2008/01: Jugendmedienschutz auf dem Prüfstand
Der Medienmarkt stellt den Jugendmedienschutz beständig vor Herausforderungen, mit immer wieder neuartigen grenzwertigen Angeboten, zu deren jugendschutzgemäßer Beurteilung ganz einfach das empirische Fundament fehlt, mit crossmedialen Vermarktungsstrategien, die die weitgehend an Einzelmedien ausgerichteten Zuständigkeiten und Regelungen oftmals ins Leere laufen lassen, mit technischen Errungenschaften, die die private Distribution und Produktion medialer Angebote auf einer Art ‚zweitem Medienmarkt’ ermöglicht, Peinlichkeiten und Unerträglichkeiten inklusive. Kinder und noch deutlicher Jugendliche nehmen die Angebote des Marktes bereitwillig bis begeistert auf und integrieren die Vernetzung in ihr Medienhandeln. 2003 wurde in Deutschland das System der regulierten Selbstkontrolle eingeführt. 2007 wurde vom Bundesministerium für Familie, Frauen, Senioren und Jugend die Evaluation des Jugendmedienschutzes in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse liegen mittlerweile vor. Anlass genug für merz, das System des Jugendmedienschutzes auf den Prüfstand zu stellen.
aktuell
Stichwort machinima = machine + animation + cinema
Die Wortkreuzung Machinima beschreibt Animationsfilme, für deren Produktion anstelle von professioneller Animationssoftware die 3D-Technik anderer Computersoftware genutzt wird, zum Beispiel von Spielen wie Die Sims 2, World of Warcraft, Flugsimulatoren, Unreal Tournament oder der Onlinewelt Second Life.Die Produktion von Machinimas stellt eine Erweiterung von Handlungsmöglichkeiten junger Menschen in kommerziellen Spielwelten dar: Die Games werden zum Filmset oder zur Theaterbühne für Live-Ma-chinimas. Potenziale für die medienpädagogische Praxis liegen dabei nicht nur in einer zusätzlichen Mög-lichkeit der aktiven Arbeit mit Film oder digitaler Animation. Machinimas befördern auch eine Spielkultur, in der sich junge Menschen aktiv und kritisch mit Computerspielwelten auseinandersetzen.
Der zeitliche und technische Aufwand kann dabei unterschiedlich hoch ausfallen: Mittels Screen-Recording-Software aufgenommene Sequenzen können geschnitten und vertont werden. Spezielle Software vervielfacht die Möglichkeiten, zum Beispiel die Moviesandbox für die Unreal Tournament Engine von Friedrich Kirschner, einem der bekanntesten deutschen Machinimaproduzenten, der bereits in einigen Workshops sein Know-how an Jugendliche vermittelt hat (zum Beispiel im Kontext von animiert programmiert oder des Machinima Labors Dresden).Eine populäre Plattform für die Veröffentlichung von Machinimas ist youtube.com. Die internationale Machinima-Szene tauscht sich auch auf zahlreichen Festivals und in Machinima-Zeitschriften aus. Jugendproduktionen aus Deutschland können zum Medienwettbewerb MB 21 eingereicht werden.
thema
Anmerkungen zur Evaluation des gesetzlichen Jugendmedienschutzes
Vier Jahre nach der Einführung der „regulierten Selbstkontrolle“ veranlasste das Bundesministerium für Familie, Frauen, Senioren und Jugend 2007 eine Evaluation zur Beurteilung der Funktionalität des veränderten Jugendmedienschutzsystems. merz hakte anhand zweier Leitfragen bei zentralen Akteuren des Jugendmedienschutzsystems in Deutschland nach: Welche Änderungen halten sie auf Grundlage der Evaluationsergebnisse für nötig, um den Jugendmedienschutz in Deutschland nachhaltig zu verbessern:
■ Was ist für Sie das wichtigste Ergebnis der Evaluationsstudien?
■ Was würden Sie bei der Jugendmedienschutzgesetzgebung bzw. Jugendmedienschutzpraxis vorrangig verändern?
Jugendmedienschutz im Netzwerk
Während die 2007 durchgeführte wissenschaftliche Evaluation des Jugendmedienschutzes dessen Funktionalität und Wirksamkeit bestätigte,zeigen empirische Befunde zur Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen sowie zur Akzeptanz des Jugendmedienschutzes, dass dieser im Alltag häufig ins Leere läuft. Diese Diskrepanz wird zum Anlass genommen, den Blick zu erweitern und neben dem gesetzlich geregelten Jugendmedienschutz auch andere relevante Akteursperspektiven einzubeziehen.
Literatur
Hans-Bredow-Institut (Hg.) (2007). Analyse des Jugendmedienschutzsystems – Jugendschutzgesetz und Jugendmedienschutz-Staatsvertrag. Endbericht, Oktober 2007.(www.hans-bredow-institut.de/forschung/recht/071030Jugendschutz-Endbericht.pdf [Zugriff: 10.01.2008])
Paus-Hasebrink, Ingrid/Neumann-Braun, Klaus/Hasebrink, Uwe/Aufenanger, Stefan (2004). Medienkindheit – Markenkindheit. Untersuchung zur multimedialen Verwertung von Markenzeichen für Kinder. München: kopaed
Prensky, Marc (2001). Digital Natives, Digital Immigrants, Part II: Do They Really Think Differently? In: On the Horizon. NCB University Press, Vol. 9, No. 6
Schumacher, Gerlinde (2005). Jugendmedienschutz im Urteil der Bevölkerung. Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage im November 2004. In: Media Perspektiven, 2, S. 70-75
Theunert, Helga/Gebel, Christa (2007). Untersuchung zur Akzeptanz des Jugendmedienschutzes aus der Perspektive von Eltern, Jugendlichen und pädagogischen Fachkräften (www.jff.de/dateien/JFF_JMS_LANG.pdf[Zugriff: 10.01.2008])
Wagner, Ulrike/Theunert, Helga (Hg.) (2006). Neue Wege durch die konvergente Medienwelt. München: Reinhard Fischer
Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Evaluation des Jugendmedienschutzes aus rechtlicher Sicht
Im Oktober legte das Hans-Bredow-Institut den im Auftrag von Bund und Ländern erstellten Endbericht der wissenschaftlichen Evaluation des Jugendmedienschutzes in Deutschland vor. Die Analyse sollte klären, ob sich der Jugendmedienschutz durch die 2003 erfolgten Reformen verbessert hat und wo es noch Schwachstellen oder Verbesserungsbedarfe gibt. Der Beitrag gibt einen Überblick über den methodischen Ansatz, die reformbedingten Neuerungen des Jugendschutzes und die im Rahmen der Evaluation festgestellten Problembereiche.
spektrum
Judith Hilgers und Patricia Erbeldinger: Gewalt auf dem Handy-Display
Zahlreiche Jugendliche halten ihre Erlebnisse mit der Handykamera fest. Auch Gewalthandlungen können für die Kamera inszeniert werden. Solche Vorfälle werden mit dem Begriff ‚Happy slapping’ benannt. In dem Beitrag werden die Lebenswelten der Täterinnen oder Täter sowie ihre Handlungsmotive thematisiert. Die Ausführungen basieren auf einer laufenden Studie, die anhand qualitativer Methoden das Phänomen erforscht.
(merz 2008-1, S. 57-63)
Beitrag aus Heft »2008/01: Jugendmedienschutz auf dem Prüfstand«
Autor: Judith Hilgers, Patricia Erbeldinger
Beitrag als PDFEinzelansichtSabine Liebig und Kerstin Otto: Transatlantic Teacher Training (TTT)
Inwiefern ermöglichen die neuen Informations- und Kommunikationsmedien, dass Deutsche und Amerikaner über eine große Entfernung hinweg nur durch virtuelle Kommunikationsformen inhaltlich kooperieren und gleichzeitig eine Beziehung zueinander aufbauen.
(merz 2008-1, S. 50-56)
Beitrag aus Heft »2008/01: Jugendmedienschutz auf dem Prüfstand«
Autor: Sabine Liebig, Kerstin Otto
Beitrag als PDFEinzelansichtSusanne Gölitzer und Mathias Fechter: „Ich bin auf Level 78“
Seit geraumer Zeit gehören Computer- und Videospiele zu den beherrschenden Themen in der Öffentlichkeit. Im Vordergrund stehen dabei meist die Auseinandersetzungen um die sogenannten „Killerspiele“, obwohl diese nur einen geringen Teil aller verkauften Spielen überhaupt ausmachen. Welchen Stellenwert Computer- und Videospiele im Alltag von Kindern und Jugendlichen haben und was für eine Thematisierung von Spielen und Spielerfahrungen im Unterricht spricht, soll im Folgenden kurz beleuchtet werden.(merz 2008-1, S. 64-69)
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Autor: Susanne Gölitzer, Mathias Fechter
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medienreport
Christina Oberst-Hundt: Ein 30-jähriges Netzwerk
Sie nennen sich Gleichstellungsbeauftragte, Frauenvertreterin oder Beauftragte für Chancengleichheit. In allen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und Funkhäusern wirken sie für das, was ihr Name besagt: Sie setzen sich dafür ein, dass die immer noch vorhandene Benachteiligung von Frauen in den Sendern irgendwann der Geschichte angehört, denn immer noch arbeiten in den unteren Gehaltsgruppen in der Regel mehrheitlich Frauen, während oben Männer deutlich dominieren.1 Zu ihren Aufgaben gehört es, Frauen zu beraten, Qualifizierungsmaßnahmen anzustoßen, sie zu motivieren, Positionen anzupeilen, die ihnen, wenn das Gleichstellungsgebot des Grundgesetzes ernst genommen wird, ebenso zustehen wie Männern. Bei Bewerbungsgesprächen sind sie zugegen, um entsprechend qualifizierte Frauen zu unterstützen. Darüber hinaus engagieren sie sich für Maßnahmen zur Vereinbarkeit beruflicher und familiärer Verpflichtungen von Frauen und Männern, zum Beispiel durch Initiierung von Kindergärten und anderen Einrichtungen.Dass solche Beauftragten, die sich qua Funktion für Chancengleichheit im öffentlich-rechtlichen Rundfunk einsetzen, heute institutionalisiert sind, ist keineswegs zufällig, sondern Ergebnis eines langen, von Mitarbeiterinnen der öffentlich-rechtlichen Anstalten initiierten und erkämpften Prozesses.
