2003/03: Behinderte Menschen und Medien
thema
Peter Radtke: Zum Bild behinderter Menschen in den Medien
Was wir denken, wie wir handeln, wird zu einem Großteil von den Massenmedien bestimmt. Das ist selbst dort der Fall, wo wir uns frei von derartigen Bevormundungen glauben. Die Macht der Bilder und Worte wird umso stärker, je weniger die Möglichkeit einer persönlichen Überprüfung gegeben ist.Dies gilt in ähnlicher Weise auch für Informationen über Menschen mit einer Behinderung. Theoretisch könnte sich zwar jeder durch persönliche Wahrnehmung ein eigenes Urteil bilden, doch in der Praxis verhindern Berührungsängste und andere Umstände zumeist eine solche Überprüfung. Ungeachtet der erheblichen Anstrengungen in den vergangenen Jahrzehnten, die Kluft zwischen den beiden Gesellschaftsgruppen einzuebnen, ist ein persönlicher Kontakt untereinander noch weitgehend die Ausnahme.
Daran ändert auch der Abbau architektonischer Hindernisse und der verbesserte Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln nichts, wodurch man heute mehr Rollstuhlfahrer, gehbehinderte oder blinde Passanten als früher im Straßenbild sieht. Erwiesenermaßen führt dies nicht automatisch zu einer intensiveren Kontaktaufnahme. Vielmehr ist es noch immer die Regel, dass Eltern ihre Kinder beim Anblick eines sichtbar von einer Behinderung Betroffenen ohne weitere Erklärung mit der Bemerkung fortziehen: „Da schaut man nicht hin; das tut man nicht!“ Der oder die Gemaßregelte wird niemals ein unverkrampftes Verhältnis zu behinderten Menschen aufbauen können. Was sogenannte Nichtbehinderte über Menschen mit einer Behinderung wissen, erfahren sie in der Regel aus den Medien. Unter diesen Umständen ist es entscheidend, welches Menschenbild ihnen dort vermittelt wird...
( merz 2003/03, S. 141 - 147 )
Beitrag aus Heft »2003/03: Behinderte Menschen und Medien«
Autor: Peter Radtke
Beitrag als PDFEinzelansichtKlaus Lutz: Medienarbeit mit Behinderten
Welche Bedeutung Medien für behinderte Menschen haben können, führte Günther Jauch in seiner Sendung Stern-TV einem Millionenpublikum vor: Während der Sendung benutzte ein im Studio anwesender junger Mann mit einer autistischen Behinderung den bereit gestellten Computer, um Wort- und Satzsegmente niederzuschreiben, und ermöglichte so den Zuschauern einen Einblick in seine autistische Welt. In diesem Fall wurde das Medium allein als Kommunikationshilfsmittel – quasi als Prothese – eingesetzt und übernahmen damit die Funktion eines Mittlers zwischen zwei Welten. Der Einsatz von Medien in der Behindertenarbeit muss aber deutlich weiter gefasst werden, als lediglich Kompensationshilfe für die jeweilige Behinderung zu sein. Vor allem als Bildungsvermittler müssen die Medien auch in der Sonderpädagogik ein Einsatzfeld finden.
Hierbei ist zu berücksichtigen, dass unser Bildungswesen und somit auch das pädagogische Handeln von gesellschaftlichen Entwicklungen, Erwartungen und politischen Zielen beeinflusst wird. Für die Behindertenpädagogik gilt dies in besonderem Maße. Ihre Geschichte spiegelt die Einstellungen der Gesellschaft gegenüber Menschen mit Behinderungen. Bemühungen um die Verbesserung der Lebenssituation behinderter Menschen stießen und stoßen auf Grenzen solidarischen Handelns, die der Gleichberechtigung und Integration entgegen stehen. Behindertenpädagogik bedarf deshalb des sozialpolitischen und bildungspolitischen Engagements; gleichzeitig muss sie die Interessen behinderter Menschen wahrnehmen.Auch die Medienpädagogik versteht sich in erster Linie als Pädagogik und setzt die Medien als Werkzeug zum Erreichen ihrer Ziele ein. Die Medienpädagogik stellt für die Behindertenarbeit somit eine methodische Erweiterung dar, die leider noch zu selten genutzt wird...
