2004/01: Lernräume der Zukunft?
thema
Hans-Dieter Kübler: (Virtuelles) Lernen im Museum?
Obwohl sich fast jedes Museum mittlerweile auf einer eigenen Homepage präsentiert, fallen doch die virtuellen, musealen Welten, die Rundgänge durch Säle oder auch museumsdidaktische Konzepte anschaulich vermitteln könnten, noch sehr bescheiden aus.
Um sie als künftige Lernräume nutzen zu können, sind noch einige Anstrengungen zu unternehmen. Welche Schwierigkeiten allerdings der Realisation von virtuellen Museen im Wege stehen, wird deutlich am Beispiel des virtuellen Film- und Fernsehmuseums Hamburg.
(merz 2004-01, S. 9-16)
Beitrag aus Heft »2004/01: Lernräume der Zukunft?«
Autor: Hans-Dieter Kübler
Beitrag als PDFEinzelansichtMaike Ziemer: Schule auf den Kopf gestellt
Computer und Internet sind für viele Lehrerinnen und Lehrer im Unterricht ein Schreckgespenst, da sie den Wissensvorsprung ihrer SchülerInnen fürchten. Mit der Methode „teach your teacher“ haben zahlreiche deutsche Schulen aus dieser Not eine Tugend gemacht: Technisch versierte Schülerinnen und Schüler geben Lehrkräften in Nachmittagskursen eine Einführung in die neuen Medien.
Verkehrte Welt sagen die einen. Einfache und günstige Fortbildungsmethode, sagen die anderen – schließlich werden LehrerInnen entlastet und SchülerInnen gestärkt. Die folgenden drei Modellprojekte liefern Anregungen für einen medienorientierten, offensiven Umgang mit einer veränderten Lehrer-Schüler-Rolle.
(merz 2004-01, S. 17-19)
Kathrin Demmler: Umwelt im Netz schützen?
Das JFF hat ein VirtuellesUmweltbildungszentrum (VUZ) eingerichtet. Hier werden Informationen zu Umweltthemen, Anregungen selbst im Umweltschutz aktiv zu werden und Links zu Umweltverbänden gebündelt – das Netz bietet diese Möglichkeiten wie kein anderes Medium.
Gleichzeitig mag es seltsam anmuten, Umweltschutz im Netz zu erlernen. Wie eine thematische Internetplattform aufgebaut werden kann und wie ein Bewusstsein für Umweltschutz und umweltbewusstes Handeln durch das Internet gefördert werden kann, wird im Folgenden dargestellt.
(merz 2004-01, S. 20-24)
Beitrag aus Heft »2004/01: Lernräume der Zukunft?«
Autor: Kathrin Demmler
Beitrag als PDFEinzelansichtHans Toman: Lesenlernen am PC
In der heutigen Gesellschaft gilt das Lesen neben dem Schreiben und Rechnen als eine der klassischen Kulturtechniken. Das Erlernen des Lesens bildet gerade in der Mediengesellschaft den Schlüssel zur Kultur und nimmt im Rahmen einer umfassenden Medienerziehung für die Informationsgesellschaft der Zukunft eine besondere Stellung ein.
Nach Überzeugung vieler Wissenschaftler entscheiden die ersten Erfahrungen der Kinder mit den Lesemedien im Elternhaus und in der Schule über die Entwicklung ihrer Lesebiographie. Bücher vermitteln Informationen, regen die Phantasie an und fordern zur Auseinandersetzung auf. Wie die „alte“ Kulturtechnik des Lesens mit Hilfe des „neuen“ Mediums Computer erlernt werden kann, wird in diesem Beitrag untersucht.
(merz 2004-01, S. 25-32)
Julia Sonnberger und Thorsten Klooster: Notebook University
Seit Mai 2002 läuft wie an weiteren 22 Universitäten in Deutschland an der BTU Cottbus das BMB+F-geförderte Projekt Notebook University. Im Rahmen dieses Forschungs- und Entwicklungsprojektes wird neben der Erprobung multimedialer Lern- und Lehrszenarien die Möglichkeit geschaffen, das Notebook als selbstverständliches Werkzeug im regulären Lehrbetrieb an der BTU Cottbus zu etablieren.
Ziel ist die methodisch-didaktische Ergänzung der Präsenzlehre durch hybride Lernszenarien unter dem besonderen Einsatz von Notebooks. Die hierfür wesentlichen Voraussetzungen besitzt ein Notebook schon „von Natur“ aus: So bietet es eine zeit- und ortsunabhängige Arbeits- und Lernumgebung, die individuell gestaltbar ist und Zugang zu einem wachsenden Lernquellenpool ermöglicht.
(merz 2004-01, S. 33-39)
Beitrag aus Heft »2004/01: Lernräume der Zukunft?«
Autor: Julia Sonnberger, Thorsten Klooster
Beitrag als PDFEinzelansichtMarkus Lermen und Henning Pätzold: Chats als Lernräume in der Hochschulausbildung
Online-Chats führen in kommunikationswissenschaftlichen und auch in pädagogischen Debatten in der Regel eher ein Schattendasein. Entsprechende Untersuchungen beziehen sich häufig allgemein auf die Nutzung Neuer Medien in der Freizeit von Kindern und Jugendlichen, bei der Chatten einen Aspekt neben anderen darstellt. Auch im Bildungsbereich werden Chats meist im Rahmen der Auseinandersetzung mit Neuen Medien lediglich „mitbehandelt“.
Dabei werden sie entweder als ein Gegenstand betrachtet oder als ein Werkzeug, das sich zur Verbesserung von Lehr-Lern-Prozessen einsetzen lässt. Eine besondere Berücksichtigung finden Chats eher in Bezug auf den fremdsprachlichen Unterricht. Dieser Beitrag wird einem Aspekt nachgehen, der die bisherigen Untersuchungen um einen wesentlichen Punkt ergänzt.
(merz 2004-01, S. 40-45)
spektrum
Rudolf Maresch: Gespenster-Pädagogik
Wie alle Bindestrich-Disziplinen, die sich im Zuge neuzeitlicher Ausdifferenzierung neu gebildet und institutionell organisiert haben, hat es auch die Medien-Pädagogik schwer, sich im Kanon der Wissenschaften zu verorten und dort ihren legitimen Platz zu finden.
Unschlüssig, ob sie Menschen zum rechten Umgang mit Medien befähigen oder doch eher Auftragsforschung für Wirtschaft, Politik und Gesellschaft betreiben, ob sie den Medienalltag kritisch begleiten oder nur empirisch beobachten, ob sie Eigenständigkeit demonstrieren oder dienende Funktionen für etablierte Fächer ausüben soll, pendelt das Fach zwischen wissenschaftlichem Anspruch und praktischer Ausrichtung, technischer Orientierung und pädagogischen Wunschfantasien hin und her.
(merz 2004-01, S. 46-51)
Beitrag aus Heft »2004/01: Lernräume der Zukunft?«
Autor: Rudolf Maresch
Beitrag als PDFEinzelansichtJürgen Hüther: Pioniere und Wegbereiter der Medienpädagogik (12)
Mit diesem Beitrag über das JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis wird die 2001 begonnene Reihe über Vordenker und Wegbereiter der Medienpädagogik abgeschlossen.
(merz 2004-01, S. 52-57)
Beitrag aus Heft »2004/01: Lernräume der Zukunft?«
Autor: Jürgen Hüther
Beitrag als PDFEinzelansichtAndrea Sievers: "Wir reden, über was wir wollen"
Über die Ziele medienpädagogischen Handelns wurde viel diskutiert. Wozu brauchen wir Medienpädagogik und was wollen wir mit unserem medienpädagogischen Handeln erreichen?
Die Antworten darauf sind vielfältig, meist einleuchtend und oft auch nah an der Praxis. Aber kaum jemand hat bisher den Versuch unternommen, diejenigen an den theoretischen Diskussionen zu beteiligen, die unmittelbar von Theorien betroffen sind: die in Medienprojekten aktiven Kinder und Jugendlichen.
Dabei geht es um einen Perspektivwechsel oder besser: um das Hinzufügen einer anderen Perspektive. Der Blickwinkel der Pädagogen und Forscher auf die Jugendlichen in der Medienarbeit wird ergänzt durch den Blickwinkel der Jugendlichen auf ihr eigenes Projekt, ihre eigene Aktivität, ihr Verhältnis zu den Medien.
