2015/05: #partizipation
Welche Rolle spielen aktuell netzbasierte Medien für die politische Kommunikation, für Meinungsbildung, Engagement, Information und Partizipation? Welche Beteiligungsmöglichkeiten bietet das Netz, und wie werden sie genutzt? Entfalten sie eine Wirkung auf politische Entscheidungen? Wie können Partizipationsprozesse – ob von oben oder unten − konkret initiiert und gestaltet werden? Und welche Bedeutung kommt dabei neuen, internetgestützten Formen der Beteiligung zu? Ergänzt oder erweitert ePartizipation die Face-to-Face-Partizipation? Oder handelt es sich um ganz neue Formen von Protest, Bürgerbeteiligung oder Konsultation? Welche Werkzeuge gibt es – ganz praktisch – für die Gestaltung von ePartizipation?Dieses Fragenspektrum rund um ePartizipation umreißt den Kern von merz 5/15. Dabei geht es weder allein um die medienwissenschaftliche Einordnung, wie sich mit dem Internet politische Artikulation und Organisation ändern, noch allein um das praktische Know-how, wie Partizipationsprozesse erfolgreich gestaltet werden können. Beide Aspekte sind allerdings Voraussetzung, um zu verstehen, wie die Zielgruppen der Medienpädagogik mit politischen Partizipationschancen umgehen und welche neuen Chancen für pädagogisch-politisches Handeln, für Initiative und Aktivierung sich hier besonders durch netzgestützte Medien auftun. Die Ausgabe akzentuiert daher ein klares Statement: Demokratie stärken durch mediale Partizipation!
aktuell
Teresa Strebel: Jugendliche – aktivste und gefährdetste Nutzergruppe im Netz
Jugendliche sind mit den meisten Sicherheitsvorfällen konfrontiert und damit die gefährdetste Altersgruppe im Netz. Das zeigt der DsiN-Sicherheitsindex 2015 der Initiative Deutschland sicher im Netz e. V. (DsiN) und des Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz. Bundesweit sind die Sicherheitsvorfälle im Netz gegenüber 2014 zwar zurückgegangen, jedoch besteht ein enormes Sicherheitsgefälle zwischen den Verbrauchergruppen. Insbesondere bei Internetnutzenden zwischen 16 und 19 Jahren besteht ein erhöhtes Sicherheitsrisiko. Etwa 83 Prozent waren in den letzten zwölf Monaten von mindestens einem Sicherheitsvorfall betroffen, vor allem von unerwünschten bzw. infizierten Emails, Anhängen und Links: 30 Prozent überprüfen weder Email-Links noch Anhänge vor dem Öffnen; 28,6 Prozent surfen ohne Firewall-Schutz. Ein besonderes Risiko stellen Identitäts- und Datenklau dar: Jeder fünfte Jugendliche berichtet von unerwünschten Emails, die im eigenen Namen versandt wurden. 17 Prozent haben im Jahr 2015 negative Erfahrungen mit dem Missbrauch persönlicher Daten in Blogs, Foren und sozialen Netzwerken gemacht.
Im Vergleich besitzt diese Nutzergruppe zwar das höchste Bewusstsein für Online-Risiken, jedoch mangelt es oft an der Umsetzung dieses Sicherheitswissens. Knapp die Hälfte verzichtet auf regelmäßige Passwort-Wechsel (47 %) bzw. die Verwendung von Logout-Funktionen (40 %). Der DsiN-Sicherheitsindex 2015 differenziert zwischen vier Nutzertypen. Neben den jungen Internetnutzenden stellen die sogenannten Außenstehenden, meist ältere Menschen zwischen 60 und 69 Jahren, einen Nutzertyp mit hohen Gefährdung und geringster digitaler Sicherheit dar; sie umfassen aber nur acht Prozent aller Internetnutzenden. Bereits zum zweiten Mal bildet der DsiN-Sicherheitsindex 2015 die digitale Sicherheitslage der Internetnutzenden in Deutschland ab. Grundlage ist eine repräsentative Befragung von 2.010 Internetnutzenden durch TNS Infratest in Deutschland zu ihrem Bewusstsein für Internetrisiken sowie Sicherheitsvorfällen im Netz.
Cornelia Pläsken: Jugend-Medien-Studie 2015 aus Österreich
56 Prozent der Jugendlichen aus Oberösterreich laden mindestens einmal im Monat neue Apps herunter. Zu diesem Ergebnis kommt die Oberösterreichische Jugend-Medien-Studie 2015, die das Medienverhalten von Elf- bis 18-Jährigen, ihren Eltern und Lehrkräften aus der Unterstufe untersucht hat. An erster Stelle der Freizeitbeschäftigungen Jugendlicher steht demnach, sich mit Freundinnen bzw. Freunden zu treffen (78 %) – noch vor dem Fernsehen (76 %). Die Reglementierungen hinsichtlich der Mediennutzung differieren nach Medium: Das Radio dürfen 78 Prozent uneingeschränkt und fünf Prozent eingeschränkt benutzen, den Computer oder Laptop 60 Prozent uneingeschränkt und 34 Prozent eingeschränkt. Weiter gaben 63 Prozent der Jugendlichen an, dass sie nicht auf ihr Smartphone verzichten könnten. Digitale Lernprogramme werden von 53 Prozent innerhalb verschiedener Kontexte genutzt, 31 Prozent davon nutzen diese nur ungern.
Der Einbezug des Elternhauses ergab, dass 24 Prozent der Jugendlichen aus bildungsnahen Haushalten fast gar nicht fernsehen – im Vergleich zu fünf Prozent aus bildungsfernen Haushalten. 46 Pro- zent der Jugendlichen aus bildungsfernen und 27 Prozent aus bildungsnahen Haushalten sehen ein bis zwei Stunden am Tag fern. In 76 Prozent der Haushalte werden mindestens einmal wöchentlich mediale Erlebnisse und Themen seitens der Eltern angesprochen. Bei der Befragung der Lehrkräfte stimmte die Hälfte zu, dass digitale Schulbücher im Unterricht interessant seien. 49 Prozent hätten gerne oder sehr gerne mehr Informationen zum sicheren und nützlichen Umgang mit dem Internet. An der Studie haben 512 Jugendliche, 208 Eltern und 100 Lehrkräfte teilgenommen. Die Untersuchung wurde vom market Institut im Auftrag der Education Group durchgeführt. Die gesamte Studie ist online abrufbar.
Bernd Schorb: gratulation Wolfgang Brudny
Dr. Wolfgang Brudny, Mitgründer und Ehrenvorstand des JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis feierte am 25. August 2015 seinen 90. Geburtstag. Die Medienpädagogik hat Wolfgang Brudny während seines Lebens begleitet und er hat sie mit getragen. 1949 als Student bei Prof. Martin Keilhacker an der Universität München hat er den Arbeitskreis Jugend und Film e. V., die Keimzelle des heutigen JFF mit gegründet. Als ein Pionier medienpädagogischer Forschung war er in den folgenden Jahren an den Untersuchungen des Arbeitskreises zum ‚Filmerleben‘, wie Medienaneignung damals genannt wurde, beteiligt. Die Ergebnisse dieser Forschung schlugen sich 1953 nieder in seiner Dissertation mit dem Titel: „Das Kind zwischen Spielfilm und Schulfilm. Gestaltungsfragen des Unterrichtsfilms im Hinblick auf das außerschulische Filmerleben der Jugend“. Die fundierten Kenntnisse, die er sich hier erworben hatte, bestimmten seine weitere berufliche Laufbahn. Bis zu seiner Pensionierung im Jahre 1988 war Wolfgang Brudny am Institut für Film und Bild (FWU) in München bzw. Grünwald tätig.
Als Produktionsreferent für Jugend- und Erwachsenenbildung sind nicht zuletzt ihm die wegweisenden Unterrichtsfilme dieses Instituts zu verdanken. Seine Sach- und Fachkompetenz brachte er auch in seine Gutachtertätigkeit in den Gremien der Filmbewertungsstelle der Länder (FBW) und der Freiwilligen Selbstkontrolle (FSK) ein. Immer blieb Wolfgang Brudny dem JFF verbunden. Fast durchgängig seit der Gründung war er Mitglied des Vorstands, seit 1999 ist er dessen Ehrenmitglied. In dieser Zeit hat er aktiv die Entwicklung des JFF mit wertvollem Rat und zuverlässig in der Tat begleitet. Durch seine Beiträge in merz | medien + erziehung haben sein Wissen und seine Anregungen die Medienpädagogik in Deutschland bereichert. Das JFF und merz gratulieren Wolfgang Brudny herzlich. Wir wünschen uns, noch lange an seiner Expertise teilhaben zu dürfen.
Für den Vorstand des JFF e. V. und die Herausgeber von merz | medien + erziehung Prof. Dr. Bernd Schorb
Cornelia Pläsken: Jugendliche, Medien, Freundschaft
57 Prozent der Jugendlichen haben bereits mindestens eine neue Freundin bzw. einen neuen Freund online gefunden. Zu diesem Ergebnis kommt die repräsentative Studie Teens, Technology & Friendships, die vom Pew Research Center als zweiter von insgesamt drei Berichten zum Thema Jugendliche und ihr medialer Umgang im Kontext von Peers, Freundschaften und romantischen Beziehungen veröffentlicht wurde. Das Knüpfen von Freundschaften findet häufig in sozialen Medien (64 %) statt. 36 Prozent freunden sich innerhalb von netzwerkbasierten Videospielen an. Freundschaften entwickeln sich somit längst nicht mehr nur offline, sondern können auch online beginnen, gepflegt oder beendet werden. 55 Prozent verbringen täglich Zeit damit, Freundinnen und Freunden Online-Kurznachrichten zu schreiben.
Im Vergleich dazu nutzen 23 Prozent täglich soziale Netzwerke, um sich mit dem Freundeskreis auszutauschen. Das regelmäßige Verschicken von Nachrichten ist somit ein bedeutsamer Aspekt innerhalb von Freundschaften. 83 Prozent der jugendlichen Nutzerinnen und Nutzer sind der Meinung, dass sie durch soziale Netzwerke mehr Informationen über ihre Freundinnen und Freunde und deren Leben gewinnen können. Gleichzeitig stellen sie selbst klare Nachteile von sozialen Netzwerken heraus: 88 Prozent der Nutzenden beanstanden, dass andere Menschen dort zu viele Informationen über sich preisgeben. Auch beeinflussen soziale Netzwerke ihr Empfinden und Verhalten. 39 Prozent der jugendlichen Nutzenden verspüren einen gewissen Druck, nur Inhalte zu posten, durch die sie viele Likes und Kommentare erhalten könnten. Für die Studie wurden 1.060 Jugendliche im Alter von 13 bis 17 Jahren in den USA befragt. Thematisch fokussiert der Bericht die Bereiche Videospiele, Social Media und Handys in Bezug auf die Interaktion mit Freundinnen und Freunden. Die gesamten Studienergebnisse stehen online zum Download bereit.
Elisabeth Jäcklein-Kreis: stichwort Live-Streaming-Apps
Echt, echter, Live-Streaming. Wem Scripted Reality-Formate zu fiktiv sind und Facebook zu dezent ist, für den gibt es nun Hoffnung: Per Live-Streaming-App lässt sich das Leben der Anderen nicht nur in Text und Bild, sondern live und in Farbe beobachten. Die Smartphone-Kamera macht’s möglich, die beste Freundin oder den liebsten Feind, den begehrtesten Star oder die gelangweilte Nachbarin live zu begleiten, auf Schritt und Tritt. Viel braucht es dazu nicht: Man nehme ein Smartphone, installiere eine Live-Streaming-App wie Meerkat (der Vorreiter) oder Periscope (aus dem Hause Twitter) und los geht die Show. Senden kann dabei jede und jeder, es genügen eine aktivierte Kamera und ein kurzer Einleitungstext, schon wird das eigene Leben zur Reality-Show.
Noch einfacher hat es nur das Publikum: Einfach die App öffnen und kucken, wer so sendet. Über eine Synchronisation der Twitter-Kontakte kann man so alten Bekannten ins Wohnzimmer schauen oder aber nach berühmten, spannenden oder sonst interessanten Streams suchen. Bietet eine Live-Streamerin bzw. ein -Streamer nicht die gewünschte Aktion, kann sie bzw. er per Kommentar oder Chat angesprochen werden – etwa wenn der Bildausschnitt nicht zufriedenstellen wirkt. Ein Traum für Unzertrennliche oder Unersättliche, Stalker und Helikopter-Eltern – oder doch nur die ernüchternde Erkenntnis, dass anderer Leute Alltag auch kein Dauer-Adrenalin-Schock ist? Der Blick in die Periscope-Kanäle jedenfalls fördert deutlich mehr ‚Chillin‘ on the Couch‘-Streams als ‚Skydiving over the Niagara-Falls‘.
Beitrag aus Heft »2015/05: #partizipation«
Autor: Elisabeth Jäcklein-Kreis
Beitrag als PDFEinzelansichtCornelia Pläsken: Kinder und Onlinewerbung
Unter kinder-onlinewerbung.de können sich ab sofort Eltern und pädagogische Fachkräfte zum Internet und der darin enthaltenen Werbung informieren – um dann wiederum Kinder und Jugendliche zu einem kritischen Umgang mit Online-Werbung anzuregen. Die Webseite ist in zwei übergeordnete Bereiche gegliedert: Unter ‚Basiswissen‘, der sich an beiden Zielgruppen – Eltern und pädagogische Fachkräfte – richtet, finden sich Informationen und Handlungsvorschläge zum unbeabsichtigten Aufrufen von Webseiten, zur Verlockung des Warenkorbs, zum Umgang mit persönlichen Daten und überflutender Werbung, zu potenziellen Kostenfallen wie auch zu rechtlichen Grundlagen.
Im Bereich ‚Methoden‘ – vorrangig für pädagogische Fachkräfte konzipiert – ist neben methodischen Grundlagen, Links und Tipps auch ein Methodenbaukasten zu finden; übersichtlich nach Altersgruppe, Gruppengröße, Dauer, Ablauf und Zielsetzung strukturiert. Inhaltlich gehen die Methoden nicht nur auf Online-Werbung, sondern auch auf Werbung im Allgemeinen ein. Ergänzend zu der Webseite gibt es die Eltern-Broschüre Kinder und Onlinewerbung und das Familien-Spiel Verflixte Werbeklicks, die ebenfalls umfassende Ratgeber und Wegweiser im Online-Werbedschungel sind. Die Webseite ist ein Angebot der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen, das vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert und vom JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis durchgeführt wird.
Kati Struckmeyer: Kinder-Fotocommunity knipsclub ist wieder online
Spiel, Spaß und Informationen rund um Fotografie, all das gibt es für Kinder von acht bis zwölf Jahren auf knipsclub.de wieder zu entdecken. Nach einer längeren Umbaupause, in der der knipsclub ein neues Gewand und viele neue Funktionen erhalten hat, tummeln sich nun erneut zahlreiche fotobegeisterte Kinder in der Community und lernen dabei auch einiges über sicheres Verhalten im Internet. Der knipsclub bietet einen sicheren Rahmen, um erste Community-Erfahrungen zu sammeln, die später bei der Nutzung kommerzieller Communitys von Nutzen sind: Beispielsweise finden sich dort Informationen über das Recht am eigenen Bild und das Urheberrecht, aufbereitet in einfachen, verständlichen Trickfilmen, die von Kindern für Kinder produziert worden sind. Neu sind im knipsclub vereinfachte Abläufe, ein farbenfrohes Design sowie drei Fotospiele. Kinder können mit ihren Fotos puzzeln, Memo spielen und ihre visuelle Wahrnehmung schärfen, indem sie versuchen, auf Wimmelbildern versteckte Gegenstände zu finden.
Verantwortlich für den knipsclub ist das JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis, unterstützt vom Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
thema
Roland Bader & Jürgen Ertelt: ePartizipation - Medien für mehr Demokratie
Das Internet ändert die Spielregeln politischer Kommunikation
Aktuell erleben wir hautnah, wie neue internetbasierte Medien eine gewachsene Bedeutung in der politischen Kommunikation demonstrieren. Ob es das Foto eines dreijährigen Flüchtlingsjungen ist, das durch die sozialen Netzwerke geht und den britischen Premierminister Cameron zur Aufgabe seiner harten Haltung in der Flüchtlingspolitik bewegt, ob es die Initiative des Justizministers Maas gegen rechtspopulistische Hetze auf Facebook ist oder die gescheiterte Initiative des Generalbundesanwalts, ein Landesverratsverfahren gegen das Blog netzpolitik.org in Gang zu setzen – die Liste lässt sich beliebig verlängern. In allen Fällen geht es um politische Kommunikation, um politischen Druck und Entscheidungen, um Macht, um Grundrechte, um Agenda Setting auf vermintem Terrain und um den Kampf um die öffentliche Meinung. Und in allen Fällen spielen Internetmedien und Internetakteurinnen und -akteure eine entscheidende Rolle.
Das Internet hat die Bedingungen der politischen Kommunikation verändert. Wir wechseln hier in die Vergangenheitsform, denn wenn Twitter-Stürme und Facebook-Gruppen es fast täglich sogar in die Berichterstattung der Tagesschau (z. B. #thisisacoup oder #merkelstreichelt) schaffen, haben sie es schon zu relevanten Bezugsgrößen politischer Meinungsbildung gebracht. Soziale Netzwerke und weitere partizipationsorientierte Softwaretools haben den Rahmen für politische Information und politisches Handeln verändert, die Bedingungen für Themensetzungen, für Organisation und Artikulation. Sie bieten Akteurinnen und Akteuren neue, unter Umständen lautstarke Werkzeuge, um sich in politischen Auseinandersetzungen Gehör zu verschaffen, Protest zu formulieren und Druck auszuüben. Wir erleben das in Twitter-Stürmen und Facebook-Kampagnen: Sie verbreiten nicht nur Informationen, sondern lancieren Meinungen, werben für ihre Anliegen, oft wenig zimperlich und auf diffamierende Weise. Neue politische Akteurinnen und Akteure zur Koordination zivilgesellschaftlicher Protestbewegungen wie die Kampagnenplattformen Change.org oder Campact! sind erfolgreich auf den Plan getreten und haben die Rahmenbedingungen für die Organisation von Protest und Kampagnen verändert.