( merz 2003/03, S. 148 - 151)
Beitrag aus Heft »2003/03: Behinderte Menschen und Medien«
Autor: Klaus Lutz
Beitrag als PDFEinzelansichtBettina Giersig: Menschen mit Autismus als Reporter und Filmemacher
Beim Filmemachen geht es bekanntlich darum, Situationen genau wahrzunehmen und mit filmischen Mitteln wiederzugeben; Schauspielern soll es gelingen, sich in fremde Rollen einzufühlen und die klassische Aufgabe von Reportern ist es, durch geschicktes Fragen an Informationen und Meinungen zu gelangen. Im Rahmen des Projekts „format - Medienarbeit für Toleranz“ können sich Jugendliche in der Phase der Berufsorientierung als Medienmacher ausprobieren: in einwöchigen Seminaren produzieren sie unter medienpädagogischer Begleitung in kleinen Teams Multimediaauftritte, Kurzfilme und Radiobeiträge rund um das Thema „Toleranz“. Im Frühjahr 2003 stand „format - Medienarbeit für Toleranz“ vor der Herausforderung, junge Menschen mit Autismus bei der Produktion ihrer Medienbeiträge zu unterstützen.
Maut, das Integrationszentrum für Menschen mit Autismus beschreibt seine Zielgruppe folgendermaßen: „Bedingt durch das Krankheitsbild und den damit verbundenen Einschränkungen auf der Wahrnehmungsebene kommt es häufig zu inadäquatem Verhalten (...). Viele Menschen aus dem Formenkreis des Autismus reagieren mit Übersensibilität und mangelnder Toleranz gegenüber anderen. Sie beharren auf einer starren Regeleinhaltung, ihre Arbeitsdurchführung ist verlangsamt, ihre Kontaktfähigkeit vermindert.“ Weiter heißt es: „Neben der beruflichen Orientierung sind herausragende Lernziele der Förderlehrgänge, jungen Menschen mit Autismus zu adäquater Kommunikation und besserer Wahrnehmungsverarbeitung sowie zu einer realistischen Selbsteinschätzung und einer passenderen Beurteilung ihrer Umwelt zu verhelfen.“...
( merz 2003/03, S. 152f )
Beitrag aus Heft »2003/03: Behinderte Menschen und Medien«
Autor: Bettina Giersig
Beitrag als PDFEinzelansichtJörg Auf Dem Hövel: Keep It Simple and Stupid
Wem ist es noch nicht passiert, dass er beim Navigieren den falschen Verweis geklickt hat, weil die Links zu eng gesetzt waren? Das bunte Gewimmel auf Webseiten irritiert schon mächtig und für Menschen mit einer körperlichen oder geistigen Behinderung ist die Navigation auf den meisten Seiten eine verzwickte Angelegenheit, wenn nicht gar eine Zumutung.
Die zahlreichen Initiativen wie "Schulen ans Netz", aber auch die staatlichen Anstrengungen des elektronisch gestützten Bürgerservice, wie e-voting und Ausweisverlängerung drohen ins Leere zu laufen, wenn behinderte oder alte Bürger vor technischen Barrieren stehen, welche die Wahrnehmung ihrer Bürgerrechte und -pflichten zum virtuellen Abenteuer macht.
Seit Juni 2002 ist nun eine Verordnung in Kraft, die alle staatlichen Einrichtungen und Behörden dazu verpflichtet bis 2005 ihre alten Internet-Auftritte so zu gestalten, dass sich wirklich jedermann darin zurechtfindet. Seiten müssen gänzlich neu prgrammiert werden. Das Werk " Barrierefreie Informationstechnik - Verordnung" ( BITV) legt fest ab wann sich eine Homepage "barrierefrei" nennen darf ...
