2009/02: Selbstentblößung und Bloßstellung in den Medien
Casting- und Partnerfindungsshows im Fernsehen, Social Software, Blogs und virtuelle Fotoalben im Internet – wohin das Auge blickt, findet es heute muntere Selbstdarstellungen von Privatpersonen in den Medien. Teils inszeniert oder in bestimmten Programmformaten so gewollt, teils ‚selbständig’ ohne expliziten Rahmen tragen immer mehr ‚normale’ Menschen ihre Privatheit in die Medien und damit an die Öffentlichkeit. Was ist der Grund für diesen scheinbaren Trend, auch die Privatsphäre mit potenziell jedem zu teilen? Warum stellen sich Menschen selbst dar? Und warum wollen – auf der anderen Seite der Bildschirme – Rezipienten so gerne Einblick bekommen in das Privatleben der Menschen um sie herum? Schließlich: Was wird dort eigentlich präsentiert? Welche Menschenbilder, welche Lebensentwürfe, welche Weltanschauungen finden wir im angeblich realistischen Reality-TV? Mit diesen und weiteren Fragen beschäftigt sich die aktuelle Ausgabe der merz, bietet Denkanstöße, Befunde und Interpretationsansätze aus unterschiedlichen Blickwinkeln.
aktuell
Sepp Anzenhofer – Zum Tod eines Pioniers der Medienarbeit
Bei den Mitgliederversammlungen des Vereins Jugend Film Fernsehen war er stets präsent. Schon traditionsgemäß übernahm er in den letzten Jahren den Vorsitz der Wahlkommission bei Vorstandswahlen des JFF. Auch noch mit über 80 Jahren war Sepp Anzenhofer ein interessierter Gesprächspartner, wenn es um Fragen der Medienpädagogik und Medientechnik ging. Ende der 50er Jahre war er in den Verein eingetreten. Zuvor hatte er sich schon als Leiter der AV-Medienzentrale der Diözese Augsburg und als Jugendfilmfachberater (Ministerialbeauftragter für das Filmwesen) in Schwaben einen Namen gemacht. Der studierte Ingenieur baute das katholische Medienzentrum nach dem Krieg auf. Durch seine Technikfaszination gehörte es bald zu den bestausgestatteten Einrichtungen seiner Art. Der Film war Anzenhofers Medium und zu Wanderkino-Zeiten sollen bis zu 14 Filmwagen der AV-Medienzentrale in Schwaben unterwegs gewesen sein. Als Fachberater übernahm er 1961 in Zusammenarbeit mit dem Bezirksjugendring die Schulung von Jugendleitern und die Beratung über pädagogisch geeignete Filme. Mit dem Aufkommen der ersten transportablen Videoaufnahmegeräte in den 1970er und 80er Jahren schuf er Grundlagen für die aktive Medienarbeit und förderte junge Talente im Bereich des Films. Der Augsburger Martin Pfeil ist einer davon. In seinem ersten Kinofilm Mein Deutshland, der dieser Tage erscheint, würdigt er seinen Mentor im Abspann. Anzenhofer und Pfeil waren 1993 mit dem Feature Als die Sonne ihr Gesicht verbarg angesichts antisozialer Tendenzen für eine menschenfreundliche Gesellschaft eingetreten. Ihr Film fand weit über die bayerischen Grenzen hinaus Beachtung. Die humanistische Grundeinstellung von Sepp Anzenhofer war genauso sein Markenzeichen, wie sein Humor, der auch vor den Kirchenmauern nicht halt machte. Schwester Charis, die frühere Leiterin der Katholischen Fachakademie für Sozialpädagogik in Augsburg, erzählte immer gern davon. In ihrer Ordenstracht hatte sie vor Jahrzehnten an einem 16mm-Filmvorführkurs teilgenommen. Anzenhofer sah sie an und schlug vor: „Für Sie legen wir einen Schwarzweißfilm ein.“Neben der Liebe zum Film hatte Anzenhofer mindestens noch drei weitere Leidenschaften: das Rauchen, das Autofahren und das Fliegen. Ich selbst konnte mehrmals mit ihm zur Mitgliederversammlung des JFF nach München fahren. Nie bin ich schneller dort angekommen. Leider hatte ich nie Gelegenheit, mit ihm zu fliegen. Martin Pfeil hatte mehrmals dazu Gelegenheit und berichtet, es wären ruhige, entspannte Stunden gewesen. Vor vier Jahren bei der 20-Jahrfeier der MSA – Medienstelle Augsburg des JFF bekannte Sepp Anzenhofer, sein Arzt hätte ihm vom Fliegen abgeraten. Da war er 81 Jahre alt und nahm es gut gelaunt hin. Im Jahre 2007 nahm er das letzte Mal an der Mitgliederversammlung des JFF teil. Am 3. Dezember 2008 ist er im Alter von 84 Jahren gestorben.
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Beitrag als PDFEinzelansichtnachgefragt: Dr. Claudia M. Ueffing, Schul- und Kultusreferat der LHS München, Fachabteilung Kindertageseinrichtungen
In den Bildungs- und Erziehungsplänen einiger Bundesländer ist Medienerziehung im vorschulischen Bereich fester Bestandteil. Dennoch ist dies noch immer ein Thema, das die Gemüter bewegt. Muss das tatsächlich sein? Werden die Kinder dadurch nicht viel zu früh mit Dingen konfrontiert, von denen man sie eigentlich fernhalten sollte? Dr. Claudia M.Ueffing leitet die Fachabteilung Kindertageseinrichtungen der Stadt München und ist außerdem Koordinatorin der Fachberatung Interkulturelle Pädagogik. Gegenüber merz macht sie deutlich: Medienbildung tut in beiden Bereichen dringend not.merz Frau Ueffing, im Medienzeitalter wird vielerorts und oftmals kontrovers diskutiert, wie früh Kinder den Umgang mit Medien lernen sollten. Wie ist Ihre Haltung dazu? Welche Potenziale sehen sie in der medienpädagogischen Arbeit im Vorschulalter?Ueffing Zur Lebenswelt der Kinder gehören Medien ganz früh dazu, von daher erachte ich es als absolut sinnvoll, so früh wie möglich mit medienpädagogischer Erziehung anzufangen. Zu Medien zählen für mich auch Bücher und Printmedien und im Bereich der Literacy-Erziehung ist nachgewiesen: Je früher die Kinder Kontakt mit Büchern haben, desto besser. Aber auch wenn wir von neuen Medien sprechen: Je früher eine sinnvolle Medienerziehung von Seiten der Eltern und der Kindertageseinrichtungen ansetzt, um Kindern einen sinnvollen und eigenverantwortlichen Umgang zu vermitteln, und dabei auch die Neugierde der Kinder befriedigt wird, desto besser. Meine persönliche Haltung ist die, dass ich Medien – sinnvoll genutzt – als Bereicherung erlebe und das auch bei Kindern wahrnehme. Ich habe aber den Eindruck, dass wir die Möglichkeiten in Deutschland bei weitem noch nicht ausgeschöpft haben. Ich sehe zum Beispiel, dass pädagogische Einrichtungen und auch das Fachpersonal die Möglichkeiten noch nicht ausschöpfen, die auch die Neugierde der Kinder befriedigen und den kreativen Umgang mit den Medien befördern. Auch hinsichtlich der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter liegt noch viel Potenzial brach. Hier besteht viel Fort- und Weiterbildungsbedarf. Ich beobachte außerdem, dass sich eine Polarisierung einstellt, als wäre Kindheit nicht mit (neuen) Medien und einem alltäglichen Umgang damit – auch in Bildungseinrichtungen – zu verknüpfen. In Großbritannien ist der Umgang mit neuen Medien selbstverständlicher Bestandteil des Alltags und wird von klein auf als Kulturwerkzeug vermittelt. Da würde ich mir wünschen, dass einfach mehr passiert und zwar auf allen Ebenen. Letztendlich ist das eine bildungspolitische Frage.merz In einigen Bundesländern ist frühzeitige Medienbildung bzw. Medienkompetenzförderung Teil der länderspezifischen Bildungspläne, auch in Bayern. Wie gut funktioniert die Umsetzung einer frühzeitigen Förderung von Medienkompetenz in der bayerischen Praxis?Ueffing Ich bin sehr froh, dass Medienkompetenzförderung im Bildungs- und Erziehungsplan in Bayern verankert ist. Das hebt den Stellenwert der Arbeit mit Medien auch in der frühen Kindheit. Aber ich sehe auch, dass in der Praxis noch ein Weg zu gehen ist. Es gibt viele – auch sehr gute – Projekte auf unterschiedlichsten Ebenen. Dennoch habe ich durch den Einblick in die Praxis den Eindruck gewinnen müssen, dass das nicht selbstverständlich ist und noch nicht flächendeckend etwas passiert. Meine Vermutung geht dahin, dass es Leuchttürme in der Bundesrepublik gibt, aber die Fläche nicht erzielt wurde. Wenn ich aber letztendlich den Anspruch erhebe, dass Medien zum Alltag der Kinder gehören und dass Einrichtungen dies adäquat widerspiegeln sollten, dann ist im frühkindlichen Bereich nach wie vor noch viel zu tun. merz Wie würden sie die Situation der medienpädagogischen Qualifikation von pädagogischen Fachkräften im Vorschulbereich einschätzen? Was läuft gut, wo liegen Defizite?Ueffing Hier gibt es Bedarf an Fort- und Weiterbildung, das ist meine Erfahrung. Das hängt auch damit zusammen, dass Medienpädagogik zwar Gegenstand der Lehrpläne ist, aber eben nur einer von vielen. Hier sollte auch der Einsatz von neuen Medien in dem Bereich vorangetrieben werden. In der Ausbildung wird vermittelt, wie man Bücher mit Kindern anschaut, wie man Fotowände macht, Schattenspiele mit Diarähmchen, Geräuschelottos anlegt und so weiter. Aber wenn es um neue Medien geht, dann hört es auf. Darauf würde ich den Fokus gern mehr legen. Die Kolleginnen und Kollegen sollten solider ausgebildet sein, denn wenn sie selbst Medien als selbstverständlichen Bestandteil ihres Lebens und ihres beruflichen Tuns begreifen, dann wird dies auch für die Kinder selbstverständlich. merz Die Schwerpunkte Ihrer Arbeit liegen auch im Bereich der Sprachförderung und Interkulturellen Pädagogik. Gibt es für diese zwei Bereiche besondere Gründe, die für oder gegen eine Medienbildung im Vorschulbereich sprechen?Ueffing Ich plädiere dafür, dass gerade im Bereich der Sprachförderung in Interkultureller Pädagogik Medienbildung im Vordergrund stehen sollte. Ich trenne hier zwischen den herkömmlichen Medien und den neuen Medien. Viele Kinder lesen und schreiben lieber am Computer und betrachten diesen längst als ihr Mittel der Wahl. Nicht alle Familien können sich aber die Ausstattung leisten. Da kommt dann das Thema Chancengerechtigkeit und Ressourcen schaffen für Kinder im öffentlichen Rahmen zur Sprache. Alle sollten diese kulturellen Instrumente erlernen können. Aber ein Computer ist für Familien, die von Armut bedroht oder nicht gut situiert sind, eine Herausforderung. Wenn man heute in die Schulen geht, dann sollen ab einem gewissen Alter bestimmte Aufgaben mit dem Computer erledigt werden – wie denn? Die einzige Möglichkeit besteht darin, die Schulen, Horte und Kindertageseinrichtungen gut auszustatten, damit alle Kinder einen Zugang haben.Kürzlich war ich in Wales und hatte das Gefühl, ich bin in einer anderen Welt. Dort sind Kurse für Mütter selbstverständlich. Diese werden an Kindertageseinrichtungen angedockt, sie sind vernetzt mit IT-Kursen der Universität, die als Module für eine berufliche Fort- und Weiterbildung angerechnet werden, so dass sie Bausteine der beruflichen Entwicklung sein können. Die Kinder erleben ihre Eltern als Lernende und wie sie sinnvoll mit den Medien umgehen. Sie haben also Modelle und Rollen. Da gehen natürlich auch die Kinder kreativ damit um. In einem unserer Comenius-Projekte hatten wir eine KiTa, die hat mit Dreijährigen am Computer Bilder gemalt und dann konnten die Kinder ihre eigenen Bilder verschicken. Das waren ganz einfache Dinge. Wenn ich mir die Ziele der Europäischen Union ansehe, dann denke ich, da gibt es einen deutlichen Bezug zu diesem Bereich – aber: viel zu tun.
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Beitrag als PDFEinzelansichtElisabeth Jäcklein: Auf in den Kampf gegen den visuellen Analphabetismus!
Samstag, 07. März 2009, ARRI Kino München: Der Kulturreferent hatte zur Diskussion geladen – und alle waren gekommen: die Regisseure Edgar Reitz und Peter Sehr, Vision Kino-Mitarbeiterinnen Maren Wurster und Katrin Miller, Filmfest-Veranstalter Andreas Ströhl, und sogar Vera Haldewang vom Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung als Überraschungsgast fanden sich auf der Bühne des ARRI Kinos in München ein, um fleißig zu diskutieren. In den Kinosesseln harrte derweil ein ansehnliches Grüppchen von Journalistinnen und Journalisten, Medienschaffenden und sonstwie Interessierten der Diskussionen die da kommen sollten.Ist Film ein vernachlässigtes Kulturgut? Sind die SchulKinoWochen unser aller Rettung oder doch nur ein glimmendes Strohfeuer? Macht Frankreich alles besser? Sollten sich Regisseure lieber mehr in Klassenzimmern tummeln statt in Regiestühlen? Oder ist der Lehrplan die Wurzel allen Übels, der Filme so schändlich vernachlässigt? Das waren die Fragen, die sie alle angelockt hatten. Viele Meinungen waren da nicht zu finden, so dass statt hitziger Diskussionen eher abwechselndes Blasen in dasselbe Horn auf der Tagesordnung stand. Eine gute Bestandsaufnahme sowie einige interessante Ansätze bot die Runde aber allemal.Der Film ist ein Kulturgut, so der Tenor, mit dem Jugendliche verantwortlich und kompetent umgehen lernen sollten. Und das tun sie nicht zur Genüge. Stattdessen ‚Visueller Analphabetismus’ in deutschen Kinosälen und Fernsehzimmern allerorten.Das kann so nicht weiter gehen, fanden die Disputanten. Der Film als allgegenwärtiges Medium müsse wieder verstanden und geschätzt werden. Sonst gehe die Kreativität im Land der Dichter und Denker über kurz oder lang den Bach runter, das ehrenwerte Filmhandwerk wandere mit Sack und Pack nach Hollywood aus und die deutschen Augen und Gemüter wären den importierten Bewegtbildern hilf- und kompetenzlos ausgeliefert.‚Film’ als Fach im Lehrplan könnte helfen, fanden die einen. Mehr Angebote von Dritten, fanden die anderen. Die SchulKinoWochen sind der Weg zum Glück und zur Kompetenz fanden – wenig erstaunlich – die dritten. Insgesamt waren sich aber alle einig, dass Filme mehr Beachtung brauchen – am besten auf allen Schienen. Bessere Ausbildung der Lehrenden, ein bisschen mehr Verankerung im Lehrplan, ein Deut mehr Zusammenarbeit von Schulen und Hochschulen, hier und da ein Regisseur oder ein praktisches Filmprojekt in den Schulklassen, immer wieder mal ein Festival oder ein Projekt und bitteschön eine große Portion mehr Ansehen für den – in erster Linie deutschen – Film als wichtiges Kultur- und Bildungsgut. So das Rezept aus der Kompetenzbäckerei. Gute Ideen sind das mit Sicherheit, der hehre Wille ist landauf landab zu finden. Jetzt sind die Akteure praktisch gefragt. Lehrerinnen und Lehrer: ran an den Film als Thema statt als didaktisches Hilfsmittel! Regisseurinnen und Regisseure: rein in die Klassenzimmer! Schülerinnen und Schüler: ab hinter die Kameras und die Filmgeschichte-Bücher! Und Politikerinnen und Politiker: an die Bleistifte und Filme in den Lehrplan geschrieben!Ob tatsächlich etwas passiert, bleibt abzuwarten und zu hoffen, dass den einmütig schönen Worten auch Taten folgen – denn ein diskutierender Regisseur und ein dazu klatschender Journalist machen noch keine Medienkompetenz unter Kindern und Jugendlichen.
