2000/04: Jugend und Medien
thema
Uli Gleich: Medien und ihre Bedeutung für Jugendliche
Der Autor stellt Forschungsergebnisse zur Nutzung verschiedener Medien, zu deren Informations- und Unterhaltungsfunktion vor, fragt nach den psychosozialen Faktoren der Rezipienten und nach den Lerneffekten, die Macher aus diesen Erkenntnissen ziehen
(merz 2000-04, S. 211-218)
Helga Theunert und Bernd Schorb: Nicht desinteressiert, aber eigene Interessen
Die Mehrzahl der Jugendlichen hat Interesse an alltagsnaher Information und an gesellschaftlich relevanten Themen.
Dieses Bedürfnis sollte in seriöser Weise befriedigt und nicht dem Infotainment überlassen werden.
(merz 2000-04, S. 219-228)
Beitrag aus Heft »2000/04: Jugend und Medien«
Autor: Helga Theunert, Bernd Schorb
Beitrag als PDFEinzelansichtJannis K. Androutsopoulos: Vom Mainstream-Radio bis zu den Skater-Magazinen
Jugendmedien werden aus der Sicht der linguistischen Medienforschung thematisiert.
Im Mittelpunkt der Darstellung stehen Strategien der Sprach- und Textgestaltung, die die gegenwärtige mediale Jugendkommunikation prägen.
(merz 2000-04, S. 2229-235)
Beitrag aus Heft »2000/04: Jugend und Medien«
Autor: Jannis Androutsopoulos
Beitrag als PDFEinzelansichtClaus J. Tully und Peter Wahler: Wie ist die Jugend? – Flexibel? Optimistisch?
Inwieweit verändern die neuen Technologien Arbeit und Freizeit von jungen Menschen?
In diesem Beitrag werden verschiedene Untersuchungen und Umfragen zur Jugend kritisch betrachtet und jeweils an der Realität gemessen.
(merz 2000-04, S. 236-241)
Beitrag aus Heft »2000/04: Jugend und Medien«
Autor: Claus J. Tully, Peter Wahler
Beitrag als PDFEinzelansichtDietmut Roether: Im Gründerfieber
In allen Medien werden die jugendlichen Existenzgründer hochgelobt, die ihren Erfolg nicht zuletzt auf den neuen Technologien aufbauen.
Doch sieht die berufliche Gegenwart und Zukunft der jungen Menschen wirklich so rosig aus?
(merz 2000-04, S. 242-244)
Matthias Vogel: „Big Brother“ - Faszination und Distanz
Was fasziniert junge Leute an einer Sendung, die Gewöhnliches in einem konstruierten Rahmen zeigt - um es ganz unbeteiligt zu beschreiben. Ist es Widerstand gegen kulturkritische Äußerungen, gegen die Einwände, die aus der Verletzung moralischen Empfindens vorgebracht werden? Ist es die plakative Propagierung des „Wertvollen“, das dann der Trivialkultur in TV-Ausführung, die doch eigentlich politisch gewollt war - oder wer hat geglaubt, dass der Kommerz Hochwertiges erzeugt? -, jugendliche Sympathien einfährt?
Wir haben einen jungen Fan, erfahren mit den Medien, gebeten, seine Gründe für die Faszination zu Papier zu bringen. Um seine Meinung etwas zu konterkarieren, kann man sich dann auch über die Ergebnisse einer Befragung von Kindern und Jugendlichen informieren, die das Institut JFF zu „Big Brother“ durchgeführt hat („Voll das Leben“). Sie wurden soeben in der Programmberatungsbroschüre für Eltern „Flimmo“, Nr. 2/ 2000, veröffentlicht.
Wir haben den Beitrag - etwas gekürzt - mit freundlicher Genehmigung der Herausgeber (Programmberatung für Eltern e.V) nachgedruckt.Die neuesten Meldungen aus den USA besagen übrigens, dass Endemols Programmkonzept dort kein Erfolg beschieden ist. „Vom Mangel an voyeuristischem Kitzel mal abgesehen - Amerika braucht Big Brother einfach nicht. Reality TV ist dort längst ein altbekanntes Genre, und die Konkurrenzsendungen haben weit mehr zu bieten“ schreibt Adrian Kreye in der Süddeutschen Zeitung vom 12. Juli. (merz 2000-04, S. 245-249)
medienreport
Erwin Schaar: Visuelle Herausforderungen
„Das Kino, das mich zum Kino gebracht hat, existiert immer weniger“ hat Romuald Karmakar in einem Interview zu seinem neuen Film „Manila“ geäußert1. Und er fährt fort: „Es fällt mir schwer, in meinen Filmen Bilder zu integrieren, die keinen Zweck erfüllen, so wie Aufnahmen von schönen Landschaften...“Solche knappen Urteile lassen vielleicht darüber nachdenken, was denn Kino für einen Zweck hat, ob die Bilder nur eine Geschichte zu erzählen haben, die ausdauernde Filmgeschichten-Erzähler in enervierender Eindringlichkeit auch am Biertisch oder an der Bar widergeben können. Das zumindest wird diesen cineastischen Plagegeistern mit Lars von Triers neuem Film kaum gelingen. Sein Plot verweigert sich weitgehend der mündlichen Erzählung wie Karmakars „Manila“, weil beide Regisseure den Bildern das Eigene zutrauen, durch das die Geschichte erst zu einer wird. Wobei noch nichts über eine gelungene Inszenierung ausgesagt ist. Es mag eine mutige Entscheidung der Jury beim diesjährigen Filmfestival in Cannes gewesen sein, dem Trier-Film die Goldene Palme zuzusprechen. Immerhin hat man damit auch den Wert des Umstrittenen anerkannt.Und da von Trier sich mit Björk einen Star der jungen Musikszene ausgesucht hat, zudem mit seiner Bildästhetik der von Videoclips doch sehr nahe ist, könnte erwartet werden, dass „Dancer in the dark“ auch Jugendliche animiert, meinetwegen als inszenatorische Herausforderung.Doch ‘ne Story Also so ganz kann dann doch nicht darauf verzichtet werden, den Handlungsleitfaden in ein paar Worten wiederzugeben, sonst ist das filmisch Gestaltete nirgends festzumachen. Und Trier gefällt sich in üppigen Handlungsdetails - die eben durch seine Bilddramaturgie keine alltägliche Fixierung erfahren.Die tschechische Immigrantin Selva arbeitet bis zur Aufopferung in einer nordamerikanischen Blechstanzfabrik, um ihrem Sohn eine Operation zu ermöglichen, die ihm das Augenlicht erhalten soll. Beide leiden unter derselben Erbkrankheit. Und Selva hat schon verloren.