(merz 2004-01, S. 58-63)
Beitrag aus Heft »2004/01: Lernräume der Zukunft?«
Autor: Andrea Sievers
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medienreport
Tilmann P. Gangloff: Viel Spaß mit Bob
Am Anfang war selbst das Mutterhaus skeptisch. Im Internet lasse sich kein Geld verdienen, und mit „paid content“, mit Inhalten also, für die der Nutzer zahlen muss, schon mal gar nicht. Branchenexperten prognostizierten allenfalls 3.000 Kunden. Ein Jahr später hat der Kindersender Super RTL alle Skeptiker eines Besseren belehrt: Das Lernangebot des Marktführers im Bereich Kinderfernsehen, der toggolino Club (www.toggolino.de), schreibt schon nach zwölf Monaten schwarze Zahlen. Matthias Büchs, als „Director Operations“ bei Super RTL gewissermaßen Bindeglied zwischen Programmgestaltern und Vermarktern, verrät das Erfolgsgeheimnis des Clubs: Im Unterschied zu vergleichbaren Internet-Angeboten verfügt Super RTL natürlich über eine bei der Zielgruppe ungemein prominente Werbeplattform. Gerade im Umfeld jener Sendungen, deren Helden auch auf toggolino.de eine Hauptrolle spielen, wird nach Kräften auf den Club hingewiesen. Das Werbevolumen entspricht laut Büchs einem siebenstelligen Betrag. Weil aber alles in einer Hand bleibt, handelt es sich um eine „Opportunitätsrechnung“: Dank der Cross-Promotion fließt kein einziger Cent. Für zusätzliche Reize sorgen die Werbepartner des Senders; so belohnte zum Beispiel Spielzeughändler my.toys neue Abonnenten mit Einkaufsgutscheinen. Bei den Kindern hatte Super RTL natürlich leichtes Spiel, doch es galt ja vor allem, die Eltern zu überzeugen; schließlich ist der Mitgliedsbeitrag mit 59 Euro pro Jahr nicht billig. Bislang sind rund 35.000 Familien der Meinung, dass der Toggolino Club sein Geld auch wert ist.
Tatsächlich bezieht sich die Kritik von Abonnenten, die ihre Mitgliedschaft gekündigt haben, in erster Linie auf den Preis; das Angebot selbst kommt bei Kindern und Eltern offenbar gleichermaßen gut an. Kein Wunder: Der Toggolino Club bietet im Prinzip ganz ähnliche Möglichkeiten wie eine gute Lern-CD-ROM, für die man im Laden auch gut und gern dreißig Euro bezahlen muss. Der Unterschied: Unter toggolino.de gibt’s gleich eine Vielzahl von Optionen. Rund um Super-RTL-Figuren wie Bob, den Baumeister, die kleinen Planeten Bing und Bong oder Barney, den freundlichen lila Drachen, können Vorschul- und Grundschulkinder ihre Geschicklichkeit testen und Rätsel oder Rechenaufgaben lösen. Trainiert werden dabei nicht nur die kleinen grauen Zellen, sondern auch der Umgang mit der Computermaus. Und weil die Spiele pädagogisch auch mal ein bisschen unkorrekt sind – so muss man zum Beispiel dem frechen Knolle aus „Bob, der Baumeister“ möglichst oft auf die Tonne hauen -, haben die Kinder viel Spaß dabei. Die Kinder nutzen den Toggolino Club nach Angaben von Büchs zwei- bis dreimal pro Monat; angesichts der Gebühren relativ selten also. Andererseits würden viele der Spiele auch ihren Reiz verlieren, wenn man sich täglich im Club tummelte. Büchs betont allerdings, dass das Angebot ständig erweitert „und deshalb nie langweilig“ werde. Trotzdem bewegten sich die Kosten im überschaubaren Rahmen.
Da die Einnahmen 2,1 Millionen Euro betragen und der Club schwarze Zahlen schreibt, dürften die Ausgaben zwischen 1,5 und 2 Millionen Euro liegen. Tatsächlich setzen die Club-Angebote, wie Büchs es formuliert, „sowohl inhaltlich als auch technisch auf bestehende Strukturen“ auf. Die Sprecher zum Beispiel sind die gleichen wie bei den TV-Serien; sie müssen für die Sprachaufgaben für Toggolino nicht eigens ins Studio kommen. Weitaus größere Kosten wird wohl der Kundenservice verursachen, schließlich musste Super RTL ein eigenes Call-Center einrichten. Dort dürfte man vor allem zwischen 18 und 21 Uhr viel Arbeit gehabt haben: Zu dieser Uhrzeit erfreut sich der Toggolino Club offenbar der größten Nachfrage, denn hin und wieder gab es doch einige Server-Probleme. Die seien aber, versichert Büchs, mittlerweile behoben. Dem guten Ruf hat es ohnehin nicht geschadet: 90 Prozent der Eltern gaben in einer Befragung an, sie würden den Club weiterempfehlen. Sie schätzen nicht zuletzt die Sicherheit: toggolino.de ist ein geschlossener Bereich, Kinder können ihn nur mit einem Passwort verlassen.
Beitrag aus Heft »2004/01: Lernräume der Zukunft?«
Autor: Tilmann P. Gangloff
Beitrag als PDFEinzelansichtMichelle Bichler: Japanische Zeichentrickserien im deutschen Fernsehen
Der japanische Zeichentrick (Anime) ist in den letzten Jahren nicht nur aufgrund seines enormen Erfolges im deutschen Kinderprogramm und dem damit einhergehenden Mehr an Anime-Cartoons in aller Munde, sondern löste durch Kassenschlager wie Pokémon oder DragonBall Z auch harsche Kritik und zahlreiche Diskussionen um seine allgemeine Zulässigkeit und seine Wirkung auf das kindliche Publikum aus. Scheint der Importboom japanischer Trickserien auf den ersten Blick ein neueres Phänomen zu sein, so muss dem bei genauerer Betrachtung jedoch widersprochen werden, da Anime seit mehr als zwei Jahrzehnten einen fixen Sendeplatz im deutschen Fernsehprogramm haben. Serien wie etwa Biene Maja (1975), Captain Future (1977), Heidi (1974) und Nils Holgersson (1979) sind allesamt japanischen Ursprungs, wurden in den späten 1970er Jahren billig erworben und begeisterten schon damals das deutsche Fernsehpublikum; sie wurden jedoch in der Regel nicht als japanische Produktionen erkannt bzw. wahrgenommen. Dies kann hauptsächlich darauf zurückgeführt werden, dass die Serien einerseits zum Großteil auf literarischen Vorlagen europäischen Ursprungs basierten – den ersten nach Deutschland importierten Cartoons fehlte es an „japanischen“ Inhalten –, und andererseits eine wichtige Entwicklung am japanischen Comic-Sektor zu dieser Zeit noch nicht vollständig ausgereift war – die Etablierung der so genannten „Story-Manga“1 des Pioniers Osamu Tezuka sowie dessen Revolutionierung der Zeichentechnik durch Verwendung filmtechnischer Effekte. Viele Merkmale, die heute japanischen Anime zugeschrieben werden, sind auf diese Elemente zurückzuführen (vgl. Poitras 2001, S. 18). Wichtig erscheint in diesem Zusammenhang auch, dass Anime in den 1960er und -70er Jahren in Japan begannen, sich vom universal üblichen Kindergenre wegzuentwickeln. Die Cartoon-Fans wurden älter und verlangten nach entsprechenden Themen.
Mit der Etablierung von Trickserien für Erwachsene brach Japan demnach mit der allerorts (auch in Deutschland) zu findenden Tradition der Gleichsetzung von Zeichentrick und Kinderprogramm. Diese thematische Ausdifferenzierung wurde jedoch außerhalb Japans nicht oder nur teilweise registriert, weshalb die derzeitigen Diskussionen rund um die negative Wirkung von Anime auf die jungen Zuseher rückblickend nicht verwunderlich sind, sondern im Gegenteil absehbar waren, da die Sendeanstalten, welche die Lizenzen zur Ausstrahlung von den ostasiatischen Trickserien erwarben, nach wie vor davon ausgingen, dass Zeichentrickproduktionen – egal welcher Herkunft – für Kinder gemacht sind (vgl. Bichler 2002). Der Durchbruch mit Pokémon und SailormoonBis Mitte der 1990er Jahre griffen deutsche Sendeanstalten demnach vor allem für ihr Kinderfernsehprogramm regelmäßig auf japanische Zeichentrickgeschichten zurück, doch kam es zu keinen einschneidenden Angebots- oder Nutzungsveränderungen. Anime liefen als solche unerkannt neben hauptsächlich amerikanischen und deutschen Zeichentrickproduktionen. Dies änderte sich schlagartig mit der Einführung von in Japan erfolgreichen Serien wie Sailormoon, Pokémon und Dragonball (Z) im Programm des Spartensenders RTL 2 – nicht zuletzt aufgrund ihrer umfassenden Vermarktungs- und Merchandisingstrategien. Die jungen Zuschauer waren fasziniert und begeistert von den actiongeladenen, spannenden Geschichten, die formal sowie inhaltlich deutliche Unterschiede zu bekannten Zeichentrickserien aufwiesen, und bestimmte Anime-Serien hielten sogar Einzug in den Alltag der Kinder (vgl. Paus-Hasebrink/Lampert 2003, S. 28; Götz/Ensinger 2002).