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Autor: Elisabeth Jäcklein-Kreis
Beitrag als PDFEinzelansichtStichwort Cloud Computing
Die Situation kennt jeder: Mittagszeit, der Magen brummt, eine Spiegelei wäre recht – man geht also schnell in den Hühnerstall, animiert ein Huhn per Futterzufuhr zum Legen, um sich dann ein Ei aus- und den Magen voll zu schlagen. Das klingt veraltet und irgendwie albern? Ist es auch – zumindest für einen Großteil der westeuropäi-schen Bevölkerung. Hier investiert man nicht Futter in das eigene Huhn, sondern Geld in den ‚zentralen Bauernhof’ und der liefert dann die fertigen Eier.Nach genau dieser Logik funktioniert auch Cloud Computing. Was bisher noch als nebulöses IT-Stichwort reichlich verschwommen in vielen Köpfen herumspukt ist ganz einfach die Idee vom Internet als ‚zentralem Bauernhof’. Warum soll jeder sich seine eigene Software auf den PC laden und umständlich und teuer am eigenen Of-fice-Paket werkeln – wenn er es doch genauso gut zentral auf einem vernetzten Rechner nutzen kann? So fragen die Befürworter. Ein zentral installiertes Programm auf einem ‚weltumspannenden Megacomputer’ spart der Einzelperson bzw. dem Un-ternehmen nicht nur Speicherplatz und aufwändige Wartungsarbeiten, sondern im Idealfall auch Geld und Ärger bei der Vernetzung verschiedener Arbeitsplätze oder der Kollaboration verschiedener Mitarbeiter an einem Dokument. Wie das Geld zum Bauerhof kann man seine Befehle an ein online verfügbares Programm schicken und sozusagen als ‚Ei’ das fertige Dokument zurück bekommen. Diese Idee ist nicht ganz neu: E-Mail-Anbieter funktionieren bereits nach diesem Prinzip. Ihre Dienste können von jedem Rechner, teils auch von mobilen Endgeräten aus genutzt werden, ohne dass dazu eine eigene Software erforderlich wäre. Und diverse Anbieter sind bereits umtriebig dabei, diese Idee auch auf die ‚ganz normalen Desktop-Programme’ wie Office-Pakete, Bildbearbeitungsprogramme und viele mehr auszuweiten: Apple ver-netzt seine Nutzer per iWorks und MobileMe, Photoshop Express verspricht online Bildbearbeitung ganz ohne Installation und Google optimiert seinen Browser Google Chrome explizit als Plattform für Web-Anwendungen. Kritiker freilich befürchten, ein im Netz herumsausendes Dokument sei einem erheblich höheren Sicherheitsrisiko ausgesetzt als ein Dokument auf einer isolierten, relativ unzugänglichen Festplatte. Zudem würde sich ein solches Netz schnell zu einer ‚Daten sammelnden Krake’ ent-wickeln, die die privaten Daten, Informationen und Protokolle all ihrer Nutzer sam-meln und – im schlimmsten Fall – zu unlauteren Zwecken Nutzen kann.Bisher ist das Internet zwar weder Krake noch Bauernhof und die meisten Menschen bearbeiten ihre Dokumente, Bilder, Videos et cetera am privaten Office Paket. Doch es ist gut möglich, dass in nicht allzu langer Zeit auch das veraltet und ‚irgendwie albern’ klingen könnte.
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Beitrag als PDFEinzelansichtClemens Hornik: Web 2.0/Internet als Herausforderung für die Medienethik
Die neuen und zunehmenden Kommunikations- und Interaktionsformen im Internet, unter dem Schlagwort Web 2.0 zusammengefasst, stellen neue Herausforderungen an die Medienethik. Es geht um Fragen des Datenschutzes, der Datennutzung, der Informationspreisgabe und Selbstveröffentlichung. Es geht um Manipulation und die Erweiterung, die Verlagerung der Identität ins Digitale. Es geht um alle damit verbundenen Komplikationen, Machenschaften, Gefahren und, nicht zu vergessen: um die Ethik bei und von alledem.Die gemeinsame Jahrestagung der DGPuK-Fachgruppe Kommunikations- und Medienethik und des Netzwerkes Medienethik in der Hochschule für Philosophie am 12. und 13. Februar 2009 in München ging diese offenen Fragen und Probleme in einem regelrechten Vortragsmarathon an.Den Anfang machte Petra Grimm, die einen Einblick in ihre Studie gab, die Gewalt und Cybermobbing in der Wahrnehmung von Jugendlichen beschreibt. Obwohl die Jugendlichen nicht gezielt nach gewalthaltigen Materialien suchen, wird von jenen, deren Motive aus Langeweile und Neugierde (sensation seeking) bestehen, überdurchschnittlich viel mediale Gewalt wahrgenommen. Aufgrund von Aussagen Jugendlicher kommt Grimm zu dem Schluss, dass die Betroffenen für sich sehr genau nicht fiktionale von fiktionalen Gewaltdarstellungen unterscheiden und von ersteren immer wieder geschockt sind.Im darauffolgenden Themenblock zu Datenschutz und Datensicherheit stellte Kerstin Blumberg die Ergebnisse ihrer Bachelor-Abschlussarbeit vor, die in einer nicht repräsentativen Online-Untersuchung nach Risiko und Nutzen der Informationspreisgabe im Sozialen Netzwerk fragt. Thematisch schlossen Sabine Trepte und Leonard Reinecke an, indem sie Überlegungen zu einer geplanten Studie zum Stellenwert von Privatsphäre und der Bereitschaft zur Preisgabe intimer Informationen vortrugen.Der von Tobias Eberwein und Horst Pöttker gemeinsam erarbeitete Beitrag problematisierte den journalistischen Umgang mit user generated content, insbesondere von Blogs, als Recherchematerial und ausgewiesener Quelle vor dem Hintergrund der steigenden Thematisierung und Nutzung von Blogs als Informationslieferant der Tagespresse. Dabei wurde mehrfach auf den Pressekodex verwiesen, der auch in der Internetrecherche seine Anwendung finden müsse.In einem weiteren, ursprünglich für parallele Arbeitsgruppen eingerichteten Block, der durch den Wegfall zweier Referenten umdisponiert wurde und damit den gefühlten Zeitdruck erhöhte, thematisierte Anke Trommershausen die Unternehmensethik von Medien- und Telekommunikationsunternehmen. Caja Thimm riss in ihrem Vortrag die Auswüchse der Kinderpornografie und der virtuellen Vergewaltigung in Second Life an und stellte fest, dass die Verbundenheit und Identifikation, die User zu ihren Avataren aufbauen (bei Verletzung derselben) zu psychischen Problemen führen könne. Eine rechtliche Ahndung virtueller Straftaten sei daher geboten.Unter dem vielversprechenden Titel „Social Networking als Basis der Wahrnehmung kommunikativer Kompetenz im Internet. Von einer Ethik allgemeiner Geltungsansprüche zu einer Ethik sozialer Verbundenheit“ befragte Thomas Zeilinger den individuellen Umgang mit den technischen Möglichkeiten im Paradox der neuen isolierten Verbundenheit und äußerte dabei seine Skepsis in Bezug auf die immer wieder behauptete Bildung – anstelle einer bloßen Abbildung – sozialer Verbundenheit in sozialen Netzwerken.Den nächsten Block im Wettlauf mit der Zeit füllten drei Vorträge unter der Ankündigung der „Philosophischen Reflexion“. Jan-Hinrik Schmidt vom Hans-Bredow-Institut fragte danach, welche Übertragungsmöglichkeiten von bewährten Forschungsstandards auf das Web 2.0 existierten und wie Wissenschaftler dem gemäß handeln können. Anhand der Begriffe Schmidts von Identitäts-, Beziehungs- und Informationsmanagement arbeitete Alexander Filipovic den Versuch einer Anthropologie für das Web 2.0 aus. Michael Nagenborg, stellte den in Deutschland wenig rezipierten Albert Borgmann mit Thesen aus seinen Büchern „Holding on to reality“ (1999) und „Real American Ethics“ (2007) vor.Den nächsten Tag eröffnete Franz Tomaschowski mit einem Vortrag über die „Ethik von Bildern“. Dabei zeigte er manipulierte, gefälschte und inszenierte Pressebilder in ihren verschiedenen Fassungen. Obwohl in seinen Details sehr anregend, war es schade, dass auf spezifische Bilder des Internets nicht eingegangen wurde, und andererseits das Bild als Medium nicht so grundsätzlich, wie der Titel vermuten lassen konnte, behandelt und hinterfragt wurde. Karsten Weber prangerte unter dem bei Google entlehnten Motto „Don’t do evil“ vor dem Hintergrund der Datensammlung von Nutzenden und der Zensur von Informationen, insbesondere in China, den fehlenden Ethikkodex von Google an. Mathias Künzel und Ezard Schade sprachen sich in ihrem Vortrag für eine Erweiterung der institutionalisierten Medien Presse und Rundfunk um einen dritten Sektor aus, der diverse Online-Dienste umfassen sollte, die durch ihren Bildungs- und Integrationsbeitrag auch öffentlich und unabhängig von den Rundfunkanstalten gefördert werden könnten und sollten.Den letzten Block zu Öffentlichkeit und Gegenöffentlichkeit eröffnete Theresa Züger, Studentin der Universität Köln, mit der Vorstellung ihrer Magisterarbeit und Eindrücken aus dem letzten Internet Gouvernance Forum in Indien, in dem sie stets unter Vorbehalt sozialgesellschaftliche positive Aspekte des Web 2.0 hervorhob.Den Abschluss im Vortragswettlauf setzte der von Jörg-Uwe Nieland und Mario Anastasiadis gemeinsam vorbereitete Beitrag zu den von der extremen Rechten genutzten Möglichkeiten des Web 2.0 und dem Suchen nach Gegenstrategien.Unter dem permanenten Zeitdruck war für Fragen bedauerlicher Weise wenig Raum gegeben, so dass Diskussionen und Erörterungen im Plenum gar nicht aufkommen konnten. Insbesondere das Eingliedern der in parallelen Arbeitsgruppen geplanten Beiträge am ersten Tag in die Vortragsreihe, gab der Tagung eine gehetzte, etwas einförmige Prägung, die nicht nötig gewesen wäre. So gebärdete sich die Tagung über das Web 2.0 der Form nach wenig abwechslungsreich und nicht gerade innovativ. Sie kann mit den Attributen des etwas vernachlässigten Mythos Web 1.0 assoziiert werden als statisch und stark reglementiert mit wenigen Partizipationsmöglichkeiten.
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Autor: Clemens Hornik
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thema
Bloßstellung und Diffamierung Jugendlicher im Internet
Ende 2008 wurde die Studie Gewalt im Web 2.0 – Wie gewalthaltige Internetangebote Heranwachsende beeinflussen von Petra Grimm, Stefanie Rhein und Elisabeth Clausen-Muradian veröffentlicht. Die Wissenschaftlerinnen sind darin der Frage nachgegangen, warum Heranwachsende gewalthaltige Angebote im Netz nutzen und wie sie diese verarbeiten. Prof. Dr. Petra Grimm, die an der Hochschule für Medien in Stuttgart lehrt, hat für merz erläutert, wie Jugendliche mit Bloßstellungen und Diffamierungen im Internet umgehen. LiteraturGrimm, Petra/Rhein, Stefanie/Clausen-Muradian, Elisabeth (2008). Gewalt im Web 2.0: Der Umgang Jugendlicher mit gewalthaltigen Inhalten und Cyber-Mobbing sowie die rechtliche Einordnung der Problematik. Schriftenreihe der NLM, Bd. 23, Berlin: Vistas.Willard, Nancy E. (2007). Cyberbullying and Cyberthreats. Champaign, Illinois: Research Press.
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Beitrag als PDFEinzelansichtJoan Kristin Bleicher: Zwischen Frauentausch und Küchenschlacht
Frauen sind blond mit auffälliger Oberweite, verfügen über einen ausgeprägten Mutter- und Putzinstinkt. Schwach und hilfsbedürftig sind sie dem übermächtigen Mann ausgeliefert. Der hat alles im Griff und ist bei allen Themen – von Kochen über Schuldenberatung bis Wissensvermittlung – äußerst kompetent. So veraltet diese Stereotype klingen – in Reality Shows stellen sie die herbe (Schein-)Realität dar und erlauben dem Fernsehpublikum damit einen voyeuristischen Blick in längst ausgestorben geglaubte Familienszenarien.LiteraturBlair, Megan (2006). Gender Manipulation and Reality Television. www.associatedcontent.com/article/20503/gender_manipulation_and_reality_television _pg2.html?cat=39 [Zugriff: 09.03.2009].Bleicher, Joan Kristin (1999). Fernsehen als Mythos. Poetik eines narrativen Erkenntnissystems. Opladen: Westdeutscher Verlag.Bleicher, Joan Kristin (2000). „Du bist nicht allein“: Big Brother und die Nachfolgeformate. In: Weber, Frank (2000), Big Brother. Inszenierte Banalität zur Primetime. Hamburg, Münster: Lit.Bleicher, Joan Kristin (2006). We Love to Entertain you. Beobachtungen zur aktuellen Entwicklung von Fernsehformaten. Hamburger Hefte zur Medienkultur No. 8 Hamburg.Ebert, Michael (2001). Ein Käfig voller Narren. Der Stern 6.2001, S. 26.Huber, Wolfgang (1994). Menschenwürde? Gewalt und Intimität als Unterhaltung. In: Wunden, Wolfgang (Hrsg.), Öffentlichkeit und Kommunikationskultur. Beiträge zur Medienethik Bd. 2. Hamburg, Stuttgart: Steinkopf VerlagPozner, Jennifer L. (2004). The Unreal World. Why Women on ‘reality tv’ have to be hot, desperate and thumb. In: Features Fall 2004.Secton, Timothy (2007). Does Reality TV Contribute to Gender Stereotyping? www.associatedcontent.com/article/193382/does_reality_tv_contribute_to_gender.html [Zugriff: 09.03.2009].
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Autor: Joan Kristin Bleicher
Beitrag als PDFEinzelansichtCaroline Roth-Ebner: (Selbst-)Entblößung in der Castingshow
Der auf einer empirischen Studie basierende Beitrag behandelt mit der Castingshow des ORF Starmania ein immer noch aktuelles Thema. Als Protagonistinnen und Protagonisten dieses Formats werden die Kandidatinnen und Kandidaten und deren mediale Präsentation ins Visier genommen. Ein wichtiger Bestandteil der Inszenierung ist aber auch das Publikum, welches durch die Möglichkeit zur Interaktion in einem begrenzten Rahmen die Show beeinflusst. Der Beitrag gibt Aufschluss über Aneignungsmotive und -muster.LiteraturDelanoy, Werner (2003). Starmania: Eine ideologiekritische Nachbetrachtung. In: ide. Informationen zur Deutschdidaktik, 27. Jg., H. 2. S. 114-123.Hack, Günter (2001). Big Brother – Aufmerksamkeitslenkung im Medienverbund. In: Beck, Klaus/Schweiger, Wolfgang (Hrsg.), Attention please!: Online-Kommunikation und Aufmerksamkeit. München: Fischer. S. 249-265.Krotz, Friedrich (2003). Die Mediatisierung der Lebensräume von Jugendlichen. Perspektiven für die Forschung. In: Bug, Judith/Karmasin, Matthias (Hrsg.), Telekommunikation und Jugendkultur: eine Einführung. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, S. 167-183.Roth-Ebner, Caroline (2008). Identitäten aus der Starfabrik. Jugendliche Aneignung der crossmedialen Inszenierung „Starmania“. Opladen/Farmington Hills: Budrich UniPress.Sennett, Richard (2000). Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus. Aus dem Amerikanischen von Martin Richter, 7. Aufl. München: Goldmann (Orig. 1998: The Corrosion of Character. The Personal Consequences of Work in the New Capitalism. New York, NY u. a.: Norton).Thomas, Tanja (2004). „Mensch, burnen musst Du!“ Castingshows als Werkstatt des neoliberalen Subjekts. Zeitschrift für Politische Psychologie, 12. Jg., H. 1+2. S. 191-208.
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Autor: Caroline Roth-Ebner
Beitrag als PDFEinzelansichtHans-Dieter Kübler: Außenorientiert, ‚mediogen’, narzisstisch – Medienkonstrukte oder neue Sozialisationstypen?
