, wie man eine Hausarbeit schreibt, habe aber nichts gefunden. Studenten schrieben damals nur für den Dozenten und die Schublade. Damit dieses immense Wissen, das Studenten Semester für Semester verfassen, nicht verloren geht, habe ich damals Hausarbeiten.de gegründet. Dieses Wissen stellen wir nun in Form von 130.000 eBooks und 70.000 Büchern als GRIN Verlag weltweit zur Verfügung. Damit sind wir im akademischen Bereich Marktführer.
merz: Laut Ihrer Homepage konnten Sie in den letzten Jahren bereits knapp 2 Millionen Publikationen veröffentlichen, die aus den unterschiedlichsten Fachbereichen kommen. Welche Themen werden bei Ihnen am meisten angeboten bzw. nachgefragt? Welche Personengruppen nutzen ihre Datenbank am häufigsten und welche Vorteile erschließen sich diesen Gruppen?
Hammer: An eigenen Publikationen sind es die oben genannten Zahlen, der Rest sind Fach-Veröffentlichungen anderer Verlage, die wir unseren Kunden als Zusatzangebot für ihre Recherche anbieten. Diese bieten wir zur Recherche an. Oft benötigen Recherchierende über die bei uns angebotenen GRIN-Texte hinaus noch Fachliteratur. Diese können Sie in unserer Suchmaschine ebenfalls finden und bestellen. Recherchierende haben so den Vorteil, dass sie bei uns aktuelle Informationen zu hunderttausenden Spezialthemen finden, die es sonst nirgends gibt.Bei uns veröffentlichen zu einem großen Teil Studierende und Absolventinnen und Absolventen, zu einem kleineren, aber wachsenden Teil auch Dozentinnen und Dozenten sowie Professorinnen und Professoren. Die meisten Arbeiten haben wir aus dem Bereich der Wirtschaftswissenschaften, diese verkaufen sich auch am Besten, da es in Deutschland auch sehr viele Studierende in diesem Fach gibt. Knapp gefolgt ist dieser Fachbereich vonden Geisteswissenschaften. Unsere Arbeiten werden von allen möglichen Personengruppen gekauft, da unser Angebot extrem vielfältig ist: von Firmen, Polizeistationen, Wissenschaftlern, Eltern, Studentinnen und Studenten... Bei uns gibt es für jeden interessante Ausarbeitungen.
merz: Bücher können bei Ihnen sehr schnell und einfach veröffentlicht werden – können Sie bei diesem System für die Qualität Ihrer Publikationen garantieren? Werden die von ihnen vermarkteten Veröffentlichungen vorab geprüft und wenn ja, welche Kriterien werden hierfür herangezogen und wie begegnen sie der Gefahr, dass Beiträge veröffentlicht werden, die Plagiate enthalten?
Hammer: Bei Hochschularbeiten haben wir den Vorteil, dass diese schon vom Dozenten oder Professor benotet wurden und die Texte auch meist mehrmals korrekturgelesen wurden. Wir prüfen die Texte aber formal und finden so auch fast alle schwarzen Schafe. Das heißt im Einzelnen, wir prüfen die Arbeit auf Wissenschaftlichkeit (Fußnoten, Quellenangaben, etc.), Rechtschreibung und Layout. Zehn bis 15 Prozent aller Texte nehmen wir nicht an. Schwarze Schafe, die Plagiate hochladen, haben wir allerdings selten, da sich plagiierende Autorinnen und Autoren meist mit Veröffentlichungen zurückhalten, weil sie ja nicht erwischt werden wollen. Wer plagiiert und dann auch noch veröffentlicht, ist nicht nur ein Betrüger sondern auch noch ziemlich dämlich... Wenn eine Käuferin oder ein Käufer dennoch zu Recht unzufrieden ist, kriegt er oder sie das Geld zurück und die Arbeit wird aus unserem Katalog entfernt.
thema
Helga Theunert und Andreas Lange: „Doing Family“ im Zeitalter von Mediatisierung und Pluralisierung
Bedingt durch Veränderungen in der Medienwelt und im Sozialsystem Familie ist auch das Verhältnis der beiden Instanzen zueinander ein anderes geworden. Dieses zu verstehen ist eine Herausforderung, der sich die medienpädagogische Forschung gemeinsam mit anderen Disziplinen wie der Jugend- oder Familienforschung stellen muss. Die Erkenntnisse können dazu beitragen, Familien dabei zu unterstützen, einen souveränen Medienumgang auszubilden.
Literatur:Alt, Christian/Lange, Andreas (2012). Kindschaftskonstellationen in Vater-Mutter-Familien und in Einelternfamilien. In: Schwab, Dieter/Vascovics, Laszlo A. (Hrsg.), Pluralisierung von Elternschaft und Kindschaft. Familienrecht, - soziologie und - psychologie im Dialog. (Sonderheft Zeitschrift für Familienforschung 8). Wiesbaden: VS Verlag. S. 139-156.
Bell, Martha (2011). The feel of mobility: how children use sedentary lifestyles as a site of resistance. In: Sport, Education and Society, 16, 3, S. 385-397.
BMFSFJ – Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2012). Familienreport 2012. Leistungen, Wirkungen, Trends. Berlin: BMFSFJ.
Bude, Heinz (2011). Bildungspanik. Was unsere Gesellschaft spaltet. München: Hanser.Christensen, Toke Haunstrup (2009). ’Connected presence' in distributed family life. In: New Media and Society 11, 3, 433-451.
Ebert, Andreas/Fuchs, Tatjana (2011). Haushalt, Familie und soziale Nahbeziehungen. In: Forschungsverbund Sozioökonomische Berichterstattung (Hrsg.). Berichterstattung zur sozioökonomischen Entwicklung in Deutschland. Wiesbaden, VS: 565-595.
Eggert, Susanne (2010). Medien im Integrationsprozess: Motor oder Bremse? Die Rolle der Medien bei der Integration von Heranwachsenden aus der ehemaligen Sowjetunion. München: kopaed.
Gerhard, Anna-Katharina (2005). Autonomie und Nähe. Individuationsentwicklung Jugendlicher im Spiegel familiärer Interaktion. Weinheim: Juventa.
Heitkötter, Martina/Jurczyk, Karin/Lange, Andreas/Meier-Gräwe, Uta (Hrsg.) (2009). Zeit für Beziehungen? Zeit und Zeitpolitik für Familien. Opladen: Barbara Budrich. JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis: Medienkonvergenzstudien (seit 2001). Überblick: www.jff.de/medienkonvergenz
Hodkinson, Paul/Lincoln, Sian (2008). Online journals as virtual bedrooms? Young people, identity and personal space. In: Young. Nordic Journal of Youth Research 16, 1, 27-46. JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis: Medienkonvergenzstudien (seit 2001). Überblick: www.jff.de/medienkonvergenz
Jurczyk, Karin/Schier, Michaela/Szymenderski, Peggy/Lange, Andreas/Voß, Gerd Günter (2009). Entgrenzte Arbeit – entgrenzte Familien. Grenzmanagement im Alltag als neue Herausforderung. Berlin: edition sigma.
Krotz, Friedrich (2008). Kultureller und gesellschaftlicher Wandel im Kontext des Wandels von Medien und Kommunikation. In: Thomas/Tanja (Hrsg.). Medienkultur und soziales Handeln. Wiesbaden: VS, 43-63
Lange, Andreas (2009). Mediennutzung im Kontext multilokaler Mehrgenerationenfamilien. In: Schorb, Bernd/Hartung, Anja/Reißmann, Wolfgang (Hrsg.). Medien und höheres Lebensalter. Theorie - Forschung - Praxis. Wiesbaden: VS, 60-72
Leven, Ingo/Quenzel, Gudrun/Hurrelmann, Klaus (2010). Familie, Schule, Freizeit. In: Albert, Mathias/Hurrelmann, Klaus/Quenzel, Gudrun/RNS Infratest (Hrsg.) Jugend 2010. 16. Shell Jugendstudie. Sozialforschung. München: Fischer, 53-128.
Madianou, Mirca/Miller, Daniel (2011). Mobile phone parenting: Reconfiguring relationships between Filipina migrant mothers and their left-behind children. In: New Media & Society Published online 6 April 2011, S. 1-14.
mpfs – Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (Hrsg.) (2011). JIM-Studie 2011. Jugend, Information, (Multi-)Media. Basisstudie zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger in Deutschland. Stuttgart
mpfs – Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (Hrsg.) (2012). FIM-Studie 2011. Familie, Interaktion & Medien. Stuttgart.
Oelkers, Nina (2012). Erschöpfte Eltern? Familie als Leistungsträger personenbezogener Wohlfahrtsproduktion. In: Lutz, Ronald (Hrsg.), Erschöpfte Familien. Wiesbaden: VS Verlag. S. 155-170.
Theunert, Helga (2011). Jugend zwischen medialer Informationsflut und Informationsproduktion. In: Theunert, Helga/Wagner, Ulrike (Hrsg.). Alles auf dem Schirm? Jugendliche in vernetzten Informationswelten. München: kopaed. S. 69-86.
Universität Leipzig: Medienkonvergenz-Monitoring (seit 2003). Überblick: www.medienkonvergenz-monitoring.de
Wagner, Ulrike/Theunert, Helga (Hrsg.) (2006). Neue Wege durch die konvergente Medienwelt. BLM-Schriftenreihe Band 85, München: VerlagReinhard Fischer
Wagner, Ulrike (Hrsg.) (2008). Medienhandeln in Hauptschulmilieus.Mediale Interaktion und Produktion als Bildungsressource. München: kopaed.
Wagner, Ulrike (2011). Medienhandeln, Medienkonvergenz und Sozialisation. Empirie und gesellschaftswissenschaftliche Perspektiven. München: kopaed.
Yarosh, Svetlana/Chew, Yee C./Abowd, Gregory D. (2009). Supporting Parent-Child Communication in Divorced Families. In: International Journal of Human Computer Studies 67, 2 (2009), S. 192-203.
Beitrag aus Heft »2012/02: Familie und Medien«
Autor: Helga Theunert, Andreas Lange
Beitrag als PDFEinzelansichtHelga Theunert, Andreas Lange und Kathrin Demmler: Editorial
Familie und Medien: Es ist keine Frage, dass diese Verbindung dauerhaft im Fokus der Medienpädagogik steht. Familie konstituiert in vielfacher und einflussreicher Weise den soziokulturellen und sozioökonomischen Bezugsrahmen für das Heranwachsen. In der Familie werden Kinder zuerst und nachhaltig in Wertesysteme und Lebensstile eingeführt, hier erhalten ihr Menschenbild und Weltverständnis Konturen, werden Bildungschancen und Bildungshemmnisse grundgelegt und vieles mehr. In diesen Bezugsrahmen sind die Prozesse der Medienaneignung in Kindheit und Jugend untrennbar eingebettet.
Die Familienmitglieder bieten dem Kind die ersten und wiederum nachhaltigen Vorbilder für den Gebrauch von Medien, es erfährt mediale Beschäftigungen als anregende, strukturierende, dominierende oder konfliktträchtige Größen des alltäglichen Familienlebens, lernt Medien als Unterhaltungs- und Wissensquelle, als Kommunikations- und Artikulationsmittel oder auch als Flucht- und Suchtmittel kennen. Doch die beiden Pole des Verhältnisses Familie und Medien sind keine stabilen Größen, beide unterliegen Wandlungsprozessen, die mit Veränderungen in gesellschaftlichen Strukturen, seien diese ökonomischer oder ideologischer Art, und mit medialen Entwicklungen, seien diese technischer oder inhaltlicher Natur, zusammenhängen. So ist Familie heute ein vielgestaltiger Sozialraum, der sehr unterschiedliche Konstellationen aufweist, in dem Brüche und Umbrüche zunehmend üblicher werden und in dem vielfältige Erwartungen und Belastungen zu bewältigen sind, die von außen, vor allem von der Arbeitswelt und dem Bildungssystem an den Sozialraum Familie und an seine Mitglieder herangetragen werden: Alleinerziehende, Lebenspartnerschaften, Patchwork-Familien, die Generationen und Zwischengenerationen umfassen, multilokal lebende Familien sind nur einige Stichworte, die auf spezifische Bewältigungsanforderungen im Alltag vieler Erwachsener und Heranwachsender verweisen. Das „Doing Family“ ist eine konstante Aufgabe und eine mit sehr unterschiedlichen Leistungen verbundene Größe heutigen Familienlebens. Als integrierter Bestandteil der Lebensvollzüge und des alltäglichen Gemeinschaftslebens spielen Medien in das „Doing Family“ hinein, in vielfältigen Funktionen und mit konstruktiven ebenso wie destruktiven Anteilen. Im Zuge der Digitalisierung hat die Medienwelt tiefgreifende Veränderungen erfahren: Der aneinandergereihte oder aufgeschichtete Konsum von Einzelmedien ist ergänzt und erweitert um den vernetzten multimedialen und multifunktionalen Zugang zu medialen Inhaltsuniversen und damit verbundenen oder separat in Dienst zu nehmenden Artikulations- und Interaktionsmöglichkeiten mit medialen Mitteln und in medialen Räumen. Das Subjekt ist nicht mehr beschränkt auf den Konsum von Medienangeboten, es kann sich selbsttätig medial zur Geltung bringen. Im Sozialraum Familie geht es entsprechend mittlerweile um weit mehr als um gemeinschaftsstiftende oder konfliktauslösende Medienrezeption. Die Vielzahl und Vielfalt der Angebote evozieren vielerlei divergente Vorlieben. Vorrangig dort, wo Artikulation und Interaktion in medialen Räumen möglich und gefordert sind, ist einerseits ein Auseinanderdriften des Medienhandelns der Generationen zu beobachten, das familiäre Medienerziehung behindern kann. Andererseits erlauben gerade die medialen Artikulations- und Interaktionsformen, räumliche Distanzen zu überwinden und medienbasierte Nähe zu schaffen. Sie können so beispielsweise für multilokal lebende Familien neue Möglichkeiten eröffnen, Familie zu leben. Den Veränderungen im Verhältnis Familie und Medien widmet sich der einführende Artikel von Helga Theunert und Andreas Lange. Im ersten Teil werden zentrale Wandlungslinien im Sozialsystem Familie und in den Strukturen der heutigen Medienwelt skizziert. Auf dieser Grundlage wird ein Thesentableau zum Verhältnis Familie und Medien entwickelt, das die Fragen, was leisten Familien in Medienaneignungsprozessen und umgekehrt, was leisten Medien in familiären Lebenswelten unter den veränderten Gegebenheit betrachtet, auf der Basis vorhandenen empirischen Wissens und – da dieses als lückenhaft zu qualifizieren ist – in Form von Fragestellungen, Problemaufrissen und Handlungsanforderungen.Christian Alt und Markus Teubner beleuchten einen oftmals in der Debatte vernachlässigten Aspekt von Familien – die Rede ist von den Geschwistern. Die über die Generationenachse in Familien hinausreichenden geschwisterlichen Einflüsse sind schon deshalb von Interesse, weil davon ausgegangen werden kann, dass sie eventuell die generationsbedingten Defizite von Vätern und Müttern kompensieren können. Empirisch gestützt kann der Autor unter anderem nachweisen, dass ältere Geschwister in der Tat in der Familie hinsichtlich der PC- und vor allem Internetkenntnisse förderlich für ihre jüngeren Geschwister sein können.Der Artikel von Simone Bahr und Dorothee Falkenreck greift ein altes, aber unverändert relevantes ‚Familienmedium‘ auf: Das Fernsehen. An einem Fallbeispiel aus der pädagogischen Familienforschung wird die soziale Praxis des gemeinsamen Fernsehens anschaulich beschrieben.
Dabei geht es nicht alleine um die Details im Umgang mit dem Medium, wie beispielsweise der Zentralität des Themas Zeit, sondern der Fokus liegt überdies auf dem Vergemeinschaftungsprozess, der im Kontext der gemeinsamen Fernsehsituation durch Interaktion und Kommunikation, über inhaltliche und formale Elemente des Gesehenen, realisiert wird.Kathrin Demmler nimmt die pädagogischen Handlungsnotwendigkeiten in den Blick. Aufbauend auf der Erkenntnis, dass Familie heute als vielschichtiges Sozialsystem ebenso vielschichtige pädagogische Konzeptionen benötigt, betrachtet sie vorhandene Projekte und Erfahrungen und stellt Überlegungen für eine gelingende, ganzheitliche medienpädagogische Familienbildung an.Eingestreut in den Thementeil finden sich Kästen zu einem Aspekt, der im Verhältnis Familie und Medien zweifellos eine Rolle spielt, aber hier in keinem eigenen Text behandelt ist: Bilder und Vorstellungen von Familie in den Medien, die gerade von der heranwachsenden Generation vielfach als Vorbilder und Folie für die Entwicklung von Zukunftsperspektiven herangezogen werden. Michael Gurt hat solche aktuell für Heranwachsende und Eltern relevanten Vorstellungen von Familie in unterschiedlichen Medien zusammengestellt und knapp beschrieben.