Mühsam sucht sie ihre nur noch geringe Sehfähigkeit bei der Arbeit und bei ihrer Lieblingsbeschäftigung, dem Singen in einer Liebhaberaufführung eines Musicals, zu kaschieren.Die wundervollen Nachbarn, er ist Polizist, sie aufstiegswillig, bringen sie um ihr Geld und ein brutaler Coup des Diebs bringt ihn um sein Leben. Wie Melodramen so spielen, Selma wird zur Schuldigen, zum Tod durch den Strang verurteilt und hingerichtet.Tanzen, Singen, Weinen„Die Stücke behandeln eine gegenwartsnahe, dem Alltag des Publikums entnommene Thematik in realistischer Darstellung“ schreibt der „Brockhaus“ u.a. zum Begriff „Musical“ und widerspricht damit nicht der Einordnung von „Dancer in the dark“ als solchem.Wie weggewischt ist der Kanon der Dogmen-Leute (siehe merz 1/99), die unter Führung von Trier und Vinterberg 1998 den absoluten Film oder zumindest die absoluten Regeln kreierten, die dem Medium die Wahrheit und nichts als die Wahrheit aufbürdeten. „Keine unnötige Action ist erlaubt...“ war eine der apodiktischen Aussagen. Trier hat dem in einer Art und Weise zuwidergehandelt - dass sich sein einmal in der späten Nachfolge Gottscheds entworfener Regelplan als PR-Gag entlarvt.Peter Körte hat ihn in der „Frankfurter Rundschau“ einen visuellen Bastler genannt. Das ist nicht gerade sehr viel, wenn die Auslotung experimenteller Vorstellungen zur Diskussion steht.Das vorzügliche, Anteilnahme fordernde Spiel von Björk braucht Zeit bis es in den Zuschaueraugen fixiert ist, weil Trier solch hastige Kamerabewegungen vorgibt, dass erst die Sehnerven den Widerstand überwinden müssen, eine solche Fülle von Bildern und noch dazu in dieser Bewegungsmanie aufzunehmen. Bewegung und Schnitt nehmen dem Geschehen dann auch das Süßlich-Emotionale des Melodrams, bzw. machen es durch das zusätzliche Hinübergleiten in die Gesangs- und Tanzeinlagen zu einer eher einer Bühnenkonstruktion vergleichbaren Handlung, die nicht das Wirklichkeitsmoment bewegter fotografierter Bilder besitzt.
Bis zum Schluss: Als ein den Zuseher und die Zuseherin kaum vorhersehbarer Schnitt die Endgültigkeit der Strafe schockierend vollzieht, nachdem vorher der Kampf der Heldin gegen den Galgen ein Meer der Tränen bei den von den Bildern Gebannten ausgelöst hat.Das ist dann der Punkt, der mir diese Inszenierung etwas obskur erscheinen lässt und ließ, auch wenn ich mir sagen muss, dass die Videoclip-Ästhetik heutiger Tage kein Tabu kennt und Sentiments als eye-food verarbeitet.Aber vielleicht kann das der Aufhänger sein, den Film zur Auseinandersetzung über Inszenierungskünste und -möglichkeiten zu nützen. Man kann trotz aller gegenteiliger Ansichten zu Trier über die großartige Besetzungsliste der Schauspieler schwärmen, die darstellerische Leistung und die exaltierte Singstimme Björks genießen. Die Tränen, glaube ich, gelten einer Art pornographischer Erzählfreude.
Andreas Kirchhoff: Zwischen geschlossener Gesellschaft und virtueller Öffentlichkeit
„Öffentlichkeit“, schreibt Florian Rötzer, „so rudimentär und minoritär sie auch sein mag, basiert auf Aufmerksamkeit, und erst im Licht der öffentlichen Aufmerksamkeit erhalten gesellschaftlich bedeutungsvolle Dinge, Ereignisse oder Menschen ihre Kontur, ja eigentlich ihre Realität“1. Die Frage, wie es um die öffentliche Aufmerksamkeit für die Jugendfilmarbeit und ihre Produkte, mithin also um deren Realität bestellt ist, versucht dieser Rückblick auf die JuFinale 2000 zu beleuchten. Filmfeste in Zeiten des wwwEin außenstehender Beobachter, am 19. Mai zufällig Zeuge der Aufbauarbeiten zum 6. Bayerischen Jugendfilmfestival in der Kulturfabrik in Roth, hätte das Geschehen vermutlich folgendermaßen beschrieben: „Metallene Boxen unbekannten Inhalts türmen sich an jeder Ecke. Kamera- und Scheinwerferbataillone belagern eine Talkbühne im Foyer und im Kinosaal. Internet-Terminals, Fernsehmonitore und Videobeamer finden noch im entlegensten Winkel des Gebäudes ihren Platz. Kilometerweise Kabel werden in hektischer Betriebsamkeit verlegt. Bei genauerem Hinsehen fallen die blauen Schildchen auf, welche die rastlosen Akteure dieses Treibens an ihre Kleidung geheftet haben; „Team“ ist auf ihnen zu lesen. Auf einem Tisch am Empfang liegen sauber aufgereiht weitere Schilder: grüne mit dem Aufdruck „BesucherIn“ und orange, die den Schriftzug „FilmemacherIn“ tragen. Der rote Teppich, von der Straße ins Foyer führend, verleiht der Szene einen Hauch von einem Festival.Die JuFinale, das Bayerische Jugendfilmfest wurde 1988 als Gemeinschaftsprojekt vom Bayerischen Jugendring und dem JFF erstmalig veranstaltet. Es hat sich als landesweites Filmfest mittlerweile zu einem Höhepunkt der bayerischen Jugendfilmszene entwickelt. 500 eingereichte Produktionen, von denen es 55 Filme in die Endausscheidung nach Roth schafften, sind ein deutliches Indiz dafür, dass das Medium Film auch in Zeiten des www nichts von seiner Anziehungskraft eingebüßt hat. Attrappe oder Attraktion?