Das Verhältnis zwischen Öffentlichkeit und Privatheit in modernen Gesellschaften scheint prekär oder gar wechselseitig porös geworden zu sein. Welche Funktionen und Bedeutungen die Medien dabei haben, wird unterschiedlich gesehen. Jugendlichen nehmen die Angebote der Medien, (öffentliche) Aufmerksamkeit zu erhalten, offensichtlich besonders gern an. Offen ist, inwiefern dies ihre Identitätsbildung beeinflusst. LiteraturBaacke, Dieter und Heitmeyer, Wilhelm (Hg.) (1985): Neue Widersprüche. Jugendliche in den achtziger Jahren. MünchenBeck, Ulrich (1986): Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfurt/M.Böhme-Dürr, Katrin und Sudholt, Thomas (Hg.) (2001): Hundert Tage Aufmerksamkeit. Das Zusammenspiel von Medien, Menschen und Märkten bei „Big Brother“. KonstanzElias, Norbert (1979): Über den Prozess der Zivilisation. Soziogenetische und psychogeneti-sche Untersuchungen. 2 Bde. Frankfurt/M.Ferchhoff, Wilfried und Neubauer, Georg (1997): Patchwork-Jugend: eine Einführung in postmoderne Sichtweisen. OpladenFromme, Johannes u.a. (Hg.) (1999): Selbstsozialisation, Kinderkultur und Mediennutzung. OpladenHabermas, Jürgen (1969): Strukturwandel der Öffentlichkeit. 4. Aufl. Neuwied und BerlinHorkheimer, Max und Adorno, Theodor W. (1944; 1969): Dialektik der Aufklärung. Philoso-phische Fragmente. Frankfurt/M.Hurrelmann, Klaus (2006): Einführung in die Sozialisationstheorie. 9. Aufl., Weinheim und BaselHurrelmann, Klaus; Grundmann, Matthias und Walper, Sabine (Hg.) (2008): Handbuch Sozi-alisationsforschung. 7., vollständig überarb. Aufl., Weinheim und Basel Jugendwerk der deutschen Shell (1982): Jugend ´81. Lebensentwürfe, Alltagskulturen, Zu-kunftsbilder. OpladenKrüger, Heinz-Hermann (Hg.) (1988): Handbuch der Jugendforschung. OpladenLévi-Strauss, Claude (1989): Das wilde Denken. Frankfurt/M: Mikos, Lothar u.a. (Hg.) (2000): Im Auge der Kamera. Das Fernsehereignis „Big Brother“. BerlinMühler, Kurt (2008): Sozialisation. Eine soziologische Einführung. PaderbornNegt, Oskar und Kluge Alexander (1972): Öffentlichkeit und Erfahrung. Zur Organisations-analyse von bürgerlicher und proletarischer Öffentlichkeit. Frankfurt/M.Riesman, David (1958; 1982): Die einsame Masse. Eine Untersuchung der Wandlungen des amerikanischen Charakters. Mit einer Einführung von Helmut Schelsky. Reinbek bei Ham-burgSchulze, Gerhard (1992): Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart. Frank-furt/M. und New YorkSennett, Richard (1986): Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimi-tät. Frankfurt/M. Weber, Frank (Red.) (2000): Big Brother: Inszenierte Banalität zur Prime Time. MünsterWillis, Paul u.a. (1991): Jugendstile. Zur Ästhetik der gemeinsamen Kultur. Hamburg u.a.Ziehe, Thomas (1975): Pubertät und Narzissmus. Frankfurt/M.Zinnecker, Jürgen (1996): Soziologie der Kindheit oder Sozialisation des Kindes? Überlegun-gen zu einem aktuellen Paradigmenstreit. In: Honig, Michael-Sebastian; Leu, Hans-Rudolf und Nissen, Ursula (Hg.): Kinder und Kindheiten. Soziokulturelle Muster – sozialisationstheoretische Perspektiven. Weinheim und München, S. 31 – 54
Beitrag aus Heft »2009/02: Selbstentblößung und Bloßstellung in den Medien«
Autor: Hans-Dieter Kübler
Beitrag als PDFEinzelansichtGünter Burkart: Mediale Selbstthematisierungen und Inszenierungen von Privatheit
Aus historischer Perspektive lässt sich zeigen, wie sich allmählich eine Sphäre der Privatheit herausbildete, die es vorher so nicht gegeben hatte. Mit ihr entstand eine Bekenntniskultur, die in der Mediengesellschaft zunehmend in die Öffentlichkeit vordringt. Dabei lässt sich eine Verlagerung von authentischer Selbstdarstellung hin zu einer visuell geprägten Inszenierung beobachten.LiteraturBurkart, Günter (Hrsg.) (2006). Die Ausweitung der Bekenntniskultur – neue Formen der Selbstthematisierung? Wiesbaden: VS-Verlag.Burkart, Günter (2007). Handymania. Wie das Mobiltelefon unser Leben verändert hat. Frankfurt/Main: Campus.Burkart, Günter (2008). Familiensoziologie. Konstanz: Universitätsverlag/UTB.Foucault, Michel (1977). Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit, Band 1. Frankfurt/Main: Suhrkamp.Habermas, Jürgen (1961). Strukturwandel der Öffentlichkeit. Neuwied: Luchterhand.Habermas, Rebekka (2004). Selbstreflexion zwischen Erfahrung und Inszenierung. Schreiben im Bürgertum um 1800. In: Häder, Sonja/Tenorth, Heinz-Elmar (Hrsg.). Der Bildungsgang des Subjekts. Bildungstheoretische Analysen. Weinheim: Beltz (Zeitschrift für Pädagogik, 48. Beiheft), S. 30-47.Hahn, Alois (1982). Zur Soziologie der Beichte und anderer Formen institutionalisierter Bekenntnisse: Selbstthematisierung und Zivilisationsprozess. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 34, S. 407-434 – wiederabgedruckt in: Hahn, Alois (2000). Konstruktionen des Selbst, der Welt und der Geschichte. Frankfurt/Main: Suhrkamp, S. 197-236.Hahn, Kornelia (2002, Hrsg.). Öffentlichkeit und Offenbarung. Eine interdisziplinäre Mediendiskussion. Konstanz: Universitätsverlag.Imhof, Kurt/Schulz, Peter (1998, Hrsg.). Die Veröffentlichung des Privaten – Die Privatisierung des Öffentlichen. Opladen: Westdeutscher Verlag.Meyrowitz, Joshua (1985). No sense of place. The impact of electronic media on social behavior. New York: Oxford University Press.Meyrowitz, Joshua (2002). Post-Privacy America. In: Weiß/Groebel, S. 153-204.Weiß, Ralph/Groebel, Jo (2002, Hrsg.). Privatheit im öffentlichen Raum. Medienhandeln zwischen Individualisierung und Entgrenzung. Opladen: Leske und Budrich.
Beitrag aus Heft »2009/02: Selbstentblößung und Bloßstellung in den Medien«
Autor: Günter Burkart
Beitrag als PDFEinzelansichtChrista Gebel: Editorial
Im Jahr 1980 lief Robert van Ackerens und Erwin Kneihsls Film Deutschland privat – Eine Anthologie des Volksfilms in den Kinos. Es handelt sich dabei um einen Zusammenschnitt ausgewählter Super-8-Filme, die nach Angabe der Autoren von Filmamateuren stammen. Die Privatleute hatten sie ihnen in Reaktion auf entsprechende Zeitungsannoncen zur Verfügung gestellt. Die beiden Filmer seien überwältigt gewesen von der unerwarteten Menge des eingesandten Materials und der massenhaften bereitwilligen Überlassung zur Verwertung, hieß es damals. Das Projekt gab sich aufklärerisch und ethnografisch: Zu zeigen, was bei Hempels auf dem Sofa passiert und was diese selbst der Dokumentation für wert befinden, war im Prinzip das offizielle Anliegen. Letztlich bestand Deutschland privat aus einer Menge von Familienfest- und Urlaubs-, aber auch Sexfilmchen. Inwieweit hier private Realität dokumentiert oder absichtlich inszeniert wurde – etwa in der Tradition der pseudo-sexualsoziologischen Schulmädchen- und Hausfrauen-Reports der sechziger und siebziger Jahre – und ob der entstandene Kinofilm von ethnografischem Wert ist, wurde damals kräftig diskutiert. Sich qualifiziert an dieser Diskussion beteiligen zu können war für das anspruchsvollere Publikum Rechtfertigung genug für den Kauf einer Kinokarte. Den weniger Anspruchsvollen reichte die Aussicht, sich wahlweise über Spießigkeit und Geltungsdrang ihrer Landsleute zu amüsieren oder sich an der laienhaften Nachahmung professioneller Strip- und Peepshows zu delektieren.In Bezug auf die Veröffentlichung von Privatem nahmen Van Ackeren und Kneihsl vor dreißig Jahren das Prinzip YouTube bzw. YouPorn vorweg. Anders als bei Deutschland privat ist bei Video- und Fotoplattformen jedoch keine Redaktion mehr vorgeschaltet. Niemand trifft dort vorab eine Auswahl und entscheidet – nach welchen Kriterien auch immer –, was der Öffentlichkeit zugänglich sein soll. Die Macht haben zunächst allein diejenigen, die die Filme dort einstellen. Diese Freiheit hat ihren Preis. Niemand schützt die Einstellenden vor unangemessener Selbstentblößung oder unfreiwilliger Lächerlichkeit. Und keiner garantiert, dass sie sich bei etwaigen Enthüllungen auf das ‚Selbst’ beschränken und nicht etwa den Nachbarn, die Chefin, den Lehrer oder die Ex-Freundin bloßstellen.Aber auch eine Redaktion bietet keinen Schutz. Fernsehredaktionen forcieren, dass sich Privatpersonen oder B-Prominente in den sogenannten Reality-Formaten zu körperlichem und/oder seelischem Striptease hinreißen lassen bzw. entsprechend in Szene gesetzt werden. Gekoppelt wird das Ganze mit Leistungsanforderungen auf allen Ebenen: Menschen wie du und ich kämpfen gegen die berufliche, finanzielle, intellektuelle, künstlerische, ästhetische, körperliche, erotische, soziale emotionale oder erzieherische bundesweite Blamage oder nehmen Torturen und Schikanen auf sich. Die Bloßlegung der Makel geht so weit, dass besinnungslose Wutanfälle von Heranwachsenden und hilfloses Fehlverhalten von Eltern zuerst im Fernsehen gezeigt und später zur ständigen Verfügung auf Clipfish bereitgehalten werden. Von da werden sie in weitere Plattformen eingebunden und sind dort unter Stichworten wie „Rotzlöffel“ oder „Schlampe“ zu finden. Vermeintlich Bessererziehende garnieren die Clips mit hämischen Kommentaren der Preisklasse „Wenn das meiner wäre …“. Was es für die vorgeführten Kinder jetzt und später einmal bedeutet, dass ihre eigene Überforderung und die ihrer Eltern durch Die Super Nanny publik wird, scheint die Verantwortlichen nicht zu bekümmern, so lange sie mit der Befriedigung von sozialen Vergleichsbedürfnissen, Sensationslust und Voyeurismus Werbeeinnahmen sichern können. Selbst wer sich, einmal in die Falle gelaufen, gegen diese Form der Bloßstellung juristisch wehrt, bleibt durch die Berichterstattung über eben diesen Schritt erst recht für lange Zeit in den Medien präsent. Das Internet hält hier deutlich länger vor als die Tagespresse (und die entsprechenden Fundstellen werden an dieser Stelle absichtlich nicht belegt).Aber nicht nur im Hinblick auf die direkt Betroffenen stellt sich die Frage nach den Konsequenzen der Veröffentlichung von allzu Persönlichem. Auch im Hinblick auf die Orientierungsfunktion für die heranwachsende Generation ist die Frage berechtigt, wie weit die Grenze, die die Dinge des Lebens in privat und öffentlichkeitsfähig sortiert, durch vorgeblich realistische Medienbilder bereits durchlässig geworden ist. Ist es bereits ein Resultat der Talkshow-Kultur, dass Jugendliche auf ihren Profilen bei bloggospace verhandeln, was frühere Generationen nur ihrem Tagebuch anvertrauten oder maximal dem besten Freund bzw. der besten Freundin unter dem Siegel höchster Verschwiegenheit? Gehört es für heutige Jugendliche zum allgemeinen Leistungskanon sich auf Myspace wie ein Kandidat für Deutschland sucht den Superstar zu inszenieren oder wie eine Aspirantin für Germany’s Next Topmodel und dabei obendrein Individualität zu zeigen? Besonders augenfällig erscheint eine Grenzverschiebung in Bezug auf die sexuelle (Selbst-)Inszenierung der ‚Generation Web 2.0’. Hier kommt also zusätzlich die Frage der themenspezifischen Grenzverläufe und der Geschlechterstereotype ins Spiel.Dass sich Grenzen verschoben haben, lässt sich wohl auch daran ablesen, dass die zweite Folge von Deutschland privat, untertitelt mit Im Land der bunten Träume und im Jahr 2007 erschienen, keine nennenswerte öffentliche Diskussion mehr entfachte; zumal Van Ackeren dem Super-8-Heimkino treu blieb, das im Zeitalter der Digicam auch inhaltlich nur noch einen nostalgischen Rückblick auf das verspricht, was einstmals ein Tabubruch war. Andernfalls wären YouTube und YouPorn für das Publikum heute auch einfacher und billiger.Das vorliegende Heft geht das Phänomen der (Selbst-)Entblößung in den Medien aus zwei verschiedenen Perspektiven an und fokussiert anschließend auf unterschiedliche Medien und Erscheinungsformen: Hans-Dieter Kübler prüft, inwieweit sich Mediensozialisationsforschung und -pädagogik in Theoriebildung und Empirie dem Thema bisher angenommen haben. Er kommt zu dem Schluss, dass die Medien in den sich wechselseitig bedingenden Konstruktionen von Sozialisations- und Gesellschaftstheorien noch immer unzureichend mitgedacht werden. Günter Burkart tritt in den historischen Bezügen einige Schritte zurück und beschreibt aus soziologischer Perspektive die Veränderungen des Verhältnisses von Privatheit, Selbstthematisierung und Medien. Dabei wird deutlich, dass Privatheit und Selbstthematisierung Verwandte sind, die die Bühne der Medien gemeinsam betreten.Petra Grimm, die in der Studie Gewalt im Internet unter anderem das Phänomen des Cybermobbing untersuchte, gibt für merz Auskunft darüber, in welchen Fällen Jugendliche sich im Internet von anderen bloßgestellt fühlen und wie sie damit umgehen.Joan Kristin Bleicher führt durch das Panoptikum des Reality TV, das in der Inszenierung des Intimen und Privaten oberflächlich gesehen viele Themen berührt, in Bezug auf die Geschlechterpräsentation letztlich aber gerade kein vielfältiges Bild vermittelt, sondern längst ausgedient geglaubten Klischees huldigt.Caroline Roth-Ebner schließlich wirft am Beispiel der österreichischen Show Starmania einen sezierenden Blick auf die (Selbst-)Entblößung in Castingshows, wobei sie insbesondere die Rolle des Publikums und die Rezeption der Jugendlichen untersucht.Wie lautet Ihre Meinung zu (Selbst-)Entblößung und Bloßstellung in den Medien? Diskutieren Sie mit im merz-Forum auf www.merz-zeitschrift.de
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Autor: Christa Gebel
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spektrum
Danny Kringiel: Computerspiele ‚lesen’ lernen
Die öffentliche Debatte um digitale Spiele ist geprägt von Befürchtungen bezüglich schädlicher Erziehungseinflüsse auf Heranwachsende. Doch die daraus hervorgegangenen Verbote greifen zu kurz. Im Rahmen der hier vorgestellten Dissertation wurde ein Instrumentarium erarbeitet, das Kindern und Jugendlichen helfen soll, einen kritisch-hinterfragenden Blick auf die Darstellungsmittel von Computerspielen zu entwickeln und zu durchschauen, wie diese Spiele bei ihnen bestimmte Erlebnisse anstoßen.LiteraturBaacke, Dieter (2004). Medienkompetenz als zentrales Operationsfeld von Projekten. In: Bergmann, Susanne/Lauffer, Jürgen/Mikos, Lothar/Thiele, Günther/Wiedemann, Dieter (Hrsg.), Medienkompetenz. Modelle und Projekte. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung.Gunzenhäuser, Randi (2002). Raum, Zeit und Körper in Actionspielen. Max Payne. Online verfügbar unter: www.brown.edu/Research/dichtung-digital/2002/03-22-Gunzenhaeuser.htm [Zugriff: 01.02.2008].Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (Hrsg.) (2008). JIM 2008. Jugend, Information, (Multi-) Media. Basisstudie zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger in Deutschland. Online verfügbar unter: www.mpfs.de/fileadmin/JIM-pdf08/JIM-Studie_2008.pdf [Zugriff: 01.02.2008].Salen, Katie/Zimmerman, Eric (2004). Rules of Play. Game Design Fundamentals. London: MIT Press.
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Autor: Danny Kringiel
Beitrag als PDFEinzelansichtElisabeth Pries-Kümmel: Erste Literacy-Erfahrungen in der Kindheit
Der erste Umgang mit Büchern hat eine große Bedeutung für die weitere literarische und sprachliche Entwicklung von Kindern. Auf der Basis autobiografischer Texte Studierender werden in diesem Beitrag Schlüsse auf Vorlese- und Lesebedingungen in der Kindheit gezogen. Der Fokus liegt dabei auf der Gestaltung und Wirkung des Vorlesens und des Leseumfelds sowie auf der Bedeutung von Kinder- und Jugendbüchern und Märchen für die sprachliche Entfaltung von Kindern mit und ohne Migrationskontext.Literatur:Eggert, Hartmut/Garbe, Christine (2003). Literarische Sozialisation. 2. aktualisierte Auflage. Stuttgart: Metzler.Schön, Erich (1990). Erinnerungen von Lesern an ihre Kindheit und Jugend. In: Media Perspektiven 5/1990, S. 336-347.Schön, Erich (1991). Leseerfahrungen in Kindheit und Jugend. In: Bundesminister für Bildung und Wissenschaft (Hrsg.), In Sachen Leselust. Bonn, S. 116-137.Thiele, Jens/Steitz-Kallenbach, Jörg (2003). Handbuch Kinderliteratur: Grundwissen für Ausbildung und Praxis. Freiburg im Breisgau: Herder. Ulich, Michaela (2003). Literacy – sprachliche Bildung im Elementarbereich. In: kindergarten heute 3/2003, S. 6-18.
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Autor: Elisabeth Pries-Kümmel
Beitrag als PDFEinzelansichtNicola Marsden und Franziska Drescher: Lesemotivation und Tageszeitung
Die vorliegende Studie untersucht die faktorielle Struktur der Lesemotivation unter besonderer Berücksichtigung des Mediums Tageszeitung. Im Rahmen eines Projekts, welches Kindern das Lesen einer Tageszeitung in der Grundschule näher bringt, wurde bei Viertklässlern die allgemeine und spezifische Lesemotivation erhoben. Die Ergebnisse lassen sich dahingehend interpretieren, dass Grundschulkinder beim regelmäßigen und angeleiteten Lesen einer Tageszeitung dabei eine Freude um des Lesens selbst willen entwickeln. LiteraturMarsden, Nicola/Teegen, Ingo (2007). Effekte von medienpädagogischen Zeitungsprojekten. In: medien + erziehung, 3, S. 66-72.Marsden, Nicola/Teegen, Ingo (2006). Zur Nutzung des Mediums Tageszeitung bei Grundschülern. In: medien + erziehung, 2, S. 50-56.Möller, Jens/Bonerad, Eva-Marie (2007). Fragebogen zur habituellen Lesemotivation. In: Psychologie in Erziehung und Unterricht, 54(4), S. 259-267.Rager, Günther (2003). Jugendliche als Zeitungsleser: Lesehürden und Lösungsansätze. In: Media Perspektiven, 4, S. 180-186.Richter, Karin (2002). Zur Entwicklung von Lesemotivation bei Grundschülern. In: Bergsdorf, Wolfgang (Hrsg.), Herausforderungen der Bildungsgesellschaft. Weimar: Rhino. S. 115-154.Richter, Karin/Plath, Monika (2005). Lesemotivation in der Grundschule. Weinheim und München: Juventa.Schaffner, Ellen/Schiefele, Ulrich (2007). Auswirkungen habitueller Lesemotivation auf die situative Textrepräsentation. In: Psychologie in Erziehung und Unterricht, 54(4), S. 268-286.