Beitrag aus Heft »2012/02: Familie und Medien«
Autor: Kathrin Demmler, Andreas Lange, Helga Theunert
Beitrag als PDFEinzelansichtMichael Gurt: Familienbilder im Fernsehen
Die Fernsehfamilie hat im deutschen Fernsehen eine lange Tradition. Aus heutiger Sicht mutet manch Familienidylle (z. B. Familie Hesselbach(ARD), Ich heirate eine Familie (ZDF)) von damals betulich und bieder an. Die ‚Normalfamilie‘ war die Regel, häusliche Strukturen auf eher traditionelle Rollenverteilung ausgerichtet. Der Familienvater als Ernährer, die Mutter als gute Seele und Ankerpunkt des (mehr oder weniger) harmonischen Familienlebens. Heute ist das Spektrum der Familienkonstellationen weitaus vielfältiger: Multikulti in Türkisch für Anfänger (ARD), chaotischschräg bei den Simpsons (PRO7), hip-dynamisch bei Gute Zeiten – Schlechte Zeiten (RTL). Neben den Soaps zeigen vor allem US-amerikanische Sitcoms traditionell Geschichten mit starkem Familienbezug: Familien mit (Malcolm mittendrin (PRO7)) oder ohne Kinder (King of Queens (Kabel1)), Familien von Teenagerstars (Hannah Montana (SuperRTL)), oder Familien mit offensichtlich dysfunktionalen Beziehungen (Two and a half men (PRO7/Kabel1)). Daneben spielen in manchen Sitcoms familienähnliche Freundschaftsstrukturen eine große Rolle (How I met your mother (PRO7)).
In den letzten Jahren sind auch prekäre Familienverhältnisse ins Zentrum des Programms gerückt: In den sogenannten Reality-Dokus wie Frauentausch (RTLII) oder der Super Nanny (RTL) werden Menschen in problematischen Familienkonstellationen vorgeführt. Der anhaltende Quotenerfolg solcher Formate legt nahe, dass die gezeigten Konflikte und Problemstellungen beim Publikum einen Nerv treffen. Entweder, weil sich die Zusehenden tatsächlich Orientierung für das eigene Familienleben erhoffen, oder weil sie sich selbst über die bedauernswerte Lebenssituation der gezeigten Familien erheben können. Noch einen Schritt weiter ging im Jahr 2009 die Sendung Erwachsen auf Probe (RTL) und löste damals einen Medienskandal aus. Statt einer realen Ausgangssituation wurde ein komplett künstliches Szenario geschaffen. In dem sogenannten TV-Experiment wurden Jugendliche in Musterhäuser einquartiert, um mit geliehenen Kindern Familie zu spielen.
Ziel war es laut Sender, den Teenagern vor Augen zu führen, wie anstrengend es ist, Eltern zu sein. Dabei vertraute man vor allem auf die abschreckende Wirkung der „Leihkinder“. Andere vergleichbare Formate mit starkem Familienbezug sind reine Fiktion, wie zum Beispiel Familien im Brennpunkt (RTL). Die Konflikte und Situationen werden von Laiendarstellern nach Drehbuch in Szene gesetzt, ‚Experten‘-Interviews und die Aussagen von Beteiligten sollen dem Ganzen Seriosität verleihen. Insgesamt ist festzuhalten, dass viele solcher ‚quasi-dokumentarischen‘ Sendungsformate ein überwiegend abschreckendes Bild von Familie zeichnen.
Christian Alt und Markus Teubner: Geschwister und Eltern
Kinder und Jugendliche werden durch das ständig wachsende Angebot digitaler Medien mit komplexer werdender Nutzung konfrontiert. Doch wer hilft bei Schwierigkeiten – Geschwister oder Eltern? Anhand der 2008 am DJI durchgeführten Studie „digital divide“ wird die Bedeutung der Geschwister dargestellt.
Literatur:
Azmitia, Margarita/Perlmutter, Marion (1989). Social Influences on Children´s Cognition: State of the Art and Future Directions. In: Reese, Hayne W. (Hrsg.), Advances in Child Development and Behavior, Volume 22. San Diego/ London: Academic Press, S. 89-144.
Bedford, Victoria H. (1989). Understanding the value of siblings in old age: A proposed model. In: American Behavioral Scientist, 33/1989, S. 33-44.
Bowlby, John (1969). Attachment and loss. Vol. 1: Attachment. New York: Basic Books Brody, Gene H. (1998), Sibling relationship quality: Its causes and consequences. In: Annual Reviews of Psychology, 49/1998, S. 1-24.
Brody, Gene H./Stoneman, Zolinda (1995). Sibling relationships in middle childhood. In: Vasta, Ross/Kingsley, Jessica (Hrsg.), Annals of Child Development, 11/1995. London: Jessica Kingsley, S. 73-93.
Buhrmester, Duane (1992). The Developmental Courses of Sibling and Peer Relationships. In: Boer, Frits/Dunn, Judy (Hrsg.), Children’s Sibling Relationships: Developmental and Clinical Issues. Hillsdale NJ: Lawrence Erlbaum Associates, S. 19- 40.
Fend, Hartmut (1998). Entwicklungspsychologie der Adoleszenz in der Moderne, Band 5: Eltern und Freunde. Soziale Entwicklung im Jugendalter. Bern/Göttingen: Huber.
mpfs – Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (Hrsg.) (2002). KIM-Studie 2002. Kinder und Medien, Computer und Internet. Stuttgart.
mpfs – Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (Hrsg.) (2005). JIM-Studie 2005: Jugend, Information, (Multi-) Media. Stuttgart.
von Salisch, Maria (1993). Kind-Kind Beziehungen: Asymmetrie unter Peers, Freunden und Geschwistern. In: Auhagen, Ann E./von Salisch, Maria (Hrsg.), Zwischenmenschliche Beziehungen. Göttingen: Hogrefe, S. 59-77.
Schmid, Christin/Keller, Monika (1998). Der Einfluß von Geschwistern auf die kognitive und soziomoralische Entwicklung während der mittleren Kindheit und frühen Adoleszenz. In: Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie, Jg. 30/3, S. 101-110.
Traub, Angelika (2005). Ein Freund, ein guter Freund – die Gleichaltrigenbeziehungen der 8- bis 9-Jährigen. In: Alt, Christian (Hrsg.), Kinder-Leben. Aufwachsen zwischen Familie, Freunden und Institutionen, Band 2: Aufwachsen zwischen Freunden und Institutionen. Wiesbaden: VS Verlag, S. 23- 62.
Youniss, James (1994). Soziale Konstruktion und psychische Entwicklung. Beiträge zur Soziogenese der Handlungsfähigkeit. Herausgegeben von Oswald, Hans/Krappmann, Lothar. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Zajonc, Robert B./Markus, Gregory B. (1975). Birth Order and Intellectual Development. In: Psychological Review, Jg. 82/1, S. 74-88.
Beitrag aus Heft »2012/02: Familie und Medien«
Autor: Christian Alt, Markus Teubner
Beitrag als PDFEinzelansichtMichael Gurt: Spielerische Familiengestaltung
Familiäre Strukturen spielen in den meisten Spielegenres kaum eine Rolle. In narrativen Spielformen (Adventures, Rollenspiele) kommt es vor, dass familiäre Strukturen als Aspekt der Spielgeschichten thematisiert werden. Dort geht es etwa um Fragen der Abstammung des Spielhelden und der daraus resultierenden ‚schicksalshaften‘ Konsequenzen zum Beispiel in Dragon Age oder Knights oft the Old Republic. Zentrales Thema ist die Familie in der Lebenssimulation Die Sims 1-3. Im Zentrum des Spiels stehen Sozialsysteme, die von den Spielenden gemanaged werden müssen. Egal ob Single, Pärchen oder Großfamilie: Es gilt, die Bedürfnisse und Wünsche der Spielfiguren mit ihren unterschiedlichen Dispositionen sowie den Anforderungen der jeweiligen Lebenssituation unter einen Hut zu bringen.
Fast wie im richtigen Leben ist dabei der Faktor Zeit entscheidend: Stehen Karriere oder Hobbys zu sehr im Mittelpunkt, kommen andere Aspekte des menschlichen Lebens zu kurz.Mit dem Ableben von Spielfiguren ist das Spiel übrigens nicht zu Ende: Die Sims können sich fortpflanzen, inklusive Vererbung von äußerlichen und charakterlichen Merkmalen. Das Setting des Spiels ist zwar auf eine konsumorientierte US-amerikanische bürgerliche Mittelschicht ausgerichtet, wie familiäre Strukturen tatsächlich gestaltet werden, bleibt jedoch – in gewissen Grenzen – den Spielenden überlassen. So sind zum Beispiel auch gleichgeschlechtliche Partnerschaften möglich.
Das Spiel bietet ein sogenanntes Sandbox-Spielprinzip, also die Möglichkeit, ganz individuelle Vorstellungen von menschlichem Zusammenleben und Interaktion spielerisch zu testen. Diese Chancen, Lebensmodelle nach Lust und Laune ohne Konsequenzen für das tatsächliche ‚reale‘ Leben zu erproben, ist sicher ein Grund für den enormen Erfolg dieser Spieleserie.
Dorothee Falkenreck und Simone Bahr: Jeder nach seiner Fasson und doch gemeinsam
Der Artikel thematisiert an einem Beispiel aus der Familienforschung die soziale Praxis des gemeinsamen Fernsehens. Dabei wird nicht der Umgang der Individuen mit dem Medium fokussiert, sondern der Vergemeinschaftungsprozess der Familie durch Interaktion und Kommunikation vor dem und über das Medium.
Literatur:
Götz, Maya (2007). Die Fernsehfiguren der Kinder… und die Frage, was eine Fernsehfigur erfolgreich macht. TelevIZIon, 20, S. 22-27.
Goffman, Erving (2008). Rahmen-Analyse. Ein Versuch über die Organisation von Alltagserfahrungen. Frankfurt am Main: Suhrkamp. (Orig. 1974: Frame analysis: An Essay on the Organization on Experience. Notheastern University Press.)
Krinninger, Dominik/Müller, Hans-Rüdiger/Bahr, Simone/Borg, Kathrin/Falkenreck, Dorothee (2011). Familie als kulturelles Erziehungsmilieu. Zwischenbericht zu einem pädagogisch ethnographischen Forschungsprojekt. Osnabrück: Universität Osnabrück.
Lange, Andreas/Sander, Ekkehard (2010). Mediensozialisation in der Familie. In: Vollbrecht, Ralf/Wegener, Claudia (Hrsg.), Handbuch Mediensozialisation. Wiesbaden: VS Verlag. S. 180-191.
Mannheim, Karl (1964). Wissenszoziologie. Auswahl aus dem Werk. Hrsg. von Kurt H. Wolff. Neuwied: Luchterhand.
Mikos, Lothar (2010). Fernsehen und Film – Sehsozialisation. In: Vollbrecht, Ralf/Wegener, Claudia (Hrsg.), Handbuch Mediensozialisation. Wiesbaden: VS Verlag. S. 241-251.
Müller, Hans-Rüdiger (2007). Differenz und Differenzbearbeitung in familialen Erziehungsmilieus. Eine pädagogische Problemskizze. In: Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation, 27, S. 143-159.
Wegener, Claudia (2010). Medien in der frühen Kindheit. In: Vollbrecht, Ralf/Wegener, Claudia (Hrsg.), Handbuch Mediensozialisation. Wiesbaden: VS Verlag. S. 125-132.
Winter, Rainer (1995). Der produktive Zuschauer. Medienaneignung als kultureller und ästhetischer Prozeß. München: Quintessenz. de.wikipedia.org/wiki/H2O_-_Plötzlich_Meerjungfrau [Zugriff: 05.02.2012]
Beitrag aus Heft »2012/02: Familie und Medien«
Autor: Simone Bahr, Dorothee Falkenreck
Beitrag als PDFEinzelansichtMichael Gurt: Mit der Familie ins Internet
Das Internet kann für Familien eine Fundgrube sein, um Räume für Unterhaltung, Information oder gemeinsame Aktivitäten in und außerhalb des Netzes zu entdecken. Zahlreiche Eltern- und Familienplattformen wie www.eltern.de oder www.familie-und-eltern.de bündeln Informationen, Kommunikationsmöglichkeiten und Serviceleistungen für Eltern. Neben vielerlei Informationen rund um das Thema Kinder und Familie gibt es auch jeweils einen Community-Bereich, in dem sich Eltern mit anderen Müttern und Vätern vernetzen können, um Ratschläge, Tipps und Anregungen auszutauschen.
Daneben gibt es zahlreiche Seiten, die sich primär an Kinder richten, sich aber besonders gut für die gemeinsame Nutzung in der Familie eignen, etwa die Kindersuchmaschine www.blinde-kuh.de oder www.knipsclub.de, die Fotocommunity für Kinder. Darunter sind Internetseiten, mit sehr unterschiedlichen Themenschwerpunkten, von Freizeit (z.B. www.sportspatz.de, www.notenmax.de, www.wortwusel.net) über Medien (www.clipklapp.de, eine Videocommunity für Kinder mit pädagogisch betreuten Filmprojekten) bis hin zu Politik und Gesellschaft wie zum Beispiel www.frieden-fragen.de oder www.hanisauland.de, einer Kinderinformationsseite der Bundeszentrale für politische Bildung.
Steht das Thema Medien in der Familie im Blickpunkt, können medienpädagogische Angebote Eltern UND Kindern einen Leitfaden durch den Mediendschungel bieten, zum Beispiel für das Fernsehen www.flimmo.tv, für Medien in der Familie www.zappen-klicken-surfen.de und für das Internet zum Beispiel www.internet-abc.de oder www.surfen-ohne-risiko.net
Kathrin Demmler: Die medienkompetente Familie
In der familienbezogenen Praxis der Medienpädagogik dominieren Ansätze, die das kindliche Medieninteresse aufgreifen, Jugendliche und ihre medialen Interessen spielen kaum eine Rolle. Verantwortung für die Medienerziehung in der Familie wird dabei in den meisten Fällen den Eltern zugeschrieben. Familie muss aber in ihrer ganzen Komplexität betrachtet werden und medienpädagogische Angebote müssen alle Familienmitglieder im Blick haben.
Literatur:
Anfang, Günther/Demmler, Kathrin/Lutz, Klaus (2005). Mit Kamera, Maus und Mikro. München: kopaed.
Demmler, Kathrin/Theunert, Helga (2007). Medien entdecken und erproben. Null- bis Sechsjährige in der Medienpädagogik. In: Theunert, Helga (Hrsg.), Medienkinder von Geburt an. München: kopaed.
Düssel, Mareike (2010). Familiäre Mediennutzung: Einsam oder gemeinsam? Forschungsergebnisse zu Medienerziehung im Kontext sozialer Benachteiligung. In: merz |medien + erziehung Nr. 4, 54. Jg., S. 11-17.
JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis (2005). Bausteine zur Medienerziehung in Familien. München: kopaed.
Mengel, Melanie (2007). Familienbildung mit benachteiligten Adressaten. Eine Betrachtung aus andragogischer Perspektive. Wiesbaden: VS Verlag.
Petzold, Matthias (2011). Medien im Alltag von Familien. In: Generation digital. Neue Medien in der Erziehungsberatung. Bundeskonferenz für Erziehungsberatung e. V., Fürth, S. 14-30.
Schorb, Bernd/Theunert, Helga/JFF – Institut für Medienpädagogik (Hrsg.) (2010). Kinder im Abseits; merz | medien + erziehung Nr. 4, 54. Jg. München: kopaed.
spektrum
Christina Schachtner: Digital vernetzt
Durch die Zunahme der Nutzung von virtuellen Räumen ergeben sich ganz neue Arten von Beziehungen zwischen jungen Menschen. Wie genau sehen diese aus? Welche Bedeutung haben Beziehungen für Jugendliche und inwieweit unterscheiden sie sich von Online-Beziehungen? Was spielt in virtuellen Räumen eine wichtige Rolle für die betreffenden Personen?
Literatur:
Benjamin, Jessica (1990). Die Fesseln der Liebe. Psychoanalyse, Feminismus und das Problem der Macht, Frankfurt/M.: Stroemfeld/Roter Stern.
Hurrelmann, Klaus/Albert, Matthias/Quenzel, Gudrun/Langness, Anja. (2006). Eine pragmatische Generation unter Druck – Einführung in die Shell Jugendstudie 2006. In: Shell Deutschland (Hrsg.), Jugend 2006, Eine pragmatische Generation unter Druck. Frankfurt/Main, S. 31 - 48.
Oehmke, Philipp/von Rohr, Mathieu/Schulz, Sandra (2009). Die Krisenprofis. In: Der Spiegel Nr. 25 vom 15.6.2009. Online verfügbar unter www.spiegel.de/spiegel/print/d-65717404.html [Zugriff: 06.03.2012].
Schachtner, Christina (2008). Virtualität, Identität, Gemeinschaft, Reisende im Netz. In: Willems, Herbert (Hrsg.), Weltweite Weiten, Internet-Figurationen aus wissenssoziologischer Sicht. Wiesbaden: VS Verlag, S. 103 - 118.
Schachtner, Christina (2005). Virtuelle Mädchen- und Frauennetze als Kommunikationsräume. In: Schachtner, Christina/Winker, Gabriele (Hrsg.), Virtuelle Räume – neue Öffentlichkeiten. Frankfurt/Main: Campus, S. 167 - 218.
Schachtner, Christina (2004). Durch Raum und Zeit, Vagabundieren im Netz, in: Thedorff, Andreas (Hrsg.), Schon so spät? Zeit. Lehren. Lernen, Stuttgart: Hirzel Verlag. S. 276 - 287.
Shell Deutschland Holding (2010) (Hrsg.). Jugend 2010, Eine pragmatische Generation behauptet sich, Frankfurt/Main.