Die ersten Gäste, die eintreffen, sind FilmemacherInnen, deren Beiträge am Abend im Eröffnungsblock laufen. Fast alle haben Freunde mitgebracht. Am Empfang erhalten sie ihre orangen Clips. Als der Eröffnungsfilm anläuft, ist die Überzahl der blauen „Team“-Schilder endgültig zugunsten der orangen dahin. Nur Menschen mit grünen Schildern trifft man kaum.Die Prominenz wird bei diesem Filmfest nicht von Fans und Fotografen erwartet. Hans Peter Korff, künstlerischer Pate der Veranstaltung, erscheint dem im Kinosaal versammelten Publikum zunächst rein virtuell, per Live-Schaltung aus dem Talkstudio im Foyer. Später steht er dann aber doch noch für Fragen und Diskussionen zur Verfügung. Überhaupt herrscht zwischen den Filmblöcken ein reges Treiben im Foyer. Man tauscht sich aus über die Frage, ob man das nächste Filmprogramm anschauen oder doch lieber einen der zahlreichen, parallel laufenden Workshops besuchen sollte. Zwanglos formieren sich immer wieder neue Gesprächsrunden; man kennt sich ohnehin schon. Alte Kontakte wollen aufrecht erhalten und neue geknüpft werden. Und dies mit einer durchaus klaren Perspektive: hier werden im positiven Sinne die Seilschaften geknüpft, die später einmal Karrieren befördern sollen. Grüne Schilder entdeckt man noch immer kaum. Doch nicht alle sind auf dem Sprung ins professionelle Filmgeschäft.
Da sind z.B. die kaum 15-jährigen Mitglieder der Filmgruppe, die ein Video über ihre Streetgang gedreht haben. Für eine Weile genießen sie die Aufmerksamkeit, um schließlich doch die Gelegenheit zu nutzen, sich an eines der Internet-Terminals zurückzuziehen und kostengünstig ein paar MP3-Files downzuloaden. Im Talkstudio werden derweil andere FilmemacherInnen zu den Details ihrer Produktion befragt. Ihre Gesichter erscheinen, geisterhaft vervielfacht, auf den allgegenwärtigen Monitoren. Alle 5 Sekunden werden die Bilder auch ins Netz der Netze hochgeladen – JuFinale worldwide. Die Zahl der Kameras hat sich am zweiten Festivaltag durch die Anwesenheit zweier Fernsehteams und der Pressefotografen noch erhöht. Da filmen dann Kameraleute andere Kameraleute beim Filmen von Kameraleuten; Marshall McLuhan lässt grüßen. Es scheint, als wolle die Präsenz der Medien samt ihrer Vertreter das Fehlen eines Publikums kompensieren.Öffentliche AufmerksamkeitDen jugendlichen FilmemacherInnen die Möglichkeit zu eröffnen, ihre Produkte öffentlich zu präsentieren, das ist neben der Funktion als Kontakt- und Qualifizierungsforum erklärtes Ziel der JuFinale. Von Jugendlichen produzierte Filme, das hat sich auch in diesem Jahr gezeigt, lassen sich kaum auf ein eindeutiges, allen gemeinsames Identifikationsmerkmal verkürzen. Die Vielfalt der Themen und Genres, der Zugangsweisen, Ausdrucks- und Gestaltungsmittel spiegelt die Heterogenität der Szene wieder.
Vom Erstlingswerk auf VHS bis zur nahezu professionellen 35mm-Produktion, vom 5minütigen Animationsfilm bis zum abendfüllenden Spielfilm, vom trashigen Retro-Zombiefilm bis zum einfühlsamen Liebesdrama ist so ziemlich alles vertreten, was das Leben bzw. das Medium hergibt. So lässt sich als gemeinsamer Nenner letztlich nur die Leidenschaft für das Medium anführen, die sich ausdrückt in dem Willen, auch unter widrigsten Umständen die einmal entwickelte Idee, oftmals phantasievoll und unter großem Kraftaufwand, in Bilder und Töne umzusetzen. Und diese Leidenschaft drängt nach Aufmerksamkeit, nach öffentlicher Wahrnehmung und nach Rückmeldung. Die Filme sind eben nicht in erster Linie an ein spezielles sondern an ein möglichst großes Publikum adressiert. In Zeiten, in denen es den Großstadt-Multiplexen nur dank millionenschwerer Werbekampagnen der Filmgesellschaften gelingt, ihre Säle zu füllen, in denen eine ausdifferenzierte Medien-, Freizeit- und Konsumindustrie uns nötigt, unser begrenztes Vermögen an Aufmerksamkeit auf immer zahlreichere Angebote zu verteilen, hat es die mit nur geringen Mitteln und kleiner Lobby ausgestattete und darüber hinaus lokal gebundene Jugendfilmszene naturgemäß schwer, eine breite öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen. Filmgruppen sind als Teil der Jugendfilmszene auf sich selbst verwiesen, mithin auf eine Nischenöffentlichkeit, die sich kraft gemeinsamer Interessen und Erfahrungen formiert. Der an eigenen Produktionen geschulte Blick der anderen Jugendlichen befähigt diese zwar zu fundierter Kritik und hilfreicher Anregung, doch der unbefangene, weil nicht involvierte Zuschauer ist hier Mangelware.