Die Piratenpartei hat mit der Software LiquidFeedback angestrebt, neue Verfahren für Diskussionen und demokratische Abstimmungen zu etablieren. Andere Parteien haben die Verfahren übernommen, variiert und bieten eigene Beteiligungsprojekte einer Liquid Democracy, um Meinungsbildung und -artikulation zu ermöglichen und Wege hin zur Entscheidungsbeteiligung zu eröffnen. Neue Kommunikationskanäle sind zu einem festen Bestandteil der politischen Information und Kommunikation mit großer Reichweite geworden oder, wie Pörksen (2015) es formuliert, zu einer ‚fünften Gewalt‘ neben der grundgesetzlich verankerten ‚vierten Gewalt‘ der Massenmedien. Welche neuen Chancen bietet diese ‚fünfte Gewalt‘ für wirksame ePartizipation?
Mit-reden, sich einbringen, mit-bestimmen?!
In zunehmend mehr Ländern der Welt ist es mit der Demokratie nicht zum Besten bestellt, und obwohl das Internet unseren Zugang zu Information verbessert hat, hat dies seit der Jahrtausendwende nicht unbedingt zu mehr Demokratien, mehr Freiheit, respektvollerer Kommunikation und weniger Gewalt geführt. Auch in Deutschland, das derzeit weltweit als Wunsch-Einwanderungsland gilt, sinkt die Zustimmung zum Staat und zur Politik in bedenklichem Ausmaß, erkennbar etwa an stetig sinkenden Wahlbeteiligungen und einer zunehmenden Entfremdung der Abgeordneten vom Leben. Und so ist das Bestreben von Politikerinnen und Politikern, die Zustimmung der Bevölkerung nicht nur zu einzelnen politischen Vorhaben, sondern zu Politik, Staat, repräsentativer Demokratie und Zivilgesellschaft durch das Angebot von Beteiligungsmöglichkeiten ganz allgemein zu verbessern, nur zu verständlich. Beteiligung von unten, initiiert und organisiert von oben, steht derzeit ganz oben im Trend. In deliberativen Verfahren soll im demokratischen Diskurs auf Augenhöhe die beste Lösung für ein Problem gefunden werden, meist auf kommunaler Ebene. Ob es darum geht, eine Wohnstraße mit Bäumen zu bepflanzen oder lieber den Parkraum auszuweiten, wie Neuntklässler im Zuge der Renaturierung eines Bachs am liebsten die Auen neu gestalten würden oder wofür Bürgerinnen und Bürger die letzten Euro ihrerkommunalen Kasse ausgeben würden, wenn sie zu entscheiden hätten – Bürgerinnen und Bürger engagieren sich und bringen sich partizipativ in ihre Kommune ein. Verwaltungsorganisatorisch gesprochen sind solche Bürgerbeteiligungen ‚Konsultationsverfahren‘, denn Bürgerinnen und Bürger haben die Expertise in Angelegenheiten, die sie selbst betreffen. Bürgerbeteiligung soll richten, was der Verwaltung und der kommunalen Politik allein nicht gelingen kann.
Weil jeder Vorschlag Gegnerinnen und Gegner auf den Plan ruft, vermeiden es Politikerinnen und Politiker gern, zu früh durch zu eindeutige Positionierung Gräben aufzureißen oder sich Feinde zu machen. Solche komplexen Prozesse bürgerschaftlicher Beteiligung verlangen Geduld, Fingerspitzengefühl und Überzeugungskraft – und verlaufen oft konflikthaft, weil verschiedene Akteurinnen und Akteure sowie Gruppen mit den unterschiedlichsten Interessen beteiligt sind. Macht, Informationen und Aufgaben sind ungleich verteilt, Ziele nicht konkret, Rahmenbedingungen unklar definiert und Akteurinnen und Akteure gelegentlich starrsinnig. Doch wer hat hier die Kontrolle? Können Bürgerinnen und Bürger in aufwendig inszenierten Beteiligungsverfahren wirklich mitentscheiden und Einfluss ausüben? Oft dienen engagierte Diskussionen nur dazu, bereits entschiedene Positionen zu rahmen. Solche Angebote – im Sinne einer vermeintlichen Förderung demokratischer Prozesse – replizieren oft bestehende Machtstrukturen, die aber erst auf den zweiten Blick ersichtlich werden. Die Qualität von Partizipationsverfahren muss sich nach Stufen und Kriterien transparent messen lassen, nicht jede Online-Befragung ist bereits eine Bürgerbeteiligung. Wiederholt wird Beteiligung mit Marktforschung verwechselt und repräsentative Beantwortung von Anliegen (ohne deren Problematik zu lösen) als erfüllte Beteiligung missverstanden. Interessenslagen der Einladenden und die Möglichkeiten des Zugangs zu Hintergrundinformationen zum Beteiligungsgegenstand sind oft nicht erkennbar. Noch zu entwickelnde Standards für gelingende und wirksame Partizipation sind eine Herausforderung, der sich auch die Medienpädagogik stellen sollte und ihre validen Erfahrungen einbringen kann.
Internet + Demokratie + Engagement = ePartizipation
Welche Rolle spielen aktuell netzbasierte Medien für die politische Kommunikation, für Meinungsbildung, Engagement, Information und Partizipation? Welche Beteiligungsmöglichkeiten bietet das Netz, und wie werden sie genutzt? Entfalten sie eine Wirkung auf politische Entscheidungen? Wie können Partizipationsprozesse – ob von oben oder von unten − konkret initiiert und gestaltet werden? Und welche Bedeutung kommt dabei neuen, internetgestützten Formen der Beteiligung zu? Ergänzt oder erweitert ePartizipation die Faceto- Face-Partizipation? Oder handelt es sich umganz neue Formen von Protest, Bürgerbeteiligung oder Konsultation? Welche Werkzeuge gibt es – ganz praktisch – für die Gestaltung von ePartizipation? Dieses Fragenspektrum rund um ePartizipation umreißt den Kern der Beiträge im Themenschwerpunkt dieses Hefts. Dabei geht es weder allein um die medienwissenschaftliche Einordnung, wie sich mit dem Internet politische Artikulation und Organisation ändern, noch allein um das praktische Know-how, wie Partizipationsprozesse erfolgreich gestaltet werden können. Beide Aspekte sind allerdings Voraussetzung, um zu verstehen, wie die Zielgruppen der Medienpädagogik mit politischen Partizipationschancen umgehen und welche neuen Chancen für pädagogisch-politisches Handeln, für Initiative und Aktivierung sich hier besonders durch netzgestützte Medien auftun. Bei ePartizipation – wie wir sie verstehen – geht es nicht um ein instrumentelles Verständnis von Medien, also sie so einzusetzen, dass vorab definierte Ziele erreicht werden. Medien verändern vielmehr auch immer die Bedingungen des Handelns, und darum strebt ePartizipation an, über die Möglichkeiten moderierter Gemeinwesensprozesse und bürgerschaftlichen Engagements auf kommunaler Ebene hinauszugreifen. ePartizipation strebt nach mehr Selbstbestimmung, mehr Selbstwirksamkeit, mehr Demokratie bei allen Beteiligten. Medienpädagogik gewinnt durch die Auseinandersetzung mit ePartizipation neben der Gruppenarbeit eine neue, sozialraumorientierte Handlungsform hinzu. Sie stärkt eine ihrer traditionellen Leitorientierungen, die in der Geschwindigkeit der immer neuen medialen Techniken gelegentlich verloren zu gehen droht: sich selbst als gesellschaftskritische politische Bildung zu begreifen.
Die vorliegende Ausgabe von merz akzentuiert daher ein klares Statement: Demokratie stärken durch mediale Partizipation. Einen Überblick über die internationale Forschung zum Thema ePartizipation gibt Ulrike Wagner in ihrem Beitrag. Der Fokus liegt auf Studien zur Mediennutzung mit dem Schwerpunkt politische Partizipation. Wagner arbeitet heraus, wie soziale Netzwerke durch ihr Potenzial zu Interaktion (Likes, Kommentare etc.) zu einer Verweisstruktur für Politikthemen geworden sind. Sie zeigt auf, dass Information und das Weiterleiten von Nachrichten jedoch nicht zwingend politische Partizipation bedeuten, vielmehr ist eine Differenzierung verschiedener Stufen und Formen partizipativen Medienhandelns zielführend. Internetmedien sind keine macht- und kontrollfreien Räume, auch wenn sie das gern suggerieren, deshalb sei die Betrachtung von Macht- und Kontrollgesichtspunkten notwendig. Ob die übers Internet besser zugängliche politische Information zu mehr Mündigkeit und mehr aktiver Beteiligung oder eher einem Anstieg an informationellem Junkfood und Überdruss der Nutzenden führt, ist Thema im Beitrag von Roland Bader. Er vereint dabei eine medienpädagogische Perspektive auf die Nutzenden und einen analytischen Blick auf die Veränderung der Medienlandschaft. Der Beitrag zeichnet die Veränderungen in der Informationslandschaft und den wachsenden Einfluss von Netzmedien auf die Meinungsbildung nach und geht auf die Medienaneignung besonders junger Menschen ein. Sechzehn Expertinnen und Experten diskutieren Chancen und Grenzen von ePartizipation für Demokratie und Zivilgesellschaft. Dabei steht der Austausch und Abgleich der in den jeweiligen Projekten gemachten Erfahrungen in der Gestaltung von ePartizipationsprozessen im Zentrum. Wo sind einzigartige Chancen der ePartizipation, wo sind Fallstricke und Risiken? Wie steht Offline- im Verhältnis zu Online-Beteiligung? Worauf kommt es bei der Gestaltung von ePartizipationsprozessen an? Und wie könnte ePartizipation in zehn Jahren aussehen? Die Diskussionsergebnisse werden zu zehn Thesen verdichtet.
Für die Diskussion wurden zwei Softwaretools genutzt. Über den Diskussionsprozess, die Vorgehensweise und die Erfahrungen berichtet und reflektiert Roland Bader. Jürgen Ertelt stellt Softwarewerkzeuge für unterschiedliche Anlässe der Zusammenarbeit und der Beteiligung vor und thematisiert den Kontext zu Open Data und Open Government. Er hebt dabei hervor, dass Zugänge, Medien und Software immer vom angelegten Verfahren und dessen fortschreitenden Prozess gedacht werden sollen – nicht andersrum. Kirsten Wohlfahrt, Christoph Bieber und Oliver Märker äußern sich im Gespräch mit Jürgen Ertelt zu der Frage, inwiefern ePartizipation demokratiefördernd sein kann. Rahmenbedingungen für erfolgversprechende ePartizipation werden herausgestellt, um echte Beteiligung von bloßem Schein unterscheiden zu können. In zehn Steckbriefen stellen ePartizipationsprojekte ihre Ansätze und Erfahrungen aus der Praxis vor. Sonja Breitwieser und Klaus Lutz beschreiben laut! dar – ein Nürnberger Projekt, um Jugendliche in ihrem politischen Engagement zu stärken und politikferne Jugendliche anzuregen, sich für ihre Interessen einzusetzen. Linnea Riensberg präsentiert Publixphere.net, das jungen Erwachsenen einen fairen öffentlichen Austausch über politische Ideen und Meinungen ermöglichen will. Jasmin-Marei Christen von Ichmache> Politik beteiligt junge Menschen an bundespolitischen Diskussionen und Prozessen und sorgt dafür, ihre Positionen und Ansichten wirksam einzubringen. Birger Hartnuß vom jugendforum rlp hat das Ziel, in einem landesweiten Beteiligungsprozess junge Menschen zu Zukunftsthemen der Landespolitik Rheinland-Pfalz einzubinden. Ganz Berlin ist eingeladen, sich mit Rouven Brües von Liquid Democracy e. V. an der Erstellung eines Entwicklung und Pflege-Plans (EPP) für das Tempelhofer Feld zu beteiligen.
Giesela Schubert schildert das Forschungs-Praxis-Projekt peer³ – fördern_vernetzen_qualifizieren des JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis, welches bundesweit modellhafte medienpädagogische Peer-to-Peer-Projekte unterstützt. Aus Platzgründen konnten leider nicht alle Steckbriefe der Praxisprojekte in dieser Ausgabe abgedruckt werden. Weitere Beiträge, die das Spektrum an Projektbeispielen beträchtlich erweitern, finden Sie online unter merz-zeitschrift.de: Mike Bourquin stellt den Beteiligungsprozess in der Verbandsgemeinde Offenbach an der Queich vor. Erik Flügge erörtert den Prozess der Beteiligung Jugendlicher bei Planung und Bau eines Jugendhauses in Biberach. Ann-Kathrin Fischer und Tim Schrock beschreiben Strukturierter Dialog des Deutschen Bundesjugendring, ein Projekt, um Jugendliche als eigenständige Akteurinnen und Akteure systematisch in politische Entscheidungen zu ausgewählten europäischen Themen einzubeziehen. Ulrich Tausend schildert Erfahrungen aus einem Minecraft-Workshop für Zwölf- und 13-Jährige zum Thema Stadtentwicklung.
Literatur:
Pörksen, Bernhard (2015). Die fünfte Gewalt. Die Macht der vernetzten Vielen. Vortrag auf der re:publica 2015. www.youtube.com/watch?v=EnM8TmIFTVc [Zugriff: 07.09.2015]
Beitrag aus Heft »2015/05: #partizipation«
Autor: Roland Bader, Jürgen Ertelt
Beitrag als PDFEinzelansichtUlrike Wagner: Heranwachsen in der Teilhabe-Kultur
Der einführende Beitrag gibt einen Überblick über den Stand der Forschung zu mediatisierten Beteiligungsformen, klärt den Begriff der Partizipation und geht speziell auf das mediale Handeln Jugendlicher im Kontext von politischer Partizipation ein. Abschließend werden übergreifende Herausforderungen für eine weiterführende Beschäftigung mit diesem Themenfeld skizziert.
Literatur:
Bennett, W. Lance/Freelon, Deen/Wells, Chris (2010). Changing Citizen Identity and the Rise of a Participatory Media Culture. In: Sherrod, Lonnie R./Torney-Purta, Judith/Flanagan, Constance A. (Hrsg.), Handbook of Research on Civic Engagement in Youth. New Jersey: John Wiley & Sons, S. 393–424.
Brüggen, Niels/Soßdorf, Anna (im Druck). Das neue Spiel nach Snowden – überwachte Medien als Grundlage von Partizipation?! In: Pöttinger, Ida/Fries, Rüdiger/Kalwar, Tanja (Hrsg.), Doing politics – politisch agieren in der digitalen Gesellschaft. München: kopaed.
Calmbach, Marc/Thomas, Peter Martin/Borchard, Inga/Flaig, Bodo (2012). Wie ticken Jugendliche? 2012: Lebenswelten von Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 Jahren in Deutschland. Düsseldorf: Verlag Haus Altenberg.
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Christl, Wolfie (2014). Kommerzielle digitale Überwachung im Alltag. Erfassung, Verknüpfung und Verwertung persönlicher Daten im Zeitalter von Big Data: Internationale Trends, Risiken und Herausforderungen anhand ausgewählter Problemfelder und Beispiele.studie im Auftrag der Bundesarbeiterkammer, Wien. www.crackedlabs.org/dl/Studie_Digitale_Ueberwachung.pdf [Zugriff: 07.09.2015].
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Roland Bader: Junk-Information oder Information Overload – mehr Mündigkeit durch mehr Information?
Das Internet hat unsere Informationsbasis in politischen Angelegenheiten erheblich verbreitert. Verbesserte Zugänge zu aktuelleren Nachrichten und mehr Meinungen führen offensichtlich nicht automatisch zu größerem Vertrauen in Staat und Politik und zu mehr Beteiligung an politischen Entscheidungen. Akteurinnen und Akteure interagieren im Internet auf vielfältige Weise mit herkömmlichen Printmedien und dem Fernsehen – und haben sich einen festen Platz in der Medienlandschaft erobert. Wie verändert sich dadurch die Medienlandschaft und beeinflusst Meinungsbildung, Information und Partizipation? Wie integrieren Menschen politische Informationen in ihre Mediengewohnheiten und wie nutzen sie Partizipationschancen? Welche Chancen bieten Online-Medien für Demokratie und Zivilgesellschaft?
Literatur:
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ePartizipation – mehr Chancen für (Medien-)Demokratie
Welche Chancen bieten ePartizipationsprozesse? Was sind die größten Herausforderungen und Hürden? Werden sie durch aktuelle Entwicklungen im Netz beeinträchtigt? Wie sieht die Zukunft von ePartizipation aus? Zu diesen Fragen haben 16 Expertinnen und Experten mit praktischen Erfahrungen in unterschiedlichen ePartizipationsprozessen mit Hilfe zweier ePartizipationstools Argumente verfasst, ihre Erfahrungen ausgetauscht und diskutiert. Das Verfahren war ein Mittelweg aus partizipationsorientiertem Argumentieren und internetgestützter Diskussion, ergänzt durch moderierende und redaktionelle Bearbeitung der entstandenen Texte. Im Ergebnis gibt die Diskussion einen Einblick in die aktuellen Erfahrungen von ePartizipationsakteurinnen und -akteuren.
Diskutierende:
Arne Busse ist als Referent in der Bundeszentrale für politische Bildung tätig und leitet den Fachbereich Zielgruppenspezifische Angebote. Zu seinen fachlichen Schwerpunkten zählen die digitale Gesellschaft und digitale Lernangebote.
Kerstin Franzl ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Projektleiterin bei nexus – Institut für Kooperationsmanagement und interdisziplinäre Forschung. Ihre Schwerpunkte sind unter anderem Bürgerbeteiligung und anwendungsorientierte Forschung zu Infrastrukturentwicklung.
Martin Fuchs berät Politik und Verwaltung in digitaler Kommunikation. Zudem ist erGründer der Social-Media-Analyse-Plattform Pluragraph.de und bloggt über Social Media in der Politik unter www.hamburger-wahlbeobachter.de.
Bernd Gabler ist Projektberater im Projektbüro der Jugend- und Familienstiftung des Landes Berlin und Koordinator für die Landesprogramme ‚Jugend-Demokratiefonds Berlin‘ und jugendnetz-berlin.de.
Mareen Brauer arbeitet als Redakteurin bei jup! Berlin, dem Jugendportal des Landesprogramms jugendnetz-berlin.de. Als Medienpädagogin ist sie dort für den Bereich des Jugendmagazins zuständig.
Lisa Dres ist Projektleiterin von jup! Berlin, dem Jugendportal des Landesprogramms jugendnetz-berlin.de. Dort ist sie unter anderem für den Bereich e-Partizipation, die Umsetzung und Vernetzung von Jugendbeteiligungsprojekten zuständig.
Narod Cahsai arbeitet als Redakteur bei jup! Berlin, dem Jugendportal des Landesprogramms jugendnetz-berlin.de und ist dort im Bereich Jugendinformation tätig. Seine Schwerpunkte sind unter anderem urbane Jugendkulturen und Diversity-Themen.