Vom „kollektiven Betroffensein“ zum „Ende der Bescheidenheit“
Bereits in den 70er Jahren hatten einige Frauen aus verschiedenen Sendern genug davon, trotz guter Qualifikation immer zusehen zu müssen, wie der Aufstieg in Gestalt ihrer männlichen Kollegen an ihnen vorbeizog und die zweite und dritte Reihe für sie zur Dauereinrichtung zu werden drohte. Kolleginnen aus WDR, NDR, SFB, HR und dem ZDF begannen, sich auszutauschen, zu kooperieren und ihr „kollektives Betroffensein“, so die ZDF-Frauen, öffentlich zu machen. 1978 fand in Frankfurt das erste Treffen der Frauen in den Medien ARD und ZDF, kurz Herbsttreffen der Medienfrauen, damals noch in einer Jugendherberge, statt. Die Rundfunkmitarbeiterinnen gehörten damit zur Avantgarde der neuen Frauenbewegung, die das Thema „Frauenförderung“2 in den Folgejahren zu einem ihrer politischen Schwerpunkte machte und das „Ende der Bescheidenheit“ proklamierte.Die 1978 veröffentlichte Studie über Die Situation der Mitarbeiterinnen im WDR belegte erstmals das Ausmaß der Frauenbenachteiligung in einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt anhand eindeutiger Daten und Fakten. In der Folge ging es, unterstützt von der Mediengewerkschaft RFFU3, in allen Sendern um die Durchsetzung von „Frauenförderplänen“. Die inzwischen institutionalisierten alljährlich stattfindenden Medienfrauentreffen waren in den 80er Jahren wichtige Foren zur Durchsetzung dieses Ziels. Titel der Treffen wie Gemeinsam bleiben wir lästig (1984 beim WDR in Köln) oder Ohne uns wird Euch Hören und Sehen vergehen (1986 beim SDR in Stuttgart) belegen die Hartnäckigkeit der Rundfunkfrauen, die schließlich, am 1. Dezember 1989, Erfolg hatte. An diesem Tag unterzeichnet WDR-Intendant Friedrich Novottny die erste „Dienstanweisung des Intendanten über den Frauenförderplan des Westdeutschen Rundfunks“ und beruft mit Rita Zimmermann die erste Gleichstellungsbeauftragte einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt. Der Sender hat sich nun „zum Ziel gesetzt, den grundgesetzlich verankerten Gleichberechtigungsgrundsatz und das Antidiskriminierungsverbot zu verwirklichen“ und darauf hinzuwirken, „dass gleich viele Frauen und Männer in allen beruflichen Bereichen, Vergütungsgruppen und in allen hierarchischen Ebenen vertreten sein sollen.“ Von nun an gibt es geschlechtsneutral formulierte Stellenausschreibungen. Bei Besetzungen sind Frauen zu bevorzugen, wenn sie über gleiche Qualifikationen wie ihre männlichen Mitbewerber verfügen. Babypause und andere familiäre Verpflichtungen dürfen Frauen nicht zum Nachteil gereichen. Die Gleichstellungsbeauftragte hat „die Umsetzung des Frauenförderplans zu gewährleisten“ und muss bei Stellenausschreibungen einbezogen werden. Ähnliche Regelungen, durch Landesgleichstellungsgesetze rechtlich gestützt, gibt es inzwischen in allen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten.
„Welchen Rundfunk wollen wir?“
Die Gleichstellungsbeauftragten sind heute Teil des Netzwerkes der Medienfrauen ARD, ZDF und ORF (seit 1980). In der Regel sind sie maßgeblich an der Organisation der jährlichen Treffen beteiligt. Auch sind meist sie es, die dort über die Situation der Frauen in den Sendern berichten und ihre Erfahrungen einbringen. Die Herbsttreffen sind von Beginn an die wichtigsten Kommunikationsforen der Frauengruppen und Netzwerke der einzelnen Sender. Über die senderbezogene Problematik hinaus definiert hier Gleichstellungspolitik ein Themenfeld, das Rolle und Aufgaben von Medienfrauen (rundfunk)politisch, gesellschaftlich und international umfasst. „Welchen Rundfunk haben wir? Welchen Rundfunk wollen wir?“ wird 1980 gefragt. Ein Jahr später werden Resolutionen gegen die „Verharmlosung von Aufrüstung und Atomtod“ verabschiedet. In der Folge wird es kein Treffen mehr geben, das nicht zu aktuellen (außen)politischen Themen Stellung bezieht. „Frauen – M(m)acht – Karriere“ ist das Motto zum zehnten Treffen in Bremen. 1989 in Berlin erleben die Medienfrauen hautnah die Maueröffnung. Der Deutsche Fernsehfunk der DDR wird ‚abgewickelt’ und mit ihm seine 14.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Kontakte zu Kolleginnen in Ost und West werden ausgebaut. „Chancen für Europa“ loten die Medienfrauen 1993 in München aus. Dass „Frauen im Netz“ sind, wird 1998 in Saarbrücken vertieft. Ein Jahr später taucht erstmals der Begriff Gender Mainstreaming auf. Auf den folgenden Treffen wird frau sich häufiger mit diesem Instrument zur Schaffung von Geschlechtergerechtigkeit auseinandersetzen und Möglichkeiten ausloten, diese neue Denkweise auch in den Sendern zu verankern. Wie wirken sich Maßnahmen auf Frauen und Männer aus? Wird das soziale Geschlecht (gender) bei allen politischen Entscheidungen mitberücksichtigt, können üblicherweise nicht wahrgenommene unterschiedliche Problemlagen, Benachteiligungen aber auch Qualitäten in den Blick genommen, ungerechte Geschlechterverhältnisse und die sie produzierenden Strukturen erkannt und verändert werden (vgl. Stiegler 2000, Oberst 2003).
„Saure Gurken“ gegen frauenfeindliches Fernsehen
Der kritische Blick auf die Fernsehprogramme der Anstalten war von Anfang an ein wichtiges Anliegen der Rundfunkfrauen. Die Küchenhoff-Studie hatte bereits 1975 die Benachteiligung von Frauen im damals noch ausschließlich öffentlich-rechtlichen Fernsehen untersucht und ihre Befunde in dem prägnanten Satz „Männer handeln, Frauen kommen vor!“ zusammengefasst. 1980 wurde die Saure Gurke als Negativpreis für ein prägnantes Beispiel frauenfeindlichen Fernsehens im öffentlich-rechtlichen Rundfunk kreiert, der seither alljährlich verliehen wird. Preisträger und manchmal auch Preisträgerinnen gibt es in allen Sparten und Sendeformaten. Die Auszeichnung trifft (fast) immer, ärgert die Getroffenen nicht selten und macht prägnant auf einen signifikanten programmlichen Missstand aufmerksam, nicht zuletzt auch deshalb, weil die Presse den Negativpreis gern zum Anlass nimmt, ein paar Zeilen über die jährlichen Treffen, an denen inzwischen bis zu 300 Rundfunkfrauen teilnehmen, zu veröffentlichen.4Die Herbsttreffen bieten auch Fortbildung und empowerment kompakt. In meist zweitägigen Workshops werden aktuelle (rundfunk)politische Themen diskutiert, Internet-Fragen vertieft, Durchsetzungsfähigkeit und Selbstvertrauen trainiert, um frau fit zu machen für die scheinbar unvermeidlichen Auseinandersetzungen im Betrieb, sei es mit Chefs und Kollegen, aber auch Kolleginnen. Gerade Konkurrenz und Solidarität unter Frauen, sind Themen, die hier auch hinterfragt werden.
Mit Selbstbewusstsein gegen „Macht und Vorurteil“
Was wird die Zukunft bringen? Dass sich (nicht nur) Rundfunkfrauen weiterhin mit „Macht und Vorurteil“ auseinandersetzen müssen, thematisierte das Münchner Treffen 2007. Aber, so das Signal prominenter Festredner, es gibt auch Männer, die hier Flagge zeigen und Frauenbelange unterstützen.30 Jahre besteht jetzt dieses Frauennetzwerk. Die Herbsttreffen sind inzwischen etabliert. Die Oberbürgermeisterinnen und Oberbürgermeister der Städte, in denen getagt wird, lassen es sich nicht nehmen, die Teilnehmerinnen zu begrüßen. Die Intendanz unterstützt die Treffen und lädt zum opulenten Buffet. Das Jubiläum wurde am Ursprungsort in Frankfurt beim Hessischen Rundfunk begangen.5 Das Motto „Junge Talente oder aus Erfahrung gut“, ganz ohne Fragezeichen. Die Medienfrauen, ob alt oder jung, wissen, was sie geleistet haben und leisten können und zeigen Selbstbewusstsein. Und genau das werden sie auch in Zukunft brauchen.6 Anmerkungen1 „Im Bayerischen Rundfunk z. B. arbeiten die meisten festangestellten Frauen in den Gehaltsgruppen 6 und 7, die meisten Männer in der Gehaltsgruppe 14, Führungskräfte sind zu 75,8 Prozent männlich. In der Geschäftsleitung arbeitet nach wie vor keine Frau“. Vgl. Edith Fuchs-Leier, BR-Gleichstellungsbericht 2006 S.8 u.132 Der Begriff „Frauenförderung“ wird heute kaum mehr benutzt, da er Frauen als „defizitär“ ausweist.3 Rundfunk-Fernseh-Film-Union, später IG Medien, seit Juli 2001 in ver.di4 Weiteres unter www.saure-gurke.info5 Ausführlich zum Frankfurter und früheren Treffen s. www.medienfrauentreffen.de. Dort ist auch die Festrede von Ute Mies-Weber zum 30. Jubiläum abrufbar.6 zum Thema s. a. Oberst-Hundt 2005 LiteraturBundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit (Hg.) (1995). Die Darstellung der Frau und die Behandlung von Frauenfragen im Fernsehen. Eine empirische Untersuchung der Universität Münster unter Leitung von Prof. Dr. Erich Küchenhoff. Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz: Kohlhammer VerlagOberst, Karen (2003). Von der Geschlechterungleichheit zur Geschlechterdemokratie. Norderstedt: BoDOberst-Hundt, Christina (2005). Geschlechterdemokratie im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und seinen Programmen: notwendig – machbar – zukunftsorientiert. In: Werneke, Frank (Hg.), Die bedrohte Instanz – Positionen für einen zukunftsfähigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Berlin: ver.di, S. 220-240Stiegler, Barbara (2000). Wie gender in den Mainstream kommt: Konzepte, Argumente und Praxisbeispiele zur EU-Strategie des Gener Mainstreaming. Bonn: FES
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Autor: Christina Oberst-Hundt
Beitrag als PDFEinzelansichtGünther Anfang: Gehirnjogging mit Nintendo DS
Dr. Kawashimas Gehirn-Jogging: Wie fit ist Ihr Gehirn. Videospiel für Nintendo DS, USK-Einstufung: Freigegeben ohne Altersbeschränkung. Preis für Spiel: 27,95 €; Preis für Konsole Nintendo DS Lite white: 139,95 €Eine interessante Entwicklung auf der Games Convention 2007 in Leipzig war, dass die Spieleindustrie die Zielgruppe der älteren Menschen und die der Familien entdeckte. Vor allem der Nintendo-Stand war umlagert von Spielerinnen und Spielern der älteren Generation, die ihr Gehirn mit Hilfe eines japanischen Programms trainieren wollten, das ein gewisser Dr. Kawashima, seines Zeichens Gehirnforscher, entwickelt hatte. In Japan verkaufte sich das Spiel bereits über 1,4 Millionen Mal. Nun versucht Nintendo den europäischen Markt damit zu erobern. Dabei ist Dr. Kawashimas Gehirn-Jogging-Programm Wie fit ist Ihr Gehirn kein klassisches Videospiel, sondern die interaktive Ausgabe von Kawashimas Buchbestseller Train Your Brain. Gespielt wird es mit dem Nintendo DS, dem Nachfolgemodell des klassischen Gameboy. Der Nintendo DS ist eine tragbare Videospiel-Konsole, die über zwei LC Displays, ein eingebautes Mikrofon und eine Reihe weiterer technischer Neuerungen verfügt, die eine gegenüber früheren Konsolen vereinfachte Spielesteuerung ermöglicht. Durch das berührungsempfindliche Touchscreen sowie ein eingebautes Mikrofon können mobile Spiele erstmals durch Berührung oder Spracheingabe gesteuert werden. Außerdem können via WLAN mit Besitzern weiterer Nintendo DS-Konsolen kabellos Multiplayer-Spiele gespielt werden. Diese Möglichkeiten macht sich auch das Gehirnjogging-Programm von Dr. Kawashima zunutze. Mit einem mitgelieferten Stift kann das Spiel mit Hilfe des Touchscreens gestartet werden.