Ein Festival kann daher lediglich die Kompromisslösung einer quantitativ immerhin den engeren Freundeskreis übersteigenden und interessierten, aber letztlich auch sehr spezifischen und begrenzten Öffentlichkeit bieten. Zusätzliche Brisanz entsteht, wenn der einzelne Film in der Masse der Beiträge und zusätzlichen Veranstaltungsangeboten unterzugehen droht. So war eine häufig geäußerte Klage, dass aufgrund des straffen Zeitplans die gewünschte Diskussion eines Filmes oftmals unmöglich war. Einen Sinn ergibt der betriebene Medien- und Technik-Kult erst, wenn man den Blick vom einzelnen Film löst und das Festival als Gesamtkunstwerk betrachtet. Ein multimediales Disneyland nach dem Motto „Ist alles so schön bunt hier“ ist allemal eher einen Presse- oder Fernsehbericht wert, als die jährliche Klausurtagung der bayerischen Jungfilmer. Diese auf den ersten Blick banal erscheinende Feststellung sollte in ihrem Gehalt nicht unterschätzt werden. Dazu noch mal Florian Rötzer: „Ein Medium ist jede Art von andauernder oder einmaliger Einrichtung, die die begrenzte Ressource der öffentlichen Aufmerksamkeit zu aktivieren sucht, indem es Dinge, Ereignisse oder Menschen präsentiert, die Aufmerksamkeit auf sich ziehen sollen, was man wiederum benutzen kann, um auf etwas aufmerksam zu machen, was bislang noch nicht beachtet wurde. Medien sind mithin nicht nur Bilder, Zeitungen oder Fernsehprogramme, sondern auch Einrichtungen wie Galerien oder Museen und Veranstaltungen wie Festivals oder Vortragsrunden.“²
Das Festival als Meta-Medium betreibt also die Förderung des Jugendfilms auf der gesellschaftspolitischen Ebene, indem es ihm als gesellschaftlichem Ereignis zu einem – wenn auch kurzen - Peak im informationalen Grundrauschen und somit zu öffentlicher Aufmerksamkeit verhilft. Und das ist von elementarer Bedeutung, denn „wer oder was nicht beachtet wird oder keine Aufmerksamkeit auf sich zieht, ist als öffentlicher Agent nicht vorhanden“ (Rötzer 1996/2). Was das Spektakel den einzelnen Filmen vor Ort an Aufmerksamkeit stiehlt, fährt es so hintenherum wieder ein, indem es eine Botschaft kreiert, die räumliche Grenzen überwindet und interessengeleitete Aufmerksamkeitsfilter zumindest partiell umgeht. Die Nischenöffentlichkeit wird zur virtuellen Öffentlichkeit und – ja, es gibt ihn noch, den Jugendfilm. Beim nächsten Festival können Sie dann ja mal persönlich vorbeischauen.
Anmerkungen
1 Florian Rötzer (1996/1): Aufmerksamkeit. Der Rohstoff der Informationsgesellschaft (www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/2001/1.html)
2 Florian Rötzer (1996/2): Öffentlichkeit und Aufmerksamkeit (www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/2094/1.html)
Claudia Schmiderer: Wenig öffentliche Resonanz
Die Woche vom 31. Mai bis zum 6. Juni verging für die teilnehmenden Gutachter und Beobachter mit viel Arbeit und wenig Begleitung durch die Öffentlichkeit und die Medien. Der Süddeutschen Zeitung z.B. war der internationale Wettbewerb für das Kinder- und Jugendfernsehen dieses Jahr nicht einmal einen kleinen Beitrag auf der Medienseite wert. Obwohl doch schon im Wirtschaftsteil über Kinderfernsehen berichtet wird, wenn entsprechende Händler einschlägiger Sendungen riesige Börsengewinne einfahren.Themen und PreiseIn der Endausscheidung für die öffentliche Vorführung standen 83 Finalisten, ausgewählt aus über 200 Programmen, die von 86 Produzenten aus 54 Ländern eingereicht wurden. Insgesamt wurden elf Preise (für fiktionale und dokumentarische Formen) verliehen, wobei auffallend viele der ausgezeichneten Produktionen aus Großbritannien, den Benelux- und skandinavischen Ländern kamen.In der Kategorie für Kinder bis zu sechs Jahren gewannen der BBC-Zeichentrickfilm „The first snow of winter“ und die Non-Fiction-Reihe „Blue’s Clues“ (Art Appreciation), produziert von Nickelodeon, New York, in der Kindern auf spielerische und phantasievolle Weise Kunstwerke und verschiedene Kunstformen erklärt werden. Aus dieser Kategorie wurde auch der namibische Beitrag „Tuli“, der einen Tag im Leben des Mädchens Tuli erzählt, ausgezeichnet und zwar mit dem BMW Special Prize für Low-Budget-Produktionen.Für die Altersklasse der 6- bis 11-Jährigen gewannen zwei niederländische Produktionen: „De Daltons“, eine Spielfilmreihe über das Großwerden unter Brüdern und „Groot Licht“, eine heitere, populärwissenschaftliche Informationsreihe, die nach dem Wie und Warum der Dinge, die uns umgeben, fragt.Die nominierten Filme für die Kategorie der 11- bis 15-Jährigen waren von Genre und Inhalt her sehr unterschiedlich.
So beschäftigten sich die Spielfilme mit Themen wie dem Verlust der Eltern durch Krieg, in „Devils of the mangosa tree“ aus Sri Lanka, oder durch Unfall: Im israelischen „The Secrets of Kineret“ geht das Mädchen Kineret den Ursachen des Unfalls ihres Vaters nach, seit dessen Tod sie nicht mehr gesprochen hat. Der Film strahlt etwas Geheimnisvolles aus, das auch die dieses Jahr erstmals tätige Kinderjury dazu bewogen hat, diesem Film ihren ersten Preis zuzuerkennen.Weitere Themen in der Kategorie Fiction waren die üblichen Probleme beim Erwachsenwerden, wie erster Liebeskummer oder Familienstreitigkeiten, wie sie auf der ganzen Welt auftauchen können. Hier wurden sie z.B. in einer iranischen Familie ausgetragen, in der ein kleiner Stein im Reis des Vaters den Konflikt auslöste, den die Kinder mit einer hinter geschlossenen Türen inszenierten Diskussion wieder schlichteten, oder in einer britischen Familie, in der sich Partner zusammenfanden, die Kinder aus früheren Beziehungen mitbrachten. Eine solche Geschichte erzählt die BBC-Reihe „Microsoap“, die 1998 und 1999 traumhafte Quoten erreichte. In der Episode geht es um ein ausgeliehenes und dabei beschädigtes T-Shirt eines Fußballclubs. Was sich die neuen Geschwister an Schikanen ausdenken und wie die Größeren ihre Macht gegenüber den Kleinen ausspielen – wie im richtigen Leben.Die Kategorie Non-Fiction für die 11- bis 15-Jährigen umspannte ebenfalls ein weites Feld: da gab es die traurige Geschichte von den Flüchtlingskindern aus dem Kosovo, „Vesa – Dew Children of Kosovo“, eine Produktion aus Bosnien-Herzegowina; „In the Mix: Teen Immigrants“, die Erzählungen von jugendlichen Einwanderern in Amerika, die sich in einem fremden Land und einer neuen Stadt orientieren müssen; die auf Platz zwei gewählte australische Reihe „Race around the Corner“, in der 12- bis 16-jährige Teenager Kurzdokumentationen über Inhalte drehen, die sie selbst berühren.Als Sieger ging die schwedische Produktion REA hervor, ein Verbrauchermagazin.
