2001/05: Jugendschutz und Medienpolitik
thema
Tillmann P.Gangloff: Selbst für Experten kaum durchschaubar
Eltern sind offenbar bessr als ihr Ruf; zumindest in Bezug auf den Schutz ihrer Kinder vor medialer Gewalt. 86 Prozent finden es richtig, dass es Jugendmedienschutz gibt (vgl. Schorb/Theunert 2001, S.151). Allerdings schätzen viele die eigene "Erziehungskompetenz und Urteilsfähigkeit höher ein als die der öffentlichen Kontrollorgane" (ebd.,S.80). Diverse Ungereimtheiten schüren "bei manchen Eltern den Verdacht, im Jugendmedienschutz hätten vor allem Menschen das Sagen, die sich mit Kindern nicht gut auskennen" (ebd., S.86)Kaum ein Bereich in Deutschland ist ähnlich reguliert wie das Geschäft mit den bewegten Bildern. Ein umfassender Jugendmedienschutz soll genau das verhindern, was Eltern ebenfalls vermeiden wollen: dass Kinder mit Bildern und Geschichten konfrontiert werden, für die sie einfach noch zu jung sind.
Der Jugendmedienschutz verfolgt hierzulande im Wesentlichen drei Ziele:- Gewalt darf nicht als normales, akzeptiertes Mittel zur Durchsetzung von Interessen und zur Lösung von Konflikten gezeigt werden.- Filme dürfen, insbesondere mit ihren Gewaltdarstellungen, Kinder und Jugendliche nicht übermäßig verängstigen oder gar traumatisieren.- Filme mit sexuellen Inhalten dürfen Sexualität nicht verabsolutieren, sie sollten Sexualtität mit zwischenmenschlichen Bezügen, mit Gefühlen und mit der Verantwortung gegenüber dem Partner verbinden.Die gesetzlichen GrundlagenDie gesetzlichen Grundlagen für den Schutz von Kindern und Jugendlichen liefern vor allem das Strafgesetzbuch (StGB), das GEsetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften und Medieninhalte (GjS) sowie das Gesetz zum Schutz der Jugend in der Öffentlichkeit (JÖSchG).Paragraf 131 StGB verbietet die Herstellung von und den Handel mit Medieninhalte, "die grausame oder sonst unmenschliche Gewalttätigkeiten gegen Menschen in einer Art schildern, die eine Verherrlichung oder Verharmlosung solcher Gewalttätigkeiten ausdrückt oder die das Grausame oder Unmenschliche des Vorgangs in einer die Menschenwürde verletzenden Weise darstellt.
"Paragraf 184 StGB verbietet die Abgabe von pornografischem material an Kinder und Jugendliche.Paragraf 1 GjS sieht vor, Material, das Kinder und Jugendliche sittlich gefährden könnte, zu indizieren. Erwachsenen ist der Erwerb dieses mterials nicht automatisch verboten, denn das käme einer Zensur gleich; und die findet bekanntlich nicht statt. Indizierte Filme beispielsweise müssen aber in Räumlichkeiten feilgeboten werden, zu denen Jugendliche unter 18 Jahren keinen Zutritt haben.Paragraf 6 JÖSchG schließlich regelt die Freigabe von Kinofilmen: Sie dürfen einem jugendlichen Publikum nur vorgeführt werden, wenn sie durch die Obersten Landesjugenbehörden freigegeben worden sind...
(merz 2001/05, S. 287 - 292)
Helga Theunert, Bernd Schrob: Praxis und Akzeptanz des Jugendmedienschutzes
Fragestellungund Konzeption der Untersuchung basieren auf der Überlegung, dass jede Jugendschutzmaßnahme im Fernsehen in die Autonomie der erwachsenen Zuschauer eingreift - egal, ob diese Kinder zu erziehen haben oder nicht. Wenn neue Maßnahmen erprobt werden, genügt es deshalb nicht, ihre Funktionalität zu prüfen. Es muss v.a. in Erfahrung gebracht werden, ob sich die maßnahmen in das Denken und Handeln aller betroffenen REzipienten einpassen und so die Chance auf breite Akzeptanz besteht.
Neben der Frage, ob doe Vorsperre einer Sendung ein funktionales Jugendschutzinstrument ist, befasste sich die Untersuchung deshalb mit drei Fragekomplexen:
1. Mit dem Jugendmedienschutz, konkret damit, wie Maßnahmen im digitalen Pay-TV und im Free-TV eingeschätzt und gehandhabt werden. Speziell interessierte die Vorsperre und der Umgang mit ihr in Abonnentenhaushalten.