Somit setzten einerseits die bislang stattfindenden Diskussionen um die Problematiken japanischer Zeichentrickserien ein (sehr intensiv fanden diese am Beispiel der Serie Dragonball Z statt), und gleichzeitig wuchs die Angebotspalette an Anime-Serien im deutschen Fernsehen an. Während Sendeanstalten, die bislang keine japanischen Trickserien ausstrahlten, Anime in ihr Programm einbauten, boten jene Sender, die bereits entsprechende Sendungen vertrieben, noch mehr japanische Zeichentrickserien an und kreierten sogar zum Teil ganze Anime-Programmflächen (wie etwa RTL 2). Wohlgemerkt wurde jedoch auch Ende der 1990er Jahre nach wie vor davon ausgegangen, dass alle Anime Kinderserien waren – die japanischen Trickgeschichten wurden somit ohne Ausnahme im Kinderprogramm der jeweiligen Sender ausgestrahlt.Mit immer lauter werdenden Protesten gegen manche Anime-Serie und ihre Platzierung im Fernsehprogramm sowie mit Gutachten und Studien zu deren Wirkungsaspekten (Paus-Haase/Lampert 2002; Götz/Ensinger 2002) wurden die Programmverantwortlichen langsam gewahr, dass japanische Cartoons auch für ältere Zielgruppen konzipiert sein können und bestimmte Geschichten dadurch nichts im Kinderprogramm zu suchen haben.
Dies zeigte sich daran, dass Sender wie MTV, VOX und VIVA in den letzten drei Jahren begonnen hatten, regelmäßig Anime für ältere Zuseher auszustrahlen – auch in Form von „Anime-Abenden“ (vor allem auf VOX), in welchen mehrere Episoden einer speziellen Serie hintereinander geschaltet wurden. Anime auf allen Kanälen Im derzeitigen deutschen Fernsehen lassen sich insgesamt fünfzehn unterschiedliche Sendeanstalten ausmachen, in deren Programm zumindest eine Anime-Serie zu finden ist. Auffällig ist, dass vor allem Privatsender und Pay-TV-Programme auf fernöstliche Trickserien zurückgreifen. Die Spitzenreiter unter den Anime-Anbietern sind Junior (Premiere), Fox Kids (Premiere), RTL 2 und Tele 5 – Sender, die sich vorrangig an Kinder und Jugendliche richten bzw. die Anime im Kinderprogramm ausstrahlen. Auffällig ist, dass nicht selten in Form von Programmflächen konzeptioniert wird – egal welche Zielgruppen angesprochen werden sollen (siehe RTL 2 oder VOX). Einzelne Sendungen werden, unabhängig von Sender und Sendeplatz, sehr rasch und offensichtlich beliebig ausgetauscht und durch neue ersetzt – Aus- und Abwechslung scheint das Erfolg versprechende Rezept zu sein.
Und dem ist nicht zu widersprechen, wenn man bedenkt, dass einst „boomende“ Serien wie Pokémon oder Dragonball Z bei den Kindern bereits zum Alltag gehören und neue wie etwa Yu-Gi-Oh! oder Beyblade verstärkt um die Aufmerksamkeit der Kinder buhlen – auch in den Verkaufsregalen. Eine rasche Berg- und Talfahrt also, wirft man etwa einen Blick auf die Hitliste der 3- bis 13-Jährigen im Jahr 2002, in welchem Dragonball Z immerhin Rang 1 der beliebtesten bzw. meistgesehenen Sendungen belegte. (Lambrecht 2003)Der Trend geht demnach deutlich in Richtung Ökonomisierung. Neue Serien gehen einher mit neuen Begleitartikeln, die natürlich, will man ein echter Fan sein, erstanden werden müssen. Die Sender beleben in enger Kooperation mit der Werbeindustrie – und dies ist hier entscheidend – durch das kontinuierliche Wechseln an Anime-Serien die Wirtschaft.
Anmerkung1 In „Story-Anime“ werden erstmals längere Fortsetzungsgeschichten zu allen erdenklichen Themengebieten mit sich weiterentwickelnden Charakteren geschildert. Die damals gängige Episodenstruktur wurde zugunsten „eines durchgehenden, handlungsbetonten Erzählkonzepts“ (Berndt 1995, S. 48) aufgebrochen.
Literatur:
Berndt, Jaqueline (1995): Phänomen Manga. Comic-Kultur in Japan. Berlin: Edition qBichler, Michelle (2002): Anime sind anders. Produktanalytischer Vergleich japanischer und amerikanischer Zeichentrickserien. Diplomarbeit, Universität Salzburg [unveröffentlichtes Manuskript]
Götz, Maya/Ensinger, Carolina (2002): Faszination Dragon Ball (Z): Zwischen starken inneren Bildern und Aggressionsbereitschaft. Eine qualitative Studie zur Bedeutung von Dragon Ball Z für Kinder und Pre-Teens (6 bis 15 Jahre). In: www.izi.de. München: IZI (aufgerufen am 17.11.2003)
Lambrecht, Clemens (2003): Programmangebot in der Nutzungsperspektive der Kinder. Bestandsaufnahme zum Kinderfernsehen 2002. In: www.kinderfernsehforschung.de/bestand/Arbeitsbereiche/6-Nutzung/2002/Nutzung2002.htm (aufgerufen am 17.11.2003)
Paus-Haase, Ingrid/Lampert, Claudia (2002): Gutachten zu DragonBall und DragonBall Z im Hinblick auf die Darstellung von Gewalt und sexuellen Inhalten. Unveröffentlicht. Salzburg und Hamburg (unter Mitarbeit von Michelle Bichler und Eva Hammerer)
Paus-Hasebrink, Ingrid/Lampert, Claudia (2003): Dragonball und Dragonball Z: Action, Abenteuer, Anime. Action-Animes – eine neue Generation von Action-Cartoons. In: merz, 2/2003, S. 28–31
Poitras, Gilles (2001): Anime Essentials. Every Thing A Fan Needs To Know. Berkeley/ California: Stone Bridge Press
Beitrag aus Heft »2004/01: Lernräume der Zukunft?«
Autor: Michelle Bichler
Beitrag als PDFEinzelansichtTilmann P. Gangloff: Töten Soldaten gerne?
Manchmal genügen ein paar provokante Thesen, um helle Empörung bei einem bis dahin disziplinierten Publikum einer Medientagung zu wecken. „Lernen mit dem Fernsehen?“ war das Thema. Das Fragezeichen im Titel dürften die versammelten Redakteure für Kinderfernsehen allerdings als reine Rhetorik empfunden haben. Dass Sendungen wie „Wissen macht ah!“ oder „Willi wills wissen“ jede Menge Wissen verbreiten, steht für sie selbstredend außer Frage. Und dann kam Stefan Aufenanger. Mit wenigen Worten machte der renommierte Erziehungswissenschaftler (Universität Hamburg) sämtliche Selbstgefälligkeit zunichte: In den Informationsmagazinen für Kinder gehe es immer bloß um Naturwissenschaften, Umwelt oder Tiere, kritisierte er. Auf diese Weise entstehe ein völlig einseitiges Bild der Welt. Kinder bräuchten aber soziales Wissen, um für die Probleme der Zukunft gewappnet zu sein: „Warum gibt es Krieg, warum streiten sich Eltern?“ Und die Frage aller Fragen: „Warum darf ich nicht fernsehen?“ Die Sendungen, forderte Aufenanger, sollten nicht Kenntnisse vermitteln, sondern Erkenntnisse. Kinder sollten Lernen lernen, das sei viel wichtiger als Fakten; die könnten sie sich auch von CD-ROMs besorgen. Und die Moderatoren im Kinderfernsehen findet Aufenanger oberlehrerhaft.Das Publikum war empört. Die große Mehrheit der über hundert Teilnehmer dieser vom Internationalen Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) veranstalteten Tagung waren Redakteure, Produzenten oder Autoren. Entsprechend hoch her ging’s nach Aufenangers provokanten Thesen.
Dadurch blieb eine Studie undiskutiert, die IZI-Leiterin Maya Götz unmittelbar zuvor vorgestellt hatte, und die Aufenangers Ausführungen nachdrücklich bestätigte. Die IZI-Mitarbeiter hatten in der ersten Woche des Irak-Krieges 87 Kinder gebeten, ihre Gefühle und Fantasien zum Krieg zu beschreiben und zu malen. Außerdem sollten sie die Berichterstattung im Fernsehen bewerten.Die Kinder in Deutschland, so Götz’ Fazit, sahen in den Amerikanern die Angreifer, die mit hinterhältigen Tricks arbeiten und mit einem Lächeln Morde begehen. Von der Berichterstattung über den Krieg hätten sie sich mehr Informationen erwartet, gerade auch über die Lage der Menschen im Irak. Grundsätzlich standen sie dem Krieg ablehnend gegenüber. Natürlich spiegeln die Bilder und Aussagen der Kinder auch die ablehnende Haltung innerhalb der Familien wieder. Gerade die Zeichnungen, so Götz, wiesen aber eindeutig auf Medienspuren hin, zumal die Fernsehnachrichten die Hauptinformationsquelle der Kinder waren. Sie haben sich dabei aus vielen Bruchstücken – hier lachende oder jubelnde Soldaten, dort Meldungen über den Tod von irakischen Zivilisten – ihr eigenes Bild vom Krieg gemacht.Die meisten Kinderzeichnungen zeigen Bilder vom „entmenschlichten Krieg“. Oft sind nur Flugzeuge und Bomben zu sehen. Teilweise fliegen Flugzeuge in Hochhäuser, ein klarer Hinweis darauf, wie Kinder mit der Hilfe von Fernsehbildern versuchen, sich eine Vorstellung von der Realität zu machen. Wo Menschen zu sehen sind, gibt es eine klare Rollenverteilung zwischen Angreifern und Opfern.