Zunächst wird mit ein paar kleineren Tests das geistige Alter festgestellt; eine für die meisten Spielerinnen und Spieler wohl recht deprimierende Angelegenheit, da die auf dem Display angezeigte Zahl in den meisten Fällen deutlich über dem tatsächlichen Alter der Testperson liegt. Dann geht es Tag für Tag daran, sich geistig zu verjüngen: Mit kleineren Rechenaufgaben oder einem Merkspiel, bei dem bestimmte Worte behalten werden müssen, kommt man dem Ziel näher, sein geistiges Alter der Zielmarke „20 Jahre“ anzunähern, denn nach Dr. Kawashima ist man mit 20 Jahren am fittesten. Die Aufgaben sind von ihrer Art her meist recht einfach strukturiert, trotzdem aber sehr abwechslungsreich gestaltet: Mal muss zum Beispiel gezählt werden, wie viele Bewohner sich in einem Haus befinden, was mit der Zeit schwierig wird, weil man nicht das Innere des Gebäudes sieht, sondern nur, wie viele Personen über die Zeit das Gebäude betreten oder verlassen. Oder aber es muss laut aufgesagt werden, welche Farbe die auf dem Screen dargestellten Buchstaben haben. Der Trick dabei ist, es erscheint zum Beispiel das Wort „Schwarz“ in blauen Buchstaben, so dass die richtige Antwort „Blau“ lautet. Da kann man sich leicht irritieren lassen, vor allem wenn es schnell gehen soll. Die Handschrift-Erkennung via Touchpad und die Spracherkennung via Mikrofon funktionieren erstaunlich gut.
Allerdings gibt es Probleme bei der Spracheingabe, wenn man zu laut spricht, dann wird man immer wieder aufgefordert, noch einmal zu sprechen und das kostet Zeit und Gehirnjogging-Punkte. Fraglich bleibt allerdings, ob man durch Dr. Kawashimas Gehirn-Jogging-Programm wirklich schlauer wird. Nun ich denke, das lässt sich nicht eindeutig beantworten. Entscheidend ist aber, dass das Spiel Spaß macht und zumindest bei den Rechen- und Merkaufgaben die Spieler anregt werden, ihr Gehirn anzustrengen. Der Wettbewerbscharakter sorgt zusätzlich dafür, sich ständig verbessern zu wollen, denn wer will schon auf einem geistigen Alter von 65 Jahren stehen bleiben. Somit ist Dr. Kawashimas Gehirn-Jogging-Programm sicher ein netter Zeitvertreib, der den Spielenden das Gefühl vermittelt, sich geistig fit zu halten.
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Autor: Günther Anfang
Beitrag als PDFEinzelansichtHannah Landeck: Zeitreise in einen Glaubenskrieg
Boie, Kirsten (2007). Alhambra. Hamburg: Friedrich Oetinger Verlag, 432 S.,17,90 €
Boie, Kirsten (2007). Alhambra. Gesprochen von Dieter Wien. Hamburg: Jumbo, 8 CDs, 34,95 €
Alles beginnt mit einer Klassenfahrt nach Granada. Auf dem Programm steht auch der Besuch der Alhambra, dem maurischen Palast. Boston, Hauptfigur im Roman, ist ein schüchterner Junge und im Gegensatz zu seinen Mitschülerinnen und Mitschülern fasziniert von diesem geschichtsträchtigen Ort. Da er jedoch Angst vor mangelnder Anerkennung hat, traut er sich nicht, sein Interesse zu bekunden. Später, auf einem Touristenmarkt, ist Boston auf der Suche nach einem Souvenir für seine Mutter. Er stöbert im Laden des gedankenverlorenen Händlers Manuel Corazón, entdeckt eine alte maurische Fliese mit antiken Schriftzeichen und plötzlich ist alles anders: Ein Zeittor hat sich durch die Fliese geöffnet, Bosten befindet sich im Jahr 1492. Das Jahr, in dem Kolumbus Amerika entdeckt und in Spanien ein Krieg der Religionen herrscht. Das letzte maurische Königreich Granada ist eingenommen. Unter der Regentschaft des katholischen Königspaares Isabella und Ferdinand bestimmt die Härte der Inquisition das Leben. Die Juden- und Maurenverfolgung hat begonnen und viele Menschen sind auf der Flucht. Boston erlebt bei seiner Zeitreise nicht nur Geschichte, er wird auch Teil derselben. Durch seine ‚komische’ Kleidung erweckt er Misstrauen und nachdem der Inhalt seines Rucksackes – ein Handy, ein Reiseführer und ein Geldbeutel – entdeckt wird, gilt Boston als Verbündeter des Teufels. Das gesamte Land sucht nach ihm, seine Reise wird lebensgefährlich. Der Held der Geschichte muss fliehen. Zum Glück hat er Freunde gefunden, die sich in einer ähnlichen Situation befinden. Auch der Jude Salomon und der Moslem Tariq leben gefährlich im Jahr 1492. Es müssen spannende Abenteuer bewältigt und viele Fragen beantwortet werden. Wie kann Boston wieder zurück in die Gegenwart reisen? Die geheimnisvolle Fliese, die ihn hierher brachte, ist verschwunden.
Der Roman ist sehr komplex aufgebaut und die Erzählebenen Vergangenheit und Gegenwart werden den Leserinnen und Lesern im ständigen Wechsel präsentiert. Jedoch ist diese Komplexität beim Lesen nicht störend. Durch eine anschauliche, dichte Erzählweise wird trockener Geschichtsstoff lebendig. Die einzelnen Charaktere sind detailliert und facettenreich, so dass historisches Handeln nachvollziehbar wird. Ein Glossar am Ende des Buches trägt zudem zur Verständlichkeit bei. Neben historischen Geschehnissen erzählt Kirsten Boie jedoch auch eine Geschichte der Freundschaft, die sich zwischen Boston, Salomon und Tariq entwickelt. Aspekte wie Vertrauen, Hilfe und Unterstützung werden angesprochen. Durch diese Freundschaft wird ein Miteinander der Religionen dem vorherrschenden Glaubenskrieg entgegen gestellt. Immer wieder finden sich im Buch auch komische Situationen, die zum Schmunzeln verführen. Die fast philosophischen Gedankenspiele über den Zusammenhang von Vergangenheit und Zukunft regen zum Nachdenken an.
Auch wenn die Zeitreise phasenweise etwas konstruiert wirkt, ist Alhambra äußerst lesenswert und in keiner Weise ein trockener Geschichtsroman. Das Buch besitzt viele Höhepunkte, die jugendliche Leserinnen und Leser mit Spannung verfolgen können, und Kirsten Boie schafft es, sehr eindringlich die Atmosphäre der damaligen Zeit zu schildern.
Zum Buch Alhambra ist auch eine Hörbuchfassung mit acht CDs erschienen. Dieter Wien, dem Sprecher, gelingt es, den jeweiligen Personen sprachtypische Besonderheiten zu verleihen. Der Großinquisitor Torquemada wird als eine grausame Person, die alle fürchten und „hinter dessen Augen kein Lächeln ist“, charakterisiert. Diese Darstellung der Person findet sich auch in seiner Sprechweise, einer scharfen, harten Sprache und nachdrücklichen Äußerungen, wieder. Die personentypische Sprache verdeutlicht Charakteristika der einzelnen Personen. Begleitet wird das Hörerlebnis mit ansprechender Musik von Ulrich Maske. Diese fungiert als Trennung oder Überleitung zwischen einzelnen Passagen oder Kapiteln. Beim Hören lassen sich viele Kleinigkeiten entdecken, die durch die dichte Erzählweise im Roman vielleicht überlesen wurden. Besonders wenn die Zuhörenden die genauen, bildhaften und atmosphärischen Umgebungsbeschreibungen vorgelesen bekommen, wird die Stimmung des Jahres 1492 erlebbar. Ein paar Hintergrundgeräusche würden das Hörbuch noch bereichern, aber es gelingt auch so, die Geschichte und die damalige Zeit für die Hörenden fesselnd und teilweise zum Greifen nahe zu transportieren.
Insgesamt ein spannendes Buch wie auch Hörbuch für Jugendliche. Alhambra wird ab zwölf Jahren empfohlen. Zwar werden die historischen Zusammenhänge verständlich beschrieben, doch aufgrund der Komplexität der Handlungen und des raschen Wechsels der Geschehnisse ist der Roman tendenziell für ältere Kinder oder sehr gute Leserinnen und Leser geeignet.
