2007/05: Bildung - Partizipation - Medien
„Kinder, die in eine Sonderschule abrutschen, haben ihre Zukunft oft schon verloren“, titelte unlängst die Süddeutsche Zeitung. Doch Benachteiligung kann verschiedene Ursachen haben. Armut, Vernachlässigung oder ein Migrationshintergrund gehören dazu. Mangelnde Bildung ist eine weitere. Ohne eine gute Bildung bleiben viele Türen von vornherein verschlossen. Heft 5/2007 ist dem Thema Benachteiligung verpflichtet und will darüber hinaus die Frage klären, welche Rolle die Medien dabei spielen. In diesem Sinne werden zunächst verschiedene Formen von Benachteiligung diskutiert. Im Anschluss bieten Beiträge, Interviews und Vorstellungen medienpädagogischer Projekte einen Überblick über die Potenziale der Medienpädagogik im Hinblick auf die Bewältigung unterschiedlicher Benachteiligungsfaktoren.
aktuell
Stichwort Casual Games
Im Vorfeld der diesjährigen Games Convention, Europas größter Computerspielemesse, konzentrierte sich die mediale Berichterstattung stark auf die sogenannten casual games. Gemeint sind damit jene elektronischen Spiele, die einen schnellen Einstieg ins Spielgeschehen ohne aufwändige Einarbeitung ermöglichen. Sie zeichnen sich durch eine intuitive Benutzerführung und schnelle Erfolgserlebnisse aus. Bisher wurden vor allem Spiele wie Tetris, Minesweeper oder Solitär unter dem Oberbegriff casual games subsumiert. Im letzten Jahr hat sich das Angebotsspektrum aber stark erweitert. Eine intuitive Benutzerführung und schnelle Erfolgserlebnisse versprechen nicht nur einfachen Spiele sondern auch neue Formen der Interaktivität und Spielsteuerung.
Ein aktuell sehr populäres Beispiel ist die Spielkonsole Wii von Nintendo, die es mehreren Spielerinnen und Spielern erlaubt, gegeneinander oder miteinander zu spielen, indem sie sich vor dem Bildschirm bewegen. Maus und Tastatur haben hier als Eingabegeräte ausgedient, sie werden ersetzt durch drahtlose Joysticks. Andere Beispiele aus diesem Bereich sind die Entwicklungen für die PlayStation von Sony wie SingStar oder Eye Toy. Die Spielehersteller versuchen mit den casual games eine breitere Zielgruppe zu erreichen. Dies scheint zu gelingen. Die genannten Spielekonsolen entwickeln sich zu begehrten Partygags, die man in Videotheken oder bei extra Homeservice-Anbietern bestellen kann. Das Potenzial dieser Spiele ist groß. Auch für die pädagogische Arbeit bieten sie viele Einsatzmöglichkeiten. Inwieweit sie aber zum Erfolg der Games Convention beigetragen haben, bleibt fraglich: Lange Schlangen bildeten sich vor allem an jenen Ständen, an denen neue Egoshooter oder Adventuregames vorgestellt wurden.
thema
Benachteiligungsfaktor Geschlecht
Benachteiligung kann verschiedene Ursachen haben. Eine davon ist das Geschlecht (vgl. Brüning in diesem Heft). Nun kann man nicht sagen, dass das weibliche Geschlecht stärker benachteiligt wäre als das männliche oder umgekehrt, vielmehr ist es so, dass beide in spezifischer Weise Benachteiligung erfahren. Dies hängt vor allem mit Zuschreibungen und Erwartungen zusammen. Gerade das Kindes- und Jugendalter ist eine Zeit, in der sich Heranwachsende besonders stark mit der Frage auseinandersetzen, was es bedeutet, ein Mädchen oder ein Junge zu sein bzw. eine Frau oder ein Mann zu werden. Alles, was in dieser Zeit an die Heranwachsenden herangetragen wird, fällt auf fruchtbaren Boden und kann Verunsicherungen hervorrufen. Dies zeigt sich auch in der medienpädagogischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen.
Karin Eble, Diplompädagogin, Medienpraktikerin, am wissenschaftlichen Institut des Jugendhilfswerks Freiburg e. V. sowie bei multiline, einem interdisziplinären Netzwerk zur Stärkung der Medienkompetenz von pädagogischen Fachkräften, Mädchen und jungen Frauen, und Kai Kabs-Ballbach, Diplompädagoge, Bildungsreferent beim Paritätischen Jugendwerk Baden-Württemberg, freier Mitarbeiter bei Pfunzkerle e. V. Tübingen und Fachreferent für Jungenpädagogik, Diversity, Gewaltprävention und geschlechterdifferenzierende medienpädagogische Projekte, wurden gebeten, fünf Fragen zu beantworten, die sich darum drehen, warum Mädchen bzw. Jungen benachteiligt sind und warum sich (medien-)pädagogische Arbeit in geschlechtshomogenen Gruppen lohnt.
Gerhild Brüning: Benachteiligung - Ein Ergebnis verschiedener Faktoren
Benachteiligung hat verschiedene Gründe und wird durch unterschiedliche Faktoren, die auf der individuellen, sozialen und strukturellen Ebene liegen, begünstigt. Ein jüngeres Phänomen im Zusammenhang mit Benachteiligung ist der fehlende Zugang zu neuen Medien.
Welche Folgen eine Kumulation mehrerer Faktoren hat, wird an der Zielgruppe der Jugendlichen dargestellt. Abschließend werden Wege skizziert, wie präventiv gegen Benachteiligung vorgegangen werden kann.
(merz 2007-5, S. 7-14)
Beitrag aus Heft »2007/05: Bildung - Partizipation - Medien«
Autor: Gerhild Brüning
Beitrag als PDFEinzelansichtPeter Holzwarth: Internationale medienpädagogische Praxisforschung im Kontext
In einem EU-Praxisforschungsprojekt wurden mithilfe visueller, von der Zielgruppe selbst geschaffener Medienprodukte die Lebenswelten von Kindern mit Migrationshintergrund erforscht. Die Erfahrungen zeigen, dass eine Öffnung in Bezug auf visuelle Dimensionen sowohl im Kontext subjektadäquater Forschungsmethoden in der Migrationsforschung als auch im Zusammenhang mit Identitätskonzepten und Selbstnarrationen wünschenswert ist.
(merz 2007-5, S. 25-33)
Beitrag aus Heft »2007/05: Bildung - Partizipation - Medien«
Autor: Peter Holzwarth
Beitrag als PDFEinzelansichtProjekt 1: Radio Integrativ
„Noch 10 Sekunden ...“ Ein wenig nervös rutschen sechs Jungen und Mädchen auf ihren Stühlen im Sendestudio hin und her. Dann wird das Jingle abgefahren und ein türkisches Mädchen spricht die Anmoderation. Thema ist dieses Mal ‚Jugendliche und Alkohol’ und dazu haben die jungen Redakteure und Redakteurinnen einiges vorbereitet.Auf einer Wellenlänge heißt das Projekt des Jugendhilfswerks Freiburg e. V., gefördert von der Robert-Bosch-Stiftung, bei dem Kinder und Jugendliche mit türkischem und deutschem kulturellen Hintergrund regelmäßig gemeinsam Radiosendungen beim lokalen Lernradio Sender ‚echoFM’ gestalten. Intensiv und kreativ beschäftigen sie sich mit ihrem soziokulturellen und geografischen Lebensumfeld, machen Umfragen auf der Straße, Interviews mit Fachleuten und Betroffenen, Reportagen und Features, stellen gebaute Beiträge zusammen, moderieren live im Sendestudio und stellen ihre Lieblingsmusik vor.Die Kinder und Jugendlichen mit türkischem Migrationshintergrund erfahren sich als gleichberechtigter Teil eines meinungsbildenden Netzwerkes.
Hier wird die Möglichkeit genutzt, sich konstruktiv und kreativ mit kultureller Heterogenität und mit dem unmittelbaren Lebensumfeld auseinanderzusetzen: Ausgrenzungs- und Benachteiligungserfahrungen finden dabei ebenso eine Thematisierung wie die Reflektion des eigenen Rollenverständnisses. Die Mädchen und Jungen lernen mit den gegebenen technischen und gestalterischen Möglichkeiten frei zu experimentieren und werden zur Kommunikation und Artikulation ihrer ureigensten Anliegen ermutigt. Dabei wird auch die Mehrsprachigkeit genutzt. Kooperative Arbeitsformen, die bei der Produktion von Medien notwendig sind, ebnen den Weg zum Erwerb von sozialen, technischen, kulturellen und kommunikativen Kompetenzen, nicht zuletzt der im Radio so wichtigen Sprachkompetenz.Das Engagement ist groß – schließlich wird ja live gesendet.