Katharina Große ist akademische Mitarbeiterin am The Open Government Institut (TOGI) an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen. Dort erforscht sie die Zusammenarbeit von Staat und Zivilgesellschaft in der Demokratie der Zukunft. Aktuell arbeitet sie daran, Online-Partizipation so zu gestalten, dass diese für unterschiedlichen Nutzer-Typen attraktiver wird und so eine breitere, diversere Beteiligung zu ermöglichen.
Nadine Karbach arbeitet als Projektmanagerin für digitale Jugendbeteiligung bei Liquid Democracy und ist im Organisationsteam des Internet Governance Forum Deutschland tätig.Dr. Anke Knopp ist Bloggerin zu kommunalen Themen wie E-Partizipation auf „Blickpunkt aus Gütersloh" sowie Gründungsmitglied von ‚Demokratie wagen!‘ , die sich für einen demokratischen Bürgerhaushalt einsetzen.
Brigitte Lutz ist in der Magistratsdirektion der Stadt Wien, Gruppe Prozessmanagement und IKT-Strategie tätig. Sie koordiniert das Open Government Kompetenzzentrum Wien und ist Sprecherin der Cooperation Open Government Data Österreich.Klaus Lutz ist pädagogischer Leiter des Medienzentrums PARABOL e. V. in Nürnberg und Medienfachberater für den Bezirk Mittelfranken. Außerdem ist er als Dozent an der Technischen Hochschule Nürnberg tätig und zweiter Vorsitzender des JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis.Dr.
Oliver Märker ist geschäftsführender Gesellschafter der Zebralog GmbH & Co. KG. Er berät Verwaltungen, Politik und Unternehmen bei der Konzeption und Umsetzung von Beteiligungsangeboten.
Kristin Narr ist freiberufliche Medienpädagogin. Sie konzipiert und führt Workshops und Projekte durch und berät Bildungseinrichtungen zu den Themen Medienkompetenz, digitale Kollaboration, ePartizipation und Open Educational Resources.Daniel Poli ist Leiter des Bereichs Qualifizierung und Weiterentwicklung der Internationalen Jugendarbeit der Fachstelle für Internationale Jugendarbeit der Bundesrepublik Deutschland e. V.
Eike Rösch ist Dozent für Medienbildung an der PH Zürich. Er arbeitet an seiner Promotion an der Universität Leipzig zu Jugendarbeit in der digitalen Gesellschaft. Er ist Mitinitiator und Herausgeber des Medienpädagogik Praxis-Blog.
Michael Scholl ist Referent für Medien und Kommunikation beim Deutschen Bundesjugendring. Er begleitet unter anderem Prozesse und Entwicklungen im Bereich der Jugendbeteiligung.
Georg Vogel ist Geschäftsführer des Landesjugendrings Saar. Er entwickelt unter anderem Strategien und Projekte im Bereich digitaler Kommunikation und Partizipation in der Kinder- und Jugendarbeit.
Frank Segert ist Dozent in der außerschulischen Bildungsarbeit mit den Schwerpunkten Beteiligung, Medien und dt.-poln. Austausch. Als Online-Redakteur betreut er euroBBa.de.
Kirsten Wohlfahrt ist stellvertretende Vorsitzende im Government 2.0 Netzwerk Deutschland e.V. und Initiatorin des Stammtischs Open Government Hamburg (gegründet 2012). Sie ist gelernte Journalistin und arbeitet seit ein paar Jahren im Bereich Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei Dataport.
Fragestellung, Auswertung der Zwischenergebnisse und Endredaktion:Roland Bader
Organisation:Jürgen Ertelt
Jürgen Ertelt: Werkzeuge für mehr Beteiligung – eine Toolbox für die Praxis
Mit der Entwicklung des Social Web hat sich auch Online-Software im Sinne des vernetzten Agierens weiterentwickelt. Software, die für mehr Beteiligung geeignet ist, muss in ihrer Anwendung auf die Situation des Partizipationsprozesses angelegt werden – nicht umgekehrt. Diese Sammlung von Werkzeugen erleichtert es, für verschiedene Einsatzlagen das richtige Besteck zu finden.
Kampagnen
Campact! (www.campact.de)Avaaz (www.avaaz.org)Change (www.change.org)PetitionenopenPetition (www.openpetition.de)Deutscher Bundestag (epetitionen.bundestag.de)CrowdfundingBetterplace.org (betterplace.org)Startnext (www.startnext.com)Kickstarter (www.kickstarter.com)GamesMinecraft (minecraft.net)Kahoot! (create.kahoot.it)kollaborativEtherPad (yourpart.eu)Padlet (www.padlet.com)MindMeister (www.mindmeister.com)Popplet (popplet.com)Wortschlucker (wortschlucker.de)Basecamp (basecamp.com)konsultativopendoors (opendoors.zebralog.de)ePartool (tool.ichmache-politik.de)Brigade (www.brigade.com)diskursivbrabbl (www.brabbl.com)ypart / Adhocracy / Liquid Democracy (liqd.net)tricider (www.tricider.com)Discuto (www.discuto.io)DemocracyOS (democracyos.org)abstimmendFlashpoll (www.flashpoll.eu)Twtpoll (twtpoll.com)Argufactum (argufactum.de)feedback (www.feedbackr.io)LimeSurvey (www.limesurvey.org)QuestionPro (www.questionpro.com)informativUshahidi (www.ushahidi.com)Mark-a-Spot (www.markaspot.de)Open Knowledge Foundation (okfn.de)Data Mining (www.big-data-europe.eu)Wordle (www.wordle.net)real lifeCamper (www.barcamptools.eu)
Beteiligung ist nicht selbstverständlich
Partizipation ist das Schlagwort des Demokratie-Updates einer digital geprägten Gesellschaft. Für viele ein Werkzeug, für andere ein Programmpunkt der Verwaltungserneuerung, für weitere ein Muss im Politikbetrieb. So leicht wir uns Beteiligung vorstellen möchten, so schwierig wird es, sie zu implementieren. Neben kommunikativen Kompetenzen und leichten medialen Zugängen fehlt es meist an einer gewachsenen Kultur des Mitmachens. Auf einem Etherpad versammelten sich netzwerkende, politisch dekonstruierende und praxiserfahrene Akteure und eine Akteurin der heutigen Bürgerbeteiligung.
merz Sind wir eigentlich reif für Partizipation? Wo und wie sollten wir es gelernt haben? Müssen wir uns alle beteiligen?
Wohlfahrt Wenn Politiker gewählt werden und ihr Mandat annehmen und ausüben, werden sie ja auch nicht nach ihrem Reifegrad bewertet und ob sie fit sind, die Interessen der Bürger in der repräsentativen Demokratie wahrzunehmen. Ansonsten ist Partizipation sicher ein steter Lernprozess. Für alle Beteiligten. Das heißt, auch für Politik und Verwaltung. Sie müssen lernen, damit umzugehen – mal mehr, mal weniger –, dass Sachverstand, Meinung und Forderungen von außen in ihr System eingespeist werden. Und natürlich müssen wir uns nicht alle beteiligen. Das ist erstens aus Zeitgründen utopisch, zweitens beteiligen wir uns am ehesten da, wo wir in irgendeiner Weise ‚betroffen‘ sind und drittens möchte wohl niemand zwanghafte Wahl- oder Beteiligungszustände, wie wir es aus Diktaturen kennen.
Bieber Politische Beteiligung in der Demokratie ist nichts, was ausschließlich exzellent informierten und perfekt vorbereiteten Eliten überlassen werden soll. Ich halte hier noch immer die Einschätzung des Soziologen Alfred Schütz für relevant, der dem ‚gut informierten Bürger‘ (leider nur in der männlichen Form) eine ausreichende Qualifikation zur politischen Teilhabe bescheinigt hatte. Durch die Digitalisierung steigt nun die Wahrscheinlichkeit, dass auch der (geschlechtsneutral aktualisierte) ‚Mensch auf der Straße‘ in sozialen Medien wie Facebook oder Twitter über eine breite Form der Alltagskommunikation mit Themen und Meinungen aus dem Bereich der Politik konfrontiert werden. Natürlich bestehen dabei auch die Gefahren, etwa das Abgleiten in Räume abgeschotteter und einseitiger Kommunikation, den sogenannten Echokammern. Im Großen und Ganzen überwiegen für mich hier allerdings die Effekte der Vernetzung: Es wird immer schwieriger, kontroversen Themen auszuweichen oder sie zu ignorieren. Aus der manchmal vielleicht unfreiwilligen Konfrontation mit politischen Fragen entsteht so eine Art ‚Sog‘ in Richtung politische Auseinandersetzung – wenn man so will, bereiten die sozialen Netzwerke durch die ‚Personalisierung von Öffentlichkeit‘ immer auch auf politische Beteiligung vor. Und sei es, durch so unerfreuliche wie neuartige Beteiligungsformen wie die des Abgehörtwerdens im Rahmen der NSA-Affäre oder beim Hinterlassen von Datenspuren, die von politischen Akteuren gesammelt und ausgewertet werden.
Märker Nein, wir müssen weder alle reif sein für Beteiligung noch uns immer beteiligen (müssen). Planungs- und Entscheidungsvorbereitungsprozesse (= viele komplexe von vielen Menschen getragene, formale und informelle Prozesse und Strukturen im politisch-administrativen System) sollten aber ‚per default‘ ermöglichen, sich beteiligen zu können. Es sind also vielleicht viel weniger die Bürgerinnen und Bürger (besser: interessierte Einwohnerinnen und Einwohner), die reif sein sollten, sich zu beteiligen, sondern vielmehr die Institutionen, die einsehbarer, responsiver, partizipativer und (insbesondere) inklusiver werden müssen. Das ist ein ‚Reifeprozess‘, der nicht von heute auf morgen umgesetzt, sondern vielmehr einige Jahre in Anspruch nehmen wird, da er immer mit einem tiefgreifenden Kulturwandel verbunden ist, mit einem Paradigmenwechsel, der mit Begriffen wie Electronic Government, Open Government, Open Participation oder Open Governance beschrieben wird.
merz Oft gibt es uneindeutige Begriffslagen, besonders die Worte Engagement, Partizipation, Teilhabe, Empowerment werden oft in einem Zug genannt: Was ist wie und warum zu unterscheiden oder gar deutlich voneinander zu trennen?
Wohlfahrt Ich komme ja eher aus der praktischen Ecke ... Was ich wichtig finde: bei Beteiligungsverfahren ganz klar kommunizieren, um was es eigentlich geht. Ganz ohne Begriffsverwirrungen und Amtsdeutsch, sondern in klarer, allgemeinverständlicher Sprache. Das bedeutet, den Bürgern zu erklären, über was sie entscheiden können, wie das Procedere auf dem Weg zur Entscheidung gestaltet ist, was mit ihren Vorschlägen und Voten geschieht – und wie Politik und Verwaltung mit diesem externen Input umgehen werden.
Bieber Ein klarer Fall für die Theorie-Abteilung, schon die vorgeschlagene Liste bietet Stoff für mehrere Sitzungen in einem sozialwissenschaftlichen Grundseminar. Die Begriffsvielfalt kann in der Tat verwirren, eine (möglichst) saubere hilft allerdings auch bei der Klärung bzw. Zuspitzung unterschiedlicher Teilaspekte und kann dazu beitragen, dass die Beteiligten überhaupt wissen, wovon sie reden – und, ja, welche rechtlichen Rahmenbedingungen gelten. Die vier genannten würde ich erstmal sortieren, um die unterschiedliche Nähe bzw. Zugänge zur etablierten Politik herauszustellen. Engagement und Teilhabe sind dabei sicher die am wenigsten klar umrissenen Formen einer Beteiligung am politischen Prozess, während Empowerment aus der US-amerikanischen Debatte um die sogenannten Grassroot-Bewegungen stammt und deren ‚selbstermächtigte‘ Interventionen in oft bereits laufende Entscheidungsverfahren meint. Bei Partizipation könnte man schließlich die am stärksten an die institutionelle Politik angebundenen Formen einer Bürgerbeteiligung denken, für die es klare ‚Anschlussregeln‘ gibt – also Petitionen, Urwahlen, Bürgerhaushalte oder Volksentscheide. Wichtig ist für mich dabei immer das Verhältnis zwischen Bürgern und verfassten politischen Akteuren.
Märker Die Beratung oder Unterstützung etwa von Kommunen oder Ministerien bei der Planung und Umsetzung von Bürgerbeteiligung startet bei mir immer mit Fragen wie ‚Woran soll wozu wer beteiligt werden?‘. Es Bedarf also immer einer Zielerklärung und einer Einhegung dessen, worum es überhaupt gehen soll mit Blick auf die möglichen Beteiligungsinhalte (wie Fragestellungen etc.) und mit Blick auf die ansonsten laufenden Prozesse, zu denen die Beteiligung ins Verhältnis gesetzt und zu diesen anschlussfähig gemacht werden muss, soll sie nicht ins Leere laufen. Daher ist auch immer eine Begriffsklärung sinnvoll, und es ist sinnvoll, auch klare Abgrenzungen vorzunehmen. Partizipation sind dann in der Regel die von Verwaltung und/oder Politik initiierten Angebote, sich zu einem Problem, Projekt oder Plan zu äußern, also Verfahren, in denen Bürgerinnen und Bürger als Ideen-, Hinweis-, Vorschlags- oder Feedbackgeber aufzutreten. Ergebnisse fließen dann als zusätzlicher Beratungsinput in die entsprechenden Gremien ein, die sich dann – wenn es gut läuft – mit diesen ernsthaft, umfassend und sich erklärend und darüber kommunizierend auseinandersetzen. So gesehen sind Beteiligungsverfahren Konsultationen. Es geht hier also nicht zuvorderst um Engagement – auch wenn Verfahren Engagement voraussetzen und in Engagement münden können – und auch nicht um Teilhabe oder Empowerment.
merz Der Begriff Bürgerbeteiligung gibt zwar einen Hinweis darauf, wer sich beteiligen soll, aber welche Bürger sind konkret gemeint? Kinder, Jugendliche, Seniorinnen und Senioren, Politikerinnen und Politiker, kommunale Verwaltungsangestellte? Und, wer soll sich mit wem in Beteiligung begeben?
Wohlfahrt Ganz klar: zielgruppengerecht denken, planen und handeln! Und natürlich übergreifend: Warum sollten Kinder und Jugendliche nicht in Beteiligungsverfahren einbezogen werden, bei denen es zum Beispiel um Gestaltung in ihrem Stadtteil geht? Sie werden dort schließlich noch eine Weile leben. Die Erwachsenenperspektive deckt sicher nicht alle Ideen ab, die sie in den Prozess einbringen könnten. Pauschal kann man sicher nicht sagen, wer sich jetzt mit wem auseinandersetzen soll. Auch Verwaltungsvertreter sind übrigens Bürger ... Was ich wichtig finde: darauf zu achten, dass es nicht zu Ungleichgewichten kommt – Stichwort Lobbyismus oder Überhang von ganz bestimmten kraftvollen Interessensgruppen. Das gilt übrigens für Online- wie herkömmliche Offline-Beteiligung.
Bieber Inklusion scheint mir hier in der Tat ein wichtiges Stichwort zu sein. Grundsätzlich ist es natürlich sinnvoll, im Umfeld einer politischen Entscheidung möglichst viele ‚Stakeholder‘ in das Verfahren einzubeziehen. Dieser Begriff geht über die unmittelbar ‚Betroffenen‘ wie etwa Anrainer von Umgehungsstraßen oder Stromtrassen hinaus – aus der erweiterten Perspektive ergibt sich dann oft ein differenziertes Bild, der durchaus auch Unternehmen und Interessengruppen einschließt. Das ist insofern relevant, da gerade diese Gruppen sich ohnehin bemerkbar machen werden und damit das notwendige Ausbalancieren ungleicher Ressourcen vorausahnt. Grundsätzlich sollten politische Akteure bei der Gestaltung von Beteiligungsverfahren aber natürlich darauf achten, dass insbesondere jene Menschen erreicht werden, die als eher ‚politikfern‘ gelten. Genau das ist allerdings in vielen Fällen die schwierigste Aufgabe, denn noch immer gilt, dass selbst bei einem frühzeitigen und vorbildlichen Bekanntmachen die politikmüden oder -verdrossenen Bürgerinnen und Bürger kaum Notiz nehmen.
Märker Das hängt von den Zielsetzungen ab, bzw. dem Konsultationsgegenstand. Je nach Thema können unterschiedliche Teilöffentlichkeiten bzw. Zielgruppen interessiert bzw. betroffen sein. Dennoch sollten alle Beteiligungsangebote offen sein (#openparticipation), sodass diejenigen, die sich betroffen fühlen oder interessiert an einem zur Diskussion (Konsultation) stehenden Thema, einer Fragestellung oder einem Plan sind, sich prinzipiell beteiligen können – oder mit Blick auf die Legitimation und Aktzeptanz des Verfahrens: könnten. Verfahren sollten also inklusiv gestaltet werden, oder einfacher ausgedrückt: möglichst viele und möglichst viele unterschiedliche Gruppierungen ansprechen, so gestaltet sein, dass sie die Zielgruppen auch in die Lage versetzen, sich beteiligen zu können, was zum Beispiel manchmal durch crossmediale Angebote (verschiedene Beteiligungskanäle) eher gelingen kann, also nur durch einen einzigen Kanal. Bürgerbeteiligungsangebote können aber nicht nur ‚aus sich heraus‘ politikferne Akteure zu aktiven Beteiligten machen. Hier sind weitere Maßnahmen notwendig, die wahrscheinlich schon viel früher in den Schulen ansetzen müssen.
merz Partizipationsverfahren werden von Kritikerinnen und Kritikern manchmal als eine Mitmachfalle getitelt. Wann ist Vorsicht geboten? Wann können wir von ‚echter‘ Beteiligung sprechen?
Wohlfahrt Beteiligung ist immer dann echt, wenn es wirklich etwas zu entscheiden gibt. Oder Ideen und Vorschläge wirksam in Gestaltungsprozesse und Entscheidungen einbezogen werden, und das nach dem Gebot der Transparenz. Es muss nachvollziehbar sein, was mit den Beiträgen und Voten der Bürger in Beteiligungsverfahren passiert. Vorsichtig wäre ich immer dann, wenn die Politik plötzlich kurz vor anstehenden Wahlkämpfen das Beteiligungsthema als das ihre entdeckt. Beteiligung sollte nicht nur sporadisch hier und da angeboten werden, sondern ernsthaft ins System integriert werden. Das Beteiligungsthema darf kein Wahlkampfgeschenk oder ablenkender Balsam sein, um an den entscheidenden Reglern im System letztlich doch verändern zu müssen.