Zwar ahnten die Kinder, dass auch mit Saddam Hussein irgend etwas nicht stimmt („der ist eigentlich auch schlimm“), doch der Bösewicht in der Auseinandersetzung ist eindeutig George Bush. Ein Bild der neunjährigen Julia zeigt US-Soldaten, die mit einem Lachen im Gesicht auf ein Kind zielen. Praktisch alle Zeichnungen, so Götz, deuteten darauf hin, dass die Berichterstattung über den Irak-Krieg bei den Kindern sehr unausgewogen angekommen sein müsse. Die Zeichnung der Kindermörder belege, dass Julia eine wichtige Information gefehlt habe: „Soldaten töten vielleicht gar nicht gern“. Die Kinder legten Wert darauf, dass das Fernsehen nichts beschönigen solle: „Ich würde zeigen, wie die Bomben einfallen, damit die Leute wissen, wie schlimm das ist, was da alles passiert“, findet der zehnjährige Pepe. Die Zeichnungen zeigen allerdings, dass den Kindern die Dramatik bewusst war. In einem Bild verabschiedet sich eine Mutter in einem brennenden Haus von ihrer geretteten Tochter, indem sie ihr ihren Teddybären zuwirft. Für Götz zeigen die Ergebnisse der Studie, dass es „einer gezielten Unterstützung der Kinder durch eine kindernahe, reflektierte Berichterstattung bedurft“ hätte, die zum Beispiel Hintergrundinformationen über Saddam Hussein zur Verfügung stellt und auch grundlegende Fragen nicht scheut: „Warum gibt es Krieg? Töten Soldaten gerne?“. Ähnliche Untersuchungen wurden in Österreich, den Niederlanden, Israel und den USA durchgeführt. Ihre Ergebnisse werden im Rahmen des internationalen Fernsehfestivals „Prix Jeunesse“ (ebenfalls in München) im kommenden Juni vorgestellt. Im Zentrum der Tagung stand jedoch die Frage, ob die Zielgruppe das Angebot der Informationsvermittlung nutzt und ob Sendungen wie „Willi wills wissen“ (Bayerischer Rundfunk) oder „Wissen macht Ah!“ (WDR) tatsächlich Wissen vermitteln können.
Kika-Programmgeschäftsführer Frank Beckmann zeigte sich überzeugt, dass die entsprechenden Magazine Neugier weckten und Kreativität förderten. Beckmann wies darauf hin, dass diese Sendungen wie auch die Kindernachrichten „logo!“ gerade in der Zeit nach 19 Uhr ein großes Publikum fänden, weshalb die Sendezeitausweitung des KI.KA bis 21 Uhr keinesfalls rückgängig gemacht werden dürfe, wie von einigen Ministerpräsidenten vorgeschlagen. Eine weitere IZI-Studie mit 300 Kindern belegte den Lerneffekt der Wissensmagazine: Noch Wochen später waren die Befragten in der Lage, Details aus den Sendungen wiederzugeben und ganze Szenenfolgen zu beschreiben. Entscheidenden Einfluss auf solche Lerneffekte, so die Münchener Professorin für Grundschulpädagogik und -didaktik, Angelika Speck-Hamdan, hätten die Lernumgebungen. Die Sendungen müssten sich auszeichnen durch Lebensnähe und eine klare Strukturierung, sie müssten viele Anknüpfungspunkte bereit halten, Lernwege vorstrukturieren und „Anker setzen“. Die IZI-Mitarbeiter hatten die Aufmerksamkeitswerte der Kinder codiert. Daher konnte Maya Götz exakt beschreiben, wann die kindliche Aufmerksamkeit am größten ist: „in Szenen, die ästhetisch attraktiv oder für den Sympathieträger wichtig sind“. Wichtig für die Memorierung sei außerdem die Gleichzeitigkeit von Bild und Ton sowie die Heraushebung von Elementen, etwa durch Kreise. Bei langen Erklärungen hingegen oder Gesprächen zwischen Erwachsenen sank die Aufmerksamkeit der Kinder rapide, wovon sich die Tagungsteilnehmer aus erster Hand überzeugen konnten: Unter dem Motto „Screening the Screening“ wurden nicht nur die besprochenen Sendungen projiziert, sondern gleichzeitig auch die Reaktionen der Zielgruppe.
Beitrag aus Heft »2004/01: Lernräume der Zukunft?«
Autor: Tilmann P. Gangloff
Beitrag als PDFEinzelansichtTilmann P. Gangloff: Lizenz zum Gelddrucken - Reklame in Kinofilmen
Es wird immer teurer, dem Kinopublikum ein paar schöne Stunden zu bescheren. Obwohl Warner Bros. die Teile zwei und drei von „Matrix“ an einem Stück produziert hat, kostete der Doppelfilm 300 Millionen Dollar. Bei Unsummen wie diesen liegt es nahe, dass sich die Produzenten rückversichern: Man weiß ja nie, ob solche Sequels den Erfolg ihrer Vorläufer wiederholen können. Da sich vermutlich selbst in London keine Versicherungsagentur finden lässt, die einen potenziellen Kinoknüller gegen ausbleibende Zuschauerscharen versichern würde, müssen die Hollywood-Studios ihre Schäfchen schon im Vorfeld ins Trockene bringen. Der Film selbst ist dann bloß noch eine gigantische Werbeaktion für all die Alltagsutensilien, in die die Besucher noch weiteres Geld investieren sollen.Doch die Blockbuster vermarkten nicht nur Spiele, CDs und T-Shirts zum Film. Immer öfter gibt es auch ganz unverhohlene Schleichwerbung, in der Branche schönfärberisch „Product Placement“ genannt. Im neuen Film „Looney Tunes“ machen sich Bugs Bunny und Duffy Duck sogar über diese Unart lustig, als mitten in der Wüste wie eine Fata Morgana plötzlich eine Filiale der amerikanischen Supermarktkette Wal-Mart auftaucht. Mitunter ist die Reklame wenigstens dramaturgisch gerechtfertigt, weil beispielsweise James Bond nun mal mit sportlichen Flitzern unterwegs zu sein pflegt. Doch ganz gleich, ob Aston Martin oder BMW: Der Werbeeffekt ist unbezahlbar.Geld kostet es trotzdem, denn die Produzenten lassen sich die prominenten Platzierungen gut bezahlen. Bei „Matrix“ trugen unter anderem Firmen wie Spieleanbieter Atari, die Plattenfirma Wea und ein Brillenhersteller ihren Anteil zu den Produktionskosten bei.
Allein die Lizenz für das Computerspiel „Enter the Matrix“ bescherte Warner Bros. die Rekordsumme von 47 Millionen Dollar. Im Gegenzug brauchten die Spielemacher bloß noch die Vorlage der „Matrix“-Macher Andy und Larry Wachowski umzusetzen, die auch für das Spiel ein detailliertes Drehbuch geschrieben hatten.Die Produktionskosten für das Computerspiel lagen bei 60 Millionen, die Kosten für die Reklame dürften ebenfalls im achtstelligen Bereich gelegen haben. Doch der Aufwand hat sich aus Sicht der Hersteller gelohnt: Binnen kurzer Zeit wurde „Enter the Matrix“ mit 2,5 Millionen verkauften Exemplaren zum Kassenschlager.Kein Wunder, dass alle Beteiligten diesen Erfolg mit dem nächsten Kassenknüller wiederholen wollen: Am 17. Dezember startete weltweit der dritte Teil von „Herr der Ringe“. Allein in Deutschland ist „Die Rückkehr des Königs“ mit mindestens tausend Kopien in die Kinos gekommen. 26 Lizenznehmer wurden hierzulande bereits gefunden, darunter neben Karstadt, Pepsi und den unvermeidlichen Überraschungseiern auch ein Wursthersteller sowie die Motorradfirma Harley Davidson, die Maschinen im Design der Filme anbietet.Weil sich die beiden Fantasy-Filme „Herr der Ringe“ und „Harry Potter“ in den letzten Jahren an Weihnachten gegenseitig Konkurrenz gemacht haben, bringt Warner Bros. den dritten Potter-Film erst im Juni 2004 in die Kinos.