(merz 2007-5, S. 14)
Projekt 2: IMES – „New Methods for an Integration of Migrants in the European Society“
Die Projektwerkstatt für Umwelt und Entwicklung e. V. ist Träger der Bildungsmaßnahme für Migranten, die von der EU (Grundvig I) vom 01.10.2003 bis 30.09.2005 gefördert wurde. Unterstützt durch die ehrenamtliche Tätigkeit der Mentoren und die Eigenleistung der Projektwerkstatt gibt es IMES bis heute. Bisher wurden 150 Teilnehmer und 40 Mentoren in zehn verschiedenen Einrichtungen erreicht. Aktuell beteiligen sich ca. 40 Teilnehmer und zehn Mentoren an acht Zugangsorten. Einen wesentlichen Beitrag zum Gelingen des Projekts leisten die Kooperationspartner (z. B. Stadtbibliothek Hannover, Arkadasch e. V.).Das Bildungsangebot zur Vermittlung digitaler Fähigkeiten richtet sich an Menschen mit Migrationshintergrund, insbesondere an diejenigen, die kaum oder keinen Zugang zu klassischen Bildungseinrichtungen haben. Angesprochen sind auch Multiplikatoren (Mentoren), die IMES durch ihre freiwillige Arbeit unterstützen. Sie sind Deutsche und Migranten gleichermaßen. Staatliche und nicht-staatliche Einrichtungen (z. B. Bibliotheken, Kulturvereine) beteiligen sich, indem sie ihre Computereinrichtungen zur Verfügung stellen. Außerdem unterstützen Studenten aus Deutschland und Europa als Praktikanten jeweils zwei bis sechs Monate das Projekt. Das Ziel ist es, die gesellschaftliche Teilhabe von Migranten zu fördern und ihnen das notwendige ‚Werkzeug’ zur aktiven Beteiligung in der europäischen Gesellschaft zu vermitteln.
Dazu benötigen sie soziokulturelle Kenntnisse, ebenso wie Fähigkeiten im Umgang mit neuen Medien und staatlichen Einrichtungen. IMES basiert auf den Zielen der Erwachsenenbildung und des lebenslangen Lernens. Die Teilnehmer werden als aktive Partner betrachtet, die das Angebot inhaltlich beeinflussen und es so nach ihren Bedürfnissen ausrichten können. Auf dieser Basis vermittelt IMES digitale Kompetenzen (z.B. Umgang mit Computer, Internetnutzung) und staatsbürgerliche Fähigkeiten (z. B. Kenntnis und Nutzung öffentlicher Einrichtungen).IMES bietet Migranten in den teilnehmenden Einrichtungen kostenlosen Computer- und Internetzugang, wo sie von technisch und interkulturell geschulten Mentoren bei ihren ersten Schritten mit neuen Medien betreut werden. Sie erlernen etwa den Umgang mit E-Mail, die Recherche im Internet, das Arbeiten mit Texten und Bildern oder die Jobsuche über das WWW. Außerdem vermittelt IMES allen Teilnehmern (Lernenden und Mentoren) soziale Kompetenzen wie Kommunikation, Zeitmanagement und Selbstdarstellung.
Zudem fördert es den interkulturellen Austausch und das soziale Miteinander. Die Lerninhalte orientieren sich stark an den Bedürfnissen der Teilnehmer und sind auf einen niedrigschwelligen Zugang zu Bildungsangeboten ausgerichtet. Das beinhaltet, dass das Lernen in einem informellen und nicht formalen Rahmen, also nicht in einer fest strukturierten Form wie etwa in der Schule, stattfindet. Geringe deutsche Sprachkenntnisse und eine nicht regelmäßige Teilnahme sind kein Ausschlusskriterium. Außerdem setzen sich die Mentoren mit allen noch so einfach erscheinenden Fragen der Teilnehmer auseinander. All dies vermindert die Hemmschwelle, zu den Lernorten zu kommen. Die Diskontinuitäten, die sich daraus ergeben, sind Vor- und Nachteil zugleich. Einerseits bieten die niedrigen Zugangsbarrieren gerade bildungsbenachteiligten Migranten die Möglichkeit der Beteiligung, andererseits gestaltet sich die Vermittlung von Kompetenzen in einem nicht homogenen Lernumfeld schwer.
(merz 2007-5, S. 24)
Projekt 3: LIFT
Für eine gelungene gesellschaftliche und berufliche Integration und Partizipation von benachteiligten Jugendlichen mit Migrationshintergrund ist die Förderung von Sprachkompetenz, Medienkompetenz und interkultureller Kompetenz unabdingbar.Schulen ans Netz e. V. leistet mit dem Projekt LIFT (Lernen, Integrieren, Fördern, Trainieren), das durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird, einen Beitrag zur individuellen Förderung bildungsbenachteiligter Jugendlicher mit Migrationshintergrund. Im Rahmen von LIFT steht eine zielgruppengerechte Online-Lernumgebung mit webbasierte Lernangeboten zur Verfügung. Die Lernplattform und Lernmodule richten sind an Jugendliche mit Migrationshintergrund im Alter ab zwölf Jahre. Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe I besonders der Hauptschulen werden durch das medial aufbereitete Angebot zur Entfaltung ihrer Potenziale motiviert und unterstützt. Auch für außerschulische Bildungskontexte steht die LIFT-Lernumgebung zur VerfügungDas internetbasierte Angebot www.lift-web.de setzt an der Motivation von Schülerinnen und Schüler an, sich mediengestützt mit Inhalten zu beschäftigen. Im Zentrum des Lernangebotes steht die Förderung von Schlüsselkompetenzen zur Berufsvorbereitung: Deutschkenntnisse, interkulturelles Wissen sowie Medien- und Methodenkenntnisse.
Inhaltliche Schwerpunkte der LIFT-Lernumgebung sind:Sprachkompetenz: Die webbasierten interaktiven Lernangebote zur Sprachförderung dienen der individuellen und differenzierten Förderung. Zudem unterstützt die mediale Aufbereitung eine erhöhte Aufmerksamkeit bei der Bearbeitung durch die Lernenden.Interkulturelle Kompetenz: Der Kenntniserwerb über kulturelle und soziale Verschiedenheiten wird durch lebensweltnahe Inhalte der webbasierten Lernmodule gefördert. Sie dienen als Basis für Reflexion und Diskussion. Medien- und Methodenkompetenz: Die virtuelle Lernumgebung unterstützt leicht erschließbare Kommunikations- und Präsentationstools, Arbeits- bzw. Projektbereiche sowie Werkzeuge zur Lernorganisation.Bisherige Erfahrungen aus der projektbegleitenden Evaluation zeigen, dass die LIFT-Lernumgebung die Lernmotivation der Jugendlichen deutlich steigert. Die lebensweltorientierte Aufbereitung der Lerninhalte sowie die Vielfalt an Übungsformen (Module, Spiele, Werkzeuge etc.) und Medienformaten werden von den Jugendlichen dabei besonders geschätzt. Pädagoginnen und Pädagogen heben hervor, dass die LIFT-Lernumgebung flexibel in unterschiedliche pädagogische Verwendungskontexte genutzt werden kann, denn es werden sowohl das eigenständige und selbstgesteuerte Lernen der Jugendlichen angeregt, als auch kollaborative und kooperative Lernformen bspw. im Klassenverband unterstützt.
Kontakt: info-lift@schulen-ans-netz.de
Informationen zum Projekt: www.lift-web.de und www.schulen-ans-netz.de
(merz 2007-5, S. 14)
Ulrike Wagner und Susanne Eggert: Quelle für Information und Wissen oder unterhaltsame Action?
Aus vielen Untersuchungen geht hervor, dass zwischen dem Bildungshintergrund Heranwachsender und deren Medienumgang ein Zusammenhang besteht. Anhand ausgewählter empirischer Ergebnisse wird gezeigt, inwiefern Bildungsbenachteiligung den Umgang von Heranwachsenden mit Medien beeinflussen kann und skizziert, welche Bereiche dabei bislang wenig beachtet wurden und in welche Richtung eine differenzierte Betrachtungsweise einzufordern ist.(merz 2007-5, S. 15-23)
Beitrag aus Heft »2007/05: Bildung - Partizipation - Medien«
Autor: Ulrike Wagner, Susanne Eggert
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spektrum
Christoph Busch: Rechtsradikale im Web2.0 und pädagogische Konsequenzen
Rechtsradikale entdecken die Möglichkeiten des Web2.0. Sie nutzen YouTube, Wikipedia und MySpace zu Propaganda, Diskussionen und interner Vernetzung. Deswegen ist eine Förderung von Medienkompetenz Heranwachsender gefragt, die politische Mündigkeit einschließt.
(merz 2007-5, S. 48-54)
Beitrag aus Heft »2007/05: Bildung - Partizipation - Medien«
Autor: Christoph Busch
Beitrag als PDFEinzelansichtCillie Rentmeister: Geschlecht (ver-)lernen – interaktiv, multimedial, online
Spektakuläre Fälle, Medienberichte und wissenschaftliche Studien zeigen, dass sexuelle Belästigung und sexueller Missbrauch am häufigsten von (männlichen) Jugendlichen ausgeübt werden.