Bieber Zentral ist die Transparenz des Verfahrens und die Sicherung der Anschlusskommunikation. Wenn die Reichweite des eigenen Mitmachens, der Nutzen des Investierens wertvoller Zeit unklar bleibt, werden sich Bürger von den Beteiligungsangeboten wieder abwenden. Häufig bleibt unklar, was mit einem Bürgervotum geschieht und wie institutionelle Akteure die Resultate von Bürgerbefragungen in den weiteren politischen Prozess integrieren. Dies muss frühzeitig geklärt werden, zudem müssen die einzelnen Arbeitsschritte gut und einfach zugänglich dokumentiert werden. Bei der ePartizipation sind im Übrigen auch die neuen ‚Träger des Verfahrens‘ gefordert, die durch die praktische Gestaltung und Umsetzung der online-basierten Beteiligungsprozesse in der Verantwortung stehen. Diese Dienstleister können nicht nur den konkreten Zugang der Zielgruppen erleichtern (oder erschweren), sie können auch die Bekanntmachung und die Nachvollziehbarkeit verbessern (oder verschlechtern). Insofern entsteht hier eine neue Gruppe von Akteuren, die in diesen ‚Public-Private-Partnerships‘ eine zunehmend wichtige Rolle spielen.
Märker Klaus Selle hat hier ja einen wichtigen Begriff geprägt: "Particitainment" (Selle, Klaus (2011). "Particitainment" oder: Beteiligen wir uns zu Tode? PNDonline, 2011. www.planung-neu-denken.de [Zugriff: 10.08.2015]), in der Beteiligung, weil alle sie fordern und irgendwie gut finden, zum Selbstzweck wird und daher lediglich als ‚Partizipative Fassade‘ dient, wesentliche Fragen der Einbindung und nachhaltigen Verwertung der Bürgerbeteiligungsergebnisse (nachdem die externen Moderatoren wieder weg sind) nicht stattfinden. Ich stimme insofern voll den Aussagen von Wohlfahrt und Bieber zu: Sicherung der Einbettung und der Anschlusskommunikation sind von zentraler Bedeutung in Verbindung mit Transparenz und Kommunikation der Möglichkeiten und Grenzen der Beteiligung. Nur dann kann Beteiligung Relevanz entfalten und können Mitmachfallen vermieden werden.
merz Internet und Demokratie – mehr Chancen oder mehr Schein als Sein? Was kann man erwarten und wo ist der Wunsch eher Vater des Gedankens? Sind die wiederholt hohen Erwartungen an Partizipationsverfahren überhaupt zu bedienen?
Wohlfahrt Partizipation macht natürlich nicht einfach auf Knopfdruck unsere Demokratie besser. Schaut man sich Studien und Umfragen zu Partizipation an, so wünschen sich viele Bürger, mehr in Entscheidungsprozesse einbezogen zu werden. Und: Sie würden sich auch beteiligen. Andererseits sind wir seit Jahren mit deutlich sinkender Wahlbeteiligung konfrontiert. Da läuft irgendetwas schief. Beteiligung ist natürlich auch anstrengend – für alle Akteure, Bürger, Politik und Verwaltung. Sie braucht Zeit, zum Beispiel, um sich zu informieren oder um Argumente zu formulieren, zu prüfen, aufzubereiten. Das erfordert einen laufenden Lernprozess für alle Seiten. Dabei sollten die Verfahren im Nachgang unbedingt auch kritisch evaluiert werden. Nur so kann Beteiligung noch besser gestaltet werden – zum Nutzen aller: Gesellschaft, Verwaltung und Politik.
Bieber Sicher darf man nicht alle Hoffnungen auf die ‚Verbesserung‘ der Demokratie, auf die digitale Mediennutzung projizieren. Das Internet bzw. die Kommunikation in digitalen Medienumgebungen ist (und bleibt) aber in jedem Fall ein Hoffnungsträger für Akzeptanz und Umsetzung politischer Prozesse. Den Grund dafür sehe ich aber nur bedingt in der technologischen Entwicklung oder der Ansprache neuer, insbesondere jüngerer Zielgruppen. Ganz entscheidend ist für mich die Umstellung auf ein aktiveres Medienverhalten im Vergleich zu den traditionellen Massenmedien wie Presse, Rundfunk und Fernsehen. Mediennutzung ist heutzutage in ihrer digitalen Form immer auch schon Medienproduktion – die ‚Aktivierung des Publikums‘ ist dabei das Stichwort in der sozialwissenschaftlichen Medien- und Kommunikationsforschung: Durch das Internet wird aus einem verteilten, auf Rezeption ausgerichteten Publikum ganz allmählich eine stärker auf Teilhabe orientierte Öffentlichkeit.
Märker Wichtig ist, dass Erwartungen an Partizipation verfahrensadäquat formuliert werden. So sind Erwartungen wie ‚hohe Teilnehmerzahlen‘ (was auch immer darunter verstanden wird) oder gar ‚repräsentative Ergebnisse‘ sicherlich fehl am Platz, weil es gar nicht zuvorderst die Funktion bzw. Zielsetzung von Bürgerbeteiligungsverfahren ist, dies zu erreichen. Es geht halt nicht um ‚One man, one vote‘. Man darf aber ruhig anspruchsvolle Zielsetzungen formulieren mit Blick auf ‚Inklusivität‘, ‚Qualität der Ergebnisse‘ oder ‚Umfang bzw. Qualität der politisch-administrativen Auseinandersetzung mit Bürgerbeteiligungsergebnissen‘. Hier gibt es noch viel zu tun. Aber die Öffnung politischadministrativer Planungs- und Entscheidungsvorbereitungsverfahren ist ein Prozess, der – wie Wohlfahrt richtig anmerkt – nicht auf ‚Knopfdruck‘ gelingen wird. Wichtig ist ganz sicher auch die von Bieber angesprochene Umstellung auf ein ‚aktiveres Medienverhalten‘, das zu einer ‚auf Teilhabe orientierten Öffentlichkeit‘ führt – und damit zu einem Umfeld, das auf die guten alten Institutionen in den Verwaltungen ordentlich Druck ausübt und ausüben wird, sich mehr als bisher zu öffnen.
merz Kann es heute noch Beteiligungsverfahren ohne Internet und digitale Medien geben? Ist ePartizipation Pflicht?
Wohlfahrt Beteiligungsverfahren ohne das ‚Digitale‘ kann es wohl heute nicht mehr geben. Schon alleine deswegen nicht, weil natürlich auch Politik und Verwaltung im Netz über Beteiligungsprojekte informieren und hier schon heute Projektseiten oder Plattformen anbieten, über die Bürgerinnen und Bürger sich einbringen können. Umgekehrt kann es aber auch kein Beteiligungsverfahren ohne die ‚Offline-Komponente‘ geben, also Bürgerversammlungen oder Briefkastenverfahren, damit man Ideen und Stimme einbringen kann. Es wird auch auf Strecke immer Bürgerinnen und Bürger geben, die über das Internet nicht erreicht werden können. Oder wollen. Beteiligungsverfahren müssen deshalb immer noch in mehreren Kanälen gedacht und geplant werden, analog wie digital. Das sichert dann auch, dass die Gruppen, die sich einbringen, möglichst bunt und vielfältig sind.
Bieber Die digitale Erweiterung von Beteiligungsverfahren ist heute zum Standard geworden – dabei spiegelt ePartizipation nur den allgemeinen ‚Digitalisierungstrend‘ der Politik. Da sich auch in anderen Phasen und Bereichen von Politik das Internet als immer wichtigere Plattform für das Aushandeln strittiger Fragen, das Führen öffentlicher Debatten und die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner etabliert, kann der Bereich der Bürgerbeteiligung davon nicht ausgenommen und gewissermaßen ‚zwangsanalogisiert‘ werden. Darüber hinaus ist ja auch bekannt, dass bei der reinen ‚Offline- Gestaltung‘ von Beteiligungsverfahren das Interesse der Bürgerschaft auch nicht sonderlich hoch ist. Insofern führt an der digitalen Beteiligung aus meiner Sicht kein Weg mehr vorbei.
Märker Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben ;-). Will sagen: Wohlfahrt und Bieber haben hierzu fast alles gesagt, was es zu sagen gibt. Ergänzend nur: Am Anfang sollte immer die Frage stehen: Wozu soll Beteiligung angeboten werden? Wenn das geklärt ist, erst dann kann man sich über sinnvolle Wege und mögliche Instrumente unterhalten. Daher ist die ‚Mit-oder-ohne-E-Frage‘ an sich genauso solange sinnlos wie die Frage, ob man mit dem Auto oder mit dem Fuß an ein Ziel kommen will, solange das Ziel nicht bekannt ist.
Was ich unbedingt noch sagen möchte …
Wohlfahrt Mehr Mut zur Öffnung! Beteiligung in politische und Verwaltungssysteme zu integrieren, bedeutet, dass sich diese Systeme öffnen müssen. Offene Verwaltung und ‚Open Government‘ erfordert einen Kulturwandel. Open Government steht für das offene Handeln von Regierungen und Verwaltungen. Öffnung bedeutet aber auch: Wer sich einbringen möchte oder soll, muss zunächst einmal wissen, worum es überhaupt geht. Das erfordert Informationen, die gegebenenfalls auch über Vermittler wie Journalisten oder organisierte Bürgervereine recherchiert werden. Diese Informationen müssen freigegeben werden – ganz im Sinne der Nachvollziehbarkeit von Verwaltungshandeln. Dazu gehört auch, das Prinzip Open Data umzusetzen. Open Data – noch so ein sperriger Begriff – bedeutet: Datensätze der Verwaltung für die Allgemeinheit freizugeben, zum Beispiel über Open Data-Portale oder im Hamburger Transparenzportal. Auch Daten sind Recherche- und Informationsquellen.
Bieber Mehr Mut zur Normalität! Auch in 2015 werden die digitalen Politikprozesse häufig noch als ‚Experiment‘ oder ‚Wagnis‘ bezeichnet – ich denke, dass für viele Menschen der Umgang mit den Effekten der Digitalisierung längst in vielen Lebensbereichen eine dauerhafte Präsenz erreicht hat und nichts ‚Exotisches‘ mehr ist. Zumindest im Bereich der privaten Kommunikation werden digitale Medien von einem breiten Querschnitt der Bevölkerung ziemlich selbständig genutzt: Wenn Freundes- und Kollegenkreise, Schulklassen oder auch Familien ihre interne Kommunikation heutzutage wie selbstverständlich über WhatsApp regeln, warum sollten sie dann nicht auch in der Lage sein, diese Kompetenzen in politische Beteiligungsverfahren einzubringen? Hier würde ich für weniger Aufgeregtheit im Umgang mit den Möglichkeiten digitaler Information, Kommunikation und Partizipation plädieren – dieses ‚Neuland‘, von dem immer wieder die Rede ist, hat für viele Menschen seinen Schrecken längst verloren.
Märker E-Partizipation ist Partizipation.
Das Interview wurde geführt von Jürgen Ertelt.Steckbriefe von ePartizipationsprojekten
In zehn Steckbriefen stellen ePartizipationsprojekte ihre Ansätze und Erfahrungen aus der Praxis in der Printausgabe der merz vor. Aus Platzgründen konnten leider nicht alle Steckbriefe der Praxisprojekte abgedruckt werden. Weitere Beiträge, die das Spektrum an Projektbeispielen beträchtlich erweitern, finden Sie nachfolgend.
Ichmache> Politik Junge Menschen erhalten die Gelegenheit, sich an bundespolitischen Diskussionen und Prozessen zu beteiligen und ihre Positionen und Ansichten wirksam einzubringen. Träger: Deutscher Bundesjugendring, Jasmin-Marei Christen
Jugendforum rlpIn einem landesweiten Beteiligungsprozess sollen junge Menschen zu Zukunftsthemen der Landespolitik Rheinland-Pfalz eingebunden werden. Träger: Staatskanzlei Rheinland-Pfalz in Kooperation mit Bertelsmann Stiftung
laut!Jugendliche werden in ihrem politischen Engagement ernst genommen und dazu angeregt, sich für ihre Interessen einzusetzen. Träger: Jugendamt der Stadt Nürnberg, Kreisjugendring Nürnberg Stadt, Medienzentrum Parabol
peer³ - fördern_vernetzen_qualifizierenDas Forschungs-Praxis-Projekt unterstützt bundesweit modellhafte medienpädagogische Peer-to-Peer-Projekte und begleitet diese auch wissenschaftlich, um Handlungsempfehlungen und Faktoren, die zu einem Gelingen beitragen, herauszuarbeiten.
Träger: JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis
Publixphere.netEin fairer Austausch über politische Ideen und Meinungen soll ermöglicht werden, sowohl online als auch offline. Speziell junge Erwachsene haben die Möglichkeit, sich in politische Prozesse einzubringen.
Träger: Publixphere e. V.
Tempelhofer FeldFür das Tempelhofer Feld in Berlin wird ein Entwicklungs- und Pflege-Plan erstellt. Dieser gibt vor, wie das Tempelhofer Feld zukünftig genutzt und entwickelt werden soll.
Träger: Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt Berlin
Beteiligung in der VGODas Projekt soll die Beteiligung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen an der gesamten Verbandsgemeinde sowohl online als auch offline fördern.
Träger: Verbandsgemeinde Offenbach an der Queich
Jugendhaus Biberach
In dem Projekt Jugendhaus Biberach werden die Planung und der Bau eines Jugendhauses, das den Nutzerinteressen von Jugendlichen gerecht wird, vorangetrieben. Damit einher geht die ästhetisch-architektonische Bildung von Jugendlichen.
Träger: Stadt Biberach, Baubürgermeister Christian Kuhlmann
Minecraft-Workshop zum Thema Stadtentwicklung
Kinder und Jugendliche sollen motiviert werden, sich mit den Themen Architektur und Städteplanung zu beschäftigen. Dabei müssen sie sich gemeinsam abstimmen und organisieren, um ein gemeinsames Bauprojekt zu realisieren.
Träger: JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis
Strukturierter Dialog
Ziel ist es, junge Menschen als politische Akteurinnen und Akteure sowie Expertinnen und Experten in eigener Sache ernst zu nehmen und sie aktiv in die Politikgestaltung einzubeziehen. Politische Prozesse sollen ‚geerdet‘ und besser mit der Lebenswelt von Jugendlichen verknüpft werden.
Träger: Koordinierungsstelle für den Strukturierten Dialog in Deutschland, Deutscher Bundesjugendring
spektrum
Hans-Ulrich Grunder: Spielend lernen – lernend spielen?
Kinder scheinen den Umgang mit dem Digitalen leichthin zu lernen, indem sie täglich damit umgehen. Lernen sie dabei spielerisch, spielend? Verpassen sie ob der Zeit, die sie dafür aufwenden, das Nicht-Digitale, die sie umgebende Realität? Kommt etwas zu kurz, wenn ihnen das Digitale schon zu genügen scheint? Indem ich den Mediengebrauch von Kindern und Jugendlichen nicht als rundum schädlich verunglimpfe, aber auch keine unkritische Herangehensweise proklamiere, verweise ich auf die Spur eines Sowohl-als-auch, weil simple Lösungen immer Holzwege sind und es in Fragen von Erziehung und Bildung immer darauf ankommt, Balancen zwischen Polen auszuhalten. Dies bringt gerade im Feld der Mediennutzung Heranwachsende, Familie und Schule in eine zwiespältige Lage.
Literatur:
Adorno, Theodor W. (1972). Theorie der Halbbildung (1959) In: Adorno, Theodor W. (Hrsg.), Gesammelte Schriften, Band 8: Soziologische Schriften 1. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 93–121.
Baacke, Dieter (1997). Medienpädagogik. Tübingen: Niemeyer.Barsch, Achim/Erlinger, Hans D. (2002). Medienpädagogik – eine Einführung. Stuttgart: Klett-Cotta.
Freinet, Célestin (1943). Œuvres pédagogiques. Essai de psychologie sensible appliquée à l’éducation. Tome 1. Paris: Seuil.
Grunder, Hans-Ulrich/Finger, Christian/Romanyuk, Yuliya/Sommer, Tim/Raemy, Patrick (2013). mLearning in der Schule. Der Lernstick als Lerninstrument. Ergebnisse einer empirischen Studie. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Kant, Immanuel (1983). Wie kultiviere ich die Freiheit bei dem Zwange? In: Weischedel, Wilhelm (Hrsg.), Werke in sechs Bänden. Darmstadt: Insel, S. 693–761.
Meyer-Drawe, Käte (1999). Zum metaphorischen Gehalt von „Bildung“ und „Erziehung“. In: Zeitschrift für Pädagogik, 45 (2), S. 161–175.
Montaigne, Michel de (1998). Essais. Frankfurt am Main: Eichborn.
Moser, Heinz (2010). Einführung in die Medienpädagogik. Aufwachsen im Medienzeitalter. Wiesbaden: Springer VS.
Moser, Heinz (2012). Medien zwischen Bewahrpädagogik und Partizipation. In: Bischoff, Sandra/Geiger, Gunter/Holnick, Peter/Harles, Lothar (Hrsg.), Familie 2020: Aufwachsen in der digitalen Welt. Opladen: Barbara Budrich, S. 17–32.
Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst (1957). Pädagogische Schriften. Düsseldorf/München: Küpper.Süss, Daniel/Willemse, Isabel/Waller, Gregor/Genner, Sarah/Suter, Lilian/Opplinger, Sabine/Huber, Anna-Lena (2014). Ergebnisbericht zur James-Studie. Jugend | Aktivitäten | Medien – Erhebung Schweiz. Zürich: Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.
Theunert, Helga/Lenssen, Margit/Schorb, Bernd (1995). „Wir gucken besser fern als ihr!“ Fernsehen für Kinder. München: KoPäd.
Theunert, Helga (Hrsg.) (2007). Medienkinder von Geburt an. Medienaneignung in den ersten sechs Lebensjahren, München: kopaed.
Tulodziecki, Gerhard (2001). Medien in Erziehung und Unterricht. Grundlagen und Beispiele einer handlungs- und entwicklungsorientierten Medienpädagogik. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Tulodziecki, Gerhard/Herzig, Bardo/Blömeke, Sigrid (2004). Gestaltung von Unterricht. Eine Einführung in die Didaktik. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Christoph Damm, Kai Kabs-Ballbach & Annika Marggraff: Eine Alternative im Netz
meinTestgelaende.de hat für eine zunehmende Zahl von Jugendlichen eine Bedeutung und wird aktiv genutzt. Doch das Gendermagazin ist nicht selbstverständlich. Es ist weder ein klassisches Medienprojekt noch ist es ein klassisches Projekt der Jugendarbeit. Es werden Geschlechterthemen bearbeitet − gleichzeitig ist das Magazin offen für die Vielfalt der Themen von Jugendlichen.