Shell Deutschland Holding (2006) (Hrsg.). Jugend 2006, Eine pragmatische Generation unter Druck, Frankfurt/Main.
Simmel, Georg (1983). Soziologie des Raumes 1903. In: Dahme, Heinz-Jürgen/Rammstedt, Otthein (Hrsg.), Schriften zur Soziologie, Frankfurt/Main: Suhrkamp Verlag, S. 221 – 242.
Stauber, Barbara (2004). Junge Frauen und Männer in Jugendkulturen, Selbstinszenierungen und Handlungspotentiale. Opladen: Leske+Budrich.
Wulf, Christoph (2006). Anthropologie kultureller Vielfalt, Interkulturelle Bildung in Zeiten der Globalisierung, Bielefeld: transcript.Yuval Davis, Nira (2001). Geschlecht und Nation, Emmendingen.
Beitrag aus Heft »2012/02: Familie und Medien«
Autor: Christina Schachtner
Beitrag als PDFEinzelansichtBirgit Weichenrieder: Jugendliche in virtuellen Welten
Virtuelle Welten gehören zum Alltag Jugendlicher. Durch Avatare können Jugendliche Identitäten ausprobieren und produzieren und auf soziale Tauglichkeit und Akzeptanz überprüfen. Das Internet als grenzenloser Raum stellt aber auch eine Gefahr für Jugendliche dar. Der Experimentierraum Internet archiviert die einzelnen Versuche der Jugendlichen auf ewig. Mithilfe eines Präventionsprojektes sollen Kompetenzen gefördert werden, wie Jugendliche, die sich häufig in virtuellen Welten befinden, die Grenzen im Umgang mit Medien selbst ziehen können.
Literatur:
Böhnisch, Lothar (2009). Jugend heute – Ein Essay. In: Theunert, Helga (Hrsg.), Jugend, Medien, Identität. Identitätsarbeit Jugendlicher mit und in Medien. München: kopaed Verlag.
Borowski, Sascha/Seibold, Karin (2010). Prozess in Augsburg: Echter Dieb klaut virtuelle Kleider. www.augsburger-allgemeine.de/panorama/Prozess-in-Augsburg-Echter-Dieb-klaut-virtuelle-Kleider-id8649366.html [Zugriff:23.06.2011].
Hilpert, Paul R. (2010). Wege zur Vermittlung von Medienkompetenz durch aktive Medienarbeit in Schulen. In: Lüpke, Marcus/Neumann, Ulf (Hrsg.), Gewaltprävention 2.0 – Digitale Herausforderungen. Marburg: Schüren Verlag.
Hurrelmann, Klaus (2008). Veränderte Bedingungen des Aufwachsens. In Rohlfs, Carsten/Harring, Marius/Palentien, Christian (Hrsg.), Kompetenz-Bildung. Soziale, emotionaleund kommunikative Kompetenzen von Kindern und Jugendlichen. Wiesbaden: VS Verlag.
Schorb, Bernd (2009). Mediale Identitätsarbeit: Zwischen Realität, Experiment und Provokation. In Theunert, Helga (Hrsg.), Jugend, Medien, Identität. Identitätsarbeit Jugendlicher mit und in Medien. München: kopaed Verlag.
Tillmann, Angela (2006). Doing Identity: Selbsterzählung und Selbstinszenierung in virtuellen Räumen. In Tillmann, Angela/Vollbrecht, Ralf (Hrsg.), Abenteuer Cyberspace Jugendliche in virtuellen Welten. Frankfurt am Main: Europäischer Verlag der Wissenschaften.
Wegener, Claudia (2008). Medien, Aneignung und Identität – „Stars“ im Alltag jugendlicher Fans. Wiesbaden: VS Verlag.
Beitrag aus Heft »2012/02: Familie und Medien«
Autor: Birgit Weichenrieder
Beitrag als PDFEinzelansichtDaniel Hajok: Kinder und Werbung im Internet
Es war in den letzten Jahren nicht unbedingt still um das Thema „Werbung im Internet“, aber der besorgte Blick von Eltern und Fachkräften aus Pädagogik und Jugendschutz richtete sich eher auf andere Problembereiche. Als im Herbst 2011 der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) erneut mit einer Abmahnwelle gegen Kinderspielseiten wetterte, wurde kurz aufgehorcht, waren doch auch populäre Angebote wie spielaffe.de, toggo.de und kika.de betroffen. Und die berechtigte Forderung nach Werbekompetenzvermittlung in der pädagogischen Praxis ist wieder lauter geworden.
Literatur:
Aufenanger, Stefan (2010). Faszination Werbung. Zur Wahrnehmung von Internetwerbung durch Kinder. www.mediasmart.de/uploads/media/medien_impuls_aufenanger_01.pdf [Zugriff: 15.02.2012].
Charlton, Michael/Neumann-Braun, Klaus (2002). Wie Kinder Fernsehwerbung verstehen. In: Willems, Herbert (Hrsg.), Die Gesellschaft der Werbung. Wiesbaden: WestdeutscherVerlag, S. 807-820.
Dörr, Dieter/Klimmt, Christoph/Daschmann, Gregor (Hrsg.) (2011). Werbung in Computerspielen: Herausforderungen für das Medienrecht und die Förderung vonMedienkompetenz. Berlin: Vistas.
Egmont MediaSolutions (2012). Onlineportale Kids & Teens. Preislist 2012. www.egmont-mediasolutions.de/mediadaten/egmont_ehapa_online.pdf [Zugriff: 15.02.2012].
Erfurter Netcode (2011). Qualitätskriterien für Social Web-Angebote für Kinder. Überlegungen auf der Grundlage der Erfurter Netcode Kriterien. www.erfurter-netcode.de/109.html [Zugriff: 15.02.2012].
FSM (Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter) (2009). Verhaltenssubkodex für Betreiber von Social Communities der FSM. Jugendschutz und Datenschutz in Social Communities. Stand: 11.03.2009. fsm.de/inhalt.doc/VK_Social_Networks.pdf [Zugriff: 11.03.2009].
Fuhs, Burkhard/Rosenstock, Roland (2009). Kinder, Werbung, Wertekommunikation. In: Gottberg, Joachim von/Rosenstock, Roland (Hrsg.), Werbung aus allen Richtungen.Crossmediale Markenstrategien als Herausforderung für den Jugendschutz. München: kopaed, S. 25-38.
Hass, Berthold H./Willbrandt, Klaus W. (2011). Targeting von Online-Werbung: Grundlagen, Formen und Herausforderungen. In: MedienWirtschaft – Zeitschrift für Medienmanagement und Medienökonomie, Heft 1/2011, S. 12-21.
Heinze, Matthias (2009). Der rechtliche Rahmen für Werbung in Fernsehen und Internet. In: Gottberg, Joachim von/Rosenstock, Roland (Hrsg.), Werbung aus allen Richtungen. Crossmediale Markenstrategien als Herausforderung für den Jugendschutz. München: kopaed, S. 69-88.
Kearon, John/Harrison, Peter (2011). Research robots. A dramatic new way to conduct research and generate insights. www.brainjuicer.com/xtra/BrainJuicer_DigiViduals_Research_Robots_Paper.pdf [Zugriff: 15.02.2012].
Sander, Uwe (2007). Werbung und ihre Wirkung bei Kindern. In: tv diskurs, Heft 3/2007, S. 16-19.
VZBV (Verbraucherzentrale Bundesverband) (2011a). Kinderspielseiten im Internet – kein rechtsfreier Raum. Berlin. www.surfer-haben-rechte.de/cps/rde/xbcr/digitalrechte/2011-10-19_Forderungen_FINAL.pdf [Zugriff: 15.02.2012].
Ders. (2011b). Kinderspielportale im Internet. Eine Untersuchung des Projekts „Verbraucherrechte in der digitalen Welt“ des Verbraucherzentrale Bundesverbandes. Berlin.www.surfer-haben-rechte.de/cps/rde/xbcr/digitalrechte/kKnderspielportaleHintergrundpapier_FINAL_24.10.2011. pdf [Zugriff: 15.02.2012].
ZAW (Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft) (Hrsg.) (2011). Werbung in Deutschland 2011. ZAWJahrbuch. Berlin: edition zaw.
Anna Zembala: Die museale Nutzung digitaler Medien
Dieser Artikel beschäftigt sich mit der Rolle der digitalen Medien im Rahmen von Wissensvermittlung. Ausgesucht wurden aktuelle exemplarische Objekte eines Science Centers und weiterer überwiegend technisch und naturwissenschaftlich ausgerichteter Häuser. Gegenwärtige Ausstellungskonzepte stimmen immer öfter mit den Gestaltungsprinzipien neuer Medien überein. Zugleich werden die digitalen Medien für Vermittlungsstrategien in unterschiedlichen Rollen genutzt. Der Einsatz digitaler Medien im Ausstellungswesen kann als ein experimentelles Feld für multimediale und intermediale Wissensvermittlung gesehen werden.
Literatur:
Ballstaedt, Steffen-Peter (2004). Kognition und Wahrnehmung in der Informations- und Wissensgesellschaft. Konsequenzen gesellschaftlicher Veränderungen für die Psyche. In: Kübler, Hans-Dieter/Elling, Elmar (Hrsg.), Die Wissensgesellschaft. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung. www.bpb.de/files/HA65KC.pdf [Zugriff: 30.08.2011].
Kilger, Gerhard/Müller-Kuhlmann, Wolfgang (Hrsg.) (2006). Szenografie in Ausstellungen und Museen II: Wissensräume: Kunst und Raum – Raum durch Kunst. Essen: Klartext.
Kilger, Gerhard/Müller-Kuhlmann, Wolfgang (Hrsg.) (2007). Szenografie in Ausstellungen und Museen III: Raumerfahrung oder Erlebnispark Raum – Zeit/Zeit – Raum. Essen: Klartext.
Kilger, Gerhard/Müller-Kuhlmann, Wolfgang (Hrsg.) (2010). Szenografie in Ausstellungen und Museen IV: Raum und Körper – Körperraum. Kreativität und Raumschöpfung. Essen: Klartext.
Röchert Ralf/Munro Patricia (2007). Emotional Brandings als Strategie für Besucherzentren. Das „Nationalpark-Zentrum Königsstuhl“. In: Kilger, Gerhard/Müller-Kuhlmann, Wolfgang (Hrsg.), Szenografie in Ausstellungen und Museen III: Raumerfahrung oder Erlebnispark Raum – Zeit/Zeit – Raum. Essen: Klartext. S. 102-112.
Schwan, Stephan (2009). Lernen und Wissenserwerb in Museen. In: Kunz-Ott, Hannelore/Kudorfer, Susanne/Weber, Traudel (Hrsg.), Kulturelle Bildung im Museum. Aneignungsprozesse – Vermittllungsformen – Praxisbeispiele. Bielefeld: transcript-Verlag, S. 33-43.
Schwan, Stephan/Zahn, Carmen/Wessel, Daniel/Huff, Markus/Herrmann, Nadine/Reussner, Eva (2008). Lernen in Museen und Ausstellungen – die Rolle digitaler Medien. Unterrichtswissenschaft Zeitschrift für Lernforschung. Thema: Lernen im Museum, 36 (2), S. 117-135.
Schwan, Stephan/Trischler, Helmuth/Prenzel, Manfred (Hrsg.) (2006). Lernen im Museum. Die Rolle von Medien für die Resituierung von Exponaten. Mitteilungen und Berichte aus dem Institut für Museumsforschung, Bd. 38. Berlin: Institut für Museumsforschung
.Wagner, Ernst/Dreykorn, Monika (Hrsg.) (2007). Museum. Schule. Bildung. Aktuelle Diskurse, innovative Modelle, erprobte Methoden. München: kopaed.
Zahn, Carmen (2006). Forschung zur Rolle neuer Medien im Museum – psychologische Perspektiven und Methoden am Institut für Wissensmedien Tübingen. In: Schwan, Stephan/Trischler, Helmuth/Prenzel, Manfred (Hrsg.), Die Rolle von Medien für die Resituierung von Exponaten: Mitteilungen und Berichte aus dem Institut für Museumsforschung, Bd. 38. Berlin: Institut für Museumsforschung, S. 11-17.
medienreport
Diana Schick: HörensWert
Was ist ein gerechtes Musikstück? Dürfen laute Instrumente wie die Trommel einfach so Krach machen oder müssen sie sich zurückhalten? Ist es gerecht, wenn die leisen Töne wie Triangel oder Rassel mehr Spielzeit bekommen? Oder ist es am besten, wenn einfach alle auf einmal spielen, so laut und so lange sie können? Im MOSAIK Mehrgenerationenhaus in Bachgau versuchen acht Kinder zwischen vier und fünf Jahren im Rahmen einer HörensWert-Einheit ein wirklich gerechtes Musikstück zu komponieren. Gar nicht so leicht, müsste man doch erst einmal wissen, wann eine Sache wirklich gerecht ist und was Gerechtigkeit eigentlich bedeutet. Diese Fragen zu klären ist Aufgabe des philosophischen Gespräches. Das Ergebnis wird anschließend in eigenes Handeln übersetzt. Dabei spielen die Methoden aktiver Medienarbeit eine wichtige Rolle.
Das Konzept HörensWert
Das MOSAIK Mehrgenerationenhaus in Bachgau ist eine von 13 Einrichtungen in Bayern, die sich am Pilotprojekt HörensWert beteiligt haben. HörensWert ist ein Konzept zur Wertebildung in Kindertagesstätte und Schule, das die Akademie Kinder philosophieren im bbw e. V. gemeinsam mit der Stiftung Zuhören entwickelt hat. Abstrakte Werte wie Toleranz, Solidarität oder eben Gerechtigkeit sollen für Kinder erlebbar und nachvollziehbar werden, um Grundlage für das Handeln der Kinder zu bilden. In der pädagogischen Praxis geht es darum, in einem philosophischen Gespräch über Werte nachzudenken, zuhören zu lernen und die GeHörensWert Kinder fragen, antworten, verstehen danken anschließend in verschiedensten akustischen Formen hör- und erlebbar zu machen. Eine HörensWert-Einheit besteht entsprechend aus drei zentralen Bausteinen, die einander bedingen und ergänzen:
Den Wert einführen
Der erste Baustein ist die Zuhörförderung, denn nur wenn ich dem anderen aufmerksam zuhöre, kann ich dessen Gedanken nachvollziehen und verstehen. Einleitende Rituale, wie beispielsweise eine „Ohrenmassage“, eröffnen die Einheit und lenken die Konzentration auf das Zuhören. Geräusche, die auch von den Kindern selbst aufgenommen werden können, wie beispielsweise verschiedene Lacher, ein Hörspiel oder, wie im oben genannten Beispiel, das Ausprobieren unterschiedlicher Instrumente, führen den Wert ein und dienen als Einstieg in das Gespräch. Wird ein Hörspiel als Einstieg gewählt, bietet es sich an, gemeinsam mit den Kindern Kriterien zu erarbeiten, woran man ein gutes Hörspiel erkennen kann: Sind die Stimmen der Sprecher angenehm und ausdrucksvoll? Passen sie zu den Figuren, die dargestellt werden? Welche Geräusche sorgen für Atmosphäre, in welcher Weise wird Musik eingesetzt? Passt sie zum Inhalt? Die Kinder lernen auf diese Weise, Hörspiele bewusster zu hören und werden auf die Umsetzung und die Produktion eigener Hörspiele vorbereitet. Den
Wert bewusst machen
Im philosophischen Gespräch, dem zweiten Baustein, wird der Wert reflektiert und in Beziehung zum eigenen Handeln gesetzt. Das philosophische Gespräch ist ein bewertungsfreier Raum, in dem Kinder ihre eigenen Gedanken, Erfahrungen und Erlebnisse zu einem Wert austauschen können. Es geht nicht darum, vorgefertigte Wertvorstellungen zu übernehmen, sondern gemeinsam nachzudenken. Durch die Gesprächsleitung erhalten die Kinder Anstöße weiterzudenken, die eigene Meinung zu hinterfragen und unter Einbezug der Perspektiven anderer auch neue Standpunkte zu entwickeln.
Den Wert erleben
Der dritte Baustein – das Erleben und Hörbarmachen von Werten – ermöglicht den Kindern, das Gedachte und Gesprochene auf eine kreativ-schöpferische und spielerische Art auszudrücken und zu erleben. Beim ‚Hörbarmachen‘ werden Gedanken aus dem philosophischen Gespräch aufgegriffen, weitergesponnen und erfahrbar gemacht. Durch Aktionen und Projekte können Werte erlebt und ins Handeln übersetzt werden, beispielsweise in Form von Interviews oder der Produktion eines eigenen Hörspiels. In den HörensWert Einheiten lernen die Kinder durch eigenes Ausprobieren, wie Aufnahmegeräte funktionieren und worauf man beim Aufnehmen achten muss: Gibt es Störgeräusche im Raum (Kühlschrank, Ventilator, elektrische Geräte, Stimmen aus dem Nebenraum, hallt der Raum)? Wie muss ich ins Mikrofon sprechen? Wie können unterschiedliche Töne in der richtigen Lautstärke aufgenommen werden? Anschließend geht es darum, dass selbst aufgenommene Interview bzw. Hörspiel zu schneiden. Dies passiert natürlich nicht alles in einer einzigen Einheit, sondern wird Schritt für Schritt erarbeitet, teilweise über mehrere Wochen oder Monate hinweg.