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Autor: Nicola Marsden, Franziska Drescher
Beitrag als PDFEinzelansichtKatja Batzler: Chancen und Risiken von Medienprojekten in Ganztagsschulen
Seit 2004 gibt es in Rheinland-Pfalz Medien AGs an Ganztagsschulen. Dort lernen die Schülerinnen und Schüler, sich mit Medien auseinanderzusetzen, produzieren eigene Filme oder Radiosendungen von der ersten Drehbuch-Idee bis zum fertigen Produkt. Dabei wird ihnen nicht nur Medienkompetenz, sondern – und das auch und gerade an Förderschulen – auch soziale Kompetenz, Teamwork und ein Wissen sowie Umgang mit eigenen Stärken und Schwächen vermittelt.
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Autor: Katja Batzler
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medienreport
Keine Bildung ohne Medien!
Zentrale medienpädagogische Einrichtungen haben im Rahmen der internationalen Konferenz „Computer Games/Player/Games Culture“ in Magdeburg am 21. März 2009 ein Medienpädagogisches Manifest veröffentlicht. Sie fordern darin eine dauerhafte und nachhaltige Verankerung der Medienpädagogik in allen Bildungsbereichen.Die Verschmelzung der alten und der neuen Medien, ihre zeit- und ortsunabhängige Verfügbarkeit (Laptop und Handy) sowie der Zugriff zum Internet eröffnen den Menschen neue Lern- und Erfahrungsbereiche. Medien bieten Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung und zur kulturellen und gesellschaftlichen Teilhabe. Darüber hinaus liefern Medien wichtige Deutungsangebote, Identifikations-, Orientierungs- und Handlungsräume. Sie sind eine kontinuierlich verfügbare Ressource für Identitätskonstruktionen von Heranwachsenden. Gleichzeitig bringen sie auch neue Entwicklungs- und Sozialisationsprobleme sowie gesellschaftliche Risiken mit sich. Diese reichen von ethisch fragwürdigen Medienangeboten über soziale Benachteiligung bis hin zu fahrlässigen Formen des Umgangs mit (digitalen) Medien. Gerade der Umgang mit persönlichen Daten in der Internetkommunikation offenbart in letzter Zeit gravierende Fehlentwicklungen. Medienkompetentes Handeln setzt fundierte Kenntnisse über die verschiedenen Medien voraus: Kenntnisse über technische Grundlagen und ästhetische Formen, über die Bedingungen und Formen medialer Produktion und Verbreitung in der Gesellschaft, ein Bewusstsein für die kulturell-kommunikative, ökonomische und politische Bedeutung, die Medien in globalisierten Gesellschaften haben. Medienkompetenz zielt auf die Fähigkeit zur sinnvollen, reflektierten und verantwortungsbewussten Nutzung der Medien. Hierzu gehören unter anderem die Fähigkeit zu überlegter Auswahl, zum Verstehen und Interpretieren medialer Codes, zu einer reflektierten Verwendung von Medien in Freizeit, Schule und Beruf. Das aktive und kreative Gestalten mit Medien für Selbstausdruck, für die Artikulation eigener Themen, für Kontakt und Kommunikation ist ein weiterer, zentraler Bereich von Medienkompetenz. Schließlich fördert Medienpädagogik die Medienkritik, die sich sowohl auf die gesellschaftliche Medienentwicklung als auch die (selbstreflexive) Mediennutzung und die eigene Gestaltung mit Medien bezieht.Die Medienpädagogik hat in den beiden vergangenen Jahrzehnten beachtliche Fortschritte in Theorie, Forschung und Praxis erzielt. So konnte eine Reihe notwendiger, aber längst nicht hinreichender medienpädagogischer Fundamente geschaffen werden: Theoretische und empirische Arbeiten beleuchten die vielfältigen Dimensionen des Medienhandelns und die Bedeutung der Medien für Sozialisation und kulturelle Alltagspraktiken. Es gibt eine Fülle an hervorragenden medienpädagogischen Materialien für die Praxis, eine Vielzahl an überzeugenden Modellversuchen und eindrucksvollen Leuchtturmprojekten aber es fehlt an der erforderlichen Nachhaltigkeit. Es mangelt nach wie vor an der Infrastruktur und an den organisatorischen Rahmenbedingungen in den Bildungseinrichtungen sowie an der medienpädagogischen Qualifikation der pädagogischen Fachkräfte. Die sozialen und kulturellen Auswirkungen globalisierter Medienwelten und die Entwicklung der Gesellschaft zu einer allumfassenden Informations- und Mediengesellschaft fordern den gesamten Bildungsbereich und damit auch die Medienpädagogik auf neue Weise heraus. Notwendig ist eine umfassende Förderung der Medienpädagogik in Wissenschaft und Forschung sowie auf allen Ebenen der Erziehungs- und Bildungspraxis. Dies verlangt nicht nur programmatische Überlegungen sowie eine auf Jahre angelegte strategische Planung, sondern insbesondere auch personelle, infrastrukturelle und finanzielle Investitionen auf Länder- und Bundesebene. Dabei müssen alle Erziehungs- und Bildungsbereiche und deren Institutionen, aber auch die außerschulische Kinder- und Jugendarbeit, die berufliche Aus- und Fortbildung sowie Erwachsenen-, Familien- und Altenbildung berücksichtigt werden.Bildungspolitische Forderungen der Unterzeichnerinnen und Unterzeichner dieses ManifestsDie zentrale Aufgabe besteht heute darin, die Medienpädagogik von einer Phase der Modellprojekte und einzelnen Aktionen auf lokaler und regionaler Ebene zu einer Phase struktureller Veränderungen zu überführen. Punktuelle Maßnahmen und diverse Informations- und Beratungsangebote im Internet und in anderen Medien reichen längst nicht mehr aus. Bislang hat in der Breite gesehen die Medienpädagogik keinen festen Platz an Schulen und Hochschulen. In vielen Familien und pädagogischen Einrichtungen findet eine reflektierte Auseinandersetzung mit Medien kaum statt. Viele Eltern und Erziehende in allen pädagogischen Bereichen sind hinsichtlich ihrer medienerzieherischen Verantwortung unsicher. In dieser Situation ist es geboten, Medienpädagogik dauerhaft in allen Bildungsbereichen zu verankern. Mit besonderer Dringlichkeit stellen wir folgende Forderungen:- Damit alle Kinder und Jugendlichen die Chance erhalten, ihre Medienkompetenzen zu erweitern, müssen medienpädagogische Programme vor allem in den Einrichtungen der Elementarpädagogik sowie in der Jugend-, Familien- und Elternbildung verstärkt werden. - Im Schulalltag hat sich Medienpädagogik als Querschnittsaufgabe für alle Fächer bislang nicht durchgesetzt. In der aktuellen Diskussion zur Schulreform (z. B. Ganztagsschulen) müssen für alle Schulformen auch Bildungsstandards für Medienkompetenz vereinbart und entsprechende medienpädagogische Inhalte in Curricula verbindlich verankert werden. Dieser Prozess muss durch Evaluationsstudien und Programme zur Qualitätssicherung sowie durch nachhaltige Fortbildungsmaßnahmen für alle Lehrpersonen und pädagogischen Fachkräfte unterstützt werden.- Einen besonderen Schwerpunkt stellen pädagogische Angebote für Heranwachsende aus Migrationskontexten und bildungsbenachteiligten Milieus sowie Angebote zur geschlechtersensiblen Arbeit dar. Dafür müssen stärker als bisher die Einrichtungen der außerschulischen Kinder- und Jugendarbeit genutzt werden. Eine Intensivierung der Medienprojekte in diesem Bereich ist durch die Verbesserung der Infrastruktur und der personellen Ausstattung sowie durch kontinuierliche öffentliche Mittel zu sichern. Medienpädagogik ist im Kontext kultureller Bildung erheblich mehr zu fördern.- In der Ausbildung von Erzieher/innen, Lehrer/innen, Erwachsenenbildnern und Sozialpädagogen/innen ist generell eine medienpädagogische Grundbildung als verbindlicher Bestandteil der pädagogischen Ausbildung zu verankern. Daneben müssen spezifische medienpädagogische Ausbildungen in Form von Master-Studiengängen und als Wahlpflichtbereiche in anderen Studiengängen angeboten werden. Voraussetzung hierfür ist der erhebliche Ausbau medienpädagogischer Professuren und Lehrstühle mit Infrastruktur an den Hochschulen.- Während es zur quantitativen Mediennutzung diverse Studien gibt, mangelt es nach wie vor an tieferreichenden Untersuchungen, die die Mediennutzung in sozialen Kontexten differenziert und prozessbezogen analysieren, auch im Sinne von Grundlagenforschung. Notwendig ist vor allem eine deutliche Verstärkung der Mediensozialisationsforschung und der medienpädagogischen Begleit- und Praxisforschung.Unterzeichnerinnen und Unterzeichner des Manifests:Für den Vorstand der Kommission Medienpädagogik in der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft: Prof. Dr. Dorothee Meister, Prof. Dr. Heinz Moser, Prof. Dr. Horst Niesyto; www.dgfe.de/ueber/sektionen/sektion12/mp/index_htmlFür die Fachgruppe Medienpädagogik in der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft: Ulrike Wagner, Dr. Angela Tillmann; www. dgpuk.deFür den Vorstand der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur (GMK): Prof. Dr. Norbert Neuß, Dr. Dagmar Hoffmann, Prof. Dr. Bernward Hoffmann; www.gmk-net.de/Für den Vorstand des JFF – Jugend, Film, Fernsehen e. V.: Prof. Dr. Bernd Schorb, Prof. Dr. Rüdiger Funiok; www.jff.deFür das Hans-Bredow-Institut für Medienforschung: Prof. Dr. Uwe Hasebrink, Dr. Claudia Lampert; www.hans-bredow-institut.deEinrichtungen, die das Manifest unterstützen möchten, wenden sich bitte an eine der oben genannten Organisationen/Einrichtungen.Die Verfasserinnen und Verfasser des Medienpädagogischen Manifests regen eine Diskussion der dargestellten Positionen an. Gelegenheit dazu bietet sich im merz-Forum auf www.merz-zeitschrift.de
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Beitrag als PDFEinzelansichtMarkus Achatz: Grenzübertritte
Zahlreiche Filme im Programmbereich GENERATION auf den 59. Internationalen Filmfestspielen in Berlin konfrontierten ihre Protagonistinnen und Protagonisten unmittelbar mit den Härten des alltäglichen Lebens und mit schwerwiegenden Problemen. Dies galt für die Programmschiene des Kinderfilmfestivals Kplus genauso wie für die seit 2004 eingeführte Sparte 14plus mit einer Auswahl an Filmen, die sich an ein jugendliches Publikum richten. Die Beiträge in beiden Programmbereichen beeindruckten häufig dann besonders, wenn sie auf der Grenze ihrer Zugehörigkeit zur jeweiligen Rubrik lagen. Die GENERATION-Organisatoren der Berlinale beweisen durchaus Mut, indem sie Grenzgänger bezüglich des Zielpublikums ins Programm aufnehmen. Die Eignung der GENERATION-Filme für bestimmte Altersgruppen führt beinahe jedes Jahr zu Diskussionen. Immer wieder überrascht dabei die jährlich neu zusammengesetzte Kinderjury aus elf- bis 13-jährigen Berliner Schülerinnen und Schülern durch unkonventionelle und mutige Entscheidungen bei der Vergabe der Preise und beweist damit ihre Urteilsfähigkeit zum Programm. Auch im GENERATION-Programm der Berlinale 2009 wurden nicht nur die Heldinnen und Helden, sondern auch das Publikum mit Schicksalsschlägen, Emotionen, Leid und Krieg und in besonders glücklichen Fällen mit Empathie – für das Leben Heranwachsender konfrontiert. In Filmen, die von widrigen Bedingungen im Grenzgebiet zwischen Georgien und Abchasien, in ärmlichen Landgebieten Anatoliens oder der bedrückenden Einfamilienhaus-Siedlung an der Peripherie einer kanadischen Stadt der 1960er Jahre handeln.Grenzen der InnenweltIm Jahr 2009 ging der Gläserne Bär der Kinderjury für den besten Film an die kanadische Produktion C’est pas moi, je le jure! (Ich schwör’s, ich war’s nicht!), dessen Regisseur zwar betonte, den Film nicht für Kinder gemacht zu haben, der aber dennoch beeindruckt war von den Rückmeldungen des jungen Publikums. Auf seine Frage an die Kinder im Auditorium, ob sie denn glauben, der Film sei für sie geeignet, kamen sowohl „Ja“- als auch „Nein“-Rufe. Ein 13-jähriger Junge meldete sich und meinte, er würde den Film nicht für Kinder empfehlen, die jünger seien als er, aber er fand ihn gut. Unabhängig vom schwierigen Thema Altersempfehlung bieten Festivals dem Publikum (und nicht nur Kindern) die einzigartige Möglichkeit, über die Filme zu sprechen und Fragen zu stellen. Dies ist auch ein wichtiger Teil der Kultur auf der Berlinale und macht das Festival-Kino zu einem weitaus interaktiveren Medium als sonst möglich. Regisseur Philippe Falardeau stellte sich gerne den Fragen des Publikums und führte einen Dialog, der zu einer bereichernden Komponente seines Films wurde.„Mein Name ist Leon Doré, ich bin zehn Jahre alt und ganz bestimmt nicht normal.“ Gleich zu Beginn des Films hängt Leon mit der Schlinge um den Hals am Baum vor dem Haus seiner Eltern. Die Mutter schafft mit Mühen, Leon zu befreien, bevor er sich stranguliert. Es war nicht das erste und letzte Mal, dass Leon einen Selbstmordversuch startete. Er unternimmt vieles, um gegen die permanenten Streitereien seiner Eltern anzukommen, um auch auf sich aufmerksam zu machen. Vor allem aber, um zu verhindern, dass seine Mutter alleine nach Griechenland geht. Leons Bruder scheint alles viel leichter zu nehmen. Er ist älter als er und wütend über die Suizidambitionen des Jüngeren. Obwohl Leon als strategischen Schachzug sogar das Schlafzimmer in Brand setzt, kann er nicht verhindern, dass die Mutter die Familie verlässt. Sein Vater, sein Bruder und er müssen nun auf neue Art zurechtkommen und sich gegenseitig neu kennen lernen. Dem heimischen Ärger zu entkommen gelingt Leon am besten, wenn er heimlich in den Häusern der Nachbarfamilien herumstöbert und sich dadurch an deren vermeintlich heiler Welt rächt. Mit Lea ist vieles anders. Leon trifft sich regelmäßig mit ihr im Geheimversteck inmitten des Maisfelds. Sie ist ein bisschen rätselhaft und hat es in ihrem Leben auch nicht leicht. Sollten sie und er einmal ausbrechen aus dieser Welt – dann vielleicht zusammen. Als Leon Lea gesteht, dass er sie liebt, zuckt Lea mit den Schultern und meint nur: „Ich mich auch.“Die Antwort ist so überraschend wie Philippe Falardeaus Film manchmal unbequem ist. Man rechnet nicht damit und man möchte etwas anderes hören. Konsequent zeigt Falardeau die Welt aus Leons Sicht. Mit allen seinen Querdenkereien und seinem Drang, Dinge zu verstehen, die kompliziert sind. Die besondere Leistung liegt darin, dass der Film nicht deprimiert, sondern immer wieder mit humorvollen Szenen und Dialogen ein im Grunde tiefsinniges Thema aufzulockern versteht. Als erwachsener Zuseher staune ich auch im Nachhinein noch, wie der Film dies geschafft hat. Sicher auch durch Antoine L’Écuyer als ein Hauptdarsteller, der diese Gratwanderung auf hervorragende Weise mitträgt, der von stiller Melancholie, spontaner Freude bis zur tiefsten Verzweiflung in 110 Minuten beweist, wie komplex das Leben sein kann. Damit hat er auch die Gefühle der Kinderjury erreicht, die den Gläsernen Bären so begründet: „Wir haben uns für diesen Film entschieden, da er Komödie und Tragödie gut zusammenbringt. Es geht um einen Jungen, der mit vielen Tricks und originellen Ideen um die Liebe seiner Eltern und die eines Mädchens kämpft. Der junge Hauptdarsteller hat eine starke Ausstrahlung, so dass uns der Film von der ersten bis zur letzten Minute in seinen Bann zog.“ Der Große Preis des Kinderhilfswerkes, verliehen von einer erwachsenen Fachjury, ging ebenfalls an Ich schwör’s, ich war’s nicht!GrenzüberschreitungIn Leons Geschichte wird Leben und Tod vornehmlich in inneren Grenzgängen manifest. In Gagma Napiri (Das andere Ufer) erhalten reale Grenzübertritte inmitten des Krieges zwischen Georgien und Abchasien eine konkrete Bedeutung. Die georgisch-kasachische Koproduktion erzählt in düsteren, langsamen Bildern die Suche des zwölfjährigen Tedo nach seinem Vater. Als Tedo vier Jahre alt war, musste er wegen des Bürgerkriegs aus Abchasien nach Georgien fliehen. Sein Vater blieb damals zurück, weil er als Herzkranker den Strapazen der Flucht nicht gewachsen gewesen wäre. Sein trostloses Leben bestreitet Tedo mit Hilfsarbeiten und Kleindiebstählen. Das wenige Geld steckt er seiner Mutter zu, damit sie sich nicht weiterhin mit den fremden Männern einlassen muss. Die Aussichtslosigkeit treibt ihn an, das Land zu verlassen, um auf der anderen Seite – „am anderen Ufer“ – nach seinem Vater zu suchen. Obwohl ihn alle, die erfahren, dass er ernsthaft gehen wird, seltsam ansehen und fragen, ob er denn keine Angst habe, bleibt er bei seinem Beschluss. Ja, er hat Angst vor der Grenze, vor der Reise und vor den Abchasiern, aber es ist seine einzige Hoffnung.Auf seinem Weg durch Krisengebiete und Ruinen reisen Angst und Tod mit. Tedos Geschichte ist keine Kinderfilmgeschichte, kein Unterhaltungskino und dennoch sind es große Bilder von fernen Landschaften. Er begegnet verschiedenen Sprachen und unterschiedlichen Kulturen, von denen man lernt oder die unverständlich bleiben. Es ist nur zu erahnen, wie lange sich Feindschaften zwischen Völkern halten, wenn keine Lösung in Sicht ist. Durch den aufgeflammten Konflikt in der Region im Jahr 2008 erhielt der Film, dessen Dreharbeiten schon etwa drei Jahre zurücklagen, neue, bedrückende Aktualität. Gagma Napiri wandelt an der Grenze zum Dokumentarfilm. Die Reise des Jungen kommt teils mit sehr wenigen Dialogen aus, teils können sich die Personen gegenseitig nicht verstehen, denn es wird georgisch, russisch und abchasisch gesprochen. (Dem Kinopublikum helfen die Untertitel.) Außerdem hält sich Tedo an den Rat eines Bekannten, sich lieber stumm zu stellen, als sich als Georgier zu outen. Schließlich erreicht Tedo die Ruinen seines früheren Wohnorts Tkvarcheli. Die Kälte und Ödnis der Stadt wird nach der langen Reise des völlig übermüdeten Jungen durch einbrechenden Schneefall noch verstärkt.Regisseur George Ovashvili erzeugt in den Ruinen von Tkvarcheli beinahe poetische Szenen, die dem Lärm und der Gewalt auf Tedos Reise entgegenstehen. Die Stadt ist ein Symbol für die endgültig vergangene Kindheit Tedos, der aus den Resten der elterlichen Wohnung sein kaputtes Spielzeug herauszieht. Im Verlaufe der gesamten Geschichte kneift Tedo immer wieder fest seine Augen zusammen. Der Flüchtlingsjunge auf der Flucht: nichts hören, nichts sehen, nichts fühlen. Einzig dadurch kann er sich ungestört an frühere Zeiten erinnern oder an andere Orte träumen. In diesen Momenten erkennt man aber auch Hoffnung in Tedos Gesicht. Der Darsteller Tedo Bekhauri spielt dies mit beeindruckender Intensität. Im Anschluss an die Vorführung wurde der Schauspieler Tedo nach der schwierigsten Szene des Tedo im Film gefragt und antwortete mit einer späten Sequenz, in welcher der Junge von Rebellenkämpfern im Wald aufgegriffen wird und um sein Leben bangen muss. Er weint und schreit vor Angst bis er die Augen zukneift und alles ganz still wird.In seiner Konsequenz, Tedos Reise ganz und gar der Hauptfigur zu überlassen, die Inszenierung ganz in den Hintergrund treten zu lassen, erinnerte mich der Film an die Meisterwerke der polnischen Regisseurin Dorota Kedzierzawska. Geschichten wie Wrony (Krähen, 1994) oder Jestem (Ich bin, 2005) sind zwar nicht unmittelbar mit Gagma Napiri vergleichbar, weisen aber Parallelen in der Arbeit von Kamera und Licht auf, die für eine besondere Grundatmosphäre sorgen. Vor allem jedoch das beinahe bedingungslose ‚Sich-Einlassen’ auf die zentrale Figur und deren Erfahrungen haben die Filme gemeinsam. Leider wohl auch die Tatsache, dass es kaum Möglichkeiten geben wird Gagma Napiri ebenso wie Wrony oder Jestem ohne Weiteres wiederzusehen. Dazu sind sie zu wenig breitenkompatibel und zu unbequem. Filme, die ewig Grenzgänger bleiben.