Da werden Daunenjacken von verschiedenen Herstellern auf ihre Tauglichkeit in luftiger Höhe, im Gefrierhaus bei 28 Grad minus oder auf ihre Daunenqualität hin geprüft, Outlets werden unter die Lupe genommen oder Computerspiele vorgestellt. Durch die Sendung führen Kinder im Alter von 10 bis 13, die diese Tests auch selbst durchführen und sich nicht scheuen, bei Ämtern oder Verbraucherschutzorganisationen um Rat nachzufragen.Die Kinder-Jury traf allerdings eine andere Wahl als die Erwachsenen: Ihr Favorit war der indische Beitrag „Big Treasure Chest for Future Kids“ über ein tibetanisches Kinderdorf am Fuße des Himalaya. Dort leben Kinder, die von ihren Eltern dorthin gebracht wurden, um nach tibetanischer Tradition und in ihrer Sprache erzogen zu werden. Die Kinder werden angehalten, alles was ihnen wert erscheint für spätere Generationen in eine Truhe zu geben, die erst in fünfzig Jahren wieder geöffnet werden wird. Alle machen sich also Gedanken, was für die tibetanische Kultur erhaltenswert ist. Und so finden sich in der Truhe Bücher und selbstgemalte Bilder über die Geschichte Tibets, über Tiere und Pflanzen, manche Kinder legen Kassetten dazu, auf denen sie Lieder singen oder musizieren.Neue KategorienNeu in diesem Jahr war die Rubrik Light Entertainment, deren Sinn allerdings etwas schwer nachzuvollziehen ist. Der Siegerfilm „My Sister’s World“ kommt aus Norwegen und hat die schon üblichen Sorgen beim Erwachsenwerden zum Thema.Ebenfalls neu im Programm war der Preis für die beste Web-Site eines Programms, wobei hier fünf zur Auswahl standen. Ausschlaggebend für die Entscheidung sollte sein, dass die Seiten ansprechbar für Kinder sind, auch für diejenigen, die noch nicht lesen können. Also wurden hier das Design der Zeichen und der gestaltete Ton bewertet. Die Kombination von High Tech und High Touch war denn auch das ausschlaggebende Kriterium der Web Prize-Jury für die Auszeichnung von „Zoom“ (www.pbskids.org/zoom).
Die Preise der UNESCO und von UNICEF gingen an „White Cap“, einem Film aus Sarajewo, der für Toleranz in der Gesellschaft wirbt, und an den britischen Beitrag „Off Limits – Strong Language“ über ein Mädchen, das für ihr Recht streitet, die Taubstummensprache zu benutzen. Kulturen im VergleichDas Resümee der Moderatoren der Diskussionen war überwiegend positiv, wobei sie vor allem die Beteiligung aus aller Welt und die technischen Fortschritte der Produktionen hervorhoben.Grundsätzlich wurde festgestellt, dass durch das Zapping, das auch den Filmschnitt beeinflusst, die Geschichten flacher werden. Überhaupt wurden Themen, die in vergangenen Jahren eine Rolle gespielt haben, vermisst, so zum Beispiel Politik und Nachrichten oder auch Ökologie.Etwas verwunderlich war die Feststellung, dass in den Spielfilmen zu wenig emotionale Geschichten Platz hatten, denn in vielen Geschichten gab es sehr wohl diese Komponente.Wahrscheinlich ist es schwierig, die Programme aus der ganzen Welt, die ja unterschiedliche Kulturen spiegeln, einheitlich zu beurteilen oder überhaupt eine einigermaßen homogene Meinung darüber zu erlangen.
Beitrag aus Heft »2000/04: Jugend und Medien«
Autor: Claudia Schmiderer
Beitrag als PDFEinzelansichtWolfgang J. Fuchs: Remake eines Kultfilms
Als es begann„Wir haben die Absicht, jedes Jahr eine neue Fassung von FANTASIA herauszubringen. Die flexible Struktur des Films ermöglicht das und es wird eine große Freude sein, daran zu arbeiten. FANTASIA ist kein Konzertereignis, weder Varieté noch Revue, sondern eine großartige Verbindung von Komödie, Fantastik, Ballett, Drama, Impressionismus, Farbe, Klang und epischer Wucht.“ Das sagte Walt Disney 1941, ein Jahr nach Fertigstellung des ursprünglichen FANTASIA-Films, für den er ein eigenes Raumton- und ein Breitwandverfahren entwickelt hatte. Der Film von 1940 wurde jedoch an der Kinokasse ein Flop und auch viele Kritiker mäkelten sehr an der Kombination von (bearbeiteter) klassischer Musik und Zeichentrick herum. Bosley Crowther, der Kritiker der New York Times fand hingegen schon damals nur Lob für den Film und nahm ihn später als einzigen Trickfilm in seine Liste der 50 besten Filme aller Zeiten auf. Bei der ersten großen Wiederaufführung 1956 schrieb FANTASIA erstmals schwarze Zahlen. Endgültig als Kultfilm galt er beim erneuten Kinoeinsatz im Jahr 1969. Nun wurde der Film einmütig von der Kritik ob seiner Farbigkeit, seiner Modernität und seiner kühnen Kombination von Kunst und Kommerz hochgelobt.Disney selbst hat den Plan einer Weiterführung des Films nie in die Tat umgesetzt. Er hat aber zum Kultstatus des Films dadurch beigetragen, dass er den Film häppchenweise auch in seine Fernsehsendungen eingebaut hat. Selbst zu Zeiten des Schwarzweißfernsehens wirkten diese Häppchen, die auch im deutschen Fernsehen gezeigt wurden, verblüffend frisch und wohltuend anders als der übliche Trickfilm.