Das Vermarktungsgeschäft kann das Hollywood-Studio allerdings jetzt schon abschreiben: Vom Merchandising-Boom bei „Harry Potter und der Stein der Weisen“ (2001) wird nicht mehr viel übrig bleiben. Viele der Produkte sind wie Blei in den Regalen liegen geblieben. Der kurz zuvor an die Börse gegangene Achterbahn-Verlag musste im Jahr darauf sogar in die Insolvenz. Die Firma, einst groß geworden durch die Abenteuer des trinkfesten Comic-Helden „Werner“, hatte allein 120 Einzelrechte für „Harry Potter“ erworben.Immerhin sorgte Lego mit dem Hogwarts-Schloss für das meistverkaufte Konstruktionsspiel des Jahres. Auch Modelleisenbahn-Hersteller Märklin hofft auf gute Umsätze mit einer Nachbildung des „Hogwarts-Express“. Alle anderen hatten das Nachsehen. Kardinalfehler bei der Produktplanung: Die meisten Lizenzen richteten sich an Kinder, doch die Mehrzahl der Potter-Fans ist mindestens im Handy-Alter. Wie hoch die Kaufkraft dieser Zielgruppe, Menschen zwischen 14 und 29 Jahren, eingeschätzt wird, zeigt ein teurer Deal der „Matrix“-Produzenten: Der koreanische Elektrohersteller Samsung ließ es sich ein ordentliches Vermögen kosten, dass Neo und seine Freunde in „Matrix Reloaded“ die mobilen Telefone von Nokia gegen jene von Samsung eintauschten. Ein Geschäft, das sich ausgezahlt haben dürfte, denn Telefone spielen in den Filmen beim Wandern zwischen den Welten eine entscheidende dramaturgische Rolle.
Beitrag aus Heft »2004/01: Lernräume der Zukunft?«
Autor: Tilmann P. Gangloff
Beitrag als PDFEinzelansichtHartmut Warkus / Thomas Jacob: Rätselhafte Geschichten
Die deutsche Übersetzung von Adventure lautet „Abenteuer“. Und Abenteuer müssen die Protagonisten in diesem Spielegenre auch regelmäßig bestehen. Allerdings nicht durch Geschicklichkeit und Feuerkraft wie in Actionspielen, sondern durch logisches Kombinieren und das Lösen von Rätseln. Im Mittelpunkt stehen Gespräche mit anderen Spielfiguren und das Verbinden und richtige Einsetzen von gefundenen Gegenständen. Adventures sind mehr oder weniger eine Abfolge von Rätseln, die in eine Geschichte verpackt sind. Die Darstellung dieser Geschichten aber hat sich seit den Anfängen vor über zwanzig Jahren stark verändert. Die Entwicklung des Genres spiegelt auch die Evolution von Computerspielen im Allgemeinen wider. Spielspaß ohne GrafikDie ersten Abenteuerspiele, gleichzeitig auch einige der ersten Computerspiele überhaupt, waren Textadventures, auch als „Interactive Fiction“ bezeichnet. Eine äußerst treffende Bezeichnung, denn die Spiele gleichen Büchern, in denen der Leser den Fortgang der Handlung selbst bestimmt. Und zwar Bücher ohne Bilder, denn Textadventures kommen völlig ohne jede Grafik aus. Die Spielewelt wird mittels Text beschrieben, und der Spieler gibt seine Aktionen als Textbefehle ein. Mittels mehrerer einfacher Befehle untersucht der Spieler hier das Fenster, öffnet es, steigt hinein, nimmt eine Flasche Wasser und versucht, daraus zu trinken, worauf ihn das Programm darauf hinweist, die Flasche doch erst zu öffnen. Die Szene stammt aus dem Spiel „Zork“, das 1980 von der Firma Infocom veröffentlicht wurde. „Zork“ und seine beiden Nachfolger hatten noch keine nennenswerte Handlung, der Spieler durchstreifte ein riesiges Höhlenlabyrinth auf der Suche nach Schätzen.
Schon bald veröffentlichte Infocom aber auch Spiele mit ausgefeilten Storys aus verschiedensten Genres: unter anderem Detektivgeschichten sowie Science- Fiction- und Fantasyabenteuer.Im heutigen Zeitalter von fotorealistischen Grafiken muten Textadventures wie Relikte aus der Computersteinzeit an. Und doch sind sie zeitloser als alle anderen Computerspiele, denn jede noch so gute Grafik gilt schnell als veraltet; Interactive Fiction dagegen lässt die Bilder in der Fantasie des Spielers entstehen. Was die Infocom-Spiele von anderen Textadventures abhob und zu Verkaufsschlagern machte, war die literarische Qualität der Prosa sowie die Flexibilität des so genannten „Parsers“. Der Parser ist der Teil des Programms, der die Eingaben des Spielers interpretiert und umsetzt. Während die meisten anderen Textadventures lediglich Zwei-Wort-Befehle verstanden („open door“), kamen Infocom-Spiele auch mit komplexen Eingaben wie „take the green bottle from the table, then open it and drink water“ zurecht.Technische WeiterentwicklungDer Stern von Textadventures begann Mitte der 1980er Jahre rapide zu sinken. Die Leistungsfähigkeit von Heimcomputern erlaubte es mittlerweile, auch bunte und bewegte Grafiken in Adventures einzubauen. Die Spieler waren fasziniert von den neuen Möglichkeiten, reine Textadventures waren plötzlich kaum noch gefragt. Am erfolgreichsten waren die Spiele der Firma „Sierra“.
Spiele wie „King’s Quest“, „Space Quest“ und „Larry“ und ihre vielen Nachfolger verkauften sich millionenfach. Trotz der neuen, bunten Abenteuerwelten mussten Befehle aber weiterhin, wie in reinen Textadventures, mit Hilfe der Tastatur eingegeben werden. Das änderte sich erst mit den Adventures der Firma „LucasArts“, wie zum Beispiel „Maniac Mansion“ oder der „Monkey Island“-Serie, die auf eine komfortable Maussteuerung ausgelegt waren. Auch die Grafiken und Sounds wurden stetig verbessert, durchgehende Sprachausgabe wurde zum Standard, mehr und mehr konnte man von interaktiven Cartoons statt Büchern sprechen. Mitte der 1990er Jahre erschienen dann auch Spiele mit echten Schauspielern und Filmsequenzen. Das große Manko dieser Spiele war die stark eingeschränkte Interaktivität: Man hangelte sich mit einigen Puzzles von einem Filmchen zum nächsten, die mit meist schlechten Schauspielern und billigen Kulissen nervten. Das merkten recht schnell auch die Spieler, und die so genannten „Interactive Movies“ verschwanden nach kurzer Blütezeit wieder vom Markt.Rückzug ins Nischendasein Doch auch die „klassischen“ Adventures haben es seit einigen Jahren äußerst schwer.
Mit dem Siegeszug der 3D-Shooter schwand das Interesse der Käufer an den eher gemütlichen Denkspielen. Jahrelang erfolgreiche Reihen verkauften sich nicht mehr und wurden eingestellt. Heute kommen nur noch sehr wenige „klassische“ Adventures heraus, meist von kleinen Entwicklerstudios. Äußerst erfolgreich sind dagegen Spiele, die Adventureelemente mit Actionspielen vermischen. Bekanntestes und erfolgreichstes Beispiel ist die „Tomb Raider“-Serie. Lara Croft, die Heldin des Spiels, muss nicht nur rennen, springen und schießen, sondern zwischendurch auch kleine Knobeleien lösen und die richtigen Schalter betätigen. So komplex wie in klassischen Adventures sind die Rätsel aber nie.
Beitrag aus Heft »2004/01: Lernräume der Zukunft?«
Autor: Hartmut Warkus, Thomas Jacob
Beitrag als PDFEinzelansichtSophie Anfang: Schätze suchen in Schmuggler Bucht? - Lieber nicht!
Ich sehe was ... Die große SchatzsucheTerzio, ISBN-Nr. 3-932992-13-x, Systemvoraussetzungen: Pentium Prozessor, 12 MB freier Festplattenspeicher, Win 98/ME/XP; Macintosh: Power Mac, 26 EURO, ab 6 Jahre
Den meisten Eltern wird die Situation bekannt vorkommen: Das Auto vollgepackt mit Koffern und Rucksäcken, die Straßen überfüllt und auf dem Rücksitz zwei nörgelnde Kinder, die alle fünf Minuten fragen, wie weit es denn noch bis Italien sei. Die Rettung finden Mutter oder Vater meist in ganz einfachen Spielen, wie „Wörterraten“, „Autoschilderlesen“ und „Ich sehe was, was du nicht siehst“.Terzio hat eben letzteres nun als PC-CD-Rom auf den Markt gebracht. „Ich sehe was ... Die Große Schatzsuche“ heißt die Lernsoftware, die logisches Denken, Konzentration und das Sprachgefühl trainieren soll. Hierzu werden wir nach Schmuggler Bucht entführt, um Piet Einauges alten Piratenschatz zu suchen. Die Navigation innerhalb des Dorfes ist einfach gehalten und die Gebäude sind schön gestaltet. Man hat keinerlei Schwierigkeiten, sich zurechtzufinden. Auch das Spielprinzip ist simpel und schnell erklärt. In jedem Haus innerhalb der Schmuggler Buch befinden sich Suchbilder, in denen verschiedenste Gegenstände versteckt sind.