„Was ist Ehrlichkeit?“ – in philosophisches Gespräch
Im Johanneskindergarten in Burghaig in Oberfranken kommen zwölf Kinder zwischen fünf und sechs Jahren zur HörensWert-Einheit zusammen. Thema der heutigen Einheit ist Was ist Ehrlichkeit? Bevor es losgeht, wird das Ohrläppchen zwischen Daumen und Zeigefinger genommen und sanft geknetet. Dann gehen die Finger langsam am Rand der Ohrmuschel entlang, mal ganz sanft und dann wieder kräftig. Nach dieser Ohrenmassage spielen die Kinder Flüsterpost und schauen, was am Ende der Runde vom Anfangssatz noch übrigbleibt. Grundlage jedes philosophischen Gesprächs ist eine Atmosphäre der Wertschätzung und des echten Interesses an den Gedanken der anderen. Daher werden vor Beginn noch einmal die Gesprächsregeln wiederholt, die im Gespräch durch einen Redeball verdeutlicht werden: „Ich spreche nur, wenn ich den Ball habe“ und „Ich höre den anderen gut zu“. Im Laufe der Zeit entwickelt sich eine Gesprächskultur, die sich durch gegenseitige Achtsamkeit auszeichnet: Die Kinder lernen, dem anderen zuzuhören, ihn ausreden zu lassen, sich in fremde Perspektiven hineinzuversetzen und andere Meinungen stehen zu lassen. Ein angemessener Umgang miteinander wird nicht nur reflektiert, sondern immer auch eingeübt.
Ehrlichkeit reflektieren
Um den Begriff Ehrlichkeit einzuführen, überlegt sich jedes Kind zwei Sätze: Einer ist wahr, einer ist erfunden. Die anderen Kinder erraten, welcher Satz wahr ist und welcher eine Lüge ist. Das Spiel mit den erfundenen und wahren Sätzen macht den Kindern Spaß und führt zu der Frage: „Was ist eigentlich das Gegenteil von Lügen?“ „Wahrheit“ meinen einige Kinder, andere meinen „ehrlich sein“. Aber was bedeutet „ehrlich sein“ eigentlich? Und ist es das Gleiche wie Wahrheit? „Ehrlich ist, wenn man einen Fehler zugibt“, „Ehrlich ist, wenn man dem anderen seine Meinung sagt“, antworten die Kinder. Gibt es noch andere Meinungen dazu? Und verstehen wir alle das Gleiche darunter? Aufgabe der Gesprächsleitung ist es, die Antworten der Kinder zusammenzufassen, genau zu klären, was jeweils unter einem Begriff verstanden wird und Zusammenhänge zwischen den einzelnen Aussagen herzustellen. Vielleicht gelingt sogar eine erste gemeinsame Definition des Begriffs. Die Gesprächsleitung selbst hält sich mit ihrer Meinung zurück und wertet die Aussagen der Kinder nicht. „Manchmal muss man lügen“, meint eines der Kinder zum Thema Ehrlichkeit und Lüge. „Warum muss man manchmal lügen? Kannst du da ein Beispiel nennen?“, will die Gesprächsleitung wissen. Sie versucht, die Kinder dazu anzuregen, ihre Meinungen zu begründen und sich einen eigenen Standpunkt zu bilden. Nachdem sich die Kinder den Begriffen Ehrlichkeit und Lüge über ihre Erfahrungen und aus unterschiedlichen Perspektiven angenähert haben, dreht sich das Gespräch um den Nutzen bzw. Schaden von Ehrlichkeit und Lüge. Ausgenommen von Notlügen seien Lügen eher schädlich, finden die Kinder, da sie Freundschaften zerstören könnten und einem keiner mehr etwas glaube, wenn man lügt. Aber jeder hat bestimmt schon einmal gelogen: „Wenn alle beim Lügen so eine lange Nase bekämen wie Pinocchio, würden viele Leute mit einer langen Nase herumlaufen!“, ist eines der Kinder überzeugt. Wichtig sei es daher, Lügen auch einzugestehen – darauf können sich alle einigen.
Erkenntnisse hörbar machen
Die Erkenntnisse des vertieften Nachdenkens im philosophischen Gespräch fließen in ein Hörspiel ein, das sich die Kinder selbst überlegen und anschließend aufnehmen. Die Geschichte von Franz und Lisa handelt von zwei Freunden, die sich streiten, weil Franz behauptet, dass er schon einmal eine Heuschrecke gegessen habe. Lisa glaubt ihm das nicht und ist schwer enttäuscht, dass Franz sie anlügt. Das macht Franz traurig und gibt ihm zu denken. Am nächsten Tag entschuldigt er sich bei Lisa, dass er gelogen hat, um anzugeben und die beiden können wieder Freunde sein. „Der Wert wurde durch die Sätze beim Philosophieren begreifbar gemacht, durch das Philosophieren verdeutlicht und durch die Geschichte hörbar gemacht und vertieft“, so Erzieherin Elvira Höfner, die die Einheit mit den Kindern durchgeführt hatte.
Eigene Werte finden, klären, leben
Insgesamt 17 Pädagoginnnen und Pädagogen haben zwischen November 2010 und Juli 2011 am Pilotprojekt HörensWert teilgenommen und regelmäßig Einheiten in ihren Einrichtungen durchgeführt. Andere Werte, mit denen sich die Kinder während des Projektes philosophierend und kreativ auseinandersetzten waren Freundschaft, Familie, Geborgenheit, Zusammenhalt, Vertrauen, Lachen, Anders sein, Teilen, Hilfsbereitschaft, Mut, Freundlich sein … Mit insgesamt sieben Themenfeldern befassten sich die Pädagoginnen und Pädagogen, die sie jeweils mit für die Gruppe relevanten Werten füllten: Ich (Mut, Selbstvertrauen, Gesundheit …), Familie und Freunde (Ehrlichkeit, Freundschaft, Treue …), Gesellschaft (Solidarität, Verantwortung, Rücksichtnahme ...), Kita und Schule (Toleranz, Gerechtigkeit, Leistungsbereitschaft…), Spiel, Kunst, Kultur, Sport (Schönheit, Freude, Selbstausdruck ...), Religion (Glaube, Nächstenliebe, Güte ...), Natur (Achtsamkeit, Leben, Schönheit ...)Um relevante Begriffe zu finden und sich diesen meist doch sehr abstrakten Begriffen zu nähern, mussten sich die Pädagoginnen und Pädagogen während des sechstägigen Fortbildungszyklus‘ zunächst mit ihrem eigenen Wertesystem auseinandersetzen: Welche Werte sind mir beruflich wichtig? Haben diese zu Hause eine andere Wertigkeit? Was verstehe ich persönlich unter Toleranz, unter Gerechtigkeit? Wie stehe ich zu Leistungsbereitschaft oder Rücksichtnahme? Was ist überhaupt ein Wert?
In philosophischen Gesprächen und in Workshops konnten sie diese und andere Fragen intensiv beleuchten. Für die konkrete Umsetzung in die Praxis lernten sie zudem Grundlagen der philosophischen Gesprächsführung und Methoden der Zuhörförderung kennen. Sie entwickelten philosophische Fragen zu unterschiedlichen Werten, lernten die Haltung der Gesprächsleitung im philosophischen Gespräch kennen und erprobten die Leitung philosophischer Gespräche selbst. Anschließend wurden die im Gespräch formulierten Gedanken zu einem Wert akustisch dargestellt: Sprachcollagen und Geräuschrätsel entstanden, Hörspiele zu unterschiedlichen Begriffen wurden produziert. Umgesetzt wurde das Gelernte anschließend auf verschiedenste Weise: Im Kindergarten in Aßling ermutigte eine HörensWert-Einheit über Gemeinschaft Kinder und Erzieherinnen zu einem gemeinsamen Singen, Musizieren und Tanzen mit den Kindergarteneltern, was diesen Wert lebendig werden ließ. Gemeinsam wurden Lieder gesungen, Eltern musizierten auf mitgebrachten Instrumenten und tanzten mit ihren Kindern. Zum Thema Familie nahmen Grundschulkinder ein Geräuschporträt ihrer Mutter, ihres Vaters oder ihrer Geschwister auf, in dem charakteristische Geräusche dargestellt wurden; aus der Frage Was brauchen wir zum Leben? entstand Eine kleine Schnaufmusik, in der Luft als eine Lebensgrundlage kreativ dargestellt wurde.
Werten lernen statt Werte lehren
Ausgangspunkt von HörensWert ist ein Verständnis von Wertebildung, nach dem diese immer nur situationsbezogen und handlungsorientiert stattfinden kann. Werte wie Freundschaft, Gerechtigkeit, Respekt können Kindern nicht gelehrt werden. Dort wo Kinder solche Werte jedoch in Begegnungen und Grunderfahrungen positiv erleben, können sie diese verinnerlichen. Interaktion, Kommunikation und Selbstreflexion kommen daher eine Schlüsselfunktion bei HörensWert zu. Gemeinsam mit der Stiftung Zuhören entwickelt die Akademie Kinder philosophieren im Bildungswerk der Bayerischen Wirtschaft e. V. unterstützt von Pädagoginnen und Pädagogen aus 13 bayerischen Kindergärten und Schulen HörensWert, ein Konzept zur Wertebildung. Abstrakte Werte wie Toleranz, Solidarität, Mut werden bei HörensWert über Zuhörförderung, philosophische Gespräche und mediale Umsetzung für Kinder erfahrund damit greifbar.Zunächst ist der philosophische Prozess selbst Interaktion: Es geht um das Einüben von Werthaltungen. Der bewertungsfreie Raum ermöglicht eine geschützte Atmosphäre, in dem jeder Gedanke ernst genommen wird. Durch das Philosophieren, in dem das gemeinsame Nachdenken im Mittelpunkt steht, werden Haltungen ausgebildet, die für wertorientiertes Handeln zentral sind, wie Wertschätzung, Vertrauen, kritisches Hinterfragen, Offenheit für andere Standpunkte und Einstehen für den eigenen Standpunkt. Wesentliche Grundlage hierfür ist die Haltung des Zuhörens, die Achtung und Empathie für das Gegenüber ausdrückt. Bei einer HörensWert-Einheit sind daher Übungen zur Zuhörförderung immer verbunden mit dem philosophischen Gespräch.
Sie fördern die Freude am gemeinsamen Hören, das Interpretieren akustischer Informationen, das Verbalisieren eigener Gefühle und Botschaften. Das philosophische Gespräch ist achtsame Kommunikation, die auf das Wesentliche und Wahre gerichtet ist und Möglichkeit zur Selbstreflexion bietet. Es geht um selbständig erarbeitetes Wissen über konkrete Werte, ihre Begründung und mögliche Wertekonflikte. Es trägt zur Klärung der eigenen Wertehierarchie bei und stößt die Reflexion eigener Entscheidungen, Handlungen und Vorurteile an. Ein besonderes Anliegen von HörensWert ist es, dass die Bewusstmachung von Werten und Wertkonflikten nicht beim Denken stehenbleibt, sondern ins Handeln übersetzt wird. Ein wesentlicher Bestandteil ist daher das Umsetzen von Gedanken in andere, kreative Formen und konkrete Handlungen, die positive Erfahrung und Verinnerlichung von Werten ermöglichen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der medialen Umsetzung – also beispielsweise die gemeinsame Erarbeitung eines „gerechten“ Musikstückes. Was ist eigentlich daraus geworden? Beim Anhören der ersten Probeaufnahme empfinden die Kinder das Stück noch nicht als wirklich gerecht: Einige Musikinstrumente sind zu laut oder zu leise, zu kurz oder zu lange zu hören. Gerechter wäre es, da sind sich alle einig, wenn man alle Instrumente gut hören könne
. Das bedeutet für die Kinder zunächst, immer lauter zu spielen. Das, so merken sie aber bald, ist nicht die richtige Lösung – also spielen alle ganz leise. Jetzt hört man die unterschiedlichen Instrumente schon besser, einige kann man aber immer noch nur ganz schlecht hören. „Das Aufnehmen und Anhören des ‚gerechten Musik-Stückes’ wardas richtige Mittel, um den Kindern den Begriff ‚Gerechtigkeit’ erlebbar zu machen“, so die Erzieherin. Am Ende sind die Kinder mit ihrem Ergebnis ganz zufrieden: Alle Instrumente werden nacheinander, gleichlang und gleichlaut gespielt. Ein Dirigent sorgt dafür, dass jedes Instrument zu seinem Recht kommt.www.bayern.de/Wertebuendnis-Bayern-.2336.10289341/index.htm
Elisabeth Jäcklein-Kreis: Mehr Drill-Instructor als Mentor
Turnschuhe binden, Kaugummi raus und ran an die Maus. Jetzt wird das Internet von der Pieke auf gelernt, denn jetzt übernimmt der Coach die Führung: Der webcoach. Ob der Klett-Verlag bei der Namensgebung für seine Unterrichtsmaterialien zu neuen Medien auch kleine, stämmige Männer mit ungekämmten Haaren und orangenen T-Shirts vor Augen hatte, die 2 Meter große Rugbyspieler mit Schulterpolstern und Mundschutz anschreien und zu Ordnung und Disziplin ermahnen, wissen natürlich nur die beteiligten Redakteure – dass der doch recht gewollt jugendliche, denglische Neologismus allerdings bei Lehrerinnen und Lehrern und deren Zöglingen von elf bis 16 Jahren gleichermaßen gut ankommt, darf bezweifelt werden. Nichtsdestoweniger – der webcoach nimmt sich einem Thema an, an das sich bisher leider nur wenige Schulbuchverlage so recht trauen und kommt zudem in einer ansprechenden Aufmachung daher, nämlich in Form von Lehrermaterialien und Arbeitsheften für die Schülerinnen und Schüler und nicht nur als Handreichung mit einem großen, verstaubten Zeigefinger auf dem Cover. Die Hefte werden vom 5. bis zum 10. Schuljahr angeboten, differenziert nach Bundesländern und Schularten. Scheinbar zumindest, denn de facto sind die meisten Einzelhefte dann doch für „5.-10. Schuljahr“ angelegt – die Auswahl sieht also größer aus, als sie wohl ist. Inhaltlich gibt es bisher die Themen „Cyber-Mobbing“, „Recherche im Internet“ und „Soziale Netzwerke“, weitere sollen folgen. Soweit, so erfreulich, endlich mal ein Material, mit dem neue Medien tatsächlich im Unterricht besprochen werden können, denkt man und schlägt frohgemut das Heft auf, in dem Fall die Ausgabe zu sozialen Netzwerken.
Innen wird die Freude auch zunächst nicht getrübt, eine kurze, übersichtliche Gliederung präsentiert sich in optisch ansprechendem Gewand, es gibt ein Grundlagenkapitel zu sozialen Netzwerken (Was ist das und warum nutzen wir es?), einen Abschnitt „Regeln und Tipps“ (in dem Themen wie sichere Passwörter, Profilgestaltung, Urheberrecht und Persönlichkeitsrechte zur Sprache kommen) und ein letztes Kapitel mit dem Titel „Soziale Netze wahrnehmen“ (dahinter verstecken sich Werbung, Cybermobbing und Online-Sucht). Dazu eine Zeichenerklärung, denn im Innenteil ist jedes Thema bestückt mit Querverweisen, Links und zusätzlichen Inhalten wie Checklisten, gekennzeichnet durch kleine Buttons. Überhaupt scheinen die Grafiker des Arbeitsheftes ihren Spaß gehabt zu haben, alles erstrahlt in bunten Farben, jede Tabelle ist zumindest bunt unterlegt und zu fast jeder Aufgabe gibt es bunte Fotos, die manchmal inhaltliche Relevanz haben, manchmal aber einfach nur illustrieren. Optisch also durchaus opulent, das 30 Seiten starke Arbeitsheft. Inhaltlich werden die drei großen Themen der Gliederung in 13 einzelnen „Modulen“ präsentiert, die sowohl für den Schulalltag als auch für Projekttage geeignet sein sollen. Leider waren die Autorinnen und Autoren aber etwas sparsamer als ihre grafischen Kolleginnen und Kollegen: Es gibt keinerlei einleitende Worte oder Grundlagen, die Information zu den Aufgaben muss wohl komplett von der jeweiligen Lehrkraft kommen. Auch bei den Aufgaben selbst sind die Erklärungen und Informationen meist recht kurz gehalten, der Schwerpunkt liegt eindeutig auf den Aufgabenstellungen. Das ist für ein Arbeitsheft zwar im Grunde nicht verwerflich, aber dennoch etwas schade: Mehr zusätzliche Informationen oder zumindest Hinweise auf interessante Links, Broschüren, Filme oder Literatur hätten dem Thema gut getan, zum einen inhaltlich, zum anderen um die besprochenen neuen Medien auch gleich einzusetzen, was sich ja angeboten hätte. Zumal viele Aufgaben recht offen gestellt sind und die Schülerinnen und Schüler zu Diskussionen oder Begründungen auffordern – das ist zwar durchaus gut gedacht und soll wohl eigenes Denken anregen, diesem Denken würde es aber sicher nicht schaden, wenn es sich nicht nur auf den drei Sätzen aus dem Arbeitsheft, sondern auf vielfältigen Quellen begründen könnte.