Beitrag aus Heft »2009/02: Selbstentblößung und Bloßstellung in den Medien«
Autor: Markus Achatz
Beitrag als PDFEinzelansichtElisabeth Jäcklein: Mit einem vieräugigen Alien zu mehr Weltverständnis?!
„Wir sehen die Dinge nicht, wie sie sind, wir sehen sie so, wie wir sind“ prangt auf dem Deckel der monströsen, hellblauen Box. Daneben: step21 – Box [Weltbilder : Bilderwelten] und ein Bild von einem grinsenden, vieräugigen Alien. Nein, die Box ist keine Post aus anderen Galaxien und auch kein Esoterik-Kit für Anfänger. Stattdessen verbirgt sich hinter der bunten Verpackung Lehrmaterial für die Grundschule in Hülle und Fülle.Es ist bereits die zweite „Lernbox“, die step21, die „Initiative für Toleranz und Verantwortung“, diesmal mit Förderung durch die Nordmetall Stiftung, die Robert Bosch Stiftung und Ein Herz für Kinder, herausgegeben hat. Nachdem die erste Box sich an ältere Adressatinnen und Adressaten im Jugendalter richtete und ‚Identität’ zu ihrem großen Thema gemacht hatte, dreht sich nun alles um Weltbilder und Bilderwelten. Konkret bedeutet das: Die Box will Grundschullehrerinnen und -lehrer dabei unterstützen, ihren sieben- bis zehnjährigen Schützlingen Medienkompetenz und interkulturelle Kompetenz nahezubringen. Dazu bietet sie nicht nur Ideen und Hintergrundinformationen, sondern auch komplett ausgearbeitete Stundenentwürfe, Druckvorlagen für Arbeitsblätter, Bilder und Karten, ausgiebig Overheadfolien, Arbeitshefte im Klassensatz sowie drei CDs bzw. DVDs mit Bildern, Filmen, Hörspielen und Software zur Unterrichtsgestaltung. Die reinste Schatzkiste also.Inhaltlich sind die Materialien recht übersichtlich und sinnvoll aufgebaut: Acht verschiedene ‚Lerneinheiten’ fordern die Benutzerinnen und Benutzer auf, sich „zu Hause“, „in meinem Zimmer“, „auf der Straße“, „in der Schule“, „in der Kirche, Moschee & Synagoge“, „im Museum“, „im Einkaufscenter“ und „auf dem Bahnhof“ mit Medien, Bildern und Kulturen auseinanderzusetzen. Dabei gibt es zu jeder Einheit wiederum verschiedene einzelne Themen. ‚Zu Hause’ beispielsweise findet man Familiensituationen und Familienbilder – im wörtlichen und übertragenen Sinn – vor, beschäftigt sich mit Esskultur in Deutschland und anderswo, bekommt einen Einblick in Entstehung, Aufbau und Wirkung von Fernseh(-bildern) und Zeitungen. Zu jedem dieser Themen lassen sich aus der Kiste die verschiedensten Unterrichtsmaterialien zaubern – von Bildern, Folien, Hörspielen oder Filmen zum Einstieg über Spielideen bis hin zu anspruchsvollen Projekten, in denen die Kinder sich selbständig und über einen längeren Zeitraum mit Medienbildern oder Kulturen auseinandersetzen. Dabei sind die Lehrerhefte stimmig aufgebaut und alle Materialien farblich sortiert und mit Verweisen versehen, so dass aus der opulenten Fülle an Material immer das richtige für jede Lerneinheit problemlos gefunden werden kann. In den Schülerheften begleiten das nette Alien Tiro und sein lilaner Freund Flecki die Kinder durch den Bilder- und Kulturendschungel. Und wem die unendlichen Möglichkeiten im Lernkoffer immer noch nicht ausreichen, der findet unter www.step21box.de das passende weiterführende Angebot zur Box, wo es noch mehr Materialien gibt und man zusätzlich Ergebnisse einstellen, sich mit anderen Klassen vernetzen und sich weiter informieren kann.Alles in allem dürfte die Box, die es online auf www.step21.de zu bestellen gibt, also die meisten Lehrerherzen höher schlagen lassen, bietet sie doch schön und kindgerecht gestaltetes und gut ausgearbeitetes Unterrichtsmaterial, ist ansprechend und interessant aufgebaut und überzeugt mit guten Ideen und wirklich viel Inhalt. Über die stolze Schutzgebühr von 137 €, die nur Schulen in Schlesweig-Holstein, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern erspart bleibt, könnte man in Anbetracht dessen sogar hinwegsehen. Weniger angenehm ist allerdings, dass den Machern nach dutzenden Arbeitsblättern und Folien leider die Puste ausgegangen zu sein scheint – das würde zumindest erklären, warum die Video- und Hörspiel-CDs die sonst so angenehm übersichtliche Sortierung gänzlich vermissen lassen und ihren Inhalt unbenannt und unsortiert präsentieren, oder warum die Hörspiel-Software lediglich in einem Verweis auf den Internet-Auftritt besteht. Auch erschließt sich die Themenkombination Weltbilder : Bilderwelten nicht unbedingt selbstredend. So schön das Wortspiel auch sein mag – man fragt sich bisweilen, warum ausgerechnet Medienkompetenz und interkulturelle Kompetenz in eine Lernbox zusammengewurstet werden mussten. Essmanieren in verschiedenen Kulturen etwa haben mit Medien herzlich wenig zu tun und der Zusammenhang zwischen der Arbeit eines Zeitungskioskverkäufers und seinem Migrationshintergrund wirkt auch etwas geschraubt und stereotyp. Vielleicht hätte eine Aufteilung der beiden Themen auf zwei Boxen den quantitativen Umfang jeder einzelnen etwas verringert – aber der inhaltlichen Klarheit des Themas doch einen Gefallen getan. Die hier vorhandene Masse an Vorschlägen lässt sich ohnehin zeitlich kaum im Unterricht unterbringen: Beim Versuch, die Box auch nur annähernd mit einer Klasse durchzuarbeiten, müssten wohl andere Lehrplaninhalte wie das Alphabet und das kleine Einmaleins dran glauben.Dennoch ist die Box alles in allem eine gute Bereicherung für jeden Unterricht und sicher ein guter Schritt, Welt und Medien ein bisschen mehr so zu sehen, „wie sie sind.“
Beitrag aus Heft »2009/02: Selbstentblößung und Bloßstellung in den Medien«
Autor: Elisabeth Jäcklein-Kreis
Beitrag als PDFEinzelansichtMarkus Achatz: Kino aus China
In den verschiedenen Sektionen der Berliner Filmfestspiele 2009 ragten Filme aus Taiwan, Hongkong, China heraus, die sich stärker dem Alltag zuwenden. Fragen nach Freundschaft, Verständnis, Liebe und Sexualität werden direkter angesprochen denn je und zeigen auf mal vertraute, mal fesselnde und mal berührende Art, dass dieses Thema keine Grenzen kennt und junge Menschen überall auf der Welt versuchen, ihr Glück zu finden.Zum Beispiel im Programm von GENERATION 14 plus der Film Miao Miao des taiwanesischen Regie-Talents Cheng Hsiao-Tse. Die zurückhaltende Japanerin Miao Miao kommt als Austauschschülerin nach Taipeh. Durch die aufgekratzte Ai findet sie Anschluss in der Schule und für beide ist es eine rosarote Zeit. Sie halten Händchen, backen Törtchen und ziehen durch die Stadt. Dabei entgeht Miao Miao, wie sehr Ai sie mag und sich zunehmend zur neuen Klassenkameradin hingezogen fühlt. Miao Miao ist hingegen vom in sich gekehrten CD-Händler Chen Fei fasziniert. Die beiden Mädchen tauchen ständig in dessen obskurem CD-Laden auf. Chen Fei ist über zwanzig und damit älter als die Mädchen. Er scheint nur mit sich selbst beschäftigt und kommuniziert kaum mit seinen Kunden. Miao Miao findet schließlich heraus, dass aus seinen Kopfhörern gar keine Musik kommt. Doch hinter dieser Tatsache verbirgt sich ein weiteres Geheimnis um den ehemaligen Rockmusiker Chen Fei.Der Regisseur Cheng Hsiao-Tse beschäftigt sich sehr intensiv mit den wenigen Figuren seiner Geschichte. Der Film wird streckenweise zu einem Kammerspiel, in dem es um Sehnsucht, Liebe und die damit verbundenen Rätsel geht. Obwohl Ai und Miao Miao beste Freundinnen sind, wird nicht alles ausgesprochen. Auch Chen Fei ist nicht in der Lage mit irgendjemandem über seine Emotionen zu sprechen. Das Spielfilmdebut Miao Miao gibt lohnende Einblicke in den Alltag und die Konventionen des heutigen Taipeh. Gleichzeitig erzeugt der Film durch den intensiven Zugang zu den Gefühlen seiner Protagonisten einen beinahe weltumspannenden Effekt, der die Bedeutung von Freundschaft und Liebe auf alle Kontinente übertragbar zeigt. Symbolisiert wird dies in der Schlusssequenz, wenn Ai dem startenden Flugzeug hinterhersieht, in dem sich Miao Miao befindet – nicht wissend, wie stark Ais Gefühle für sie in Wirklichkeit sind.Neben Ko Chia Yen als Miao Miao spielt Sandrine Pinna als Ai eine gleichwertige Hauptrolle. Die Taiwanesin mit europäischen Wurzeln übernahm auch den Main-Part in Yang Yang (Taiwan 2009).Yang Yang war im PANORAMA der diesjährigen Berlinale zu sehen und ist der zweite Film des 1977 geborenen Regisseurs Cheng Yu-Chieh, der für sein Debüt Yi Nian Zhi Chu (Do Over) in seiner Heimat mehrere Preise gewinnen konnte. Yang Yang und Xiao-Ru sind um die zwanzig und bereits gute Freundinnen als Yang Yangs Mutter und Xiao-Rus Vater heiraten. Die beiden werden somit Schwestern und der Vater trainiert die Mädchen an der Schule als Leichtathletiktrainer. Nicht nur die Konkurrenz im Sport stellt die Freundschaft der Mädchen auf eine Probe. Als sich Xiao-Rus Freund Shawn und Yang Yang ineinander verlieben, bricht nicht nur eine Freundschaft, sondern auch die Familie auseinander. Yang Yang, deren leiblicher Vater Franzose ist, zieht mit Unterstützung des Modeagenten Ming-Ren nach Taipeh. Durch ihre eurasische Herkunft ergeben sich Chancen als Model und Schauspielerin. Doch muss sie erst viel über dieses Business lernen und Ming-Ren wird zu ihrem treuen Berater und Begleiter. Auch wenn der Film in der zweiten Hälfte einige dramaturgische Schwächen aufweist, hält er sich eng in der Perspektive der Hauptfiguren und macht deutlich, wie schwer es sein kann, den eigenen Gefühlen zu vertrauen und das Handeln der anderen zu verstehen.Diesen beiden Produktionen sowie weiteren Asia-Filmen der Berlinale – zum Beispiel Dongbei Dongbei (A Northern Chinese Girl, China 2009) oder Claustrophobia (Hongkong, China 2008) – ist gemeinsam, dass sich ihre Regisseure stark darauf fokussieren, eine überschaubare Geschichte zu erzählen, die sich für ihre Protagonistinnen und Protagonisten Zeit nimmt. Die Figuren bleiben dabei niemals eindimensional, sondern entwickeln sich im Laufe der Geschichten weiter. Die Storys schlagen keine unnötigen Haken und verzichten gänzlich darauf, unnötige Effekte und Actionelemente einzusetzen. Das Kino der authentischen Gefühle kommt derzeit aus Fernost.
Beitrag aus Heft »2009/02: Selbstentblößung und Bloßstellung in den Medien«
Autor: Markus Achatz
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publikationen
Tintenherz. NintendoDS-Spiel. Nach der Buchvorlage von Cornelia Funke. Berlin: Tivola, 2008, 39,99 €
In der Fiktion ist es ohne Weiteres möglich, von einer Welt in die andere zu wechseln. In der Wirklichkeit schaffen wir bis anhin nur den mentalen und emotionalen Transfer. So sorgen spannende Abenteuer für intensiven Lese- oder Filmgenuss und lassen Lesende wie Zuschauerinnen und Zuschauer in eine Geschichte eintauchen und das Hier und Jetzt für eine Weile vergessen. Solche Immersionserlebnisse faszinieren besonders in virtuellen Umgebungen und Computerspielen. Die Möglichkeit, Figuren und Handlung einer Geschichte direkt zu beeinflussen oder selbst in Gestalt eines Avatars auf der anderen Seite des Bildschirms durch imaginäre Welten zu wandeln, erweitert den herkömmlichen Rezeptionsprozess um aktive und kreative Komponenten. In der Tintenwelt-Trilogie von Cornelia Funke dreht sich fast alles um das Phänomen des Wirklichkeitstransfers. Das Eintauchen in die Welt der Fiktion wird in ihrer Geschichte sogar Realität. Buchbinder Mo und seine Tochter Meggie verfügen nämlich über die außergewöhnliche Gabe, Charaktere oder Gegenstände aus Büchern „herauszulesen“ und anwesende Personen in der düsteren Tintenwelt verschwinden zu lassen. In der Folge gerät in beiden Welten einiges durcheinander. Bösewichter aus einem mittelalterlich anmutenden Fantasy-Reich treiben plötzlich in unserer modernen Wirklichkeit ihr Unwesen und trachten danach, hier ebenfalls die Herrschaft zu übernehmen. Da neben einem begnadeten Vorleser auch das Buch Tintenherz als Fahrkarte vonnöten ist, wird der Roman im Roman für beide Lager zum begehrten Objekt. Das Konsolenspiel für den NintendoDS basiert vorwiegend auf der Verfilmung des Romans und besticht durch eine hervorragende Grafik. In der Hand der Spielerinnen und Spieler verwandelt sich die Konsole gleichsam selbst in ein elektronisches Buch. Auf dem linken Bildschirm erscheinen jeweils Texte und Figurenporträts, während man rechts auf dem Touchscreen die Handlung steuert, Dialogzeilen auswählt und in die Rolle verschiedener Figuren schlüpft. Beispielsweise muss man sich durch eine rasante Schlittenfahrt in Sicherheit bringen, in verschiedenen Räumen nach Büchern oder hilfreichen Gegenständen suchen, Rätsel lösen und sich schließlich in Capricorns Dorflabyrinth an gefährlichen Wachtposten vorbeischleichen und im Wettlauf mit der Zeit Brandherde legen, um die Schwarzmäntel abzulenken. Die bewältigten Minispiele erscheinen anschließend in einer Spielekiste und können unabhängig vom Abenteuer gespielt werden. Neben Geschicklichkeit und Reaktionsvermögen sind auch immer wieder Einfallsreichtum und Kombinationsgabe gefragt. In den Dialogen mit verschiedenen Figuren erhält man Lösungshinweise und kann das kleine Action-Adventure mit Ausdauer und Geduld nach mehreren Spielstunden zu einem glücklichen Ende führen. Vorerst wenigstens, denn mit den Romanen Tintenblut und Tintentod geht die Geschichte ja weiter vermutlich auch als Fortsetzung auf der Kinoleinwand und mit neuen digitalen Spielen im Medienverbund.