Dies ist ein Hinweis darauf, dass Jugendliche auf destruktive Weise ‚Geschlecht lernen’. Die Webplattform www.spass-oder-gewalt.de bietet Anregungen, die Jugendliche im Hinblick auf das Thema Geschlecht sensibilisieren.
(merz 2007-5, S. 55-63)
Beitrag aus Heft »2007/05: Bildung - Partizipation - Medien«
Autor: Cillie Rentmeister
Beitrag als PDFEinzelansichtJung Taek Oah: Influence of Mobile Phone Use on Teenagers’ Temporal and Spatial Perception
Mobiltelefone besitzen einen hohen Stellenwert im Alltag vieler Jugendlicher. Die Studie untersucht vor diesem Hintergrund Auswirkungen der regelmäßigen Nutzung von Mobiltelefonen.
Dabei wird zweierlei deutlich: Zum einen verschwimmen für Nutzerinnen und Nutzer von Mobiltelefonen die Grenzen zwischen physischen und virtuellen sowie zwischen privaten und öffentlichen Räumen.
Zum anderen kommt es zu einer Veränderung der zeitlichen Rhythmen des Alltags sowie einer Zunahme der Flexibilität im Umgang mit Zeit.
(merz 2007-5, S. 64-68)
Beitrag aus Heft »2007/05: Bildung - Partizipation - Medien«
Autor: Junk Taek Oah
Beitrag als PDFEinzelansichtMaria Wurm: Türkische Diskotheken – Treffpunkt der Parallelgesellschaft?
Der Beitrag gibt Einblick in die weitgehend unbekannte türkische Diskothekenkultur in Deutschland und zeigt auf, welche Bedeutung der Besuch türkischer Diskotheken und allgemeiner die Nutzung türkischer Musik für Jugendliche im Migrationskontext zwischen Integration und Abschottung von der Mehrheitsgesellschaft haben.
(merz 2007-5, S. 43-47)
Beitrag aus Heft »2007/05: Bildung - Partizipation - Medien«
Autor: Maria Wurm
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medienreport
Daniel Ammann: Killevipps
Apselut Spunk! Die große Astrid-Lindgren-CD-ROM. CD-ROM, Win 98/NT4.0/2000/ME/XP/Vista; Mac OS 9.2/OS X. Nach den Büchern von Astrid Lindgren. Hamburg: Oetinger, 2007, 19,95 €Anlässlich des 100. Geburtstages von Astrid Lindgren am 14. November 2007 hat der Oetinger Verlag unter anderem eine bunte Sammlung mit digitalen Spielen rund um Figuren aus dem Geschichtenuniversum der vielseitigen schwedischen Autorin herausgebracht. Apselut Spunk! stellt eine eher ungewohnte Form des Medienverbunds dar. Im Gegensatz zu den üblichen Bildschirmspielen vereinigt diese große Astrid-Lindgren-CD-ROM nämlich gleich sechs beliebte Charaktere auf einer Scheibe und greift Handlungselemente aus unterschiedlichen Werken auf. Bevor es interaktiv losgeht, werden die Autorin und ihre Familie in einem kurzen Intro vorgestellt. Auf einer großen Übersichtskarte erscheinen dann nach und nach die Villa Kunterbunt, der Hof Katthult oder das Stockholmer Vasaviertel.
An diesen berühmten Schauplätzen laden Pippi Langstrumpf, Michel aus Lönneberga, Madita, Lotta aus der Krachmacherstraße, Nils Karlsson-Däumling und Karlsson vom Dach Kinder ab etwa fünf Jahren zum Spielen ein. Jedes der über zwanzig Denk- und Geschicklichkeitsspiele erscheint anschließend als animiertes Bildmotiv auf der Landkarte und kann fortan direkt angewählt werden. Wer möchte nicht auch mal mit Michel lustige Streiche aushecken, mit Madita in finsterer Nacht nach Münzen graben oder mit Pippi die Polizisten zum Narren halten und in der Schule die Frau Lehrerin mit verrückten Wortkreationen auf den Arm nehmen? Außer den vier Spielen bei Karlsson vom Dach, die von der gleichnamigen CD-ROM aus dem Jahre 2005 übernommen werden und hier keinesfalls fehlen dürfen, handelt es sich um neue und durchweg originelle Spielideen, die auch Kindern bis zehn Jahre und darüber noch Spaß bereiten. Einen besonderen Reiz bieten auch auf dieser CD-ROM die Multiplayer-Spiele.
Im Autorennen bei Nils Karlsson-Däumling oder beim Brennball mit Madita können jeweils zwei Kinder gleichzeitig teilnehmen und im Wettbewerb verschiedene Figuren oder Teams steuern. Trotz kleiner Erzähleinschübe und amüsanter Dialogszenen bilden die Geschichten aus den zahlreichen Lindgren-Büchern nur den Hintergrund. Das digitale Spielemagazin bietet vor allem Gelegenheit, sich im Medienverbund auch am Computer mit den lieb gewonnenen Figuren zu beschäftigen und durch einen magischen Mausklick in die fiktionale Welt seiner Medienfreundinnen und -freunde und Fantasiegefährten einzutauchen. Man braucht – wie Bertil – nur „Killevipps“ zu sagen ... und schon schrumpft man auf Bildschirmgröße und darf als virtueller Däumling mitspielen.
Beitrag aus Heft »2007/05: Bildung - Partizipation - Medien«
Autor: Daniel Ammann
Beitrag als PDFEinzelansichtGames Convention 2007
Mit 185.000 Besuchern ging die diesjährige Games Convention in Leipzig erneut mit einem Rekord zu Ende. Dass die wichtigste Spielemesse Europas auch in ihrer inzwischen sechsten Auflage weiter wächst, könnte vor allem als Be-leg dafür dienen, dass eine bestimmte Strategie der Spieleindustrie aufgeht: Computer- und Konsolen-Spiele sollen seit einigen Jahren neue Zielgruppen ansprechen. Sie sollen an den Mann, an die Frau, an Familien, an Jung und Alt gebracht werden.Die sogenannten Casual Games (vgl. Stichwort S. 3), Gelegenheitsspiele für den Massenmarkt, waren daher ein großes Thema auf der GC 2007. Vor allem die neue Generation von Spielkonsolen setzt in ihrem Software-Line-up zu einem nicht unerheblichen Teil auf familienfreundliche Titel. Es handelt sich dabei um Spiele, die oft erst richtig Spaß machen, wenn man nicht nur alleine vor der Konsole agiert, sondern zum Beispiel im Freundeskreis oder der Familie gegeneinander antritt. Vor dem Bildschirm wird in Zukunft also noch mehr und noch öfter zusammen gesungen, getanzt, musiziert, balanciert, mit den Armen gewedelt und auf Buzzer gedrückt – zumindest wenn es nach den Konsolen-Herstellern geht.
Sony beispielsweise setzt in diesem Bereich auf die Weiterentwicklung von etablierten Titeln wie EyeToy oder SingStar. Das Karaoke-Spiel, das aufgrund seiner vielfältigen Spielmodi als beliebter Partyspaß die Wohnzimmer eroberte, wird auf der neuen PlayStation 3 zusätzlich noch mit Online-Möglichkeiten ausgestattet. Einzelne Songs kann man bald also im sogenannten SingStore herunterladen und seine Sangeskünste auch in einer dazugehörigen Community präsentieren. Nintendo geht mit seiner erfolgreichen neuen Konsole Wii ähnliche Wege und verspricht zusätzlich zum Party- und Familienspaß auch noch körperliche Fitness. Das Spiel Wii Fit, das 2008 erstmals über die europäischen Ladentische gehen soll, steuert der bewegungswillige Spieler nämlich mehr oder weniger mit dem ganzen Körper. Die dazugehörige Fernbedienung nennt sich Balance Board; sie liegt auf dem Boden, sieht aus wie eine Körperwaage und überträgt präzise jede Verlagerung des Körpergewichts in sämtliche Richtungen. Virtuelles Skispringen oder Torwarttraining bekommt auf diese Weise ein ganz neu-es Spielgefühl genauso wie die virtuellen Hula-Hoop-Reifen, die dank Nintendo um unsere Hüften kreisen.Eines jedoch war bei all den innovativen Spielideen und neuen Zielgruppen auf der Games Convention 2007 nicht zu übersehen:
Der durchschnittliche GC-Besucher scheint doch immer noch männlich und vom Typ Hardcore-Gamer zu sein. Vielleicht kann auch er sich für den Spielspaß der Casual Games erwärmen. Sein Gamer-Herz schlägt aber vermutlich eher für Strategie, Kampf und Action in komplexen und möglichst realistischen Spielewelten. Dementsprechend bildeten sich die längsten Schlangen auf der diesjährigen Messe auch nach wie vor bei den Präsentationen der neuesten Sci-Fi- und Ego-Shooter, bei Echtzeitstrategie- und Adventure-Titeln, Fantasy-Rollenspielen und Racing-Games. Wohin geht nun der Trend bei dieser Art von Spielen? In der Gestaltung geht es eindeutig hin zu immer aufwändigerer, realistischer Grafik und einer intensiven Sound-Kulisse. Inhaltlich dagegen kann man vielleicht von einem gewissen Retro-Trend sprechen. Die Storys ähneln sich untereinander und in Bezug auf frühere Versionen. Man hat es mit unzähligen Fortsetzungen oder Add-ons für erfolgreiche ältere Titel zu tun: Grand Theft Auto, Silent Hill, World of Warcraft oder Need for Speed sind einige der Namen, die schon seit Jahren die Games Convention fest im Griff haben. Und unter den Protagonisten der kommenden Spiele werden einem auch wieder wohlbekannte Helden wie Spiderman, Luke Skywalker, Lara Croft oder sogar Mario und Sonic begegnen.