Die wenigen Verweise, etwa auf Internet-Seiten, sind zudem recht kompliziert als Buchstaben-Zahlen-Codes verpackt, die man erst auf der webcoach-Seite eingeben muss, um dann weitergeleitet zu werden – ein eher umständliches Prozedere, das die Schwelle, tatsächlich dorthin zu klicken, deutlich hebt. Hier vergibt sich das Heft also leider die Chance, Jugendliche wirklich zum Mitdenken und kritisch Reflektieren anzuregen und einen bewussten Umgang mit neuen Medien zu schaffen und bleibt stattdessen lieber zwischen seinen eigenen Buchdeckeln kleben – wahrscheinlich die einfachere Lösung. Mehr als das stößt aber auf, dass viele der Fragen nicht nur dritte Meinungen ausschließen, sondern auch inhaltlich plakativ sind und wenig Raum für ehrliche Diskussion lassen. So sind einige Fragen so suggestiv gestellt, dass man sie genauso gut gleich als Antworten hätte formulieren können. Beispiel gefällig? In einer Aufgabe sollen sich die Schülerinnen und Schüler in einen Personalchef versetzen, der die Profile seiner Bewerber auf einem Sozialen Netzwerk betrachtet und unter anderem Folgendes findet: Ein Bewerber hält auf einem Bild stolz eine Pump Gun (Waffe) in den Händen. Darunter steht: „Mein neuestes Spielzeug, und ich weiß, wie man günstig an die Dinger kommt…“Dass vermutlich kaum jemand unter einem Foto über seine Connections zu kriminellen Szenen prahlen würde und der, der es tun würde, möglicherweise selten Bewerbungen für Jobs versenden würde, bei denen ein Personalchef die ordentlich zusammengestellten Mappen vorsortiert, ist nur die eine Ungereimtheit an der Sache. Dass das Arbeitsheft ein so plakativ überzeichnetes Bild anbietet und die Schülerinnen und Schüler damit vermutlich bestenfalls zu einem müden „Jaja, würde ich nicht nehmen“ anregt, nicht aber zu einem differenzierten Nachdenken darüber, welche Themen bei einer Selbstdarstellung wirklich nachdenkenswert und gegebenenfalls problematisch sind, ist der größere Haken.
Denn wer würde sich mit einer solchen, schwarz-weißen Darstellung der Profile-Welt schon genügend identifizieren, um darüber ins Nachdenken über eigene Inhalte zu kommen? Ausgenommen den einen Schüler in jeder siebten Klasse, der gerade Freundschaft mit einem Waffen-Hehler geschlossen hat, der hat aber sicher auch andere Probleme. Weiteres Beispiel, das ins Auge sticht, ist das letzte Kapitel im Heft, das sich dem Thema Online-Sucht widmet. Ungeachtet der Tatsache, dass Online-Sucht nach wie vor kein anerkanntes Krankheitsbild ist und nirgendwo verlässliche Forschung dazu existiert, fragt das Heft die Leserinnen und Leser ganz unverschämt: „Bist du schon süchtig?“ Von 560.000 „Internetsüchtigen“ spricht es, bildet eine an eine Tastatur gekettete Hand ab und lässt auch sonst kein Klischee aus. Eine Differenzierung oder Begriffsklärung (etwa nach Online-Spielen, bestimmten anderen Inhalten oder dem Internet allgemein) wird ebenso wenig für nötig gehalten wie ein differenzierter und kritischer Umgang mit einem unerforschten und heftig umstrittenen Phänomen. Stattdessen fragt das Heft lieber im „Fragebogen zur Selbsteinschätzung“ „Wie oft freust du dich darauf, bald wieder ‚on‘ zu sein?“ und schickt alle, die das Internet gerne nutzen, pauschal zum Psychologen: „Lass dir helfen und schäme dich nicht dafür“.
Der Paukenschlag zum Schluss: Eine Abbildung mit zwei Wegweisern nach „Realität“ und „Cyberspace“, die in entgegengesetzte Richtungen zeigen. Schade, dass der gute Vorstoß, neue Medien in Schulen zu behandeln, letztlich in so viel Bewahrpädagogik und klischeebehafteten Angstszenarien enden musst – solcherlei Verteufelungen der Angebote führen sicher nicht dazu, dass Lehrerinnen und Lehrer in einen echten, kritischen Dialog mit ihren Schülerinnen und Schülern eintreten, sondern lassen vielmehr befürchten, dass der Großteil einmal mit den Schultern zuckt, die richtige Antwort ins Arbeitsheft kritzelt und unter der Bank seine facebook-Updates abruft. Denn wer will sich schon von einem wie auch immer gearteten Coach in solcher Drill-and-Practise-Manier einreden lassen, wie er das Internet zu bedienen hat? Dazu bräuchte es ehrliche Auseinandersetzung und Diskussion statt Trillerpfeifen.Mayer, Thomas/Dippl, Franz/Höhbauer, Christian (2012). Webcoach. Soziale Netzwerke. Arbeitsheft. Stuttgart, Leipzig: Ernst Klett Verlag. 32 Seiten, 19,95 €.
Beitrag aus Heft »2012/02: Familie und Medien«
Autor: Elisabeth Jäcklein-Kreis
Beitrag als PDFEinzelansichtMarkus Achatz: Väterrollen und Kinderschicksale
Jedes Jahr wird nach zehn Tagen Berlinale und einem rappelvollen Filmprogramm Resümee gezogen, über die Qualität der Beiträge, die Stimmung, den Promifaktor und das Festival an sich. Die Bilanzen für die 62. Internationalen Filmfestspiele fielen positiv aus. Ein guter Wettbewerb und viele Highlights in allen Programmsparten. Zahlreiche Filme näherten sich gesellschaftlichen und politischen Themen, zeigten ergreifende Schicksale, machten auch Hoffnung und weiteten den Blick über den eigenen Ausschnitt der Welt hinaus. Sektionenübergreifend wurden immer wieder unterschiedliche Familienkonstellationen in den Fokus gestellt: Familien oder Teile von Familien, die sich auf neue Situationen, veränderte Voraussetzungen, andere Bedingungen einstellen müssen.
Der Weg als Ziel: Arcadia
Der US-Independent Film Arcadia handelt vom Umzug einer Familie im Auto quer durch die Vereinigten Staaten, von New England nach Kalifornien. Der Zielort Arcadia, eine 50.000 Einwohner-Stadt, ist künftiger Wohnort der Familie und für den Vater Tom der neue Arbeitsplatz. Mit seinen drei Kindern – der zwölfjährigen Greta, dem sechsjährigen Nat und der 16-jährigen Caroline – macht sich Tom auf die lange Reise im vollgepackten alten Kombi. Die Mutter würde später nachkommen. Während vieler Stopps führt Tom aufgeregte Telefonate, angeblich geschäftlich. Wenn die Kinder die Mutter anrufen möchten, wiegelt Tom ab oder sie erreichen nur den Anrufbeantworter. Tom bemüht sich unterwegs um gute Stimmung, doch die Fahrt zieht sich hin und allmählich zehren die Strapazen an den Nerven aller. Als aufgrund des teuren Eintritts der Grand Canyon kurzfristig von der Route weichen muss, ist die Laune im Wagen am Tiefpunkt. Greta wird immer klarer, dass hier etwas von Grund auf nicht stimmt und sie ist sich sicher, dass Tom die ganze Wahrheit vor ihnen verbirgt. Was ist mit ihrer Mutter wirklich los? Diese Tour ist auch Gretas Reise in ein neues Leben. Eine Coming of Age-Geschichte, in der Greta allmählich reifer wird, und gleichzeitig eine Entwicklungsgeschichte für den Vater und die gesamte Familie. Tom muss erkennen, dass auch Greta kein Kind mehr ist. Arcadia ist ein bemerkenswertes Roadmovie, das die Geschichte über die Zerrissenheit einer Familie in ein Auto sperrt und sie auf eine 2.800 Meilen weite Reise schickt. Die Handlung spielt die meiste Zeit unterwegs im Fahrzeug, an Raststätten, Tankstellen und in Motels. Die abwesende Mutter ist ständig präsent. Die Kinder haben Sehnsucht nach ihr, eine Kontaktaufnahme misslingt jedoch. Der Vater verschließt sich zunehmend. Erst spät wird klar, was tatsächlich geschehen ist: Die Mutter ist nach einem Nervenzusammenbruch in psychiatrischer Behandlung und wird auf absehbare Zeit nicht nach Kalifornien nachkommen. Greta ist einerseits tief verletzt, dass man ihr nicht von vornherein die Wahrheit gesagt hat, lernt aber auch zu verstehen, warum ihr Vater sie zunächst vor der Realität schützen wollte. Eine Szene verdeutlicht den Entwicklungsprozess, als Greta vor einem Abgrund steht und ihren Stoffhasen Harrison, den sie immer bei sich hatte, hinunterwirft. John Hawkes (Tom) wurde 2011 für seine Rolle des Teardrop in Winter’s Bone für den Oscar nominiert. In Deutschland ist er etwa durch Auftritte in From Dusk Till Dawn (1996), Rush Hour (1998) und zuletzt in der TV-Serie Lost (als Lennon) bekannt. Brillant besetzt sind auch die Kinder – etwa mit Ryan Simpkins als Greta, A Single Man, 2009, Unter Kontrolle, 2008 und Twixt, 2011 (Regie: Francis Ford Coppola), Ty Simpkins als Nat und Kendall Toole als Caroline. Der Soundtrack wurde von der US-Indiefolk-Band The Low Anthem eingespielt, die 2011 mit Boing 737 einen kleinen Hit hatten. Die sparsam instrumentierten Stücke lassen den Originaltönen, dem Highwaylärm, aber auch dem Wind und nächtlichen Zikaden, genügend Raum. Die Kinderjury der 62. Berlinale verlieh an Arcadia den Gläsernen Bären als besten Langfilm im Programm der Sektion Generation Kplus. Aus der Begründung: „Eine Familie merkt, dass man seinen Problemen nicht davonfahren kann. Diese authentische Geschichte und die ganz natürlich wirkenden Schauspieler haben uns tief berührt. Eine große Reise und ein in jeder Hinsicht bewegender Film!“
Krisenreise: Orchim Lerega
Auch in diesem Jahr war wieder ein besonderer Film aus Israel im Generation-Programm zu sehen. Als Beitrag bei 14plus lief der erste Langfilm der 32-jährigen Regisseurin Maya Kenig. Orchim Lerega (Off White Lies) ist ebenfalls ein Roadmovie, in dessen Mittelpunkt eine Tochter-Vater-Beziehung steht. Die 13-jährige Libby und ihr Vater Shaul reisen durch Israel, allerdings im Gegensatz zu Arcadia ohne festes Ziel. Es ist eher eine Tour aus Verlegenheit. Zu Beginn kommt Libby mit Koffer, Topfpflanze und gemischten Gefühlen nach Israel. Eigentlich lebt sie mit ihrer Mutter in Los Angeles und soll nun mit ihrem Vater Zeit verbringen, den sie aber eigentlich gar nicht kennt, denn die Eltern haben sich getrennt als Libby drei Jahre alt war. Shaul holt seine Tochter mit dem Auto am Flughafen ab. Anstatt wie erwartet, zu Shauls Haus zu fahren, machen sie sich auf eine Reise durch Israel. Wie sich nach und nach herausstellt, ist der erfolglose Erfinder völlig pleite und hat keine Wohnung mehr. Zunächst kommen die beiden bei verschiedenen Bekannten von Shaul unter. Im Norden geraten sie in die Bombenangriffe des zweiten Libanonkriegs und reisen wieder in den Süden. Dort geben sie sich als Flüchtlinge aus dem Grenzgebiet zum Libanon aus und kommen bei wohlhabenden Fremden unter. Shaul tischt immer mehr Lügengeschichten auf. Libby findet langsam Vergnügen an der Komplizenrolle. Trotzdem muss sie ihren eigenen Platz im Leben finden, sich eine Meinung bilden und eigene Entscheidungen fällen. Mit der falschen Identität und den Lügen werden sie auf Dauer nicht durchkommen. Maya Kenig gelingt es überzeugend, die konfliktbeladene politische Lage Israels mit der Reise ihrer Figuren zu verflechten. Die brisante Lage des Landes korrespondiert mit dem Ausnahmezustand, in dem sich Vater und Tochter befinden. Wie auch Olivia Silver in Arcadia schildert Maya Kenig auf ungewöhnliche Weise die Entwicklung einer unvollständigen Familie und wählt das Motiv einer symbolhaften Reise. Väter, die in ihrer Rolle an Grenzen geraten sind, stehen im Mittelpunkt. Ihre Kinder reifen an und mit den ungewöhnlichen Situationen und eröffnen dabei ihren Eltern neue Sicht- und Denkweisen.
Kindlicher Vogelvater: Kauwboy
Ebenfalls einer Vater-Kind-Beziehung widmet sich der niederländische Kplus-Beitrag Kauwboy. Der zehnjährige Jojo lebt allein mit seinem Vater Ronald, der als Wachmann arbeitet und nach außen streng und unzugänglich wirkt. Dennoch wird von Beginn an klar, dass Vater und Sohn eine besondere Beziehung zueinander haben, die mit der Absenz der Mutter verwoben ist. Der Tag beginnt mit einem Vater-Sohn-Ritual: Ronald fährt mit dem Auto zur Arbeit, gleichzeitig sprintet Jojo los und rennt so schnell er kann über Treppen, Wiesen und Abkürzungen bis zu einer Brücke, unter der der Vater hindurchfährt. Wer schneller dort ist, hat gewonnen. Eines Tages findet Jojo auf Streifzügen durch die Gegend eine junge Dohle, die aus dem Nest gefallen ist. Er kümmert sich um den Vogel und versteckt ihn heimlich. Sein unbeherrschter Vater hat ihm verboten ein Haustier zu haben, denn die würden immer sterben. Ronald verbietet alles, was auf die Mutter hinweist, auch dass Jojo für sie einen Geburtstagskuchen bäckt, obwohl sie nicht da ist. Der Vogel gibt Jojo Halt und eine Aufgabe. Zum Glück gibt es aber auch noch Yenthe aus Jojos Wasserballmannschaft, mit der sich Jojo anfreundet. Die Zeit mit Yenthe und der jungen Dohle ist für Jojo entscheidend, denn er muss die Wahrheit akzeptieren, dass nämlich seine Mutter nicht auf einer Konzertreise mit ihrer Band ist. Regisseur Boudewijn Koole hat einen berührenden Film gemacht, der eindringlich den sorgenvollen Alltag der Protagonisten schildert, gleichzeitig aber – wie seine Hauptfigur Jojo – immer Kauwboy: Jojo (Rick Lens) findet Halt und Freundschaft bei Yenthe (Susan Radder) wieder auf die Freude an den schönen Momenten abzielt. Es ist die intensive Geschichte über die dunklen und lichten Momente zwischen einem Vater und seinem Sohn, an dessen Ende sich beide wieder neu zusammenfinden müssen, um an einen neuen Anfang denken zu können. Ein Film über Verlust und Hoffnung. Die Geschichte wird getragen durch das intensive Spiel der Hauptfiguren. Kauwboy erhielt den sektionenübergreifenden Preis für den besten Erstlingsfilm der gesamten Berlinale 2012 sowie den Großen Preis des Deutschen Kinderhilfswerks für den besten Spielfilm in Generation Kplus. Aus der Jurybegründung Kplus: „Mit seiner klaren und tiefgreifenden Art hat uns der Film schnell gepackt, und in dem Kummer, mit dem der kleine Junge kämpft, auch sehr bewegt. Wunderschöne visuelle Momente, ein kleiner schwarzer Vogel und ein blauer Kaugummi sind weitere Zutaten dieses besonders originellen Films.“
Kind von Traurigkeit: Kid-Thing
„Hast Du schon einmal etwas ganz Merkwürdiges gesehen?“ Die Frage der zehnjährigen Annie an ihren Vater im Film Kid-Thing bleibt unbeantwortet. In dem Independent Film aus der Berlinale-Sektion FORUM werden Vater und Tochter nicht mehr zueinander finden. Auch in dieser Geschichte gibt es keine Mutter. Der Vater hat die Beziehung zu seiner Tochter mehr oder weniger abgebrochen. Er kommuniziert kaum mit ihr und Annies Welt wirkt durch und durch sonderbar. Vater Marvin (verstörend dargestellt von Co-Regisseur/Produzent Nathan Zellner) kümmert sich entweder nur um seine Ziegen und Hühner oder bastelt mit seinem ebenfalls zweifelhaften Kumpel an Feuerwerkskörpern. Der Ort, an dem sie leben, hat eine Tristesse, die es mit jener in Debra Graniks Winter’s Bone locker aufnehmen kann. Annie streunt ziellos durch die Gegend und zerstört alles, was ihr in die Quere kommt. Im Wald hört sie eines Tages eine unheimliche Stimme aus einem dunklen Erdloch. Eine Frau ruft verzweifelt um Hilfe und bittet Annie, einen Erwachsenen zu verständigen. Doch Annies Weltsicht ist nicht auf die Unterstützung durch Erwachsene ausgerichtet. Obwohl Annie davon überzeugt ist, sich vor nichts zu fürchten, wird sie durch die merkwürdige Stimme aus dem Dunkel verunsichert. Doch – wie sonst auch – geht Annie auf ihre eigene Weise damit um. Immer wieder geht sie zu der Stelle im Wald, spricht mit Esther, der Frau in der Grube, und bringt ihr selbst geschmierte Brote mit Erdnussbutter. Dazwischen zieht sie weiter durch die Gegend, stiehlt tiefgekühlte Teigdosen im Minimarkt, wirft Teig auf Autos oder sprengt Bananen in die Luft. In einer Sequenz, die auf den ersten Blick so etwas wie Orchim Lerega: Mit ihrem Vater Shaul (Gur Bentwich) hat es Libby (Elya Inbar) nicht immer leicht „Normalität“ in Annies Leben andeutet, sieht man sie mit gleichaltrigen Mädchen in einem Fußballverein. Doch selbst dies führt ins Groteske: Zum einen als Marvin erwähnt, es habe jemand vom Fußballverein angerufen und er wüsste gar nicht, dass Annie Fußball spiele, zum anderen als klar wird, dass Annie aus dem Club geworfen wird, weil sie in jedem Spiel wegen groben Foulspiels eine rote Karte sieht. Kid-Thing blickt ins dunkle Herz des trostlosen amerikanischen Hinterlands. Der Film der Zwillinge David und Nathan Zellner ist eine Fabel, die sich in eine abstruse, trostlose Welt einklinkt und diese dabei nahezu dokumentarisch beobachtet. Nichts scheint den zermürbenden, trägen Rhythmus des Lebens zu durchbrechen. Weder als Marvin nach einer Herzattacke zwischen seinen Ziegen liegenbleibt, noch als Esthers Hilferufe aus dem Erdloch verstummen. Am Ende springt Annie selbst in die unergründliche, schwarze Grube. Die Zellner Brothers moralisieren nicht, sie überlassen das Kind ihren Entscheidungen. Die Protagonistin kann auf eine Unterstützung durch die Erwachsenenwelt nicht bauen und agiert mit den eigenen, limitierten Wertvorstellungen. Annies Schicksal wird in keiner Weise pädagogisiert. Die Kamera begleitet sie durch bizarre Begebenheiten bis zum fatalen Sprung ins Unbekannte.