Beitrag aus Heft »2009/02: Selbstentblößung und Bloßstellung in den Medien«
Beitrag als PDFEinzelansichtErtelt, Jürgen/Röll, Franz Josef (Hg) (2008). Web 2.0 - Jugend online als pädagogische Herausforderung. München: kopaed. 280 S., 18,80 €
Alt kommt es einem mittlerweile vor, das Web 2.0. Und doch ist es noch nicht einmal drei Jahre her, seit die Organisatoren des Bundesjugendportals netzcheckers den Begriff auf einer Tagung in Berlin in die deutsche Medienpädagogik eingeführt haben. Viele Veröffentlichungen gibt es seither zum Web 2.0. Jetzt ist – mit Verspätung – das Buch im Nachgang zur Tagung erschienen. Es versammelt nicht nur Beiträge der Tagung, sondern greift darüber hinaus auch Themen auf, die in der Zwischenzeit in ihrer Relevanz sichtbar geworden sind. Einige dieser Themen weisen auf zukünftige Aufgaben der Medienpädagogik: die diversen mobilen End-, Kommunikations- und Spielgeräte, die sich mittlerweile des Internets bedienen, und der problematische Datenschutz in Onlinecommunitys mitsamt dem mangelnden Bewusstsein der Nutzenden für die Schutzwürdigkeit der eigenen Online-Identität. Etwa ein Drittel der Beiträge des Buchs beleuchten die Techniken des Web 2.0 und bieten insbesondere für Einsteiger in das Thema eine Fülle nützlicher Grundlageninformationen zu Anwendungsmöglichkeiten, interessanten Quellen und Beispielen. Darunter sind zwei Beiträge von Jörg Kantel, dem Autor des Schockwellenreiter-Blogs: über die technischen Grundlagen des Web 2.0 und die Vision eines lokalen Internet-TV. Dieser konzentriert sich allerdings auf Videoformate und lässt die rechtlichen und organisatorischen Aspekte beiseite. Raphael Kurz berichtet über Open Source und Web 2.0, Christian Hermann über Podcast und Daniel Poli über Bewegtbild im Internet. Die Möglichkeiten des Web 2.0 für pädagogische Arbeit bilden einen weiteren Schwerpunkt des Buchs. Der Jugendserver Niedersachsen und einige damit verbundene Projekte stehen im Beitrag von Reichmann und Walpuski im Vordergrund. Franz Josef Röll bezieht in zwei Beiträgen Wikis bzw. Blogs auf lerntheoretische Konstrukte. Selbststeuerung, kooperatives Lernen, Vernetzung und multimedialer Ausdruck, Informations-, Beziehungs-, Identitäts- und Wissensmanagement sind die Eckpunkte der konstruktivistischen Mediendidaktik – die Affinität zu den Organisationsprinzipien des Web 2.0 liegt auf der Hand. Verena Ketter informiert über eigene Erfahrungen in einer Reihe von Projekten, in denen verteilt mit Jugendgruppen mit Weblogs gearbeitet wurde. Michael Lange lotet die pädagogischen Möglichkeiten von Second Life aus. Und wer nicht weiß, was Machinima sind, wird im Beitrag von Kirsten Mascher aufgeklärt. In all diesen Beiträgen dominiert eher die Praxisanregung, es gibt eine Vielzahl von Linktipps und methodischen Hinweisen für die eigene medienpädagogische Praxis.Die Kombination mobiler Dienste mit dem Internet wird von zwei weiteren Beiträgen ausgeleuchtet: Sowohl Arnfried Bökers Beitrag über die Onlinemöglichkeiten mit dem Handy als auch Daniel Seitz’ Ausführungen über Geocaching überzeugen durch ihre Frische. Beide Autoren experimentieren mit den kreativen Potenzialen, die mobile Endgeräte in Verbindung mit dem Internet bieten, stellen Projektbeispiele und viele anregende Projektideen vor. Rölls theoretischer Beitrag über die „Stärke schwacher Beziehungen“, in dem er Granovetters Konstrukt auf die Social Communitys bezieht, ist ein diskussionswürdiger Ansatz zur Entwicklung eines Rahmenmodells, um das Engagement jugendlicher Mediennutzerinnen und -nutzer in den Communitys nachzuvollziehen.Die Tatsache, dass hinter den vielen kostenlosen Communtys des Web 2.0 handfeste kommerzielle Interessen stehen und dass in diesen Portalen massenhaft der Datenschutz missachtet wird, um sich gewinnbringend die Rechte an dem hochwertigen User Generated Content und den Persönlichkeitsdaten der Nutzenden zu sichern, wird von Jürgen Ertelt, Wolfgang Schindler und Anne Riechert thematisiert. Sie greifen in ihren Beiträgen Aspekte von Kommerz, staatlicher Datensammelwut und Persönlichkeitsrechten auf. Personalisierte Werbung, neue Mashups von Internet und mobilen Spielgeräten, die auf nicht mehr durchschaubare Weise hinter dem Rücken nichtsahnender Nutzerinnen und Nutzer Daten austauschen, sind die Aspekte in der negativen Utopie von Martin Pinkerneil: „Das textbasierte Web, so wie wir es in den letzten 15 Jahren kennen gelernt haben, wird nicht verschwinden, sondern braucht neue Auffahrten, sonst wird aus dem Information-Highway eine virtuelle Bowling-Bahn.“ (S. 248)Die Stärke vieler Beiträge im Buch von Ertelt und Röll liegt in einer Fülle von Anregungen für eigene Surftouren und auch eigene medienpädagogische Praxisprojekte. Es überwiegt die Euphorie über die neuen Möglichkeiten des Web 2.0. Schwierigere Aspekte der medienpädagogischen Arbeit mit dem Web 2.0 geraten angesichts der Begeisterung eher zu kurz, als da wären: die überwiegend rezeptive Nutzung gegenüber der aktiven Erstellung eigener Inhalte, die Eignung für die Partizipation bildungsferner Jugendlicher, Prozesse sozialer Ausgrenzung in Internetcommunitys und Fragen des Jugendschutzes. Auch die große Aufgabe der Medienkritik in der pädagogischen Arbeit – anknüpfend an Fragen zum Daten- und Persönlichkeitsschutz, die Themen Informationsmonopol, Open Source und Open Content – kommt zu kurz. Und letztlich hätte ich mir mehr konkrete Erfahrungsberichte aus dem Betrieb des Portals netzcheckers gewünscht, denn dort sind, wie viele Quellen im Internet zeigen, diese Themen durchaus präsent.
Beitrag aus Heft »2009/02: Selbstentblößung und Bloßstellung in den Medien«
Beitrag als PDFEinzelansichtWelling, Stefan (2008). Computerpraxis Jugendlicher und medienpädagogisches Handeln. München: kopaed. 324 S., 19,80 €
„Ich guck halt immer die Websites von den Bands an, die ich gut finde und all so was und auch Sachen für die Schule halt viel machen (.) auch mal so, wenn, nicht unbedingt, wenn ich ’ne Aufgabe gekriegt hab, auch so, weil ich mach ja, ich will ja jetzt Erzieherin werden und halt, mich darüber informieren und über mein Haustier, ich hab ’ne Ratte, da informier’ ich mich auch manchmal und all so was“, antwortet die 16-jährige Petra auf die Frage, was sie am Computer im Jugendzentrum mache (S. 185). Früher hat Petra viel gechattet, doch seit ihre Berufsperspektive klarer ist, hat sich ihre Computermedienpraxis verändert. Eine Geschichte von rund 40 Jugendlichen aus dem Buch von Stefan Welling. Den Autor interessiert die Bedeutung der medienpädagogischen Arbeit mit Computern im Lauf der biografischen Entwicklung von Jugendlichen und speziell in Jugendzentren. In acht Jugendzentren einer norddeutschen Stadt wurden 18 Gruppendiskussionen mit Jugendlichen und Pädagoginnen und Pädagogen geführt. Zwei Fragen leiten die Arbeit: Erstens die Frage nach den jugendlichen Computermedienpraxen vor dem Hintergrund von Milieu und Habitus; zweitens die Frage, welche Bedeutung Computer in der Interaktion zwischen Sozialarbeitern und Jugendlichen haben (S. 11 f.) und ob diese intergenerativen Interaktionen medienbildende Bedeutung haben (S. 65).Im umfangreichen empirischen Teil der Arbeit komprimiert Welling die Gruppendiskussionen zu Fallgeschichten mit der Intention einer „detaillierten Rekonstruktion alltäglicher Handlungspraxen bildungsferner Jugendlicher unter besonderer Berücksichtigung der Computermedienpraxen und der diese Praxen begründenden biografischen Orientierungen“ (S. 83). Eines der Jugendhäuser ist Überstadt. Das Haus wird vor allem von Jugendlichen mit Migrationshintergrund als Treffpunkt genutzt, als „Gelegenheitsstruktur“ mit „ausgeprägte(r) Orientierung an spontanen, episodischen und stark körperlich-aktionistisch überformtem Handeln“ (S. 127). Fussball und Tanzen einerseits und das „monologische“ Arbeiten oder Spielen am Computer anderseits stehen aber in einem Widerspruch, allenfalls das Chatten kommt der aktionistischen Praxis entgegen. Es fehlt den Jugendlichen ein berufsbiografischer Orientierungsrahmen. Die Mädchen etwa würden gern etwas lernen, wissen aber nicht, was relevant sein könnte. Die anfangs zitierte Petra gehört zu den eher bildungserfolgreichen Jugendlichen in Ballenberg. Nach einer Phase der Re-Orientierung interessiert sie sich nun für „Sachen, die halt das Leben irgendwie beeinflussen“ (S. 187). Dennoch dominiert auch hier das Jugendzentrum als Möglichkeit zur Gestaltung von Räumen gegenüber den Inhalten der Angebote (S. 187). In drei Fallgeschichten geht Welling der Frage nach den medienpädagogischen Möglichkeiten der Jugendarbeiterinnen und -arbeiter nach. Sie bemühen sich, Anknüpfungspunkte an die Interessen und Bedürfnisse der Jugendlichen zu finden und die Computernutzung in den zweckrationalen Orientierungsrahmen als Arbeitsgerät zu überführen, als einen „positiven Gegenhorizont zur (…) unterhaltend orientierten Nutzung des Mediums“ (S. 226). Dies fällt allerdings aus verschiedenen Gründen schwer, aus Zeit- und Geldmangel sowie aufgrund der schwer herzustellenden Verbindlichkeit (S. 217 ff.), die sich insbesondere bei bildungsferneren Jugendlichen negativ darauf auswirkt, Anschlüsse zu bildungsbiografischen Handlungpraxen zu finden (S. 236). Das „Irritationspotenzial“ (S. 243) der Computerpraxen der Jugendlichen und die Differenzerfahrungen sind es, die die Pädagoginnen und Pädagogen schließlich dazu führen anzuerkennen, dass es notwendig ist, den biografischen Orientierungen der Jugendlichen Rechnung zu tragen. Jugendliche wollen „etwas Direktes“ oder „Nahes“ miteinander (S. 250), eine kollektive Praxis im Umgang mit Medien, die anschlussfähig zum situativ-aktionistischen Handeln und dem Wunsch nach gemeinsam gestaltbaren Räumen ist. Perspektivübernahme, persönliche Beziehung und das Interesse aneinander (S. 251) spielen für die produktive Bewältigung der intergenerativen pädagogischen Praxis im Jugendzentrum die zentrale Rolle. Das konsequente Eintauchen in die Bezugssysteme der Peergruppen und eine Fülle von Detailerfahrungen machen die Arbeit anspruchsvoll zu lesen. Dass die Medienpraxen sich kollektiv entwickeln, wird deutlich. Unklar bleibt jedoch, welche Bedeutung entwicklungstypische Orientierungen, Bildungsbenachteiligung und pädagogische Angebote haben. Ob und wie die Medienkompetenz der Pädagoginnen und Pädagogen und ihr Bemühen um Anschlüsse Pfade zu bildungsbiografischen Perspektiven eröffnen können, bleibt fraglich. Welling liefert weder schnelle Antworten, wie man Computer in Jugendzentren einsetzen kann, noch Rezepte, wie bildungsferne Jugendliche mit Computern in außerschulischen Handlungsfeldern an Bildungsprozesse herangeführt werden können. Bei mir bleiben vor allem drei dominierende Aussagen zurück: (1.) wird die Computernutzung der Jugendlichen entwicklungsperspektivisch vor allem dann funktional, wenn sich die bildungsbiografischen Perspektiven positiv verändern, (2.) sind Computer aus der Perspektive der Jugendlichen unter allen sozialpädagogischen Maßnahmen von nachrangiger Bedeutung, und (3.) agieren Sozialarbeiter und Jugendliche in sehr verschiedenen medialen „Orientierungsrahmen“. Die Brücke bildet das Bemühen um Respekt, Beziehung und Verstehen.