Ein Teil der Games Convention, der in den letzten Jahren mit der Messe mitgewachsen ist und 2007 eine ganze Halle füllte, ist die GC family. In diesem Bereich stehen Kinder- und Familien-Spiele, Edutainment und Medienkompetenz im Mittelpunkt. Unter dem Motto „Spielend lernen und Spielen lernen“ wandte sich die GC family dieses Jahr an alle Eltern und Kinder aber auch speziell an interessierte Lehrerinnen und Lehrer. Studierende der Universität Leipzig boten in diesem Rahmen auch kostenlose und individuelle Führungen über die Games Convention an. Die Themen reichten dabei von Spiele Genres und alternativen Spielkonzepten bis hin zu E-Sports. Der Andrang bei diesen sehr kompetent geführten Messetouren war in diesem Jahr leider noch nicht sehr groß. Sollten die GC Guides auch 2008 wieder ihre Dienste anbieten, empfiehlt es sich auf jeden Fall für all diejenigen, die vielleicht weniger zielstrebig durch die Hallen marschieren oder Gefahr laufen, bei der Fülle an Ausstellern den Überblick zu verlieren, einmal am Info-Stand der GC family vorbeizukommen.
Kai Hanke: Bärenbude Klassenzauber
Täglich um 19.30 Uhr startet auf WDR 5 die Bärenbude. Ihre bunten Bewohnerinnen und Bewohner bieten vor allem Kindern ab dem bzw. im Vorschulalter ein eigenes Radioprogramm. Nicht zu kurz und nicht zu lang für die kindlichen Hörgewohnheiten gibt es kleine Geschichten und Hörspiele, Lieder, Gedichte, klingende Bilderbücher, Wissenswertes und natürlich viel zum Lachen. Jede Sendung ist dabei einem bestimmten Tagesthema gewidmet. Die Stars der Bärenbude sind Johannes und Stachel. Sie melden sich dreimal in der Woche zu Wort. Die beiden Kuschelbären nehmen die Mädchen und Jungen mit, wenn sie auf Abenteuerreise gehen, kleine und größere Geheimnisse erforschen und die Welt entdecken.Seit geraumer Zeit ist die Bärenbude jedoch nicht nur kreatives Radioprogramm für das ganz junge Publikum. Im November 2006 startete der WDR in Zusammenarbeit mit dem Medienzentrum Rheinland eine Medienkompetenz-Initiative, in deren Rahmen Bärenbude Klassenzauber als zentrales Projekt für Kinder bis zur zweiten Klasse etabliert wurde. Um die Grundschülerinnen und -schüler fürs Zuhören zu sensibilisieren und erste Radiokompetenzen zu fördern, besuchen die Lieblinge aus der Bärenbude Schulen und veranstalten mit den Kindern im Rahmen des klassenzauberhaften Programms Hör- und Geräuschspiele.
Bislang allerdings werden lediglich Schulen in NRW besucht. Geheimnisvolle Wundermusik zum Mitmachen, schöne Klanggeschichten und natürlich die Kuschelbären Johannes und Stachel sorgen bei den einstündigen Auftritten für Stimmung und Aktion. Lehrerinnen und Lehrer erhalten im Vorfeld eine Projektmappe mit Ideen für die Bearbeitung des Themas Radio im Unterricht bzw. im Kindergarten sowie eine CD mit den Liedern und Stücken aus der Bärenbude, so dass sie die Besuche der Bärenbude vorbereiten und nachbereiten können. Ein entsprechendes Spielheft für die Kinder soll einen kreativen Umgang mit dem Radio ermöglichen, eine Broschüre für die Eltern informiert über das Projekt und gibt Tipps für das gemeinsame Radiohören.Bärenbude Klassenzauber kann mit dieser Verbindung von etabliertem Radioprogramm und der aktiven pädagogischen Arbeit vor Ort, in den Schulen und Kindergärten, als gelungenes Modell für erste Ansätze von medienpädagogischen Projekten in der Schule angesehen werden. Dass der WDR davon imagetechnisch profitieren könnte, muss in Anbetracht der Qualität der Bärenbude kaum Empörung hervorrufen – im Gegenteil, vielleicht macht ja bald nicht nur der WDR im wahrsten Sinne des Wortes Schule.
Beitrag aus Heft »2007/05: Bildung - Partizipation - Medien«
Autor: Kai Hanke
Beitrag als PDFEinzelansichtKai Hanke: Harry Potter crossmedial
Harry Potter und der Orden des Phönix. Electronic Arts/System: PC, Windows XP/Genre: Action-Adventure/deutsche Version/USK: 12/Vollversion 39,95 €Die mehrfache und crossmediale Vermarktung von Inhalten gehört schon seit geraumer Zeit zu den Standardstrategien der Spiel- und Filmindustrie. Besonders die Spielehersteller konnten von dieser Entwicklung profitieren. Mittlerweile sind sie mit ihren Umsätzen an der Filmindustrie vorbeigezogen. Medienereignisse wie die Buchveröffentlichung des letzten Harry Potter-Bandes veranschaulichen dabei, wie Medienkonvergenz den Markt für Unterhaltungsgüter prägt: Die einzelnen Produkte nehmen oftmals Bezug aufeinander und verweisen auf weiterführende Komponenten im crossmedialen Mix. Das PC-Spiel zum Buch beispielsweise liefert Hintergrundgeschichten der Protagonisten oder versteckte Dokumentationen zum Making-of des Films. Wenigstens bei Kindern und Jugendlichen gehört Harry Potter in diesem Sinne ohne Zweifel zu den beliebtesten konvergenten Inhalten. Entsprechend umfasst die Bandbreite von Angeboten alles, was das Herz begehrt oder begehren soll. Neben der Romanvorlage und den Kinofilmen ist eine Fülle von Merchandising-Artikeln, Musik, Postern und Software für PC, Spielkonsolen und Mobilfunk auf dem Markt. Öffentlichkeit und damit Werbung stellen die Produkte wechselseitig füreinander her – die Pottermania ist kein Zufall.Auch das PC-Spiel Harry Potter und der Orden des Phönix ist also nur eine Komponente im Ensemble dieser Angebote. Es entfaltet seine Magie erst im Zusammenspiel der Erfahrungen mit Buch, Film und anderen Harry Potter-Angeboten.
Das Spiel greift daher grundsätzlich die Story des Buches auf, wenn auch – wie im Film – Verkürzungen notwendig sind: Harry tritt sein fünftes Jahr in Hogwarts an, muss allerdings schnell feststellen, dass die meisten seiner Mitschülerinnen und -schüler sowie ein Großteil des magischen Kollegiums die Wahrheit über seine letzte Begegnung mit Lord Voldemort nicht hören möchten. Das neue Schuljahr wird zusätzlich durch die neue Lehrerin für Verteidigung gegen die dunklen Künste erschwert. Da nämlich die so ungeheuer unsympathische neue Lehrerin Dolores Umbridge, die Dumbledore und seine Schützlinge im Auge behalten soll, den vom Ministerium anerkannten Lehrplan für defensive Zauberei strikt einhält, werden die jungen Magierinnen und Magier nicht auf die drohenden Gefahren durch die dunkle Magie des bösen Zauberers Voldemort vorbereitet. Doch mithilfe seiner Freunde Hermine und Ron baut Harry eine kleine Gruppe von Schülerinnen und Schülern zu Dumbledores Armee auf. Dort lernen sie, wie man sich gegen die dunklen Künste verteidigt. Und bevor alle Rätsel auf Hogwarts gelöst sind und es zum Showdown mit Voldemort und den Todessern im Ministerium für Zauberei kommt, gibt es noch viel zu üben für die jungen, aber dennoch umso mutigeren Zauberinnen und Zauberer.Das Spiel besticht vor allem durch seine Nähe zum Film.
