Prof. Dr. Margrit Lenssen
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- Michael Gurt, Birgit Guth und Margrit Lenssen: Geld spielt auch eine Rolle
Michael Gurt, Birgit Guth und Margrit Lenssen: Geld spielt auch eine Rolle
Das Kinderprogramm von ZDF und SUPER RTL hat zurzeit mindestens eine Gemeinsamkeit, da in beiden Sendern Wikinger gerade die großen Stars sind: „Wickie und die starken Männer“ im ZDF, bei SUPER RTL „DreamWorks Dragons – Die Wächter von Berk“. Erfolgreich sind sie für die Sender dann, wenn sie gute Einschaltquoten erzielen und sich auch darüber hinaus gut vermarkten lassen.
Michael Gurt hat in einer gemeinsamen Runde mit Birgit Guth (SUPER RTL) und Margrit Lenssen (ZDF) über die Möglichkeiten und Vorstellungen der Sender zu Werbung und Vermarktung im Rahmen von Kinderfernsehen diskutiert.
Beitrag aus Heft »2014/04: Jugend – Medien – Kommerzialisierung«
Autor: Margrit Lenssen
Beitrag als PDF - Margrit Lenssen: Was hat Medienpädagogik mit dem wahren Leben zu tun?
Margrit Lenssen: Was hat Medienpädagogik mit dem wahren Leben zu tun?
Kinder und Medien, das lesen wir nun schon seit 20 Jahren, das ist eine Super-Symbiose. Das passt zusammen wie Fernseher und Fernbedienung, wie Nin und tendo. Die Konsum-Kids wachsen in der Medien- und Merchandising-Welt auf, da muss man einfach sehen, dass wir das mit der Medienkompetenz gut hinkriegen.
Klar, ich weiß, medienpädagogisches Handeln ist immer eine Gratwanderung zwischen Autonomiegewährung und Verantwortungsübernahme. Als gut geschulte Medienpädagogin weiß ich ebenfalls, dass das Medienhandeln der Kinder schon hochkompetent ist. Sie kennen sich einfach besser aus mit Maschendrahtzäunen. Ich sehe das, nur manchmal fällt es mir nicht leicht, mich an allen Ecken und Enden immer wieder mit den mehr oder weniger erfreulichen Anmutungen der Medien- und Konsumwelt auseinanderzusetzen.
Nur kleine Beispiele vom Alltag mit drei medienmündigen Kindern: Das Aufstehen am Morgen ist ganz harmlos. Uns weckt der Radiowecker. Die Töne der A-Teens „Super Trooper“ begleiten die Kinder aus dem Haus raus und in die Schule.Nach der Schule rücken die Medien näher. Die Tochter (11 Jahre) kommt mit ihrer Freundin als erste nach Hause. „Kannst du uns mal sagen, wer die Freundin von Kai ist und mit wem sich Flo verkracht hat?“ „Ich, nee kann ich nicht sagen, wer ist überhaupt Kai, ich kenn’ keinen Kai und schon gar nicht seine Freundin.“ „Du hast ja keine Ahnung!“ Da war ebensoviel Vorwurf wie Mitleid in der Stimme. „Nee“. Hab’ ich auch nicht, immerhin kriege ich mit, dass das Taschengeld zum ersten Mal in einem Rätselheft von GZSZ angelegt wurde. Als Hauptpreis winkt eine leibhaftige Komparsenrolle in der leibhaftigen Soap, mit all den leibhaftigen Stars.
Na gut, das Kind kommt grade in die Pubertät, da braucht man solche weiblichen Rollenvorbilder, wie sie GZSZ zeigt. Klar, weiß ich doch. Die sind da auch total tolerant den Schwulen gegenüber und alle Mädels sind so hip. Wer die nicht gut findet, ist in der Klasse sowieso unten durch.Szenenwechsel. Nachmittags gehe ich mit meinem Sohn (12) in die Stadt, er will unbedingt das Geldgeschenk seines Paten in richtige Ware umsetzen. An was er so gedacht hat? „An Bettwäsche“. „Bettwäsche?“ Eher ungewöhnlich. Aber ich lass mich belehren, wahrscheinlich habe ich wieder einen Trend verpasst. Endlich am richtigen Regal stehend wird mir Ignorantin gezeigt, dass es da die geilsten Dinge gibt. Ach so, Fan-Bettwäsche war gemeint. Aber natürlich ist nur eine Bettwäsche die wahre – die vom FC Bayern.
Hi- Hi- Hilfe! Nicht dass ich etwas gegen diesen Verein hätte. Seit der ersten Grundschulklasse meiner Kinder weiß ich, dass die erste Frage der Kinder untereinander nicht lautet „Wie heißt du“, sondern „Von was bist du Fan?“ So, liebe PädagogInnen, steckt man Claims ab.Fies und total un-medienpädagogisch ist dann wohl mein dezenter Hinweis, dass mein Sohn bei Kauf dieser coolen Bettwäsche allerdings sein Bett immer selbst beziehen müsse, da ich diesen Bettwäscheanblick nur schwer ertragen könne. Das lässt den Sohn nachdenklich werden, ob dieser Preis nicht doch zu hoch ist für das Gefühl, nahe bei seinem Club zu schlafen. Er zuckt erstmal zurück.Abends kommt der Jüngste (8) vom Kindergeburtstag zurück. Man war gemeinsam im Kino – „Star Wars“. Eierlaufen ist out, so lautet wortwörtlich die Werbung für’s Kino und die müssen es schließlich wissen mit ihrer jahrelangen und einfühlsamen Kindergeburtstag-Erfahrung.
Endlich hat der Jüngste etwas, mit dem er imponieren kann, wenigstens für einen Abend. Vorm Einschlafen ist er kurzfristig der King bei seinem älteren Bruder. Denn flugs hat er sich ein paar Bilder von Obi-Wan Kenobi und Darth Maul und Kumpane an die Tür gehängt und erklärt seinem größeren Bruder, wer wer ist und wie man die Namen ausspricht. Ja, wieder was gelernt: die Medien haben dem Kleinen geholfen, dem großen Bruder mal so richtig zu zeigen, wer Ahnung hat. Wissen ist Macht und es macht nichts, woher man das Wissen hat. Tagtäglich werde ich darauf gestoßen, wie wichtig diese Medienbeiträge für die Entwicklung des Selbstbewußtseins und überhaupt alles im Kindesalter sind.
Vielleicht zweifle ich ja nicht, aber ehrlich, muss es denn gleich so geballt kommen mit diesem kompetenten Surfen durch die Medienwelt und das fast an jedem Tag. Wann, so frage ich mich, wann darf ich mal aufjaulen, ohne den Kindern die Verantwortung für das Medienhandeln aus der Hand zu nehmen und sie auf ewig zur Unmündigkeit zu verdammen? Da sei doch die kleine Nachfrage erlaubt, ob...?
Morgen, morgen bin ich wieder verständnisvoll. Dann höre ich mir „Wadde hadde dudde da“ zwanzigmal an.