Kein Wunder also, dass die Vertrautheit mit den Einzelteilen später zum Erfolg des farbigen Ganzen beitrug.Der neu gestaltete FilmDisneys Äußerung von 1941 ließ aber seinen Neffen Roy E. Disney nicht ruhen, der mittlerweile der Leiter der Animationsabteilung bei Disney ist. Als der restaurierte FANTASIA-Film 1991 eine der meistverkauften Videoveröffentlichungen wurde, konnte er sich daran machen, den Traum von einer Fortsetzung des Originals zu realisieren. „Rhapsody in Blue“, „Karneval der Tiere“ und „Der Feuervogel“ hatte man bereits in den 40er Jahren für eine mögliche Fortsetzung in Erwägung gezogen.Man einigte sich schließlich auf folgendes Programm:Ludwig van Beethoven: 5. SinfonieOttorino Respighi: Pini di RomaGeorge Gershwin: Rhapsody in BlueDimitri Schostakowitsch: Klavierkonzert Nr. 2, Allegro, op. 102Camille Saint Saëns: Der Karneval der Tiere, FinalePaul Dukas: Der Zauberlehrling (Übernahme aus dem FANTASIA-Original)Sir Edward Elgar: Pomp and Circumstance, Märsche 1, 2 ,3 und 4Igor Strawinsky: Der Feuervogel - Version von 1919(Beim Abspann mündet Beethovens 5. Sinfonie in Elgars Pomp and Circumstance.)Natürlich war allen Beteiligten klar, dass auch beim neuen FANTASIA-Film die Musik dem Medium angepasst werden müsste. Wer also diesmal den absoluten Klassikerklang erwartet, wird wieder enttäuscht werden. Aber wenn Hollywood schon bei Romanverfilmungen - aus welchen dramaturgischen oder finanziellen Erwägungen heraus auch immer - mehr oder weniger gravierende Änderungen vornimmt, weshalb sollte dann bei der Umsetzung von Musik ins Bild eine andere Arbeitsweise gelten. Betrachtet man die für FANTASIA 2000 zur Filmmusik mutierten Klassiker in Verbindung mit den Bildern, so zeigt sich, dass durch die Synästhesie ein Synergieeffekt entsteht, der beim Betrachter das Wissen um die Veränderungen der Musik überlagert, wenn nicht gar verdrängt, weil Bild und Ton eine optimale Symbiose eingegangen sind. Um die Geduld des Publikums nicht zu strapazieren, hat man das Programm zudem auf schlanke 75 Minuten beschränkt.
Zur Verbindung der einzelnen Sequenzen hat man diesmal „Ansager“ eingesetzt, angefangen mit dem Komiker Steve Martin, über Bette Midler und Quincy Jones bis hin zu Angela Lansbury... und Micky Maus. Steve Martins witziger Einstieg mit einem endlosen Wortschwall wird dabei sogleich ad absurdum geführt, indem ihn die Kamera links liegen lässt, und ganz am Ende des Films, nach dem Abspann ist er noch einmal zu vernehmen, wenn er immer noch fragt, ob irgendwer da ist, der ihm zuhört. Den besten Verbindungsteil hat Micky Maus, der zunächst nach dem Zauberlehrling wie im Original mit Dirigent Leopold Stokowski spricht, dann zu James Levine, dem Dirigenten einiger der neuen Sequenzen, läuft und ihm eröffnet, dass Donald Duck für seinen Auftritt noch nicht bereit sei. Danach hört man Micky in allen Ecken und Enden des Kinos Türen aufreißen, bis er endlich Donald beim Baden findet und zu seinem Auftritt in Elgars „Pomp and Circumstance“ abholt.Die musikalischen InterpretationenMit Beethovens Fünfter beginnt der Film: eine Mischung aus Abstraktion und Konkretion. Lichtsäulen, die aus Wolken hervorbrechen, zaubern eine Menge abstrakt-bunter Schmetterlinge hervor, die in Wirklichkeit nur bewegte Dreiecke in leuchtenden Farben sind. Die bunte Vielfalt wird allmählich von erdrückend düsteren schwarz-roten Dreiecken bedroht, ehe der Farbenrausch des Lebens, von neuerlichen Lichtblitzen unterstützt, siegt.
Die Pinien von Rom inspirierten die Trickzeichner zu etwas völlig anderem. Respighis Musik wird illustriert von einem Paar majestätisch durchs Polarmeer schwimmender Blauwale und ihres Kindes. Je mehr sich die Musik steigert, desto mehr heben die Wale ab und beginnen schließlich anmutig zu fliegen. Dann wird das fliegende Walkind von einem Möwenschwarm angegriffen, entkommt in einem Eisberg und steigt in einer Lichtsäule auf zu seinen fliegenden Eltern, die alsbald eine ganze Walherde im Flug durch die Wolken ins Weltall führen. Eine überraschende und doch anrührende Neuinterpretation der „Pinien von Rom“, die allenfalls noch in Form riesiger Eisnadeln im Innern des Eisbergs in Erscheinung treten.Die „Rhapsody in Blue“ verwendet den grafisch flotten Zeichenstil des Karikaturisten Al Hirschfeld und webt daraus einen Tag in New York, an dem die sich überschneidenden Geschichten von vier Hauptfiguren in einer Schlussapotheose glücklich enden. Dieser Teil ist mit so viel Detailliebe und Witz inszeniert, dass, nicht zuletzt dank Gershwins Musik, eine rasante Miniatur entsteht, die das Lebensgefühl der 30er Jahre sinnfällig macht.Schostakowitschs Klavierkonzert Nr. 2 wird zum treibenden Moment in der Geschichte vom standhaften Zinnsoldaten. Diese Märchenbearbeitung steht, auch in der Verwendung der klassischen Musik, in der Tradition von Disneys „Silly Symphonies“. Sie bringt die Geschichte von Liebe, Bedrohung und Erlösung auf naive und doch wirkungsvolle Weise in Bild und Ton zur Darstellung.