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Autor: Hannah Landeck
Beitrag als PDFEinzelansichtJens Dehn: Nordische Filmtage Lübeck
Kein anderes Thema hat die Medien während des abgelaufenen Jahres so beschäftigt wie die von Thilo Sarrazins Buch ausgelöste Debatte um integrationsunwillige Migrantinnen und Migranten in Deutschland. Seriöse Tageszeitungen und TV-Sendungen haben sich gleichermaßen wie Boulevardmagazine vor den Karren spannen lassen, um der Frage nachzugehen, wie gespalten das Land tatsächlich ist. „Die Medien neigen gerne zur Problematisierung“ konstatiert Elsa Kvamme, norwegische Dokumentarfilmregisseurin, und meint damit sowohl deutsche Medien als auch die in ihrer Heimat.
Mit ihrem Film Die Könige von Oslo war Kvamme im vergangenen November bei den Nordischen Filmtagen in Lübeck zu Gast, einem der traditionsreichsten Filmfestivals in Deutschland. Fernab von plakativer Verallgemeinerung und Stereotypisierung wurden hier mehrere Filme gezeigt, die sich – obwohl in anderen Ländern und Kulturen entstanden – eingehend mit eben jener Integrationsthematik beschäftigen. Und obwohl es nicht einmal dem Kern dieser Filme entspricht, werden hier sehr präzise Gründe offenbart, warum es oftmals so schwierig ist, ausländische Menschen in einen bestehenden Kulturkreis zu assimilieren. Deutschland ist – das wurde in Lübeck deutlich – bei weitem nicht das einzige Land, dessen Integrationspolitik die eigene Regierung vor Herausforderungen stellt. Als die Schweden im September ein neues Parlament wählten, ging ein Aufschrei durch das einstige liberale Vorzeigeland. Erstmals zog die rechtspopulistische Partei „Schweden-Demokraten“ in den Reichstag ein. Deren oberstes Ziel im Wahlkampf: die massive Einschränkung bei Zuwanderungen. „Das sagt ja schon einiges aus“, meint Peter Kropénin, Produzent des Spielfilms Between two Fires. „Ich hoffe, dass unser Film helfen kann, Asylanten wie Marta zu verstehen und auch ihre Perspektive zu akzeptieren.“ Marta ist die Hauptfigur in Between two Fires, die mit ihrer zehnjährigen Tochter vor dem gewalttätigen Liebhaber aus Weißrussland flieht und in Schweden Asyl beantragt. Im Asylantenheim lernt sie den Algerier Ali kennen und lieben, doch um ihre Aufenthaltsgenehmigung zu sichern müsste sie den Schweden Bengt heiraten, einen alten Mann.
Die in Polen geborene Regisseurin Agnieszka Lukasiak hat aus der Geschichte ein großartig inszeniertes Drama gemacht, das den Schwebezustand aus ständiger Hoffnung auf der einen Seite und der Angst, abgeschoben zu werden auf der anderen schildert. Einfühlsam, teils bedrückend, aber immer faszinierend erhalten die (sozial abgesicherten) Zuschauerinnen und Zuschauer so realistische Einblicke in die Parallelwelt der Asylbewerber, deren Lebensumstände, Hintergründe und Notwendigkeiten ihnen im realen Leben gänzlich verschlossen bleiben. Lukasiak wollte keine Systemkritik am schwedischen Sozialstaat üben, dennoch kommen die Vertreter des Staates denkbar schlecht weg. Für Mick Pantaleo, Assistenz-Regisseur bei Between two Fires, jedoch eher eine Frage der Perspektive, denn der Kritik: „Marta trifft Leute, die immer sagen, sie können helfen. Aber tatsächlich tun sie es nicht, weil das System zu verfahren ist. Daher ist es in meinen Augen eher eine Perspektive von Marta: In dem Auffanglager gibt es einfach keine Beziehung zwischen den Asylanten und den schwedischen Autoritäten.“ Tatsächlich nimmt der Film sehr strikt die Blickweise der Immigrantinnen und Immigranten ein. Das Rechtssystem erscheint dabei als gefühlskalt. Dass es sich hier um Schweden handelt, ist nebensächlich, die Geschichte selbst kann sich so beinahe überall abspielen. Man kommt in ein fremdes Land, ist in einem Camp untergebracht, hat keinen Kontakt zu Einheimischen. Nur zu Leuten, die die Sprache genauso wenig verstehen. Eine verfahrene und hoffnungslose Situation. „In Großbritannien ist es genauso“, ergänzt der Engländer Pantaleo. „Wenn Leute ins Land kommen, sehen sie sich damit konfrontiert, dass sie nicht sehr willkommen sind. Dieses Gefühl gibt man ihnen nicht. Erstmal werden sie entmutigt, um dann zu sehen, ob es ihnen wirklich ernst ist und ob sie tatsächlich Hilfe brauchen.“ Selten wurde dieses emotionale Wechselbad so aufwühlend dargestellt wie in Between two Fires.
Ein erschütterndes Beispiel, wie Integration keinesfalls funktionieren kann, zeigt auch der dänische Spielfilm Das Experiment. In den 1950er Jahren wurden 22 grönländische Kinder ihren Eltern entrissen und nach Dänemark zu Pflegefamilien gebracht. Nach dem Willen des dänischen Staates sollten sie sich den dänischen Gepflogenheiten anpassen und zu einer Art „Elite“ Grönlands herangebildet werden. Einige der Kinder wurden adoptiert, die restlichen kamen nach einem Jahr zurück in ihre Heimat. Allerdings nicht zu ihren Angehörigen, sondern in ein Pflegeheim. Das Experiment scheiterte: Die Kinder verlernten in der Fremde ihre grönländische Muttersprache, wurden weder in Dänemark noch in Grönland akzeptiert und litten teilweise ein Leben lang unter der Entwurzelung. Das Thema war sowohl in Dänemark als auch in Grönland lange Zeit tabu. Erst jetzt wird in der Öffentlichkeit verstärkt über dieses dunkle Kapitel der dänisch-grönländischen Geschichte gesprochen. Ein Verdienst der Regisseurin Louise Friedberg, die die Geschichte der Kinder einfühlsam aufarbeitet. „Als der Film heraus kam, gab es schon eine ziemliche Aufregung in den Medien, sowohl in Dänemark als auch in Grönland. Ich hoffe natürlich, dass daraus etwas Nützliches entsteht“, sagt Friedberg. „Es gab schon früher Diskussionen darüber, ob sich Dänemark entschuldigen sollte, das hat der Staat bislang nie getan. Der Premierminister hat es verneint, weil er meinte, man solle keine alten Wunden aufreißen. Die Debatte wurde damals schnell geschlossen, aber jetzt brandet sie wieder auf.“ Die Geschichte des gescheiterten Experiments zeigt, dass man Entwicklungen nicht erzwingen kann. Das galt in den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts nicht minder als heutzutage, wie Louise Friedberg unterstreicht: „Es ist im Film nicht mehr offensichtlich, aber wir haben während der Arbeit am Drehbuch viel über Parallelen zu unserem heutigen Verhalten gesprochen. Ich denke, in Dänemark ist es noch zehn Mal schlimmer als in Deutschland. Es wird dort heftig darüber diskutiert, dass es Ausländern nicht erlaubt sein sollte, ihre Muttersprache in der Schule zu lernen. Das ist ein Problem. Ich finde, wir tun ihnen damit dasselbe an, wie den Kindern damals. Man will den anderen anpassen, anstatt ihn zu akzeptieren. Für mich ist da eine Parallele zu heute.“
Doch es geht auch anders: Eine weitaus positiver verlaufende Form der Integration als in den beiden Spielfilmen weist Elsa Kvammes eingangs erwähnte Dokumentation Die Könige von Oslo auf. Zeigen, dass es trotz unterschiedlicher kultureller Hintergründe auch Schulklassen gibt, die zusammenhalten und füreinander einstehen, ist eines der Anliegen, das die Regisseurin mit ihrem Film verfolgt. Mit den titelgebenden Königen ist die siebte Klasse einer sogenannten „Barneskole“ in Oslo gemeint. Das Schulsystem in Norwegen ist ein anderes, erst ab der achten Klasse werden Noten vergeben. Bis dahin sind die Kinder nur nach ihren Altersstufen unterteilt. Die Folge: Länger als in Deutschland bleiben die Klassen gemischt. Hauptschulklassen mit über 90 Prozent Migrantenanteil findet man hier bei den Zwölf- bis 13-Jährigen noch nicht. Das alleine ist für Elsa Kvamme aber noch nicht ausschlaggebend für ein gelungenes Miteinander: „Ich glaube, es hat vor allem sehr viel mit der Energie der Lehrer zu tun. Dass sie alle Kinder ernst nehmen. Denn es gibt große Unterschiede in dieser Klasse. Einige haben ganz große Probleme, mitzukommen. Aber sie können sich alle an sozialen Diskussionen beteiligen, sie sind trainiert darin, zu diskutieren. Das ist sehr wichtig, dass alle ihre Meinung aussprechen können. Das hat mich an dieser Klasse wirklich fasziniert, und ich glaube, das ist fast wichtiger als das Fachliche: dass man den Kindern Selbstrespekt gibt und sie involviert sind.“ Ausgangspunkt ihres Films war der Wunsch Kvammes, ihre eigene Tochter Mina an der Schwelle zwischen Kind und Jugendlicher zu filmen, um sie so besser kennen zu lernen. Mina selbst ist äußerlich alles andere als typisch norwegisch, als Einjährige wurde sie in China adoptiert. Ihres anderen Aussehens ist sich die 13-Jährige bewusst, trotzdem fühlt sie sich zu 100 Prozent als Norwegerin. Genau wie ihr Klassenkamerad Haadi, der mit kindlicher Selbstverständlichkeit erklärt, er stamme ursprünglich aus der Küstenstadt Molde, nicht etwa aus Somalia. „Ich glaube, die Kinder haben eine grundsätzliche Positivität“, beschreibt Elsa Kvamme die Stimmung in dieser multikulturellen Klasse. „Wir haben an dem Film etwa sieben Monate geschnitten, wir haben also sehr viel mit den Kindern „gelebt“ im Schnittraum. Und alle, die daran beteiligt waren, haben es geliebt, mit den Kindern zusammen zu sein und in ihre Welt zu tauchen, wo es so viel positive Energie gibt. Das müssen Journalisten auch erkennen, nicht nur immer alles schwarz sehen.“
Beitrag aus Heft »2008/01: Jugendmedienschutz auf dem Prüfstand«
Autor: Jens Dehn
Beitrag als PDFEinzelansichtOrtwin Thal: Der diskrete Charme der Gewalt
Was die Liebe zum Kino so alles anrichtet: Quentin Tarantino gefällt sich in Planet Terror in einer Nebenrolle als gewalt- und sexgeiler Soldat, den lediglich der Umstand, dass sein Geschlechtsteil sich in Schleim und Eiter verwandelt, davon abhalten kann, eine Frau zu vergewaltigen. Kein Wunder, ist der Gute doch längst von einem Zombie-Virus befallen, das er nur befristet durch ein über die Atemmaske inhaliertes Gegenmittel in Schach halten kann. Da seine Geilheit jedoch stärker ist, verwandelt ihn das Virus innerhalb weniger Minuten in einen fauligen und sich auflösenden Untoten, dessen lustvolle Darstellung auf eine wichtige Frage des aktuellen Horrorfilm-Revivals hinweist: Lachen oder Kotzen?