Große Belastungen, extreme Höhen
Ein schweres Los tragen die kindlichen Hauptfiguren auch in weiteren sehenswerten Beiträgen dieser Berlinale. Der Umgang des neunjährigen Oskar mit dem tragischen Tod seines Vaters steht im Mittelpunkt von Jonathan Safran Foers faszinierendem Roman Extremely Loud and Incredibly Close. Regisseur Stephen Daldry (u. a. Billy Elliott, 2000, Der Vorleser, 2008) hat hieraus unter gleichem Titel (dt. Extrem Laut und Unglaublich Nah) ein intensives und bildgewaltiges Kinodrama inszeniert. Oskar Schell erlebt unmittelbar den 11. September 2001 in New York, sein Vater stirbt bei dem Terrorangriff. In einem Schlüssel, den der Junge findet, vermutet er ein Rätsel, hinter dessen Lösung sich eine letzte Botschaft seines Vaters verbirgt. Mit allen verfügbaren Kräften macht er sich daran, diese Aufgabe zu lösen. Neben den Hollywoodgrößen Tom Hanks (Oskars Vater) und Sandra Bullock (Oskars Mutter) stechen zwei Darsteller besonders hervor: Nachwuchstalent Thomas Horn als Oskar und „Grandseigneur“ Max von Sydow als „Mieter“. Eine bewegende und tiefsinnige Geschichte, ohne Scheu vor großen Kinobildern. (Dt. Kinostart war am 16.2.2012, DVD im Sommer). Der Film lief im Berlinale-Wettbewerb außer Konkurrenz. In ihrem zweiten Langfilm L’Enfant d‘en Haut (Sister) erzählt die Schweizer Regisseurin Ursula Meier (Home, 2008) die Geschichte des zwölfjährigen Simon. Der Film spielt in einem beliebten Wintersportgebiet. Hoch oben am Berg gastieren die Reichen und Schönen inmitten der weißen Pracht, unten flankieren graue Gewerbeparks und einzelne marode Hochhäuser die Talsohle. Die Umgebung wirkt noch öder, wenn das Frühjahr schon den Schnee im Tal getilgt hat. Simon haust gemeinsam mit einer jungen Frau – seiner älteren Schwester Louise – unten in einem Sozialbaublock und sorgt durch regelmäßige Diebeszüge, für die er mit der Bahn nach oben fährt, für den Lebensunterhalt. Die geklauten Skier und Wintersportartikel verkauft er an Saisonarbeiter, Mitschüler und Durchreisende. Louise ist meist mit zwielichtigen Typen unterwegs und taucht nur ab und zu bei Simon auf. Im Laufe des Films gewinnt die Figur der Louise zunehmend an Gewicht und die Geschichte kreist immer mehr um die eigentümliche Beziehung der beiden. Léa Seydoux (Mission Impossible 4, 2011, Leb wohl, meine Königin, 2012), deren Louise teils skizzenhaft und unberechenbar bleibt, und Kacey Mottet Klein (Home, 2008, Gainsbourg, 2010) als Simon, sind bestechende Darsteller. Ihre gegenseitige Abhängigkeit erhält im Verlauf der Geschichte eine neue Dimension und die Zuschauer müssen für die Situation, in der sich Simon und Louise befinden, neue Koordinaten festlegen. Ursula Meiers sensibles Drama zeigt einen Jungen in der „Versorgerrolle“, der das Kindsein nicht wirklich gelernt hat, die Fürsorge einer Mutter aber schmerzlich vermisst. Alles hat in dieser Geschichte seinen Preis – selbst die Liebe – und sei es nur die zwischen einer Mutter und ihrem Kind. Meier findet beunruhigende Momente, um das zu verdeutlichen. L’Enfant d’en Haut erhielt als „Sonderpreis der Jury“ einen Silbernen Bären. „Papa?“ Das erste Wort im indonesischen Wettbewerbsbeitrag Kebun Binatang (Postcards from the Zoo) wird ein halbes Dutzend Mal wiederholt. Ein kleines Mädchen läuft allein durch den Zoo von Jakarta und ruft nach seinem Vater. Es bleibt offen, ob es ausgesetzt oder zunächst nur verloren wurde, jedenfalls bleibt Lana in diesem Zoo bis sie eine junge Frau geworden ist. Sie schläft auf dem Gelände und wächst mit den Tieren auf. Zur einzigen Giraffe entwickelt sie eine besondere Bindung. Die Tierpfleger und die Tiere sind Lanas Familie. Erst ein märchenhafter Cowboy mit Zauberkräften, der plötzlich wie eine Sehnsuchtsfigur auf der Bildfläche erscheint, lockt Lana in ein Leben außerhalb des begrenzten Terrains und holt sie aus dieser wundersamen Welt. Der Zoo als bislang einziger magischer Ort in den Augen des Mädchens bekommt Konkurrenz.
Riccarda Possin: „Ufos mögen Planeten aber keine Laserstrahlen“
Crazy Machines Elements, dtp entertainment AG, PCCD-ROM, 19,99 €Ob Elektrizitätslehre, Magnetismus oder die Gesetze der Gravitation – kommt die Sprache auf Physik oder physikalische Wechselwirkungen, bricht kaum eine Schülerin oder ein Schüler in Begeisterungsstürme aus. Da können auch halbherzig durchgeführte Versuche im Physikunterricht oft nichts an der allgemeinen Unlust ändern. Und dennoch ist mit Crazy Machines bereits seit 2003 eine Computerspielreihe erfolgreich auf dem Markt, die sich genau diesem Thema verschrieben hat. Ziel des Ganzen: Grundlegende Aspekte der Physik mittels spannender Kettenreaktionen erfahrbar machen. Genug Grund, Crazy Machines Elements, das neuste Spiel der Reihe, einmal genauer unter die Lupe zu nehmen. Was passiert, wenn...?!
Das ist die große Frage, die die Spielerinnen und Spieler des Computerspiels Crazy Machines Elements antreibt. Doch um die „faszinierend verrückten Kettenreaktionen“ des Professors zu vervollständigen, ist dabei allerhand Gehirnakrobatik von Nöten. Doch zunächst muss das Spiel auf einem Computer installiert werden. Die Installation selbst ist dabei ein Kinderspiel – allerdings nicht auf jedem PC. So traten beim Test des Spiels zunächst Probleme auf, die nur durch einen Wechsel des Computers gelöst werden konnten. Auch die sehr ansprechend gestaltete Grafik lief trotz passender Grafikkarte nur auf einem von drei PCs ohne störende Fehler und zeitversetzte Reaktionen. Für ein Lernspiel erscheinen die Anforderungen an die Hardware daher relativ hoch.
Knifflige Kettenreaktionen
Ist die Installation gelungen, kann das Tüfteln endlich beginnen: Um Punkte zu sammeln und somit weitere Spielmodi freizuschalten, stehen der Spielerin oder dem Spieler zunächst die ersten 20 Rätsel der Kategorie „Harte Grundlagen“ zur Verfügung. Diese müssen nacheinander gelöst werden, denn nur, wenn ein Rätsel geknackt wurde, wird das nächste Rätsel frei geschaltet und kann in Angriff genommen werden. Nach jedem Rätsel hat der Professor noch einen schlauen Spruch auf Lager. Beim Öffnen eines jeden Rätsels wird dem Spielenden zunächst das Ziel der Kettenreaktion in Form einer Sprechblase aufgezeigt. So geht es etwa darum eine Reihe Kegel umzustoßen, eine Lampe zu erleuchten oder ein Fahrzeug zum Rollen zu bringen. Diese Aufgabe ist nun mittels der zur Verfügung stehenden Hilfsmittel zu erfüllen. Dabei muss etwa mit Hilfe einer Kerze ein Boiler erhitzt werden, der wiederum ein Laufband in Bewegung setzt, das schließlich einen Gegenstand ins Ziel bewegt. Um ein Rätsel zu knacken, sind meist verschiedene Lösungswege denkbar, wobei je nach ausgelöster Kettenreaktion unterschiedlich viele Punkte in Form von goldenen Muttern eingesammelt werden können. Von Rätsel zu Rätsel werden die auszulösenden Kettenreaktionen immer komplizierter, wobei nach und nach immer mehr Bauteile vorgestellt werden und für die Lösung der Aufgaben verwendet werden können. Die einzelnen Bauteile können dabei auch beliebig gedreht werden.
Aber Vorsicht: Nicht jedes Teil kann auf jedem Hintergrund angebracht werden. Während im ersten Rätsel lediglich durch die richtige Platzierung einzelner Holzbretter ein Basketball in seinen Korb geleitet werden muss, kommen schließlich Sprungfedern, Zahnräder oder Wasserboiler hinzu, wobei in jedem Rätsel nur eine begrenzte Anzahl an Bauteilen zur Verfügung steht. So werden die Spielerinnen und Spieler langsam an neue Gegenstände herangeführt, deren Funktionen in Sprechblasen erklärt werden, sobald man den Mauszeiger über dem jeweiligen Gegenstand platziert. Hat man alle vorhandenen Bauteile für seine Kettenreaktion in Stellung gebracht, kann man die Reaktion mit einem einfachen Klick starten und sehen, was passiert. Es hat nicht funktioniert? Kein Problem, dann probiert man es einfach erneut. Sind die ersten 20 Rätsel erfolgreich gelöst, können nacheinander auch die Rätsel der acht weiteren Kategorien in Angriff genommen werden, bis schließlich alle 100 Rätsel erfolgreich geknackt sind. Mehr und mehr zeigt sich hier auch die Besonderheit dieses neuen Spiels der Reihe: Um die Kettenreaktionen zu entschlüsseln, sind die Elemente Feuer, Wasser und Luft in der Tüftelei zu berücksichtigen. Dazu stehen der Spielerin oder dem Spieler beispielsweise eine Wolkenmaschine, ein Windrad oder ein Flammenwerfer zur Verfügung.
Neue Herausforderungen
Neben dem Rätselmodus, stellt Crazy Machines Elements die Spielenden im Modus „Wettbewerbe“ vor neue Herausforderungen – diese Funktion steht allerdings erst zur Verfügung, wenn 50 Rätsel erfolgreich gelöst werden konnten. Hier können die Spielerinnen und Spieler für die Lösung der Rätsel alle bereits frei gespielten Hilfsmittel verwenden, wobei jedes der Bauteile mit einer bestimmten Punktzahl versehen ist. Ziel ist es, die einzelnen Level möglichst schnell und mit möglichst wenig Punkten zu bestehen.
Eigene Kreativität ist gefragt
Die dritte Spielmöglichkeit fordert nun die eigene Kreativität der Tüftlerinnen und Tüftler. Während in den zu lösenden Rätseln unvollständige Kettenreaktionsmaschinen lediglich um die richtigen Teile ergänzt werden mussten, können die Spielenden hier selbst Maschinen für eigene Rätsel entwickeln. Hierbei können nicht nur die Maschinen konstruiert, sondern auch ein passender Hintergrund, sowie die Tageszeit und das Wetter in der Simulation selbst festgelegt werden. Der Kreativität sind also keine Grenzen gesetzt.
Das Fazit
Ist man ein Freund von Rätselspielen, so übt dieses Spiel sofort eine Faszination aus und man kann es kaum erwarten, sich an den ersten Rätseln zu versuchen. Die Grafik ist ansprechend gestaltet, die Hintergrundmusik kann allerdings mit der Zeit etwas anstrengend werden. Die Handhabung des Spiels ist intuitiv und einfach, doch stellt sich schnell der erste Unmut ein, wenn eine präzise Positionierung der Teile mit der Maus auch nach mehrmaligen Versuchen nicht gelingen will. Umso ärgerlicher wird dies, wenn Kettenreaktionen nicht gelingen, weil eines der Teile einen Millimeter zu weit nach links oder rechts gesetzt wurde. Zudem ist man bei der Lösung der Rätsel ganz auf sich allein gestellt. Zwar bietet das Spiel einen Hilfemodus an, doch werden hier nicht etwa Tipps für die Lösung der einzelnen Rätsel gegeben, sondern es sind lediglich Spielanleitungen und Erklärungen zur Handhabung des Spiels zu finden. Kommt man bei einem Rätsel nicht weiter, ist dies umso bitterer, da die nächsten Rätsel so nicht freigeschaltet werden können.
Es sind also eine sehr hohe Frustrationstoleranz sowie große Begeisterung für Tüfteleien und die Bereitschaft sich sehr lange mit einzelnen Rätseln auseinanderzusetzen gefordert. Dies wird durch den Menüpunkt „Erfolge“ begünstigt, in dem die Spielenden jederzeit ihre Fortschritte überprüfen können. Allerdings haben sich die eingefleischten Crazy Machines Fans mittlerweile schon in Foren organisiert, in denen auch Anleitungen zur Lösung der besonders kniffligen Rätsel gefunden werden können. Physik spielend lernen – diese Vorstellung ist sicherlich ein Traum vieler Eltern, deren Kinder physikalischen Zusammenhängen nicht viel abgewinnen können. Doch kann dieses Spiel zwar wahre Tüftler begeistern, Physikmuffel wird es aber gerade aufgrund der fehlenden Hilfefunktionen und des teilweise sehr hohen Schwierigkeitsgrads nicht hinter dem Ofen hervorlocken können.
publikationen
Politisches Handeln online – aktuelle Veröffentlichungen
Jarren, Otfried/Donges, Patrick (2011). Politische Kommunikation in der Mediengesellschaft. Eine Einführung. 3. grundlegend überarbeitete und aktualisierte Auflage. Wiesbaden: VS Verlag, 283 Seiten, 24,95 €
Schulz, Winfried (2011). Politische Kommunikation. Theoretische Ansätze und Ergebnisse empirischer Forschung. 3., überarbeitete Auflage. Wiesbaden: VS Verlag, 385 Seiten, 29,95 €
Moser,Heinz/Mayrberger, Kerstin (2011) (Hrsg). MedienPädagogik Zeitschrift für Theorie und Praxis der Medienbildung. Themenheft Nr. 21: Partizipationschancen im Kulturraum Internet nutzen und gestalten – Das Beispiel Web 2.0.www.medienpaed.com/zs/content/blogcategory/48/89
Begemann, Maik-Carsten/Bröring, Manfred/Düx, Wiebken/Sass, Erich (2011). Jugendliche Aktivitäten im Wandel. Gesellschaftliche Beteiligung und Engagement in Zeiten des Web 2.0. Endbericht. Online verfügbar unter www.forschungsverbund.tu-dortmund.de/fileadmin/Files/Engement/Abschlussbericht_Engagement_2_0.pdf.