Beitrag aus Heft »2009/02: Selbstentblößung und Bloßstellung in den Medien«
Beitrag als PDFEinzelansichtBlaschitz, Edith/Seibt, Martin (Hrsg.) (2008). Medienbildung in Österreich. Historische und aktuelle Entwicklungen, theoretische Positionen und Medienpraxis. LIT Verlag, Wien 2008. 472 S., 29,90 €
Angesichts des grenzüberschreitenden Charakters der Medien und deren Nutzung innerhalb des gleichen Sprachraums mag es zunächst etwas ungewöhnlich erscheinen, die Darstellung der Fachdiszipin Medienpädagogik/Medienbildung „national“ einzugrenzen. Auf einen zweiten Blick macht indes eine solche Beschränkung Sinn. Eine Auslegeordnung gestattet allen involvierten Akteuren, Einblick zu nehmen in das, was Andere tun, respektive in das, „was sich im Lande tut.“ Gleichzeitig wird breit Gelegenheit eingeräumt, die jeweils eigenen Leistungen publik zu machen. Solche und ähnliche Überlegungen mögen Edith Blaschitz und Martin Seibt, die den Band herausgeben und beide mit einem aufschlussreichen Beitrag vertreten sind, ursprünglich bewogen haben, 2006 zu einer Tagung „Be aware of the media“ einzuladen.Durch diese reichhaltige Sammlung von im Ganzen 42 „mediendidaktischen, medienemanzipatorischen, medientheoretischen, medienanalytischen und medienerzieherischen Themen“ aus dem einen Einzugsgebiet Österreich wird zudem deutlich gemacht, dass es zur Ermöglichung und Förderung solcher Aktivitäten einer gouvernementalen Schirmherrschaft bedarf, wie sie in Österreich seit 1963 in ministeriellen Grundsatzerlässen zur Medienerziehung zum Ausdruck kommt und mit der offiziellen Zeitschrift medienimpulse nachhaltig begleitet wird – hier gilt es insbesondere, die Verdienste von Susanne Krucsay, der langjährigen Leiterin der Abteilung Medienpädagogik und Bildungsmedien im Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur (aber auch ihres Vorgängers Walter Heginger), hervorzuheben – entsprechend umfassend und grundlegend ist denn auch ihr Beitrag in diesem Sammelband.Als zusätzlich interessant erweist sich der Band Medienbildung in Österreich gerade auch im Hinblick auf die besagten Erlasse des Bundesministeriums: Indem darin Medienerziehung als Unterrichtsprinzip und nicht mit verbindlichen curricularen Inhalten festgeschrieben ist, wurde die ganze Breite medienpädagogischer Auseinandersetzungen erst ermöglicht – zum Preis allerdings eines Verzichts auf eine einheitliche Implementierung.Nun wird die „Landschaft der Medienbildung“ im Beitrag von Thomas A. Bauer, in Berücksichtigung des Diktums von Österreich als dem „Land der Berge“ (visualisiert übrigens durch das Cover, das eine touristisch bekannte verschneite Berglandschaft darstellt), als eine recht zerklüftete Topografie beschrieben:„Österreichs Medienbildungslandschaft hat – genau seiner Berge wegen – viele Täler, viele Klüfte, mühsam kultivierte Landflächen dazwischen ... Eine solche Topografie – von innen betrachtet – trennt Regionen voneinander, isoliert Aktionsräume, schafft aber auch autogene Klima- und begünstigt die Bildung autochthoner Kulturzonen.“Wie könnte man bei diesem bildhaften Hinweis auf die durch geografische Faktoren bedingte Vielfalt im gegenwärtig laufenden Gedenkjahr nicht an Darwins „Entstehung der Arten“ denken, einerseits als Begründung für die (teilweise unverwechselbare) Reichhaltigkeit, anderseits aber auch als Erklärung für die Abwesenheit von „Arten“, die sich anderswo erfolgreich entwickelt haben. Wenn zum Beispiel die für Medienpädagogik wegweisende Forscherin Hertha Sturm lediglich einmal und fast zufällig in einer Bibliografie auftaucht (jeder Artikel ist mit eigenen Literaturangaben versehen), zudem mit einer vor 40 Jahren publizierten, medienpädagogisch noch unspezifischen Publikation, statt wenigstens mit ihrem bilanzierenden Werk Der gestresste Zuschauer (Stuttgart 2000), lässt sich daraus ableiten, dass offenbar erhebliche Schlaglöcher im grundsätzlichen Fachwissen bestehen. Daran ändert auch Sigrid Jones’ „internationale Perspektive“ kaum etwas, die sich auf wenige Titel aus dem angelsächsischen Bereich beschränkt.Bezeichnenderweise ist es gerade Hertha Sturm, die – sowohl in ihren theoretischen Ansätzen wie im Zusammenhang mit ihren empirischen Studien – stets für eine für die Medienpädagogik unabdingbare „Fortschreibung“ plädiert hat; dies setzt allerdings voraus, dass erreichte Ergebnisse rezipiert und weiterentwickelt werden. Wenn im Kleinen nun dank des vorliegenden Bandes mindestens eine Binnenrezeption stattfindet, ist schon einiges gewonnen. Es wäre dann beispielsweise kaum möglich, dass zwar in einem bemerkenswerten Beitrag (von Monika Seidl) über „Bildmedienbildung“ richtigerweise gefordert wird, „Bilder nicht nur mimetisch-ikonisch zu sehen, sondern insbesondere auf ... deren symbolische Qualitäten zu verweisen“, aber gleichzeitig als Umschlagbild für eine so dynamische und vitale Disziplin wie Medienbildung ausgerechnet ein Bild von eisbedeckten Bergen zu wählen, das sich als Metapher für Kälte, Starre, Unbeweglichkeit interpretieren lässt.Eine aufmerksame Rezeption ist dem Band aber auch nach außen, nämlich in Richtung des nicht-österreichischen deutschsprachigen Auslands, zu wünschen; besondere Beachtung dürfte den paradigmatisch lesbaren Beiträgen von Ingrid Paus-Hasebrink und Christine W. Wijnen „Profil und Identität der Medienpädagogik im interdisziplinären und internationalen Kontext“ sowie von Theo Hug „Überlegungen zur Medienpädagogik im Lichte der medialen Wende“ zukommen.Die mediale Wende ist nicht nur geprägt durch die galoppierende Vermehrung medialer Angebote in sich jagender neuer technischer Konfektionierung, sondern insbesondere auch durch das Zusammenwachsen der Medien, euphemistisch als „Konvergenz“ bezeichnet: Medien sind nicht mehr einzelne Produkte, sondern sie sind zu einer durchgehenden künstlichen Umwelt geworden. An diesem Punkt ist nun – diesmal ernsthaft – an Charles Darwin zu erinnern: Entwicklung ist ein fortschreitender Vorgang und erfolgt als Antwort und Anpassung an Umweltreize. Deshalb kommt der medienpädagogischen Früherziehung und Elternbildung, für die in Österreich Ingrid Geretschläger in vorbildlicher Weise „die Segel setzte“ (hierzu ihr bedenkenswerter Beitrag im vorliegenden Band) eine herausragende Bedeutung zu.Man hat – auch auf dem Hintergrund der hier erfolgten aktuellen Standortbestimmung – immer noch den Eindruck, dass in der Szene eher die Akkulturation der (immer wieder) neuen Medien betrieben wird, statt das Hauptaugenmerk auf die Enkulturation der jungen Menschen zu richten, ihr Hineinwachsen in unsere großartige okzidentale Kultur, die nun mal nicht vorwiegend aus „Medienwelten als Lebenswelten“ besteht. Mit andern Worten: In der Medienpädagogik ist die Dimension Erziehung und in der Medienbildung die Dimension Bildung massgebende Größe.
Beitrag aus Heft »2009/02: Selbstentblößung und Bloßstellung in den Medien«
Beitrag als PDFEinzelansichtNilan, Pam/Feixa, Carlos (Hrsg.) (2006). Global Youth? Hybrid Identities, plural worlds. London, New York: Routledge, 218 S., 99,99 €
Nur wenige gesellschaftliche Gruppen sind so geeignet für eine Analyse der Globalisierung ihrer Einstellungen und ihres Handelns wie Jugendliche: Diese sind angesichts der Entwicklungsaufgaben, die sie bewältigen müssen und angesichts der Gestaltungsmöglichkeiten, die mit ihrem Reifeprozess einhergehen, oft aktiv auf der Suche nach Identitätsangeboten, die sie auch aus globalisierten Medienangeboten beziehen (können). Sie können sich oft leichter als andere Generationen in der lingua franca Englisch ausdrücken. Und sie sind nicht zuletzt die möglichen Globalisierer der Zukunft, deren Lebensweisen die Welt von morgen prägen werden. Daher ist es folgerichtig, dass sich der Sammelband „Global Youth?“ von Pam Nilan und Carlos Feixa mit der Globalisierung Jugendlicher befasst. Die in ihm aufgenommenen Beiträge analysieren die Identitätsbildung Jugendlicher, worunter hier Zwölf- bis 30-Jährige, in einzelnen Beiträgen sogar Zehn- bis 35-Jährige verstanden werden. Durch die Beiträge zieht sich dabei die Annahme, die Identitäten Jugendlicher seien hybrid zusammengesetzt, bestünden also sowohl aus globalen als auch aus lokalen, regionalen oder nationalen Elementen. Dieser Annahme wird in zehn Fallstudien nachgegangen, deren sehr unterschiedliche Verortung ein interessantes, alle Kontinente repräsentierendes Spektrum darstellt: Es finden sich Arbeiten zu westeuropäischen, nordamerikanischen und senegalesischen Underground- und Hip-Hop-Szenen, ein Artikel über technikbegeisterte japanische Jugendliche, Beiträge zu muslimischen Jugendlichen im Iran und in Indonesien oder auch zu non-konformistischen Jugendszenen wie katalonische und mexikanische Punks oder französische Skinheads. Diese Fälle werden auf Basis qualitativer Analysen beschrieben, das heißt mittels Interviews, Zitaten aus Liedern oder Videospielen, durch Beobachtungen aus den Feldnotizen der Autorinnen und Autoren oder durch die Beschreibung historischer Trends. Dabei hinterlassen diejenigen Fallstudien den besten Eindruck, die recht nah an den Beschreibungen der befragten Jugendlichen bleiben und versuchen, deren Identitäten in ihren eigenen Relevanzstrukturen und teils auch in ihren eigenen Begrifflichkeiten zu erfassen. Ein Beispiel dafür ist die Studie von Melissa Butcher und Mandy Thomas, die jugendliche Migranten im australischen Sydney analysieren und zeigen, welche identifikativen Bindungen diese einerseits an die australische, andererseits an ihre Herkunftsgesellschaften aufweisen und wie sie diese in unterschiedlichen Situationen ‚managen’ – wie sie etwa einerseits in öffentlichen Situationen an der australischen Konsumkultur teilhaben, andererseits aber sehr bewusst in Musik, Kleidung, Essgewohnheiten und Ähnlichem die Kultur ihrer Herkunftsgesellschaften pflegen. Ebenfalls interessant ist die komparative Arbeit des Herausgebers Carlos Feixa, der Punks in Mexiko und Katalonien untersucht und dabei die Parallelen, aber auch einige Unterschiede in der lokalen Ausprägung dieses globalen Lebensentwurfs skizziert. In vielen der übrigen Beiträge des Bandes bildet Musik den Kern und die wesentliche Klammer der beschriebenen Jugendkulturen, auch wenn diese musikzentrierten Lebensstile auch weitergehend auf Kleidungsstile, Werte, Lebensentwürfe und -ziele wirken. In der Zusammenschau legt der Band vor allem dreierlei dar: Erstens besteht offensichtlich tatsächlich eine Vielzahl von Jugendkulturen aus einer – immer wieder neu ausgehandelten – Mischung lokaler und globaler Einflüsse. Dies gilt insbesondere dort, wo Migrantenkulturen auf signifikant andere Kulturen der entsprechenden Einwanderungsländer treffen. Zweitens wird deutlich, dass das Ergebnis einer solchen Mischung durchaus nicht immer positiv ist – dies machen die dschihadistischen Tendenzen Jugendlicher Moslems ebenso deutlich wie die Unruhen in den französischen Banlieues, bei denen weniger die Religion als vielmehr die Kultur des Rap den gemeinsamen Nenner vieler Jugendlicher darstellt. Drittens zeigt der Band auch eine Globalisierung von Jugendkulturen, die vorher auf bestimmte Orte und Regionen beschränkt waren, etwa die Expansion bestimmter lateinamerikanischer Gangs, die seit einigen Jahren auch in Spanien präsent sind. Als querliegender Befund kann dabei gelten, dass in all diesen Bereichen das Internet eine wesentliche Rolle als Informations- und Vernetzungsmedium spielt. Diese Befunde und die Palette der vorgestellten Fälle sind durchaus inspirierend. Erkauft wird diese Vielfalt aber auch – dies ist kritisch anzumerken – dadurch, dass die einzelnen Studien nicht leicht aufeinander zu beziehen und miteinander zu vergleichen sind, weil mit ‚Identität’ von Fall zu Fall doch recht unterschiedliche Dinge gemeint sind.
Beitrag aus Heft »2009/02: Selbstentblößung und Bloßstellung in den Medien«
Beitrag als PDFEinzelansichtBillmayer, Franz (Hrsg.) (2008). Angeboten. Was die Kunstpädagogik leisten kann. München: kopaed, 264 S., 18,80 €
Als Vorbote zur Tagung ‚Erwartungen, Angebote und Nachfrage an die Kunstpädagogik heute’ an der Universität Mozarteum im März 2009 hat Franz Billmayer Angeboten. Was die Kunstpädagogik leisten kann herausgebracht. Billmayers Anliegen mit Buch und Tagung ist es, eine Reflexion der Stellung der Kunstpädagogik in unserer Gesellschaft anzustoßen und die Positionierung der kreativen Disziplin gegebenenfalls in neue Bahnen zu leiten. Der Autor ist der Meinung, dass die Kunstpädagogik heutzutage verhältnismäßig schlecht wegkommt und hat deswegen zahlreiche Kunstpädagoginnen und -pädagogen aus Deutschland und Österreich gefragt, was ihr Fachgebiet anbieten kann. Die schriftlichen Antworten auf Billmayers Frage liegen dem Lesepublikum gebündelt in Angeboten vor. Hier äußern sich Experten der Kunstpädagogik in abwechslungsreichen Argumentationen zu den facettenreichen Möglichkeiten ihrer Disziplin. Und obwohl sich alle Texte mit der gleichen Thematik befassen, bleibt das Buch dank der unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen und der vielfältigen und fantasievollen Blickwinkel durchgehend interessant. Zudem sind die einzelnen Beiträge in überwiegend leicht verständlicher Sprache verfasst. So kann es nicht nur zur Diskussion unter Fachleuten herangezogen werden, sondern lädt auch zu einem Einsatz im Kunstunterricht der Oberstufe ein. Und wen nach der Lektüre von Angeboten auch die Ansichten der Nachfrager der Kunstpädagogik interessieren, der darf sich auf die Zusammenfassung der Stellungnahmen der Referentinnen und Referenten der Tagung in Nachgefragt. Was Kunstpädagogik soll freuen.
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Beitrag als PDFEinzelansichtBrosius, Hans-Bernd/Schwer, Katja (2008). Die Forschung über Mediengewalt. Deutungshoheit von Kommunikationswissenschaft, Medienpsychologie oder Medienpädagogik. Baden-Baden: Nomos. 187 S., 26 €
Gewalthaltige Medieninhalte genießen in unsere Gesellschaft ein scheinbar kontradiktorisches Ansehen. Von ihren Fans werden etwa PC-Spiele hoch gelobt und zu kognitiv anspruchsvollem, entwicklungsförderlichem und auch sonst rundum sinnvollem Freizeitvergnügen erhoben. Ihre Kritiker dagegen fürchten Verrohung, Steigerung von Aggressionspotenzial und ungezählte weitere dramatische Folgen des Konsums. Die Diskussion scheint voll entbrannt, selbst Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und (Fach-)medien lassen sich nicht auf einen Nenner bringen. Vor allem im Zusammenhang mit Ereignissen wie dem jüngsten Amoklauf finden immer wieder polarisierende, plakative Aussagen und einzelne Persönlichkeiten ihren Weg auf die Titelblätter diverser Medien. Doch wie kontrovers wird das Thema in der Wissenschaft überhaupt diskutiert? Gibt es tatsächlich so große Unterschiede zwischen den wissenschaftlichen Disziplinen oder sind es nur einzelne Persönlichkeiten, die das öffentliche Bild prägen? Wie wird Mediengewalt in den Medien selbst dargestellt und bewertet? Und welche Diskrepanzen bestehen wirklich zwischen gesellschaftlicher und wissenschaftlicher Debatte? Diesen Fragen gingen Hans-Bernd Brosius und Katja Schwer in ihrer Untersuchung Die Forschung über Mediengewalt auf den Grund. Mit Hilfe von Inhaltsanalysen wissenschaftlicher Beiträge sowie wichtiger Leitmedien der Öffentlichkeit und zentraler Fachmedien versuchten sie aufzudecken, wie stark die Kontroverse wirklich ist, woher sie rührt und inwieweit die Debatte einfach von sich profilierenden Persönlichkeiten angefacht wird. Damit liefern die Autorin bzw. der Autor einen umfassenden Blick, einerseits über wirkliche, empirische Erkenntnisse, aber auch über die gesamte wissenschaftliche und Medienlandschaft, abseits von einzelnen Schlagzeilen. Aber sie zeigen auch die Zwänge auf, in denen sowohl Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler als auch Medienschaffende häufig stecken, wenn es darum geht, dieses sensible Thema zu behandeln. Und sie fördern schließlich Ergebnisse zu Tage, die für die Beteiligten, aber auch für alle Rezipientinnen und Rezipienten von großer Brisanz sind, weil sie das Thema ‚Mediengewalt’ einmal von einer ganz anderen Seite beleuchten.
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Beitrag als PDFEinzelansichtDemmler, Kathrin/Lutz, Klaus/Menzke, Detlef/Prölß-Kammerer, Anja (Hrsg.) (2009). Medien bilden – aber wie?! Grundlagen für eine nachhaltige medienpädagogische Praxis. Schriftenreihe Reihe Medienpädagogik, Band 15. München: kopaed. 196 S., 16,80 €
Serious Games, E-Learning, Medienkompetenz, Modelllernen – diese und ähnliche Begriffe sind längst in aller Munde und legen zumindest eines nahe: Die Annahme, dass Medien in Bildungs- und Lernprozessen eine wichtige Rolle spielen, taugt heute nicht mehr zur Schlagzeile. Eine Frage bleibt aber viel zu oft offen, wenn das Bildungspotenzial der Medien diskutiert wird: ‚Wie?’ Wie funktionieren Lernprozesse mit, über und durch Medien? Wie nutzen Kinder und Jugendliche die Potenziale? Und wie kann – oder muss sogar – die Bildungspolitik sich diese Phänomene dienstbar machen? Mit diesen und ähnlichen Fragen haben sich im April 2008 zahlreiche Medienwissenschaftlerinnen und Medienwissenschaftler sowie Expertinnen und Experten aus der praktischen Medienarbeit auf der gleichnamigen Tagung in Nürnberg befasst. Die dabei entstandenen Aufsätze, Anregungen und Statements finden sich nun in der Publikation Medien bilden – aber wie?! Ausgehend von den Alltags- und Medienwelten von Kindern und Jugendlichen wird deren Medienverhalten untersucht. Die theoretischen Befunde zur Eignung virtueller Spielwelten als Lernorte werden ebenso dargelegt und diskutiert wie die Erkenntnisse über selbstgesteuertes Lernen mit Medien. Daneben werden Aufgaben, Instanzen, wünschenswerte Ziele und Mankos der Förderung von Medienkompetenz als Bildungsaufgabe behandelt. Experten aus schulischen und außerschulischen Bildungseinrichtungen gewähren hierzu Einblick in ihre Arbeit. Ein Ausblick in die Zukunft der Bildung sowie ein Rückblick auf die Rolle von Medien in der Bildung vergangener Tage runden die Aufsatzsammlung ab. Dabei fließen immer wieder sowohl theoretische Erkenntnisse und praktische Anregungen als auch Meinungen und Diskussionsbeiträge mit ein, so dass sich dem Leser bzw. der Leserin insgesamt ein ausgewogenes und rundes Bild bietet, das die oft so stiefmütterlich behandelte W-Frage erhellt und dem Thema unter diesem Gesichtspunkt eine ganz neue Brisanz verleiht.