Wie lange man für die Suche braucht, ist recht unterschiedlich. Zwar werden bei jedem Bild alle Dinge genannt, die erspäht werden sollen, und manches erkennt man sogar auf den ersten Blick, doch es kann durchaus passieren, dass man minutenlang vor dem Bildschirm sitzt und vergebens nach einer Sicherheitsnadel sucht, die sich in dem Gemälde verirrt haben soll. Hat man dann schließlich doch alles gefunden, gibt es zur Belohnung Kartenstücke, die der Spieler nach und nach zusammensetzen kann.So weit, so gut. Der Spielansatz ist gewiss sehr nett und anfangs auch einigermaßen unterhaltsam. Doch leider geht „Die Große Schatzsuche“ nie über den Ansatz hinaus. Um die 20 Kartenstücke zusammen zu bekommen, muss man immer die gleichen Schritte wiederholen: Suchbild im Gebäude ausmachen, Gegenstände darin finden, Kartenstück anpassen und dann das Ganze noch einmal von vorne. Eine Spielidee, die nicht nur auf der Autofahrt nach Italien schnell erschöpft ist. Dazu kommt noch, dass alle Suchbilder nach dem gleichen Schema aufgebaut sind; hat man dieses einmal durchschaut, bereitet das Finden fast keine Mühe und auch keine Herausforderung mehr.
Natürlich könnte man entgegenhalten, dass dies dem Lernprozess zugrunde liegt, den der Hersteller beabsichtigt hat, doch für einen solchen Prozess bedarf es meiner Meinung nach keines Computerspiels. Ein einfaches Buch würde da genügen und ist ja auch für die Augen die bessere und gesündere Lösung.Wenigstens gegen Ende des Spiels wird dann doch noch versucht, ein bisschen Abwechslung in das Ganze zu bringen. Sind nämlich alle Kartenstücke zusammengesetzt, muss noch ein Rätsel in Form eines Gedichtes gelöst werden, um die Vergrabungsstätte der Schatzkiste ausfindig machen zu können. Keine besonders anspruchsvolle oder originelle Abschlussaufgabe – aber wenigstens ein netter Versuch.Ist endlich auch diese kleine Hürde genommen, kann man ihn finden, Piet Einauges Schatz! Und siehe da, die Truhe geht auf und sie ist sogar voll mit Gold, aber mehr bekommt der Spieler nicht geboten. Weder Zusatzspiele, noch andere kleine Belohnungen. Das Einzige, was möglich wäre: einen neuen Spielstand beginnen. Keine besonders einladende Alternative.Also, liebe Eltern, lasst dieses Spiel im Laden stehen und fahrt lieber mit euren Kindern nach Italien. Denn eine Stunde „Ich sehe was, was du nicht siehst“-spielen im Auto macht immer noch mehr Spaß, als dumme Piratenschätze in Schmuggler Bucht zu suchen!
Beitrag aus Heft »2004/01: Lernräume der Zukunft?«
Autor: Sophie Anfang
Beitrag als PDFEinzelansichtDaniel Ammann: Spielgeschichten: Kinder- und Jugendliteratur auf CD-ROM
Literatur, so die gängige Vorstellung, ist in Büchern beheimatet. In Wirklichkeit haben Comics, Spiel- und Trickfilme, Hörmedien oder Fernsehserien schön längst begonnen, diese Tradition mit anderen Mitteln und auf eigene Weise fortzuschreiben. Da blieb es nur eine Frage der Zeit, bis auch der Computer zum Erzählmedium wird. Attraktiv sind die elektronischen und digitalen Medien für Kinder schon deshalb, weil sie ihre Inhalte vornehmlich über Bilder und gesprochene Sprache vorführen und Geschichten somit bereits vor dem Lesealter zugänglich machen. Lesen muss immerhin über Jahre gelernt und geübt werden und bedarf auch später noch einer höheren Investition an Aufmerksamkeit, als dies bei audiovisuellen Angeboten der Fall ist. Andererseits darf nicht übersehen werden, dass gerade die scheinbar niederschwelligen Bildschirmmedien mit ihren komplexen Symbolkodes und vermischten Textsorten nach neuen Fertigkeiten und Nutzungskompetenzen verlangen.
Da liegt es nahe, die Forderung nach Medienkompetenz mit den Anliegen der Leseförderung zu kombinieren. Am Beispiel des Genres Spielgeschichte soll aufgezeigt werden, wie neue Formen und Darbietungsweisen an traditionelle Lektüreangebote anknüpfen und Kulturtechniken wie Lesen und Schreiben ergänzen und erweitern können. Interaktive BildergeschichtenIn einer Verbindung aus Textabenteuer und Grafikadventure kamen Anfang der 90er Jahre die ersten multimedialen Bilderbücher auf den Markt (vgl. Ammann 2002). Bereits in diesen einfachen Zeichentrickgeschichten haben Kinder ab drei Jahren in der Regel die Wahl zwischen einem Vorlesemodus in mehreren Sprachen sowie einem Spielmodus, in dem es hinter anklickbaren Objekten lustige Bild- und Toneffekte zu entdecken gibt. Dieses Grundschema hat sich bis heute weitgehend erhalten. Auch in Janoschs Oh, wie schön ist Panama (Terzio, 2003) kann man sich den Klassiker entweder in animierten Illustrationen erzählen lassen und den Text auf eingeblendeten Schrifttafeln mitverfolgen oder die Geschichte als interaktives Reiseabenteuer mit verschiedenen Denk- und Geschicklichkeitsspielen bestehen, indem man dem Tiger und dem Bär tatkräftig bei der Lösung verschiedener Aufgaben hilft. In den interaktiven Bildergeschichten wird die Handlung in der Regel Seite für Seite in episodischen Szenen präsentiert und muss von den Spielern durch Bewältigung abwechslungsreicher Lernspiele weiter vorangetrieben werden (Lauras Sternenreise, Tivola, 2002). Als Variante kann die Geschichte – wie bei der erfolgreichen Max-Reihe von Tivola – mitunter auch als großes Suchspiel angelegt und in eine entsprechende Rahmenerzählung eingebettet sein.
Laut Bernhard Rank handelt es sich dabei eher um „Spiele mit einer narrativen Einleitung und einem geschichtenähnlichen Szenario, das z. B. durch motivierende Handlungsorte und/oder Identifikationsfiguren geprägt ist» (2000, S. 209). Erweitert wird das Angebotsrepertoire dieses Grundtyps der Spielgeschichte von Fall zu Fall durch kleine Übungen für Leseanfänger, ausdruckbare Bastelvorlagen, Tagebücher oder Ausmalbilder. Mit Denk- und Geschicklichkeitsspielen können beispielsweise Wahrnehmung, Auge-Hand-Koordination, Merkfähigkeit, Vorstellungsvermögen oder logisches und strategisches Denken gefördert und trainiert werden. Beliebt sind vor allem Memorys, Schiebepuzzles, Konstruktionsspiele, Labyrinthe oder Treffer- und Lenkspiele, die anhaltende Konzentration und schnelle Reaktionsfähigkeit erfordern. SpielabenteuerEine weitere Gruppe von Kinder-CD-ROMs lässt sich unter dem Begriff Spielabenteuer (oder Adventures) zusammenfassen. Diese Angebote orientieren sich nicht so sehr am gedruckten Buch und dürften aufgrund ihrer Hypertextstruktur und dem Schwierigkeitsgrad der Spielelemente etwas anspruchsvoller sein. Im Gegensatz zu den sequenziellen Bildergeschichten tritt die Spielaktion deutlich in den Vordergrund und ist enger mit der Handlung beziehungsweise einer übergeordneten Spielaufgabe oder Mission verknüpft (Mats und das rätselhafte Tier, Cornelsen, 2003). Spielabenteuer nähern sich bereits den Actionspielen an.