Besonders die großartigen Animationen und die relativ detailgetreue Gestaltung der Personen beeindrucken. Dazu kommt eine ausgefeilte Sound- und Musikkulisse, die durchaus mit der Kinoerfahrung mithalten kann. Das Spiel bietet zahlreiche Interaktionsmöglichkeiten mit allem und jedem auf Hogwarts und lässt der Spielerin oder dem Spieler durch das nichtlineare Gameplay genug Zeit für Erkundungsreisen. Auch das auf Gesten basierende Zaubersystem ermöglicht ein Spielerlebnis, das weit über ein passives Miterleben hinausgeht: Wer mit dem Zauberstab (der Maus) fuchtelnd durch die Gänge und Kammern des Zauberschlosses rennt, sollte sich zwar nicht von geistig gesunden Mitmenschen beobachten lassen, aber einen Riesenspaß macht das allemal. Spätestens hier empfiehlt sich das Spiel auch wärmstens für eine Erprobung auf der bewegungsintensiveren Wii-Konsole. Kleine Schwächen zeigen sich trotz allem. Für ein Action-Adventure bieten die Story und die einzelnen Aufgaben relativ wenig Aufregung und Nervenkitzel. Oftmals werden die Lösungen nur durch intensives Herumirren und mühsames Suchen erreicht. Erschwert wird der Spielspaß zudem durch eine eher schwierige Steuerung, die wenigstens gewöhnungsbedürftig, wenn nicht sogar hinderlich ist. Für Potter-Fans bietet das Spiel jedoch genug Spaß, um über diese Hürden nicht zu stolpern – zumal als Belohnung für die erfolgreichen Entdeckungstouren durch Hogwarts interessante Einblicke hinter die Kulissen der Spiel- und Filmproduktion geboten werden, bislang unveröffentlichte kleine Dokumentationen und Interviews mit den Stars und Machern.
Im Hinblick auf medienkonvergente Inhalte und crossmediales Marketing lässt sich allerdings auch beim fünften Harry Potter-Adventure eines festhalten: Mögliche Einsparungen beim Werbeaufwand auf Seiten von EA und Warner Bros. Interactive Entertainment scheinen sich noch nicht verbraucherfreundlich in den Produktpreisen niederzuschlagen. Rund 40 Euro sind eine Menge Geld und sollten nicht leichtfertig investiert werden. Vor dem Kauf empfiehlt sich daher ein erster Test der Demo-Version. Für eingefleischte Potter-Fans allerdings besteht hier weniger Risiko, für sie hält Harry Potter und der Orden des Phönix eine im wahrsten Sinne des Wortes sagenhafte Spielwiese bereit.
Kai Hanke: Ratatouille
Mit Ratatouille erscheint der mittlerweile achte Kinofilm aus dem Hause Pixar, von kleinen wie großen Fans lange und gespannt erwartet. Doch – vorweg gesagt – Ratatouille ist nicht Babel. Wer aufwühlendes, intellektuelles Kino sucht, kann getrost zu Hause bleiben. Allen aber, die in Zeiten des politisierten Kommerzes nicht auf sinnige Mainstream-Unterhaltung verzichten möchten, sei versichert: Ratatouille fetzt.Der Film erzählt die Geschichte von Remy, einer sympathischen Ratte, die eigentlich nur in zweiter Linie Ratte ist. In erster Linie ist Remy ein begnadeter Koch, hochsensibel in der Wahrnehmung von Geschmack und Gerüchen, virtuos und fantasievoll in der Kombination von Zutaten aller Art. Als Ratte jedoch hat er seine Leidenschaft nicht nur gegen die Ignoranz seiner Artgenossen zu verteidigen („Wenn man erst mal gelernt hat, den Brechreiz zu kontrollieren, kann man eigentlich alles essen!“). Vor allem eins steht ihm im Wege: die Tatsache, dass es sich bei Gourmetküchen, dem angemessenen Platz für einen genialen Künstler wie ihn, gemeinhin um eine eher nagetierfeindliche Umwelt handelt. Allein sein imaginärer Freund, der Geist des 5-Sterne-Kochs Auguste Gusteau, vermag Remys Talent zu würdigen und ihn zu ermutigen, seinem Traum näher zu kommen. Und tatsächlich verschlägt es Remy aufgrund eines unglücklichen Zufalls in die große Stadt Paris. Dort beobachtet er aus nächster Nähe den Betrieb in Gusteaus ehemaligem Restaurant, in dem nach dessen Tod der schräg-fiese Küchenchef Skinner die Leitung übernommen hat. Als Remy Zeuge wird, wie der gänzlich untalentierte Küchenjunge Linguini eine Suppe verschüttet und erfolglos nachkochen möchte, kann sich Remy nicht zurückhalten: Allen Gefahren zum Trotz ergreift er die Chance, die Suppe mit seinen eigenen Kochkünsten zu retten – und wird prompt von Linguini dabei ertappt – eine im wahrsten Sinne des Wortes köstliche Szene. Nachdem die Suppe, von der alle annehmen, Linguini hätte sie zubereitet, ein voller Erfolg wird, verdammt Chefkoch Skinner Linguini dazu, die Suppe erneut zu kochen. Zwischenzeitlich jedoch ist Remy entdeckt worden und soll als Ungeziefer im Fluss entsorgt werden.
Der gutherzige Linguini bringt es nicht übers Herz, den kleinen Nager zu ertränken. Dabei findet er heraus, dass Remy ihn nicht nur zu verstehen vermag, sondern ihm auch helfen muss, die Suppe noch einmal zuzubereiten. Die beiden bilden eine überaus komische künstlerische Symbiose, die es Remy ermöglicht, endlich seinen Traum vom Kochen zu realisieren. Und Linguini hat Hoffnung, seinen Job im Restaurant behalten zu können. Mit der Freundschaft der beiden beginnt eine Reihe von abenteuerlichen Entwicklungen, rund um Streit, Liebe und ein Chaos aberwitziger Ereignisse. Letztlich droht Remys und Linguinis Geheimnis aufzufliegen und dadurch das komplette Restaurant in den Untergang zu treiben.Hier wird kein Genre neu erfunden, es warten keine unkonventionelle Dramaturgie oder besonders ungewöhnliche Themen. Und trotzdem – irgendwie verzaubert der Film. Vielleicht ist eine Voraussetzung, dass man sich den Film zusammen mit Kindern ansehen sollte. Dass man deren Begeisterung erlebt, sich zu eigen macht und darüber hinaus noch den für Pixar so typischen, sich der kindlichen Rezeption oftmals verschließenden feinsinnigen, subtilen Humor und die so vielfältigen Anspielungen genießen kann. Vielleicht muss man der Typ dafür sein. Jedenfalls hält der Film ein ungeheures Unterhaltungspotenzial für das breite Publikum bereit. Mit vielfältigen und virtuosen Anleihen bei anderen Genres – sei es Musical, Slapstick-Comedy, Drama, Liebesfilm oder Coming-of-Age Film – gelingt es Regisseur Brad Bird und seinen liebenswerten Charakteren, doch eher abgedroschene emotionale Keulen-Themen wie Familie, Freundschaft und den Glauben an sich selbst sympathisch zu reinszenieren.
Bird, bekannt geworden durch seinen Vorgängerfilm The Incredibles – Die Unglaublichen will seinen Film als Adaption klassischer, physischer Comedy à la Buster Keaton verstanden wissen, die bekanntlich eine poetische Tiefe besitzt, die weit über Unterhaltung hinausgeht. Es ist der französierte, durch eine ironisch-romantisierende Pariskulisse untermalte American Dream: Jeder kann es schaffen, jeder kann seine Träume erfüllen. Und doch ist diese so ideologisch problematische, politisch besänftigende Message irgendwie reflektierend verpackt. Es geht Bird mehr um Selbstverwirklichung als um das große Heldentum. Es geht ihm nicht einfach um Ehrgeiz und Talent, sondern vor allem um Freundschaft, Vertrauen und Verantwortung, um die Voraussetzungen für gelebte Träume. Darüber hinaus ist der Film natürlich für das Animationsgenre pixar-typisch hoch innovativ. Die Animationen wurden erneut perfektioniert. Wasser, Fell, Bewegungen wirken so realistisch wie nie zuvor. Der Film strotzt vor originellen, trotzdem stets stimmigen Einstellungen und besonders die Actionszenen beeindrucken durch rasante Kamerafahrten und mitreißenden Schnitt. Ratatouille gelingt darüber hinaus eine wunderbare Mischung aus realistischer Animation der Charaktere (Textur, Motorik) und einer zugleich auf die Spitze getriebenen trickfilmtypischen Vermenschlichung der Tiere (Mimik, Gestik etc.) und Stilisierung der menschlichen Charaktere. Allein für die Figur von Remy wurden 160 individuelle Mimiken kreiert. Und was die urkomischen Charaktere angeht, so sind vor allem die beiden „Bösewichter“, der fiese Küchenchef Skinner sowie der sadistisch-deprimierte Restaurantkritiker Ego, zu erwähnen.