( merz 2003/03, S. 154f )
Beitrag aus Heft »2003/03: Behinderte Menschen und Medien«
Autor: Jörg Auf dem Hövel
Beitrag als PDFEinzelansichtArnd Münster: "Seiten könnte ich füllen..."
Wecker mit einem Klaps zum Schweigen, gratulieren, noch während wir uns anziehen, mit in die Schulter eingeklemmtem Schnurlos-Telefon Tante Hildegard zum 80., um dann auf der Fahrt zur Arbeit per Handy-Freisprechanlage den Kollegen zu bitten, den ausländischen Gast doch bitte vom Flughafen abzuholen. Schnell werden im Büro am Laptop die neuesten E-Mails gelesen, ein Angebot per Fax versandt und im Internet nach einem Update für den Organizer gefahndet. Am Handy meldet sich eine vertraute Stimme mit dem Ansinnen, die reservierten Opernkarten für heute Abend nicht zu vergessen...
Immer und überall erreichbar sein, kommunizieren, womit, wohin und mit wem man will – so selbstverständlich für die meisten der Umgang mit den Errungenschaften der Informationstechnologie heute ist, so einzigartig, neu und elementar erleben andere die bloße Möglichkeit, sich mitzuteilen: Menschen mit schweren Kommunikationsstörungen.Der 38-jährige M. zählt zu diesem Personenkreis. Er lebt im Auhof, einer großen Einrichtung im mittelfränkischen Hilpoltstein, die „Hilfen für Menschen mit Behinderungen“ anbietet. Von einer Betreuerin wird er im Rollstuhl in einen freundlich-hellen Raum gefahren, direkt an einen Tisch, auf dem ein Computer steht.
Die Heilerziehungspflegerin stellt ihm mündlich eine Frage. M. beugt sich ein wenig vor, am linken Unterarm von der Betreuerin gestützt, und beginnt Buchstabe für Buchstabe seine Antwort in die Tastatur zu tippen. Dieses Vorgehen wirkt durchaus routiniert; welche inneren Widerstände M. dabei jedoch zu überwinden hat, das lässt sich allenfalls ahnen...( merz 2003/03, S. 158 - 162 )
Frank Hartmann: Extensionen des Menschen - Prothesen des Geistes
Über entwicklungsgeschichtlich lange Zeiten hinweg hat der Mensch aus seiner biologischen Verfassung heraus den Prozess der Exteriorisierung vorangetrieben und dabei Werkzeuge, Apparate und Medien objektiviert. Nach der mittlerweile klassischen Theorie von Leroi-Gourhan sind Sprache und Technik funktionell gleichursprünglich; technische und symbolische Operationen überwinden die Defizite des osteo-muskulären Apparats auf eine ungewisse Zukunft hin.Während es in der Moderne „Apparaturen und Medien, die Techniken des Registrierens und Messens“ sind, die eine Rolle in der Herausbildung von Erkenntnismöglichkeit bilden und folglich die Anthropologie selbst bedingen, wird es nahezu unmöglich zu sagen, was denn der von aller Technik befreite Mensch sei.
Die Umgestaltung des Weltbilds in großen Zeiträumen scheint eher begreiflich als eine unmittelbare Transformation von Kulturtechnik, die mit zweifelhaften Metaphern wie der Medienrevolution belegt wird. Mythische Ängste bringen einen Kulturpessimismus hervor, dem angesichts der Technik alles Menschliche entgleitet. Solche Ängste haben mit einer archaischen Furcht vor den Bildern zu tun, die – im Zeitalter des biologischen Klonens nicht ganz unberechtigt – darin bestehen, das Bild könnte sich verlebendigen und gegen den Bildermacher selbst kehren. Doch letztlich ist ein von all seiner Technik und seinen Medien befreiter Mensch ein falscher Romantizismus. Nach welchen Kriterien wäre da wohl eine Grenze zu ziehen?...