Literatur:
Baacke, Dieter (1999). Medienkompetenz als zentrales Operationsfeld von Projekten. In: Baacke, Dieter/ Kornblum, Susanne/Lauffer, Jürgen/Mikos, Lothar/Thiele, Günter A. (Hrsg.), Handbuch Medien: Medienkompetenz. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, S. 31−36.
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) (2013). Bundesfamilienministerin Kristina Schröder präsentiert die Ergebnisse des Beirats Jungenpolitik. www.bmfsfj.de/BMFSFJ/gleichstellung,did=199002. html [Zugriff: 03.08.2015].
Kabs-Ballbach, Kai/Nowack, Rebecca (2013). Jungenarbeit und geschlechterbezogenes Arbeiten 2013 in Baden- Württemberg. www.lag-jungenarbeit.de/wp-content/uploads/2014/12/GeschlechterbezogenesArbeitenBW2013. pdf [Zugriff: 03.08.2015].
Luca, Renate/Aufenanger, Stefan (2007). Geschlechtersensible Medienkompetenzförderung. Mediennutzung und Medienkompetenz von Mädchen und Jungen sowie medienpädagogische Handlungsmöglichkeiten. www.lfm-nrw.de/fileadmin/ lfm-nrw/Forschung/LfM-Band-58.pdf [Zugriff: 03.08.2015].
meinTestgelände (2015a). Autorinnenprofil MIA. www. meintestgelaende.de/author/mia [Zugriff: 03.08.2015].
meinTestgelände (2015b). Schlagwort „gelaende2015”. www.meintestgelaende.de/schlagwort/gelaende2015 [Zugriff: 03.08.2015].
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meinTestgelände (2015f). Facebook-Gruppe „Geschlechtersensible Pädagogik”. www.facebook.com/groups/geschlechterpaedagogik [Zugriff: 03.08.2015].
Beitrag aus Heft »2015/05: #partizipation«
Autor: Christoph Damm, Kai Kabs-Ballbach, Annika Marggraff
Beitrag als PDFEinzelansichtAlexander Unger: My first Project
Mit dem Netzwerkprojekt „My first Project“ wurde ein wichtiger Baustein in der Ausbildung angehender Pädagoginnen und Pädagogen ergänzt. Durch die selbständige Entwicklung und Durchführung von Medienprojekten wurden eine enge Verzahnung von Theorie und Praxis sowie ein nachhaltiger Ansatz zur Förderung von Medienkompetenz geschaffen. Gleichzeitig wurden Bildungsangebote für benachteiligte Stadtteile und ihre Bewohnerinnen und Bewohner generiert. Durch diesen Ansatz werden Aspekte von Medienkompetenz behandelt, die in der oft verkürzten und instrumentell orientierten öffentlichen Diskussion kaum Berücksichtigung finden.
Literatur:
Anfang, Günther (2001). Computer in der Kinder- und Jugendarbeit – Ziele und Kriterien für die aktive Medienarbeit mit Multimedia. In: Anfang, Günther/Demmler, Kathrin/Lutz, Klaus (Hrsg.), Erlebniswelt Multimedia. München: kopaed, S. 9-19.
Bos, Wilfried/Eickelmann, Birgitt/Gerick, Julia/Goldhammer, Frank/Schaumburg, Heike/Schwippert, Knut/Senkbeil, Martin/Schulz-Zander, Renate/Wendt, Heike (Hrsg.) (2015). ICILS 2013 - Computer- und informationsbezogene Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern in der 8. Jahrgangsstufe im internationalen Vergleich. Münster: Waxmann.
Deinet, Ulrich (2007). Lebensweltanalyse – ein Beispiel raumbezogener Methoden aus der offenen Kinder- und Jugendarbeit. In: Kessel, Fabian/Reutlinger, Christian (Hrsg.), Sozialraum. Eine Einführung. Wiesbaden: VS Verlag.
Frey, Karl (2007). Die Projektmethode. Weinheim: Beltz.Grafe, Silke/Herzig, Bardo (2007). Digitale Medien in der Schule. Standortbestimmung und Handlungsempfehlungen für die Zukunft. Studie zur Nutzung digitaler Medien in allgemein bildenden Schulen in Deutschland. Bonn: Deutsche Telekom.
IBA Hamburg (2014). www.iba-hamburg.de/2014.html [Zugriff 17.08.2015].
Jenkins, Henry (2006). Confronting the Challenges of Participatory Culture: Media Education for the 21st Century. Cambridge: MIT Press.
Kultusministerkonferenz (KMK) (2012). Medienbildung in der Schule. www.kmk.org [Zugriff 17.07.2015].
Media Dock (2014). Medien selber machen – zahlreiche Möglichkeiten unter einem Dach. MEDIA DOCK. www.iba-hamburg.de/projekte/media-dock/projekt/media-dock.html [Zugriff 17.07.2015].
Media Dock (2013). MEDIA DOCK. www.mediadock.hamburg.de/index.php [Zugriff 17.07.2015].
Ring, Sebastian/Struckmeyer, Kati (2012). Projektplanung. In: Rösch, Eike/Demmler, Kathrin/Jäcklein-Kreis, Elisabeth/Albers-Heinemann, Tobias (Hrsg.), Medienpädagogik Praxis Handbuch: Grundlagen, Anregungen und Konzepte für aktive Medienarbeit. München: kopaed, S.44-50.
Röll, Franz Josef (2006). Methoden der Medienpädagogik. In: Laufer, Jürgen/Röllecke, R. (Hrsg.), Methoden und Konzepte medienpädagogischer Projekte. Bielefeld: GMK, S. 10-28.
Rösch, Eike/Demmler, Kathrin (2012). Aktive Medienarbeit in Zeiten der Digitalisierung. In: Rösch, Eike/Demmler, Kathrin/Jäcklein-Kreis, Elisabeth/Albers-Heinemann, Tobias (Hrsg.), Medienpädagogik Praxis Handbuch: Grundlagen, Anregungen und Konzepte für aktive Medienarbeit. München: kopaed, S. 19-26.
Schell, Fred (2009). Aktive Medienarbeit. In: Schorb, Bernd/Anfang, Günther/Demmler, Kathrin (Hrsg.), Grundbegriffe Medienpädagogik Praxis. München: kopaed, S. 9-13.
Schorb, Bernd/Wagner, Ulrike (2013). Medienkompetenz – Befähigung zur souveränen Lebensführung in einer mediatisierten Gesellschaft. In: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.), Medienkompetenzförderung für Kinder und Jugendliche. Eine Bestandsaufnahm. Berlin: BMFSFJ, S. 18-23.
Schwinge, Christiane (2013). Aktive Medienarbeit 2.0? Bestandsaufnahme der aktiven Medienarbeit im Kontext des Social Web. In: TV Diskurs, 63, S. 20-23.
medienreport
Maximilian Niesyt: „Eigentlich mach‘ ich das gar nicht so freiwillig“
Der Schwindel von Newtopia
Als SAT.1 im Juli dieses Jahres die Tore von Newtopia schließen ließ, besiegelte der Münchener Privatsender nicht nur einen der größten kommerziellen Flops, sondern auch eine der aufsehenerregendsten Zuschauertäuschungen der deutschen TV-Geschichte. Mit immensem Aufwand hatte der Sender zuvor sein neues Reality TV-Format beworben, in der eine Gruppe aus 15 Kandidatinnen und Kandidaten, die sogenannten Pioniere, auf einem abgezäunten Landstrich in Brandenburg eine neue Gesellschaft mit eigenen Regeln und Normen aufbauen sollten. Natürlich begleitet von unzähligen Fernsehkameras, die Material für einen täglichen Zusammenschnitt der Ereignisse lieferten, mit dem die Zuschauerinnen und Zuschauer dauerhaft vor die Bildschirme gelockt werden sollten. Besonders betonte man bei Newtopia dabei stolz die vermeintliche Authentizität des Gezeigten: ‚echte‘ Protagonistinnen und Protagonisten fällen freie Entscheidungen, auf Eingriffe von Seiten der Produzierenden und des Senders wird komplett verzichtet – quasi ‚Unscripted Reality‘. Die ungefilterte Realität ohne Drehbuch. Eine glatte Lüge, wie sich Monate später herausstellte: Über den Internet-Stream von Newtopia konnten die Zuschauerinnen bzw. Zuschauer eines Nachts plötzlich verfolgen, wie die Kandidatinnen und Kandidaten seitens der Produktionsebene Regieanweisungen erhielten. Ein großer Schwindel, der ein vernichtendes Medienecho nach sich zog und die Einschaltquoten so in den Keller fallen ließ, dass SAT.1 nach nur 101 Tagen vorzeitig den Stecker zog und das Format absetzte.
Narratives und performatives Reality TV: Fragwürdige Zerrbilder von Welt
Der Fall Newtopia zeigt, dass speziell diese performative Gattung des sogenannten Reality TV, bei dem dramaturgisch in die tatsächlich stattfindende Wirklichkeit von Menschen eingegriffen wird, aus medienpädagogischer Sicht mehr denn je kritisch beäugt und bewertet werden muss. Ihr gegenüber stehen innerhalb des Genres Vertreter der narrativen Scripted Reality-Formate wie Mein dunkles Geheimnis (SAT.1), Schicksale (SAT.1) oder Verdachtsfälle (RTL), in denen Laiendarstellerinnen und -darsteller in fiktive Rollen schlüpfen und frei erfundene Geschichten inszenieren. Schon diese Sendungen entpuppen sich für Kinder und Jugendliche als nicht unproblematisch. Durch die dramatische Aufbereitung werden Konflikte stark überspitzt dargestellt, die Akteurinnen und Akteure streng in Gut und Böse eingeteilt und auf wenige Stereotype heruntergebrochen. Durch filmische Mittel wie eine bewusst dilettantische Kameraführung und eine pseudo-dokumentarische Erzählweise glauben nicht wenige jüngere Zuschauerinnen und Zuschauer, dass die gestellten Szenen echt seien und orientieren sich unter Umständen an den fragwürdigen Vorbildern der Sendungen. Zumindest im Abspann solcher Formate wird der ‚Fake‘ jedoch stets kenntlich gemacht (meist durch die Texteinblendung „Die Fälle und handelnden Personen sind frei erfunden“), so dass sich für Eltern und pädagogische Fachkräfte abseits der oftmals übertriebenen Machart ein Anknüpfungspunkt zur Aufklärung bietet.
Wenn der ‚Fake‘ als echt verkauft wird
Doch auch mit Wissen um die Inszenierung bleiben Scripted Reality-Sendungen bei jungen Zuschauenden hoch im Kurs. Die ‚Währungen‘, die dabei hohe Einschaltquoten garantieren, sind zum einen Realitätsnähe und Glaubwürdigkeit, zum anderen spannende und emotional packende Geschichten. Mit dem Bestreben, beide Erfolgsfaktoren miteinander zu kombinieren, haben performative Reality TV-Produktionen wie Newtopia oder das kürzlich zu Ende gegangene Promi Big Brother (SAT.1) eine zusätzliche problematische Ebene eröffnet – während Scripted Reality-Formate einen Hinweis auf die Inszenierung geben, liefern diese Produktionen keinerlei Einordnung. Stattdessen wird suggeriert: Hier agieren reale Menschen in Echtzeit unter ihrem Klarnamen. Das Gezeigte sei nichts anderes als das abgefilmte Leben. Inwiefern es produktionstechnischen Eingriffen unterliegt, bleibt offen. Dass diese tatsächlich existieren, das zeigen Berichte von ehemaligen Teilnehmenden an Sendungen wie Frauentausch (RTL II), Bauer sucht Frau (RTL) oder Schwiegertochter gesucht! (SAT.1). Aus dem offenen ‚Fake‘ wird so nicht selten eine undurchschaubare Täuschung.
„Eigentlich mach‘ ich das gar nicht so freiwillig“
Egal, ob eine deutsche Familie beim Auswandern gefilmt oder Daniela Katzenberger während ihrer Schwangerschaft mit der Kamera begleitet wird – grundsätzliche Skepsis über den Authentizitätsgehalt der Aufnahmen ist angebracht. Zu sehr haben Produzierende und Redakteurinnen sowie Redakteure bereits verinnerlicht, dass die handelnden Akteurinnen und Akteure bei aller Realitätsnähe auch spannende Geschichten abliefern müssen. Kinder und Jugendliche können deshalb nicht früh genug dafür sensibilisiert werden, dass auch in non-fiktionalen Inhalten im Fernsehen gerne mal ‚nachgeholfen‘ wird. Das kann schon im Kleinen beginnen, wie zum Beispiel bei einem Kandidaten der Castingshow Deutschland sucht den Superstar (RTL), der sich 2013 nach einem oberkörperfreien Gesangsauftritt vor laufenden Kameras ‚verplapperte‘, und gestand, die Produzierenden der Sendung hätten ihn zu der luftigen Kleiderwahl überredet („Eigentlich mach‘ ich das gar nicht so freiwillig“) – aber eben auch im großen Stil wie bei Newtopia stattfinden.
Big Brother is watching you again – der Kreis schließt sich
Denn das quotenträchtige Geschäft mit dem ‚wahren Leben‘ im Fernsehen ist noch lange nicht am Ende – im Gegenteil: es erlebt derzeit eine Renaissance. Seit Mitte September hat der Sender sixx mit Big Brother sogar wieder die ‚Mutter‘ aller Reality TV-Shows im Programm. Das Format aus den Niederlanden läutete im Jahr 2000 im deutschen Fernsehen die große Welle des Reality TV ein. Doch vor allem die Gewohnheiten der jüngeren Zuschauerinnen und Zuschauer haben sich inzwischen verändert. Beim kontrovers diskutierten Start der ersten Big Brother-Staffel standen noch ethische Fragen zur Debatte: Ist es menschenwürdig, mit Fernsehkameras derart kompromisslos in die Privatsund Intimsphäre des Einzelnen einzugreifen und zu unterhaltenden Zwecken zur Schau zu stellen? 15 Jahre später ist der öffentliche Diskurs diesbezüglich weitestgehend verstummt. Soziale Netzwerke im Internet haben Einzug in die Wohn- und Kinderzimmer gehalten und mit ihnen ist es für viele Kinder und Jugendliche selbstverständlich geworden, das eigene Privatleben einer (Teil-)Öffentlichkeit zu präsentieren und auch bewusst zu inszenieren. Dementsprechend seltener wird auch im Fernsehen der Authentizitätsgrad von dargestellter Realität überprüft. Das Comeback von Big Brother gibt Eltern und pädagogischen Fachkräften Gelegenheit, mit Heranwachsenden endlich mal wieder etwas genauer hinzuschauen.
Maximilian Niesyt: Eine Reise in den Verstand
Übersprudelnde Innovationsfreude war in den letzten Jahren nicht gerade ein Attribut, dass sich die großen Hollywood-Animationsstudios bei der Produktion von Zeichentrickfilmen auf die Fahne schreiben konnten. Das trifft auch auf die kalifornischen Entwickler von Pixar zu – deren letzte Filmwerke wie Cars 2 (2011) und Die Monster Uni (2013) waren zwei familientaugliche, aber inhaltlich eher mediokre Fortsetzungen, die großen und kleinen Zuschauerinnen und Zuschauern über ihre bekannten Protagonistinnen und Protagonisten hinaus keine übermäßig spannenden neuen Geschichten bieten konnten. Umso erstaunlicher, welch ausgefallenes und originelles Szenario sich Pixar nun in seinem 15. Spielfilm Alles steht Kopf ausgedacht hat: Ein Großteil der Handlung spielt sich ausschließlich im Kopf der zwölfjährigen Riley ab, ein leicht burschikos wirkendes Mädchen aus einer Kleinstadt in Minnesota. In der Tradition älterer Pixar-Hits wie Toy Story (1995) existiert dort eine von den Menschen abgekoppelte Parallelwelt – eine Art Schaltzentrale, in der die fünf Gefühle Freude, Kummer, Angst, Wut und Ekel Tag für Tag versuchen, Rileys seelisches Wohlbefinden aufrechtzuerhalten. Ihre ‚Währung‘ sind durch Rileys positive und negative Erfahrungen produzierte Murmeln, die fünf mit dem Hauptquartier verbundene ‚Persönlichkeitsinseln‘ aufrechterhalten: die Familieninsel, die Freundschaftsinsel, die Quatschmachinsel, die Ehrlichkeitsinsel und die Eishockeyinsel (Eishockey ist Rileys großes Hobby). Jede dieser Inseln sorgt auf ihre Weise dafür, dass Riley sich glücklich und ausgeglichen fühlt.
Kein Wunder, dass die optisch an eine kleine, gelbe Fee erinnernde Freude die heimliche Anführerin der Kommandozentrale ist. Da Riley in einem liebevollen Umfeld aufwächst und viele Freundinnen und Freunde hat, sind die meisten Erinnerungen ihr zugeteilt. Doch auch Ekel (ein grünfarbenes, etwas zickig wirkendes Mädchen), Wut (ein Männchen mit knallrotem Kopf und zu eng gebundener Krawatte) und Angst (eine dünne, blasslilafarbene Gestalt) sorgen dafür, dass Riley jede Gefahrsituation meistert. Nur die Funktion des blaufarbenen lethargischen Mauerblümchens Kummer gibt den anderen Gefühlen Rätsel auf. Rileys Leben scheint perfekt, doch als ihre Eltern beschließen ins unübersichtliche Los Angeles zu ziehen, gerät ihr Gemütslage gefährlich ins Schwanken: Rileys Eltern haben im Umzugsstress keine Zeit mehr für sie, sie bricht am ersten Schultag vor Heimweh vor der ganzen Klasse in Tränen aus und ihr erstes Eishockeytraining auf neuem Boden endet im Desaster. Die große Stunde von Kummer scheint gekommen: Wie im Zwang produziert sie nonstop traurige Erinnerungen und gerät so in eine Auseinandersetzung mit Freude, woraufhin beide versehentlich in Rileys Langzeitgedächtnis gesaugt werden. Zurück bleiben Ekel, Wut und Angst, die zu dritt bedenkliches Chaos stiften und eine Persönlichkeitsinsel nach der anderen zum Einsturz bringen. Von da an lebt die Handlung in erster Linie von den Interaktionen zwischen dem ungleichen Paar Freude und Kummer. Um zurück ins Hauptquartier zu gelangen und zu verhindern, dass Riley jeglichen Halt verliert, müssen Freude und Kummer durch den Verstand des Mädchens ziehen: ins Traumland, durch das abstrakte Denken bis hin zur Erinnerungsdeponie, wo auch Rileys imaginärer Freund Bing Bong lagert. Schließlich erreichen sie die Zentrale wieder. Es ist alles wieder in Ordnung, doch Freude stellt fest: Ein Lebensabschnitt geht zu Ende. Riley wird erwachsen. Von jetzt an ist Kummer eine genauso wichtige, unentbehrliche Emotion wie alle anderen auch.