Traditionen der Metaphorik: Was den Horrorfilm so umtreibt
Zunächst: was den Horrorfilm wirklich umtreibt, scheint auf den ersten Blick klar zu sein – die Zunahme expliziter Gewaltdarstellungen (z. B. in Saw und seinen Sequels), die Sorgen der jugendschutzorientierten Mahner, die etwas liberalere Deutungs- und Interpretationslust der Filmkritiker und die simple Tatsache, dass sich das Geschäft mit dem Horror rentiert, beispielsweise auch angesichts einiger 100 Millionen Dollar, die von der Saw-Serie eingespielt wurden. Wer nicht über die psycho-pathologische Relevanz dieser Erfolgsgeschichte nachdenken will oder kann, muss sich dennoch fragen, wie die unterschiedlichen Betrachtungsansätze unter einen Hut gebracht werden können1.In keinem Genre wird so viel gedeutet wie im Horrorfilm. Der Fundus ist breit angelegt: Psychoanalyse, Soziologie, Ästhetik, Anthropologie und Pädagogik. Auf der anderen Seite ist kaum ein Genre so nah dran am billigen Spektakel der Jahrmarktssensation, was bei Eltern, Pädagogen und Jugendschützern Ängste vor den Folgen auslöst. Und last but not least dürfte wohl auch in keinem anderen Genre der Abstand zwischen dem Bildungsstand der Kritiker und dem Motivationsgemenge des Massenpublikums so groß sein wie im Horrorfilm.
Horrorfilme sind zunächst ein Produkt. Neben dem ökonomischen Aspekt erfolgt das Durcharbeiten der Genrethemen und ihrer Erzählmuster (nicht nur im Horrorfilm) meiner Meinung nach aus zwei Gründen: Entweder hat der Filmemacher ein cinephiles, meistens sehr formales, vielleicht gar leicht obsessives Interesse an der Variierung und Steigerung/Exploitation eines Themas (Tarantino, Rodriguez) oder er nutzt die einem Genre zugrunde liegende metaphorische oder allegorische Qualität, um eine ‚Botschaft’ zu verbreiten. Letzteres wird am häufigsten vermutet, darauf scheint die Deutungspraxis der Kinotheorie und der Kritiker in den letzten Jahren hinzuweisen.
Dies führt zu einem ‚kleinen’ Problem: Parabeln, Metaphern oder Allegorien funktionieren nur, wenn Publikum bzw. Leserschaft im Bildungsfundus ‚erlernte’ Deutungscodes besitzen, die abgerufen werden können, um das Material zu interpretieren. Diese Codes sind kulturgeschichtlich tradiert oder werden im Kontext einer avantgardistischen Grenzüberschreitung neu erzeugt (Romeros Night of the Living Dead war 1968 eine derartige Grenzüberschreitung). Für die Codes (zum Beispiel des Horrorfilms) sind Kinotheoretiker und Filmkritiker verantwortlich. Auch wenn diese These nicht ganz ironiefrei ist, möchte sie doch auf ein Problem hinweisen: die schreibende Zunft lebt in einem hermetischen Kosmos und kann scheinbar nicht erkennen, dass einem Großteil des Publikums dieser Bildungsfundus gar nicht zur Verfügung steht. Man kann nur vermuten, dass sich ein Teil des Publikums deshalb wohl auch intuitiv vor komplexeren Deutungsangeboten ‚schützt’ und sich den völlig bedeutungsfreien und sadistischen Varianten des Genres zuwendet.2 Ein weiterer Aspekt bleibt daher meist im Verborgenen: Der Filmemacher antizipiert die Fähigkeit des Kritikers, Bedeutungen zu lesen, und präpariert seinen Film so, dass sie auch gefunden werden können.
Das ist natürlich etwas boshaft formuliert, aber kompliziert wird die ganze Angelegenheit im Falle des post-modernen Horrorfilms dadurch, dass der Trend erkennbar ist, durch außergewöhnliche Tabubrüche die von der Gesellschaft temporär akzeptierten ‚Grenzen des Zumutbaren’ zu überschreiten, ohne dass man auf den ersten Blick erkennen kann, ob sich dies einer avantgardistischen Erzähllust, ernst gemeinter Gesellschaftskritik oder/und einfach dem ökonomischem Kalkül verdankt.
Mancher vermutet eher letzteres. So schreibt Stefan Höltgen in seiner Arbeit The Dead Walk (2000) zu Recht, dass George A. Romeros The Night of the Living Dead nicht nur avantgardistisch war, sondern auch einen ökonomischen Mechanismus in Gang gesetzt hat, der zwangsweise die Brutalisierung des Genres nach sich zog: „… zukünftig musste sich jeder Streifen, der ökonomisch etwas gelten wollte, an der ‚Machart’ von Night of the living Dead messen lassen. Hinter diese Grenze zurück zu fallen, war gleichbedeutend damit, einen Flop zu riskieren. Das bedeutete also: ‚Härter’ (sprich: ekliger) sein als Night of the living Dead. Das ‚Prinzip des Fortschritts’ war damit als notwendiges Genreprinzip des Horrorfilms etabliert.“3
Doch immer wieder schob sich die Botschaft vor die Ökonomie. Bereits recht früh sprach Romero von der „sozialpolitischen Bedeutung seiner Filme“ und 2005 kommentierte er „Land of the Dead“: „… Es geht um das Ignorieren von Problemen. Es geht um Armut, Aids und Obdachlosigkeit. In meinem Verständnis sollten Filme immer die Zeit reflektieren, in der sie gedreht werden. Das gilt besonders für die sozialpolitischen und gesellschaftlichen Aspekte. Und die Schere zwischen Arm und Reich wird nun mal immer größer in Amerika… Das ist ja das, worum es heutzutage geht in Bushs Amerika.“ Ob man nun wie Wim Wenders mit Land of Plenty nach Antworten suchen sollte oder einen Zombie-Film dreht, sei dahingestellt. Auf jeden Fall hat sich Romero damit an der Erzeugung von Deutungscodes beteiligt und damit ein Problem erzeugt, das schon die Altvorderen kannten: Abusus non tollit usum (Missbrauch hebt den richtigen Gebrauch nicht auf). Wobei schon ausgeführt wurde, wer die gültige Deutungshoheit besitzt und damit den ‚richtigen Gebrauch’ vor den Niederungen gemeiner Schaulust schützt.
„Ernste Menschen haben selten Ideen, Ideenreiche sind nie ernst.“ (Paul Valéry)
‚Richtiger Gebrauch’ ändert sich mit dem Zeitgeist: So wurde unlängst (Oktober 2007) auf ARTE George A. Romeros Day of the Dead zu nachtschlafender Zeit ausgestrahlt, zwar nur in der FSK 16-Fassung, aber selbst dies wäre noch vor Jahren vermutlich undenkbar gewesen. Aktuelle Varianten berühren unser Thema nur am Rande: zum Beispiel die Computerspielverfilmung Resident Evil (Paul W. S. Anderson, 2002), das nicht sonderlich überzeugende 28 Days Later (Danny Boyle, 2003) oder das zynisch kalkulierte Remake Dawn Of the Dead (Zack Snyder 2003), in dem (wie auch bei Boyle) die Zombies ziemlich fix auf den Beinen sind und nicht mehr Romero-like durch die Gegend wanken. Edgar Wrights versuchte es mit einer Persiflage: Shaun of the Dead (2004). Dass dies die Kritiker insgesamt milder stimmt, schien auch die FSK nachvollziehen zu können: die in einigen Versionen beschlagnahmten Dead-Klassiker Romeros wirken im Vergleich mit Shaun zwar nicht altbacken, haben aber Splatter-Fans mittlerweile kaum mehr zu ‚bieten’ als der mit FSK 16 versehene britische Zombie-Spaß. Shaun of the dead ist ein gutes Beispiel dafür, dass eine Genre-Ikonographie unter bestimmten Voraussetzungen nicht mehr als sonderlich bedrohlich aufgefasst wird.
Etwas näher am Thema war Land of the Dead (2005), der dritten Teil der Dead-Trilogie, in dem Romero einen philosophisch eher schwachbrüstigen Diskurs über lernfähige Zombies führte, die einer korrupten und vom Geld- und Warenfetischismus beherrschten Gesellschaft den Garaus bereiten. Immerhin: Romero hatte wenigstens etwas zu sagen, wenn auch nicht mehr so viel wie in Dawn Of The Dead (wo man das Allegorische als Kapitalismus-Kritik lesen kann, was einige Kritiker auch taten). Die neuesten Produkte auf dem Markt sind 28 Weeks Later (Juan Carlos Fresnadillo, 2007) und Planet Terror (Robert Rodriguez, 2007), die allerdings unterschiedlicher nicht sein können. An beiden Filmen fällt zunächst auf, dass sie Splatter in einer Weise präsentieren, die zumindest eins verdeutlicht: Das von Höltgen angekündigte ‚Prinzip des Fortschritts’ im Horrorfilm hat sich wohl durchgesetzt.
Die Grindhouse-Variante: Ekel-Zombies in Planet Terror
Planet Terror gehört ebenfalls zu den persiflierenden Filmen, aber dabei geht es nicht so sehr um das Zombiefilm-Genre, sondern um das Grindhouse-Projekt. Ältere Kinogängerinnen und Kinogänger erinnern sich vielleicht noch an die billigen Pulp-Filme der 70er Jahre, die in Bahnhofskinos als freche Mischung aus Dilettantismus und spekulativer Professionalität abgespult wurden. Tarantinos Death Proof und Planet Terror sollten als Double Feature samt Fake-Trailern und Kinowerbung das Publikum in diese Grindhouse-Kultur entführen. Das Ganze floppte und in Europa sind die Hauptfilme nun separat in längeren Schnittversionen zu sehen. Es ist nicht neu, dass Tarantino und Rodriguez (From Dusk Till Dawn) ihre cineastische Traditionsverpflichtung anders sortieren als der gemeine Filmemacher.
