Monika Herrmann-Schiel
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Monika Herrmann-Schiel: Auch Fernsehen kann man lernen!
Wenn im Kindergarten mal wieder Chaos herrscht und alles drunter und drüber geht, dann ist meistens Montagmorgen. Viele Erzieherinnen klagen darüber, dass die Kinder nach dem Wochenende unruhig, unkonzentriert und voller Bewegungsdrang sind. Manche haben dafür nur eine Erklärung: Das Fernsehen ist schuld! Die Flimmerkiste hat den Kleinen den Kopf verdreht. „Zum Glück ist die Tagesstätte fernsehfreie Zone“, stellen diese Kindergärtnerin erleichtert fest.Für sie muss es gerade zu provokant wirken, wenn die vom KI.KA, dem ZDF, dem NDR, der Vertretung der Katholischen Kirche beim ZDF und dem Rundfunkbeauftragten der Evangelischen Kirche gestartete Medieninitiative dazu aufruft, die „Glotze“ mitten hinein in die Kindergärten zu holen und ins Zentrum medienpädagogischer Projekte zu stellen. Statt das Medium zu verteufeln, sollen die PädagogInnen Kindern und Eltern zeigen, wie man das Angebot sinnvoll nutzt. Schließlich ist Fernsehen nach dem Spielen im Haus die wichtigste Aktivität der Vorschulkinder, wie die von der ARD/ZDF Medienkommission und dem KI.KA in Auftrag gegebene Studie Kinder und Medien 2003 ermittelte. Der Untersuchung zufolge sehen 64 Prozent der Vorschulkinder täglich oder fast täglich fern1. Umso wichtiger ist es, sie in der richtigen Nutzung des Mediums zu schulen. Dabei reicht es nicht aus, über Fernsehen zu reden, denn nur die Übung macht den Meister. Folgerichtig muss das TV-Gerät Einzug in die Kita halten. Deshalb gibt es in dem von Claudia Egenolf und Sabine Müller erstellten Handbuch des KIKA Medienpakets nicht nur jede Menge Tipps für Eltern- und Gruppenarbeit, sondern auch Infos, wie man günstig ein Fernsehgerät und einen Videorekorder bekommt.
Beides benötigt man, um die zum Medienpaket gehörenden Videos mit Episoden aus der Sesamstraße, den Teletubbies und Siebenstein zu nutzen. Die Autorinnen haben mit fünf Kindergärten Projekte zu fünf Themenkreisen erarbeitet, bei denen diese Fernsehfilme gezielt eingesetzt werden. „Wir freuen uns, dass wir dafür keine Lizenzgebühren bezahlen mussten“, berichtet Sebastian Debertin von KIKA. Für 20 Euro, die gerade die Selbstkosten decken, verkauft die „Matthias“-Film GmbH (www.matthias-film.de) in Stuttgart die Videokassetten. Doch die Nachfrage ist gering. Weniger als 200 Kassetten wurden im letzten Jahr verkauft. In Zeiten knappen Geldes sind eben auch 20 Euro ein Posten, der ins Gewicht fällt. Außerdem wirkt die Vorstellung, mit den Kindern in der Tagesstätte fernzusehen, wohl doch etwas abschreckend auf die PädagogInnen. Im Gegensatz dazu steht die Nutzung des kostenfrei im Internet angebotenen 138 Seiten umfassenden Handbuchs (www.medienpaket.kika.de). Rund 1000 Interessierte besuchen die Seite jeden Monat und jeder zweite holt sich das Angebot auf den eigenen Rechner. Offensichtlich besteht großer Informationsbedarf. „Wir haben festgestellt, dass es so gut wie kein Material für die praktische Fernseharbeit in Kindergarten und Grundschule gibt. Die Leute brauchen Hilfestellung“, erläutert Sebastian Debertin. Und die bietet das Medienpaket. Die einzelnen Projekte sind praxisnah ausgearbeitet und geben auch konkrete Anleitungen zur Gestaltung von Elternabenden. Die sind wichtig, denn manche Eltern hören es gar nicht gern, dass ihr Kind jetzt im Kindergarten fernsieht.Dass Medienkompetenz bereits im Vorschulalter erworben werden sollte, propagiert man auch beim KI.KA-Konkurrenten Super RTL. Der Privatsender erstellt zurzeit ein eigenes medienpädagogisches Angebot für Kindergärten und Grundschulen. Die Medienpädagogin und Erzieherin Nora Fleckenstein arbeitet an einem Paket, das jedoch ohne echtes Fernsehgerät auskommt.
Die Kindergarten Box, so der Arbeitstitel, beschränkt sich auf klassisches, vertrautes Material. Sie enthält einen Papp-Fernseher, Anleitungen zum Bau eines Daumenkinos und einer Camera obscura, einen kleinen Toggolino-Stier in Form einer Handspielpuppe und viele Bastelanleitungen, die Figuren aus den Vorschulprogrammen von Super RTL zeigen wie zum Beispiel Bob den Baumeister, die Koala Brüder oder Barney. Die Materialien wurden in Zusammenarbeit mit Kindergärten erprobt und weiter entwickelt. Das Frankfurter Filmmuseum steuerte medienpädagogisches Begleitmaterial in Form von Bastelvorlagen für die „Camera Obscura“ und die „Wundertrommel“ bei. All das soll den Kindern helfen, die Medienwelt besser zu verstehen. „Auch mit einfachen Mitteln kann man Kindern Medienwissen vermitteln“, erklärt Nora Fleckenstein. Bei ihrer Arbeit in den Kindergärten muss sie mit Vorurteilen kämpfen, denn der Sender hat bei ihren Kollegen ein schlechtes Image. Das Medienpaket aus Köln, das in diesem Jahr fertig gestellt werden soll, will daran natürlich einiges ändern und den Erziehern und Erzieherinnen einen Einblick in die Vorschulangebote von Super RTL bieten.Stolz ist man in Köln auch auf die Zusammenarbeit mit dem „Prix Jeunesse“.
Mit einem „Koffer“, der ausgezeichnete Produktionen enthält, wirbt der renommierte, alle zwei Jahre in München vergebene internationale Kinderfernsehpreis seit Jahren für bessere Programme bei Redakteuren und Produzenten in der ganzen Welt. Jetzt hat man in der Münchner Zentrale einen Koffer für Kids zusammengestellt. Super RTL zeigte seinen Inhalt am 10. Dezember 2004 erstmals in Deutschland. Acht Kölner Schulkassen sahen die 36 von der Münchner Kinderjury synchronisierten Beiträge. Anschließend wählten die Viertklässler ihren Favoriten. Der Medienkoffer, der auch die Völkerverständigung fördert, kann von interessierten Schulen und Verbänden beim „Prix Jeunesse“ angefordert werden.Regisseur Dominik Graf beklagte vor kurzem, dass die Bundesrepublik zu einer „Gesellschaft von visuell-intellektuellen Analphabeten“ geworden sei. Medienschulung ist wichtiger denn je. Deshalb ist es erfreulich, dass die Kindersender in Deutschland sich um die Medienkompetenz ihrer kleinen Zuschauer bemühen.
So unterschiedlich ihre Ansätze auch sind, die Grunderkenntnis ist immer die gleiche: Auch Fernsehen kann man lernen!
Anmerkung
1 Kinder und Medien 2003. Studie im Auftrag der ARD/ZDF Medienkommission und des KI.KA, durchgeführt von iconkids & youth / IFAK-Institut, Präsentation im März 2004, S.35