Das Finale von Saint-Saëns „Karneval der Tiere“ wird wie „Der Tanz der Stunden“ zu einer absolut rasanten, komischen Ballettnummer. Fünf orangerote Flamingos stelzen tanzend durch bonbonfarbenes Wasser. Plötzlich kommt ein pinkfarbener Flamingo dazu, der eine Vorliebe für ein Jo-Jo hat und mit diesem Spielzeug für gehörigen Wirbel sorgt. Diese komische Nummer ist ein Gegengewicht zum zuvor gezeigten, fast zu niedlichen Märchen.Paul Dukas „Zauberlehrling“ bringt Micky Maus auf die Leinwand. Der Klassiker der Ur-Version von FANTASIA wurde für diese Fassung noch einmal restauriert. Es ist schade, dass man ihn wie in einem Fernseher ins Filmbild einkopiert hat, so dass auf der Breitleinwand nicht nur rechts und links schwarze Streifen zu sehen sind, sondern auch oben und unten. Nichtsdestotrotz hat dieser Film über die Jahrzehnte nichts von seiner Dramatik und seinem Witz verloren. Bemerkenswert, dass man bei der Restaurierung einen langen Kratzer auf dem Film falsch eingefärbt hat, und dass bei der an das Musikstück anschließenden Begegnung Mickys mit Dirigent Stokowski der ursprünglich Technicolor-rote Hintergrund arg blass wirkt. Elgars Märsche des „Pomp and Circumstance“-Zyklus werden zum Hintergrund der Geschichte der Arche Noah gemacht. Kein Geringerer als Donald Duck ist der Verwalter, der dafür sorgt, dass je zwei Tiere einer jeden Art einchecken. Komische Situationen ergeben sich aus dem ständigen Verfehlen von Donald und Daisy, bis Donald nach der Sintflut beim Auskehren des Schiffes doch wieder auf sie trifft.Zum Abschluss gibt es mit Strawinskys „Feuervogel“ die Umsetzung des Motivs vom Werden, Vergehen und von Neugeburt, das in Variationen in allen sieben Geschichten vorhanden ist. Ein Hirsch und eine Elfe bringen der Welt den Frühling. Aber als die Elfe versehentlich den Feuervogel weckt, versinkt alles in Glut und Asche. Der Hirsch atmet der Elfe neuen Odem ein, und diese erweckt die Natur erneut zum Leben. Das wirkt zwar alles ein wenig gewollt und bombastisch, ist aber in so atemberaubender Flugbewegung gestaltet, dass man sich auch von diesem Stück beschwingen lässt.
Pädagogische Handreichungen?Das Dilemma von FANTASIA 2000 ist, dass der Film zwar unterhaltsam, sowie optisch und akustisch opulent ist, dass er aber eigentlich kein klar definierbares Zielpublikum hat. Vielleicht war das auch schon das Problem des Originals. Um die Kinoauswertung abzusichern, hat man bei Disney zum Film Begleitmaterial für die Schulen zusammengestellt. Zwei so genannte „Unterrichtspraktische Handreichungen“ werden angeboten, zum Thema Erzählen und zur Musik. In beiden Handreichungen wird betont, dass ein Besuch des Films für das Verständnis der Aufgaben nicht erforderlich ist. Dennoch wird natürlich immer wieder auf den Film Bezug genommen, schließlich ist er der Ausgangspunkt des Materials. Das Arbeitsheft zum Erzählen und zu Film und Informationszeitalter gibt zwar einige nützliche Anregungen, disqualifiziert sich in seinen Informationen aber selbst, da es üble Fehler enthält. Übel deshalb, weil die Verfasser des Materials (oder dessen Übersetzer?) offenbar nicht einmal die Geschichte ihres eigenen Studios kennen. Da wird zum Beispiel auf Seite 12 behauptet: „Walt Disneys Micky Maus hatte sein Debüt im ersten Film, der mit einer Mehr-Ebenen-Kamera gedreht wurde.“ Das ist blanker Unsinn. Der erste Micky-Maus-Film zeichnete sich dadurch aus, dass er der erste Zeichentrick-Tonfilm war. Die Mehr-Ebenen-Kamera wurde erstmals neun Jahre später bei dem Silly Symphony-Film „The Old Mill“ eingesetzt.Auch das Begleitheft zur Musik dürfte für so manche hochgezogenen Augenbrauen sorgen. Da heißt es etwa auf Seite 10: „Beschreiben Sie, wie sich das Motiv aus einer rhythmischen Idee (dadadaDAMM) und einer Folge von Tonhöhen (drei G und ein E Moll) zusammensetzt.
Spielen Sie es Ihren Schülern vor und lassen Sie es singen.“Mit einem dadadaDAMM ist das Motiv der 5. Sinfonie zwar beschrieben. Das dadadaDAMM wird bekanntlich wiederholt, aber um einen Ton tiefer. Aus den Unterschieden zwischen dem ersten und zweiten dadadaDAMM ergibt sich sodann eine Spannung, auf der die 5. Sinfonie aufbaut. Und was soll der Hinweis auf die Tonhöhen G und E Moll? E Moll ist bekanntlich kein Ton, sondern eine Tonart. Vermutlich hat der Übersetzer e flat (es) mit e minor (e-Moll) verwechselt.Solche Ungereimtheiten scheinen öfter auf. So wird etwa auf Seite 21 definiert, dass ein Dreiklang aus drei Tönen besteht, und dass das Intervall zwischen den Tönen eine Terz ist. Als Beispiel wird der Dreiklang auf A angegeben: A, C, E. Das ist zwar richtig, aber didaktisch schwach. Normalerweise beginnt man die Erklärung des Dreiklangs mit jenem auf dem Grundton C, weil der, anders als A-C-E, ein Dur-Dreiklang ist. Der Dur-Dreiklang auf A wäre aber A-Cis-E, was die Definition schon wieder erklärungsbedürftig macht. (Wo ist die kleine, wo die große Terz?)So sinnvoll es ist, FANTASIA 2000 zu nutzen, um den Musiklehrern Material zur Belebung des Unterrichts an die Hand zu geben, so sinnvoll wäre es gewesen, sich vor der Veröffentlichung des Materials mit den deutschen Lehrplänen im Fach Musik auseinander zu setzen. Dann wäre man vielleicht auf die Idee gekommen, dass es auch ein paar deutsche Lehrbücher als Lektüreempfehlung gegeben hätte, oder dass man für die Auseinandersetzung mit Texten im Deutschunterricht nicht einfach Bücher mit amerikanischen Kinderreimen verwenden kann.