Der Film überrascht zudem durch eine Fülle feinsinnig-witziger Dialoge (besonders zwischen Remy und seinem Alter Ego Gusteau) und die ausgesprochen sinnliche Einbettung der Geschichte in die Magie der Kochkunst. Seien es die detailreichen Leckereien im Restaurant, die minutiösen Studien der Zubereitung von Gerichten oder die bisher ungesehenen Darstellungen von Remys synästhetischen Wahrnehmungen beim Kosten und Komponieren von diesem und jenem Geschmack. Für Freundinnen und Freunde des Kochens ein großer Genuss.Einmal davon abgesehen, dass alle, die Ratatouille gesehen und die pathetische Ansprache des griesgrämigen und doch weitsichtigen Ego gehört haben, verstehen werden, wenn der Film von Kritikerinnen und Kritikern nicht unbefangen besprochen werden kann – da ist schon ein schönes Stück Kino entstanden. Der zweite Pixar-Spielfilm von Regisseur Brad Bird beeindruckt filmtechnisch, hat mehr kulturelle Tiefe als Findet Nemo und ist um vieles poetischer als Die Unglaublichen. Und auch wenn die Zutaten zu diesem Familien-Menü mehr oder weniger klassisch sind, man hat doch irgendwie den Eindruck, Neues zu sehen. Alles in allem ist Ratatouille definitiver Oscar-Kandidat, was in diesem Falle viel über den Film aussagt. Die Euphorie sei an dieser Stelle verziehen. Es ist Zeit, erwachsen zu werden.
Beitrag aus Heft »2007/05: Bildung - Partizipation - Medien«
Autor: Kai Hanke
Beitrag als PDFEinzelansichtLidia de Reese: Die drei ??? und das Geheimnis der Geisterinsel
Nach 43 Jahren klären Die drei ??? nun auch im Kino ungelöste Fälle auf. Als Auftakt der Ermittlungen von Justus, Peter und Bob auf der Leinwand wurde der Klassiker Die drei ??? und die Geisterinsel (im Original The Secret of Skeleton Island) adaptiert, allerdings mit erheblichen Unterschieden zur Romanvorlage. So ist beispielsweise die Drehortverlagerung nach Südafrika wirtschaftlichen und logistischen Entscheidungen geschuldet. Die allseits bekannte Mischung aus Krimi, Abenteuer und Mystery bleibt aber erhalten: Nachdem der letzte Auftrag unter Lebensgefahr erfolgreich ausgeführt wurde, lechzen die drei Detektive nach Erholung, die sogar Anführer Justus (Chancellor Miller) befürwortet. Gerade zum richtigen Zeitpunkt erfolgt daher die Einladung von Peters Vater zum Kap der Guten Hoffnung, wo der Architekt für die reiche Miss Wilbur (Fiona Ramsay) einen Vergnügungspark auf der Geisterinsel errichten soll. Als gleich nach ihrer Ankunft ein mysteriöses Tier einen Anschlag auf die Bauherrin verübt, wittern die drei Jungen einen neuen Fall. Hinweise liefert einzig der Eingeborene Gamba (Akino Omotoso), der in einer Warnung dazu auffordert, die Insel zu verlassen, und, des Angriffs auf Miss Wilbur beschuldigt, bei seiner Festnahme „Findet Gnade!“ ausruft. Mit dem Ziel, die Unschuld ihres Vaters zu beweisen, sucht seine hübsche Tochter Chris (Naima Sebe) daraufhin Justus, Bob und Peter auf.
In den Trümmern von Chris’ zerstörter Hütte finden sie ein Gemälde, welches Gambas Hinweis einzuordnen hilft: Es zeigt die Prinzessin des Stammes der Xhosa, deren Name übersetzt „Gnade“ bedeutet. Der zugehörige zweite Teil des Gemäldes fehlt jedoch. Fündig werden die drei Detektive bei der Durchsuchung von Miss Wilburs Anwesen. Das passende Gegenstück zeigt deren Vorfahren Sir Horatio Wilbur als Geliebten der Prinzessin. Nun wird klar, warum jemand verhindern will, dass die Geisterinsel und die Grabstätte Sir Wilburs betreten werden. Der Legende nach liegt nämlich die Krone des Stammes der Xhosa im Grab des heimlichen Geliebten.Die actionreiche Inszenierung, zum Beispiel die Hangglider-Verfolgung durch Kapstadt, mag manchem erwachsenen Kinogänger bisweilen zu übertrieben vorkommen. Jedoch werden das spannende, durchaus witzige Endergebnis und die überzeugenden Jungdarstellerinnen und -darsteller sicher viele Kinder und Familien in ihren Bann ziehen.
Die historische Liebesgeschichte zwischen der Stammesprinzessin und dem weißen Sir Wilbur sowie die Zuneigung zwischen Chris und Justus bieten zudem Gelegenheit, ein friedliches und respektvolles Zusammenleben Menschen verschiedener Kultur zu postulieren, ein Ansatz der den Romanvorlagen von Robert Arthur entspringt. Die internationale Bekanntheit der Marke Die drei ??? und die vielfachen Möglichkeiten der Weitervermarktung reizte Studio Hamburg International zur Umsetzung des Projekts. Aus diesem Grund wurde der Film unter der Regie des deutschen Florian Baxmeyer von vornherein in englischer Sprache gedreht. Eine Fortsetzung ist bereits in Planung, sodass weitere Kino-Ermittlungen der Detektive nicht lange auf sich warten lassen werden.
Beitrag aus Heft »2007/05: Bildung - Partizipation - Medien«
Autor: Lidia de Reese
Beitrag als PDFEinzelansichtStefan Sailer: Persepolis
Basierend auf der gleichnamigen vierteiligen Comic-Reihe erzählt der Animationsfilm Persepolis die Lebensgeschichte der in Teheran geborenen Marjane Satrapi. Die Comicvorlage wurde von Marjane Satrapi selbst gezeichnet und steht in der Tradition von Art Spiegelmans Maus. Gemeinsam mit Vincent Paronnaud hat sie die Comicvorlage für den Film überarbeitet und umgesetzt. Der Film, der sich an ein erwachsenes Publikum richtet, ist überwiegend in schwarz-weiß und in 2D-Optik dargestellt.Ausgangspunkt der Geschichte ist der Flughafen Orly, an dem Marjane, geplagt von Heimweh, am Schalter steht, um ihre zweite Heimat Frankreich zu verlassen und in den Iran zurückzukehren. Unter Tränen besinnt sie sich, bleibt doch in Frankreich und blickt auf einer Bank sitzend auf ihren bisherigen Lebensweg zurück.Ihre Erinnerung setzt ein, wie sie, als achtjähriges Kind, den Übergang von der Regierung des Schahs zur Islamischen Republik miterlebt.
Ihre Familie, gebildet und engagiert im Kampf für die Verbesserung der Gesellschaft, setzt große Hoffnungen in die Islamische Revolution, wird jedoch enttäuscht und muss den Aufbau des Gottesstaates und damit verbundene Einschränkungen der Menschenrechte miterleben. Willkürliche Einweisungen Oppositioneller in Gefängnisse und die Vorschrift für Frauen, ein Kopftuch zu tragen, bestimmen fortan das Bild in Iran. Marjane widersetzt sich den rigiden Vorschriften und beginnt, sich für Bruce Lee, Iron Maiden und Punk zu interessieren. Jedoch bringt sie sich und ihre Familie dadurch immer wieder in Schwierigkeiten. Ihre spielerische und kindlich-naive Auflehnung sowie der beginnende Krieg zwischen Iran und Irak veranlassen die Familie, sie ins Ausland nach Wien zu schicken.
Dort findet sie Anschluss an die Punkszene, lebt unter anderen Außenseitern, macht erste Erfahrungen mit Jungs und wird mit ihrer iranischen Herkunft konfrontiert. Von Liebeskummer geplagt kehrt sie zurück zu ihrer Familie. Gestärkt durch ihr altes Umfeld beginnt sie ein Studium, heiratet und verlebt eine Zeit die trotz widriger Umstände von dem Willen zu Spaß und Lebensfreude geprägt ist. Doch inzwischen haben die Mullahs ihren rigiden Gottesstaat weiter gefestigt, worunter vor allem Frauen, die ständig von den Revolutionsgarden wegen ihres Fehlverhaltens und ihres unpassenden Kopfschmucks belästigt werden, zu leiden haben. Und so erkennt Marjane, diesmal aus freien Stücken, dass sie in ihrer geliebten Heimat keine Zukunft hat. Trotz der Tragik und Ernsthaftigkeit der Geschichte, verliert sich der Film nicht in endloser Tristesse oder gar Depression, sondern überzeugt ebenso durch Leichtigkeit, Witz und eine gehörige Portion Selbstironie. Persepolis zeigt dadurch, dass die Vermittlung komplexer und schwerer Inhalte auf humorvollem und unterhaltsamem Wege gelingen kann. Humor wird von Marjane Satrapi bewusst eingesetzt, um Widerstand auszudrücken, denn wie sie selbst sagt, ist „Gelächter immer noch die subversivste Waffe von allen.