Die metaphorische Idee vom kindlichen Gemüt als Schaltzentrale bzw. ‚Fabrik‘ und von Emotionen als die dort tätigen ‚Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter‘ läuft bei Alles steht Kopf nur auf den ersten Blick Gefahr, Kindern zu kompliziert zu werden. Tatsächlich werden abstrakte Konzepte wie Stimmungen, Emotionen und Erinnerungen vom Filmteam so plastisch, ‚menschlich‘ und farbenfroh in Szene gesetzt, dass sie auch für jüngere Zuschauende ab dem Grundschulalter fassbar sind. Und da das aktuelle Pixar-Werk zudem wie gewohnt optisch nur so vor Ideenreichtum und Detailverliebtheit strotzt und von hochgradig albern bis hintergründig schlagfertig die gesamte Palette an Gags und Witzen nutzt, dürfte in allen Altersstufen zu keiner Sekunde Langeweile aufkommen. Das ganz große emotionale Mitfiebern bricht bei aller Spannung und Spaß jedoch eher nicht aus: Um von den jungen Zuschauerinnen und Zuschauern als Identifikationsfigur wahrgenommen zu werden, mangelt es der Hauptprotagonistin Riley als typisch amerikanisches Durchschnittskind aus der Mittelklasse zu sehr an Ecken und Kanten sowie individuellen Eigenschaften.
Die ‚Stars‘ des Films sind die Gefühle, aber auch diese sind aufgrund ihrer Funktion für die Handlung − wie Freude als Daueroptimistin und Kummer als durchgehend depressives Wesen − zu eindimensional angelegt, um als Bezugspersonen zu fungieren, um deren Schicksal Kinder wirklich bangen. So ist die neue Arbeit aus dem Hause Pixar ein echter Familienfilm – denn es ist bemerkenswert, mit welcher Doppelbödigkeit das Werk zwei für Kinder und Erwachsene unterschiedliche Lesarten bereitstellt. Aus kindlicher Sicht ist Alles steht Kopf ein witziges und kurzweiliges Filmangebot, das Mut macht. Die Botschaft: Auch negative Gefühle haben ihre Daseinsberechtigung und es kann befreiend sein, sie zuzulassen und sich mit ihnen vertrauenswürdigen Personen (wie den Eltern) anzuvertrauen. Erwachsene hingegen werden, basierend auf ihren eigenen Erfahrungen, den Film als einen allegorischen Abgesang auf die unbeschwerte Kindheit auffassen und den Kinosaal mit Blick auf den eigenen größer werdenden Nachwuchs eventuell sogar mit einem Kloß im Hals verlassen.
Alles steht Kopf
USA 2014 , 94 MinutenRegie: Pete DocterVerleih: Walt DisneyFSK: ohne Altersbeschränkung
Filmstart: 1. Oktober 2015
Teresa Strebel: Das Leben ist unberechenbar − der Tod aber auch
McCloud, Scott (2015). Der Bildhauer. Hamburg: Carlsen. 490 S., 34,99 €.
Graphic Novels haben in den letzten Jahren verstärkt Aufmerksamkeit von Feuilletons, Buchhandel und seitens der Wissenschaft erhalten (vgl. Dreier 2015). Giesa (2014) beschreibt Graphic Novels als „mediale Erscheinungsform“ (S. 67) und ordnet sie in das „Prinzip Bildergeschichte“ (S. 66) ein, welches auch Comics und Mangas umfasst. Der Begriff Graphic Novel wurde in seiner Entstehung vor allem durch den US-amerikanischen Comiczeichner Eisner geprägt, dessen ernsthafte und emotional aufgeladene Comics sich in den 1970er-Jahren an ein zunehmend erwachseneres Publikum richteten (vgl. Schikowski 2014). Damit unterschieden sich seine Erzählungen zwar von herkömmlichen, humoristisch- fantastischen Comics, die begriffliche Neuschöpfung Eisners war aber in erster Linie ein cleverer Marketingschachzug (vgl. ebd.) und kein Gattungsbegriff (vgl. Giesa 2014). Heute stellen Graphic Novels meist Comics in Buchform dar, die sich als abgeschlossene Geschichte mit einem größeren Umfang von seriellen Comics abgrenzen.
Eine Neuerscheinung auf dem Graphic Novel-Markt ist Scott McClouds Der Bildhauer. Der renommierte Comickünstler und -theoretiker veröffentlicht damit – nach mehr als 20 Schaffensjahren – seinen ersten langen Comic-Roman. Was ist Kunst? Was braucht es, damit ein Künstler seiner Kreativität Ausdruck verleihen kann? Und was, damit er Zugang zu seinem Innersten finden und es zum Leben erwecken kann? Diese Gedanken begleiten den jungen Bildhauer DavidSmith, der eine erfolgreiche Karriere in der modernen New Yorker Kunstszene anstrebt. Mitten in einer Schaffenskrise und verlassen von jeglicher Inspiration verbringt der Künstler seinen 26. Geburtstag allein in einer Kneipe in New York. Dort erscheint ihm plötzlich der Tod in Gestalt seines längst verstorbenen Großonkels Harry und erinnert ihn an seinen Lebenstraum: Als Bildhauer möchte David ein Werk für die Ewigkeit schaffen und sich einen Namen machen − ein Versprechen, dass er nicht nur sich selbst, sondern auch seinem Vater gegeben hat. Dieser war erfolgreicher Autor, kam jedoch − wie auch Davids Mutter und Schwester − tragisch ums Leben. Dem jungen Bildhauer bedeutet Kunst alles. Um sich als Künstler verwirklichen zu können, würde er alles geben − sogar sein Leben. Da schlägt der Tod ihm einen ungewöhnlichen Pakt vor: In 200 Tagen werde sein Leben zu Ende sein, in dieser Zeit erhalte er jedoch die Gabe, alles Künstlerische zu erschaffen, was er sich je erträumt habe. Zunächst ungläubig, dann übermannt durch die Entdeckung seiner neuen Kräfte willigt David ein. Und tatsächlich: Der Tod schenkt ihm die Gabe, jedes Material mit bloßen Händen formen zu können. Alles, was er berührt, wird zum Ausdruck seiner Selbst − seiner Ideen, Gefühle, Erinnerungen −, seinem tiefen Wunsch, gesehen zu werden. Endlich meint er, sich aus der Abhängigkeit von Agentinnen und Agenten, Kritikerinnen und Kritikern sowie Käuferinnen und Käufern befreien zu können und Abstand vom ständigen Schaffensdruck und der Konkurrenz zu gewinnen. Langsam beginnt er, sein neues Talent zu ergründen und es sich zu Eigen zu machen. Wie im Rausch arbeitet er Tag und Nacht an seinen neuen Skulpturen, wird jedoch erneut enttäuscht und zurückgeworfen, als die Kritikerinnen und Kritiker sein Werk bei der Präsentation in der Luft zerreißen. Am Boden und von jeglichem Glauben an seine Kunst verlassen, wirft sich David gegen eine fahrende U-Bahn. Doch er stirbt nicht schon bevor sein Pakt endet, sondern wird in letzter Sekunde von der hilfsbereiten Amateurschauspielerin Meg gerettet. Sie lässt den jungen Künstler in ihrer Wohnung wieder zu Kräften kommen, versorgt ihn und lehrt ihm, Schritt für Schritt wieder an sein Talent zu glauben. Sie zeigt David eine Seite vom Leben, die er so noch nicht erfahren hat: Leichtigkeit, Unbeschwertheit − Leben und Lieben, ganz im Moment. Die beiden fühlen sich immer mehr verbunden, doch die Zeit tickt und David findet sich hin- und hergerissen zwischen dem Drang, sich in sein Schaffen zu stürzen und dem Verlangen, sein Leben gemeinsam mit Meg zu genießen.
In seiner Graphic Novel Der Bildhauer nimmt Scott McCloud seine Leserinnen und Leser mit auf ein rasantes Abenteuer, das emotional zwischen tiefer glückseliger Lebensfreude und kompletter Verzweiflung schwankt. Der Comickünstler schafft es, all seine ausdruckstarken Bilder für sich sprechen zu lassen und eine Geschichte vom Zu-Sich-Finden, vom Erwachsenwerden und der Liebe zu erzählen. Auf knapp 500 Buchseiten finden sich zeichnerische Nahaufnahmen von Gesichtern, Händen, Gegenständen und ganze Szenen − teilweise über eine gesamte Seite hinweg; das Geschehen wird Schritt für Schritt im Bild und Text dargestellt, Bewegungsabläufe werden im Detail abgebildet. Gleichzeitig sind auch schnappschuss-artige Bilderserien aneinandergereiht, von Zeitsprüngen durchzogen, mit unterbrochenen Textfetzen. Eine Flut an minimalistischen Zeichnungen übergießt die Seiten spiralförmig. „Vom Comic-Roman wird erwartet, dass er sich den Raum nimmt, den die Geschichte braucht, und nicht umgekehrt die Geschichte einem vorhandenen Raum anpasst. Befreiung ist das Stichwort, und zwar ohne Rücksicht auf formale Vorgaben oder Trends zu produzieren“ (Schikowski 2014, S. 173) – in Der Bildhauer wird dies sehr deutlich.
Scott McCloud verwendet eine unglaubliche Vielfalt an zeichnerischen Gestaltungsmöglichkeiten, zunehmend abseits vom figürlichen, um die Emotionen seiner Hauptfiguren mit all ihren sanften, liebevollen, traurigen und melancholischen Momenten auf der einen Seite und Wut, rauschhafter Begeisterung und Verzweiflung auf der anderen Seite darzustellen. Auch zeitliche und räumliche Komponenten sowie atmosphärische Gestaltung werden umgesetzt, vor allem durch die Anordnung der einzelnen Zeichnungen und deren Größenunterschiede zueinander. Dem Autor gelingt mit Der Bildhauer eine außergewöhnliche Darstellung von Gefühlen und Herausforderungen, mit denen sich ein junger Mensch auf der Suche nach sich selbst und dem Leben auseinandersetzen muss. Mit seinem manga-artigen Zeichenstil und der Verwendung von moderner Sprache, aufgelockert durch witzige und teils ironische Kommentare, ist McClouds Neuerscheinung vor allem für Leserinnen und Leser zwischen 14 und 30 Jahren geeignet.
Die faszinierende künstlerische Umsetzung und die Thematik der Geschichte sind nicht nur Comic- und Graphic Novel-Fans interessant, sondern auch für ein Publikum, das mit diesem Format bisher nicht in Berührung gekommen ist. Zudem ist es möglich, Der Bildhauer auch im Unterrichtskontext der Oberstufe oder der literarischen Bildung mit Jugendlichen einzusetzen. Anhand der Graphic Novel können beispielsweise narrative Strategien von grafischer Literatur analysiert oder Text-Bild- Analysen entlang von literarisch-künstlerischen Gestaltungsmitteln vorgenommen werden. So entsteht gleichzeitig ein interdisziplinärer Zugang, der im Unterrichtskontext die Fächer Kunsterziehung und Deutsch hervorragend miteinander verbinden kann.
Literatur:
Dreier, Ricarda (2015). Editorial. In: kjm&l, 67 (3), S. 2.
Giesa, Felix (2014). Comic, Graphic Novel & Co. als bildbasierte Erzählliteratur. In: Knopf, Julia/ Abraham, Ulf (Hrsg.), BilderBücher: Theorie. Deutschdidaktik für die Primarstufe, Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren, S. 66−77.
Schikowski, Klaus (2014). Der Comic. Geschichte, Stile, Künstler. Stuttgart: Reclam.
Cornelia Pläsken: Social Media in der Box
Little Big Social (2015). Starter Box Facebook für die Jugendarbeit BASIC. www.littlebigsocial.de, 49,00 €.
Der richtige Umgang mit Social Media ist nicht immer so einfach: Beispielsweise stellen ein richtiges Maß an Posts und sich ändernde (Privatsphäre-) Einstellungen immer wieder neue Herausforderungen dar. Für eine Nutzung, die über die Pflege eines persönlichen Profils hinausgeht, versucht Little Big Social Unterstützung zu leisten. Die Webseite, die von Daniel Wagner ins Leben gerufen wurde, bietet verschiedene Starter-Boxen an, die Anleitungen zum richtigen Umgang mit Social Media wie Facebook und Twitter für kleine Firmen oder Freiberuflerinnen und -berufler beinhalten. Tipps, Anregungen und Hinweise für den Einsatz im Geschäftsumfeld sowie ein hoher Praxisbezug werden versprochen. Die Boxen gibt es – je nach Bedarf – in drei verschiedenen Ausführungen: BASIC, PREMIUM und WOW! Exemplarisch wird die Starter Box Facebookfür die Jugendarbeit in der Ausführung BASIC unter die Lupe genommen, die in Zusammenarbeit mit dem Bezirksjugendring Niederbayern sowie Sozial- und Medienpädagoginnen und -pädagogen entwickelt wurde.
Der erste Eindruck
Die ansprechend gestaltete Box mit der Aufschrift „Mache aus deiner Firma eine Little Big Social Company“ macht neugierig. Im Inneren befinden sich 48 Karten im DIN-A5-Format aus festerem Material. Diese sind doppelseitig bedruckt und einzeln herausnehmbar. Mit viel Liebe zum Detail wurden sie farbig illustriert. Der Großteil der Karten besteht aus kurzen Anleitungen – How-Tos genannt –, die konkrete Einsatzmöglichkeiten beschreiben. Die Anleitungen sind in drei Kategorien unterteilt, die jeweils zehn How-Tos enthalten: Social How-Tos, Content How-Tos und Reach How-Tos. Jede Anleitung verfügt über drei Symbole, die auf den Zeitaufwand, die Komplexität und die Häufigkeit der Wiederholungen des jeweiligen Schritts hinweisen. Auf diese Weise ist es schnell ersichtlich, wie viel Zeit ein How-To in Anspruch nimmt und ob es sich um eine einmalige oder andauernde Aufgabenstellung handelt.
Die How-Tos
In der Kategorie Social How-Tos geht es darum, wie mithilfe von Facebook Beziehungen gepflegt werden können. Das Social How-To #1 sieht vor, eine Leitidee für die Facebook-Seite zu formulieren. Auf der Vorderseite der Karte sind das übergeordnete Ziel, die konkrete Aufgabe und die Symbolisierung bezüglich Zeitaufwand, Komplexität und Wiederholungsbedarf beschrieben. Auf der Rückseite befindet sich ein Linktipp, unter welchem weitere Hilfestellungen aufgelistet sind, als Ergänzung zu den abgedruckten Vorschlägen. Darunter wird in Form einer Aufzählung genauer erklärt, was mit der Leitidee gemeint ist und wie diese exemplarisch aussehen könnte. Die How-To-Karten sind übersichtlich, durchdacht und ansprechend gestaltet, sodass die praktische Anwendung einfach umzusetzen ist. Das Social How-To #3 befasst sich beispielsweise mit der Darstellung der eigenen Seite, genauer mit dem Profilbild sowie der Profil- bzw. Seitenbeschreibung. Die Empfehlungen gehen dabei weit hinaus über Tipps zu anschaulichen Profilbilder: Es werden beispielsweise wichtigen Hinweisen zur passenden Pixelzahl für ein Profil- und Titelbild geliefert; Details, die bei der praktischen Umsetzung schnell übersehen werden können. Die Content How-Tos befassen sich mit inhaltlichen Aspekten einer Facebook-Seite: Welche Inhalte eignen sich zum Posten? Wie erstellt man diese? Die Anleitungen reichen von der Bewerbung des nächsten Freizeitangebots über das Teilen von angesagten Videos bis hin zu authentischen Spontan-Posts. Es werden also neben offensichtlichen auch kreative, zeitgemäße Vorschläge gemacht, die Jugendliche ansprechen könnten. In der letzten Kategorie, den Reach How-Tos, geht es um das Erreichen von mehr Reichweite. Dafür werden das Markieren von anderen Personen oder Einrichtungen, das Experimentieren mit der Graph Search, getimte Beiträge für nach Feierabend oder das Aufgreifen aktueller Internettrends vorgeschlagen. Auch in diesem Bereich werden aktuelle Entwicklungen einbezogen und aufwändige, aber sinnvolle Methoden präsentiert.
Der Rückblick
Die Starter Box Facebook für die Jugendarbeit, die als eierlegende Wollmilchsau dargestellt wird, kann den geschürten Erwartungen äußerst gut standhalten. Die Box ist ein sehr gutes Beispiel dafür, wie die Zusammenarbeit von fachlich kompetenten Personen ein reflektiertes und durchdachtes Produkt hervorbringen kann. Der Grundgedanke der Box, nach der Bearbeitung aller Karten eine erfolgreiche Facebook-Seite zu besitzen, wird klar verfolgt. Dazu ist es aber nicht zwingend vorgesehen, wirklich alle Karten abzuarbeiten. Bereits in der Einleitung wird darauf hingewiesen, dass jede Einrichtung und damit auch jeder Internetauftritt individuelle Ansprüche hat – deshalb sei auch keine Einhaltung der vorgegebenen Karten-Reihenfolge von Nöten. Die versprochene Praxisorientierung zeigt sich in der Aufmachung der Box: Die relevanten Karten können einzeln entnommen und individuell sortiert werden. Auch die Angaben zu Zeitaufwand, Komplexität und Wiederholungen erscheinen realistisch und sehr hilfreich. Weiter erheben die How-Tos keinen Anspruch auf vollkommene Richtigkeit. Einleitend wird angemerkt, dass Authentizität in den Social Media sehr wichtig ist und deshalb die How-Tos auch auf einem anderen Weg als beschrieben angegangen werden können – ansonsten könne auch auf den Support zurückgegriffen werden, der laut eigenen Angaben schnell und unkompliziert Hilfe leistet. Die Starter Box Facebook für die Jugendarbeit eignet sich somit für alle Fachkräfte der Jugendarbeit, die eine neue Facebook-Seite für ihre Einrichtung erstellen oder eine bereits vorhandene Seite überarbeiten wollen. Aufgrund der Anregungen zum Umgang mit Daten werden aber gleichzeitig auch Privatpersonen angesprochen.