Spaiser, Viktoria (2011). Das politische Potenzial des Internets. In: Heitmeyer, Wilhelm/Mansel, Jürgen/Olk, Thomas (Hrsg.). Individualisierung von Jugend. Zwischen kreativer Innovation, Gerechtigkeitssuche und gesellschaftlichen Reaktionen. Weinheim: Juventa, S. 147-164, 290 Seiten, 24,95 €
Emmer, Martin/Vowe, Gerhard/Wolling, Jens/Seifert, Markus (2011). Bürger online. Die Entwicklung der politischen Online-Kommunikation in Deutschland. Unter Mitarbeit von Markus Seifert. Konstanz: UVK Verlag, 346 Seiten, 39,- €
Wolling, Jens/Seifert, Markus/Emmer, Martin (Hrsg.) (2010). Politik 2.0? Die Wirkung computervermittelter Kommunikation auf den politischen Prozess. Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft/Edition Reinhard Fischer, Reihe Internet Research, Band 38, 263 Seiten, 25,- €
Baringhorst, Sigrid/Kneip, Veronika/März, Annegret/Niesyto, Johanna (2010). Unternehmenskritische Kampagnen. Politischer Protest im Zeichen digitaler Kommunikation. Wiesbaden: VS Verlag, 441 Seiten, 39,95 €
Zurawski, Nils/Schmidt, Jan-Hinrik/Stegbauer, Christian (2011) (Hrsg.). Phänomen „Facebook“. Sonderausgabe von kommunikation@gesellschaft
Die Diskussion über die Relevanz des Internets für politisches Handeln erhält durch die Vielseitigkeit von Web 2.0-Anwendungen seit geraumer Zeit neue Impulse. Dabei handelt es sich um ein überaus facettenreiches Thema: Es erstreckt sich von theorieorientierten Fragen – etwa zum Strukturwandel der Öffentlichkeit, zur Mediatisierung von Politik und politischem Protest, zu den Artikulationsmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger im politischen Diskurs – hinüber zu konkreten Fragen der Empirie, zum Beispiel inwieweit die spezifischen politischen Potenziale der Online-Medien überhaupt genutzt werden und inwieweit die Nutzenden deren Bedingungen und Implikationen in ihren Konsequenzen erfassen. Dies löst eine vergleichsweise rege Forschungstätigkeit in denPolitik- und Kommunikationswissenschaften aus, die unter anderem eine Überarbeitung bewährter Einführungs- und Standardwerke wie Jarren/Donges 2011 und Schulz 2011 zur Folge hat. In der Medienpädagogik schlägt sich die durchaus verstärkte Thematisierung mediatisierter politischer Partizipation noch in relativ geringem Maße in Forschungsarbeiten nieder. Hingewiesen wird hier auf aktuelle Arbeiten, die teils direkt medienpädagogische Implikationen diskutieren, teilseinschlägige Grundlagen liefern. Insgesamt dominieren standardisierte Befragungen, Medien und Kampagnenanalysen das Forschungsfeld.Als erstes ist zunächst auf das Themenheft Nr. 21 der „Medienpädagogik“, herausgegeben von Kerstin Mayrberger und Heinz Moser, hinzuweisen, das mit „Partizipationschancen im Kulturraum Internet nutzen und gestalten – Das Beispiel Web 2.0“ betitelt ist. Unter dem Fokus politische Partizipation besonders hervorzuheben sind die Beiträge von Heinz Moser, der die Teilnahme an politischen Facebook-Gruppen unter die Lupe nimmt und theoretisch einbettet, sowie von Heike Schaumburg, die die Internet-Angebote von politischen Stiftungen und Bundes- und Landeszentralen für Politische Bildung analysierte sowie Nutzende dervirtuellen Bildungsangebote einer politischer Stiftung danach befragte, wie sie Web-2.0-Angebote in der Politischen Bildungsarbeit beurteilen.
Nicht nur der politischen Partizipation im engeren Sinne waren Maik-Carsten Begemann, Manfred Bröring, Wiebken Düx und Erich Sass (2011) auf der Spur, als sie die Online- und Offline-Formen jugendlichen Engagements untersuchten. Hierfür griffen sie auf mehrere große quantitative Datenquellen und eine Primärerhebung (Zusatzstudie zum DJI-Survey Aufwachsen in Deutschland: Alltagswelten, kurz AID:A) zu. Sie zeigen, dass Online-Engagement das traditionelle zivilgesellschaftliche und politische Engagement nicht hindert, sondern stützt, und dass sich bei den befragten Jugendlichen neue Formen internetgestützten Engagements zeigen. Allerdings nutzen weniger als zehn Prozent der befragten Jugendlichen das Netz für politische Aktivitäten im engeren Sinne (z. B. Teilnahme an einer Online-Demonstration, Unterschreiben einer Online-Petition).Zu deutlich höheren Beteiligungsraten Jugendlicher kommt allerdings Viktoria Spaiser (2011). Insgesamt 66 Prozent der von ihr befragten Jugendlichen aller Schulformen haben zumindest gelegentlich politische Aktivitäten entwickelt und 43 Prozent haben das Internet schon einmal genutzt, um diese zu koordinieren. Spaiser lotet anhand einer standardisierten Befragung aus, inwieweit das Internet Bedeutung für die Auseinandersetzung mit politischen Themen hat. Dies diskutiert sie unter dem Blickwinkel gesellschaftlicher Individualisierungsprozesse, denen das Internet entspricht: Es ermöglicht sowohl stark individualisierte Partizipation als auch neue Formen der Kollektivbildung, die dem Flexibilisierungsdruck eher standzuhalten vermögen als traditionelle politische Kollektive.
Martin Emmer, Gerhard Vowe und Jens Wolling (2011) legen nach einer Langzeitstudie, die sich über gut zehn Jahre erstreckte, mit Bürger online die Ergebnisse einer anspruchsvollen Paneluntersuchung vor. Sie gingen der Frage nach, wie Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeiten des Internets für politische Kommunikation nutzen. Mit standardisierten Methoden erfasste die Untersuchung die genutzten Informationsquellen, mediale und nicht-mediale Kommunikation über Politik, Online- und Offline-Formen der politischen Beteiligung. Ein solch umfangreiches Programm und seine Ergebnisse nachvollziehbar und in der gebotenen Detailliertheit darzustellen ohne auszuufern, ist eine echte Herausforderung, die durchaus als gelungen bezeichnet werden kann. Die Ergebnisse sind klar nach Fragestellungen gliedert und enthalten viele Abbildungen und Tabellen, die die verschiedenen Aspekte übersichtlich bündeln. Da im Verlauf des Projekts bereits Publikationen entstanden sind, kann ergänzend auch an anderer Stelle nachgelesen werden, wie zum Beispiel im Band Politik 2.0.Dieser von Jens Wolling, Markus Seifert und Martin Emmer (2010) herausgegebene Sammelband Politik 2.0 basiert auf der 12. Jahrestagung der DGPuK-Fachgruppe Computervermittelte Kommunikation. In drei Kapiteln spannen die Beiträge einen Bogen von bereits als klassisch zu bezeichnenden Onlineangeboten wie Politiker-, Parteien- und Regierungshomepages (Kapitel 1) bis hin zur politischen Kommunikation im Web 2.0, wobei hier theoretische und empirische Beiträge zu Blogs sowie Empirisches zu politischen Auseinandersetzungen in Wikipedia und zur Wahlkampfkommunikation im Web 2.0 zu finden sind (Kapitel 3).
Das zweite Kapitel fasst Beiträge zur politischen Netznutzung durch „die Bürgerschaft“ zusammen. Neben Ergebnissen der bereits erwähnten Paneluntersuchung, an der auch Angelika Füting mit der Erarbeitung von Typisierungen beteiligt war, finden sich weitere empirische Arbeiten zur politischen Kommunikation in der Bürgerrolle. Sven Engesser analysiert zum Beispiel in einer explorativen Studie die Barrieren, auf die Partizipationswillige stoßen, wenn sie sich mit Kommentaren oder Beiträgen in verschiedene Online-Angebote (von bild.de bis indymedia) einbringen wollen und Tobias Escher untersucht anhand der britischen Website Writetothem.com, welche Bürgerinnen und Bürger online zu ihren Abgeordneten Kontakt aufnehmen. Wie politischer Protest sich heute Geltung verschafft, zeigen Sigrid Baringhorst, Veronika Kneip, Annegret März und Johanna Niesyto (2010), die eine stärker politikwissenschaftliche Perspektive anlegen. Sie untersuchen, inwiefern das Internet (neben ökonomischen und politischen Strukturen) eine mediale Gelegenheitsstruktur für unternehmenskritische Kampagnen bzw. konsumeristischen Protest darstellt. Hierzu analysieren sie detailliert zehn beispielhafte Kampagnen auf die möglichen Online- und Offline-Partizipationsformen sowie soziale Kampagnenpraxen und Techniken/Tools der Mediennutzung, unter anderem,um deren identitäts- und gemeinschaftsstiftendes Potenzial herauszuarbeiten.
Eine Sonderausgabe von kommunikation@gesellschaft, herausgegeben von Nils Zurawski, Jan-Hinrik Schmidt und Christian Stegbauer, widmetsich ganz dem „Phänomen Facebook“ und anderen Sozialen Netzwerkdiensten. Einschlägig für das Thema der politischen Kommunikation sind der Beitrag von Lotte Nordhus, die Facebook- Diskurse nachzeichnet, die im sogenannten Schweizer Minarett-Streit entstanden sind, sowie der Beitrag von Jasmin Siri, Miriam Melchner und Anna Wolff, die die Nutzung von Facebook durch Parteien und Politikerinnen und Politiker untersucht haben. Neben einer Befragung von Abgeordneten wurden auch deren Facebook-Präsenzen selbst untersucht, um die Aneignung der Netzwerkplattform im Alltag professioneller politischer Kommunikation zu erfassen.
Wissenswertes rund ums Mitmachnetz
Ebersbach, Anja/Glaser, Markus/Heigl, Richard (2011). Social Web. 2., völlig überarbeitete Auflage. Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft mbH. 320 S., 19,90 €.
Neuberger, Christoph/Gehrau, Volker (2011). StudiVZ. Diffusion, Nutzung und Wirkung eines sozialen Netzwerks im Internet. Wiesbaden: VS Verlag. 218 S., 29,95 €.
Schweiger, Wolfgang/Beck, Klaus (Hrsg.) (2010). Handbuch Online-Kommunikation. Wiesbaden: VS Verlag. 549 S., 39, 95 €.
Das Social Web – auch Web 2.0 oder Mitmachnetz genannt – ist in aller Munde und wird rege über alle Altersgruppen hinweg genutzt. Dabei bleibt es selbst stets dynamisch: Eine Anwendung, die heute noch topaktuell ist, kann schon morgen durch noch attraktivere Optionen abgelöst werden. Trotz dieser raschen Wandlungsfähigkeit wird fleißig zur Thematik publiziert. In Social Web tragen die Informationswissenschaftlerin Anja Ebersbach und ihr Kollege Markus Glaser sowie der Historiker Richard Heigl für ihre Leserinnen und Leser bereits in der zweiten Auflage allerlei Wissenswertes rund um das Mitmachnetz zusammen. Angefangen bei geschichtlichen Informationen, die sicher auch für ein internetaffines Lesepublikum noch neues Wissen bereit halten, sowie einer Auseinandersetzung mit der begrifflichen Abgrenzungsproblematik geht es mit der Thematisierung der Social-Web-Praxis weiter: Hier werden bekannte Anwendungen sowie deren Einsatzgebiete vom Wiki bis zum Social Network vorgestellt.
Im folgenden Theorie-Kapitel geht es wider Erwarten weiterhin recht praktisch zu: Für jedermann verständlich stellen die Autoren und die Autorin anhand von Praxisbeispielen den aktuellen Forschungsstand vor. Darunter fallen Gruppenprozesse wie das Phänomen der computervermittelten Kommunikation oder der gesellschaftlichen Bedeutung des Social Web. Das Werk endet mit einem knappen Ausblick, der sich dem Zusammenhang von Web 2.0 und der sich wandelnden Gesellschaft widmet. Der Verfasserin und den Verfassern ist es geglückt, ein recht praktisch orientiertes Nachschlagwerk auszuarbeiten, das trotz rapider Veränderungsprozesse überdauernde Prinzipien des Social Web auf 320 Seiteneinleuchtend behandelt. Wer sich dadurch inspiriert vertieft mit der Kommunikation via Internet auseinandersetzen möchte, dem sei der Band von Wolfgang Schweiger und Klaus Beck ans Herz gelegt: Hier finden sich auf stolzen 549 Seiten 21 Aufsätze von bekannten Fachautoren und - autorinnen zu den Strukturen der Online-Kommunikation, zu ihren Funktionen und Feldern sowie zu Nutzung und Wirkung von Online-Medien. Zwei abschließende Beiträge gewähren einen Einblick in Methoden und Datenquellen der Forschung.
Doch wie einleitend bereits erwähnt und auch von den Herausgebern thematisiert, entwickelt sich auch die Kommunikation online flink weiter, so dass die inhaltliche Aktualität des Werks mitunter bald an ihre Grenzen stoßen wird. Positiv fällt jedoch auf, dass der Band besonders lesefreundlich gestaltet ist: Den Beiträgen vorangestellte Abstracts inklusive Schlagworten sowie Literaturtipps nach jedem Beitrag helfen sowohl bei der inhaltlichen Orientierung als auch bei der Suche nach weiterführenden Informationen. Zu guter Letzt darf beim Thema Social Web eine Beschäftigung mit Sozialen Netzwerkseiten nicht fehlen: Diese liefern Christoph Neuberger und Volker Gehrau mit StudiVZ. Neben der Darstellung des aktuellen Forschungsstandes zu Online-Netzwerken im Allgemeinen gehen sie im Detail auf das Studierendennetzwerk StudiVZ ein. Obwohl diesem in Sachen Beliebtheit bereits der Rang von Facebook und Co. abgelaufen wurde, zeichnen die Autoren dennoch ein umfassendes Bild davon, auf welchem Weg sich das Netzwerk verbreitet hat, wie sich die Mitglieder bezüglich Selbstdarstellung, Beziehungsarbeit sowie Privatsphäre online verhalten und in welchem Verhältnis die Kommunikation online und offline steht. Einen Rahmen erhalten die empirischen Ergebnisse durch grundlegende Überlegungen zu Wandlungsprozessen in der öffentlichen Kommunikation.
Auf diese Art gelingt es dem Band, eine fundierte Analyse inklusive zahlreicher interessanter Details des bislang eher populärwissenschaftlich diskutierten Online-Angebots zu liefern.Die Lektüre der drei aufgeführten Werke lohnt trotz Schnelllebigkeit ihres Gegenstandes allemal: Es lassen sich unzählige überdauernde Prinzipien des Social Web sowie seiner Anwendungen entdecken – bereits Überholtes wird in naher Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit als theoretisches Grundlagenwissen dienen.
Lauffer, Jürgen/Röllecke, Renate (Hrsg.) (2011). Gender und Medien. Schwerpunkt: Medienarbeit mit Jungen. Dieter Baacke Preis Handbuch 6. München: kopaed. 231 Seiten, 16,80 €.
Seit Medien einen festen Platz in unserem Alltagsleben eingenommen haben und damit neben Familien, Bildungseinrichtungen und sozialem Umfeld als Sozialisationsinstanz gelten, werden mögliche Einflüsse seitens der Medien in einer Vielzahl an Wirkungsanalysen untersucht. Die Wirkungsforschung wurde lange von der Frage dominiert, welchen Einfluss Gewaltdarstellungen in Medien auf Rezipientinnen und Rezipienten und vor allem auf Kinder und Jugendliche haben. Neben dieses große Thema zur Medienwirkung hat sich seit geraumer Zeit ein weiteres gesellt: ‚Gender und Medien‘ – Wie nutzen Jungen und Mädchen Medien heute? Gibt es Unterschiede in der Mediennutzung? Wie wirkt sich die Darstellung von Rollenstereotypen auf die Geschlechtersozialisation Heranwachsender aus? Und zu guter Letzt: Welche Aufgaben ergeben sich für die aktive Medienarbeit mit beiderlei Geschlechtern? Der sechste Band des Handbuchs zum Dieter Baacke Preis mit dem Titel Gender und Medien ist diesem breiten Thema gewidmet und betrachtet es aus verschiedenen Perspektiven und unter Berücksichtigung unterschiedlicher Schwerpunkte. Aktuelle Forschungsergebnisse zeigen, dass sich die Mediennutzung von Jungen und Mädchen weniger stark unterscheidet als oft gemeinhin angenommen, es aber dennoch Unterschiede insbesondere in Bezug auf bestimmte Medien, präferierte Inhalte und Helden gibt.
Entsprechend müssen diese in der Medienarbeit berücksichtigt werden, ohne in das Fahrwasser der Stereotypisierung zu gelangen. Da die Arbeit speziell mit Jungen in medienpädagogischen Angeboten oft zu kurz kommt, liegt in diesem Band der Fokus auf der Medienarbeit mit dieser Zielgruppe. Das Herausgeberwerk ist in zwei übergeordnete Teile untergliedert. Der erste Teil nähert sich dem Thema auf theoretischer Ebene. Beleuchtet wird die Genderperspektive im Allgemeinen und im Besonderen in Bezug auf Medieninhalte. Welchen Einfluss besitzen Medien als Sozialisationsinstanz auf die Entwicklung von Körperlichkeit und Sexualität? Welchen Herausforderungen sehen sich Jungen und junge Männer heute in einer modernen Gesellschaft in der Konstruktion ihrer Geschlechtsidentität gegenüber? Und welche Anstöße bieten ihnen Medienangebote? An diese Fragestellungen anknüpfend werden medienpädagogische Projekte mit Heranwachsenden, vor allem mit Jungen, vorgestellt. Um dem vielschichtigen Thema gerecht zu werden, liegen den Beiträgen unterschiedliche Schwerpunkte und Zielsetzungen zugrunde. So geht beispielsweise Reinhard Winter der Frage nach, welche Helden für Jungen besonders interessant sind und warum. Die Computerspielkultur als männliche Kultur und Praxisprojekte für männliche Videospieler stellen Martin Geisler und Gerrit Neundorf vor.