( merz 2003/03, S. 163 - 168 )
Beitrag aus Heft »2003/03: Behinderte Menschen und Medien«
Autor: Frank Hartmann
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medienreport
Christina Oberst-Hundt: "Neue Verführer"– medial inszeniert
‚Rechtspopulismus’ - das klingt fast harmlos, scheint der Begriff doch eine relativ neue Politikform zu benennen, die sich als ‚rechts’, wie andere etablierte Parteien auch, aber zugleich als populistisch, also besonders volksnah, dem ‚Volk aufs Maul schauend’, versteht.Rechtspopulisten sind in Europa sehr erfolgreich. Silvio Berlusconi ist in Italien bereits zum zweiten Mal Ministerpräsident. Jörg Haiders FPÖ wurde erneut Koalitionspartner in der österreichischen Regierung.
Dass Le Pen in Frankreich nicht Präsident wurde, verdankte er nur einem breiten politischen Bündnis, das seine Wahl im zweiten Wahlgang verhinderte. Pim Fortuyn schaffte es auf Anhieb, so populär wie kein anderer Politiker in den Niederlanden zu werden.
Möllemanns oder Schills politische Erfolge in Deutschland nehmen sich vergleichsweise bescheiden aus. Aber auch ihnen, vor allem Möllemann, gelang es, in den Medien Themen zu setzen und die politische Agenda zu beeinflussen...
( merz 2003/03, S. 172 - 174 )
Beitrag aus Heft »2003/03: Behinderte Menschen und Medien«
Autor: Christina Oberst-Hundt
Beitrag als PDFEinzelansichtLeo Hansen: Offener Kanal - quo vadis?
Anfang April trafen sich in Frankfurt Vertreter Offener Kanäle aus dem gesamten Bundesgebiet. Anlass war die seit ca. 2 Jahren dauernde Debatte um die Weiterentwicklung dieses Bürgermediums, die dadurch neuen Nähstoff bekam, weil sich in Nordrhein-Westfalen und Hamburg voraussichtlich in den nächsten Monaten erhebliche Veränderungen in der Organisation und Positionierung dieses Bürgermediums ergeben werden.
Die Grundidee bei der Etablierung Offener Kanäle bestand darin, einen Beitrag zur Förderung der Kommunikation und der kulturellen Vielfalt in den elektronischen Medien zu leisten, geleitet von zwei Überlegungen: Offene Kanäle haben eine Korrekturfunktion zum Privatfernsehen und stärken die Partizipationsmöglichkeiten für einzelne Bürger am Mediengeschehen.
Die Inhalte der Sendungen sollten ausschließlich von den Nutzerinnen und Nutzern bestimmt werden und keinerlei Fremdeinfluss unterliegen. Die inhaltlichen Grenzen werden lediglich durch die allgemeinen verfassungsmäßigen und medienrechtlichen Normen bestimmt. Diese Grundidee spiegelte sich in den Grundsätzen „Offener Zugang, Selbstproduktion und Selbstverantwortung“ wider...
(merz 2003/03, S. 175f )
Beitrag aus Heft »2003/03: Behinderte Menschen und Medien«
Autor: Leo Hansen
Beitrag als PDFEinzelansichtThomas Jacob, Hartmut Warkus: Eine Frage des Charakters - Rollenspiele am PC
Die Wurzeln: Pen & PaperRollenspiele existieren bereits länger als Heimcomputer. Schon seit den frühen 70er Jahren gibt es die so genannten Pen & Paper-Rollenspiele, die auch heute noch gespielt werden. Alles was dazu benötigt wird, sind ein Regelwerk, Zettel und Stifte, einige Mitspieler sowie ein paar Würfel. Ein Spieler übernimmt die Rolle des „Meisters“. Er ist der Spielleiter und bereitet den voraussichtlichen Ablauf der Handlung vor. Er denkt sich möglichst interessante Orte, Personen, Ereignisse und Situationen aus. So entstehen, je nach Spielsystem und Geschmack der Gruppe, unterschiedliche, manchmal fast romanartige Abenteuer. Diese müssen die anderen Spieler dann bestehen, indem sie Informationen zusammentragen, Rätsel lösen, Schätze finden und vieles mehr. Die meisten Systeme, wie das populäre „Advanced Dungeons & Dragons“ oder „Das Schwarze Auge“ spielen dabei in Tolkien-inspirierten Fantasywelten mit Schwertern, Drachen und Magie.Das Spiel beginnt mit der „Charaktergeneration“. Jeder Mitspieler erstellt dabei seinen Helden, seinen fiktionalen Charakter, den er durch das Spiel führt.