Cornelia Pläsken: Zwischen gebratenen Goldfischen und tanzenden Piranhas
Almond, David (2014). Der Junge, der mit den Piranhas schwamm. Hörbuch, Hörcompany. 336 Min., 16,95 €. „
Wie würde es euch gefallen, wenn jemand aus eurer Familie euer Zuhause zu einer Fischfabrik verwandeln würde?“ Stanley Potts ist ein Waisenjunge, der bei seiner Tante und seinem Onkel in einem hübschen Haus in der Fischzuchtgasse lebt. Als die beiden aber ihre Jobs verlieren, entscheidet Onkel Ernest, die Welt zu verändern und in die Fischindustrie einzusteigen. Dabei nehmen seine Begeisterung und seine Arbeitseinstellung mit der Zeit etwas wahnwitzige Züge an, beispielsweise wenn er schon am frühen Morgen lauthals „Dosen, Dosen, Dosen! Fische, Fische, Fische!“ durch das Haus schreit. Sein paranoider Enthusiasmus klingt nicht einmal am Geburtstag seines Neffen ab – an den aber glücklicherweise seine Frau zumindest denkt und Stanley etwas Geld schenkt, damit dieser sich einen schönen freien Tag machen kann; auch wenn sein Onkel dafür weniger Verständnis hat. Auf dem Weg in die Welt außerhalb der Fischverwertung entdeckt Stan einen Jahrmarkt, der erst seit kurzem seine Zelte aufgeschlagen hat. Ein Stand, an dem es lebendige Goldfische zu gewinnen gibt, weckt Stans Faszination. Bei näherem Hinsehen bemerkt er allerdings, dass die Fische kaum mehr Wasser haben.
Von Mitleid gerührt überzeugt er den Standbesitzer, Herrn Dostojewski, durch ein wenig Mitarbeit am Stand als Entlohnung alle Goldfische zu erlangen. Dieser ist sichtlich begeistert von Stans tatkräftiger Art und möchte ihn überzeugen, auch weiterhin für ihn zu arbeiten. Stan lehnt das Angebot jedoch ab, um seine Familie nicht hängenzulassen. Währenddessen bekommen sein Onkel und seine Tante Besuch von Beamten vom ‚Amt für fischige Angelegenheiten‘, die private Fischfabrik soll geschlossen werden. Clarence P., einer der etwas eigentümlichen Beamten, droht Ernest sogar mit einer Gerichtsvorladung, da es sich um das „Blamöseste und Skandabelste“ handele, dass er je gesehen habe. Stans Onkel – unbeirrt stur wie eh und je – denkt jedoch gar nicht daran, seine Produktion zu stoppen. Nein, er hat im Gegenteil – inspiriert durch seinen Neffen – eine glorreiche Idee, die ihn reich machen werde: gebratene Goldfische in der Dose. Gesagt, getan! Als Stan die grausame Tat seines Onkels entdeckt, erstarrt er innerlich zur Salzsäule, packt seine Sachen und verlässt etwas verstört, aber unaufhaltsam sein Zuhause. Ziellos geht er umher und steht plötzlich wieder vor dem Jahrmarkt. Bestürzt von der Tat seines Onkels beschließt Stan – etwas verängstigt, aber dennoch überzeugt –, das Angebot des Herrn Dostojewski doch anzunehmen und mit ihm und dem Jahrmarkt auf Reisen zu gehen. Der Junge erledigt seine Aufgaben gut, findet sich immer besser im Jahrmarktleben zurecht und wird vom eher mürrischen Herrn Dostojewski für seine Arbeit immer wieder gelobt. Eines Tages besucht der berühmt-berüchtigte Pancho Pirelli den Jahrmarkt und gibt eine seiner gefährlichen Vorführungen zum Besten.
Fasziniert von dem ihm vorauseilenden Ruf ist auch Stan bei der Vorführung mit im Publikum. Pirelli, ein Mann mit einnehmender Ausstrahlung und exotischer Kindheitsgeschichte, kündigt pompös an, dass er in ein Becken voller Piranhas, das mitten auf der Bühne steht, steigen und mit den gefährlichen Fischen im Wasser tanzen wird. Vermeintlich wie von Zauberhand gelingt es dem großen Pirelli, grazil und mit viel Geschick in jenem Becken zu tauchen und sich so gekonnt zu bewegen, dass sich die Piranhas um ihn scharen und es aussieht, als würden sie mit ihm tanzen. Nach dem spektakulären Auftritt kommen Stan und Pirelli ins Gespräch. Pirelli bietet Stan an, ihn unter seine Fittiche zu nehmen, auszubilden und ihm ebenfalls zu zeigen, wie man mit Piranhas schwimmen kann. Nach einer Nacht voller verrückter Träume entscheidet der Junge, das Wagnis einzugehen und schließt sich dem großen Pirelli an. Stan weiß jedoch noch nicht, dass diese Entscheidung sein ganzes Leben von Grund auf verändern soll … Der Junge, der mit den Piranhas schwamm – basierend auf der Geschichte von David Almond – nimmt innerhalb von 336 Minuten Kinder ab neun Jahren mit auf die Reise in eine fischige Welt. Eine Fischfabrik im eigenen Haus, Goldfische vom Jahrmarkt und tanzende Piranhas – das Leben von Stanley Potts, dem tüchtigen aber eher zurückhaltenden Waisenjungen, ist von Fischen aller Art geprägt.
Jörg Pohl erzählt die außergewöhnliche Geschichte rund um Stan und den Jahrmarkt mit viel Feingefühl und Hingabe – zu Recht wurde das Hörbuch für den Deutschen Kinderhörbuchpreis BEO nominiert und mit dem Deutschen Hörbuchpreis 2015 in der Kategorie ‚Bestes Kinderhörbuch‘ sowie dem AUDITORIX Hörbuchsiegel 2014/2015 ausgezeichnet. Stan liebt seinen Onkel, fügt sich anfangs seines Schicksals und packt tatkräftig mit an. Dennoch muss er zusehen, wie sein Onkel seine geliebten Goldfische zu Dosenfutter verarbeitet. Als Zuhörerin bzw. Zuhörer fühlt man sich als Teil des Abenteuers und möchte Onkel Ernest am liebsten von seinen Dummheiten abhalten. Mitfühlend wird das Publikum auch in den Bann gezogen, als Stan seinen ganzen Mut zusammennimmt und einen völlig anderen Weg einschlägt. Er besitzt die Courage, sein bisheriges Leben hinter sich zu lassen und ergreift eine Chance, die ihm das Leben bietet. Der Junge, der mit den Piranhas schwamm ist ein Hörbuch, das direkt ins Herz geschlossen wird, weil die hingebungsvolle und umsichtige Art des Protagonisten von Anfang an fasziniert. Andere Rollen wie die der Beamten werden durch ihre eigenartige Sprache mit einer gewissen Prise Humor versehen.
Trotz einer stolzen Länge, bei der die Aufmerksamkeit unter Umständen leiden kann, bleibt die Zuhörerin bzw. der Zuhörer vermutlich trotzdem immer gespannt mit dabei, weil sie bzw. er auf gar keinen Fall verpassen will, welche Herausforderungen und kleinen Abenteuer als nächstes auf Stan warten. Die Handlung zeigt, welche Widrigkeiten im Leben auftauchen können, es sich aber dennoch lohnt weiterzumachen. Stan stellt sich seinen neuen Aufgaben mit viel Geschick und Köpfchen und schafft es deshalb, sein ganzes Leben auf den Kopf zu stellen. Sein Mut und seine Tapferkeit werden belohnt, denn am Ende ist Stan nicht mehr der schüchterne Junge, sondern der große Stanley Potts, der von allen bewundert und bejubelt wird – und nicht zu vergessen mit den Piranhas schwimmt. Der Junge, der mit den Piranhas schwamm zeigt sich somit als klassische Geschichte auf der Suche nach sich selbst, die durch einfallsreiche Ideen und einer spannenden Erzählweise heraussticht. Das Hörbuch eignet sich damit nicht nur für Kinder, sondern auch für Erwachsene mit ausgeprägter fischiger Seite.
publikationen
Elke Stolzenburg: Frauen und Medien
Prommer, Elizabeth/Schuegraf, Martina/Wegener, Claudia (Hrsg.). Gender – Medien – Screens. (De)Konstruktionen aus wissenschaftlicher und künstlerischer Perspektive. Konstanz: UVK. 300 S., 34,00 €.
In den Medien wird immer wieder vermeldet, dass Frauen gleichberechtigt seien und mittlerweile doch eher die Jungen bzw. Männer benachteiligt werden. Auch wird auf die Veränderungen des Frauenbilds in den Medien und die angeblich sehr verbreitete Gleichstellung von Frauen mit Männern hingewiesen. Sexistische Darstellungen oder Genderstereotype werden als marginal abgetan. Doch was ist nun – aus wissenschaftlicher Perspektive – Realität und was ‚Medienmache‘? Die Publikation Gender – Medien – Screens gibt einen Überblick über den derzeitigen Stand der Forschung zu Frauen in den Medien. Dabei ist hervorzuheben, dass es alle Bereiche umfasst, die mit Frauen und Medien zu tun haben: von Forschungen zum Frauenbild in den Medien über die Rezeption von Frauenbildern und die Frauenrolle in Medienberufen bis hin zu ästhetischen und dramaturgischen Darstellungen von Frauen in den Medien aus künstlerischer Perspektive. Das erste Kapitel „Gender im Wandel“ hätte durchaus ein Fragezeichen hinter dem Titel verdient, denn jeder Artikel zeigt, dass sich zwar das eine oder andere geändert hat, aber nicht zwingend zum Besseren: Der erste Beitrag bietet einen Überblick über den Forschungsstand zum Frauenbild in Film, TV und Internet, das sich teilweise, aber nicht grundlegend gewandelt hat. Sigrid Kannegießer weist in ihrem Artikel nach, dass sich Geschlechterbilder weiter ausdifferenzieren und US-amerikanische Serien wie Buffy, The Sopranos oder Desperate Housewives mit anderen Frauenbildern bzw. einer anderen Sicht auf Frauenrollen aufwarten, dass jedoch die Frauenrollen beispielsweise in Reality TV-Sendungen unverändert sind.
Mit jedem neuen Medium wurde immer auch eine gesellschaftliche Veränderung erhofft – sei es mit der Verbreitung der Videotechnik, mit der die Hoffnung aufkeimte, eine Gegenöffentlichkeit zur Fernsehmacht schaffen zu können (wie z. B. Sepp Auer et al. (1980) in ihrer Publiaktion Arbeiter machen Fernsehen zeigen) oder durch das Internet, durch welches sich Feministinnen einen Wandel der Geschlechterrollen erhofften. Neue Studien zeigen, dass „in Internetmedien gesellschaftliche Ungleichheiten fortgeschrieben“ (S. 30) und darüber hinaus neue geschaffen werden, auch wenn das Internet Frauengruppen neue Möglichkeiten der Öffentlichkeit bietet. Der Artikel über „Die Frau in der Serie“ weist zwar nach, dass jetzt auch die Berufstätigkeit von Frauen in Serien selbstverständlich ist, allerdings werden die Frauen nicht über ihren Beruf in die Serie eingebunden. Geschlechtsspezifische Stereotype werden eher noch ausgeweitet, da nun Berufsbilder auch noch mit Gender konnotiert werden und so das Bild von typisch männlichen und typisch weiblichen Berufen in den Medien manifestiert wird. Dass Werbung geschlechtsspezifische Stereotype bedient, ist allgemein bekannt. Da nun auch ältere Menschen als Konsumierende in den Fokus der Werbetreibenden rücken, geht Clemens Schwender ausführlich auf ein Forschungsprojekt ein, welches den Zusammenhang zwischen Alter und Geschlecht in der Fernsehwerbung untersucht. Die Ergebnisse zeigen unter anderem, dass Werbung nicht nur Stereotype bedient, sondern durchaus auch gegen eine Stereotypisierung arbeitet. Allerdings wird Mobilitätsverlust (körperliche Schwäche) und Abhilfe dagegen doch mehrheitlich mit Frauen beworben, während Ratschläge (Weisheit) meist von männlichen Protagonisten erteilt werden. Im zweiten Kapitel zu Rezeptionspraktiken werden neben der Rezeption von Mädchen- und Jungenrollen im Fernsehen durch Kinder auch neue Medien in den Blick genommen. So werden in „Entgrenzte Medienpraktiken und Geschlecht“ mobile Medienrituale von Jugendlichen thematisiert und in „Gender doesn’t matter“ setzt sich das Autorenteam mit Gender und der Nutzung mobiler Online-Dienste auseinander.
Die Untersuchung stammt zwar bereits aus dem Jahr 2010, interessant ist aber dennoch, dass die Untersuchungsgruppe der ‚Early-Adopter‘ mobiler Online-Dienste zwar eher männlich geprägt ist, nach einer ‚Adopt-Entscheidung‘ ist allerdings kein genderspezifisches Nutzungsverhalten mehr vorzufinden. Ann-Kathrin Meißner wirft anschließend einen Blick auf Intimchirurgie im Fernsehen, die sich offensichtlich nur um Frauen dreht und ebenfalls ein spannendes Frauen-(selbst-)Bild aufzeigt. Das dritte Kapitel „Karrieren“ umfasst Frauen in Medienberufen. Meines Wissens erstmalig wird der Werdegang von Absolventinnen einer Filmhochschule untersucht, mit Ergebnissen, die leider die herkömmlichen Vorurteile bestätigen. Der Artikel über Frauen in der Games-Branche sticht besonders durch seine teils überraschenden Ergebnissen heraus: Die Analyse über Reality TV in den USA und die Casterinnen dieser Shows birgt Informationen über die männlich dominierte Film- und TV-Branche in den USA und die (kritisch betrachtete) ‚Nische‘ für Frauen im Filmbusiness. Zum Abschluss des Kapitels betrachten Claudia Wegener und Alexander Riehl die Motive von Castingshow-Teilnehmerinnen, die sich darüber auch eine Karriere im Medienbusiness erhoffen. Im vierten und letzten Kapitel „Künstlerische Perspektiven“ äußern sich Medienschaffende über die (Re-)Produktion von Genderbildern. Sie zeigen Stereotype auf, hinterfragen diese und machen deutlich, welche Möglichkeiten insbesondere Regie und Schnitt bieten, um stereotype Genderbilder zu verändern oder gar aufzulösen – und damit völlig neue Rollenmodelle hervorbringen. So veranschaulicht Kerstin Stutterheim anhand ausgewählter Produktionen (wie Borgen oder Kommissarin Lund), wie sich dramaturgisch-ästhetische Entscheidungen auf Genderrollen auswirken und diese auch verändern können.
Der Beitrag „Editing Gender“ von Susanne Foidl verdeutlicht, wie durch Schnitt bzw. Filmmontage stereotype Genderdarstellungen ausgeformt werden, zeigt aber auch auf, wie genderreflektierte Filmmontage Stereotype aufbrechen und neue Rollenmodelle erschaffen kann. D. G. Stephan hinterfragt in seinem Artikel „Gender formen“ stereotype Genderrollen und arbeitet unter anderem heraus, dass Stereotype eine rasche Orientierung bieten und auch aus diesem Grund immer wieder (re-)produziert werden. Andrea Behrendt beschreibt das Kunstund Medienprojekt 1000 Identitäten und anhand des Teilprojekts Ich will in keine Box! das breite Spektrum künstlerischen Arbeitens mit Gender. Sie zeigt, wie Medienkonsumierende in ihrer Wahrnehmung verunsichert werden können. Zum Abschluss analysiert Annegret Zettl das Bild von Soldatinnen und Partisaninnen in sowjetischen Spielfilmen und die Umgestaltung dieser Rollen aufgrund des Wandels gesellschaftlicher Verhältnisse. Mit Gender – Medien – Screens aus der Reihe Alltag, Medien und Kultur ist es den Herausgeberinnen gelungen, einen wirklich umfassenden wissenschaftlichen sowie künstlerischen Überblick über den Stand der Genderforschung zu geben.
Die Publikation sticht besonders dadurch heraus, dass sie Einblicke in jede Forschungsrichtung gewährt; im Gegensatz zu den üblichen Bänden über wahlweise das Bild der Frau, Frauen in Medienberufen oder die Rezeption von Mädchenbildern. Damit bietet sie nicht nur denjenigen, die am Anfang ihrer Auseinandersetzung mit diesen Themenkomplex stehen, einen guten Einstieg in die Thematik und ihre Komplexität, sondern hat mit neueren Untersuchungen auch für erfahrene Häsinnen und Hasen einiges Neues zu bieten.
Günther Anfang: „Das Unbewusste der digitalen Kultur bewusst machen“
Stiegler, Christian/Breitenbach, Patrick/Zorbach, Thomas (Hrsg.) (2015). New Media Culture. Mediale Phänomene der Netzkultur. Bielefeld: transcript. 299 S., 29,90 €.
Shitstorm, Selfies, Big Data, Gamification – wir alle kennen diese Begriffe der ‚New Media Culture‘. Woher sie kommen und wie sie einzuordnen sind, ist vielen aber nicht klar. Welche Auswirkungen die Netzkultur auf unsere tagtägliche Wahrnehmung von Kommunikation auf Arbeitsbedingungen, soziale Beziehungen und ästhetische Entwürfe haben kann, erläutert der Sammelband New Media Culture von Christian Stiegler, Patrick Breitenbach und Thomas Zorbach, die alle aus dem Umfeld der Karlshochschule in Karlsruhe kommen. Insgesamt 15 Phänomene der Netzkultur werden darin von verschiedenen Autorinnen und Autoren behandelt. Unter anderem von Judith Ackermann das Phänomen der Avatare als Identitäten und digitale (Ab-)Bilder im Netz. Auf Selfies und Selfie-Sticks als Automedialität des digitalen Selbstmanagements geht Christian Stiegler ein. Alle Artikel sind in der Publikation in ihrer Struktur ähnlich aufgebaut, um eine gemeinsame Basis für die sehr unterschiedlichen Phänomene und Sichtweisen zu bieten. Nach einleitenden Worten ist jedem Kapitel eine theoretische Einführung vorangestellt, die es ermöglichen soll, Begriffsdefinitionen zu erläutern und das jeweilige Phänomen in einen diskursiven Zusammenhang zu stellen.