Als Handlungsrahmen dient in Planet Terror die Geschichte einer bereits infizierten US-Eliteeinheit, die den Zombie-Virus freisetzt, um die immun reagierenden Menschen für die Herstellung eines heilenden Serums zu missbrauchen. Erzählt wird jedoch eine Survival-Geschichte, in der (wie originell) eine Gruppe skurriler Typen ihre (welch ein Zufall) martialischen Qualitäten einsetzt, um ihr Leben und ein Barbecue-Saucen-Rezept zu retten. Heldin ist die Go-Go-Tänzerin Cherry (Rose McGowan), die auf dem Höhepunkt des Geschehens ihr von Zombies abgefressenes Bein mit einer äußerst effizienten Prothese ersetzt: einem Schnellfeuergewehr. Sie wird vermutlich zur neuen Ikone des Genres. Inszenatorisch bietet der Film eine Ekel- und Metzelparade, die Romero wie einen unbedarften Schuljungen dastehen lässt. Was Planet Terror bislang vor einer Indizierung gerettet hat, ist unklar. Aber vielleicht waren die Juroren angesichts der zerplatzenden Körper und der zu Match geschossenen Köpfe, der herausgerissenen Därme und der aufplatzenden Eiterbeulen der Meinung, dass auch hier die Persiflage im Gegensatz zu einem realistisch-allegorischen Film wie Dawn of the Dead keineswegs eine Gewaltverherrlichung ist, sondern ein greller Cineasten-Scherz. Das mag wohl sein, denn Rodriguez’ Film ist tatsächlich ungemein witzig, auch wenn man sich bei einigen Kritiken zuweilen an den hoffentlich noch nicht zombifizierten Kopf fassen muss: „Der Irakkrieg und die Folgen namens Guantanamo und Abu Ghraib, die man noch vor wenigen Jahren selbst nur für Fiktionen einer übertreibenden Fantasie und die Ausgeburt eines Horrorregisseurs gehalten hätte, bilden den seelischen Hintergrund des Films und der ganzen aktuellen neuen Horrorwelle im US-Kino … Man kann von Rodriguez und Tarantino halten, was man will – aber ihre Filme (auch Sin City, Kill Bill) sind politisch regierungskritisch gemeint“ (Rüdiger Suchsland in TELEPOLIS).
Na denn. Wie angesichts der offenkundig völlig selbst-referentiellen Trash-Orgie ein von mir geschätzter Filmkritiker dieser cineastischen Masturbation auf den Leim gehen konnte, dürfte sich unschwer aus der Deutungsdynamik des Genres ableiten lassen. Wer sich mit Jugendlichen und Kindern unterhält, die derartige Filme leicht aus dem Internet ‚saugen’ können, erfährt einiges über die Grenzen der Dekodierung. Diese ‚Zielgruppe’ kennt zum Glück nicht die Deutungsangebote der avancierten Filmkritik, denn sonst hätten Medienpädagogen und Lehrerinnen und Lehrer in ihrer täglichen Praxis einen noch schwereren Stand.
Romeros Traditionen: 28 Weeks Later
Eindeutig in der Tradition des allegorischen Horrorfilms steht indes 28 Weeks Later, bei dem Danny Boyle als Producer (28 Days Later) die Regie dem Novizen Juan Carlos Fresnadillo überließ. Anders als in Romeros düsteren Endzeit-Visionen zeigt das Sequel, was passieren kann, wenn man die Seuche scheinbar zu beherrschen gelernt hat: Monate nach Ausbruch des „Rage“-Virus sind die fleischfressenden Infizierten verhungert und die Überlebenden versuchen in einem von der Nato und der britischen Armee verwalteten Wohnkomplex den zivilisatorischen Neustart.
Als zwei Kinder aus dem abgeriegelten und sorgsam durch Videokameras kontrollierten Komplex ausbrechen, um ihre Mutter zu suchen, schleppen sie das Virus unbeabsichtigt wieder ein. Die infizierte Mutter ist zwar immun, steckt aber auf der Krankenstation ihren Mann Don (Robert Carlyle) an, der zum Zombie mutiert und die rasende Verbreitung der Seuche auslöst. Obwohl das Militär in einem minuziös dargestellten Blutbad Infizierte und Nicht-Infizierte ausrottet, gelingt nicht nur den Kindern die Flucht aus dem brennenden Edel-Ghetto, sondern auch Don. Dieser infiziert im Show-down seinen Sohn, doch auch das Kind ist immun. Zusammen mit seiner Schwester und einem Hubschrauberpiloten flieht es von der Insel und kann nun das Virus verbreiten. Das Schlussbild zeigt, dass wir mit einem weiteren Sequel zu rechnen haben.
Fresnadillos inszenatorisch gelungener Film stellt seinen Vorgänger deutlich in den Schatten. Das liegt nicht nur an seinen filmischen Qualitäten, sondern auch an seinen überbordenden Deutungsangeboten, die von der Kritik bereitwillig aufgenommen wurden: So spiegelt 28 Weeks Later vermeintlich den Irakkrieg und die Widersprüche militärischer Präsenz wider, man erkannte das traumatisierende Seuchenthema Aids, die Perfidie des Überwachungsstaates und die Zerstörung des Gemeinwesen, die folgerichtig der Ausgrenzung der Familie folgt. Es überraschte einige Kritiker, dass 28 Weeks Later trotz seiner intellektuellen Vorzüge nicht auf drastische Splattereffekte verzichten konnte. Sie haben offenbar die Dynamik des Genres nicht verstanden. Fresnadillos Film leistet einen weiteren Beitrag zum ‚Prinzip des Fortschritts’ (Höltgen), etwa indem ein Hubschrauber Dutzende von Zombies zerstückelt und die Kamera anschließend dokumentarisch über die Leichenteile schwenkt. Aus der insgesamt positiven Reaktion der Kritik kann man zwar eine gewisse Plausibilität herauslesen, indes lässt sich 28 Weeks Later auch mühelos als reaktionär-repressives Produkt deuten.
1. setzt er auf bekannte Genretopoi: Zum Beispiel die ewige Rückkehr des Bösen/des Monsters (Michael Myers-Prinzip), die in einem Sequel mit unweigerlicher Macht gewalttätiger, aggressiver und düsterer ausfallen muss. Der Film bedient sich zwar der leicht zu findenden Analogien zu aktuellen Realität, lässt aber bei der Bekämpfung des Bösen faschistoide Methoden als notwendig erscheinen,
2. legt das Ende des Film dem Zuschauer folgerichtig nahe, dass der militärische Überwachungsstaat nicht an seiner anti-liberalen Haltung gescheitert ist, sondern an seiner fehlenden Konsequenz4. Insgesamt zeigt sich, dass derartige Genrefilme mittlerweile völlig offen für Deutungen sind.
Die Metaphorik im Kino: eine Conclusio
Der Kultursoziologe Rainer Winter hat in seiner lesenswerten Arbeit „Zwischen Kreativität und Vergnügen. Der Gebrauch des postmodernen Horrorfilms“ zu Recht darauf hingewiesen, dass der post-moderne Horrorfilm unterschiedlich dekodierbar ist. Winter hat sich typologisch nicht nur mit den Fans, den „Buffs“ und „Freaks“ auseinandergesetzt, sondern auch mit dem „Kunstliebhaber“, den ich auch gerne als post-modernen Cineasten/Kritiker bezeichnen möchte: „Für sie ist charakteristisch, dass sie einerseits die Regisseure als „Auteurs“ im Sinne der Filmtheorie wahrnehmen. Sie identifizieren den Film mit seinem Regisseur und versuchen dessen stilistische Signatur zu entziffern. Auf der anderen Seite beziehen sie die gesehenen Filme jedoch nicht nur auf Filme, sondern stellen auch intertextuelle Bezüge zu anderen kulturellen Texten und Praktiken her. In den Zombiefilmen von Romero spüren sie die implizite Zivilisationskritik auf, in Carpenters Halloween (1978) entdecken sie eine subtile, nihilistische Abhandlung über das Böse und in Evil Dead (1983) die Bezüge zum Dekonstruktivismus im Sinne Derridas.“ Diese Charakterisierung lässt sich auch mühelos auf die Filmtheorie und -kritik übertragen. Alle Beteiligten beliefern sich gegenseitig mit Deutungsangeboten, die gleich mehrere Prädikate mitsamt ihren Widersprüchen verdienen:
1. Post-moderne Cineasten/Kritiker und ihre Deutungsangebote sind einerseits durchaus plausibel und begründet. Sie reflektieren ihren hohen (cineastischen) Bildungstand, der sensibel die Zusammenhänge zwischen sozialer Wirklichkeit und ihrer Verarbeitung im Kino registriert,
2. Sie sind andererseits aber auch konstruktivistisch, projizierend und bewegen sich in einem hermetischen Milieu, das sie systematisch von den profanen Lesarten des Massenpublikums abschirmt – und damit auch das Massenpublikum von den Lesarten der Kritiker.
Damit befinden wir uns in einem Dilemma: teilweise erzeugen die Kritiker erst die Phänomene, die sie vorgeben erkannt zu haben, institutionalisieren die dazu gehörende Begrifflichkeit und geben sie als Tradition an neue Generationen von Cineasten/Kritikern weiter, andererseits erkennen wir, dass das Meiste davon nicht völlig willkürlich ist. Denn: Nutzt man ihre Codes, so setzen sich die Filme auf sehr intelligente Weise in unseren Köpfen neu zusammen. Verfügt man aber nicht über diese Medienkompetenz, entstehen andere, möglicherweise gefährlichere Lesarten der Gewaltdarstellung im Kino. Das Problem bleibt: Abusus non tollit usum. Richtig oder falsch?
Insgesamt können wir ein buntes, schillerndes Spiel von Wechselbeziehungen und Querverbindungen beobachten. Es ist natürlich ein schöpferischer Prozess, der auch durch die Filmemacher befeuert und in Gang gehalten wird, Filmemacher, die sich bereits den Deutungskanon der Kinotheoretiker angeeignet haben.