Das pädagogische Brimborium, mit dem man den Filmstart von FANTASIA 2000 begleitete, ist sicher gut gemeint, aber für deutsche Verhältnisse unzulänglich. Wenn man sich schon die Mühe macht, eine Handreichung für Pädagogen als Werbegag für den Film herauszubringen, dann hätte man vielleicht etwas mehr Zeit und Geld für die Bearbeitung aufwenden sollen. In der vorliegenden Form bleibt es allenfalls eine Fußnote in Moll zu einem Film, bei dem man angenehm in Dur-Harmonie und -Laune versetzt werden und genießerisch entspannen kann.
kolumne
Hans-Dieter Kübler: Begrenzt wahrhaftig: die Erweiterung der Medientheorie
Grenzbe- wie auch -überschreitungen gehören zum Geschäft des Journalismus: Interessen und Vorteilsnahmen müssen entlarvt, öffentliche Geheimnistuereien aufgedeckt werden, die Privatsphäre bleibt selten tabu, Anstand und Geschmack gehen vor vermarktbarer Sensation und voyeuristischer Präsentation in die Knie. Hin und wieder müssen Gesetze strapaziert werden, zumal wenn sie recht parteiisch sind oder so ausgelegt werden. Auch die vermeintlich sakrosankte Barriere zwischen Wahrheit und Täuschung, zwischen Fakten und Fiction wird nicht selten überschritten. Ganze Litaneien solch journalistischer Verfehlungen und Skandale lassen sich deklamieren.Nun also ein neuer Fall, der des Klatschjournalisten Tom Kummer, der Interviews mit Hollywood-Stars wie Brad Pitt, Kim Basinger oder Sharon Stone sich ausgedacht oder von Büchern abgeschrieben hat. Ausgerechnet der „Focus“, dem selbst schon etliche Inkorrektheiten und Nachlässigkeiten angekreidet wurden, ‘deckte’ Mitte Mai Kummers Machenschaften auf. Postwendend grämen sich wieder die bestellten Tugendwächter im Journalismus um Glaubwürdigkeit und Wahrheit in der Journaille, aber in etlichen Kommentaren mischt sich auch die übliche Häme drunter. Dabei hat Kummer nicht nur das angeprangerte „SZ-Magazin“, beliefert. Doch unisono fiel die Branche über die „Süddeutsche“ her – womöglich weil sie in den jüngsten politischen Skandalen hartnäckige und findige Spürnase war und damit Meinungsmacht gewann? Jedenfalls gaben sich „SZ“ und „SZ-Magazin“ sogleich schuldbewußt, schassten die beiden Chef-Redakteure und entschuldigten sich bei den Lesern, die angeblich betrogen worden seien.Freilich, noch kurz zuvor hatte einer der Chefredakteure des „SZ-Magazins“, Christian Kämmerling, - wie eine von der SZ-Medien-Redaktion eilends, über zwei Seiten der Wochenendausgabe publizierte Dokumentation über den “Casus Kummer” (27. Mai 2000) anführt - just das „Ausloten der Grenzen“ zum publizistischen Motto des Magazins erklärt.
Und alle, die Kummers Wirken in den 80er Jahren beim Lifestyle-Magazin „Tempo“ oder seit Anfang der 90er sein undurchsichtiges Treiben in L.A. kannten, wussten, dass bei ihm nicht alles koscher war. Selbst sein 1997 bei dtv erschienenes Buch „Good Morning, L.A.“, das der Verlag unumwunden als „Panoptikum des medialen Selbst- und Publikumsbetrugs, der Informationssucht in pathologischer Form und Abgründen“ anpreist, enthält sogar Regeln zur „Steigerung journalistischer Effektivität“.Unbeirrt steht daher Tom Kummer zu seinen Usancen: „Mir ging es immer darum“, räsoniert er im „Spiegel“ (21/2000), „die Definition, was Realität ist und was Fiktion, in Frage zu stellen. Wenn ich schreibe, beginnt eine Implosion des Realen. Das ‘SZ-Magazin’ hat mir die Möglichkeiten gegeben, diesen Borderline-Journalismus zu betreiben. Ich wollte die Medientheorie erweitern und dem Magazin Schillerndes abliefern.“ Soviel Selbstbewusstsein und Theoriemächtigkeit sind neu (sofern die Zitate stimmen, was man ja auch nicht genau weiß), wo sonst das mea culpa ansteht. Eine gewisse Klasse kann man Kummers Argumenten jedenfalls nicht absprechen, halten sie doch kongenial mit kuranten poststrukturalistischen Medien- und Realitätstheorien mit. Wahrheit und Wirklichkeit, so tönt es allenthalben: wer kann sie angesichts des medialen Dauerbombardements noch unterscheiden? Intern mokiert sich die Branche schon lange darüber und spielt damit, Marketing und Quoten fest im Blick.
Nur zugeben darf es keiner. Stattdessen wird die Fahne der journalistischen Glaubwürdigkeit hochgehalten.Und am nächsten Tag? Vergessen sind die Tugenden! Ständig werden vielmehr einschlägige Formate entwickelt: Reality-TV, Doku-Soaps, VIP-Porträts, Live-Reportagen und Katastrophen-Hunting bis hin zum Voyeur-Fernsehen à la Big Brother – sie alle manipulieren Wahrheit und Wirklichkeit.Und auch die Interviewten oder Prominenten mimen mit im dubiosen Spiel, nutzen es als wohlfeiles Vehikel für ihre Selbstinszenierung. Selbst vermeintlich seriöse Interviews wie die hoch geschätzten im „Spiegel“ werden nach langen, formlosen Gesprächen kollagiert und nachträglich mit den berühmt provokatorischen Fragen versehen, wie kürzlich ein renommierter Jurist aus eigener Erfahrung verriet. Dagegen angehen? Was helfen Gegenmaßnahmen, wenn die Sache längst publiziert ist?Sind wir Leser also von Kummer betrogen worden? Kaum mehr als sonst! Was wäre anders gewesen, wenn er die Stars hätte unmittelbar befragen dürfen: nach vorheriger Abklärung und anwaltlicher Überprüfung der Fragen, mit vorgestanzten Sätzen aus den VIP-Agenturen oder nachträglicher Redaktion durch die persönlichen Agenten?Nein, betrogen worden sind die Redaktionen, die glaubten absatzsteigernde Promi-Ware zu bekommen, und nun von Kummer reingelegt wurden. Deshalb die Aufschreie und die Entrüstung! Für 6000 Mark – und die über Jahre konstant – kriegt man nun mal nicht mehr, kontert Kummer lässig: „Üblicherweise wird für Interviews solchen Zuschnitts ein Vielfaches gezahlt.“ Wer Schnäppchen einkaufen will, muss mitunter mit unsauberer Ware vorliebnehmen.
Beitrag aus Heft »2000/04: Jugend und Medien«
Autor: Hans-Dieter Kübler
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