Praxisbezüge machen in einem nächsten Schritt das jeweilige Phänomen greifbar(er) – auch durch die Einbindung von Anwendungsmöglichkeiten. Abschließend werden perspektivische Entwicklungen aufgezeigt und Literaturtipps zur eigenen weiteren Recherche gegeben. Ein grundlegender Einführungsartikel zu Digitalen Medientheorien führt in die Thematik ein und zeigt auf, dass der von Marshall McLuhan formulierte Begriff der neuen Medien bzw. New Media immer nur in Abgrenzung der alten Medien zu sehen ist. Die Bezeichnung New Media ist somit irreführend, denn was McLuhan 1960 darunter verstanden hat ist heute etwas ganz anderes als damals, und wird morgen wieder etwas anderes sein. So wird aktuell das Netz mit dem Begriff New Media gleichgesetzt – allerdings nur solange es kein neueres Medium gibt, das alle zuvor existierenden Medien in sich einschließt, inklusive der für das Internet charakteristischen ausgeprägten sozialen, digitalen Lebenswelt. Digitale Medientheorien haben dann aber auch Auswirkungen auf die Praxis und erfordern die Entwicklung digitaler Kompetenzen. Dazu gehört die Fähigkeit, kompetent und reflektiert mit digitalen Informationen und neuen Medien umzugehen, sich Zugang zum Netz zu verschaffen, sich dort eigenständig zu bewegen, eine partizipatorische Teilhabe wahrzunehmen und Informationen zu kreieren, zu verbreiten und zu evaluieren.
Ein Weg dazu ist auch, sich mit den Ausformulierungen der ‚New Media Culture‘ auseinanderzusetzen und Phänomene der Netzkultur aus akademischer und praktischer Sicht zu überdenken und zu hinterfragen. In New Media Culture wird also mit der Aufbereitung von 15 Phänomenen der Netzkultur ein Grundstein für ein besseres Verständnis gelegt. Dieser liefert sowohl Studierenden und Lehrenden der Kultur- und Medienwissenschaften als auch Praktikerinnen und Praktikern wertvolle Erkenntnisse, sich mit diesen Phänomenen (weiter) auseinanderzusetzen und im praktischen Diskurs mit den sogenannten Digital Natives zu erörtern. Nur ein reflektierter Umgang mit den Phänomenen der digitalen Kultur kann gewährleisten, dass wir nicht zum Spielball, sondern zur Akteurin bzw. zum Akteur dieser Kultur werden. Dazu will die Publikation beitragen oder wie es Mitherausgeber Christian Stiegler in einem Interview formuliert: „‚New Media Culture‘ will das Unbewusste der digitalen Kultur bewusst machen“ (transcript 2015).
Literatur:
transcript (2015). Autoreninterview mit Christian Stiegler. www.transcript-verlag.de/978-3-8376-2907-1/new-media- culture-mediale-phaenomene-der-netzkultur [Zugriff: 05.08.2015].
Augustin, Elisabeth (2015). BlogLife. Zur Bewältigung von Lebensereignissen in Weblogs. Bielefeld: transcript. 206 S., 29,99 €.
Weblogs als virtuelle Tagebücher waren Ende der 1990er- Jahre eines der zentralen Kennzeichen des sogenannten Web 2.0. Mittels vergleichsweise einfacher Technologie können theoretisch alle Internetnutzerinnen und -nutzer eigene Inhalte veröffentlichen. Das Spektrum der veröffentlichten Inhalte ist breit, hier findet sich einfach alles: Von der Kindererziehung, Reiseberichten und Kochbüchern bzw. Rezepten über aktuelle Informationen aus einem Unternehmen oder Verein bis hin zu Einträgen, die denen privater Tagebücher gleichen. Doch privat ist ein Weblog natürlich nicht, vielmehr gibt es inzwischen eine große Community begeisterter Blog-Leserinnen und -Leser. Welche Auswirkungen die zunehmende Verschmelzung zwischen Öffentlichkeit und Privatheit hat, beschäftigt die Medienforschung schon länger. Dr. Elisabeth Augustin wendet sich in BlogLife nun der Frage zu, wie sich durch die zunehmende Internetnutzung Kommunikation, Identität und Bildungsprozesse verändern.
Zu diesem Zweck hat sie private Weblogs – hier Online-Journale genannt – von Auslandsstudierenden über einen längeren Zeitraum hinweg beobachtet und qualitative Leitfadeninterviews geführt. Sie fokussiert dabei, welche Rolledie Online-Kommunikation bei der Bewältigung kritischer Lebensereignisse spielt. Dabei verbindet sie Ergebnisse der Online- Forschung mit dem Konzept der kritischen Lebensereignisse. Auf Basis ihrer Ergebnisse entwickelt sie verschiedene Charakteristika von Online-Journalen und identifiziert das Schreiben eines Online- Journals als wichtigen und möglicherweise richtigen Weg für viele Menschen, um kritische Lebensereignisse zu bewältigen. Neben vielen spannenden
Einblicken in die Vielfalt des Bloggens und die ebenso vielfältigen Strategien und Motivationen von Bloggerinnen und Bloggern bietet die Publikation eine gute Grundlage, um über die Entwicklung von Medienkompetenz bei der eigenständigen, unbegleiteten Mediennutzung und die Reflexion eigener medialer Beiträge bzw. das im Tun wachsende Reflexionsvermögen nachzudenken.
Bischoff, Sandra/Büsch, Andreas/ Geiger, Gunter/Harles, Lothar/Holnick, Peter (Hrsg.) (2015). Was wird hier gespielt? Computerspiele in Familie 2020. Opladen/Berlin/Toronto: Barbara Budrich. 165 S., 19,90 €.
Im Mai 2014 fand die Fachtagung ‚Was wird hier gespielt? Computerspiele in Familie 2020‘ statt, bei der reger Austausch zwischen Expertinnen und Experten aus verschiedenen wissenschaftlichen Bereichen herrschte. Um die Ergebnisse und Beiträge der Tagung zu sichern, haben Sandra Bischoff, Andreas Büsch, Gunter Geiger, Lothar Harles und Peter Holnick diese als gleichnamiges Sammelwerk herausgegeben: In Was wird hier gespielt? werden damit neben Trends, Risiken, Fakten und Vorurteilen bezüglich des Computerspielens auch die Auswirkungen auf die Familie angesprochen. Um eine thematische Grundlage zu schaffen, wird das Spiel an sich zunächst kulturanthropologisch wie auch medienpädagogisch erläutert. Auch die ethische Perspektive wird bei dem Versuch, Computerspiele innerhalb der Medienethik einzuordnen, berücksichtigt.
Weiter wird mit Vorurteilen hinsichtlich Computerspielen und Sucht aufgeräumt, indem die Wirkung von Spielen auf die Nutzenden explizit beschrieben wird. Games können – beispielsweise innerhalb der politischen Bildung – auch für Bildungszwecke eingesetzt werden. Gleichzeitig können sie auch kompetenzfördernd sein, wie im Beitrag rund um Creative Gaming anschaulich herausgestellt wird. Der sinnvolle Einsatz von Games an Schulen darf in dieser Publikation nicht fehlen: Es wird beschrieben, wie Computerspiele von Lehrkräften adäquat in den Schulalltag eingebaut werden können – übrigens auch im Bereich Religion, als gewinnbringendes Werkzeug innerhalb der religiösen Bildung. Was wird hier gespielt? bietet damit eine große Bandbreite zum Thema Computerspiele, weshalb sich die Publikation besonders für Studierende der Kommunikations- und Medienwissenschaft wie auch der Medienpädagogik eignet. Weiter erhalten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einschlägiger Fachrichtungen neue Anregungen.
Graphic Novels (2015). kjl&m, 67 (3), 96 S., 11€
Graphic Novels stellen ein beliebtes Format in der aktuellen Literaturszene dar: Sie erhalten jüngst nicht nur verstärkt mediale Aufmerksamkeit, sondern stehen auch vermehrt im Fokus der Wissenschaft. Im allgemeinen Verständnis werden darunter Comichefte zusammengefasst, die sich an ein erwachsenes Lesepublikum richten und einen scheinbar höheren thematischen sowie narrativen Anspruch als konventionelle Comics aufweisen. Was jedoch im Detail hinter der Begrifflichkeit Graphic Novel steckt, erläutert die Ausgabe Graphic Novels der Zeitschrift kjl&m, herausgegebenen von der Arbeitsgemeinschaft Jugendliteratur und Medien (AJuM): Eine Vielzahl an interdisziplinären Fachartikeln setzt sich darin mit den literarischen und ästhetischen Merkmalen von Graphic Novels auseinander. Der Beitrag von Bernd Dolle-Weinkauff leitet mit einer definitorischen Abgrenzung und grundlegenden Terminologien in das Thema ein und arbeitet literarische und künstlerische Tendenzen der Graphic Novels mittels verschiedener Beispiele heraus. So nimmt er eine Verortung der Graphic Novel anhand einzelner Kriterien vor und befreit diese von ihrem Ruf einer inhaltslosen Begriffsneuschöpfung.
Andreas Seidler befasst sich mit literarischen Texten und deren Adaption als Graphic Novel. Am Beispiel der Adaptionen von Werken Franz Kafkas verdeutlicht er die ästhetischen Anreicherungen, indem er diese als visuelle Neuschöpfungen von rein verbalsprachlichen Texten hervorhebt. Wie zum Teil auch schwierige Themen von Heranwachsenden (Sexueller Missbrauch, Amok, Mobbing etc.) in grafischer Form umgesetzt werden, beschreibt Heidi Lexe am Beispiel der Comingof-Age Graphic Novel Vakuum von Lukas Jüliger. Die weiteren Beiträge beschäftigen sich mit grafischen Künstlerbiografien, Graphic Novels im Kontext der politischen Bildung und literarischem Lernen im Schulunterricht sowie der Darstellung von ökologischen Problemfeldern. Die Zeitschriftenausgabe Graphic Novels führt also in Begrifflichkeiten ein, verortet das Format und spezialisiert sich anschließend auf verschiedene Fachbereiche. Diese Aufbereitung erweist sich als sehr gelungenen Herangehensweise, ein sehr breites Publikum anzusprechen. Somit ist die Ausgabe sowohl für Interessierte ohne Fachkenntnisse als auch für Literaturund Medienwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler geeignet. Zudem finden Literaturkritikerinnen und -kritiker sowie pädagogische Fachkräfte, die sich im Rahmen der Tätigkeit mit Graphic Novels auseinandersetzen, hilfreiche theoretische und auch methodische Zugänge.
Hugger, Kai-Uwe/Tillmann, Angela/Iske, Stefan/Fromme, Johannes/Grell, Petra/ Hug, Theo (Hrsg.) (2015). Jahrbuch Medienpädagogik 12. Kinder und Kindheit in der digitalen Kultur. Wiesbaden: Springer VS. 148 S., 34,99 €.
Das Aufwachsen innerhalb der digitalen Mediengesellschaft birgt neue Aufgaben und Herausforderungen. Die Deutsche Gesellschaft für Erziehungswissenschaft hat deshalb die Herbsttagung der Sektion Medienpädagogik im Jahr 2013 diesem Thema gewidmet, vereinzelte Beiträge der Tagung wurden in der Publikation Jahrbuch Medienpädagogik 12 veröffentlicht. Darin werden aktuelle empirische Forschungsergebnisse vorgestellt: Ulrike Wagner und Christa Gebel fassen in ihrem Beitrag „Medienerziehung in der Familie unter den Bedingungen von Mediatisierung“ die wichtigsten qualitativen und quantitativen Studienergebnisse ihrer 2013 veröffentlichten Studie zusammen und geben einen differenzierten Ausblick, an welchen Stellen die Forschung weiter ansetzen sollte. Kai-Uwe Hugger und Angela Tillmann erläutern die Ergebnisse der triangulativ angelegten Studie zum Thema „Mobiles, digitales Spielen von Kindern“, die über die reine Nutzung hinaus auch eine Typologie von mobilen kindlichen Spielenden beinhaltet.
Die zweite Hälfte der Publikation umfasst theoriebasierte Beiträge: Helen Knauf beschreibt in „Smart Documentation“ den Mediatisierungstrend innerhalb von Kindertageseinrichtungen bezüglich der Dokumentation von Bildungsprozessen. Sie stellt heraus, dass dies zu den zentralen Instrumenten professionellen pädagogischen Handelns zählt und sich dadurch im Nachgang neue Partizipationsmöglichkeiten für Eltern und Kinder ergeben können. Tobias Hölterhof rundet das Jahrbuch mit seinem differenzierten Blick auf Werte und Medienpädagogik ab. Das Jahrbuch Medienpädagogik 12 vereint somit unterschiedliche Perspektiven zum Thema Kinder und Kindheit. Allerdings werden die Erwartungen, die durch den Titel der Publikation geschürt werden, nur bedingt erfüllt, da sie zwar ein facettenreiches Themenspektrum enthält, jedoch nicht in dem Ausmaß, wie es nötig wäre.
Der Sammelband eignet sich dennoch für Studierende, Dozierende und Fachkräfte der Medienpädagogik, die sich mit der Kindheits- und Medienforschung auseinandersetzen. Zum anderen könnten auch Lehrkräfte und Erzieherinnen wie auch Erzieher mit dem Jahrbuch angesprochen werden, da sowohl für sie relevante empirische Ergebnisse als auch praktische Anregungen enthalten sind.
Schluchter, Jan-René (2015). Medienbildung als Perspektive für Inklusion. Modelle und Reflexionen für die pädagogische Praxis. München: kopaed, 101 S., 14,80 €.
Gerade vor dem Hintergrund der Weiterentwicklung inklusiver Strukturen und Kulturen in der Gesellschaft bietet es sich an, theoretische und praktische Ansätze der Medienpädagogik − in Form einer ‚inklusiven‘ Medienpädagogik − vermehrt einzubeziehen. Für Jan-René Schluchter gilt es, eine Schnittstelle zwischen den Bereichen Lehre bzw. Professionalisierung, Medienpädagogik und Inklusion herzustellen, indem inklusive Medienpädagogik gezielt in Ausbildungsangebote für Pädagoginnen und -pädagogen integriert wird. In seiner Publikation Medienbildung als Perspektive für Inklusion geht er daher einerseits auf die Potenziale und Begrenzungen der aktiven Medienarbeit für die Weiterentwicklung von Inklusion ein, andererseits erläutern Studierende selbst methodisch-didaktische Rahmenbedingungen anhand von eigens erarbeiteten Praxismodellen. Diese sind in der Lehrveranstaltung ‚Medienbildung als Perspektive für Inklusion‘ für Lehramtsstudierende an der PH Ludwigsburg entstanden.
Schluchter nimmt in seiner Einführung zu ‚Medienbildung und Inklusion‘ eine erste theoretische Einordnung vor, die als Grundlage für die Verortung der (Praxis-)Modelle inklusiver Medienbildung und deren Reflexion verwendet wird. Auf den nächsten 70 Seiten dokumentieren Studierenden ihre inklusiven Medienprojekte – von deren Konzeption über die Durchführung bis zur Reflexion –, die sie mit den unterschiedlichsten Altersgruppen, Beeinträchtigungen und Bildungseinrichtungen durchgeführt haben. Diese Projektbeschreibungen sind durch jeweils einen kurzen Steckbrief, eine Checkliste benötigter Materialien sowie einer ausführliche Ablaufbeschreibung übersichtlich gegliedert. Die Publikation veranschaulicht damit gut nachvollziehbar theoretische Grundlagen und deren praktische Umsetzung.
Zwar stehen in den Dokumentationen immer ein konkretes Projekt und eine hierauf bezogene Reflexion im Vordergrund, jedoch gelingt stets auch der Rückbezug zu allgemeinen Lösungsstrategien und Handlungsanleitungen. Demnach erweist sich der Band auch als hilfreicher Praxis-Leitfaden für Studierende einschlägiger Fachrichtungen und für pädagogische Fachkräfte.
kolumne
Elisabeth Jäcklein-Kreis: #dennsi #ewis #senni #chtwassi #etun
Er ist gekommen, um Ordnung zu schaffen in einer chaotischen Welt. Um Inhalte und Informationen zu bündeln. In #justforfun und #seriousthings, in #cybermonday, #justinbieber und #aufschrei. Er ist gekommen, um Menschen schnell zu ihrem Ziel zu führen, sei dieses nun #fcbayern, #gamescom oder #db_bahn. Er ist nie zu spät. Er verfährt sich nicht. Er nimmt keine Umwege. Er duldet kein Chaos. Er kennt sich mit dem #business genauso gut aus wie mit dem #Weltkatzentag, hilft beim #startup weiter und hält zur #icebucketchallenge auf dem Laufenden. Und wer das möchte, den informiert er auch zu #tiniundclarissabestfriendsforever, #soproudofmylittlesisterannidubistdiegrößte oder #kaumzuglaubenderbacheloristgeschaffturlaubherewecomewoohoo6monateaustralien-letsgetthepartystartet. Freilich, besonders viel ‚Laufendes‘ wird da mitunter nicht zu finden sein.
Wer sich anschickt, seine Timeline auf #miawird5prinzessinnenpartyimgarten hin zu sortieren, wird sich vermutlich mit einer überschaubaren Anzahl an royalen Veranstaltungen zufriedengeben müssen. Schlimmer ergeht es nur dem, der die Unvorsichtigkeit begeht, dem tieferen Sinn so mancher #-Tiraden auf den Grund gehen zu wollen. Der nämlich findet sich mitunter in einem urbanen Bermuda-Dreieck wieder, versunken und verloren in endlosen Reihen von scheinbar willkürlich aneinander gereihten Buchstaben, weit und breit kein rettendes Leerzeichen oder Satzzeichen in Sicht, kein Ausweg mehr nach hinten oder vorne, nur noch #einschierunendlichesgetümmelanimmerneuenzeichenausdeneneskaum-mehrmöglichistunverehrthervorzukommen. An der Suche nach sinnvollen Fragmenten, logischen Bruchstücken dieser Wahnsinns-Gebilde ist schon so manch versierte Löserin bzw. Löser von Rätselheften gescheitert, bringt der Hashtag in seiner ewigen Eintönigkeit doch noch jeden Bildschirm zum Flirren und jeden noch so scharfen Blick zum Kapitulieren.
Vorbei ist es dann mit dem vollmundigen Versprechen, Ordnung in Timelines und Nutzerhirne zu bringen, unversehens wird aus dem schönsten Tag im Leben ein #dre #am #wed #ding, aus dem beruflichen Erfolg ein #karri #er #esch #ritt und aus dem gemütlichen Abend mit Bewegtbild und Snack ein #dennsi #ewis #senni #chtwassi #etun. So lange letzteres nicht nur für James Dean und Co., sondern auch für so manch #-Nutzende gilt, drängt sich doch die Frage auf: Wer bringt nun Ordnung in die chaotische Welt der Hashtags? Wer bündelt, wer sortiert, wer führt zum Ziel? Brauchen wir ein neues System? Tags für die Tags? Es muss in dieser Informationsflut doch einen rettenden Anker geben, der den Überblick behält und die Menschen endlich zu ihrem Ziel führt.
Beitrag aus Heft »2015/05: #partizipation«
Autor: Elisabeth Jäcklein-Kreis
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