Über allem scheint aber nach wie vor das Ökonomische zu schweben, das eigentlich darauf besteht, völlig frei von ideengeschichtlichen Substraten zu sein und sie doch benötigt, um die ‚Ware Film’ an den Mann zu bringen. Wir können beobachten, dass der Markt über- und unterirdisch seine eigenen Gesetze erzeugt und eine Kinotheorie5, die all dies unter einen Hut bekommen möchte, müsste sich vielleicht vom bevorzugten Blick auf die ästhetisch herausragenden Genreexemplare lösen und ganz tief in die Nischen des Schmuddelkinos und seiner Rezipienten eintauchen, um herauszufinden, ob der Horror nicht vielleicht doch ganz eindeutigen Verwertungsinteressen folgt und ob wir nur einer Illusion erliegen, wenn wir uns von ihnen durch unsere cineastische Metaphorik befreien wollen.
Anmerkungen
1 Dazu gehören sicher auch die Bewertungskriterien der FSK und der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM), die – gelinde gesagt – gelegentlich doch sehr ambivalent sind.
2 Dieser Logik folgte zumindest ein Kritiker angesichts des sehr ambivalenten Rachedramas The Brave One (Die Fremde in dir). Der Rezensent reagierte allergisch auf die Intellektualität des Plots und empfahl das Ballerspektakel Death Sentence mit Kevin Bacon, da dieser Rachefilm doch "einfacher und ehrlicher sei".
3 Wobei am Rande darauf hingewiesen werden muss, dass die Freizügigkeit der Gewaltdarstellung im Kino mit dem Fortfall der amerikanischen Zensurbestimmungen (Hays Code) im Jahre 1968 begann.
4 Ein Jugendlicher, der den Film als Interview-Download gesehen hatte, bemerkte in einem Gespräch mit mir: "Da darf keiner raus oder rein. Wer’s trotzdem tut, der muss erschossen werden. Die sind selbst schuld."
5 Wobei man nur bedingt auf das fast vergessene und knochentrockene Handbuch wider das Kino (1975) von Günter Peter Straschek zurückgreifen kann, das in seiner Orthodoxie heute etwas befremdlich wirkt.
Literatur
Faulstich, Werner: "Der Spielfilm als Traum. Interpretationsbeispiel: George A. Romeros ZOMBIE.
In: medien + erziehung, 29. Jg., H. 4, 195-209.
Höltgen, Stefan: The Dead Walk, Institut für Germanistik, 2000.
Suchsland, Rüdiger: Die meisten werden gleich gefressen. Zombies ziehen eine Schleimspur durch das Herz der USA: "Planet Terror". In: Telepolis, 11.10.2007.
Winter, Rainer: Zwischen Kreativität und Vergnügen. Der Gebrauch des postmodernen Horrorfilms, Bis-verlag 2005.Beitrag aus Heft »2008/01: Jugendmedienschutz auf dem Prüfstand«
Autor: Ortwin Thal
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publikationen
Archiv der Jugendkulturen e. V. (Hg.): if god is a dj ... – religiöse Vorstellungen von Jugendlichen
Gott ist tot – aber Totgesagte leben länger! Tatsächlich? Kennt die Jugend von heute überhaupt noch Glauben und Religion? Ist Beten aus der Mode? Gibt es keinen Gott außer dem Fußballgott? Oder ist das Gegenteil der Fall und Religion erlebt einen Aufschwung?Macht man sich auf die Suche nach Antworten auf diese Fragen, so wird man sich vielleicht an einen Soziologen wenden, vielleicht an eine Psychologin oder einen Theologen – und höchstwahrscheinlich so viele verschiedene Antworten bekommen, wie man Fragen gestellt hat. Oder man macht es wie Prof. Kurt Möller von der Esslinger Hochschule für Sozialwesen, der mit einigen Studierenden die Projektgruppe „Jugend und Religion“ gründete, und einfach die fragte, die es wissen müssen: die Jugendlichen selbst. Junge Christen und Muslime, Juden und Anhänger germanischer Religionen und der „Religion Fußball“ durften zu Wort kommen, plauderten über Religion und Transzendenz, Sinn und Unsinn von Glauben, Riten und Tradition, religiöses Selbstverständnis und Leben, Vorstellungen von Wahr und Falsch, Gut und Schlecht, Leben und Tod. Heraus kamen 162 Seiten Gespräche.
Der Titel des Werks „if god is a dj ...“ erinnert stark an einen gleichnamigen Song, in dem Sängerin Pink 2003 verkündete: “If God is a dj, life is a dance floor, love is the rhythm, you are the music.”Inhaltlich kommen ausschließlich die interviewten Jugendlichen zu Wort und deren Äußerungen decken so ziemlich alles ab, was man an Aussagen zum Thema Religion wohl finden kann: Da gibt es tiefe Glaubensbekenntnisse und kritische Hinterfragungen, innerste Überzeugungen und Unsicherheiten. Geordnet nach Glaubensrichtung finden sich unter den Überschriften „Mekka ist gleich nebenan“, „Wo geht's nach Walhalla“, „Zeitschaltuhr rettet Schabbat“, „Jesus verleiht Flügel“ und „Die Tore schießt der Fußballgott“ die Meinungen der Jugendlichen, unkommentiert als Originaltranskriptionen. Die Jugendlichen erzählen von Kopftüchern als Ehre oder Zwang, von verbotenen Beziehungen zwischen den Religionen, von ihren Hoffnungen auf den Himmel, ihren Zweifeln am Teufel, ihren Glauben an Walhalla und Hitlers „Mein Kampf“ oder ihr Vertrauen, dass der Fußballgott Schalke zum Sieg führt. Man stößt auf viel Undurchdachtes, aber auch auf viele kluge Ansätze und Ideen und vor allem zeichnet die Lektüre ein interessantes Stimmungsbild von Religion heute. Doch da ist auch der Haken. Da alle Interviews unkommentiert nebeneinander stehen, lassen sie viel Raum für Interpretation, um sich eine eigene Meinung, einen Eindruck zu verschaffen.
Dass das Buch herzlich wenig Fakten zu den Meinungen liefert, könnte auch nach hinten losgehen. Denn weniger kritische Leserinnen oder Leser können hier allzu sehr verführt sein, die Aussagen als repräsentativ zu sehen, die Meinungen für allgemeingültig zu halten. Doch ist es realistisch, dass es nur Christen, Juden, Muslime, Nazis und Fußballfans gibt unter den deutschen Jugendlichen? Und halten diese Gruppen sich so sehr die Waage, dass es gerechtfertigt ist, sie als fast gleichbedeutend nebeneinander zu stellen? Gerade bei sehr rechtsradikalen Äußerungen oder offensichtlich wenig durchdachten Meinungen würde man sich manchmal wünschen, mehr Hintergrundinformationen, Erklärungen, vielleicht den einen oder anderen kritischen Kommentar zu finden. Alles in allem also eine gute Lektüre, um sich ein Bild von Religion unter Jugendlichen zu machen – aber stets mit Vorsicht und einer gesunden Portion Skepsis zu genießen.
Schuler, Günter: Wikipedia inside / Chatwin, Margaret: Griff nach der Meinungshoheit. Internetkampagnen der ‚Jungen Freiheit’ am Beispiel von Wikipedia
Auf 600.000 Artikel bringt es die deutschsprachige Ausgabe der freien Internet-Enzyklopädie mittlerweile und übertrifft damit deutlich etwa den Brockhaus (300.000 Stichworte). An Schulen und Hochschulen ist sie – offen oder verdeckt – ständig präsent, vor allem als mal mehr, mal weniger redigiertes Rohmaterial für Referate. Hintergrundinformationen sind aber abgesehen von der umfangreichen Selbstdarstellung des Projekts und seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Internet selten. Kritisches fand sich bisher vor allem in einigen Artikeln in Zeitungen und Onlinemedien. Der Autor hat nicht nur diese zusammengetragen, er war auch selbst seit Frühjahr 2006 als Verfasser aktiv und lernte dabei einige der Meinungsführer persönlich kennen. Von diesen Erfahrungen profitiert sein Buch, das dem Projekt zwar kritisch, aber nicht prinzipiell ablehnend gegenüber steht.Schuler schildert das fulminante Wachstum des Internetprojekts seit seiner Gründung 2001 und geht ausführlich auf die bisherigen Skandale ein. So wurde 2005 einem US-Journalisten eine Verwicklung in den Mord an John F. Kennedy angedichtet. Im NRW-Landtagswahlkampf wurde unter anderem die Biografie des CDU-Spitzenkandidaten vom Netzwerk des Deutschen Bundestags aus ‚aufgehübscht’. Bekannt wurden auch gezielte Veränderungen an der Biografie des Siemens-Chefs Kleinfeld.
Eine interessante Ergänzung zu den von Schuler diskutierten Manipulationen bietet Chatwin, die die Aktivitäten von Sympathisanten der neurechten Wochenzeitung Junge Freiheit untersucht. Nach einem Aufruf 2005, gezielt bei Wikipedia mitzuarbeiten, kam es zu ‚Edit Wars’ um Beiträge zu Themen wie Konservative Revolution, Holocaust oder Carl Schmitt. All dies zeigt einige der Schwächen von Wikipedia. Jede und jeder kann Beiträge erstellen oder verändern, eine Kontrolle durch fachlich kompetente Administratorinnen oder Administratoren findet kaum statt. So halten sich zwar neonazistische Äußerungen, Beleidigungen oder offenkundige Falschmeldungen nur kurz, doch geschickt formulierte, aber inhaltlich fragwürdige Beiträge bleiben zum Teil lange im Netz, solange sie formal den Wikipedia-Prinzipien eines neutralen Standpunktes und des Belegens der Aussagen entsprechen. Erst nach langen Diskussionen werden sie geändert. Problematische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden ebenfalls erst nach langwierigen, nicht immer fairen internen Abstimmungen unter den Administratoren zeitweilig oder permanent ausgeschlossen. Problematischer als die eher seltenen politischen Einseitigkeiten sind die Interessen und der Schreibstil des harten Kerns der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der deutschsprachigen Wikipedia. Überwiegend sind die 300-500 Personen männlich, um 30 Jahre alt und haben eine akademische Ausbildung. Häufig steuern sie kenntnisreiche Fanartikel etwa zu Musik, Kunst oder Lokalgeschichte bei. Viele verfassen auch technisch richtige, aber für Laien schwer lesbare Artikel zu Technik, zum Beispiel zu Computerfragen. So ergibt sich eine Enzyklopädie, die zwar aktueller ist und mehr Gebiete abdeckt als etwa der Brockhaus, deren Texte aber häufig zwar nicht sachlich falsch, aber doch weitschweifig und unkritisch sind.