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Beitrag als PDFEinzelansichtGlotz Peter/Bertschl, Stefan/Locke, Chris (Hrsg.) (2006). Daumenkultur. Das Mobiltelefon in der Gesellschaft. Bielefeld: transcript Verlag. 348 S., 28,80 €
In der Straßenbahn schnell die E-Mails checken und den Weblog bestücken, im Einkaufszentrum ein Telefonat führen und auf dem Heimweg die neuesten Infos per SMS austauschen – Handys sind allgegenwärtig und werden ständig und vielfältig genutzt. Wir scheinen mittlerweile in einer regelrechten ‚Daumenkultur’ zu leben. Doch wie beeinflussen die Mobiltelefone unsere Gesellschaft – abgesehen davon, dass sie das Bild jeder öffentlichen Szene prägen? Was hat sich schon verändert, was kommt noch auf uns zu? Peter Glotz stellte sich bereits 2005 diese Fragen und leitete daraufhin ein Forschungsprojekt in die Wege, das das Handy und seine gesellschaftlichen Auswirkungen zum ersten Mal gründlich und umfassend untersuchen wollte. Ergebnis des ambitionierten Projektes sind zahlreiche interessante Erkenntnisse, allesamt zusammengefasst im beachtliche 248 Seiten starken Band Daumenkultur – Das Mobiltelefon in der Gesellschaft. Dabei geben zunächst verschiedene Autoren einen Überblick über das Handy als solches und seine – theoretisch vermuteten – Auswirkungen sowie seine Präsenz und Auswirkungen rund um die Welt, etwa in Ruanda, Melbourne oder Asien. Im zweiten Teil des Bandes stehen Mobile Persönlichkeiten im Zentrum des Interesses: unter anderem die Eigenheiten des Mobiltelefon-Nutzers, seine emotionalen Bindungen, seine persönlichen und sozialen Identitäten und die Transformation seines Alltagslebens werden in den Fokus genommen und erläutert. Anschließend beschäftigen die Autorinnen und Autoren sich mit Handys aus der Sicht der Telefonbranche. Kundenbedürfnisse, Handymanie, mobile Multioptionsgesellschaft, mobile Sitten, Mobile Weblogs, Zukunftsdesign, Mobiltelefon-Mythen sind hier die Schlagworte. Den Abschluss der Ausführungen macht zu guter Letzt der Delphi Report, eine Darstellung der Ergebnisse einer internationalen Expertenbefragung zum Thema. Trotz – oder gerade wegen – seines Umfanges also ein wirklich interessanter Überblick und eine umfassende Beschäftigung mit dem Thema. Dieses Buch ist nicht nur für Medienschaffende und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sondern auch für die ‚ganz normalen Nutzerinnen und Nutzer’ interessant – und schont 348 Seiten lang den Daumen.
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Beitrag als PDFEinzelansichtGrünewald-Huber, Elisabeth/von Gunten, Anne (2009). Werkmappe Genderkompetenz. Materialien für geschlechtergerechtes Unterrichten. Zürich: Verlag Pestalozzianum, 208 S., A4 gelocht, mit farbigem Bildteil, 37 €
„Von führenden Feministen empfohlen: Vor dem Herd sind alle Menschen gleich.“ So abstrus dieser Werbespruch eines Küchenherstellers zunächst klingt, so gut trifft er doch ein Phänomen, das längst überholt und doch gang und gäbe ist: Doing Gender, die stereotype und oft ungerechte Unterscheidung und Bewertung von Männern und Frauen in unserer Gesellschaft, die Gleichberechtigung unmöglich macht. Das zumindest finden Elisabeth Grünewald-Huber und Anne von Gunten von der Universität Bern. Mit ihrer nun herausgegebenen Werkmappe Genderkompetenz wollen die Autorinnen das Problem da packen, wo es entsteht, nämlich in der Erziehung. Mehr Kompetenz der Lehrerinnen und Lehrer soll zu besserem Genderverständnis in der Gesellschaft führen und die Wekmappe soll genau diese Kompetenz befördern. Dazu liefern die Pädagoginnen im Theorieteil der Mappe ausführliche Informationen zu Forschungsergebnissen, Diskurspositionen und Statistiken über Männer und Frauen und die kleineren oder größeren Unterschiede. Der anschließende, mehr als 150 Seiten umfassende Praxisteil besteht aus Anregungen, wie die Vermittlung von Genderkompetenz in der Lehrerausbildung umgesetzt werden kann: Texte, Diskussionsansätze, Bilder, Zitate, Comics, Selbst- und Fremdtests, Geschichtliches und Aktuelles, Faktenwissen und humorvolle Auseinandersetzung mit dem Thema – da ist für fast jeden Geschmack das passende Material dabei. Zu jedem angebotenen Unterrichtsmaterial geben die Autorinnen Hinweise, Kommentare und Hilfestellung zur Umsetzung, lassen dem Benutzer aber großteils freie Hand: Starre Anweisungen oder ‚einzig richtige Lösungen’ werden nicht geboten. Zu guter Letzt bietet die Mappe ein ausführliches Glossar mit wichtigen Begriffen und nützlichen Erklärungen. So können sich nicht nur Lehrer und Lehrerinnen und deren Ausbildende – aber diese natürlich besonders – auf interessante und ebenso wissenschaftlich fundierte wie praxisnahe Weise mit dem Thema beschäftigen und vielleicht einen ganz neuen Blick für gängige Rollenklischees und Stereotype bekommen.
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Beitrag als PDFEinzelansichtKirch, Michael (2009). Englisch lernen mit dem Fernsehen. Eine Studie über die Eignung des Fernsehens im Rahmen des frühen Fremdsprachenerwerbs am Beispiel der Sendung Something Special. Münster, New York, München, Berlin: Waxmann. 209 S., 24,90 €
Fernsehen ist schlecht und macht eckige Augen und gerade für kleine Kinder kommt nicht Gutes dabei raus. Wirklich? Das sieht Michael Kirch anders und macht sich mit seiner Dissertation dran, zumindest eine gute Seite am Fernsehen zu zeigen. Anhand der BBC-Sendung Something Special überprüft der Pädagoge, ob und in Abhängigkeit von welchen Faktoren das Fernsehen bei frühem (Fremd-)sprachenerwerb nützlich und hilfreich sein kann. Dabei stützt er sich in erster Linie auf das Capacity-Modell zum frühen Fremdsprachenerwerb. Anhand von Inhaltsanalysen stellt er das Konzept sowie die pädagogisch wertvollen Aspekte der Sendung heraus. Mit Hilfe von Leitfadeninterviews und Videoanalysen untersucht Kirch anschließend den Lernerfolg bei Kindergartenkindern, denen er mehrmals eine Folge der Sendung zeigte – und kann beachtliche Lernergebnisse verzeichnen, die er anschaulich und praxisnah präsentiert. Gerade für Pädagoginnen und Pädagogen bzw. Lehrerinnen und Lehrer, die ganz praktisch mit der Vermittlung von Fremdsprachen in der Grundschule zu tun haben, könnten diese Ergebnisse aufschlussreich sein. Aber auch interessierte Eltern können mit Sicherheit ihren Blick weiten für die manchmal doch ganz nützlichen Angebote, die die ‚Flimmerkiste’ ihnen macht.
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Beitrag als PDFEinzelansichtWeber, Heike (2008). Das Versprechen mobiler Freiheit. Zur Kulturgeschichte von Kofferradio, Walkman und Handy. Bielefeld: transcript Verlag, 368 S., 29,80 €
Die aktuelle Debatte um eine „mobile Revolution“ stellt die Berliner Technikhistorikerin Heike Weber in einen historischen Kontext und damit in den Mittelpunkt ihres neuen Buches über die „Kultur- und Technikgeschichte von Kofferradio, Walkman und Handy“. 2006 als Dissertation an der TU München vorgelegt, befasst sich die auf etwa 350 Seiten gekürzte Abhandlung mit dem weiten Feld vom „Versprechen mobiler Freiheit“. Theoretische Hintergründe und Beispiele aus der Praxis formen im Buch ein umfassendes Bild historischer wie gegenwärtiger Portable-Kulturen.Tragbare Konsumelektronik verbinde sich in der Historie wie im aktuellen Zeitgeschehen immer wieder mit dem Wunsch nach Autonomie und damit nach Mobilität, sowohl der Technik, wie auch der Nutzer und Nutzerinnen, so die Hauptthese der Autorin. Dieser Wunsch, der sich in der aktuellen Debatte um die Nutzungsgewohnheiten von Handys, Laptops und mp3-Playern niederschlägt, hat historische Wurzeln, die von der Autorin aufgezeigt werden. Die Untersuchung konzentriert sich dabei auf Radioportables der 1950er und 1960er Jahre, die Kassettenrekorder (und ihre Sonderform des Walkmans) der 1970er und 1980er und den Mobilfunk vorwiegend der 1990er Jahre bis hin zum Kult der SMS der heutigen Tage. Dabei geht es Weber nicht um die Erfindungen im Entwicklungslabor, sondern es werden unterschiedliche Nutzer- und Nutzungsvorstellungen portabler Konsumelektronik, ausgewählte Debatten und Kontroversen sowie technische Vorbedingungen und Eigenarten der betrachteten Geräte und somit Technik und Gesellschaft im Wandel durch die Einführung portabler Techniken am Markt dargestellt. Indem der technische Wandel aus der Perspektive der Nutzer und Nutzerinnen heraus untersucht wird, kristallisiert sich auch deren Mitwirkungsmöglichkeit und damit Gestaltungsmacht über Technikformung und -kultur heraus. So ließen zum Beispiel die Nutzer und Nutzerinnen portabler technischer Geräte die als temporäre Reisegeräte konzipierten Geräte zu beinahe allgegenwärtigen Alltags- oder gar Lebensbegleitern werden. Pioniere dieser Entwicklung waren und sind zum Beispiel die Jugendlichen, die mit ihren portablen Geräten in die Öffentlichkeit zogen und ziehen, um der Erwachsenenwelt ihre Jugendkultur zu zeigen und entgegenzusetzen sowie sich damit auszudrücken. Als Kehrseite der Medaille konstatiert die Autorin aber auch eine gegenwärtige „Überall- und Jederzeit“-Kultur, deren Ikonen die Portables seien, welche es den Nutzern und Nutzerinnen zwar überall und jederzeit ermöglichten, ihren häuslichen Konsumgewohnheiten nachzugehen. Dabei könnten aber häufig auch Stress und Hyperaktivität als physiologische Reaktion aus dem dadurch erforderlichen Multitasking resultieren.
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Beitrag als PDFEinzelansichtWeitersagen – Prominente lesen was Kinder schreiben. (2008) CD. Eckenroth-Stiftung. 16,40 € (inkl. Versand)
Psst – weitersagen! Die schreibende Zunft bekommt Konkurrenz – und zwar (wort-)gewaltige. Seit Jahren schon hat sich die unabhängige Eckenroth-Stiftung der Aufgabe verschrieben, junge Wortakrobaten und Wortakrobatinnen und begabte Nachwuchs-Schreiberlinge zu entdecken, zu fördern und zu betreuen. Dazu schreibt die Stiftung bereits seit 1998 jedes Jahr den Wettbewerb Grüner Lorbeer – Förderung für Jüngstautoren aus, bei dem Mädchen und Jungen zwischen zehn und 14 Jahren zeigen können, was sie drauf haben. Bis zu zwei Seiten lang dürfen sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer verbal austoben, dürfen ernste oder witzige, reale oder fiktive, politische oder private, persönliche oder allgemeine und auch sonst alle denkbaren Texte und Geschichten einreichen. Die zehn besten Schriftstücke werden dann ausgewählt und ihren Verfasserinnen und Verfassern winken nicht nur Lob und Ehre, sondern zusätzlich Sachpreise, die Veröffentlichung ihrer Geschichten im Internet bzw. im Rahmen einer Vorlesestunde auf der Frankfurter Buchmesse und das Angebot einer Schreib-Förderung im Hause Eckenroth, bei der die jungen Autorinnen und Autoren immer besser lernen, ihre Gedanken zu versprachlichen, mit den Buchstaben zu jonglieren und auch mal mit dem weißen Blatt zu kämpfen. Zum zehnjährigen Jubiläum ihres Engagements präsentierte die Eckenroth-Stiftung nun zwölf ‚herausragende’ Texte in Hörbuch-Form: Prominente lesen was Kinder schreiben. Bekannte Persönlichkeiten wie Petra Gerster, Annette Schavan, Kurt Beck oder Helmut Markwort leihen den Kindern im wahrsten Sinne des Wortes ihre Stimmen und lesen die Geschichten der jungen Autorinnen und Autoren vor. Und die haben allerlei zu bieten in ihren Texten, die teils Gewinnertexte des Wettbewerbs sind, teils Texte, die im Rahmen der Schreibförderung entstanden: Witziges und Erfrischendes, Tiefsinniges und Schmackhaftes, Himmlisches und Betrachtendes, Ergreifendes und Nachdenkliches, Künftiges und Früheres. Und natürlich alles aus der Feder der jungen Nachwuchsautorinnen und -autoren. Vorgelesen wurden die Texte zumeist ganz spontan: In der Mittagspause, beim Kaffeetrinken oder während der Arbeit nahmen sich die prominenten Vorleserinnen und Vorleser Zeit, suchten sich ihre Lieblingsgeschichte heraus und präsentierten sie den Mikrofonen. Dass sich dabei nicht jede der berühmten Stimmen als Rezitations-Genie entpuppt, tut dem Hörgenuss keinen Abbruch – schließlich stehen die Ideen und Gedanken der Kinder im Vordergrund. Und eine doppelt gute Tat ist die CD ohnehin: Sie verhilft den jüngsten unter den Schreiberlingen zu etwas verdientem Ruhm und sichert gleichzeitig mit ihrem Erlös das Fortbestehen der Jüngstautoren-Förderung. Eine rundum gute Alternative also zu den meist weitaus weniger wohltätigen und dennoch nicht zwingend interessanteren Geschichten der ‚alten Hasen’ im Schreibgeschäft. Weitersagen!
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kolumne
Jürgen Bofinger: Digitaler Hauseinbruch
Digitale Medien bereichern unsere Arbeit und Freizeit. Sie werden jedoch zunehmend von Einzelnen und Institutionen missbraucht. Aber der Einsatz digitaler Technik ermöglicht auch Fahndern Datensammlungen in großem Maßstab „ohne Ansehen der Person“. Plötzlich stehen wir alle unter einem Generalverdacht als potenzielle Betrüger, Diebe, Bestechliche, Gewaltbereite. So ist es zumindest tröstlich, dass das Bundesverfassungsgericht behördliche Videoaufzeichnungen bei Demonstrationen im Bayerischen Versammlungsrecht ohne Tatverdacht ‚kippte’. Dass eine unbegrenzte Online-Überwachung von Computern ein Heer von Verdächtigen schaffen könnte, führte zu öffentlichem Protest. Auch digitalisierte Persönlichkeitsmerkmale auf Personaldokumenten, eine elektronische Patientenkarte und digitale Gesundheitsakten könnten neben allen Vorteilen auch Unbefugte, Arbeitgeber, Arbeitsagenturen und diverse Behörden brennend interessieren (Stichwort: Datenabgleich). Heiligt der Zweck alle (digitalen) Mittel? Wo liegen die Grenzen? Welcher Schutz vor Missbrauch der persönlichsten Daten ist eigentlich vorgesehen? Welche Verfügungsrechte bleiben mir?Das Recht auf digitale Selbstbestimmung wurde mehrfach und bedenkenlos verletzt. Das zeigen die Affären bei Lidl, der Telekom, der Deutschen Bahn, in Kommunen wie Stuttgart. Auch digitale Bankkundendaten erleichtern ihren Missbrauch, was zwar zum Aufspüren luxemburgischer Steuerhinterzieher führte, aber ebenso jeden anderen Kunden treffen könnte. Und jede Bank-, Kredit- und Bonuskarte enthält sensible Daten, die in falsche Hände geraten könnten. Die digitalisierte Welt hat in allen diesen Fällen nicht mehr Sicherheit für den Einzelnen gebracht, sondern neue Gefahren geschaffen. Auch im Internet habe ich zunehmend das ungute Gefühl, beobachtet und ausspioniert zu werden. Mehr Personen und Institutionen als gewollt kennen meinen Wohnsitz, mein Geburtsdatum, meine Musik- und Büchervorlieben. Woher zum Teufel? Ich war so vorsichtig bei der Weitergabe persönlicher Daten! Ich habe bewusst an keinem Online-Gewinnspiel teilgenommen. Ich meide Diskussionsforen und Internetcommunitys. Aber ich bin Online-Kunde und kann nur hoffen, dass die beteuerten Schutzmechanismen wirken und sich Lücken nur in Form unerwünschter Werbung zeigen.Schuld am Verlust der persönlichen Selbstbestimmung haben aber nicht nur ‚die anderen’. Heimliche Aufzeichnungen mit dem Handy zur Bloßstellung von Mitschülerinnen, Mitschülern und Lehrkräften (‚Cyberbullying, -mobbing oder -stalking’) sind ‚in’. Die schlimmsten Entgleisungen stellen Videoclips brutaler Gewalt dar, die für eine möglichst breite Veröffentlichung aufgenommen werden – entweder zur eigenen Glorifizierung oder zur Demütigung der Opfer (‚Happy Slapping’). Persönlichkeitsschutz? Besuchen Sie einmal die Internetplattform YouTube. Auch der wachsende Missbrauch von Online-Chats, von Bekanntschafts- und Freundschaftsbörsen führt letztlich zur Zerstörung ihrer Grundidee einer offenen und bürgernahen Gesellschaft.Ich reagiere inzwischen sensibel auf jegliche Überwachung. Angefangen bei der Taschenkontrolle an der Supermarktkasse. Verfolgungswahn? Der ausgespähte, gläserne Bürger und Patient hat inzwischen ein fast lückenloses digitales Profil bekommen, man verliert immer mehr an Selbstbestimmung und Intimität. Alles wird öffentlich und wohlfeil. Digitale Zurückhaltung, eine größere Sensibilität für Persönlichkeitsrechte, für zwischenmenschlichen Respekt und für die besondere Verletzbarkeit der Intimsphäre in einer digitalen Welt würde uns allen gut tun – zum eigenen Schutz und zum Schutz einer lebenswerten bürgerlichen Demokratie.
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Autor: Jürgen Bofinger
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