2. Mit der Fernseherziehung, mit der dem Jugendmedienschutz in Familien praktisch Geltung verschafft werden kann.
3. mit dem Fernsehumgang, der ein wichtiger moderierender Faktor in Bezug auf Fernseherziehung und Jugendmedienschutz ist.Um die Haltung der Abonnenten des digitalen Pay-TV, die ja erst ein sher kleines Segment der Bevölkerung sind, einordnen zu können, wurden Abonnentenhaushalte und Bevölkerungshaushalte, jeweils mit und ohne Kinder befragt.Die Untersuchung basiert auf einer Methodenkombination aus repräsentativen und qualitativen Befragungsverfhren, ergänzt um eine standardisierten Funktionalitätstest der Vorsperre...
(merz 2001/05, S. 293 - 301)
Beitrag aus Heft »2001/05: Jugendschutz und Medienpolitik«
Autor: Helga Theunert, Bernd Schorb
Beitrag als PDFEinzelansichtKlaus Kamps: Medienpolitik und Medienpädagogik
Wer es heute unternehmen würde, eine Monografie zu Neue Medienund Pädagogik zu schreiben, der hätte einen Fortsetzungroman vor sich; wer ein solches Unterfangen ins Auge fasste, der müsste eine breite Paltte an gesellschaftlichen, kulturellen und auch medienpolitischen Akteuren und Positionen aus mindestens drei Jahrzehnten berücksichtigen - und abschließen würde, nein: müsste das Werk ein Kapitel ("Perspektiven..."), das nur andeutungsweise formulieren könnte, was zwei Auflagen später womöglich die Einleitung zierte.In der Tat ist in "Digitalien", also in der Welt der gegenwärtig aktuell "neuen" Medien, vielleicht nur die Ungewißheit gewiss, mithin das Wissen um die enorme Entwicklungsdynamik der modernen Informations- und Kommunikationstechnologien und ihre Anwendungen.
Eine derartige Situation besitzt für so manchen Theoretiker Charme; für diejenigen aber, die sich alltäglich mit dem Phänomen "neue Medien" auseinander setzen wollen und müssen, ergeben sich beständig neue, spannende und mitunter brisante Aspekte ihres Handelns. Die Medienpädagogik weiß davon ein hohes Lied zu singen, ebenso die Medienpolitik.Medienpolitik als medienpädagogischer Akteur?Bekanntlich werden in der Bundesrepublik die Medien als Kulturgut definiert und sind damit - in der Politik - Ländersache, das heisst in diesen Tagen vor allem eins, nämlich Standortpolitik. Und das aus gutem Grund: Wie kein anderer Industriezweig verspricht die moderne Medien- und KOmmunikationsindustrie (zumindest in den westlichen Industrieländern), die Irritationen und Verwerfungen eines fundamentalen Strukturwandels wenigstens aufzufangen.
In vielen Ländern der Republik ist dieser Industriezweig nicht nur der am schnellsten wachsende (z.B. gemessen an der Zahl der Beschäftigten oder am Anteil des jeweiligen Bruttosozialprodukts), sondern auch derjenige, bei dem man sich durch standortpolitsche Maßnahmen die nachhaltigsten Effekte verspricht...
(merz 2001/05, S. 302 - 305)
Beitrag aus Heft »2001/05: Jugendschutz und Medienpolitik«
Autor: Klaus Kamps
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spektrum
Jürgen Hüther: Sergej Michailovic Tretjakov (1892 - 1939)
Faktographische und operative Funktionen der MedienarbeitAusgehend von seiner beruflichen Tätigkeit als Schriftsteller und Journalist beschäftigte sich Tretjakov ontensiv mit dem Aufgaben und der Wirkung von Kunst und Medien in der Gesellschaft. Für ihne hatten z.B. Zeitung und Film nicht nur die Aufgabe, die Gegenwart in Worten und Bildern widerzuspiegeln, sondern er sprach ihnen aktiven Einfluss auf die Gegenwart und großes gesellschaftliches Veränderungspotential zu (Tretjakov 1932, S. 46).
Tretjakovs hauptsächlich in den 20er Jahren entwickelte und on ihm konsequentt in die eigene schriftstellerische und journalistische Praxis umgesetze Literatur- und Medientheorie fand im deutschen Sprachraum in zweifacher Beziehung Beachtung:- einmal im Zusammenhang mit der Diskussion linker literaturpolitischer Konzeptionen gegen Ende der zwanziger und Anfang der dreißiger Jahre, geführt u.a. von Benjamin, Brecht, Becher, Lukásc, Ottwalt;- zum anderen im Kontext der in den späten 60er Jahren von der Studentenbewegung ausgehenden und von der Kritischen Theorie beeinflussten medienpolitischen und medienpädagogischen Diskussion.