Leserbrief von Peter Schmidt, Stuttgart
Natürlich gehört zu einer Buchbesprechung auch der Bezug zu dessen Inhalten – zumindest zu einigen, vom Rezensenten für wesentlich gehaltenen Schwerpunktaussagen. Peter Bräunlein wählt sich aus den von ihm besprochenen beiden Büchern auch genau diejenigen Stellen aus, die sich, wie der Leser schnell erkennt, am besten mit der vorgefassten Meinung des Rezensenten decken.Im zweiten Teil der Buchbesprechung ergeht sich Bräunlein in der Wiederholung von in Zeitungen immer wieder zu lesenden Inhalten v. a. aus der Anfangszeit von Wikipedia. Was er da über Missbrauchsfälle berichtet, ist zutreffend und tatsächlich so geschehen. Andere von Bräunlein erwähnte Sachverhalte (Qualität, Richtigkeit, Sprachstil etc.) sind dagegen nur halbwahr oder gänzlich unrichtig. An diesen Stellen ist zu bemerken, dass sich der Rezensent in der von ihm behandelten Thematik nicht gut genug auskennt, um sich solche Urteile zu erlauben. Zumindest erwähnt er weder die Vandalismus-Meldeseiten noch scheint er jemals erlebt zu haben, wie schnell missbräuchliche oder schlechte Einträge aus der Wikipedia wieder verschwinden. Dass viele Artikel für eine Überarbeitung gänzlich gesperrt sind, wird ebenfalls nicht thematisiert.
Es ist für eine Buchbesprechung in einer Zeitschrift wie merz einfach zu platt, pauschale Journalistenmeldungen zu wiederholen, wonach Inhalte der Wikipedia schon deshalb unzuverlässig seien, weil jeder in Wikipedia mitarbeiten könne. Warum wird denn nicht einmal der Frage nachgegangen, in welchem anderen Nachschlagewerk es so einfach ist, wie in der Wikipedia, Autoren und Bearbeitungsstände einer Information verfolgen und somit auch bewerten zu können?Was es heißt, angemeldeter User zu sein, ein Profil zu haben und wie sich das davon unterscheidet, unangemeldet nur mit einer IP in Erscheinung zu treten, davon schreibt (weiß?) Bräunlein nichts. Mit keinem Wort wird erwähnt, welche Möglichkeiten Wikipedia weltweit eröffnet und dass sie mittlerweile an Richtigkeit, Vollständigkeit, Aktualität, Verständlichkeit u. a. andere, kommerzielle, digitale Enzyklopädien mit Abstand auf die Plätze verweist (vgl. c´t, 14/2004, S. 38: Freie Online-Enzyklopädie Wikipedia stellt die Weichen für die Zukunft; Stuttgarter Zeitung, 6.12.2007: Wikipedia besser als Brockhaus).Wenn sich schon die besprochenen Bücher damit begnügen, auf Fehler und Missstände in der Wikipedia (die es unbestritten gibt) zu beschränken, stünde es einem versierten Rezensenten gut an, gerade diesen Umstand in seiner Besprechung zu thematisieren und durch Informationen zu ergänzen, die eine objektivere Sichtweise erlauben.
Treumann, Klaus Peter/Meister, Dorothee/Sander, Uwe/Burkatzki, Eckhard/Hagedorn, Jörg/Kämmerer, Manuela/Strotmann, Mareike/Wegener, Claudia: Medienhandeln Jugendlicher. Mediennutzung und Medienkompetenz
Die 808-seitige, DFG-geförderte Studie basiert auf einer standardisierten Befragung von mehr als 3.200 Jugendlichen zwischen zwölf und 20 Jahren und auf 40 leitfadengestützten Interviews sowie zehn Gruppendiskussionen. Hauptintention des Autorenteams ist es, ein umfassendes Bild der Mediennutzung und der Funktion von Medien im Alltag von Jugendlichen zu zeichnen. Dieses Bild wird – wie von einer Arbeit aus Bielefeld erwartet – unter Berücksichtigung der kontextuellen Einbettung des Mediengebrauchs detailreich aus den umfangreichen Daten herausprofiliert.
Darüber hinausgehend wird ein differenziertes Tableau von Medienkompetenzen erfragt.
Aus der Fülle der Befunde sollen zwei herausgegriffen werden, die zu aktuellen Debatten Substanzielles beitragen: So belegt die Studie erstens eindrücklich, dass der Umgang mit dem PC und anderen Medien vorwiegend in Prozessen der Selbstsozialisation erlernt wird. Der größte Teil der Zwölf- bis 20-Jährigen hat sich den Umgang mit dem Computer weitgehend selbst beigebracht und diese Computernutzung ist in ein breites Geflecht von Freizeitbeschäftigungen eingelassen. Zweitens sucht man Belege für das in der Öffentlichkeit oft bemühte Zerrbild des einsamen und antriebslosen jugendlichen Users auch hier vergeblich. Vielmehr zeigt sich, wie in anderen jugend- und sportsoziologischen Untersuchungen der letzten Jahre: Die Jugendlichen, die sich in unterschiedlichen Freizeitbereichen engagieren, wenden sich als innovative und aufgeschlossene Nutzerinnen und Nutzer auch dem PC zu und experimentieren, wie sich das Medium in den Alltag einfügen lässt.
Als eigentliches Kernstück dieser Studie darf die ausgefeilte und plastisch beschriebene Typologie jugendlichen Medienhandelns – vom „Bildungsorientierten“ über den „Deprivierten“ bis zum Gestalter – gelten. Diese Typologie wird insbesondere auch in der Ausbildung von Erzieherinnen, Erziehern und Lehramtstudierenden gute Dienste leisten, um stereotype Bilder vom jugendlichen Medienkonsum zu dekonstruieren! Über den engeren medienwissenschaftlichen Horizont hinaus weist der Zusammenhang, dass das kulturelle Kapital entscheidend auf die Art der Mediennutzung und damit Positionierung in einer der Cluster der Typologie wirkt. Je höher das formale Bildungsniveau, desto schneller und flexibler werden Fertigkeiten und Kompetenzen im Umgang mit alten und neuen Medien angeeignet, desto höher ist auch das Ausmaß der Medienkompetenz. Formal niedriger Gebildete eignen sich demgegenüber die Optionen der Mediennutzung weniger kompetent an als formal höher Gebildete. Damit liefert die Studie wichtige Hinweise darauf, dass Medienumgang jeweils stark durch das familiäre Milieu der Jugendlichen mitgeprägt wird. Wesentlich hierfür sind Bildung und das soziale Miteinander; die ökonomischen Ressourcen spielen keine Rolle. Einziger Wermutstropfen in diesem opulenten Werk ist die minimalistische Typografie – der Verlag täte gut daran, das nächste Mal eine Leselupe mitzuliefern oder einfach zwei Bände daraus zu machen, die man auch auf Reisen mitnehmen kann, ohne sich einen Bruch zu heben.
kolumne
Ida Pöttinger: Senil mit Stil – Sind wir nicht alle ein bisschen MNT?
Und welcher MNT sind Sie? Was, das wissen Sie nicht? Sie brauchen sich doch nur die Ausgabe von Media Perspektiven 5/2007 ansehen. Dort hat man die neuen MedienNutzer-Typologien (MNT) beschrieben. Und da können Sie nachsehen, welcher Mediennutzer-Typ Sie sind. Unter der Bezeichnung MNT 2.0 findet man zehn Nutzertypen, die „trennscharf“ unsere Mediengesellschaft widerspiegeln. Laut Autor kann die Typisierung in Bezug auf Konsumenten- und Dienstleistungsmärkte „Erklärungskraft entfalten“, das heißt wahrscheinlich, dass sie passgenaue Werbeplatzierung ermöglichen soll.Dafür hat die MNT-Forschungsgruppe nicht nur die Mediennutzung (Hörfunk-, Fernseh- und Internetnutzung) abgefragt, sondern das Gesamtpaket, also auch die Alters- und Bildungsgruppe, Geschmacks- und Interessenvorlieben, Kleidermode, Lebensziele, Grundwerte – einfach alles. Respekt! Na, dachte ich mir, das ist alles Quatsch. Ich passe ganz bestimmt nicht in eure Rasterfahndung. Aber nach den ersten Zeilen, fühlte ich mich bereits ertappt: Während Jüngere das Internet zur „Lifestyle- Profilierung“ benutzen, gehöre ich offensichtlich zu den Älteren, die die „Linearität der klassischen Medien als ausreichend oder auch entlastend empfinden“.
Da ist etwas dran. Ich habe oft nicht die Disziplin mich von den vielen Links zu lösen, die mich immer weiter und weiter in den Dschungel der Websites eindringen lassen bis ich überhaupt keinen Plan mehr habe, was ich eigentlich wollte. In diesen Augenblicken wünsche ich mich wieder in die Gutenbergzeit zurück, in dem es durchnummerierte Kapitel gab und am Ende ein Fazit. Ja, Linearität hat schon was. Das finde ich eindeutig entlastend. Und in der Tat, als Lifestyle-Profilierung möchte ich das Netz gar nicht nutzen. Ich möchte kein Haus im Second Life haben. Mir reicht schon eine Wohnung zum Aufräumen! Aha, ich gehöre also zum Typ „alt“. Aber geht es nicht etwas genauer? Ja, selbstverständlich. Im Abgleich mit den Charakteristika der „Lebensstilgruppen“ kann man sich selbst testen. Klar, gehöre ich nicht zu den „Jungen Wilden“, die hedonistisch, materialistisch, konsumorientiert, selbstbezüglich und unsicher eine Phase des Erwachsenwerdens durchleben.
Aber ab da wird es schwierig: Bin ich etwa „zielstrebige Trendsetterin“, „aktiv Familienorientierte“, „Berufsorientierte“, „traditionell Kulturorientierte“, „vielseitig Interessierte“, „Häusliche“, „Zurückgezogene“ oder gehöre ich gar zu der Kategorie der „Unauffälligen“, was ja geradezu katastrophal wäre? Zu den „zielstrebigen Trendsettern“ passe ich nicht, weil ich keine Bloggerin bin, aber ein bisschen familien-, berufs- und kulturorientiert bin ich ja schon, obwohl ich verheiratet bin. So richtig passt das alles nicht. Oh, da gibt es noch einen Typ, den hatte ich glatt überlesen: „Moderne Kulturorientierte“. Sie wird so beschrieben: „(Ehemalige) kulturelle Avantgarde, unter anderem arrivierte „68er“, intellektueller Typ, hohes Aktivitätsniveau...“. „Moderne Kulturorientierte können als jene Gruppe gelten, die am kritischsten mit Medien umgeht“. Mist, doch erwischt! Wie blauäugig! Und so eine wie ich nennt sich Medienpädagogin!
Beitrag aus Heft »2008/01: Jugendmedienschutz auf dem Prüfstand«
Autor: Ida Pöttinger
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