Dem Medieneinsatz in der sozialpädagogischen Gruppenarbeit mit Förderschülern widmet sich die Autorin Dagmar Beinzger. Im zweiten Teil der Publikation werden mit dem Dieter Baacke Preis prämierte Projekte vorgestellt. Einer Kurzbeschreibung der einzelnen prämierten Projekte folgt jeweils ein ausführliches Interview mit Projektmitarbeiterinnen und - mitarbeitern. Schilderungen zur Projektdurchführung und Erfahrungen in der Projektphase bieten praktische Tipps und Anregungen für die eigene Medienarbeit. Da in diesem Band die Preisträger der Jahre 2009 und 2010 gemeinsam vorgestellt werden, findet sich hier eine ganze Sammlung an hochwertigen Medienprojekten. Die Spannbreite der vorgestellten Konzepte reicht vom Film einer Kindergartengruppe, über Podcasts zum Leben Jugendlicher im Strafvollzug bis zu Audioguides für Spiel- und Lieblingsorte von Jung und Alt. Als Special werden zwischen dem ersten und zweiten Teil des Buches neben dem inhaltlichen Schwerpunkt Themen mit aktueller Relevanz aufgegriffen. So setzen sich die Autorinnen und Autoren mit Jugendkulturen von heute, erfolgreichen Konzepten der Jugendmedienarbeit und dem Phänomen ‚Cyberbullying‘ auseinander. Informationen rund um den Dieter Baacke Preis finden Leserinnen und Leser im dritten Teil des Handbuchs.
Benannt nach Dieter Baacke, der den Medienkompetenzbegriff in Wissenschaft, Praxis und Politik nachhaltig prägte, wird der Preis von der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur (GMK) und dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend seit 2001 an besondere Medienprojekte außerschulischer Träger und herausragende Kooperationsprojekte schulischer und außerschulischer Projekte verliehen. Insgesamt bietet das Handbuch sowohl theoretisch als auch praktisch Tätigen einen guten Überblick zu dem breiten und vielschichtigen Thema. Besonders die Gestaltung der Projektbeschreibungen eignet sich für Pädagoginnen und Pädagogen zur Orientierung für eigene medienpädagogische Vorhaben. Der Fokus auf die Medienarbeit mit Jungen und jungen Männern gibt interessante Einblicke in die mediale Lebenswelt dieser Zielgruppe.
Burmester, Silke (2012). Beruhigt euch! Köln: Kiepenheuer & Witsch. 32 S., 3,99 €
Das Muster ist immer wieder das gleiche: Kaum treibt ein neuer Erreger sein Unwesen, wird von einigen eifrigen Medien der Untergang beschworen. Sollten weder Ehec, H1N1 noch ein anderes Gruselvirus drohen, lässt sich mit der Finanzkrise zumindest der Niedergang des Abendlandes oder mit dem Klimawandel gleich das Ende der Zivilisation einläuten. In ihrem viel zu schmalen Büchlein Beruhigt euch! setzt sich Silke Burmester klug und amüsant mit der ständigen Überhitzung der Medienlandschaft auseinander. Früher war es nur der Boulevard, der die Hysterie schürte; heute sorgen Nachrichtensender und Internet rund um die Uhr dafür, dass man keine ruhige Minute mehr hat.
Die aufmunternde Lektüre der Autorin (Das geheime Tagebuch der Carla Bruni) soll gewissermaßen die Abwehrkräfte der Leserinnen und Leser stärken. Mit liebevoller ironischer Distanz, aber nie boshaft beschreibt Burmester, wie irrwitzig diese Sensationsmechanismen im Grunde sind, gegen die auch die ARD mit ihren in der Regel völlig überflüssigen ‚Brennpunkten‘ nach der Tagesschau nicht gefeit ist.
Einmal in Fahrt, ergänzt die Hamburger Journalistin ihre Erkenntnisse um die bissige Kritik an einer Gesellschaft, in der man zum Scheinwesen mutiert, wenn man kein Facebook-Profil hat, und in der Eltern schon ihre Vorschulkinder auf eine Karriere im Topmanagement vorbereiten.
Hajok, Daniel/Selg, Olaf/Hackenberg, Achim (Hrsg.) (2012). Auf Augenhöhe? Rezeption von Castingshows und Coachingsendungen. Konstanz: UVK, Konstanz. 272 S., 29 €
Seit zehn Jahren gibt es Deutschland sucht den Superstar. Ebenso lange fragen sich Jugendschützer, welche Schäden Jugendliche durch DSDS davontragen; und zwar nicht als Teilnehmer, sondern als Zuschauer. Tatsächlich ist dieser Diskurs im Grunde bereits zwanzig Jahre alt: Schon bei der Ausstrahlung von Notruf (RTL, 1992), dem ersten deutschen Format des damals noch neuen Genres ‚Reality- TV‘, gab es heftige Debatten, die sich durch die Einführung der Nachmittags-Talkshows noch verstärkte. Die Aufsatzsammlung bietet eine nützliche Einführung in die gesamte Thematik. Die Beiträge im ersten Teil referieren die Geschichte des Genres, analysieren ihre Konzeptions- und Wirkungsweise und reflektieren die Diskussion über die Castingshows sowie ihre Bedeutung für den Jugendmedienschutz. Im weitaus umfangreicheren zweiten Teil werden die Ergebnisse einer Studie zum Thema beschrieben. Die Beiträge gehen der Frage nach, welche Motive und Erwartungen diese Formate gerade aus Sicht der jugendlichen Zielgruppe so interessant und erfolgreich machen, wie sie wahrgenommen und verarbeitet werden und welche Bedeutung sie in ihrem Leben haben.
Zu den interessantesten Erkenntnissen gehört das bislang kaum untersuchte Phänomen der gezielten Provokationen, selbst wenn die Diskrepanz zwischen Jugendlichen und Erwachsenen nicht weiter überrascht: Junge Zuschauerinnen und Zuschauer schätzen die Preisgabe privater Details als Merkmal von Authentizität, bei älteren überwiegt der Schutzgedanke.
Heitmeyer, Wilhelm/Mansel, Jürgen/ Olk, Thomas (Hrsg.) (2011). Individualisierung von Jugend. Zwischen kreativer Innovation, Gerechtigkeitssuche und gesellschaftlichen Reaktionen. Weinheim, Basel: Beltz Juventa. 290 S., 24,95 €.
Nachdem im Jahr 1990 der Band Individualisierung von Jugend. Gesellschaftliche Prozesse, subjektive Verarbeitungsformen, jugendpolitische Konsequenzen eine Bestandsaufnahme des damaligen Individualisierungsprozesses lieferte sowie weitere mögliche Entwicklungen prognostizierte, soll das aktuelle Herausgeberwerk der Reihe Jugendforschung Individualisierung von Jugend. Zwischen kreativer Innovation, Gerechtigkeitssuche und gesellschaftlichen Reaktionen klären, inwieweit die Prognose zutreffend war und was heutzutage „Individualisierung von Jugend“ bedeutet. Schon damals wurden sowohl die Sonnen-, als auch die Schattenseiten dieses fortlaufenden Prozesses benannt und somit die Ambivalenzen aufgezeigt, die zum einen durch eine Zunahme der Handlungsmöglichkeiten für junge Menschen und zum anderen durch einen Zuwachs von Risiken durch gesteigerte Anforderungen, wie beispielsweise die Bewältigung stets komplexer werdender Lebensaufgaben, entstehen. Der aktuelle Band beleuchtet Individualisierungsprozesse in Lebensbereichen und Handlungsfeldern, die für Jugendliche heute bedeutsam sind und betrachtet zwei Neujustierungen des Individualisierungskonzepts: die Verdichtung der leistungsbezogenen Ansprüche und die Vernichtung jugendgerechter Experimentierräume beispielsweise durch die Verkürzung der Schulzeit. Das Werk beinhaltet Beiträge zu den Chancen und Risiken im Bildungsbereich sowie im Arbeitsumfeld. Es werden zudem neue Möglichkeiten der Identitätsentwicklung in Freizeit, Kultur und Medien behandelt und auf das Thema „Gewalt als Reaktion auf Hoffnungslosigkeit im Dschungel der Optionen“ eingegangen.
Des Weiteren wird ein Blick in die Zukunft der Jugendforschung geworfen – aus historischer, sozialstruktureller und handlungstheoretischer Sicht. Durch eine breit gefächerte Herangehensweise gelingt den Autorinnen und Autoren, die aus unterschiedlichen Fachbereichen, wie der Soziologie oder der interdisziplinären Konflikt- und Gewaltforschung, hauptsächlich jedoch aus der Erziehungswissenschaft stammen, eine theoretisch und empirisch fundierte Situationsanalyse der aktuellen Lage und der Veränderungen der letzten Zeit. Der Sammelband ist daher für Interessierte aus Sozial- und Geisteswissenschaften, sowie für alle, die mit jungen Menschen zu tun haben, lesenswert.
Lünenborg, Margreth/Martens, Dirk/Köhler, Tobias/Töpper, Claudia (2011). Skandalisierung im Fernsehen. Strategien, Erscheinungsformen und Rezeption von Reality TV Formaten. Berlin: VISTAS. 263 S., 18 €
Im deutschen Fernsehen findet sich eine Vielzahl von Reality TV-Formaten. Durch deren Aufkommen hat sich das Ausmaß von Provokation, Skandalisierung und Tabubrüchen subjektiv weiterentwickelt. Doch lässt sich diese Entwicklung auf die speziellen Formate, den Werbemarkt oder andere Faktoren zurückführen? Hat Skandalisierung zugenommen und wie wird dieser Aspekt von Publikum sowie von Expertinnen und Experten bewertet? Aufschluss darüber gibt der Band Skandalisierung im Fernsehen, der die Ergebnisse einer Studie des Instituts für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Freien Universität Berlin und des House of Research darstellt, die von der LfM in Auftrag gegeben wurde. Unter Anwendung quantitativer Inhaltsanalyse als auch qualitativer Medienanalyse, Gruppendiskussionen und Experteninterviews wurden Reality TV-Formate aus den Jahren 2000 bis 2009 untersucht
. Im ersten Teil werden die Formate auf theoretischer Basis näher erläutert, wobei unter anderem grundlegende Definitionen, Klassifikationen und ökonomische Aspekte Beachtung finden. Provokation und Skandalisierung erklären die Autorinnen und Autoren in Bezug darauf etwas genauer. Im Anschluss findet sich der empirische Teil, der Methoden und Ergebnisse der unterschiedlichen Verfahren darstellt. Die quantitative Analyse konzentriert sich auf die Inhalte der TV-Formate, der qualitative Teil beleuchtet ausgewählte Skandalfälle. Ergänzung finden die Methoden durch Gruppendiskussionen mit Rezipientinnen und Rezipienten bzw. Nicht-Rezipientinnen und - Rezipienten mit unterschiedlichen Haltungen gegenüber Reality TV sowie durch Interviews mit Expertinnen und Experten zu dieser Thematik.
Das Buch ist Interessierten aus der Kommunikationswissenschaft und Medienpädagogik zu empfehlen.
Scheithauer, Herbert/Bondü, Rebecca (2011). Amoklauf und School Shooting. Bedeutung, Hintergründe und Prävention. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. 121 S., 12,95 €
Das Thema (Amok-)Lauf ist ein viel diskutiertes Phänomen mit hoher medialer Relevanz. Das Autorenwerk bietet einen umfassenden Überblick über Grundlagen, Hintergründe und Prävention von Amokläufen und School Shootings mit Berücksichtigung von wichtigen thematischen Verknüpfungen. Basis des Buches sind Forschungsergebnisse der Autorin und des Autors, allgemeine Forschung zu dieser Thematik und Präventions- und Interventionsansätze, die sich daraus ergeben haben. Dabei legen sie – beide sind im universitären Bereich der Psychologie tätig – großen Wert auf eine differenzierte Darstellung und Abgrenzung der Begriffe ‚Amok‘ und ‚School Shooting‘, damit die unterschiedlichen Hintergründe klar herausgestellt werden und die weitere Verwendung der Begriffe eindeutig ist. Bei der Erörterung der Bedeutung finden verschiedene Aspekte, wie beispielsweise Historie, Kultur und Subformen, Beachtung, damit ‚Amok‘ als Phänomen eine ganzheitliche Sicht erfährt.
Die Rolle von Vorbildern, Altersunterschiede und der Familienaspekt werden zusätzlich mit aufgenommen. Des Weiteren erläutern Scheithauer und Bondü Hintergründe dieser Taten sowohl mithilfe psychologischer und gesellschaftlicher Ansätze, als auch mit Bezugnahme auf geschlechtsspezifische und individuelle Aspekte. Präventionsansätze finden ebenfalls, prägnant beschrieben, ihren Platz im Buch. Dabei gehen die Autorin und der Autor auf direkte Ansätze, Umgang mit Folgen, Waffengesetzgebung und Bedeutung der Medien ein. Auf diese Weise wird ein fundiertes Bild über die Thematik vermittelt, das auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, klaren Definitionen und aussagekräftigen Beispielen beruht. Tabellen und Grafiken verwenden Scheithauer und Bondü an den richtigen Stellen, damit die Leserinnen und Leser ein besseres Verständnis und informatives Hintergrundwissen bekommen.
Dieses Werk bietet Medienpädagoginnen und - pädagogen, wissenschaftlichen und praxisorientierten Fachkräften, Lehrerinnen und Lehrern als auch Psychologinnen und Psychologen einen aktuellen Überblick über den Wissensstand bezüglich Forschung, Theorie und Praxis dieser Thematik.
kolumne
Elisabeth Jäcklein-Kreis: Sie dürfen die Braut jetzt küssen ...
Es war der Moment, auf den alle gewartet hatten. 50 Sitzreihen voller Gäste in frisch polierten Lackschuhen, schnell noch aufgebügelten Röckchen und mit mehr oder weniger kunstvollen Skulpturen auf den ordentlich bemalten Köpfen drängten sich dicht an dicht, die Augen gebannt nach vorne gerichtet. Die Stille war perfekt, nur unterbrochen durch das leise Seufzen einer Tante von hinten und das Knistern eines Taschentuches in der zweiten Reihe. Hände verschränkten sich erwartungsvoll, in manchen Augenwinkeln wartete eine kleine Träne darauf, sich den Weg durch die Rouge-Wüste zu bahnen.Vorne, wo alle hinsahen, wurde ein Mikro überreicht, weißer Tüll schälte sich aus einem Stuhl: Die Braut stand auf, bereit, vor aller Augen ihr Trauversprechen abzugeben. Sie holte tief Luft, straffte die Schultern, lächelte kurz in die Runde und – zog ihr tablet unter dem Sitzkissen hervor. „Moment“ übertrugen die Lautsprecher ihr erstes Wort, dann ein Klacken, ein Piepsen, als die Tastensperre aufgehoben wurde, drei schnelle Klicks und es konnte losgehen. Während salbungsvolle Worte durch den Chorraum klangen, während die Trauzeugin ergriffen ihr iPad in die Luft hielt, um den Moment für immer zu bannen und während aus den hinteren Reihen, wohin sich ein Kind verzogen hatte, um seiner motorischen Unruhe mit fliegenden Vögeln auf dem tablet zu begegnen, die angegriffenen Schweine angsterfüllt quietschten, wurde auch dem letzten, medienfernen Zeremoniengast klar, dass die Invasion der tablets nicht mehr aufzuhalten sein wird.
Sie sind in der U-Bahn und im Museum, auf Parkbänken und Picknickdecken, an der Haltestelle, im Flugzeug, im Restaurant – sogar auf Berggipfeln und Taufen wurden sie schon gesichtet. Bestenfalls 25 Zentimeter an Länge können sie aufweisen, einen bis drei Knöpfe und ein paar Eingänge für Kabel aller Art – unscheinbare Erscheinungen also, viel zu klein, um von den ausgewachsenen Artgenossen ernst genommen zu werden; und doch schleichen sie sich nach und nach überall ein, bahnen sich schier unaufhaltsam ihren Weg in die privaten und öffentlichen Räume, in Besprechungszimmer und Büros, Wohnzimmer und Kinderzimmer, auf Spielplätze und in Seniorenresidenzen.Sie heißen Playbook, Transformer, Flyer oder Ideapad und sie kleiden sie unauffällig in Stoffumhänge in allen Farben, in Lederetuis, Filztaschen und Plastikschalen.Manchmal blinken sie oder blenden in den grellsten Farben, manchmal piepsen sie frenetisch und bisweilen hört man in ihren Untiefen Vögel wütend mit den Flügeln schlagen, Schweine ängstlich quietschen oder Fische blubbern.
Ihren jüngsten Freundinnen und Freunden lesen sie Gute-Nacht-Geschichten vor, den älteren ermöglichen sie Kontakte in alle Welt, für so manchen ersetzen sie das Kochbuch, die Gute- Nacht-Lektüre, den Busfahrplan, den Taschenrechner, den CD-Player und den Ernährungsberater in einem.Sie machen es einem aber auch gar so einfach: Nehmen kaum Platz weg, essen nichts, schreien selten, haben keine kilometerlangen, wörtlich aus dem Chinesischen übersetzten Bedienungsanleitungen, sondern nur ein kleines Display, auf dem sie alles feil bieten, was sie können. Da drückt man drauf, wo man hin will – und es funktioniert. „What you get is what you see“ sozusagen. Ein Konzept, das der Braut nur wünschen ist ...Die allerdings hat derweil das Brettchen verstaut und sich zum Kuss unter allgemeinem Seufzen auffordern lassen, ganz analog und ohne elektronsiche Unterstützung, bis auf den Fotoauslöser im iPad der Trauzeugin.
Beitrag aus Heft »2012/02: Familie und Medien«
Autor: Elisabeth Jäcklein-Kreis
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