Hartmut Gieselmann
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- Hartmut Gieselmann: Virtuelle Stahlgewitter
Hartmut Gieselmann: Virtuelle Stahlgewitter
Die Kriegssimulation „Americas Army“, die von der US-Armee gezielt zur Rekrutenwerbung eingesetzt wird, hat die Diskussion um Militarismus und die Funktion von Computerspielen als virtuelle Kriegspropaganda neu entfacht. Realistische Kriegsszenarien erfreuen sich derzeit großer Beliebtheit, sei es nun der Zweite Weltkrieg oder die Jagd auf Terroristen. Neben „normalen“ Spielern und Hobbymilitaristen sind auch immer mehr Neo-Nazis bei den Online-Gefechten mit von der Partie.„Guten Morgen Rekrut, heute lernen sie den Umgang mit dem M16A2-Maschinengewehr, wodurch sie zur meist gefürchteten Kampfmaschine auf diesem Planeten werden: einem US-Army-Infanteristen.“ So beginnt die Ausbildung bei „Americas Army“, einem neuen Computerspiel, das die US-Armee ganz offiziell zur Rekrutenwerbung einsetzt und kostenlos über Spielezeitschriften und das Internet verteilt.
Das erste, was der Spieler zu lernen hat, ist Gehorsam. Er darf nur das tun, was die Regeln ihm erlauben und nur auf die Ziele schießen, die ihm befohlen werden. Bricht er die Regeln oder schießt auf Kameraden, landet er nach einer Verwarnung in der virtuellen Einzelzelle.„Americas Army“ ist ein so genannter Online-Shooter, bei dem zwei Parteien von bis zu 16 Mitspielern über das Internet gegeneinander kämpfen. Dabei gehört das jeweils eigene Team zur US-Armee, der jeweilige Gegner wird als Terrorist dargestellt. Bevor der Spieler jedoch an den Online-Kämpfen teilnehmen kann, muss er sich in diversen Trainingseinheiten als Ranger, Fallschirmspringer oder Scharfschütze qualifizieren. Die US-Armee registriert alle Spieler mit Usernamen und E-Mailadresse und speichert deren Fortschritte. Wer auf eigene Kameraden schießt oder im Chat Mitspieler beschimpft, wird von den offiziellen Servern ausgeschlossen.
Auch bei der virtuellen Armee herrscht Zucht und Ordnung.Das Spiel konzentriert sich auf die Gruppentaktik und die akkurate Simulation der Handfeuerwaffen. Erschießt man einen Gegner, setzt sich dieser nur hin. Pixelblut ist nicht zu sehen, weswegen das Spiel in den USA ab 13 Jahren freigegeben ist. Doch das Spiel zu beherrschen ist recht schwierig, was größtenteils an der akkuraten Techniksimulation liegt. Bei einem Scharfschützen bewegt sich etwa das Zielfernrohr im Atemrhythmus. Laut Werbung der Armee soll im Spiel alles genau so ablaufen, wie in der realen Ausbildung und bei den realen Einsätzen. „Americas Army“ ist also kein fiktives Spiel, sondern eine Simulation der Wirklichkeit mit dem Wahrheitsanspruch eines Dokumentarfilms. Dies mag auf die technischen Details zutreffen, die Darstellung der Opfer ist jedoch geschönt und präsentiert die Einsätze der US-Armee als sauberes, unblutiges Räuber-und-Gendarm-Spiel und zerstreut so jedwede kritischen Einwände gegen Kriegseinsätze...
( merz 2003/06, S. 360 - 365 )