Das kann ein mürrischer, axtschwingender Zwerg sein, ein cleverer Dieb oder auch ein weiser Elfen-Magier. Die Ausprägung der verschiedenen Eigenschaften (zum Beispiel Stärke und Intelligenz) und Fähigkeiten (wie Bogenschießen, Schlösserknacken oder Spurenlesen) des Charakters werden ausgewürfelt, sein Name, Alter und Aussehen bestimmt. Alle Angaben werden auf einem Blatt Papier, dem Charakterbogen, festgehalten. Erst danach beginnt die eigentliche Handlung, und die Gruppe von Helden stürzt sich ins Abenteuer.Der Meister erzählt dabei die Geschichte fort, beschreibt der Gruppe die fiktive Welt, in der sie sich bewegt und konfrontiert sie mit den unterschiedlichsten – meist gefährlichen – Situationen, auf die sie angemessen reagieren muss. Kommt es beispielsweise zu einem Kampf, wehren sich die starken Charaktere mit ihren Schwertern, der Dieb schießt aus dem Hinterhalt mit dem Bogen und der Magier heilt verwundete Freunde mit Zaubersprüchen. Erfolg und Misserfolg jeder Aktion werden nach einem festgelegten Regelwerk ausgewürfelt. Dabei spielen die am Anfang ausgewürfelten Eigenschaften der Charaktere eine entscheidende Rolle, denn ein geübter Dieb mit hohem Geschicklichkeitswert hat viel höhere Chancen, eine verschlossene Tür zu öffnen, als ein ungeschickter Barbar...
( merz 03/2003, S. 177 - 179 )
Beitrag aus Heft »2003/03: Behinderte Menschen und Medien«
Autor: Thomas Jacob, Hartmut Warkus
Beitrag als PDFEinzelansichtThomas Jacob, Hartmut Warkus: The Elder Scrolls lll - Morrowind
Riesige SpielweltMorrowind ist der dritte Teil der Rollenspielreihe „The Elder Scrolls“. Bekannt ist die Serie unter Computerspielern vor allem durch die epischen Ausmaße der Spielwelten. Und auch Morrowind schwelgt in Superlativen. Schon vor der Veröffentlichung im Juni 2002 kursierte eine Faktenliste im Internet, die die Fans ins Schwärmen geraten ließ: Von einer 10 Quadratmeilen großen, frei begehbaren Welt war da die Rede, mit 30 teils riesigen Städten und über 300 Höhlen, bevölkert von über dreitausend Personen mit denen man reden, handeln, aber auch kämpfen kann. Und tatsächlich ist Morrowind das größte und komplexeste PC-Rollenspiel, das man derzeit kaufen kann. Es gab nur zwei Computerspiele mit noch größeren Welten: die beiden Vorgängerprogramme. Daggerfall, der 1996 erschienene zweite Teil der Serie, simulierte ein Land mit der doppelten Fläche von Großbritannien, bevölkert von über 750.000 virtuellen Bewohnern. Das ganze Land zu Fuß von einem Ende zum anderen zu durchqueren hätte zwei Wochen Realzeit gebraucht. Gegen diese Ausmaße erscheint die Insel Vvardenfell, der Schauplatz von Morrowind, fast winzig.Warum dieser scheinbare Rückschritt? Der entscheidende Unterschied: Während die Landschaften, Städte und Bewohner der Vorgänger von einem Zufallsgenerator erzeugt wurden, und darum recht schnell langweilig wurden, ist in Morrowind jedes Detail von Hand erstellt.