Für die theoretische Fundierung der sich in dieser Zeit entwickelnden politisch-emanzipatorischen, handlungsbezogenen Medienpädagogik und der sie wesentlich mitprägenden aktiven/ alternativen Medienarbeit gilt Tretjakov als wichtiger Bezugspunkt. Analysiert man den Einfluss, den er auf die konzeptionelle Fundierung dieses medienpädagogischen Ansatzes genommen hat, wird man auf sein Verständnis vom faktographischen und vor allem vom operativen Charakter der Medienarbeit verwiesen...(merz 2001/05, S.327-330)
Beitrag aus Heft »2001/05: Jugendschutz und Medienpolitik«
Autor: Jürgen Hüther
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medienreport
Birgitte Tufte: Dänemark - Medien, Kindheit und Geschlecht
Vorgestellt wird das Fünf-Jahres-Projekt (1997-2002) "Alltag und Medienkultur von Jungen und Mädchen - im Spannungsfeld zwischen Globalität und Lokalität.""Ziel des Projekts ist die Untersuchung alltäglicher Nutzungsmuster im Kultur- und Medienbereich von Acht- bis 15-Jährigen in drei Gebieten Dänemarks. Kultur, Alltag und Medien sind dabei die zentralen Punkte, Geschlechts und Generation wichtige Variablen. Das Projekt hat einen kulturanalytischen Ansatz, der Zeichen, Symbole und Erzählungen zum Thema hat, die Kinder interessieren, um Bedeutung und Sinn in ihrem alltäglichen Leben aufzubauen.
Die Mediennutzung wird unter diesem Blickwinkel untersucht. Wir stützen uns damit auf verschiedene Traditionen, sind aber insebsondere von der Anthropologie (Hastrup 1998) und neueren Entwicklungen der Medienforschung, insbesondere der Medien-Ethnographie (Morley 1986, Lull 1988, Drotner 1994), beeinflusst.Fünf Wissenschaftler arbeiten an diesem Projekt. Vier von ihnen sammlen die empirischen Daten. Wir begannen damit, 120 Kinder in Vierergruppen in Schulen zu interviewen. Dann suchten wir 24 Kinder aus: acht aus jedem der drei Gebiete, darunter jeweils vier Acht- und vier 12-Jährige. Anfangs besuchten wir alle Kinder zweimal in ihren Familien, die wir in regelmäßigen Abständen kontaktierten. Im Frühjahr 2000 gingen wir noch einmal in die Schulen. Damit war die Zusammenstellung unseres empirischen Meterials abgeschlossen...
(merz 2001/05, S. 323 - 326)
Beitrag aus Heft »2001/05: Jugendschutz und Medienpolitik«
Autor: Birgitte Tufte
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kolumne
Georg Seeßlen: Die Moral der digitalen Bilder
Die alltägliche Realität unsererBilderkultur mag uns erscheinen, als hätten sich Adorno und Horkheimer, Philip K. Dick und Vilém Flusser gegenseitig ihre schlimmsten Albträume erzählt. Und nun ist ganz offensichtlich mit der virtual reality ein neues Kapitel in dieser Präsenz der überwältigenden Bilder eröffnet: Das Bild, das nicht mehr die Wirklichkeit als Material benötigt, um 'real' zu wirken. Nichts muss mehr gespielt, inszeniert und aufgenommen werden in Filmen wie "Final Fantasy", in denen mehr oder minder reale Menschen auftreten, denen man die Herkunft aus dem Computer zwar gerade noch ansieht, die aber vielleicht auch schon verweisen auf eine nächste Generation von Bildern , in denen in der Tat nicht mehr zwischen einem menschlichen Schauspieler und einem "Synthespian" zu unterscheiden wäre. Haben Synthespians eine Seele? Oder um es profaner zu sagen: Wo beginnt da etwas, was über das Programm selber hinausgeht? Von einer anderen Seite her versucht Steven Spielbergs das in "A.I." zu untersuchen. Er erzählt (mit realen Schauspielern) die Geschichte eines Jungen, der in Wahrheit nichts als ein Computerprogramm und ein täuschen ähnliche menschliche Maske ist, geschaffen um die emotionalen Bedürfnisse realer menschen zu befriedigen.