So müssen die Spieler/innen gelegentlich bestimmte Gegenstände einsammeln (Snoopy und seine Freunde: Linus in Not!, Tivola, 2002) oder in Echtzeit und bei schwindendem Energiebalken ihr Geschick und Durchhaltevermögen unter Beweis stellen (Carolina, die Kometenjägerin, Terzio, 2001). Bei direkter Verbindung ins Internet kann der Punktestand aus einzelnen Spielen unter Umständen sogar in eine Highscore-Liste eingetragen und mit den Ergebnissen anderer Spieler verglichen werden (Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer, Terzio, 2003). Als Weiterentwicklung und um Aspekte des Rollenspiels ergänzt sind in diesem Zusammenhang insbesondere die zahlreichen Detektivspiele und Krimiadventures zu nennen, in denen durch Zusammentragen von Indizien und Kombinationsgabe ein Rätsel zu lösen oder ein Verbrechen aufzuklären ist (vgl. Josting 2002). Auch diese Titel und Serien knüpfen teilweise mit neuen Geschichten an literarische Vorlagen und Erfolge an (TKKG 11: Film ab!, Tivola, 2003; Die drei ???: Alarm im Internet, USM, 2001) oder greifen (wie Die Pfefferkörner, Terzio, 2002) auf erfolgreiche TV-Serien zurück. GeschichtenspielweltDie wachsende Bedeutung des Medienverbunds lässt sich in besonderer Weise an einer dritten und letzten Kategorie von Spielgeschichten illustrieren. In den Geschichtenspielwelten – gelegentlich ist einfach von „Geschichtenspielen» (Dolle-Weinkauff 2002) oder „virtuellen Spielplätzen» (Bünger 2002) die Rede – sind Aktionen und Spiele eher in der Art eines Magazins zusammengefasst, weisen aber dennoch einen engen Bezug zu einer bekannten Geschichte oder Figuren einer literarischen Vorlage auf. Narrative Einschübe kommen hier ebenfalls vor, sind aber kaum miteinander verknüpft und folgen keinem geschlossenen Handlungsbogen (Mit wem spielst du, Willi Wiberg?, Oetinger, 2002). Wie sich an den Pettersson-und-Findus-Titeln zeigt, kommt der Vertrautheit mit den Protagonisten und Schauplätzen eine zentrale Bedeutung zu, was zum Erfolg dieser qualitativ hoch stehenden Reihe beiträgt.
Zudem bietet sich den Kindern die Möglichkeit, auf spielerische Weise in die fiktionale Welt ihrer Lieblingsfiguren einzutauchen und direkt mit den Fantasiegefährten zu interagieren. Letzteres trifft natürlich auf alle Typen von Spielgeschichten zu und lässt sich im Sinne eines motivatorischen Potenzials sehr gut nutzen. Obgleich Spielgeschichten in erster Linie für den Freizeitbereich gedacht sind, eignen sie sich dank ihrer einzigartigen Kombination von narrativen Elementen mit Spiel- und Lernaufgaben durchaus für den Einsatz in Kindergarten und Grundschule. Im Zusammenspiel von Buch und Computer lernen Kinder so nicht nur den Umgang mit verschiedenen Medien, Zeichensystemen und Angeboten kennen, sondern werden durch unterschiedliche Aufbereitung und Präsentation der Inhalte beiläufig mit den Vorzügen und Besonderheiten einzelner Medien vertraut gemacht. Literatur multimedialAnders als bei filmischen oder printliterarischen Geschichten liegt der Reiz multimedialer Bildschirmtexte im steten Wechsel zwischen Präsentations- und Interaktionsmodus. Die Sequenzen folgen nicht oder nur teilweise einem vorgegebenen Muster. Je nach Struktur des Produktes sind die Spielerinnen und Spieler aufgefordert, die Schauplätze der Handlung in eigener Regie zu erkunden, oder sie können den Fort- und Ausgang der Geschichte durch ihre Entscheidungen sogar maßgeblich beeinflussen.
Dies wirkt sich unmittelbar auf die dramaturgische Gestaltung aus. Da der Erzählfluss fortwährend unterbrochen wird, zerfällt die Handlung in kleinere narrative Einheiten oder tritt zugunsten ludischer Elemente weitgehend zurück. Eine Versenkung in den Spiel- und Handlungsverlauf verbunden mit Flow-Gefühlen (vgl. Schlütz 2002, S. 89) ist wie bei anderen Computerspielen durchaus möglich, intensive Immersionserfahrungen im Sinne eines literarischen Erlebnisses oder Empathie gegenüber den Haupt- und Nebenfiguren der Geschichte sind hingegen weniger zu erwarten (vgl. Hermann et al. 2002, S. 33). Zum einen geben Spielgeschichten der Ausgestaltung ihrer handelnden Personen sowie der Darstellung innerer Konflikte weniger Raum, zum anderen lenken Navigation, Eingabeaufforderungen, Spielinstruktionen oder Pausen (infolge Inaktivität der Spieler/innen) die Aufmerksamkeit vermehrt auf die Benutzeroberfläche und führen zu einem Bruch mit der Illusion. Spielerinnen und Spieler werden durch Interaktivität zwar stärker in das Geschehen einbezogen, gleichzeitig aber fortlaufend daran erinnert, dass sie sich außerhalb der Fiktion, sprich: an einem Computer, befinden.
Literatur:
Ammann, Daniel (2002). Klicken, lesen, spielen: Interaktive Geschichten für Kinder. infos und akzente, 4, 21–24. Vgl. auch: www.medien-lab.ch/spielgeschichten/
Bünger, Traudl (2002). Narrative und ludische Elemente in Kinder- und Jugendliteraturadaptionen auf CD-ROM. Beiträge Jugendliteratur und Medien, 3, 163 – 171
Dolle-Weinkauff, Bernd (2002). ‹Spielgeschichten› und ‹Geschichtenspiele›: Erzähl- und Spielgenres der Multimedia-CD für Kinder. In: Jörg Steitz-Kallenbach / Jens Thiele (Hrsg.), Medienumbrüche: Wie Kinder und Jugendliche mit alten und neuen Medien kommunizieren. (S. 113 – 124)
Bremen u. Oldenburg: Universitätsverlag Aschenbeck & IsenseeHermann, Thomas; Ammann, Daniel; Kocher, Mela; Mathez, Judith (2002). Typologie und Funktionalität von multimedialen und interaktiven Kinder- und Jugendmedien mit fiktionalen Inhalten. DO-RE Projekt 01011.1; 1. Dez. 2001 – 31. Mai 2002. Eine gemeinsame Aktion der Kommission für Technologie und Innovation und des Schweizerischen Nationalfonds. Forschungsbericht, Zürich, 24.6.2002. Internet: http://www.phzh.ch/webautor-data/dokus/do-re-forschungsbericht.pdf
Josting, Petra (2002). Hypermediale Detektivgeschichten. Angebot – Analyse – Rezeption. In: Petra Josting / Gudrun Stenzel (Hrsg.), Auf heisser Spur in allen Medien: Kinder- und Jugendkrimis zum Lesen, Hören, Sehen und Klicken. Beiträge Jugendliteratur und Medien, 13. Beiheft. (S. 135 – 145)
Weinheim: JuventaRank, Bernhard (2000). Formen und Veränderungen des Erzählens in Bearbeitungen kinderliterarischer Szenarien auf CD-ROM. In: Karin Richter / Sabine Riemann (Hrsg.), Kinder – Literatur – „neue» Medien. (S. 198 – 216) Baltmannsweiler: Schneider-Verl. Hohengehren
Schlütz, Daniela (2002). Bildschirmspiele und ihre Faszination: Zuwendungsmotive, Gratifikationen und Erleben interaktiver Medienangebote. Angewandte Medienforschung, Bd. 26 (Schriftenreihe des Medien Instituts Ludwigshafen). München: Reinhard Fischer
Beitrag aus Heft »2004/01: Lernräume der Zukunft?«
Autor: Daniel Ammann
Beitrag als PDFEinzelansichtTilmann P. Gangloff: Auch keine Insel der Seligkeit mehr
Es gibt kaum ein unverdächtigeres Medium als das Radio. Beim Stichwort „Gewalt“ denkt man vor allem an brutale Computerspiele oder blutige Fernsehkrimis; den Hörfunk hatte man bislang nicht auf der Rechnung. Sollte man aber, findet Bernd Schorb. Der Forscher und Pädagoge von der Universität Leipzig befasst sich schon seit Jahrzehnten mit der Wirkung von Medien auf Kinder und Jugendliche. Jetzt hat er sich das Radio vorgenommen und festgestellt: Wenn man sich die Mühe macht, mal genau hinzuhören, strotzen einige Beiträge geradezu vor Gewalt. Klar, wird mancher fachmännisch einwerfen: Schon auf den CD-Hüllen werden Eltern vor drastischen Song-Texten gewarnt; aber die sind doch auf englisch und im Slang gerappt, das versteht sowieso keiner.Sicher richtig. Doch Schorb hat auch zwischen die Musik gehört und ist dabei vielfach fündig geworden. Nun ist „Gewalt“ natürlich ein weites Feld; in der Regel assoziiert man mit dem Begriff Tritte, Fausthiebe und die Anwendung von Schuss- oder Stichwaffen. Für Schorb indes ist Gewalt die „Manifestation von Macht bzw. Herrschaft mit der Folge oder dem Ziel der Schädigung eines einzelnen oder einer Gruppe“.