Jedes Haus, jeder Tisch in diesem Haus und jedes Geschirr auf diesem Tisch wurden von einem der Spieldesigner platziert – nach deren Angaben insgesamt genau 316.042 Objekte. Haudrauf, Dieb oder Zauberer?Wie in den meisten Rollenspielen üblich, steht am Anfang des Spiels die Erschaffung des eigenen Spielercharakters, in dessen Rolle man während des Spiels schlüpft. Innovativ ist bei Morrowind die Art, wie diese Prozedur in die Story eingebunden ist. An Bord des Sklavenschiffs auf dem Weg zur Insel aufgewacht, erkundigt sich ein Mithäftling als erstes nach dem Namen des Spielers. Nach der Freilassung fragt ein Verwalter nach Herkunft und Beruf. Nun kann man seinen Charakter ganz nach Vorlieben zurechtschneidern: Lieber einen kräftigen, aber dummen Ork, oder lieber den flinken Waldelfen? Und welcher Profession geht der Charakter nach? 21 Berufe, vom Alchemisten bis zum Söldner mit verschiedenen Vor- und Nachteilen stehen zur Wahl. Wem das nicht reicht, der kann auch seine eigene Klasse entwerfen, und die Punkte auf die 27 Fähigkeiten selbst verteilen. Diese Fähigkeiten reichen von der Kampfkunst mit diversen Waffen, über das Aufbrechen von Schlössern bis hin zur Redegewandtheit und Zauberkunst. Je mehr Punkte ein Charakter in einem Wert besitzt, umso erfahrener ist er in diesem Bereich. Ein Magier mit 100 Punkten in der Fähigkeit „Zerstörungszauber“ könnte es mit Gandalf persönlich aufnehmen, während einer mit 5 Punkten gerade mal eine Kerze magisch entzünden kann. Zu guter Letzt kann man noch entscheiden, unter welchem Sternzeichen der Charakter geboren ist, was verschiedene Spezialboni beschert.
Durch dieses flexible System sind nahezu unbegrenzt viele verschiedene Charaktere möglich. Genauer: 480 Milliarden, wie die Entwickler stolz angeben.Where do you want to go today?Ist der Spielercharakter fertig gestellt, wird man durch ein kurzes Tutorial geleitet, das die Feinheiten der Steuerung erklärt. Mit den Pfeiltasten wird die Spielfigur bewegt, mit der Maus schaut man sich um und führt Aktionen aus. Weitere Tasten dienen beispielsweise zum Springen, Zücken der Waffe oder um den Spielstand zu speichern. Die Tastaturbelegung ist vollständig konfigurierbar.Ist diese kleine Einführung erfolgreich überstanden, steht dem Spieler die gesamte Insel zur Erkundung frei. Im Unterschied zu den meisten anderen Rollenspielen, die eine bestimmte Reihenfolge der Vorgehensweise verlangen um voranzukommen, hat man bei Morrowind wirklich uneingeschränkte Freiheit. Man kann tagelang die Wälder und Berge der Insel auf eigene Faust erforschen, böse Monster bekämpfen und Schätze erbeuten. Es gibt unzählige kleine Nebenaufgaben, so genannte Quests, zu erfüllen, die von den Bewohnern Vvardenfells vergeben werden, und deren Lösung mit Geld oder Gegenständen belohnt werden. Der Lohn wird dann wiederum in bessere Ausrüstung investiert. Außerdem steigen die Fähigkeiten, je öfter sie angewendet werden. Wer also häufig Schlösser knackt, wird immer besser darin, wer fleißig zaubert, kann immer mächtigere Sprüche klopfen.