Aber diese Maschine oder, wenn man so will: dieses Bild, (das Bild unserer Sehnsucht nach Liebe, an anderem Ort das Bild unseren sexuellen Begierde, das Bild unserer Agression etc.), das so "auf Liebe eingestellt" ist, muss, um die Liebe in seinem Programm zu verwirklichen , den unbändigen Wunsch danach hegen, "als wirkliches Kind" angesehen zu werden. Natürlich ist das zunächst nichts anderes als eine SF-Version des Pinocchio-Märchens, und das wiederum nichts anderes als eine metaphorische Einkliedung der Frage: Wie werde ich Mensch?So haben die alten Phantasien in unseren Bildermaschinen die Formen gewechselt. Und trotzdem reichen solche Filme, so unterschiedlich sie ansonsten sein mögen, sehr viel tiefer in unser Verhältnis zu den Bildern. Wir ahnen, dass sie nicht länger in der alten Weise zu kontrollieren sind, in den Fernseh-Kanälen nicht, in den wuchernden Welten der Videogames nicht, und schon gar nicht im Internet. Die Phase der apokalyptischen Angstbilder, der Monster, die aus dem Fenster kommen oder Bildschirme, die Kinder fressen, Roboter, die Kriege gegen ihre menschlichen Erbauer führen, ist vielleicht vorbei. Selbst auf der Ebene der populären Kultur können wir ein wenig ernsthafter über das Verhältnis zwischen den Menschen und seiner zweiten Schöpfung nachdenken. Es genügt nicht mehr, die Bilder kaputtzumachen, die uns lästig geworden sind. In den Datennetzen und dem selbstreferentiellen System der populären Kultur kann man Bilder nicht mehr zerstören.
Im elektronischen Zeitalter sind Bilder Wesen, die sich mit rasender Geschwindigkeit vermehren.Je mehr sich die Bilder von der materiellen Realität und je mehr sie sich von der Kontrolle in der eigenen Kultur entfernen, desto mehr verlangt es nach einer neuen Art der Verantwortung unserer Bilder. Sie werden immer mehr von Spiegelungen zu wirklichen 'Schöpfungen'. Der Unterschied zeigt sich in der Materiallosigkeit ebenso wie in der Globalisierung des Bilder ´markts und der Bilderfabrikation. Eine priäre Moral der Bilder betraf gerade das Vor-Bild und die Art, wie es zu 'erbeuten' ist. Ein 'unmoralisches Bild' ist in der traditionellen Technik zunächst ein Bild, das etwas Unmoralisches abbildet. Uns ein unmoralisches Bild ist eines, das auf unmoralische Weise zustande gekommen ist, zum Beispiel gegen den Willen der Abgebildeten oder gegen die Abbildungscodes einer Kultuer. Ein unmoralisches Bild ist sodann eines, das unmoralisch bearbeitet, etwa gefälscht oder etwas als falsches 'Argument' missbraucht wird. Und schließlich ist ein unmoralisches Bild eines, das an den falschen Blick gerät, zum Beispiel an den eines Kindes. In dieser Kette der Moral von der Produktion des Bildes über die Vermittlung bis zum Konsum kann man auf der einen Seite durchauss so etwas wie ein Bilderverbrechen konstruieren, einen Bildweg, der in seinen verschiedenen Etappen Menschenrecht und Zivilisationsabsicht verletzt.
Und auf der anderen Seite gibt es wohl auch einen nützlichen und sogaar heielnden Bildweg. Aber dazwischen liegt ein ungeheurer Bereich der Gleichgültigkeit, der alltäglich gewordenen Bilderdummheit.Das digitale und das globalisierte Bild verkürzen und verschleiern diesen Bildweg. Ist das digitale Bild einer Tierquälerei 'moralischer' als ein authentisches? Verschieben sich, zum Beispiel, was das Pornografische anbelangt, die moralischen Grenzen vom realen fotografischen Bild zum Cybersex? Und wie verhält es sich mit Bildern, die alle kulturellen Schranken auf den elektronischen Wegen überschreiten, aber in den Kulturen sehr verschiedene Bedeutungen haben?Je weniger uns 'das Abgebildete' als moralischer Maßstab bleibt, je weniger das 'Tabu' als territoriale Kultur den entorten Bildern entgegensteht, desto mehr muss uns die Abbildung selbst als 'moralisches Wesen' erscheinen, im Guten wie im Bösen. Arbeiten wir an der Philosophie, die sich um die Seele unserer Bilder kümmert.
Beitrag aus Heft »2001/05: Jugendschutz und Medienpolitik«
Autor: Georg Seeßlen
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Kati StruckmeyerVerantwortliche Redakteurin
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