Und schon wird klar: Wenn Stefan Raab in tv total Unfug auf Kosten seines Showpraktikanten Elton treibt, ist das eine Form von Gewalt. Gerade diese eindeutig hierarchischen Strukturen haben Schorb und seine Forscher auch in vielen mitteldeutschen Radiosendungen festgestellt. Ohnehin befleißigen sich die Moderatoren von Sendern, die sich überwiegend an ein eher jüngeres Publikum richten, einer Ausdrucksweise, die man kaum noch als salonfähig bezeichnen kann. Kraftausdrücke wie „Scheiße“, „Arsch“ oder „Kotzen“ gehören ebenso zu ihrem Sprachgebrauch wie Anglizismen und Modewörter aus der Jugendsprache. Hinzu kommen abfällige Bemerkungen über Prominente (Jennifer Lopez, „die Frau mit dem etwas breiteren Hintern“) oder Minderheiten. So verfiel ein Moderator nach einem Versprecher in gebrochenes türkisches Deutsch und verwendete dabei den Begriff „Sprachlegastheniker“. Am meisten tat sich laut Schorbs Untersuchung ein Sender hervor, den es nicht mehr gibt. Das mittlerweile von RTL übernommene und komplett umgestaltete Project 89.0 digital warb mit dem Slogan „Hier ist der Sender, bei dem deine Eltern kotzen“. Die meisten Auffälligkeiten notierten die Forscher bei der so genannten Fuck-U-Hotline, einem Angebot an die Hörer, sich am Telefon mal so richtig auszusprechen. Und das taten sie dann auch: „Kann mal irgendein Arsch diesen be... [piep] Petrus in den fetten Hintern treten. Dieses scheiß Wetter kotzt mich an.“ Oder: „Diese verdammte Scheiße ... ich bin fast besoffen und ich muss morgen ins Fußballtraining. Das kotzt mich so an. Die Weiber tanzen mir auf der Nase rum.
Die sollen mich langsam alle am A... [piep] lecken. Ich scheiß auf alle Weiber. Das war’s.“ Zu den Spielregeln gehörte, dass die Herzenswünsche mit einem fröhlichen „Fuck you!“ beendet wurden.Beim sächsischen Privatsender Energy Sender gibt es eine ähnlich erfrischende Hotline mit dem sinnigen Titel „Poppen oder stoppen“. Hier schildern Hörer ihre Beziehungsprobleme. Anschließend kann jeder, der mag, seinen Senf dazugeben: ob die Beziehung aufrecht erhalten („poppen“) oder abgebrochen („stoppen“) werden soll. Die entsprechenden Dialoge streifen mitunter mehr als nur die Grenze des guten Geschmacks. Problematisch findet Schorb diese Darstellungsformen vor allem insofern, „als dass es sich bei Betroffenen und Ausübenden um Personen in ihren alltäglichen Lebenszusammenhängen handelt. Dem Hörer wird der Eindruck vermittelt, dass mit dieser Sendeform reale Probleme thematisiert werden“. Will sagen: Wenn „ein offizielles Medium“ diese Art von „Kommunikations-Unkultur“ pflege, sanktioniere dies die eigenen alltäglichen Beschimpfungen und Beleidigungen. Erst mit etwas Abstand würde den Jugendlichen klar, dass der vermeintliche Spaß nichts anderes sei als die Hänseleien auf dem Schulhof, „wenn einer ein bisschen dicker ist und als ‚Pummel‘ in die Ecke gestellt wird“. Mädchen, ergab die Untersuchung, in deren Verlauf 250 Kinder und Jugendliche zwischen 9 und 16 Jahren die verbale Gewalt bewerten sollten, reagieren übrigens ungleich sensibler als Jungs.
Ob die untersuchten Sendungen auch relevant im Sinne des Jugendschutzes sind, mag Schorb nicht kommentieren: „Das sollen andere entscheiden“. Beispielsweise Victor Henle, Direktor der Thüringer Landesmedienanstalt und einer der Auftraggeber. Henle räumt zwar ein, die Sender würden „nur in den seltensten Fällen auch richtig gegen Gesetze verstoßen“. Und gerade im Zusammenhang mit der Diskussion über den Themenbereich Kinder und Gewalt sei das Radio „natürlich nicht das eigentliche Problem“. Aber eben auch „keine Insel der Seligkeit“. Henle betont, die Landesmedienanstalten wollten die Sender mit der Studie nicht anklagen, sondern vielmehr Denkanstöße geben. Tatsächlich hätten die Geschäftsführer der untersuchten Programme die Ergebnisse „mit Erstaunen“ zur Kenntnis genommen. Der TLM-Direktor hofft auf eine Sensibilisierung der Moderatoren, denen offenbar nicht klar sei, dass man „durch Sprache Gewalt ausüben“ könne. Die Studie solle vor allem aufklären; gesetzliche Sanktionierungen seien nicht möglich. Literatur: Bernd Schorb, Anja Hartung: „Gewalt im Radio. Eine Untersuchung zur Wahrnehmung, Bewertung und Verarbeitung von Unterhaltung im Hörfunk durch 9- bis 16-Jährige“. Vistas-Verlag, Berlin. 196 Seiten, 15 Euro
Beitrag aus Heft »2004/01: Lernräume der Zukunft?«
Autor: Tilmann P. Gangloff
Beitrag als PDFEinzelansichtUdo Feist: Kinski mit Erdbeermund
Kinski spricht Werke der Weltliteratur – Box mit 20 CDs, Gesamtlaufzeit über 1.000 Minuten. Deutsche Grammophon Literatur; 149,90 Euro/Einzelausgaben: Einzel-CDs für 18 Euro, Doppel-CDs für 21 Euro
Klaus Kinski ist zurück. Als sei dessen prometheische Prahlerei ‚Ich lebe ewig‘ wahr geworden, steht der skandalnotorische Mime zwölf Jahre nach seinem Tod so markant wie eh vor uns. Die Edition Kinski spricht Werke der Weltliteratur stellt erstmals komplett sein Rezitationswerk zusammen – vom verehrten Villon (‚Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund‘), Shakespeare, Goethe, Nietzsche und Strindberg bis Dostojewskij, Mallarmé und Jack London. Grundlage sind 30 Sprechplatten, die er von 1957 bis 1962 aufnahm. Die 20 CD-Box mit Booklet, bislang unveröffentlichten Aufnahmen von Brecht und Evelyn Waugh und zwei Bonus-Hörspielen verbindet löbliche Dokumentation und pure Kulturgeschichte, denn Kinski war in Adenauers Fünfzigern ein früher deutscher Popstar. Abende mit ihm erregten wie sonst nur Rock’n’Roll. Der Wanderrezitator, den von 1952 bis 1962 über eine Million Menschen hörten, hat mit exaltierten Interpretationen sogar im Unterricht betäubte Schiller-Balladen wieder zum Erlebnis gemacht.
Er stöhnte, flüsterte, und brüllte, war Faust, Raskolnikow, Strindbergs Steinmann und ‚Das trunkene Schiff‘. Mit Empathie, Gosse und Existentalismus versöhnte er Bildung und Rausch, vor allem wenn er identifikatorisch den Villon rezitierte: ‚In blutiger Zerschlagenheit, rasendem Lebenshunger und dem Kampf um die Wahrheit der Gerechtigkeit, in revolutionärer Raserei gegen Stumpfheit und Verlogenheit der Menschen und in zerschmetterter, trauriger aber gläubiger Kindlichkeit ist sein Schicksal das von Villon,‘ schrieb er in dritter Person über sich selbst. Prallen Sex stellte er neben zarte Lyrik, vital wie jener, der zwischen Rock, Galgen und Überdruss stromernde Vagant. Versekotzer, Schreihals und Popanz wurde Kinski geschmäht, weil er in Kneipen, Theatern und Turnhallen Schiller so emphatisch wie Baudelaire oder sich selbst inszenierte.
Die Jugend berauschte sich zum Entsetzen der Biederbürger daran. Eine Facette, die nur noch wenige kennen, da sein Bild von der Finsterikone überlagert wurde, zu der er sich dann mit Bösewichtrollen in meist schlechten Filme stilisierte, oder vom Image des egomanen Genialikers in Werner Herzog-Filmen (Aguirre; Nosferatu; Fitzcarraldo) sowie seinen Einlagen als Talkshowbeißer bis zu seinem Tod 1991. Dabei hatte das Jahrhunderttalent zuvor Einzigartiges als Rezitator geboten. Die Box macht es nun wieder zugänglich – als Trip ins Herz literarisch erschlossener Menschenfinsternisse, den er mit stets besessener Diktion durchlitt. Das erzeugt einen Sog, der bis in unsere autistisch-bohleneske Gegenwart wirkt.
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Kati StruckmeyerVerantwortliche Redakteurin
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