“Unterlegt wird der Film mit einem perfekt auf die einzelnen Szenen abgestimmten Soundtrack, der die Stimmungen der Charaktere widerspiegelt und es so ermöglicht, sich leicht in die Gefühlslagen der Charaktere hinein zu versetzen. Dass Persepolis ein Film mit brisantem politischem Inhalt ist, zeigt sich darin, dass eine dem Iran nahestehende Produktionsfirma sich für ein Vorführverbot auf den Filmfestspielen in Cannes ausgesprochen hat, da er die Auswirkungen der islamischen Revolution nicht würdigt.Persepolis ist ein durchweg fesselnder Film, der einen Abriss der jüngeren Geschichte Persiens, eine Geschichte über Liebe und Identitätsfindung, über Leben im Exil, Würde und Selbstbewahrung bietet. Und so verwundert es nicht, dass Persepolis auf den Filmfestspielen in Cannes mit dem „Preis der Jury“ und vor allem dem längsten Applaus ausgezeichnet wurde.
Beitrag aus Heft »2007/05: Bildung - Partizipation - Medien«
Autor: Stefan Sailer
Beitrag als PDFEinzelansichtTilmann P. Gangloff: Große Straße? Sackgasse!
Pokern lag auch schon vor Casino Royale bei Jugendlichen voll im Trend, aber der letzte James-Bond-Film hat für einen regelrechten Boom gesorgt. Preiswerte Poker-Sets beim Discounter sind im Nu ausverkauft, Online-Adressen für Pokerspiele erfreuen sich wachsender Beliebtheit. Auch im Fernsehen werden seit einiger Zeit regelmäßig internationale Poker-Wettbewerbe gezeigt. Sportsender DSF zum Beispiel (Marktanteil 2006: 1,9 Prozent bei den 14- bis 49-Jäh-rigen) stieß mit Hilfe des live aus Monte Carlo übertragenen Turniers Poker Invitational sogar in die Zweistelligkeit vor (12,3 Prozent). Eigentlich erstaunlich, dass angesichts der Aufregung des letzten Jahres um die Sportwettenanbieter der TV-Poker bislang unbeanstandet geblieben ist; Glücksspiel ist schließlich Glücksspiel. Irrtum, sagen die Anbieter, denn die sind der Meinung, Poker habe durchaus mit Intelligenz zu tun. Das sieht man bei den Landesmedienanstalten zwar anders, aber rechtlich waren den Ordnungshütern offenbar die Hände gebunden. Jetzt probieren sie’s auf einem anderen Weg: DSF und Das Vierte haben offizielle Beanstandungen erhalten. Darin geht es nicht um die Glücksspielfrage, sondern um mögliche Verstöße gegen Werberichtlinien. Tatsächlich betreiben die Poker-Sendungen so etwas wie Dauerwerbung. Beim DSF zum Beispiel war bis zuletzt in den morgens zwischen sechs und acht Uhr gezeigten Sendungen ein Hinweis auf den Internet-Poker-Anbieter Party-poker.net permanent präsent, weil das entsprechende Logo den Spieltisch schmückte.
Wann immer der Geber seine Karten aufdeckte, platzierte er sie sorgfältig unter dem Schriftzug. Der Sender könnte sich zwar damit rausreden, dass es sich um „vorgefundene Werbung“ handle, auf die man keinen Einfluss habe (vergleichbar mit der Bandenwerbung in Fußballstadien); trotzdem hält man bei der Gemeinsamen Stelle Programm, Werbung und Medienkompetenz (GSPWM), angesiedelt bei der Düsseldorfer Landesanstalt für Medien (LfM), „die Anzahl der Placements für frappierend“. Neben dem Verdacht der Schleichwerbung kritisiert die GSPWM, dass die Sponsoren von Sendungen dieser Art regelmäßig auch innerhalb der Formate Reklame schalteten. Das ist zwar mittlerweile gang und gäbe, formell in Deutschland aber nach wie vor untersagt. Ohnehin, resümiert ein Mitglied der Gemeinsamen Stelle, existierten diese Sendungen offenbar überhaupt nur aus einem Grund: um Reklame für Internet-Pokerangebote wie Pokerstars oder Partypoker zu machen.
Die Medienaufsicht erledigt mit ihren Beanstandungen, die wegen des Präzedenzcharakters der Angelegenheit nicht mit Bußgeldern verbunden sind, zwei Fliegen mit einer Klappe. Man sieht in Reklame dieser Art nicht nur eine Suchtgefahr, sondern auch eine gewisse Jugendgefährdung. Das Gratisangebot Partypoker.net zum Beispiel bezeichnet sich zwar als Pokerschule, bei der nur Spielgeld eingesetzt wird, doch bei Partypoker. com, nach Angaben des Veranstalters der „weltgrößte Online-Pokerraum“, geht es um Cash. Dort ist die Teilnahme erst ab 18 erlaubt, die Bezahlung erfolgt via Kreditkarte. Bei Pokerstars (de/com) verhält es sich ganz ähnlich. Nach Ansicht der LfM sind die Gratis-Websites nur „ein Lockvogelangebot für die Bezahlplattform: Sobald man sich registriert hat, kommt kurz drauf auch die Einladung für die kostenpflichtige Website“.
Beitrag aus Heft »2007/05: Bildung - Partizipation - Medien«
Autor: Tilmann P. Gangloff
Beitrag als PDFEinzelansichtTilmann P. Gangloff: Sind Sie personensorgeberechtigt?
Du bist elf Jahre alt und Harry-Potter-Fan. Du kennst alle Bücher, du träumst davon, Lord Voldemort zu besiegen, und an Karneval warst du selbstverständlich als Zauberer verkleidet. Im Juli ist „Harry Potter und der Orden des Phönix“ in die Kinos gekommen, und nichts auf der Welt kann dich davon abhalten, ins Kino zu gehen. Schon allein aus Gründen des Prestiges. Und wenn der Film auch erst ab zwölf Jahren freigegeben ist, das ist zum Glück kein Problem mehr: Dein Vater ist auch Harry-Potter-Fan, der kommt garantiert mit, dann darfst du auch rein, denn klugerweise wurde vor einigen Jahren in Deutschland die „PG“-Regelung eingeführt. Zwar weiß selbst in den Kinos kaum jemand, wofür die Abkürzung steht („Parental Guidance“), aber wichtiger ist ja auch, was sie bedeutet: In Begleitung ihrer Eltern können Kinder ab sechs Jahren auch Filme anschauen, die eine Zwölfer-Freigabe haben. Da sich Juristen aber offenbar einen Spaß draus machen, Gesetzestexte so zu verfassen, dass sie außer ihnen keiner versteht, liest sich das im Jugendschutzgesetz so: „… darf die Anwesenheit bei öffentlichen Filmveranstaltungen mit Filmen, die für Kinder und Jugendliche ab 12 Jahren freigegeben sind, auch Kindern ab 6 Jahren gestattet werden, wenn sie von einer personensorgeberechtigen Person begleitet sind“.
Natürlich fragt man sich, was um Himmels Willen denn eine „personensorgeberechtigte Person“ sei und warum man nicht gleich „Eltern“ geschrieben habe. Die Einführung der „PG“-Kennzeichnung ist also ganz vernünftig, hat aber einen gravierenden Nachteil: Sie macht die Ausnahme zur Regel. „PG“ ist ohne Frage sinnvoll, wenn die Jugendschützer der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK), die für die Altersfreigaben zuständig sind, bei ihrer Entscheidung zwischen den Kennzeichnungen „ab 6“ oder „ab 12“ geschwankt haben. Das gilt zum Beispiel für Filmreihen wie „Harry Potter“ oder „Star Wars“. Andere Filme aber hätten bei veränderter Zusammensetzung des Prüfausschusses vielleicht eine Freigabe ab 16 Jahren bekommen; „Casino Royale“ zum Beispiel, der jüngste James-Bond-Film, ist völlig zu Recht erst ab zwölf freigegeben. In diesen Fällen erweist sich die Modifizierung der Freigaberegelung als kontraproduktiv.