Je stärker der Charakter wird, desto gefährlichere Aufgaben kann er erfüllen, die ihn wiederum noch stärker machen… Dieses ständige Aufbessern der Spielfigur macht einen Hauptanreiz von Rollenspielen aus.Damit all das aber nicht zum reinen Selbstzweck verkommt, haben die Entwickler eine Hintergrundstory eingebaut. Diese wird durch Gespräche mit den Bewohnern nach und nach aufgedeckt, und der Spieler nimmt eine immer wichtigere Rolle darin ein. Unterhaltungen mit Nichtspielercharakteren (NSCs) laufen in einem Textfenster ab, in denen man Stichworte anklickt. Erfährt man wichtige Neuigkeiten oder erhält einen Auftrag, so wird automatisch ein Tagebucheintrag angelegt. Ansonsten wäre es unmöglich, den Überblick zu behalten. Insgesamt soll das Spiel eine Textmenge enthalten, die dem Umfang von sechs „durchschnittlichen“ Romanen entspricht. Dazu tragen auch die zahllosen in der Spielwelt vorhandenen Bücher mit teilweise Dutzenden von Seiten bei, in denen Kultur und Geschichte der Fantasywelt bis ins Detail erörtert werden.Auf Vvardenfell gibt es verschiedene Clans und Gilden, denen sich der Spieler auch anschließen kann, um nach erfüllten Aufträgen in der Hierarchie aufzusteigen. Das wiederum könnte dem verfeindeten Clan gar nicht gefallen, der Spieler kann sich dort nicht mehr blicken lassen… Alles in allem veranschlagen die Entwickler mehrere hundert Stunden Spielzeit, will man wirklich jeden Winkel erforschen und jeden Auftrag erfüllen. Wem das immer noch nicht reicht, der kann die mittlerweile erschienene Zusatz-CD Tribunal installieren, die weitere Gebiete und Aufgaben hinzufügt. Eine zweite Erweiterung ist bereits angekündigt.Nur etwas für schnelle RechnerMorrowind ist nicht nur eines der größten, sondern auch der grafisch aufwändigsten Spiele.
Jede Stadt hat eine eigenständige Architektur, am Ufer branden Wellen, Tag und Nacht wechseln sich ab, Gewitter ziehen über das Land. Solche Detailfülle hat ihren Preis: Morrowind gehört zu den hardwarehungrigsten PC-Spielen auf dem Markt. Ein Prozessor mit 500 MHz und 256 MB RAM sind das absolute Minimum, Spaß macht das Spiel auf einem solchen Rechner aber nicht – es ist unansehnlich und langsam. Die Fachzeitschrift „GameStar“ empfiehlt als Optimum einen 1,6GHz-Prozessor, 512 MB RAM und eine 3D-Grafikkarte der neuesten Generation.Unbegrenzt erweiterbarAuf der CD befindet sich neben dem eigentlichen Spiel auch das “Elder Scrolls Construction Set”. Dabei handelt es sich um das Werkzeug, das auch die Designer verwendet haben, um die Spielwelt zu gestalten. Dieses Beilegen von so genannten „Editoren“ ist in den letzten Jahren mehr und mehr zur Selbstverständlichkeit geworden. Die Spieler schätzen die Möglichkeit, an ihrem Lieblingsspiel herumzubasteln und neue Level zu erstellen; dem Hersteller bringen gelungene Fanmodifikationen kostenlose Publicity. Bekanntestes Beispiel ist Counterstrike, dessen ursprüngliche Version von Fans mit dem Editor des Actionshooters Half Life erstellt wurde.Dem Umfang von Morrowind angemessen bietet das “Construction Set”, entsprechende Einarbeitung vorausgesetzt, nahezu unbegrenzte Möglichkeiten. Die vorhandene Spielwelt kann in jedem Detail modifiziert werden, von der Schwerkraft über die Laufgeschwindigkeit des Spielers bis zur Stärke der Monster. Erfahrene Bastler können neue Gegenstände, Bewohner, ja ganze Städte und Landstriche hinzufügen. Im Internet gibt es unzählige Seiten, auf denen man solche so genannten „Mods“ herunterladen kann. Es gibt ambitionierte Projekte wie den Nachbau von Tolkiens Mittelerde, deren Mitglieder oft aus den verschiedensten Ländern stammen und die über das Internet kommunizieren und zusammenarbeiten.Morrowind - The Elder Scrolls III. Ubi Soft Entertainment Düsseldorf, PC 49,98 Euro; XBOX 59,99 Euro
Beitrag aus Heft »2003/03: Behinderte Menschen und Medien«
Autor: Thomas Jacob, Hartmut Warkus
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Kati StruckmeyerVerantwortliche Redakteurin
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