Der Erziehungswissenschaftler Stefan Aufenanger (Universität Mainz) fordert daher, „dass nicht prinzipiell alle Filme für Kinder mit Elternbegleitung möglich sind“. Sinnvoller wäre eine Einschränkung der Regelung: „So bekommen Eltern deutlichere Hinweise, welche Filme für solche Fälle geeignet sind und welche nicht.“ Das scheint in der Tat auch nötig. Kinomitarbeiter wissen von Eltern zu berichten, die sich, verängstigte und blasse Kinder an der Hand, bitter beschwert hätten: Sie haben die Freigabe als Empfehlung begriffen, ein altes Missverständnis, das die FSK seit Jahrzehnten vergeblich aus der Welt zu räumen versucht. Grundsätzlich hat sich die „PG“-Regelung jedoch bewährt. Sie steht allerdings auf dem Prüfstand: Bis Ende nächsten Jahres muss der Gesetzgeber entscheiden, ob das bis dahin bloß vorläufig gültige Gesetz festgeschrieben wird. Um die Akzeptanz der Novellierung zu überprüfen, hat die FSK eine Umfrage bei Kinobetreibern durchgeführt. Die Mehrheit der Befragten begrüßte die „PG“-Regelung. Die Kinomitarbeiter gaben zudem an, es komme weitaus seltener zur Diskussionen mit Eltern als früher. Allerdings wurde eine Einschränkung der Regel gefordert: Bestimmte Filme mit Zwölferfreigabe sollten nur ohne den „PG“-Zusatz freigegeben werden.
Darüber hinaus sollten alle erwachsenen Begleitpersonen die „PG“-Regelung in Anspruch nehmen können. Angesichts von immer mehr „Patchwork“-Familien mit verschiedenen Nachnamen aber ist den Kartenverkäuferinnen und -verkäufern kaum zuzumuten, ganze Stammbäume zu durchforsten.Was nun noch fehlt, ist eine zentrale Instanz, an die sich Eltern wenden können, wenn sie nicht sicher sind, ob ein Film für ihre Kinder geeignet ist. Noch einfacher wäre es, einen Film wie in den USA gleich auch mit einer Empfehlung („consumer advice“) zu versehen. Das wäre doch, finden Jugendschützer und Kinobetreiber, ein Job für die FSK, schließlich sichte sie die Filme ohnehin. Davon aber will Folker Hönge, Ständiger Vertreter der Obersten Landesjugendbehörden bei der FSK, nichts wissen: „Wir prüfen, ob ein Film beeinträchtigend ist. Pädagogische Empfehlungen sind nicht unsere Aufgabe. Die Diskussionen in den Ausschüssen müssten dann ganz anders laufen und würden noch längern dauern“.
Auch Joachim von Gottberg, Geschäftsführer der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) und Hönges Vorgänger bei der FSK, findet zwar, die FSK könne den Verbraucher-Tipp formulieren, weiß aber auch, wie diffizil dies wäre. Schließlich ist die FSK eine Einrichtung der Filmwirtschaft, „und von der kann man kaum erwarten, dass sie vom Besuch eines Films abrät“. Von Gottberg hat ohnehin eine ganz andere Vision vom Jugendschutz: Langfristig möchte er die regulierten Zugänge am liebsten abschaffen und den Empfehlungscharakter in den Vordergrund stellen. Seine Kritik: „Die derzeitigen Freigabekriterien scheren Millionen von Kindern über einen Kamm“. Dabei sei „entwicklungspsychologisch längst erwiesen, dass Bildungsorientierung, individuelle Entwicklung und das Geschlecht viel entscheidender für den Reifegrad eine Kindes sind als das Alter“. Der Medienwissenschaftler Lothar Mikos (HFF Potsdam) kritisiert zudem, die Spanne zwischen sechs und zwölf bei den Altersfreigaben sei viel zu groß: „Ich plädiere schon seit langem für die Alterstufen sechs, neun, zwölf und 16. 18 sollte ganz abgeschafft werden, weil Jugendliche heute eine ungleich besser Mediensozialisation aufweisen als noch vor zwanzig oder dreißig Jahren. Wer mit 16 heiraten darf, sollte auch alle Filme seiner Wahl sehen dürfen“.
Im europäischen Ausland gibt es zum Teil liberalere Regelungen. So gilt in Dänemark die „PG“-Ausnahme grundsätzlich: In Begleitung ihrer Eltern dürfen Vorschulkinder in Filme ab sechs, Zehnjährige in Filme ab zwölf, 13-Jährige in Filme ab 16. Von Gottberg weiß, dass dabei auch Missbrauch getrieben wird, doch das gelte für den täglichen TV-Konsum genauso: „Kein Elfjähriger macht den Fernseher aus, nur weil es 20 Uhr ist“. Die FSF orientiert sich an den FSK-Kennzeichnungen: Kinofilme ab zwölf dürfen die Fernsehsender grundsätzlich erst nach 20 Uhr zeigen, Ausnahmen müssen bei der FSF beantragt werden. Eine Kennzeichnung mit „ab 12PG“ oder auch „ab 12BE“ („in Begleitung Erwachsener“) wäre für die Arbeit der FSF äußerst hilfreich, solche Filme könnten dann auch eher im Tagesprogramm eingesetzt werden. Hat die FSK das „BE“ nicht erteilt, dürfte ein Sender den Film auch erst nach 20 Uhr ausstrahlen.
Beitrag aus Heft »2007/05: Bildung - Partizipation - Medien«
Autor: Tilmann P. Gangloff
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kolumne
Andreas Lange: Kompetenzentgrenzung – Ein Einspruch
Jüngst hat der bayerische Ministerpräsident seinen Wirkungsort verlassen und wird demnächst in Brüssel die Bürokratie entschlacken. In einem Interview sprach er davon, dass es ihm darum geht, die Kompetenzkompetenzen zwischen Brüssel und Berlin und den anderen EU-Staaten wieder neu zu ordnen. Ups – noch eine Kompetenz, die sich da anheischt, als notwendiger Bestandteil des Portfolios eines Politikers Eingang zu finden. Nicht nur in der Politik, nein allenthalben schießen die Anforderungen an zu bewältigende Sachverhalte aus dem Boden: Die Welt wird unsicher und ambivalent, also brauchen wir eine Unsicherheits-/Ambiguitäts-/ Ambivalenzkompetenz.
Die Gefühle am Arbeitsplatz, in der Familie und im Freundeskreis dürfen auch nicht mehr naturwüchsig gezeigt und ausgelebt werden – man hat sich gefälligst des ausdifferenzierten Tableaus emotionaler Kompetenzen zu bedienen. Medienforscher werden nicht müde, mit derselben Verve Medienkompetenzen zu fordern – das kleine noch zu lösende Problem dabei liegt nur in dem kaum zu entwirrenden Gestrüpp von Vorschlägen hierzu … Und nicht zu vergessen – in Zeiten der auf allen Ebenen betriebenen Umbauten, Renovierungen und Innovationen im Feld der Beziehungen zwischen den Geschlechtern brauche ich ein ganzes Bündel von „Genderkompetenzen“, will ich nicht als hoffnungslos veralteter Zeitgenosse und Macho gelten.
Überhaupt – damit mein Leben fortan in geordneten Bahnen verläuft und ich sinnvoll mit meiner begrenzten Lebenszeit umgehe, diese richtig bewirtschafte, auch noch im Alter produktiv bin – wie im neuesten Altenbericht gefordert – auch immer gut vorbereitet in meine Meetings komme, da brauche ich – richtig geraten! – Zeitkompetenzen. Eine vollständige Liste weiterer unbedingt notwendiger und vor allem auch durch Forschungsprogramme summativ oder auch formativ zu evaluierender Fertigkeiten zu erstellen, liegt außerhalb meiner Kompetenzlistenerstellungskompetenz, würde aber offenbaren, dass die Kompetenzschürfer bis in die feinsten Poren des Alltags vorgedrungen sind. Dort lassen sie nicht locker, bis sie auch das letzte Quäntchen an Humanressourcen absaugen und der uns alle glücklich machenden Verwertung zuführen können. Sind sie beispielsweise derzeit „nur“ Hausfrau und fragen sich, ob Sie auch etwas können?
Keine Bange, auch hierfür gibt es mittlerweile eine sogar von Arbeitsämtern anerkannte Familienkompetenzbilanz. Das Leben des lernbereiten Mitteleuropäers besteht also immer mehr aus einer Anreihung von Kompetenzaneignungsphasen, Kompetenzbeweisepisoden (Prüfungen!) und schließlich Kompetenzperformanzevents (wenn’s dann richtig ernst wird in der Lebenswelt und man seine Kompetenzen beweisen soll und rhetorisch in Szene muss). Irgendwie erinnert mich das als eifrigen Sciencefictionleser (noch eine Kompetenz??) an abschreckende utopische Visionen im Stile von 1984. Ich glaube, als einzig wirklich wahres Gegenmittel hilft da nur die Pflege der „Kompetenzvernachlässigungskompetenz“ – nicht zuletzt der expansiv-regressive Medienkonsum, einfach so also eine Soap gucken (ohne deren Familienbilder für die nächste Vorlesung aufzubereiten), meine Lieblingsmusik hören (ohne gleich auf die positiven Auswirkungen auf meine Gehirnstrukturen zu spekulieren) …
Beitrag aus Heft »2007/05: Bildung - Partizipation - Medien«
Autor: Andreas Lange, Oliver Langewitz
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